Seewölfe - Piraten der Weltmeere 126

Text
From the series: Seewölfe - Piraten der Weltmeere #126
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Seewölfe - Piraten der Weltmeere 126
Font:Smaller АаLarger Aa

Impressum

© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-450-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Captain Stan Ellen und der Young-Bootsmann Blake starrten mit trüben Augen über das Wasser, das sich endlos vor der Insel dehnte, am Horizont flimmerte und übergangslos mit dem Himmel verschmolz.

Es war wieder einmal ein besonders heißer Tag, ein Tag voller Hoffnungslosigkeit, Hunger und Durst.

Vor ein paar Tagen waren sie hier gestrandet, Verdammte der Meere, und von da an war es immer schlimmer geworden.

Die Mannschaft war gestorben, krepiert an Skorbut, verreckt an verseuchtem Bilgewasser, elend eingegangen an Krankheiten, die sie nicht zu bekämpfen vermochten.

Der vorletzte, der starb, war der Erste Offizier Wintham gewesen, der letzte der Rudergänger Hentrop.

Mit letzten Kräften hatten sie eine Grube auf der Insel ausgehoben und den Mann, der an einem Rattenbiß gestorben war, in dem Sand beerdigt.

Ellen und Blake waren allein, irgendwo im Indischen Ozean, irgendwo auf einer winzigen Insel, auf der es kein Wasser gab. Nur ein paar Früchte hatten sie gefunden, und die zehrten sich jetzt auch langsam auf.

Vor ihnen lag das Schiff, die „Black Pearl“, das Totenschiff, wie sie es nannten, denn es hatte ihnen nur Unglück gebracht.

Der Captain ließ sich neben Hentrops Grab schwer in den Sand fallen. Er dachte an Selbstmord, an ein schnelles Ende. Er wollte nicht den höllischen Tod der anderen sterben, das war viel zu schmerzhaft und dauerte zu lange.

Eine Kugel durch den Kopf schießen, dachte er, dann war es gleich vorbei, dann hatte er Ruhe.

Aber er fand den Mut nicht dazu, denn irgendwo in seinem Innern war da eine Stimme, die ihn bewog, weiter auszuharren. Vielleicht kreuzte doch noch ein Schiff diese Route am Ende der Welt, vielleicht regnete es einmal kräftig, und dann hätte er sein Leben vorzeitig weggeworfen.

Sein Gesicht glich einer Totenmaske. Unter dem verfilzten Bart schimmerte die Haut gelblich und ledern. Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Stan Ellen war abgemagert bis auf die Knochen, und wenn er hustete, spuckte er Blut.

Young-Blake, der Bootsmann, sah auch nicht besser aus. Aber er verfügte über eine unwahrscheinlich harte Kondition. Den Jungen bringt so schnell nichts um, dachte Ellen.

Mitunter hockten sie stundenlang schweigend am Strand und blickten auf das ruhige Wasser.

Nur selten mal stand einer von ihnen auf, holte sich eine Nuß, zerschlug sie, trank die Milch und aß das Fleisch.

Dann kehrte er wieder zu derselben Stelle zurück, legte sich in den Sand und döste vor sich hin.

So geht es nicht weiter, dachte auch Blake, so auf keinen Fall. Immer nur dösen, immer auf etwas warten. Verdammt, sie waren zwei Kerle, und sie lebten noch. Sollten sie vielleicht deshalb resignieren und sich selbst aufgeben?

Sie konnten angeln, Fische braten, die Insel noch genauer nach Früchten absuchen und sich beschäftigen. Sie durften nicht einfach untätig herumhokken und den Tod erwarten.

Ihre Stimmungen und Launen wechselten jäh. Einmal war Stan Ellen wieder der Größte, dann wieder schlaffte er ab, und wenn Blake über sich selbst hinauswuchs, resignierte der andere. Ein Zustand zum Kotzen, fanden sie.

Diesmal war Ellens Stimmung auf dem Nullpunkt. Er glich einem lebenden Toten, der im Sand hockte, und der nur deshalb noch nicht umgefallen war, weil kein Windhauch wehte, der ihn umwarf.

„So geht das nicht weiter, Cap“, sagte Blake leise. „Auf was warten wir denn? Auf das große Glück oder darauf, daß hier aus dem Boden eine Quelle sprudelt? Wir sollten etwas unternehmen, fischen, jagen, oder, zum Teufel, das lausige Segel setzen und nach einer anderen Insel Umschau halten.“

Ellen lachte hohl.

