Seewölfe Paket 6

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9.

Der letzte winzige Rest der roten Sonne versank hinter der Kimm.

Wie ein Tuch breitete sich die Dunkelheit über die See und die Insel. Der Mond stand als schmale Sichel am Himmel, auch die Sterne verbreiteten nur einen schwachen Schimmer, der mit seinen glitzernden, tanzenden Reflexen auf dem Wasser mehr verbarg, als er enthüllte. Es war unmöglich, bei dieser Beleuchtung auf mehr als vier, fünf Schritte Entfernung ein Gesicht genau zu erkennen. Die Spanier auf der „Santa Monica“ würden erst aufmerksam werden, wenn es zu spät war – und zu spät sein würde es in dem Augenblick, in dem die beiden Boote nicht mehr im Schußbereich der Kanonen lagen.

Hasard wartete noch ein paar Minuten, dann richtete er sich auf und stieß den Daumen nach oben.

Der lange, hagere Gary Andrews, der von der Statur her dem drahtigen spanischen Offizier am ähnlichsten sah, stieg als erster ins Boot, Ben Brighton, der Kutscher, Old O’Flynn, Will Thorne, Matt Davies und Jeff Bowie folgten ihm. Die Männer, die schwimmen würden, standen auf der Brandungsplatte bereit. Sie waren vollständig angezogen. Das würde das Schwimmen zwar erschweren, aber dafür würden sie im Wasser nicht so leicht zu erkennen sein.

Hasard wartete und lauschte in die Dunkelheit. Das Boot, das in Sichtweite der „Santa Monica“ lag, würde als erstes starten. Und es war mit den Männern besetzt, die als Spanier gelten konnten: Sam Roskill, Bob Grey, der sich ein Tuch um sein blondes Haar geschlungen hatte, Luke Morgan, Blacky, Pete Ballie und Al Conroy. Sie alle konnten in etwa Spanisch. Es würde reichen, um dem Capitan zu erklären, sie hätten sich verirrt, falls er fragte, und jedem anderen Überneugierigen zu sagen, er solle gefälligst nicht so herumbrüllen, Caramba!

Hasard grinste, als er die Schritte der Männer hörte, die zur Landzunge marschierten.

Sie übten bereits. „Caramba!“ fauchte Sam Roskill. „Hijo de Puta!“ gab Luke Morgan prompt zurück. Und Al Conroy, der Stückmeister, demonstrierte genießerisch, daß er von allen Teufeln der Hölle über eine kastilische Wanderhure bis hin zum blöden Hammel und anderen freundlichen Bezeichnungen aus dem Tierreich eine ganze Menge saftiger englischer Flüche ins Spanische übersetzen konnte.

„Die sollen bloß nicht so übertreiben“, murmelte Ben Brighton besorgt.

„Werden sie auch nicht.“ Hasard nickte seinem Bootsmann zu. „Gut, Ben! Gary, laß verdammt noch mal die Finger von den Riemen! Ein spanischer Offizier pullt doch nicht, du Esel!“

„Scheiß-Spanier“, sagte Gary Andrews ungerührt.

„Da kannst du recht haben. Alles fertig?“

Zustimmendes Gemurmel. Hasard watete als erster ins Wasser. Ed Carberry, Ferris Tucker, Big Old Shane, Smoky und Stenmark folgten ihm. Der rothaarige Tucker und der blonde Stenmark trugen Tücher um die Köpfe, der riesenhafte Shane hatte sich zusätzlich das halbe Gesicht verhüllt, um seinen grauen Bart zu verbergen. Sie hatten zwar nicht vor, sich den Spaniern zu zeigen, aber sicher war sicher.

Die Männer begannen in dem Augenblick zu schwimmen, in dem sich das Boot unter kräftigen, langen Riemenschlägen in Bewegung setzte. Die Rudergasten pullten, als wollten sie Rekorde brechen. Oder als legten sie es darauf an, mit den Schwimmern ein Wettrennen zu veranstalten.

„Ben!“ zischte Hasard. „Ihr seid wohl übergeschnappt! Pullt gefälligst einen schönen gemächlichen Rundschlag, ja? Wir wollen hier nicht die See zum Kochen bringen!“

„Verdammt! Verzeihung, Sir! Hätte ich fast vergessen.“

Das Boot wurde langsamer. Hasard und die anderen paßten ihre Geschwindigkeit dem gemächlich durch die Dünung schwimmenden Boot an. Die zweite Gruppe hatte inzwischen das Boot erreicht, das in Sichtweite der Karavelle lag – soweit überhaupt von Sicht die Rede sein konnte. Aber die Männer warteten noch und taten so, als müßten sie irgend etwas an der Vorleine klarieren. Sie würden erst starten, wenn das zweite Fahrzeug hinter den Felsen der Landzunge auftauchte, damit beide Boote etwa gleichzeitig das Schiff erreichten.

