Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 9

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Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 9
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Impressum

Drei Musketiere

Eine verlorene Jugend im Krieg

Band 9

1942

Copyright: © 2017 Frank Hille

Published by: epubli GmbH, Berlin

www. epubli.de

Martin Haberkorn, 11. November 1942, Atlantik

Fred Beyer, 12. November 1942, Russland

Günther Weber, 12. November 1942, Russland

Martin Haberkorn, 13. November 1942, Atlantik

Fred Beyer, 13. November 1942, Russland

Günther Weber, 23. November 1942, Russland

Martin Haberkorn, 23. November 1942, Atlantik

Fred Beyer, 23. November 1942, Russland

Martin Haberkorn, 24. November 1942, Atlantik

Günther Weber, 24. November 1942, Russland

Martin Haberkorn, 24. November 1942, Atlantik

Fred Beyer, 24. November 1942, Russland

Martin Haberkorn, 24. November 1942, Atlantik

Günther Weber, 24. November 1942, Russland

Fred Beyer, 25. November 1942, Russland, Tschir

Martin Haberkorn, 25. November 1942, Atlantik

Fred Beyer, 13. Dezember 1942, Russland, bei Kotelnikowo

Günther Weber, 13. Dezember, 1942, bei Werchne-Kumski

Martin Haberkorn, 13. Dezember 1942, Atlantik

Fred Beyer, 14. Dezember 1942, Russland, bei Salijewski

Günther Weber, 14. Dezember, 1942, bei Werchne-Kumski

Fred Beyer, 23. Dezember 1942, Russland, vor Stalingrad

Martin Haberkorn, 24. Dezember 1942, Atlantik

Martin Haberkorn, 11. November 1942, Atlantik

Das Boot war am 10. Oktober 1942 von Lorient aus in See gestochen, durch einen lang anhaltenden Sturm im Zeitplan zurückgefallen und erst am 7. November im Operationsgebiet eingetroffen. Vor der Küste Venezuelas wurden Suchstreifen gefahren, aber es gab keinen Verkehr. Nach 4 Tagen, an denen kein einziges Schiff gesichtet werden konnte, hatte der Kommandant mit Wut im Bauch einen Funkspruch an den BdU absetzen lassen.

„Stehe im Operationsgebiet auf und an. Kein Verkehr. Bitte um Verlegung Richtung ostamerikanische Küste und Erlaubnis zur freien Jagd.“

Das kurz darauf eintreffende FT ließ die Ungehaltenheit von Dönitz spüren.

„Boot bleibt im zugewiesenen Einsatzgebiet. Führung hat besseren Überblick über Lage.“

Als der Kommandant den Funkspruch gelesen hatte konnte Martin Haberkorn sehen, dass der Mann schwer um Fassung ringen musste, um nicht gleich zu explodieren. Nach einer Weile sagte er dann mühsam beherrscht:

„So, so, die Führung hat also den besseren Überblick. Wie sagten Sie doch zu Beginn der Reise, I WO, Badeurlaub in der Karibik? Den haben wir wohl jetzt. Na gut, dann wollen wir das auch mal richtig tun. LI, das Boot vorfluten. Aber vom Turm springt mir keiner, verstanden? Ich möchte nicht, dass hier einer so endet wie unser Seeheld Mützelburg von U 203.“

Kapitänleutnant Rolf Mützelburg war einer der erfolgreichsten Kommandanten der U-Boot Waffe gewesen. Im Juli 1942 wurde er mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz ausgezeichnet, sollte aussteigen und Erster Admiralstabsoffizier beim BdU werden. Mützelburg konnte Dönitz überzeugen, dass er nach einer letzten Feindfahrt endgültig von Bord gehen würde. Am 11. September 1942 stand sein Boot westlich von Gibraltar und er ordnete eine Badepause an. Mützelburg sprang vom Turm, prallte aber mit dem Kopf auf dem Bootsdeck auf und starb noch am gleichen Tag. Die U-Boot Führung gab sich Mühe diesen Vorfall unter der Decke zu halten, aber es sprach sich dennoch herum.