„Sieh mal an“, sagte er, „auf einmal will der Bootsmann weitersegeln. Vorher hast du genau das Gegenteil behauptet. Du änderst deine Meinung ziemlich rasch.“

„Vorher war auch alles anders, Cap.“

Er sprang auf und sah Ellen finster an.

„Ich will nicht verrecken, Sir, hörst du! Ich glaube, du hast dich bloß mit den Roteiros geirrt, es gibt einen Kurs, der zum Land führt.“

„Ich glaube“, erwiderte Ellen müde, „die Spanier haben diese Karten absichtlich verfälscht, ich komme mit den Dingern nicht so richtig zurecht. Außerdem müßte dir dein Verstand sagen, daß zwei abgezehrte Kerle wie wir das Schiff nicht mehr segeln können. Soll etwa einer am Ruder stehen und der andere die Segel trimmen?“

„Wir haben nur noch ein Segel, da gibt es nicht viel zu trimmen, und das Ruder können wir festlaschen.“

Ellen winkte matt mit der Hand ab und verzog das Gesicht.

„Wir verrecken draußen auf See“, prophezeite er. „Hier können wir wenigstens noch Gras fressen, aber draußen gibt es nichts mehr, gar nichts.“

Blake bewegte sich mit müden Schritten auf und ab. Immer wieder sah er in den Himmel oder blickte zum Horizont, ob da nicht mal eine Wolke auftauchte, die Regen versprach.

Es gab keine Wolken, nur der Sonnenglast lag flirrend über dem Wasser. Das einzige Geräusch verursachten die kleinen Wellen, die flüsternd an den Strand liefen, noch einmal murmelten und sich dann zurückzogen.

Bis zum Mittag taten sie nichts anderes als im Schatten zu hocken, zu dösen und zu warten. Und dabei beneideten sie ihre Kameraden, die neben ihnen ruhten — für immer, die es nicht mehr interessierte, ob man die Insel verließ oder nicht.

Am Nachmittag fing Blake einen handtellergroßen Fisch, den er mit einer winzigen Garnele geködert hatte.

„Die beißen hier unheimlich schnell, wenn man die kleinen Krebse an den Haken hängt, Cap. Los, wir angeln zu zweit.“

Es dauerte eine Weile, bis er Ellen überredet hatte. Das Angeln war schon einmal erfolglos verlaufen, aber da hatten sie es auch mit Rattenfleisch versucht, an das die Fische nicht herangingen.

Jetzt wateten sie ein Stück ins flache Wasser hinaus, tasteten den Grund ab und fanden Garnelen, die meisten halb so groß wie ein kleiner Finger.

Ellen wurde zusehens munterer, und nach einer Weile war er mit Feuereifer dabei.

Dann verfielen sie auf die Idee, Muscheln zu suchen. Wenn man sie roh aß, stillten sie vorübergehend den Durst, und bevor sie die Fische brieten, saugten sie sie aus.

„Man kann überleben“, sagte Blake, „man muß nur den Willen dazu aufbringen. Nimm dir ein Beispiel an den Ratten, Cap, die geben auch nicht auf, die versuchen alles, um sich am Leben zu erhalten.“

„Willst du mich etwa mit einer Ratte vergleichen?“ fragte Ellen scharf und gereizt zurück.

Wenn er schon etwas von Ratten hörte, sah er rot. Die Biester hatten das Schiff verlassen und waren in Scharen an Land geströmt, wo sie sich sogleich verkrochen. Außerdem war der Rudergänger Hentrop an einem Rattenbiß gestorben.

„So war das nicht gemeint, Cap! Verflucht, dreh mir nicht jedes Wort im Maul rum!“

„Schon gut“, sagte Ellen. Er blickte auf die dünne Leine, an der er jetzt zerrte, und etwas später zog er ebenfalls einen handtellergroßen Fisch aus dem Wasser.

Später brieten sie die Fische, nachdem sie ein kleines Feuer entfacht hatten, und dann gingen sie daran, das kleine Beiboot auszuschöpfen.

„Es ist fast dicht“, sagte Ellen, „es hat sich von selbst abgedichtet, wie ich es gesagt habe.“

„Wir könnten ein bißchen an Deck aufräumen, dann haben wir etwas zu tun und vergessen unsere trüben Gedanken“, schlug Blake eifrig vor, und der Captain nickte schließlich.