Jetzt war es soweit.

Hasard konnte ein paar spanische Kommandos hören, die Männer brachten das Boot aufs Wasser. Dabei zahlte sich mal wieder der Sprachunterricht aus, den Hasard ab und zu veranstalten ließ. Es hatte zwar seine Zeit gedauert, bis auch der letzte an Bord die Notwendigkeit dieser Übung begriff, aber inzwischen hatten sie es schon ein paarmal geschafft, die Dons erfolgreich zu täuschen.

Riemen klatschten ins Wasser und wurden durchgezogen. Hasard konnte im Augenblick weder das zweite Boot noch die Karavelle sehen. Aber er sah den hageren Gary Andrews, der das hellblonde Haar unter dem Eisenhut des spanischen Offiziers verborgen hatte und aufrecht und mit verschränkten Armen auf der Heckducht saß. Wie ein echter Grande, dachte Hasard und grinste breit.

„Eh, Ben!“ flüsterte er.

„Sir?“

„Steck dir den Sir an den Hut! Ich will wissen, was sich auf der verdammten Karavelle tut.“

„Gar nichts“, sagte Ben Brighton gelassen. „So um die zehn Mann stehen am Steuerbord-Schanzkleid und stieren Löcher in die Luft. Das Achterdeck ist leer. Dieser saubere Capitan scheint doch tatsächlich zu pennen.“

„Der wird schon aufwachen“, sagte Hasard grimmig. „Ist der Ausguck besetzt?“

„Aye, aye. Aber der Kerl hat kein Spektiv da oben.“

„Na bestens! Ben, du mußt jetzt verdammt die Augen offenhalten. Wie ist dein Kurs?“

„Schräg auf den Bug zu, was sonst? Die Kerls werden denken, daß wir vorbeipullen wollen.“

„Laß dich etwas zurückfallen. Die Dons dürfen unsere Kopfe noch nicht sehen, wenn das zweite Boot die Jakobsleiter erreicht. In dem Moment, in dem die anderen die Vorleine belegen, sagst du uns Bescheid, damit wir abtauchen.“

„Aye, aye! Noch drei Minuten, schätze ich. Die Kerls da oben werden allmählich zappelig.“

Von Bord der Karavelle war spanisches Stimmengewirr zu hören. Die Männer wollten wissen, was, zum Teufel, passiert sei. Und Sam Roskill im ersten Boot rief ihnen zu, sie sollten, verdammt noch mal, lieber eine zweite Jakobsleiter außenbords hängen, statt dämlich herumzubrüllen.

Hasard grinste. Ben Brighton verschluckte sich fast.

„Mann, die tun das tatsächlich“, flüsterte er. Und nach einer Pause: „Aufpassen, jetzt! Abtauchen!“

Wie ein Mann tauchten die sechs Seewölfe, die im Sichtschutz des Bootes schwammen, weg.

Hasard schnellte mit vorgestreckten Armen geschmeidig wie ein Fisch durchs Wasser. Er ging möglichst tief, wurde langsamer und vollführte eine geschmeidige Drehung, als seine Finger sacht gegen die Bordwand stießen. Unmittelbar unter der mächtigen Galion durchstieß sein Kopf die Wasserfläche. Eilig schwamm er um den Vorsteven nach Backbord hinüber, um den anderen Platz zu machen.

Kein Wort fiel, kein Prusten oder Keuchen erklang – nur ein leises Plätschern, das sich mit dem Gurgeln und Schmatzen der Dünung an den Bordwänden mischte.

Ed Carberrys zernarbtes Gesicht tauchte hinter dem Vorsteven auf, Ferris Tucker folgte ihm, dann Smoky, Stenmark und schließlich Big Old Shane, dessen wettergegerbte Züge sich grimmig verzogen hatten, weil er von jeher der Ansicht war, daß man das Schwimmen besser den Fischen überließ. Schweigend und konzentriert arbeiteten sich die Männer bis auf die Höhe der Kuhl vor. Wahrscheinlich ging auch hier auf der Backbordseite jemand Wache, aber der würde im Moment ganz bestimmt nicht über das Schanzkleid blicken.