Haberkorn hatte das Boot so weit vorgeflutet, dass sich das Deck knapp unter der Wasserlinie befand. Die Männer waren an aus dem Turm und dem Kombüseluk geklettert, die Brückenwache war aufgezogen und beobachtete ihre Sektoren. Haberkorn als LI musste auf Anweisung des Kommandanten vorerst in der Zentrale bleiben, aber er sollte dann vom Zentralemaat abgelöst werden. Es war südlich warm, und obwohl die Lüfter meistens liefen, hatte sich im Inneren des Bootes ein feuchtschwüles Klima entwickelt. Die Erlaubnis zum Baden hatte bei den Männern ein großes Hallo ausgelöst und aus der Röhre kletterten verschwitzte, dreckige und stinkende Männer, die ausgelassen im warmen Wasser herumplanschten. Als Haberkorn an der Reihe war ließ er sich vorsichtig über die Außenhülle ins Wasser gleiten. Vorher hatte er sich mit der nur wenig Schaum erzeugenden Seewasserseife eingerieben und erstmalig seit langer Zeit spürte er wieder Wasser um seinen ganzen Körper herum. Er umkreiste das Boot in geringer Entfernung, der Kommandant ging auf Nummer Sicher und hatte ein zu weites Entfernen verboten. Haberkorn sah sich das Boot aus dieser Perspektive an und fühlte so etwas wie eine Vertrautheit mit diesem 1.000 Tonnen Koloss. Dass er diese Kriegsmaschine als Ingenieur beherrschte erfüllte ihn mit Stolz und ließ ihn all die Entbehrungen an Bord vergessen. Er kletterte wieder an Bord, zog sich an und ging in die Zentrale. Der Kaleun war auch schon dort und sprach mit dem Obersteuermann.

„Wir werden jetzt hier mit kleiner Fahrt ein bisschen rumschippern, der BdU will es ja so. Das machen wir aber so, dass wir möglichst Brennstoff sparen, also auch die E-Maschinen ab und zu einsetzen. Und ich werde ihm täglich melden, dass hier nichts los ist. Irgendwann wird er schon einsehen, dass unser Einsatz hier sinnlos ist. Wir könnten natürlich auch mal n Abstecher nach Caracas machen. Da war ich früher mit der Viermastbark mal. Schöne Stadt, gutes Klima, tolle Weiber. Na, I WO, wie wär’s? Was würden Sie denn dort unternehmen?“

„Ich würde natürlich die Sehenswürdigkeiten besuchen.“

„Das glauben Sie doch selber nicht“ feixte der Kommandant „soll ich mal raten, was Sie tun würden?“

„Ähm, ja.“

„Also. Zuerst gehen Sie fein essen und trinken wieder mal was Ordentliches. Dann fühlen Sie sich durch die Bedingungen an Land und von dem schönen Klima so angeregt, dass Sie sich natürlich noch ein bisschen weiter entspannen wollen. Sie wissen schon, was ich meine?“

„Ähm, ich glaube schon.“

„Warum so schüchtern. Wir sind doch schon ne ganze Weile unterwegs, und hier an Bord wächst ja nicht nur der Schimmel auf dem Brot, sondern auch .., ach, lassen wir das. Aber wenn nicht bald eine Entscheidung vom BdU kommt gehe ich auf eigene Verantwortung an die Küste ran. Es kann doch nicht sein, dass wir über den ganzen Teich hierher karriolen, 4.500 Seemeilen haben wir zurückgelegt, wir schleppen massig Torpedos mit und dann findet nur ein gemütliches Sonnenbaden statt. Ich fresse einen Besen, wenn die Amis jetzt nicht Geleitzüge zusammenstellen, weil die genau wissen, wie wenige Boote wir im Atlantik haben. Aber nein, die Führung ist ja der Auffassung, dass wir hier goldrichtig stehen. Wir sind schon über einen Monat in See und nichts ist passiert, nichts, außer Brennstoff zu verbrennen, Proviant zu verbrauchen und diesen wieder auszuscheiden. Mir platzt gleich der Kragen! Wir sind voll einsatzfähig, haben das Boot voller Torpedos und gammeln hier rum. Das kann doch nicht wahr sein! Woanders dampfen die Geleite nach England und wir drehen hier Däumchen. Was sagen Sie denn dazu, II WO?“