Doch die Unordnung an Deck war so groß, daß es Tage dauern würde, bis alles klariert war, und etwas später gaben sie es auf. Sie hatten lediglich unter pausenlosen Flüchen ein neues Segel angeschlagen, weil das alte reichlich zerschlissen war.

Ellen blickte erbittert auf sein Schiff, die „Black Pearl“, und stieß eine leise Verwünschung aus.

„Was ist nur aus uns geworden“, murmelte er, „die Mannschaft vor die Hunde gegangen und das Schiff ein halbes Wrack. Ich sehe sie noch vor mir, die Männer. Endicot, Wintham, Blair und den dreimal verdammten Koch. Und wo sind sie jetzt?“

„Das wissen wir doch alle beide, wo sie sind. Die meisten liegen auf dem Grund, und die anderen sind dort drüben begraben. Was bringt uns das ein, wenn wir ständig von ihnen faseln?“

Ellen hörte den Young-Bootsmann gar nicht. Er saß da, die Hände vor das Gesicht geschlagen und hing Erinnerungen nach, die der Pesthauch des Todes immer wieder verdrängen wollte. Er liebte diese schwermütigen Erinnerungen, sehnte sie gewaltsam herbei und dann wurde ihm leichter.

Er sah das Schiff in Gedanken auslaufen, die Mannschaft war erwartungsvoll angetreten und hatte sich auf das große Abenteuer gefreut. Frische junge Gesichter, harte Kerle darunter, auch ein paar Weichlinge, und dann war da der dreimal verdammte Koch, wie sie ihn alle nannten, als sich herausstellte, daß es mit seiner Kochkunst gar nicht so weit her war.

 

Später hatte das Unglück sie Meile um Meile verfolgt, die Begleitschiffe gingen verloren, eins sank, das andere verschwand spurlos, die Crew wurde krank, Trinkwasser verfaulte, der Tod griff um sich und raffte einen nach dem anderen dahin.

So weit dachte Ellen aber nie. Seine Erinnerungen brachen immer dann ab, wenn es schlecht um Schiff und Mannschaft stand.

Sein körperlicher Zustand verschlechterte sich nicht weiter, aber er ging seelisch vor die Hunde, wie Blake schaudernd erkannte. Und es ging verdammt rasch mit Stan Ellen bergab.

Meist starrte er jetzt ausdruckslos in unbekannte Fernen, und wenn Blake ihn etwas fragte, erschien nur die ganz schwache Andeutung eines Lächelns auf seinen Lippen. Doch er antwortete nie, sagte auch von sich aus nichts mehr und wartete nur, daß Blake ihm ein paar Früchte brachte oder ihm einen Fisch briet.

Einmal hatte es leicht geregnet, und dem Bootsmann war es gelungen, ein paar Liter Wasser aufzufangen.

Das hielt sie auch weiterhin am Leben, doch Ellen hatte nicht ein einziges Mal gefragt, woher das Wasser stammte.

Er ist wie ein hilfloses Kind, dachte Blake entsetzt und schüttelte sich wie im Fieber.

Ellens schwere Depressionen erreichten ihren Tiefpunkt. Seit mehr als vier Tagen hatte er jetzt kein einziges Wort mehr gesprochen.

Blake wurde es immer unheimlicher. Er hatte das Gefühl, ganz allein auf der weiten Welt zu sein.

2.

Auf der „Isabella VIII.“ hatten sich die Gemüter immer noch nicht beruhigt, seit man entdeckt hatte, daß die vermeintlich schwarze hölzerne Madonna aus purem Gold bestand. Daher ließ sich auch das enorme Gewicht erklären.

Carberry hatte die Höhle hinter dem Wasserfall entdeckt, und es war seine Insel, wie er immer wieder betonte. Ein abwechslungsreicher Spaß nur war es, daß Dan O’Flynn die kleinen unbekannten Inseln nach den Seewölfen nannte, aber sie alle fanden diesen Spaß köstlich. Und dies hier war die Profos-Insel, und ausgerechnet hier mußten sie auf den Schatz stoßen.

Drüben, in der Höhle am Wasserfall, lagen zwei Skelette, die beide noch die Blessuren eines harten Kampfes trugen. In dem einen Totenschädel steckte ein Schiffshauer, im anderen Schädel befand sich ein großes Loch, von einer Muskete gerissen. Zwischen den Toten stand eine Truhe mit Goldmünzen, daneben lag ein verrottetes Ledersäckchen, ebenfalls mit Gold gefüllt. Die schwarze Madonna, einer Galionsfigur nachgebildet, die niemandes Interesse erweckt hätte, entpuppte sich jetzt als der größte Schatz.