Hasard spannte die Muskeln, schnellte seinen Körper aus dem Wasser und schwang sich geschmeidig auf den hölzernen Wulst, der sich um den Bauch der Karavelle zog. Neben ihm enterte Stenmark auf, Ferris Tucker streckte Big Old Shane die Hand entgegen, links von Hasard erschienen Ed Carberry und Smoky. Der Profos warf einen Blick zum Schanzkleid hoch, rammte eine Schulter an die Bordwand und faltete die Hände. Nicht, um ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken, wohlgemerkt. Hasard setzte einen Fuß auf die behelfsmäßige Stufe – und in derselben Sekunde ging an der Steuerbordseite der Tanz los.

Einer der Spanier brüllte erschrokken auf.

Es klatschte laut.

„Arwenack!“ schrie der schwarzhaarige, dunkeläugige Sam Roskill, der am spanischsten aussah und deshalb wohl als erster aufgeentert war, und dann brach auf der „Santa Monica“ von einer Sekunde zur anderen die Hölle los.

Der schwarze Segler verschmolz fast mit der Dunkelheit.

Siri-Tong und der Wikinger standen vorn auf der Back. Thorfin Njal hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt und kratzte ab und zu an seinem Kupferhelm. Die Rote Korsarin schwenkte mit dem Spektiv die Kimm ab: eine dünne Linie zwischen dem schwarzen Himmel, auf dem die Sterne wie Brillanten funkelten, und einem Meer, in dem sich die Sterne als gleißende, verschwimmende Flecken spiegelten. Und genau voraus, sehr fern, gab es zwischen glitzerndem Meer und sternengespicktem Himmel so etwas wie einen unregelmäßigen schwarzen Buckel, auf dessen höchster Erhebung ein winziger rötlicher Punkt glomm.

Siri-Tong setzte das Spektiv ab und reichte es dem Wikinger.

„Genau voraus, Thorfin“, sagte sie knapp. „Schau es dir an und sag mir, wofür du es hältst.“

Der bärtige nordische Riese brauchte einen Moment, bevor er den Buckel über der Kimm gefunden hatte.

„Die Insel“, brummte er. „Und zwar haargenau da, wo sie der Karte nach auch liegen soll.“

„Das weiß ich selbst“, sagte die Korsarin ungeduldig. „Schau dir diesen Berg an – oder was immer es ist. Den Gipfel vor allem!“

„Hmm!“ brummte der Wikinger.

Er hielt den Kieker in der Rechten, und mit der Linken kratzte er seinen Helm, was bei ihm ein Zeichen äußerster Konzentration war. Zwei Minuten vergingen, dann setzte er mit einem Ruck das Spektiv ab. Sein mächtiger Brustkasten dehnte sich unter einem tiefen Atemzug.

 

„Teufel!“ knurrte er. „Wenn es nicht gerade ein Vulkan oder der Eingang zur Hölle ist, dann ist es ein Signalfeuer.“

„Daß es ein Vulkan ist, halte ich für unwahrscheinlich“, sagte Siri-Tong trocken. „Und der Eingang zur Hölle liegt bestimmt nicht mitten in der Südsee. Es ist ein Signalfeuer, Thorfin.“

„Die Seewölfe!“ stieß der Wikinger durch die Zähne. „Wir haben sie! Bei Thors Hammer, wir haben sie gefunden, diese Teufelsbraten!“

„Hoffentlich“, sagte Siri-Tong leise.

Nicht einmal der hünenhafte Mann an ihrer Seite sah den sehnsüchtigen Schimmer, der ihre Augen in diesen Sekunden verschleierte.

Um dieselbe Zeit waren die Männer, die der Wikinger „Teufelsbraten“ genannt hatte, gerade dabei, die Probleme auf ihre Art zu lösen: nämlich so, daß die Fetzen flogen, die See kochte und die Luft erzitterte.

„Arwenack!“ hatte Sam Roskill geschrien.

„Arwenack!“ dröhnte es plötzlich wie Donnergrollen von den beiden Booten herauf, und in diesem Augenblick trat der Seewolf bereits in Ed Carberrys gefaltete Hände, warf die Arme nach oben und schwang sich mit einem Klimmzug über das Backbord-Schanzkleid der Kuhl.

Ein Spanier flog ihm vor die Füße.

Sam Roskill hatte ihm zu der unfreiwilligen Luftreise verholfen, jetzt wirbelte der ehemalige Karibik-Pirat blitzartig herum und sprang dem nächsten Don an die Kehle. Blackys Kopf schob sich über das Schanzkleid. Ein Spanier wollte ihm die Faust auf den Schädel donnern, aber Blackys Rechte war schneller und donnerte unter das Kinn des Gegners. Der Kerl unternahm ebenfalls eine Luftreise und landete vor Hasards Füßen. Der Seewolf grinste und warf einen raschen Blick auf Ferris Tucker und Big Old Shane, die sich neben ihm über das Schanzkleid schwangen.

