Ausbeutung - made in Germany

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Ich nehme die Sachen, binde die Schürze um, setze die Brille auf und verpasse mir auch den Atemschutz – ich bin quasi voll einsatzbereit.

»Steht dir echt gut!«, sagt er und grinst wiederum.

Ich sehe wahrscheinlich lächerlich aus, denke ich in die Richtung, wie er sicherlich denkt.

»Und wie gesagt, du musst hier nicht unbedingt alles in dieser Schicht schaffen. Du machst einfach so weit, wie du kommst, und du kannst dich dabei auch hinsetzen.«

»Geht klar«, sage ich und fange an, mir die Tabletts auf die Werkbank zu stapeln.

Siggi verschwindet in der weiten Halle und ich bin allein, weshalb ich mich zunächst auf meine vier Buchstaben setze. Auch gut, denke ich. Aller Anfang ist eben schwer.

Die Zeit plätschert dahin und allmählich kommt bei der Arbeit so etwas wie Routine auf.

Ssssssiii … ssssssiii …, macht das Drehmelgeräusch, dann schalte ich das Gerät kurz aus. Gut drei Stunden bin ich jetzt schon dabei und sehe aus wie ein silbergraues Männchen aus Metallstaub! Ich stehe auf und schüttele tausende Späne von mir ab. Es schaut kein Mensch nach mir, nur ab und zu huschen ein paar Mitarbeiter an einer Plexiglaswand vorbei. Ich hole mir neue Tabletts. Es sind noch so verdammt viele.

Zur Pause treffe ich nicht den »Kollegen« von der Zeitarbeit an. Er muss wohl drüben im Zuschnitt geblieben sein. Ich esse meine Stullen und stelle fest, dass der Pausenraum so einiges zu bieten hat. Manch ein Metallarbeiter macht sich Essen in einer Mikrowelle oder auf dem kleinen Herd heiß. Es gibt zwei Toaster, zwei Kühlschränke, zwei Kaffeemaschinen und sogar einen kleinen Grill zum Aufbacken von Pizza zum Beispiel. Großartig erklären tut mir keiner was, ich frage auch nicht weiter. Offenbar geht es am Anfang mehr darum, dass die Arbeitseinstellung beobachtet wird. Ob ich das hier durchhalte und zur nächsten Schicht wieder antrete, oder eben halt nicht.

Tablett nehmen – vom scharfen Grat befreien – wieder ablegen. Ich dürfte so ungefähr beim 600. Werkstück angekommen sein und irgendwie habe ich mittlerweile auch mächtige Verspannungen im Rücken. Die Lederschürze, meine Handschuhe und genauso die Hemdsärmel, selbst die Schuhe von mir sind topdreckig. Ich schüttle erneut die Späne vom Leib, und doch kommt mir die Arbeit jetzt sogar eine Idee besser vor: Ich kann Radio hören und außerdem habe ich in gut einer Stunde Feierabend.

Später dann – zirka 100 Tabletts weiter: »Komm, Junge!«, sagt plötzlich mein Einrichter für den Arbeitsplatz. »Lass gut sein, hast für heute genug geschafft.«

Ich schaue zur Uhr und bin im Grunde ganz seiner Meinung, und sage dennoch: »Aber es ist doch erst 2144 Uhr.«

»Ach«, sagt er und winkt ab. »Das ist schon okay. Sag, wie viele hast du geschafft?«

»Na ja, 700 vielleicht …?«

»Das reicht. Geh du jetzt mal lieber in den Waschraum und mache dich ein wenig sauber.«

»Waschraum? Wo befindet der sich?«

»Den Mittelgang entlang bis kurz vor die Montagehalle, dann rechts. Du siehst das schon …«

»Okay.« Ich schalte das Werkzeug aus und stapele die restlichen Tabletts beiseite.

»Ach«, fiel ihm noch ein. »Aber ausfegen tust du hier noch, ja.«

»Geht klar«, sage ich und lege endlich die dreckige Schürze ab. Handschuhe und Brille fliegen auf den Tisch. Späne fallen aus meinen Haaren.

Auf dem Weg zum Waschraum grinst mich so ziemlich jeder an, der mir entgegen kommt. Ich frage mich, was die nur haben. Aber ich sage mir: Es ist sicher die gute Feierabendstimmung, die ein bisschen lustig macht.

Ich schaue in den Spiegel und sehe nun, warum die Männer so amüsiert waren. Wo bei mir zuvor die Schutzbrille saß, ist meine Haut hell geblieben. Ansonsten ist mein Gesicht staubig und schwarz. Ich räuspere mich und spucke in das Waschbecken vor mir – meine Spucke sieht ungefähr wie nach 100 Zentnern Kohlenschaufeln aus.