Die Seewölfe ahnten nicht, daß sie auf dieser „Profos-Insel“ nicht allein waren, und ständig von einem Mann belauert wurden, der sich schon seit einiger Zeit hier befand und jetzt entdeckt hatte, daß hinter dem Wasserfall ein großer Schatz gefunden worden war.

Das wurmte den ausgesetzten Reverend Thornton, und so beschloß er, etwas zu unternehmen. Die Kerle hatten am Strand wohl sein Floß entdeckt, es genau untersucht, dann aber angenommen, daß es von irgend woher angetrieben sei.

Jeder der Seewölfe betatschte die schwere Figur, die Carberry, Tucker und der ehemalige Schmied von Arwenack ins Boot trugen.

Der einzige, der sich zurückhielt, war Old O’Flynn, der in dem ganzen Fund eine Versuchung des Teufels sah, zumal der Profos Edwin Carberry ihn schon vorher tüchtig auf den Arm genommen hatte.

Der Schiffszimmermann Ferris Tucker zog noch einmal sein Messer aus dem Gürtel, kratzte hier und dort ein bißchen an der Figur herum und nickte, als es an den abgeschabten Stellen hell aufglitzerte.

„Überall Gold“, sagte er, „das Mädchen besteht von oben bis unten aus purem Gold, daran gibt es nicht den geringsten Zweifel.“

„Hast du auf meiner Insel was anderes erwartet?“ fragte der Profos und grinste breit.

Old O’Flynn maß den Profos mit mißtrauischen Blicken.

„Ich will ja nicht unken“, sagte er dumpf, „aber ich an deiner Stelle würde diesen Teufelspakt für null und nichtig erklären, Ed. Denk an deine Seele!“

Carberry hörte geduldig zu. Seit er dem Alten etwas vorgeflunkert hatte, war der rein aus dem Häuschen und sah wieder einmal überall Gespenster.

„Ich werde daran denken“, versprach Ed.

„Sieh mal“, ereiferte sich Old O’Flynn und zog Carberry ein wenig zur Seite. „Wir hatten etwas Ähnliches mal auf der ‚Empress of Sea‘ gehabt. Das geht niemals gut, Ed.“

Jetzt geht das Theater mit der lausigen „Empress of Sea“ schon wieder los, dachte Ed gottergeben. Den Alten schien dieser längst versoffene Kahn in allen seinen Träumen zu verfolgen.

„Willst du die Geschichte mal hören?“ fragte Donegal.

„Meinetwegen, laß hören, aber übertreibe nicht wieder.“

„Ich habe noch nie übertrieben“, sagte der Alte. „Ich hab sogar alles immer noch abgeschwächt. Aber das war so: Wir hatten da auf unserem Schiff einen Seemann, arm wie eine Kirchenmaus, der hatte noch nie ein Goldstück gesehen, nur gehört hatte er davon. Eines Tages liefen wir eine der kleinen nordischen Inseln an, und die Mannschaft vertrat sich die Beine. Und was soll ich dir sagen: Als der Seemann wieder an Bord zurückkehrte, klimperten zwanzig Goldstücke in seiner Hosentasche!“

„Na, so was“, sagte Ed lahm.

„Zwanzig Goldstücke“, wiederholte Donegal eindringlich, „pure Goldstücke, so viel, daß man damit ein ganzes Schiff ausrüsten konnte. Und diese Goldstücke hatte er so mir nichts dir nichts einfach in der Tasche. Er hatte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen“, flüsterte Donegal, „und zwar erschien der Satan einmal in der Gestalt eines armen Vagabunden und einmal als Priester verkleidet. Dafür hat er seine Seele verkauft, genau wie du.“

„Ich?“ fragte Ed entgeistert.