„Wie meinen Sie das, Herr Kaleun?“

„Was würden Sie denn tun?“

„Ich würde vorsorglich mit kleiner Fahrt weiter an die Küste herangehen und die Lage peilen. Wenn wieder nichts zu holen ist würde ich langsam zur Ostküste fahren, aber so, dass der BdU es nicht gleich mitbekommt.“

„Schau einer an, unser II WO“ freute sich der Kommandant „das gefällt mir. Und genau so machen wir es. Obersteuermann, planen Sie mal unseren Kurs so. Also, an die Küste ran, aber nicht zu nah, und dann immer schön an der Wand lang und gemütlich zur Ostküste der Amis absetzen. LI, versuchen Sie, auch mit E-Maschinen zu fahren, wir müssen unbedingt Brennstoff sparen. I WO, Sie fahren, ich haue mich ein bisschen auf meine Koje. Und danach werde ich wieder einmal etwas Schönes fürs Kriegstagebuch dichten. „Boot sichtet trotz weit ausholender Suchschläge keine Fahrzeuge. 22 Torpedos. 68 Cbm Brennstoff“ oder so ähnlich. Schönen Tag noch.“

 

Der Kommandant verließ die Zentrale und die anderen Männer sahen sich an.

„Der ist aber ganz schön auf Brass“ meinte der II WO „aber mir geht es auch nicht viel anders. Erst der lange Anmarsch und dann ist hier totale Ebbe. Ich frage mich, wie die Führung eigentlich die Operationsgebiete festlegt.“

„Na die haben eine Glaskugel auf dem Tisch vom BdU stehen und kucken da jeden Tag rein“ versuchte der Obersteuermann witzig zu sein „und dann sagt denen eine Stimme, die Boote müssen dahin und dorthin. Nein, war nur ein Scherz. Mal im Ernst. Es gibt da so etwas wie ein riesiges Schachbrett, welches in Planquadrate unterteilt ist. Es gibt Groß- und Kleinquadrate, die die Erdoberfläche überdecken. Die Großquadrate haben eine Seitenlänge von zirka 900 Kilometern oder 486 Seemeilen und werden mit zwei Großbuchstaben bezeichnet, also zum Beispiel EH oder EQ. So ein Großquadrat ist in neun weitere Quadrate unterteilt und diese nochmals in neun Quadrate, diese werden mit Ziffern bezeichnet. Wie EQ 1326 zum Beispiel. Unsere Operationsgebiete werden ja auch so festgelegt. Wenn also bekannt ist wo ein Boot steht und ein Geleit aufspürt, kann im Stab vom BdU relativ leicht festgestellt werden, welche Boote Aussicht haben, auch heranzukommen. Und dann kommen die Befehle. Manchmal sind es freilich nur Vermutungen, wo Verkehr sein könnte. Und das merken wir ja jetzt. Aber ich bin mir sicher, dass wir Agenten in den Hafenstädten haben, die die Konvois melden.“

Martin Haberkorn verstand die Gereiztheit der Männer. Sie waren jetzt schon 5 Wochen in See und hatten bei der Passage des Atlantiks einen Orkan abwettern müssen. Der konnte dem getauchten Boot zwar nichts anhaben, aber die wenigen Stunden, die sie zum Aufladen der Batterien nach oben mussten, hatten es in sich gehabt. Da das Boot längere Zeit nicht richtig durchlüftet werden konnte war in der Tauchröhre ein feucht modriges und kaltes Klima entstanden, welches den Männern erheblich zusetzte. Das hatte auch zur Folge gehabt, dass die wenigen nicht in Konserven mitgeführten Lebensmittel immer mehr vergammelt waren und Schimmel angesetzt hatten. Die Brote wiesen nur noch im Kern essbare Teile auf und die Männer schnitten die schimmligen Stücke großzügig weg. Der Schmutt ging mit den von der Decke baumelnden Würsten einfacher um: er wischte die grünen Schimmelflecken einfach mit einem Lappen weg. Langsam musste der Koch auf Dosennahrung zurückgreifen und nun gab es zum Frühstück öfter Rührei aus Pulver. Was aber ein Ritual blieb war die Angewohnheit, täglich Zitronen zu essen. Das sollte dem Vitaminmangel vorbeugen. Haberkorn hatte wie die anderen jungen Männer noch gesunde Zähne, und obwohl er den Geschmack des Saftes nicht ausstehen konnte, schluckte er seine tägliche Dosis widerwillig. Manchmal, wenn wieder Gammelei angesagt war stellte er sich vor, wie die Männer zahnlos an irgendwelchen weichen oder flüssigen Nahrungsmitteln herummümmelten. Er tröstete sich aber damit, dass sie wenigstens eine sichere Nahrungsversorgung hatten, bei anderen Truppen war das nicht immer der Fall und die Infanteristen mussten schon öfter einmal auf ihre eisernen Rationen zurückgreifen. Alles in allem waren die Bedingungen in der Stahlröhre wahrlich nicht die besten, aber sie mussten nicht hungern und hatten einen Schlafplatz. Außerdem waren sie, sofern sie nicht gerade zur seemännischen Wache gehörten, den Witterungsunbilden kaum ausgesetzt. Momentan war es brütend heiß und Haberkorn war froh, dass der Kommandant sich langsam ohne Befehl nach Norden absetzen wollte, dort würde es wahrscheinlich etwas kälter sein.