»Na, bist wohl durch den Schornstein gekrochen, oder was?«, fragt ein Typ, der neben mir auftaucht, um sich die Hände zu waschen.

»Nein, ich habe nur gedrehmelt«, gebe ich zu verstehen.

»Na ja, ist ja fast dasselbe«, sagt er und grinst genauso breit wie alle anderen.

Ich bin der Clown zum Feierabend, stelle ich fest und schaue wieder in den Spiegel. Definitiv! Ich kann es ganz deutlich sehen. Was habe ich auch erwartet? frage ich mich. War doch klar, dass ich den Job machen darf, den hier wahrscheinlich keiner sogerne macht.

Mein Kollege von der Zeitarbeit kreuzt auf und hat die Hände in den Taschen. Es sieht nicht so aus, als ob er sich sonderlich tot gemacht hätte.

»Wie war's?«, frage ich.

»Ach, es ging so …«, sagt er.

Ich glaube ihm nicht wirklich und sehe hinter ihm, den Schichtführer auf uns zukommen.

»Wahrscheinlich wisst ihr es noch nicht, aber einer von euch beiden muss gleich morgen die Frühschicht antreten«, teilt er mit. »Die Produktion wurde hochgefahren, und deshalb muss die Laufer-Presse voll ausgelastet werden. Also, wer kommt freiwillig von euch?«

Der Kollege hebt die Brauen.

»Dann werde ich einfach kommen«, biete ich an. »Welche Uhrzeit muss ich da sein?«

»Die Frühschicht beginnt 0545 Uhr. Wenn du zehn Minuten früher da bist, ist das okay. Ja, und du kommst dann wieder zur Spätschicht.«

Der Kollege nickt unmerklich und ich schaue zur Stechuhr rüber, wo sich bereits einige Männer versammelt haben.

»So, Jungs, Feierabend!«, sagt der Schichtführer und lässt uns stehen.

»Gehst du anschließend zum Bahnhof rüber?«, frage ich den Kollegen.

»Man, natürlich gehe ich zum Bahnhof!«

Er weicht meinem Blick aus. Er ist knurrig und offenbar gedanklich weit weg. Ich merke, dass ihm die Arbeit nicht sonderlich schmeckt, und er merkt umgekehrt, dass ich es ihm anmerke. Eigentlich gefällt mir der Job bis jetzt ebenso nicht.

Einsatz an der Presse: Ich stehe neben der großen Hydraulik-Presse im Zuschnitt und warte auf den Einrichter, der mir gleich heute Morgen so einiges zu zeigen hat. Die Presse ist riesig, vielleicht an die vier Meter hoch, und doch kann nur 1 Mann daran arbeiten. Daneben steht eine Gitterbox, in der dieselben gelochten Tabletts liegen, die ich bereits gestern Abend bearbeitet habe. Dann ist das Drehmeln faktisch der nächste Arbeitsschritt, schlussfolgere ich. Und sogleich ist der Gedanke an das Metallstaubmännchen wieder da. Ganz zu schweigen von all dem Schmutz, der bei mir aus sämtlichen Poren kam, als ich dann zu Hause unter der Dusche stand.

Der Einrichter, so heißt der Vorarbeiter und Mechaniker in der Branche, kommt um die Ecke gefegt. »Guten Morgen!«, sagt er.

»Guten Morgen!«, sage auch ich.

»Wie ich sehe, wartest du schon, dass es so richtig losgehen kann.«

»Na ja, ich warte halt nur …«

»Gut.« Er schaut sich kurz um. »Wo stehen wir heute? Ah, am Anfang!«, beantwortet er sich selbst die Frage. »Wir fangen heute wieder mit Ecken beschneiden an.«

»Aha …?!«, sage ich und habe dennoch keine Ahnung. Ich weiß nicht genau, was er damit meint. Aber ich lasse mich gern überraschen.

»Ist die Presse schon an?«

»Nein.«

»Also, hier hinten an der Seite ist der Hauptschalter …«

Ich folge ihm und er legt ihn um.

»Hier dann das Arbeitslicht einschalten und hier daneben die Presse einschalten.«

Frrrummm …, macht die Presse. Dann summt ein gleichmäßiger Ton.