„Du hast mir doch selbst gesagt, daß hinter dem Wasserfall ein Gehörnter steht. Er ist mit einem Schiff aus Pech und Schwefel auf diese Insel gelangt und kann nicht mehr zurück.“

„Richtig, das habe ich gesagt.“

„Dann wird es dir genauso ergehen wie dem Seemann von der ‚Empress of Sea‘. Am Sankt Peterstag hat er ihn geholt.“

„Einfach so?“

„Nein, viel schlimmer! Aus irgendeinem Grund gab es Streit an Bord, und der Seemann stampfte ärgerlich mit dem Fuß auf die Decksplanken. Die öffneten sich sofort unter ihm, ein großes gezacktes Loch entstand im Deck, und der Seemann fuhr mit einem grausigen Schrei zur Hölle.“

„Und euer Kahn ist dann abgesoffen, was, wie? Kein Wunder, wenn die Planken so morsch waren.“

Old O’Flynn lachte hämisch.

„Von wegen morsch! Hinter ihm schlossen sich die Planken sofort wieder, als wäre nichts geschehen, und auch das Loch im Kielschwein verschloß sich, ohne daß auch nur ein einziger Tropfen Wasser in das Schiff drang. Da wußten wir alle, daß ihn der Teufel geholt hatte.“

Wie immer, wenn der Alte längere Zeit mit eindringlicher Stimme sprach und seine Augen dabei unheilvoll funkelten, versammelte sich unauffällig der größte Teil der Crew um ihn. Einige lauschten andächtig, andere hörten nur zu, um Donegal zu verulken, und ein paar gab es, die glaubten fast jedes Wort.

„Also“, sagte Smoky respektlos, „was auf dieser ‚Empress of Sea‘ nicht schon alles passiert ist! Da tun sich die Planken auf, und da werden Seeleute direkt vom Schiff geholt, und dann taucht der Satan persönlich in der Gestalt eines Vagabunden auf.“

„Und eines Priesters, habe ich gesagt!“ rief Old O’Flynn. „Jeder gläubige Seemann weiß das, nur du nicht. Der Teufel nimmt alle Gestalten an, die es gibt. Deshalb scheut er auch vor einem Priestergewand nicht zurück. Nur auf das heilige Kreuz verzichtet er, weil das Brandstellen auf seinem Körper hinterl …“

Plötzlich wurde Donegal kreidebleich, dann wechselte seine Gesichtsfarbe ins Grünliche, er sank leise stöhnend an dem Schanzkleid zusammen und kriegte glasige Augen.

Niemand nahm dem Alten ab, daß er einen Anfall hatte. Old O’Flynn, das alte Rauhbein, warf nichts um, der war aus Eisen.

Langsam drehten sich Köpfe in die Richtung, in die der Alte blickte und es wurde ganz still, so still wie es auf der „Isabella“ noch nie gewesen war.

Unter dem Eindruck von Donegals beschwörenden Worten fuhr ihnen jetzt fast ausnahmslos ein gehöriger Schrecken in die Knochen, denn der Teufel persönlich stand am Strand und schaute aus flammenden Augen herüber.

Das schlimmste jedoch war, daß er eine Soutane trug und kein Kreuz auf dieser Soutane baumelte.

Smoky, eben noch mit der Klappe ganz vorn, bekreuzigte sich hastig und verzog das Gesicht. Er hätte Donegal jedes Wort geglaubt, wenn nur diese scheußliche Erscheinung verschwunden wäre. Das konnte nur der Teufel sein, persönlich, als Priester verkleidet, denn wie sollte sich sonst wohl ein Priester ausgerechnet nach Profos-Island verirren?

Der Teufel in dem Priestergewand schritt weiter über den Strand, bis er auf gleicher Höhe mit der „Isabella“ war.

„Gott segne euch, Brüder!“ rief er laut und hob die Hand zum Kreuzzeichen.

Donegal wurde es schlecht. Er zog seinen Schädel hinter das Schanzkleid, bibberte vor sich hin und ließ sich nicht mehr sehen. Natürlich hatte der Satan es nur auf Carberry abgesehen, dachte er, aber vielleicht nahm er so ganz nebenbei auch noch ein paar andere Seelen mit, wenn er schon einmal da war.

Nur den Seewolf, Big Shane und Donegals Sprößling Dan regte das nicht sonderlich auf. Ziemlich gelassen nahmen sie die Erscheinung des Höllenfürsten hin.

„Was ist denn das für ein merkwürdiger Vogel?“ fragte Hasard in die entsetzliche Stille hinein.

„Ein Priester“, sagte Dan trocken.

„Der Teufel“, flüsterte Old O’Flynn tödlich entsetzt.

„Ein leibhaftiger Spuk“, raunte Smoky.