„Arwenack!“ brüllte Hasard.

„Ar-we-nack!“ fielen Ferris und Shane ein. Und dann rasten sie los und stürzten sich wie ein Keil zwischen die völlig überrumpelten Gegner.

Blacky flankte über das Steuerbordschanzkleid und trat gleichsam nebenbei einem Spanier in den Hintern, der erschrocken herumgefahren war.

Sam Roskill hatte einen zweiten Don fast erwürgt, riß ihm den kurzen Säbel aus der Scheide und begann, um sich zu schlagen und die zweite Jakobsleiter freizukämpfen, damit die restlichen Seewölfe in Ruhe aufentern konnten. An Backbord beugte sich gerade Stenmark über das Schanzkleid, um auch Carberry hochzuziehen. Der Profos grinste glücklich, warf einen raschen Blick in die Runde und stürmte mit einem urigen Kampfschrei über die Kuhl.

Ferris Tucker hatte mit einem einzigen kräftigen Rundschlag mit Batutis Morgenstern die Stelle freigelegt, wo die andere Jakobsleiter angeschlagen war.

Sam Roskill glaubte, den Luftzug gespürt zu haben, und drohte dem rothaarigen Hünen an, ihm gleich mit dem Morgenstern den Schädel weichzuklopfen. Vorerst allerdings wurde sein eigener Schädel weichgeklopft. Einer der Spanier hieb mit einem Belegnagel zu, und Sam lernte die Lektion, daß man mitten in einem Enterkampf keine Debatten anfängt.

Der Spanier stieß einen Triumphschrei aus, der zu einem dumpfen Gurgeln wurde, als Stenmark ihm die Faust an den Schädel knallte.

Zwei Schritte entfernt schwang Hasard eine Handspake und trieb damit einen Giftzwerg von Don vor sich her, der ihn mit seinem Degen aufspießen wollte. Beim dritten Spakenhieb brach die Klinge mit einem hellen Klirren. Fassungslos stierte der Spanier auf den schäbigen Rest seiner Waffe, und Hasard konnte ihn in aller Ruhe am Kragen packen und außenbords feuern.

Elegant schwang der Seewolf herum und widmete der Situation auf der Kuhl einen kurzen Blick.

Ein Spanier außenbords und fünf bewußtlos auf den Planken. Nein, sechs – der Bursche, dem Big Old Shane da gerade die Faust auf die Nase setzte, würde auch nicht wieder aufstehen.

Ed Carberry reckte den Kopf und suchte nach einem Gegner, bei dem sich die Mühe lohnte. Dem Don, der sich von der Seite an ihn heranschlich, trat der Profos die Beine weg, ohne hinzusehen. Der Bursche hielt einen Dolch in der Faust, und Carberry mußte wohl aus den Augenwinkeln den blitzenden Lichtreflex auf der Klinge gesehen haben. Kopfschüttelnd wandte er sich um.

„Tz, tz“, sagte er, stampfte einmal kurz mit dem Fuß auf, und für zwei Sekunden übertönte das Schmerzensgeheul des Mannes mit dem Dolch alles andere.

In diesen zwei Sekunden setzte Jeff Bowie einen Spanier mit seinem Haken außer Gefecht, und Matt Davies geriet ein bißchen durcheinander, als er seine linke Faust auf einen Kopf donnerte, der von einem Helm geschützt wurde.

Matt brüllte erbittert, weil er sich die Hand verstaucht hatte.

Der Spanier war plötzlich blind, denn der Eisenhut war ihm über die Nase gerammt worden. Ed Carberry nahm sich des herumtorkelnden Mannes an und trat ihm in den Hintern, womit der zweite außenbords war. Ebenfalls binnen dieser ereignisreichen zwei Sekunden enterte der Ausguck aus dem Großmars ab und sprang Big Old Shane ins Genick, was er besser nicht getan hätte. Der Schmied von Arwenack stand wie ein Baum, feuerte einen Ellenbogen nach hinten – und der vorwitzige Don krachte mit dem Hinterkopf an die Oberkante des Schanzkleids.

Neun Spanier waren bereits außer Gefecht, als die restlichen sieben erst aus dem Vorkastell stürmten.