»So, und ganz wichtig«, sagt er, »hier oben das Wasser andrehen! Das ist eine wassergekühlte Presse, und wenn der Hahn zu ist, läuft sie natürlich irgendwann heiß. Zum Feierabend, ich meine nach der Spätschicht, wird das Wasser selbstverständlich wieder abgedreht. Hier oben läuft nicht gerade wenig durch …«

»Okay.« Die Wasserrechnung, denke ich.

»Ja, und hier haben wir noch eine Beleuchtung für die Werkbank. Dort drüben steht eine zweite Werkbank, da kannst du zum Beispiel deine Jacke hinhängen, und wenn du mal das Fenster kippen willst, dann bitte nicht, wenn es draußen regnet. Die Werkzeuge hier sind richtig teuer. Das ist zwar guter Stahl, wenn da aber zuviel Feuchtigkeit rankommt, auch nur hohe Luftfeuchtigkeit, dann fangen die schnell an, zu rosten.«

»Hab verstanden. Also nicht bei Regen.«

»Genau. Dann werde ich jetzt zuerst das Werkzeug auswechseln, und du fährst solange die Gitterbox mit den fertigen Teilen dort rüber und bringst auch gleich wieder eine leere mit zurück. Die neu zugeschnittenen Bleche stehen dort hinten unter dem Regal auf einer Euro-Palette. Die kannst du ebenfalls gleich mit dem Hubwagen herfahren. Der Auftragszettel liegt oben drauf.«

Er fängt an, die Presse hochzufahren, und auch ich setze mich in Bewegung – ich gehe davon aus, dass es nicht ganz so staubig wie in der gestrigen Spätschicht werden wird.

AL Mg 3 lese ich. Sicherlich ist dies die Zusammensetzung der Metalllegierung, aus der die Bleche bestehen, um beim Gebrauch gewisse Eigenschaften zu erfüllen. Stückzahl: 1008, steht darunter. Ich frage mich, wie ich 1000 Bleche in einer Schicht schaffen soll. Doch dann verdränge ich das lieber und riskiere hier und da einen Blick, um mich besser mit den Gegebenheiten vor Ort vertraut zu machen. Andere arbeiten bereits emsig an modernen Maschinen, die ich im Leben noch nie gesehen habe. Eine Laseranlage arbeitet direkt vor meinen Augen, es rumpelt und zischt, und auch ziemlich viele Funken wie bei einer Trenn-Schleifmaschine sprühen nach unten. Ich kann nicht sehen, was der Laser genau zuschneidet, aber ich vermute, dass es ebenso Metallbleche sind.

 

Hinter einer Maschine hebt ein Mann den Kopf und grinst mich aus breiten Mundwinkeln an. Ich nicke ihm freundlich zu, aber ich sage nichts zu ihm. Auch er sagt nichts zu mir, und ich ziehe dann schnell weiter.

Die Hydraulik-Presse ist eingerichtet: Der Werkzeugblock steht direkt in der Mitte auf der Arbeitsplatte – es ist das Schneidwerkzeug zum Beschneiden der vier Ecken vom Blech. Die Bleche messen 35 x 50 cm und sind 2,5 mm stark.

»So, dann nimm dir gleich mal einen Stoß her und setze dich hier ran«, sagt der Einrichter. »Das Einlegen der Bleche hat genau im rechten Winkel zu erfolgen. Ist eigentlich ganz einfach …«

Ich nehme ein Blech und lege es wie gesagt ein.

»Und jetzt«, verdeutlicht der Einrichter, »mit beiden Händen hier an den Seiten gleichzeitig die roten Knöpfe drücken. So kannst du während des Pressvorgangs niemals die Hände dazwischen haben.«

Ich drücke. Wumm! macht die Presse. Die Ecke vom Blech liegt daneben.

»Siehst du, und jetzt das Blech weiterdrehen und die nächste Ecke abschneiden.«

Wumm!

»Weiterdrehen …«

Wumm! Und noch einmal … Wumm!

»Immer schön im 90° Winkel ansetzen, ja. Dann probiere gleich das Nächste …«

Ich jage das Blech durch.

»Gut. Weiter so«, sagt er.

Wumm! – Wumm! – Wumm!

Irgendwie einfach, denke ich. Aber auch irgendwie laut …

»So, du könntest jetzt ebenso mit der Lichtschranke arbeiten, damit es schneller geht. Das sind die beiden rechts und links von dir angebrachten Sensoren. Aber ich denke, für den Anfang machst du so weiter wie bisher. Wenn du gut bist, schaffst du den Auftrag bis zum Mittag.«

»Okay«, sage ich. Wie gut ich in der Sache tatsächlich bin, weiß ich natürlich nicht.

