Geld und Leben

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Für meine Frau und mich war der Aufenthalt in den USA auch von der persönlichen Seite her überaus spannend und befriedigend. Mit unserem VW-Camper fuhren wir quer über den Kontinent von Harvard nach Berkeley, wo ich einen Vortrag hielt. Dazwischen ein Abstecher nach North Dakota in die Nähe der Hauptstadt Bismarck, einem Ort, wo noch keiner meiner Harvard-Freunde je gewesen war. Entfernte Verwandte meiner Frau, die aus dem Burgenland stammten, zeigten uns dort ihre riesige Ranch, gelegen an einem See, der den Namen der Familie meiner Frau trägt. Vorher hatten unsere freundlichen Gastgeber uns aber noch dringend ersucht, unser Auto, an dessen Stoßstange ein Harvard-Aufkleber prangte, rasch in ihre Garage zu stellen, damit niemand sehen könne, dass sie Besuch aus dieser verruchten Ost-Küsten-Institution hätten.

Bei der Rückfahrt, bei einem Zwischenaufenthalt an der Universität in Princeton, fasste ich beim Einsteigen in mein Auto plötzlich den Beschluss, das Thema meiner Habilitation, an der ich arbeitete, radikal zu ändern. Ich war mit einem finanzwissenschaftlichen Thema nach Harvard gekommen. Dort – und vor allem auch am benachbarten MIT – wurde ich konfrontiert mit der intensiven ersten Welle der Umweltdiskussion, ausgelöst speziell durch den „Bericht des Club of Rome“ über die „Grenzen des Wachstums“. Es war für mich überaus spannend, diese Aspekte mit Fragen der Finanzpolitik zu verbinden. Ich veröffentlichte in diese Richtung einige Aufsätze und schließlich meine Habilitationsschrift „Wirtschaftspolitik und Umweltschutz“.14

Es war für den deutschen Sprachraum die erste systematische Analyse speziell von Emissionsabgaben und Pfandlösungen unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten, einschließlich eines längeren Kapitels über „Probleme von Umweltschutzsteuern im Konsumgüterbereich: Analyse der Vorschläge zur steuerpolitischen Erfassung der von Automobilen ausgehenden Emissionen“. Die Arbeit hatte großen Erfolg, trug mir etliche Auszeichnungen ein (unter anderem gleichzeitig den Theodor Körner Preis und den Kardinal Innitzer-Preis für die beste Habilitationsschrift) und führte zu Berufungen an die TH (jetzt TU) Darmstadt und die Universität Trier.

Im Laufe der Zeit ging freilich mein Interesse an diesem Thema deutlich zurück. Zum einen, weil ich damals wenig Chancen der wirtschaftspolitischen Anwendung sah, an der mir stets viel liegt. Zum anderen, ehrlich gesagt, weil mich dieses Thema in engen Kontakt mit einer Gruppe von naturwissenschaftlich orientierten Ökologinnen und Ökologen brachte, die mit apokalyptischen Untertönen ihre Modelle präsentierten und wo der Gedanke von Korrekturen durch Lenkungseffekte des Preissystems bisweilen auf wenig Verständnis stieß. Eben diese Lenkungseffekte – konkret: zunächst deutlich gestiegene Energiepreise – haben ja etwa dazu geführt, dass die propagierte Katastrophe der Energieknappheit nicht eingetreten ist, sondern im Gegenteil Tendenzen eines weltweiten Energie-Überangebotes bestehen. Auch das für Ökonomen zentrale Denken in Kosten/Nutzen-Kategorien war bei Diskussionen mit Vertretern von Katastrophen-Szenarien nicht leicht vermittelbar. Insgesamt handelt es sich bei der Frage der umweltpolitischen Herausforderungen zweifellos um kurz- wie langfristig höchst relevante Problemstellungen. Letztlich geht es hier für mich aber um die bekannte Max Weber’sche Unterscheidung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Die Gesinnungsethik stellt ab auf ein bedingungsloses Handeln unter moralischem Primat. Verantwortungsethik bemüht sich, die längerfristigen Gesamtfolgen der getroffenen Maßnahmen zu berücksichtigen – entspricht demnach im weiteren Sinn einem gesellschaftspolitischen Kosten-Nutzen-Denken. Erfreulicherweise hat in den letzten Jahrzehnten die Umweltökonomie insgesamt ja eine Entwicklung zu tieferer analytischer ökonomischer Fundierung eingeschlagen – vielleicht war ich hier zu ungeduldig.