Der Priester schritt jetzt segnend auf den nüchtern und klar denkenden Kutscher zu. Auch die anderen am Strand standen regungslos da und starrten den so plötzlich an der Landzunge aufgetauchten frommen Mann entgeistert an. Sie wähnten aber nicht den Teufel in ihm, sie waren nur überrascht, daß der Schiffbrüchige hier plötzlich auftauchte und dazu noch Priester war.

Hasard stieg gedankenschnell ins Boot, gefolgt von Carberry und ein paar anderen.

„Es geschehen noch Zeichen und Wunder“, sagte er. „Ich bin gespannt ob es der Mann vom Floß ist.“

„Für meinen Alten ist es der Teufel persönlich“, sagte Dan grinsend. „Findest du es nicht auch merkwürdig, daß seine Geschichten fast immer mit peinlicher Genauigkeit zutreffen? Manchmal wird mir selbst angst und bange.“

„Allerdings“, mußte auch Hasard zugeben, aber er sah dahinter nicht mehr als einen dummen Zufall.

Der Priester wandte sich jetzt dem Boot zu, das knirschend auf den Sand lief. Huldvoll lächelnd hob er die Hände, und seine Stimme zerfloß fast vor Rührung.

„Gott hat mir Engländer beschert“, sagte er zur Begrüßung, „liebenswerte ehrliche Männer mit ehrlichen und frohen Gesichtern. Laßt euch segnen, o Brüder im Herrn! Danket dem Herrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. Amen!“

Offenbar hatte der fromme Mann ein Gespür dafür, denn er ging auf Hasard zu und gab ihm die Hand.

„Ihr müßt der Kapitän dieser netten Leute sein“, sagte er salbungsvoll. „Man sieht es an eurer Würde und an der Seele Frömmigkeit.“

Hasard hatte sekundenlang das Gefühl, einen toten weichen Fisch oder einen feuchten Schwamm in der Hand zu halten. Der Händedruck des Mannes war flau, und Hasard, der sich mit Leuten auskannte, fühlte instinktiv, daß die Augen dieses Gottesmannes nicht ehrlich in die Welt blickten. In seinen Pupillen lauerte etwas, das sich noch nicht erkennen ließ.

Aber er hatte einen Schiffbrüchigen vor sich, obwohl es dem Mann anscheinend an nichts gemangelt hatte, denn er sah gut genährt aus, hatte ein braunes Gesicht und wasserhelle Augen.

„Mein Name ist Philip Hasard Killigrew“, sagte er. „Ja, es stimmt, ich bin der Kapitän dieses Schiffes, obwohl ich mir schlecht vorstellen kann, daß meine Seele soviel Frömmigkeit nach außen abstrahlt. Wir haben Ihr Floß gefunden, ich nehme jedenfalls an, daß es Ihr Floß war.“

„So wahr mir Gott helfe. Ich bin Reverend Thornton, Captain Killigrew. Killigrew, Killigrew“, sagte er grübelnd, „den Namen kenne ich doch. Einen Sir John Killigrew aus England, irgendwo auf einer Feste. Na, es fällt mir noch ein. Sind Sie mit dem Killigrew verwandt?“

 

„Das muß eine Namensgleichheit sein“, log Hasard. „Falls Sie Hunger und Durst haben, Reverend, bitte ich Sie aufs Schiff. Wie lange befinden Sie sich schon auf dieser Insel?“

Thornton winkte gnädig ab. „Hunger und Durst sind nicht alles, mein Sohn, das hat Zeit. Ich habe mich von den Früchten genährt, die mir der Herr servierte, und von dem Wasser getrunken, das er mir in seiner großen Güte schenkte.“

Der Reverend seufzte schwer, nachdem seine hellen Augen schnell die einzelnen Männer gemustert hatten. Diese Kerle waren ganz und gar nicht nach seinem Geschmack, fand er. Der Kapitän war keiner von den Dummköpfen, dem man etwas vorflunkern konnte. In seinen Augen stand ein unheimlich waches Mißtrauen, und auch die anderen warfen sich nicht gleich unterwürfig vor ihm zu Boden.

„Wie lange?“ fragte er. „Wochen, Monate? Ich weiß es nicht, für mich blieb die Zeit stehen. Gott ließ keinen Sand mehr durch die Uhren rieseln, nicht für mich.“

„Na ja“, sagte Dan trocken. „Er hat ja auch genug andere Dinge zu tun, da kann er sich nicht um jeden einzelnen und seine Sanduhr kümmern.“

Der Reverend lief etwas rötlich an. Sekundenlang verschlug es ihm glatt die Sprache, als er den jungen Kerl ansah, der sich betont gleichgültig gab.