Er geht und ich stecke mir ein paar Ohrstöpsel ein, die in einem Karton auf der Werkbank liegen.

Zwei Stunden später: Ich arbeite in einem gewissen Takt und bilde mir ein, dass ich allmählich immer schneller werde. Ein Drittel, schätze ich, habe ich bereits geschafft. Doch ist mir klar, dass ich jetzt auch nicht allzu sehr nachlassen darf.

Es ist Frühstückspause und ich sehe, dass die Mitarbeiter hier unten lieber unter sich bleiben, als in den Pausenraum nach oben zu gehen. Ich tue dem gleich und frühstücke quasi gleich neben der hydraulischen Presse.

Später: Wumm! – Wumm! – Wumm! – meine Presse.

Tack! – Tack! – Tack! – die Maschine von nebenan.

Zzzzzzt … zzzzzzt … zzzzzzt! – eine Bandsäge sägt sich durch das Blech.

Es ist laut, und auch mit Ohrstöpseln drinnen ist es ziemlich laut. Es ist so ein alles durchdringendes Wummern, das einem die Gehirnmasse erbeben lässt. Doch sage ich mir: Nun muss ich da durch, auch wenn ich heute mit Kopfschmerzen nach Hause gehe.

Der Einrichter schaut nach mir.

»Na, wie ich sehe, bist du ja ganz gut dabei«, sagt er und schaut auf die Einstellungen und Druckanzeigen an der Presse. Seiner Mimik nach scheint alles in Ordnung zu sein.

Ich nehme die Ohrstöpsel heraus und nicke. »Ist halt laut!«, schreie ich fast, weil ich mir selbst so leise vorkomme.

»Das ist reine Gewohnheitssache«, entgegnet er. »Aber du kannst dir auch die großen Ohrschützer hier überstülpen, manch einer findet die besser.«

Er reicht sie mir, und ich setze sie auf.

Wumm! – Wumm! – Wumm! Es kommt mir nicht sonderlich besser vor als mit den Stöpseln. Ich zucke mit den Schultern.

»Na ja, Hauptsache du trägst eines von beiden«, sagt er. »Ich schätze, du schaffst noch den Rest bis zum Feierabend …«

Ich nicke bejahend und mache gleich weiter. Wumm! – Wumm! – Wumm!

Der Einrichter geht, bleibt dann aber stehen und schwatzt kurz mit einem Kollegen. Im Allgemeinen scheinen die Stammmitarbeiter an weit moderneren Maschinen zu arbeiten als ich. Die meisten von denen sind mit einem Computer gekoppelt und somit programmierbar. Die Maschine arbeitet dann fast von alleine. Bei mir hingegen geht es noch rein mechanisch zu. Es ist körperlich harte Arbeit ganz nach der klassischen Art.

Der Kollege kommt zur Spätschicht und ich schaue zur Uhr – Punkt 1345 zeigt sie an. Er ist pünktlich. Ob er aber ein echter Kollege ist, kommt mir nicht wirklich so vor. Er wirkt eher ein wenig seltsam auf mich. Umgekehrt muss es ihm wohl ähnlich vorkommen, wenngleich wir von derselben Firma sind.

»Hallo!«, sage ich.

Er nickt nur unmerklich und sagt nichts.

Die 1.000 Bleche habe ich geschafft und ich fühle mich beinahe gut dabei, auch wenn der Rücken etwas schmerzt und der Schädel brummt, doch als Herausforderung sage ich mir, war es das irgendwie wert. Ich kann also auch noch etwas anderes in Sachen Handwerk leisten.

»Ich habe dir bereits eine neue Palette mitgebracht«, bemerke ich zum Kollegen und ziehe nebenbei die Handschuhe aus.

»Hm …«, brummt er nicht unbedingt begeistert. Dann geht er schnell in Richtung Toilette.

Und nun? frage ich den, der nicht da ist. Ich schnappe mir einen Besen und kehre solange um die Presse herum. Etwas später taucht endlich der Einrichter auf.

»Dein Kollege schon da?«, fragt er.

»Ja, er ist auf dem Klo«, sage ich.

»Gut. Ich werde die Presse jetzt für das Tiefziehen umbauen. Die Palette mit den Blechen steht hier aber im Weg, die muss am besten dort rüber.«

Ich schnappe mir den nächsten Hubwagen und er holt sich einen elektrisch betriebenen Hubwagen (die so genannte Ameise). Er nimmt verschiedene Einstellungen an der Presse vor, während ich ihm über die Schulter schaue. Ich schaue zur Uhr, sehe andere kommen und die Frühschicht bereits gehen, und dann sehe ich den Kollegen wiederkommen.