Ich übernahm dann letztlich den Lehrstuhl für Finanzwissenschaft an der Universität Linz, verbunden mit der Funktion als Mitglied, später Präsident, des Verwaltungsrates der Österreichischen Postsparkasse, der ich seit meiner Mitarbeit an der Entstehung des neuen Postsparkassen-Gesetzes verbunden war. In Linz veröffentlichte ich neben meiner Lehrtätigkeit Aufsätze in international anerkannten Fachjournalen. Als einer der ersten – und bis jetzt nicht sehr zahlreichen – europäischen Ökonomen konnte ich in einem Fachjournal der American Economic Association eine umfangreiche Analyse über Besteuerung und Inflation publizieren.15 Diese Arbeit fand große Resonanz und wurde in mehrere Sammelbände aufgenommen. Mein Lehrbuch „Der öffentliche Sektor“, das erstmals 1987 im wissenschaftlichen Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg, erschien, erlebte mehrere Auflagen und erhebliche Bekanntheit in der deutschsprachigen Wirtschaftswissenschaft.

Neben den Arbeiten in den Bereichen der Geld- und Finanzpolitik habe ich mich auch über längere Zeit mit dem Bereich der Regionalökonomie beschäftigt und auch ein Buch zu diesem Thema publiziert.16 Die Anregung dafür hatte ich von Kollegen bekommen, die mit Prof. Hajo Riese von der Universität Basel nach Linz gekommen waren, und die vorher auch am „prognos-Institut“ in Basel, dem damals führenden Zentrum für empirische Regionalforschung, mitgearbeitet hatten. In Übernahme von „prognos“-Methoden verfasste ich 1969 mit meinem Freund und Kollegen Bela Löderer die Studie „Oberösterreich 1980“,17 die erste zukunftsorientierte und umfassende Regionalstudie dieser Art in Österreich. Beim heutigen Wiederlesen dieser Studie habe ich gemischte Gefühle. Insgesamt war sie sehr stark getragen vom manchmal vielleicht übertriebenen Wachstumsoptimismus der 1960er- und 1970er-Jahre, aber sie erfasste doch gut den tiefgreifenden Strukturwandel gerade etwa eines Bundeslandes wie Oberösterreich, das sich in seinem politischen Bewusstsein erst mit Verzögerung vom Agrar- zum Industrieland entwickelte.

In dieser Arbeit war auch das erste Mal eine wissenschaftliche – und auch kritische – Analyse der Finanzwirtschaft eines Bundeslandes enthalten, was mich dann zu einer intensiveren Befassung mit Fragen des Finanzausgleichs zwischen Bund, Ländern und Gemeinden führte. Der „Finanzausgleich“ regelt die Aufteilung des Steueraufkommens zwischen den einzelnen Ebenen des Bundesstaates Österreich und ist damit eine der wichtigsten, aber auch kompliziertesten Grundlagen der öffentlichen Finanzwirtschaft. Im Reformeifer dieser Epoche wurde später einmal von den Finanzausgleichspartnern eine Expertenkommission zur Neugestaltung im Sinne eines „funktionalen“ Finanzausgleiches gebildet, der auch ich angehörte. Es gab viele und sehr interessante Sitzungen mit Top-Experten aus Rechts- und Wirtschaftswissenschaft – eine Übernahme der Ergebnisse durch die Politik konnte aber nicht erreicht werden.

Durch meine regionalökonomische Aktivität wurde ich auch hineingezogen in konkrete Fragen der Raumplanung. Es wurde damals von den Gemeinden verlangt, als Voraussetzung für Mittelzuweisungen längerfristige Entwicklungspläne aufzustellen, was auch Annahmen über die wirtschaftlichen Perspektiven und den entsprechenden Raumbedarf inkludierte. Ich wurde hier immer öfter um Gutachten angefragt und habe dann mit einigen Mitarbeitern außerhalb der Universität eine eigene Studiengruppe für diese Aufgaben eingerichtet. Als ich später Abgeordneter wurde, habe ich diese Arbeitsgruppe an meinen engsten Mitarbeiter weitergegeben.

Es war eine interessante Arbeit mit sehr erheblicher langfristiger Wirkung für die betroffenen Menschen und Wirtschaftsbereiche. So gab es etwa bei Gemeinden im oberösterreichischen Zentralraum zwischen Linz und Wels lange und schwierige Diskussionen mit Bürgermeistern und anderen Gemeindepolitikern. Diese Region war in den 60er-Jahren noch weitgehend agrarisch geprägt und politisch entsprechend dominiert. Es war mir aber klar, dass dies eine zentrale Wirtschaftsachse Österreichs werden könnte, und so bedurfte es langer Gespräche, um die Bereitschaft zu erlangen, entsprechend große Flächen für gewerbliche und industrielle Nutzung in der Planung vorzusehen. Heute ist diese Region in der Tat eine überaus dynamische Kernregion der österreichischen Wirtschaft, wo Tausende Menschen gut bezahlte Arbeit finden.