Fred Beyer, 12. November 1942, Russland

Vor fast genau 4 Wochen war die Panzerkompanie zur Sicherung eines Munitionslagers im Hinterland verlegt worden und am folgenden Tag nach ihrer Ankunft dort in heftige Gefechte mit russischen Luftlandeinheiten geraten. Gefangenaussagen hatten vorher Anhaltspunkte für diese Operation geliefert, und obwohl die deutsche Führung dies als relativ unwahrscheinlich ansah, waren die Kräfte doch verstärkt worden. Um das unterirdisch angelegte Lager waren Stacheldrahtzäune gezogen worden und an den Eckpunkten des rechteckigen Areals standen 2-Zentimeter-Vierlingsflaks. Infanteristisch waren drei Kompanien vor Ort, die sich jeweils im Dienst abwechselten. Rings um den Bereich hatten Pioniere Minengürtel gelegt. Lediglich am Haupteingang war eine Lücke von 20 Metern gelassen worden, damit die LKW dort ungehindert ein- und ausfahren konnten. Dort waren 2 MG Bunker aus Beton errichtet worden. Auch innerhalb des Lagers standen etliche Maschinengewehre in gut ausgebauten und geschützten Unterständen. An den Flanken des Objektes waren 7,5 Zentimeter PaK eingegraben worden. Um das Lager für die Russen nicht zu auffällig zu machen und noch extra Bezugspunkte zu bieten, war auf die Aufstellung von Wachtürmen verzichtet worden. Nur ein flaches Steingebäude stand in dem Areal, dort wohnten die Offiziere.

„Was soll der Unsinn“ hatte Bergner gesagt „wo sollen wir denn Stellung beziehen? Hinter dem Zaun? Vor dem Minengürtel? Ich verstehe das nicht.“

„Warte doch den Befehl ab“ hatte Lahmann beschwichtigt „dann wirst du‘ s schon erfahren. Wo würdest du uns denn postieren? Na?“

„Was weiß ich denn, bin doch nicht aus dem Generalstab“ motzte Bergner „frag‘ doch Fred, der ist der Kommandant.“

Fred Beyer hatte sich vom Panzerturm aus mit dem Gelände vertraut gemacht. Die Gegend war eben, kaum bewachsen und weit einsehbar, in ungefähr 2 Kilometern Entfernung sah er ein Waldstück. Da sich das Lager in sicherer Entfernung von der Front befand war auf die Stationierung schwerer Waffen verzichtet worden, denn falls Partisanen angreifen sollten, würden die MG und die Flakvierlinge im Erdkampf verheerende Wirkung haben. Die Heranführung von Panzern erschien Beyer auch nicht einleuchtend, denn die Fallschirmjäger würden nur ihre Handfeuerwaffen und Sprengstoff mitführen können. Allerdings wären die Panzer IV in der Lage, mit ihren Sprenggranaten und den Bord-MG die Angreifer vernichtend zu schlagen. Da aber niemand wusste, ob die Luftlandeoperation überhaupt und wo ausgeführt werden würde, konnten nur Vermutungen aufgestellt werden. Die Panzer hatten sich nach ihrer Ankunft im Gelände verteilt, um kein konzentriertes Angriffsziel für die russische Luftwaffe zu bilden. 15 Minuten später befahl der Kompaniechef die Kommandanten zu sich und erläuterte ihnen den Auftrag. Fred Beyer sprach danach mit seinen Männern darüber.