Sie stürmten mit Gebrüll und schwangen Handspaken und Belegnägel. Alle sieben sahen sehr wild aus, aber der erste, auf den sie trafen, war Philip Hasard Killigrew, der Seewolf.

„Laß uns auch noch welche übrig, verdammt!“ schrie Carberry erbittert, als die ersten zwei Spanier am Boden lagen.

Hasard grinste, packte den nächsten Mann am Kragen und wirbelte ihn so herum, daß er mit seinen Beinen einen der eigenen Kumpane umsäbelte. Danach warf er den kreischenden Mann Carberry zu, und der Profos wartete, bis sich der Bursche von den Planken aufrappelte, damit er wenigstens ein bißchen Spaß hatte.

Die letzten Spanier wichen bis zum Schott des Vorkastells zurück und hatten bleiche Gesichter.

Hasard grinste sie an und zeigte sein Wolfsgebiß. Die Burschen begannen zu schlottern. Ein Belegnagel polterte auf die Planken, und eine Viertelsekunde später folgten die beiden Handspaken.

„Mist“, sagte Carberry. „Die hätte ich alle drei zum Abendbrot verspeist.“

„Tröste dich, es gibt noch mehr Spanier“, sagte Hasard trocken. „Durchsuchen und entwaffnen!“ Seine Handbewegung erfaßte die ganze Kuhl, auf der der kurze Kampf getobt hatte. „Der Capitan von diesem Waschzuber fehlt noch.“

„Der liegt in der Koje und hat sich die Decke über den Kopf gezogen“, meinte Ferris Tucker.

„Oder er sitzt auf der Koje und zielt mit der Pistole auf die Tür. Also Vorsicht, ja? Verdammt noch mal, Matt, was ist denn mit dir los?“

Matt Davies schlenkerte mit schmerzverzerrtem Gesicht seine einzige Hand. Heillose Wut stand in seinen braunen Augen.

„Meine Linke ist gestaucht!“ knirschte er. „Diese Rübenschweine mit ihren dreimal verdammten Helmen!“

„Erst denken, dann schlagen“, empfahl Hasard ungerührt. „Laß dich vom Kutscher verarzten. Ed, Smoky, Blacky, ihr pullt zur Insel und holt Bill, Arwenack und Sir John. Übrigens würde ich an eurer Stelle aufpassen. Ich wette nämlich, daß hier gleich die Luft bleihaltig wird.“

„Ha!“ knurrte Smoky. „Das wollen wir doch mal seh …“

Er stockte jäh.

Das Schott des Achterkastells flog auf, und Capitan Juan de Correggio erschien mit einer zweischüssigen Radschloß-Pistole auf der Szene.

Sein Unterkiefer klappte herunter.

Was er eigentlich zu sehen erwartet hatte, war Hasard schleierhaft. Auf jeden Fall nicht das, was er jetzt wirklich sah: eine verwüstete Kuhl, bewußtlose, tote und verletzte Männer und eine Horde furchterregender Gestalten, die die Situation eindeutig beherrschten.

„Guten Abend“, sagte Hasard in formvollendetem Spanisch. „Du hast zehn Sekunden Zeit, die Waffe fallen zu lassen. Danach bist du Hackfleisch, mein Freund. Picadillo!“

Capitan Juan de Corregio war noch nie ein besonders mutiger Mann gewesen.

Er schluckte. Aus flackernden Augen starrte er die wilden Kerle an, die wie aus dem Nichts auf seinem Schiff aufgetaucht waren: zwei Burschen, bei denen jeweils ein gefährlich blinkender Stahlhaken eine Hand ersetzte, ein graubärtiger Kerl, der wie ein Vorzeit-Riese aussah, ein Hüne mit einem wüsten, zernarbten Gesicht, der den Capitan anstarrte wie ein Tiger, der eine Beute erspäht hat. Juan de Correggio schluckte noch einmal beim Anblick des rothaarigen Kerls mit dem fürchterlichen Morgenstern. Und er schluckte ein drittes Mal, als sein Blick zu dem schwarzhaarigen Teufel zurückwanderte, dessen blaue Augen ihn anfunkelten wie pures Gletschereis.

„Noch drei Sekunden“, sagte Hasard sehr leise und sehr gefährlich. „Wenn du schießen willst, würde ich an deiner Stelle die Hand ruhig halten. Sonst ballerst du Löcher in die Luft.“

Correggio blickte auf die Pistole in seiner Rechten.

Die Pistole zitterte. Und nicht nur die Pistole. Capitan Juan de Correggio, treuer Diener Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, gelangte in diesem Augenblick zu der Erkenntnis, daß es vielleicht doch nicht so erstrebenswert war, ein toter Held zu werden.