Zu Beginn der 1970er-Jahre geriet Österreich auch verstärkt ins Visier internationaler Immobilieninvestoren. Aufgrund meiner Kontakte mit Wirtschaftstreuhändern und Beratungsunternehmen wurde ich auch unter diesen Aspekten und meiner – damals noch seltenen – Fähigkeit, Gutachten in englischer Sprache zu erstellen, eingeladen, für entsprechende Investitionsentscheidungen Studien zu erwartbaren, längerfristigen Entwicklungen zu erarbeiten. Ich erinnere mich zum Beispiel mit Vergnügen an Diskussionen, als es darum ging, in Wien ein Bürohochhaus jenseits des Donaukanals zu errichten. Für internationale Investoren war dies damals eine exotische und höchst riskante Gegend, und sie verlangten umfassende Gutachten über die längerfristigen wirtschaftlichen Perspektiven – letztlich wurde der „Galaxy-Tower“ gebaut.

Als Notenbank-Gouverneur hatte ich viele Jahre später das schöne Erlebnis, in diesem – inzwischen mehrfach erweiterten – Bürohaus an der Eröffnung der Weltbank-Niederlassung in Wien teilzunehmen. Die unmittelbare Erfahrung der großen Bedeutung einer langfristig ausgerichteten und sorgfältigen Raum- und Infrastrukturplanung für Bevölkerung und Wirtschaft war für mich auch sehr hilfreich bei meiner späteren Tätigkeit in der Europäischen Investitionsbank.

1978 hat mich die Einladung – oder eher Aufforderung – erreicht, ein Nationalratsmandat zu übernehmen, wovon ich später berichten werde. Ich habe dann 20 Jahre parallel meine Aufgaben als Professor und als Nationalrat ausgeführt. Es war mir extrem wichtig, meine Tätigkeit an der Universität – wenn auch mit reduzierter Lehrverpflichtung (und Gehalt) – gewissenhaft zu erfüllen. Ich wurde in dieser Hinsicht auch recht genau von der Kollegenschaft und den Studierenden beobachtet – ohne dass es ein einziges Mal zu Klagen über mangelnden Einsatz gekommen wäre. Diese Doppeltätigkeit hatte übrigens auch einen disziplinierenden Effekt auf meine politische Arbeit: Ich achtete genau darauf, in meinem „politischen Leben“ nie etwas zu sagen, wofür ich mich in meinem „wissenschaftlichen Leben“, speziell gegenüber meinen Studierenden, hätte schämen müssen.

 

Dieses, in jedem Bereich intensive, doppelte Engagement war allerdings ein organisatorischer, geistiger und letztlich auch physischer Kraftakt, den ich dann – aber erst nach 20 Jahren – wieder beendete. Ich meine aber, dass diese Doppeltätigkeit sowohl für meine Aufgabe als Professor wie für meine politische Aufgabe inhaltlich von Vorteil war. Es gab zu dieser Zeit einige Universitätsprofessoren im Parlament, wobei mich insbesondere mit dem von mir sehr geschätzten Juristen Prof. Felix Ermacora ein kollegiales, ja freundschaftliches Verhältnis verband – trotz unterschiedlicher Parteizugehörigkeit. Ich bin fest davon überzeugt, dass es jeweils zumindest einige Abgeordnete geben sollte, die Politik nicht hauptberuflich betreiben, sondern im stetigen persönlichen Kontakt mit einem „normalen“ Berufsleben bleiben – wobei dies zugegebenermaßen bei manchen Berufen einfacher ist als bei anderen.

1981 folgte ich dann einer Berufung auf den Lehrstuhl für Geld- und Finanzpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU). Mein Amtsvorgänger Prof. Stephan Koren verließ anlässlich seiner Wiederbestellung zum Präsidenten der Oesterreichischen Nationalbank endgültig die WU und unterstützte massiv meine Berufung als seinen Nachfolger. Er war mit den Verhältnissen an der damaligen Wirtschaftsuniversität und speziell im Fachbereich Volkswirtschaftslehre sehr unzufrieden und erhoffte sich von mir Initiativen zu höherer wissenschaftlicher Qualität und größerer Internationalität. Gemeinsam mit einem anfangs noch kleinen Team ist uns das in der Tat gelungen, erleichtert auch durch die Möglichkeit, freigewordene Professuren durch qualifizierte, externe junge Wissenschafterinnen und Wissenschafter – und nicht wie früher fast durchgehend durch Hausberufungen – zu besetzen.