„Wir sollen also mit unseren 12 Panzern im Wald Stellung beziehen und im Fall der Fälle dann in den Kampf eingreifen. Im Wald sind wir vor der feindlichen Aufklärung verborgen und die Strecke bis zum Munitionslager schaffen wir in etwas mehr als 5 Minuten. Wir sollen uns ständig in Alarmbereitschaft halten und nachts ist Licht verboten. Falls der Iwan kommt werden wir in zwei Gruppen vorgehen, und je nach Entwicklung der Lage noch weiter aufteilen. Aber wir wissen eben rein gar nichts, also lassen wir uns eben überraschen.“

Am nächsten Tag um 3 Uhr ließen 160 Kilometer hinter der Front 23 Tupolew TB 3 Bomber ihre jeweils 4 wassergekühlten 12 Zylinder V-Motoren M 17 – ein Lizenzbau des BMW VI - warm laufen, 20 Kilometer südlich noch einmal 18 Maschinen. Sämtliche Bewaffnung war aus den Maschinen ausgebaut worden und in den Rümpfen hockten 40 Fallschirmjäger auf Holzbänken. An den Tragflächen waren Haltekabel angebracht worden, an denen sich auf jeder Seite nochmals 5 Luftlandesoldaten abenteuerlich festgehakt hatten. Nachdem die Motoren auf Betriebstemperatur gekommen waren rollten die 17 Tonnen schweren Maschinen langsam an. Die Graspiste war lang, und erst nach mehr als 500 Metern hoben sie mühsam ab. Das Muster war seit Mitte der 30iger Jahre im Einsatz und total veraltet, sowohl vom Konzept als auch von den Leistungen her gesehen. Dennoch setzten die Russen diese Maschinen weiter ein, denn sie waren noch in großer Zahl vorhanden, da sie zu Beginn des Krieges weit hinter der Grenze stationiert gewesen waren und so nicht den Luftschlägen der Deutschen am ersten Angriffstag zum Opfer fallen konnten. Wie schwerfällig diese Flugzeuge waren zeigte sich auch darin, dass sie 9 Minuten benötigten, um auf 1.000 Meter steigen zu können. Nach ungefähr 40 Minuten hatten sich die Maschinen formiert und krochen mit 150 Kilometern in der Stunde über den Himmel. Der frühe Startzeitpunkt war gewählt worden, um deutschen Jägerattacken zu entgehen. Darin lag aber auch eine große Gefahr, denn es fehlte jegliche Einrichtung in den Maschinen, die sie nachtflugtauglich gemacht hätten. Aus diesem Grunde waren sehr große Abstände zwischen den Maschinen vorgeschrieben worden und der russischen Führung war durchaus bewusst, dass das Absetzen der Fallschirmjäger zum Problem werden könnte, da am Boden keinerlei Markierungen für die Absprungzone vorhanden waren. Man ging aber davon aus, dass die ganze Sache irgendwie gelingen würde, und die 40 Maschinen immerhin 2.000 Männer absetzen könnten, die, selbst wenn sie zerstreut wären, in Gruppen auf das Lager vorgehen könnten. Beim Anflug selbst sollten die zu Transportern umgebauten Bomber möglichst tief gehen, um so visuell den günstigsten Absetzpunkt zu finden. Alles in allem war das ein Vabanquespiel, das rein auf das Glück setzte. Für die Fallschirmjäger war es ein Himmelfahrtskommando, denn sie sollten sich nach Abschluss des Unternehmens zu Fuß durch die Front zu den eigenen Truppen durchschlagen.