„Noch zwei Sekunden“, sagte Hasard sanft.

Und ehe er ganz ausgesprochen hatte, polterte die Pistole auf die Planken.

Juan de Correggio schloß schicksalsergeben die Augen.

Und Seine Allerkatholischste Majestät, der König von Spanien, hatte von diesem Moment an eine Karavelle weniger, die für ihn in die Neue Welt gesegelt war, um sie auszuplündern.

10.

„Zehn Minuten später schallte Ed Carberrys Donnerstimme über das dunkle Wasser.

„Hool weg! Hoool weg! Wollt ihr wohl pullen, ihr müden Helden? Was denkt ihr, wie lange wir mit dem Schiffchen hier herumliegen wollen, verdammt und zugenäht?“

Hasard lächelte leicht, als er wieder auf die Kuhl hinuntersprang.

Zusammen mit Ben Brighton und Ferris Tucker hatte er die Karavelle einer ersten kurzen Musterung unterzogen und festgestellt, daß sie ein schnelles, zuverlässiges, rank und wendig gebautes Schiff war. Mochte Capitan Correggio auch ein schlechter Seemann sein – auf Ordnung und penible Sauberkeit mußte er wohl großen Wert legen. Die Geschütze – drei an jeder Seite, Vierpfünder mit gegossenen Bronzerohren – waren bestens gepflegt, genau wie die Serpentinen vorn und achtern.

Al Conroy fand am Zustand der Armierung nichts auszusetzen, wenn sie sich auch gegen die der „Isabella“ eher bescheiden ausnahm. Ferris Tucker hatte festgestellt, daß der Kasten hundertprozentig dicht war, und die Vorräte an Proviant, Pulver, Munition und Waffen konnten sich ebenfalls sehen lassen.

Und noch etwas hatte Hasard entdeckt: einen sehr großen, sehr dicken Mann, der beim Geräusch der Schritte nicht mit Gebrüll, sondern mit salbungsvollen Bibelsprüchen aus der Vorpiek hervorbrach.

Der einunddreißigste Mann an Bord war Kaplan und wurde von den Spaniern auf der Kuhl nicht gerade freundlich empfangen. Die Sprache verschlug es ihm nicht: Hasard hörte amüsiert zu, wie der Bursche etwas von „gerechter Strafe des Himmels“, Fluchen und Saufen und einem halben Dutzend anderer Sünden faselte, die die jetzige Katastrophe verursacht hätten. Unterdessen war das Boot längsseits gegangen, und die Seewölfe enterten auf. Sir John hockte sichtlich zufrieden auf Ed Carberrys Schultern, und Arwenack fegte keckernd über die Kuhl, in der vergeblichen Hoffnung, seinen Freund Dan zu entdecken.

Der Kaplan warf einen Blick auf das braune, zottige Biest, bekreuzigte sich und jumpte außenbords.

Wie ein Hund paddelte er in Richtung auf die Landzunge. Hasard lächelte den Capitan an und wies einladend auf das Schanzkleid.

„Sie dürfen schwimmen“, sagte er trocken. „Auf der Insel haben wir Waffen zurückgelassen. Ihr erster Offizier weiß, wo sie liegen. Es gibt Trinkwasser, und Sie werden nicht verhungern, bis man Sie findet. Ferris, wirf zwei Balken außenbords, damit die Gentlemen ihre Toten und Verwundeten mitnehmen können.“

Tucker nickte nur.

Minuten später klatschten zwei Balken ins Wasser, und die ersten Spanier sprangen mit grimmigen Gesichtern über das Schanzkleid. Es hatte nur einen Toten gegeben, und die meisten von den Verletzten waren lediglich zerschrammt und mehr oder weniger benommen. Die meisten schienen froh zu sein, daß sie überhaupt mit dem Leben davonkamen. Der einzige, der jammerte und protestierte, war der Capitan. Aber als Jeff Bowie die Absicht erkennen ließ, ihn ein bißchen mit seinem Haken zu kitzeln, raste auch er wie angestochen über die Kuhl und jumpte außenbords.

 

Mit ein paar langen Schritten stand Philip Hasard Killigrew wieder auf dem Achterkastell, warf das schwarze Haar zurück und witterte in den Wind. Hatte es wirklich aufgebrist, oder erschien ihm das nur so, weil er endlich wieder Planken unter den Füßen hatte? Sein Blick glitt über das Schiff, über die funkelnden Augen seiner Männer, und mit einem tiefen Atemzug reckte er die Schultern.