»Na, fit und munter heute?«, fragt der Einrichter ihn, obwohl es inzwischen fast 1400 Uhr ist.

»Geht so«, lautet die Antwort des Kollegen. Jedoch sagt sein Gesicht so ziemlich alles aus.

»Ach, übrigens, du hast jetzt Feierabend«, erinnert der Einrichter mich.

»Okay. Dann bis morgen«, sage ich und schnappe mir Rucksack und Jacke.

Obwohl gleichzeitig sehr viele aus der Frühschicht gehen, gehe ich gewissermaßen allein. Ich drängle mich den anderen nicht auf, und sie wissen vermutlich, dass ich einer von den Neuen bin, und trotzdem bin ich ganz guter Dinge. Diese Schicht war immerhin besser als die letzte Schicht, denke ich.

Das A und O des Beschneidens: Ich lege das Werkstück präzise ein und drücke: Wumm! macht die Presse. Ich greife das Tablett und löse es vom Werkzeug, drehe das Tablett und setze dann neu an. Wumm! macht wieder die Presse. Ich kann das beschnittene Tablett auf den Tisch zu den anderen legen. Dort staple ich exakt in 10er Türmen, und wenn ich dann fünfzig zusammen habe, staple ich sie alle in die große Gitterbox. Ich soll immer gut aufpassen, dass das Tablett korrekt auf der Form des Werkzeuges sitzt. Die überstehenden Ränder, die ich abschneide, fallen dabei direkt unter den Bodenaufbau vom Werkzeug. Ich muss sie spätestens nach siebzig Beschneidungen entsorgen. Das heißt im eigentlichen Sinne, das hochwertige Material in die entsprechende Wertstofftonne werfen. Es wird später für neue Bleche recycelt. Dabei trage ich dicke Handschuhe, denn die Tablettränder sind nach dem Beschneiden teilweise sehr scharfkantig. Doch im Großen und Ganzen komme ich gut voran. Ich hatte es mir anfangs schlimmer vorgestellt. Das einzige Problem – egal ob mit Gehörschutz oder Ohrstöpsel – ist, dass es ständig laut wummert.

Tack! – tack! macht die Finn-Power-Stanzmaschine gleich um die Ecke. Tack, tack – tack, tack, tack! Ich denke dabei immer an Finnland, wenn ich den Namen auf der Maschine lese. Eine Frau arbeitet daran – eine etwas ältere Dame mit Brille. Ich kenne sie natürlich nicht. Ansonsten bin ich in meiner Ecke überwiegend für mich allein. Ich, der Auftrag und die riesige Presse. Von Zeit zu Zeit wird neues Material an Blechen geliefert. Manchmal laufen irgendwelche Leute vorbei, manchmal auch, den Äußerlichkeiten nach, ein Chef. Ich bin ganz gut im Rennen, denke ich.

Nun ist es bereits fünf vor zwei und es sieht fast so aus, als ob mich heute keiner ablösen will. Doch dann kommt der Einrichter schnellen Schrittes dahergelaufen.

»Sag mal, dein Kollege hat wohl heute keine Lust, oder wie?«

Ich zucke mit den Schultern.

»Eigentlich müsste er schon längst hier sein …« Sein Blick wandert zu den gestapelten Blechen. »Na ja, wie weit bist du so?«

»Ich bin so weit durch.«

»Gut. Dann ist jetzt Längsseiten beschneiden dran, zumindest theoretisch.« Er geht kurz nach hinten und spricht mit jemand anderem. Wenig später kommt er mit dem Hubwagen zurück und schaut zur Uhr. »Mist!«, sagt er. »Wenn du jetzt keine Leihkraft wärst, könntest du heute auch eine Doppelschicht fahren. Aber du darfst ja nur höchstens zehn Stunden am Stück arbeiten.« Er fährt die Presse hoch und löst das Werkzeug vom Werkzeugtisch. »Sag mal, hast du vielleicht eine Telefonnummer von deinem Kumpel?«

»Seine Nummer? Ich kenne den doch gar nicht privat«, sage ich erstaunt, warum er mich das fragt.

»Na, ich dachte immer ihr seid Kollegen und kommt von derselben Firma. Zumindest steht das so in der Personalkartei für Leihkräfte geschrieben.«

»Das mag ja sein. Ich kenne den trotzdem nicht, und auch bei früheren Einsätzen habe ich den noch nie gesehen.«

Verständnislos schüttelt er den Kopf, dann bockt er das Werkzeug auf den Hubwagen.