„Richtig, richtig“, sagte er pikiert und leicht verärgert.

So ganz langsam wollte er sich an sein eigentliches Ziel heranpirschen, doch er erkannte, daß er hier höllisch aufpassen mußte, denn die Burschen waren gewitzt und ausgekocht. Sie erkannten seine Autorität einfach nicht so richtig an, wie er zu seinem wachsenden Unbehagen feststellte.

„Sie haben sicher eine Menge zu erzählen, Reverend“, sagte der Seewolf. „Wie sind Sie auf diese Insel gelangt? Möchten Sie nicht Ihre Geschichte erzählen?“

„Es ist eine lange und blutige Geschichte“, sagte Thornton und senkte den Blick seiner Augen in den Sand. „Ich schäme mich, wenn ich daran denke, ich schäme mich für die Spanier, deren Bekanntschaft ich mit Gottes Hilfe gerade noch entgehen konnte. Zum Glück ist es schon eine Weile her, als sie hier landeten.“

Jetzt spitzten alle die Ohren.

„Spanier, hier, auf dieser Insel?“ fragte Hasard. „Was hatten die hier zu suchen?“

„Später, Kapitän Killigrew, das ist nicht weiter wichtig, es handelt sich nur um das berüchtigte ‚Goldene Kalb‘, diesen verfluchten Götzen, den der Mensch anbetet. Ich will weiter ausholen. Sie sollen alles erfahren.“

Thornton hatte den ersten Samen ausgesät, die Neugier war da, und wurde immer stärker. Bald würde aus dem Samen ein Gewächs werden. Er versprach sich schon jetzt einen dicken Anteil, ohne einen Finger gerührt zu haben. Diese Männer hier waren keine wilden brutalen Piraten, hier herrschten Zucht und Ordnung, dieser Killigrew hatte sie alle im Griff.

Mittlerweile hatten sich immer mehr der Seewölfe um den vermeintlichen Reverend geschart.

Carberry und der Schiffszimmermann warfen sich einen Blick zu.

„Gott hat uns einen neuen Fletcher beschert“, sagte der Profos leise und grinste dabei.

Auch Ferris Tucker grinste.

„Der stößt mir heute noch auf mit seinen frommen Sprüchen“, sagte er ebenso leise. „Allerdings halte ich den Kerl nicht für ehrlich, der hat etwas vor.“

Carberry nickte und sah den Reverend an, der salbungsvoll sprach und den Blick seiner hellen Augen mitunter zum Himmel richtete, als empfange er von dort Eingebungen.

Auch die anderen blieben wach und mißtrauisch. Thornton war ein Typ, der sich allen durch seine Gesten und seine salbungsvollen Worte von selbst offenbarte, und davon hatten die Männer noch nie viel gehalten.

Inzwischen kriegte der Seewolf eine haarsträubende Geschichte zu hören. Thornton berichtete von der großen Reise, davon, daß sie etliche Spanier gekapert hätten und von allem Möglichen.

„Wie passierte das mit dem Floß?“ fragte Hasard, denn der Gottesmann hatte dieses Thema immer wieder hinausgeschoben und drückte sich sichtlich vor einer Antwort.

„Auch das ist eine lange Geschichte“, sagte er und überlegte fieberhaft, wie er sich da herauswinden konnte.

„Hat man Sie ausgesetzt, Reverend?“ fragte Matt Davies direkt.

Thornton hob entsetzt die Hände.

„Einen Priester setzt man nicht aus“, sagte er etwas von oben herab. „Das Schiff ging unter, langsam, es dauerte ein paar Tage, aber wir wußten es und konnten uns darauf einrichten. So hat unser Zimmermann kleine Flöße gebaut für den Fall, daß wir das Schiff verlassen mußten. Und siehe da: Der Herr hatte ein Einsehen und rettete uns.“

Hasard eisblaue Augen forschten in Thorntons Zügen.

„Gab es bei Ihnen an Bord keine Beiboote?“ fragte er.