Die Bedienungen der 2-Zentimeter-Flak-Vierling 38 saßen frierend in ihren Unterständen, es wurde nachts jetzt schon empfindlich kalt. Am Zaun patrouillierten Doppelposten und ansonsten schien alles so, wie es auch die Wochen vorher gewesen war, nichts passierte. Nur einmal, nach Errichtung des Munitionslagers, hatten Partisanen einen Angriff unternommen, aber die Flakkanoniere hatten ihre Waffen für den Erdkampf vorbereitet und die eingespielten Bedienungen kamen auf eine Schussfolge von 800 Patronen pro Minute. Die Russen wurden in diesem Feuerhagel regelrecht zerrissen, und es gab keine weiteren Versuche mehr, das Lager einzunehmen. Die Deutschen hatten also eine gewisse Garnisonsmentalität angenommen, aber das Wachregime funktionierte weiterhin ohne Probleme und wurde streng durchgeführt. Die Männer eines der Doppelposten drehten bedächtig ihre Runden in dem ihnen zugewiesenen Bereich.

„So eine Scheiße“ sagte der eine „bald wird es wieder arschkalt werden und in unseren Erdbunkern wird es ja nie so richtig warm. Ich kann nicht sagen, dass ich mich auf einen weiteren Winter hier freue. Außerdem würde ich Weihnachten gern bei meiner Frau und den Kindern sein.“

„Vergiss‘ es“ erwiderte der andere „jetzt wird erst einmal gesiegt, dann kannst du vielleicht mal nach Hause fahren. Paulus scheint in Stalingrad ganz gut voran zu kommen, und wenn er über die Wolga übersetzen könnte wäre das ein entscheidender Schritt, um weiter nach Osten vorrücken zu können. Du wirst sehen, nächstes Jahr wendet sich das Blatt und wir machen dem Iwan wieder Beine, so wie 1941. Außerdem geht’s uns doch hier nicht schlecht, oder? Oder hast du Lust, dir an der Front die Knochen zerschießen zu lassen?“

„Nee, natürlich nich. Als wir auf Moskau in unseren dünnen Sommeruniformen vorgerückt sind und der Iwan uns dann in Schnee und Eiseskälte zurückgetrieben hatte, hab‘ ich mir am linken Fuß zwei und am rechten Fuß eine Zehe erfroren. Die hat man mir dann ohne großes Federlesens im Lazarett amputiert. Der Arzt hat die einfach in einen Blecheimer geworfen, wie Abfall! Da dachte ich mir, jetzt ist der Krieg für dich vorbei. Denkste! Sagt mir doch son arroganter Kerl auf dem Wehrkreisamt, dass ich weiterhin frontdiensttauglich bin und für Führer und Vaterland kämpfen kann, allerdings nicht bei der Infanterie, weil ich ja die langen Märsche nich mehr schaffen würde. Also bin ich hier gelandet. Aber hast ja recht, schlecht geht‘s uns hier nicht.“

Die beiden Posten begaben sich wieder auf den Rückweg, nachdem sie das Ende ihres Abschnittes erreicht hatten.

„Hörst du das auch“ fragte der eine Soldat gespannt nach einer Weile.

„Was?“

„Na da ist so was wien fernes Brummen.“

„Ich höre nichts.“

„Sag mal, machst du dir ab und zu mal die Ohren sauber? Oder wasch dir ab und zu mal die Füße, da rutscht der Dreck besser nach. Hör‘ mal genau hin.“

Der andere Mann lauschte, dann sagte er:

„Stimmt, ich hör‘ auch was. Das wird auch lauter. Was kann das sein?“

„Flugzeuge?“

 

„Um diese Zeit, Quatsch! Ist doch noch viel zu dunkel. Die sehn doch gar nichts.“

„Du, da is was. Ich informiere mal den wachhabenden Offizier.“

Der Mann ging zu einem Feldfernsprecher, drehte die Kurbel und meldete dann:

„Unklare Geräusche, näherkommend.“

Kurze Zeit später war ein Oberleutnant bei den Posten, auch er lauschte.

„Alarm auslösen“ befahl er, einer der Posten drehte die Kurbel einer Sirene.

Ein heulender Ton zog über das Gelände, nach 3 Minuten hatten die Soldaten ihre Positionen eingenommen. Die Flakkanoniere hatten die Munitionsmagazine in die Waffen eingeführt, die MG-Schützen die Gurte in die Waffen eingelegt. Die PaK Bedienungen hockten hinter den Schutzschilden ihrer Geschütze. Die in dem Wald verborgenen Panzer wurden über Funk informiert, dass höchste Alarmbereitschaft ausgerufen sei, sie sollten die Motoren warm laufen lassen.