Dass er ein Problem hat, ist mir klar. Nur kann ich ihm dabei nicht helfen. Ich darf ihm nicht einmal laut Leihvertrag und Arbeitszeitgesetz helfen.

»Willst du nicht Feierabend machen?«, fragt er und schaut wieder zur Uhr.

»Oh ja, das hätte ich fast vergessen.«

Ich greife nach Rucksack und Jacke und denke mir meinen Teil.

Die Arbeit ist liegen geblieben: Ich lege den Hauptschalter um, schalte das Arbeitslicht ein, das Licht über der Werkbank und greife mir gleich die nebenstehende Leiter. Ich muss den Wasserhahn oben an der Wand aufdrehen. Den darf ich niemals vergessen, wurde mir eingeschärft, denn es geht hier um eine wassergekühlte Hydraulik-Presse, und wenn die kein Wasserzulauf bekommt, dann läuft sie heiß. Die Wasseruhr dreht sich und ich kann sogar ein leichtes Rauschen in der Leitung vernehmen. Ich steige wieder ab und erst jetzt schalte ich an der Vorderfront die Presse ein.

Arbeitstechnisch ist nichts weiter passiert. Alles ist so liegen geblieben, wie ich gestern Nachmittag gegangen bin. Lediglich der Einrichter hatte noch das neue Werkzeug mittig auf dem Arbeitstisch installiert und fest verankert. Längsseiten beschneiden scheint an der Reihe zu sein, weshalb ich mir eine leere Gitterbox rüberziehe. Ich sage mir: Im Grunde müssten es fast dieselben Arbeitsschritte wie gestern sein, nur eben, dass ich das Werkstück zum korrekten Beschneiden dieses Mal quer einsetzen muss.

Den Ablagetisch platziere ich gleich neben der Presse und hole mir noch einige Baumwoll-Lappen, da etliche Tabletts ziemlich ölig aussehen. Beim Tiefziehen wird stets Spezialöl verwendet, damit das Blech unter dem Stempeldruck nicht reißt – das Metall besser in die Ecken (im Fachjargon) fließen kann. Einige Tabletts reißen dennoch. Es zeigt, dass eben keine Maschine 100%ig perfekt arbeiten kann.

Nach zirka 30 Tabletts taucht plötzlich der Einrichter auf. »Ah, du bist ja schon dabei!«, sagt er erfreut. »Hast gut mitgedacht. Dein Kollege kommt ja nun nicht mehr …«

»Ach so!«, sage ich erstaunt. »Ich denke, der kommt aus der Metallbranche …?«

»Weißt du, manche erzählen viel, wenn der Tag lang ist. Wie auch immer, eure Firma will uns jetzt einen Ersatzmann schicken. Du machst erst mal den Auftrag weiter, und dann werden wir sehen. Hast du auch oben das Wasser angedreht?«

»Ja, habe ich.«

»Okay. Dann bis später …«

Ich bin wieder allein – ich mit meiner Maschine. Irgendwie ist im Zuschnitt so ziemlich jeder separat mit seinem Arbeitsgerät beschäftigt. Man ist akustisch und gedanklich ohnehin isoliert – im Grunde kein Wunder bei der Lautstärke.

Das mit der Tablettfertigung ist eine handfeste und vermutlich auch lukrative Sache – ich habe gehört, die Tabletts wären für die Medizinbranche bestimmt. Benutzte Skalpelle, Scheren und medizinische Klammern werden darauf gelegt, um sie dann später im Sterilisationsofen keimfrei zu neutralisieren. Und jetzt erinnere ich mich wieder, ich habe solche Tabletts im Krankenhaus schon einmal gesehen.

 

So gegen Vormittag kommt der Produktionsleiter schnellen Schrittes auf mich zu und tippt sich dabei ans Ohr – das Kommunikationszeichen.

Ich nehme die Ohrstöpsel raus und bin voll auf Empfang.

Er schreit dennoch: »Schon mitgekriegt? Eure Zeitkarten hängen drüben gleich neben der Stechuhr! Der Name steht drauf, und jedes Mal wenn ihr kommt und wieder geht, scannt ihr mit eurer Karte die An- und Abmeldung ein. Ach, und übrigens, dort drüben neben dem Laser-Zuschnitt hängt ein Schichtplan an der Wand. Danach könnt ihr euch jeweils richten.«

»Alles klar«, sage ich.

Er hebt freundlich die Hand und geht dann weiter seine Runde.