„Übernimm das Ruder, Pete! Klar bei Anker, klar bei Brassen und Fallen! Na los, hoch mit dem Anker, oder wollt ihr hier übernachten?“

Die Männer grinsten.

Ed Carberry begann in gewohnter Weise zu toben, lüftete die Ankergasten an und brüllte, ob sich Stenmark und Bob Grey einbildeten, der verdammte Besan setze sich von selber – was, wie?

„Auf und nieder!“ ertönte Ben Brightons Stimme von der Back. „Aus dem Grund!“

Bob Grey und Stenmark hingen am Besanfall, die Brassen waren zum Laufen klargelegt. Knatternd entfaltete sich das große dreieckige Lateinersegel, Pete Ballie legte Ruder, und der einfallende Wind drückte das Heck der Karavelle über Steuerbordbug von der Landzunge weg.

„Hoch mit der Fock! Anluven auf den anderen Bug, Pete! Recht so!“

Die „Santa Monica“ ging über Stag, knarrend schwangen Fockrah und Gaffelrute herum. Mit halbem Wind zog die Karavelle an der vorspringenden Landzunge vorbei, die Insel blieb achteraus, und Hasard ließ Blinde, Groß- und Marssegel setzen.

Wie eine verlorene Hammelherde standen die Spanier zwischen den Felsen und starrten ihrem Schiff nach.

Die „Santa Monica“ rauschte mit halbem Wind über Backbordbug nordwärts. Der Kurs war klar. Chiapas! Das geheimnisvolle Land der Maya! Dorthin wollten die Piraten Jean Morros mit der „Isabella“ segeln, und dorthin würden ihnen die Seewölfe mit der gekaperten „Santa Monica“ folgen.

Der Kutscher nahm sofort die Kombüse in Besitz, um endlich wieder eine ordentliche Mahlzeit zu kochen.

Bill enterte in den Großmars. Hasard hatte ihm eingeschärft, die Augen offenzuhalten. Denn noch bestand die Möglichkeit, einem weiteren versprengten Schiff des spanischen Verbandes zu begegnen, und die „Santa Monica“ war alles andere als eine schwimmende Festung.

Eine Viertelstunde später klang Bills helle Stimme aus dem luftigen Ausguck.

„Deck!“ schrie er erregt. „Schiff Steuerbord voraus! Ich glaube, es ist ein Viermaster!“

Hasard hob den Kopf.

Ein Viermaster? Hatte der schwarze Segler sie am Ende doch noch gefunden? Mit einem Sprung setzte der Seewolf auf die Kuhl, enterte in den Hauptmars und suchte mit dem Spektiv die Kimm ab.

Ein paar Sekunden später atmete er tief durch.

Es war der schwarze Segler. Unverkennbar, schon weil er fast mit der Nacht verschmolz. Er glitt über das Wasser wie ein unheimlicher dunkler Schatten. Hasard enterte wieder ab und nickte Ben Brighton zu, der ihm gespannt entgegenblickte.

„Na bestens!“ sagte der Bootsmann zufrieden.

Hasard lächelte. „Oder auch nicht! Abwarten, Ben!“

„He, verdammt! Wieso …!!

Ben Brighton brach ab.

Denn auch ihm war eingefallen, daß sie sich schon einmal in einer ganz ähnlichen Situation befunden hatten. Damals, bei der Insel der Steinernen Riesen war ihnen um eine Kleinigkeit zu spät eingefallen, daß Siri-Tong und der Wikinger sie nicht auf einem spanischen Schiff vermuteten. Und ehe sie den Irrtum aufklären konnten, hatte ihnen der schwarze Segler schon die Beutegaleone unter den Füßen weggeschossen.

Damals war das nicht sonderlich schlimm gewesen, weil die „Isabella“ beigedreht auf sie wartete.

Diesmal durfte es nicht passieren. Hasard seufzte leicht.

„Streicht die Flagge!“ befahl er. „Und dann mannt ein paar Laternen an Deck! Aber ein bißchen plötzlich, sonst geht der Kahn hier gleich auf Tiefe.“

„Klar Schiff zum Gefecht!“ gellte die Stimme der Roten Korsarin durch die Dunkelheit.