„Natürlich gab es ein Beiboot, aber das wäre zu eng geworden, schließlich waren wir mehr als zwanzig Mann, und daher verteilten wir uns auf das Boot und mehrere Flöße. In meiner Bescheidenheit verzichtete ich darauf, das große Boot zu benutzen. Ein paar andere und ich nahmen mit den Flößen vorlieb. Wir befanden uns ja in Sichtweite der anderen, und wir dachten, es könne nichts passieren. Die See war ruhig, es ging kein Wind. Erst in der darauffolgenden Nacht begann das Unheil.“

Der Blick in Hasards Augen wurde fast träge. Er glaubte dem Kerl kein einziges Wort. Aber der Seewolf gab sich verbindlich und gelassen, er wollte auch noch den Rest hören.

Er stellte auch absichtlich keine Fragen, und das schien den Reverend zu verwirren. Beim Erzählen stockte er, geriet ins Stottern, und dabei fiel sein Blick auf Luke Morgan, der ihn unverschämt angrinste.

Die Kerle glauben mir nicht, dachte er. Aber sie konnten nichts wissen, sie konnten nicht einmal Vermutungen anstellen.

„In jener Nacht briste es auf“, erzählte er weiter, „und innerhalb kurzer Zeit löste sich unser Verband auf, der Kontakt brach ab, und wir haben uns nicht mehr gesehen.“

„Und das Schiff war untergegangen?“ fragte Hasard.

„Es war bereits am Sinken. Ratten hatten Löcher in den Rumpf gefressen, die Vorpiek war undicht, und die See sprühte in ganz feinem Strahl herein.“

„Und das ließ sich nicht beheben?“ fragte Tucker ungläubig.

„Nein, da half alles nichts. Unser Zimmermann und seine Gehilfen taten alles Mögliche, doch es war aussichtslos.“

„Woher wollen Sie denn eigentlich wissen, Reverend, daß die anderen alle gerettet wurden?“ fragte Hasard.

„Ja, äh, ich nehme das an. Unser Captain sagte, daß es hier viele Inseln gäbe, und dann ist es doch nur natürlich, daß auch die anderen Land erreicht haben.“

„Ja, das ist anzunehmen“, sagte Hasard und dachte sich seinen Teil über den Reverend. Irgend etwas verbarg der Mann vor ihnen, das war sicher, und vielleicht würde sich später auch einmal herausstellen, was der Bursche vor ihnen verbarg.

„Wie war das mit den Spaniern?“ erkundigte sich der Seewolf weiter. „Sie erzählten davon.“

Thornton hatte sich eine nette glaubhafte Geschichte aufgebaut, sie im Handumdrehen aus den Fingern gesogen, aber wenn er die Männer jetzt so anblickte, dann fand er, daß seine Geschichte eigentlich nicht viel wert war. In der Theorie sah das immer ganz anders aus als in der Praxis.

Nun gut, die Sache mit den Schätzen hatte noch Zeit, da wollte er nichts übereilen, und außerdem durfte er kein auffälliges Interesse zeigen. Daher winkte er ab.

„Eine Bande lausiger spanischer Räuber und Piraten landete hier. Sie luden eine Schatztruhe aus und eine große hölzerne Figur, die sie zu der Höhle trugen.“

Thorntons abgewinkelter Daumen wies lässig auf den brausenden Wasserfall.

Hasard kniff jetzt die Augen zusammen und warf einen nachdenklichen Blick auf Ben Brighton. Wenn der Reverend von der Höhle und den Schätzen wußte, dann gehörte ihm auch ein Anteil davon, überlegte Hasard. Andererseits aber war es durchaus möglich, daß der Reverend sie beobachtet hatte und deshalb alles über die Grotte und ihren Inhalt wußte.

Hasard hatte noch einen anderen Gedanken. Die Gebeine in der Höhle waren schon sehr alt, die Truhe halb verrottet und das Ledersäckchen vermodert. Was sich hier am Wasserfall abgespielt hatte, mußte also schon einige Jahre zurückliegen, und solange war der Reverend auf keinen Fall hier.

„Haben Sie die Grotte gesehen?“ fragte er.

Da beging Thornton seinen ersten entscheidenden Fehler.

„Die Neugier ließ mir später keine Ruhe“, sagte er. „Ich mußte einfach nachsehen, was sich in der Höhle alles befand.“

„Hatten Sie das nicht beobachtet?“

„Nicht alles, die Spanier waren äußerst mißtrauisch und suchten vorher gründlich die Insel ab. Ich hatte ja Zeit, und daher versteckte ich mich, bis sie wieder lossegelten.“

You have finished the free preview. Would you like to read more?