Ich komme gut durch die Schicht, nur am Ende tun mir ein wenig die Finger vom vielen Zugreifen und Hin- und Herbewegen des Materials weh. Selbst meine Ablösung kommt heute überpünktlich. Mein neuer »Kollege« von der Zeitarbeit sozusagen, oder besser gesagt der nächste Kandidat!

Die haben einen Riesenkerl geschickt – vielleicht an die 2 Meter groß, schätze ich, und ich sage zu ihm: »Guten Tag! Du bist sicher die Ablösung …?«

»Ja, ich soll hier unten an der Laufer-Presse auf den Einrichter warten. Tag auch …«

»Er wird sicher gleich kommen. Dort drüben sind Handschuhe, da sind Baumwolllappen, und die Jacke hänge ich immer einfach ans Fenster. Na ja, und rauchen kannst du hier auch, wenn du willst.«

»Ach ja!«, sagt er erfreut und packt sogleich sein Päckchen Tabak aus.

»Ja, und der Chef hat gesagt, dass dort hinten an der Wand ein Dienstplan hängt. Ich schaue ihn mir gleich mal an.«

Mein Name ist tatsächlich auf dem Dienstplan eingetragen, als ob ich bereits ganz normal mit zur Belegschaft gehören würde. Sogar den ganzen Januar hindurch, wie ich schwarz auf weiß sehen kann, hat man mich direkt hierher entliehen. Laufer-Presse, steht da, und der Name des Ersatzmannes ist: Andreas Laufer!

Passt irgendwie zur Hydraulik-Presse, denke ich. Ich grinse mir einen. Dann habe ich also nächste Woche Spätschicht und er hat Frühschicht, und dann wieder umgekehrt und so weiter und so weiter …

Ich gehe zurück zur Presse. »Ähm, ich habe jetzt Feierabend«, sage ich zum neuen Kollegen. »Haben sie dir gesagt, dass drüben eine Stechuhr hängt, an der wir uns an- und abmelden müssen?«

»Ja, ich weiß.«

»Wahrscheinlich müssen die Tabletts jetzt gelocht werden. Aber egal, du wirst schon sehen. Ich wünsch dir was …«

Eine neue Woche ist angebrochen: Ich habe Spätschicht und mein Kollege hat heute die Frühschicht gefahren. Die Arbeit läuft ganz gut von den Händen, gleich wenn einiges nach wie vor sehr gewöhnungsbedürftig ist. Dass es nun besser läuft, liegt wohl auch daran, dass der Kollege und ich selbst die Herausforderung annehmen – wir sammeln quasi neue Erfahrungen. Wir arbeiten einander zu, da betriebsbedingt die Hydraulik-Presse nur im Wechselschichtsystem optimal ausgelastet werden kann.

Unsere Personalerin hatte versprochen, wir würden demnächst eine Wattejacke und eine Thermo-Arbeitshose als Zugabe von der Firma bekommen. Grund: Schräg gegenüber der Hydraulik-Presse befindet sich gleich die Laderampe, und weil das Rolltor mindestens 30x am Tag hoch und runter geht, entsteht nicht selten ein Durchzug. Der Wind bläst uns Leiharbeitern dann eiskalt in den Rücken.

Da es nun ziemlich frostig geworden ist und ich überwiegend im Sitzen arbeiten muss, habe ich inzwischen schon zwei Pullover an und mir vorerst eine dicke Unterhose unter die Arbeitshose gezogen. Ich sage mir: Na ja, die Thermo-Hose wird bestimmt diese Woche noch kommen …

In der Pause sitze ich heute mit den anderen vom Zuschnitt, den fünf »Altmetallern« zusammen. Der aus Polen stammende Mitarbeiter hatte mich mit zur Runde gewunken. Ich sage nicht viel und esse nur so vor mich hin, denn wirklich mitreden bei den Fachleuten aus der Metallbranche kann ich als Leihkraft nicht, jedenfalls noch nicht. Allerdings merke ich, dass die werte Dame, die gleich um die Ecke an der Finn-Power arbeitet, sich mehr wie ein Kerl unter Kerlen benimmt, obwohl sie rein objektiv als Frau eigentlich ziemlich gut aussieht. Ich stelle mir vor, sie hätte eine andere Verkleidung an und das entsprechende Arbeitswerkzeug in der Hand, dann würde sie vermutlich genauso gut in die Welt der Züchtigungen passen. Irgendwie wirkt sie so dominant auf mich.