„Klar Schiff, ihr müden Kakerlaken!“ brüllte Juan, der Bootsmann, drüben auf dem Vordeck. „Cookie, das Kombüsenfeuer aus! Klar bei Backbord- und Steuerbordgeschützen! Hilo, Jonny, Diego – wollt ihr wohl die verdammten Kugeln und Kartuschen mannen, oder glaubt ihr, die kriegen Beine und kommen von selbst, ihr Idioten?“

Der Wikinger grinste. Neben ihm starrte Siri-Tong geradeaus, das Gesicht hart und gespannt wie eine Marmormaske. Vor ein paar Minuten hatte Mike Kaibuk im Großmars das Holzkreuz entdeckt, das unter dem Bugspriet der fremden Karavelle baumelte. Für den schwarzen Segler mit seinen zwölf schweren Geschützen an jeder Seite war der Dreimaster dort vorn nur ein Schiffchen, ein weit unterlegener Gegner. Aber auch ein unterlegener Gegner konnte eine Menge Kleinholz verursachen, bevor er auf Tiefe ging – und Siri-Tong hatte noch mehr als genug von der Begegnung mit der „Isabella“.

„Alle Geschütze klar?“ fragte sie scharf.

„Klar!“ schrie der Boston-Mann.

„Klar!“ echoten Eike, Olig, Arne und der Stör, die an der Backbordseite als Geschützführer fungierten.

„Gut, Männer! Wir laufen unter Vollzeug auf die Karavelle zu. Sie werden versuchen, an unserem Bug vorbeizuscheren, um uns aus der Luvposition anzugehen. Dem kommen wir zuvor, indem wir abfallen und ihnen eine volle Breitseite servieren. Arne, Stör, Boston-Mann – ihr stanzt ihnen ein paar Löcher mittschiffs in die Wasserlinie. Die anderen halten auf die Stückpforten. Sie werden schneller auf Tiefe gehen, als sie denken können.“

„Bei Odin, das werden sie“, murmelte der Wikinger. „Wenn sie nicht schon vorher alle vor Schrecken umfallen, diese lausigen Kastanienfresser!“ Er setzte das Spektiv an und schüttelte den Kopf. „Drei Kanönchen an jeder Seite! Und vorn sehe ich zwei lächerliche Serpentinen. Diese armen Irren!“

„Abentern, Mike!“ rief die Rote Korsarin zum Großmars hinauf.

„Aye, aye, Madam!“

Mike Kaibuk verließ seinen luftigen Posten. Siri-Tong ließ noch einen prüfenden Blick über das Geschützdeck wandern. Der Wikinger spähte angestrengt durch das Spektiv – und plötzlich ging ein Ruck durch seinen mächtigen Körper.

„Ha!“ schrie er. „Der Don streicht die Flagge!“

„Er streicht die Flagge? Zeig her!“

Siri-Tong schnappte sich das Spektiv und starrte zu der Karavelle hinüber. Tatsächlich: Der vermeintliche Spanier hatte die Flagge gestrichen. Seine Stückpforten blieben geschlossen, jetzt flammten auf Achterdeck und Kuhl ein paar Laternen auf. Die Karavelle schien sich kampflos ergeben zu wollen, aber als Siri-Tong das Spektiv absetzte, funkelten ihre schwarzen Mandelaugen vor Mißtrauen.

„Das ist ein schmutziger Trick“, erklärte sie kategorisch. „Laß die Stückpforten öffnen, Thorfin. Wir werden …“

Der riesige Wikinger warf ihr einen Blick zu und kratzte seinen Kupferhelm.

„Eh!“ knurrte er. „Und wenn er sich nun wirklich ergeben will?“

„Sollen wir riskieren, daß er uns auch noch die letzte Rah abrasiert, die wir an Bord haben?“

„Hölle und Verdammnis! Und einen wehrlosen Gegner in Fetzen schießen – sollen wir das, in drei Teufels Namen?“

Siri-Tong preßte die Lippen zusammen. Ihre Mandelaugen funkelten den Wikinger an. Aber sie sagte nichts, sondern starrte statt dessen wieder durch das Spektiv nach vorn, wo die Karavelle inzwischen deutlicher zu erkennen war.

„Und ich sage dir, es ist ein Trick!“ stieß sie durch die Zähne.

„Klar“, erwiderte Thorfin Njal. „Und die Laternen zünden sie an, damit wir besseres Licht zum Zielen haben.“

„Es ist ein Trick! Sie wollen uns in Sicherheit wiegen, nahe genug heransegeln und …“

Sie verstummte.

Thorfin warf ihr einen Seitenblick zu. Er sah, wie sich ihre Züge von einer Sekunde zur anderen entspannten und die dunklen Augen plötzlich aufleuchteten. Als die Rote Korsarin endlich ihre Sprache wiederfand, konnte sie den Wikinger schon nicht mehr überraschen.