Nebenbei bemerkt: Der Kollege sagt nie ›Guten Tag!‹, er nickt immer nur unmerklich. Er spricht auch so kaum anregend viel mit mir, gewissermaßen nur das Allernötigste zur Arbeit. Am liebsten aber sagt er: ›Ach, ich rauche erst mal eine … ‹ Manchmal raucht er in der Viertelstunde, in der sich unsere beiden Schichten überschneiden, ganze drei Zigaretten. Er kommt quasi mit Zigarette im Mund, raucht und raucht …, und er geht ebenso mit Zigarette.

Ich bin nun wieder beim Längsseiten beschneiden angekommen und schaue auf die Uhr, wie viel ich in einer Minute schaffe: Manchmal sind es drei, manchmal auch vier Tabletts. Bei vier Tabletts wären das rein theoretisch 240 Stück in einer Stunde. Dann müsste ich genauso theoretisch nach 4 Stunden und 10 Minuten mit den 1.000 Teilen schon fertig sein. Nur sagt die Wirklichkeit: Denkste! Ich muss zwischendurch auch aufstehen und mir spätestens nach dreißig Teilen Nachschub holen. Ich muss den Nachschub auf dem Arbeitstisch stapeln und nach dem Beschneiden wieder ordentlich ablegen. Obendrein muss ich stark verölte Tabletts mit Baumwoll-Lappen abwischen. Am Ende müssen dann alle Werkstücke noch einmal neu in eine Gitterbox für den nächsten Arbeitsschritt eingestapelt werden.

Das Mineral-Öl, das beim Tiefziehen benutzt wird, ist eine Art Oberflächen- und Spezialfließöl. Es ist tief durchdringend, insbesondere was die Handschuhe anbetrifft, obwohl diese schon mit Kunststoff beschichtet sind, so dass eigentlich kein Öl mehr durchkommen sollte. Aber: Na ja, sage ich mir, auch wieder nur rein theoretisch gesehen.

Später schaue ich mir den Öl-Kanister etwas genauer an, die Gebrauchsanweisung ist leider nur in Englisch und Französisch geschrieben. Zumindest erkenne ich an der roten Kennzeichnung mit dem schwarzen Kreuz in der Mitte, dass das Zeug reizend ist. Ich besorge mir neue Handschuhe.

Wenn draußen die Sonne scheint und die S-Bahn vorbeifährt, reflektieren die Scheiben der S-Bahn das Licht der tief stehenden Sonne. Es fällt dann genau zu mir herein und wirkt wie ein kleiner Lichtzauber mitten im Winter.

Auch Radio kann ich während der Arbeit hören, ich hatte mich am Anfang nur nicht so getraut. Doch bei dem Lärm und mit Stöpseln in den Ohren höre ich ohnehin nicht viel von der Musik. Das Radio dudelt trotzdem vor sich hin. Vielleicht ist es Einbildung oder es ist so, dass die Arbeit nicht ganz so eintönig dabei wirkt. Das ist wie so ein beschwingendes Gefühl.

Im zweiten Monat: Es ist Februar geworden und alles geht seinen Gang. Ich habe gleich Feierabend und der Kollege wird wie üblich die Spätschicht übernehmen. Der Einrichter installiert derweilen das neue Werkzeug auf der Arbeitsplattform. Es geht mit dem Lochen der Tabletts weiter – der letzte Arbeitsschritt hier unten an der Presse. Dabei muss besonders Obacht gegeben werden, denn schnell ist das Werkstück leicht schräg angesetzt und das Werkzeug locht dann gewissermaßen nicht korrekt. Wenn das passiert, ist das ganze Tablett nur noch etwas für den Ausschuss und wandert in die Tonne. Genauso müssen wir auf Sprenkel und kleine verpresste Splitter achten, die die Oberfläche des Tabletts nicht gerade verschönern. Um diese Unschönheiten zu mindern, müssen wir das Stanzwerkzeug regelmäßig mit Baumwolllappen von unten her säubern. Das kostet natürlich jedes Mal Zeit. Doch noch mehr Zeit kostet es, die Sprenkel mit Schleifpapier wieder zu entfernen. Und selbst wenn man noch so gewissenhaft arbeitet, ist es manchmal verflixt.

»Ich habe die Presse jetzt auf Lichtschranke umgestellt, damit wir im Durchlauf noch schneller werden«, sagt der Einrichter zu uns. »Allerdings müsst ihr jetzt genau aufpassen, dass ihr die Tabletts exakt in die Fassung einpasst. Ihr wisst ja, sonst habt ihr hier schnell Ausschuss produziert.«

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