Auch die Universität insgesamt hat durch eine Reihe aktiver, reformorientierter Rektoren einen deutlichen Modernisierungsschub erfahren. Als ich an die Wirtschaftsuniversität kam, war diese Institution zweifellos eine anerkannte, praxisorientierte Ausbildungseinrichtung, entsprach aber noch sehr dem alten Typus der Handelshochschule mit teilweise geringer wissenschaftlicher Fundierung. Im Laufe der Zeit ist es dann gelungen, wissenschaftliche Präsenz und Internationalität deutlich anzuheben, ohne dabei die für die WU spezifische, fundierte Praxisorientierung aufzugeben. Nach meiner Rückkehr aus Luxemburg, wo ich als Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank tätig war, wurde ich vom überaus aktiven „Reform-Rektor“ Christoph Badelt, einem Freund und Fachkollegen, gebeten, das Amt eines Vizerektors für Finanzen zu übernehmen.

Als Vizerektor war ich Teil eines starken, durch kluge Steuerung seitens des Rektors auch harmonischen Teams und habe die Herausforderungen kennengelernt, die sich für das Management einer großen Universität (ich vermeide den Begriff „Massenuniversität“), der größten Wirtschaftsuniversität Europas mit über 20.000 Studierenden, ergeben. Zu diesen Herausforderungen speziell für mein Ressort zählten auch grundlegende Änderungen der Hochschulgesetzgebung, die für die Universitäten die „Entlassung in die Unabhängigkeit“, einschließlich der wirtschaftlichen Selbstständigkeit brachten. Das machte etwa eine eigenständige Finanzplanung notwendig, aufbauend auf Leistungsvereinbarungen mit dem Wissenschaftsministerium, einem neu entwickelten Rechnungswesen und eigenverantwortlicher Personalplanung. Es war harte Arbeit „an der Front“, wobei ich aber darauf bestanden hatte, weiterhin, wenn auch wieder mit erleichterter Lehrverpflichtung, als Professor an meinem Institut zu arbeiten.

Wie bei meinem politischen Engagement half mir diese „Doppelgleisigkeit“ sehr, den Kontakt zum „Geschehen vor Ort“ und damit auch das Vertrauen der Kollegenschaft zu erhalten. Ich habe meine Lehrtätigkeit immer gerne ausgeübt und dafür auch relativ viel Zeit investiert. Auch den nach den damaligen Studienstrukturen recht großen Zeitaufwand für mündliche Prüfungen habe ich nicht nur als Belastung, sondern als Teil des pädagogischen Wirkens gesehen. Auch heute noch werde ich immer wieder von ehemaligen Studentinnen und Studenten darauf angesprochen, wie wichtig das Gespräch, das ich im Fall eines negativen Prüfungserfolges mit ihnen führte, für ihr weiteres Studien- und Arbeitsleben war. Ein System fast ausschließlich schriftlicher Prüfungen, noch dazu vielfach in Form mechanisch leicht auswertbarer „multiple choice“ Formulare, ist bei großen Studierendenzahlen leider oft unvermeidbar. Aber dieses System kann den wichtigen Rückkoppelungseffekt eines persönlichen Gesprächs natürlich nicht erfüllen.

Universitätsmanagement ist angesichts der Vielfalt von Interessen und der häufig sehr ausgeprägten Individualität der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der verschiedenen Mitbestimmungsgremien oft nicht einfach. Aber die Gespräche und Verhandlungen in den ja recht zahlreichen Gremien waren doch stets von einer größeren Rationalität und Kollegialität gekennzeichnet, als ich es in anderen Lebensbereichen erfahren habe. Dies galt für Vertreter des wissenschaftlichen wie des nicht-wissenschaftlichen Personals, und auch für die Vertreter der Hochschülerschaft. Einem eloquenten und auch paktfähigen Vorsitzenden der WU-Hochschülerschaft namens Harald Mahrer bin ich dann später in seinen Funktionen als Wirtschafts- und Wissenschaftsminister und noch später als Präsident des Generalrates der Oesterreichischen Nationalbank wieder begegnet.

Eine so große Universität wie die WU hat ja in ihrer Professorenschaft eine Vielzahl von höchstrangigen Expertinnen und Experten, und ich war stets erfreut – und auch erleichtert –, mit welcher Selbstverständlichkeit diese Kolleginnen und Kollegen ihr – sonst oft hoch bezahltes – Wissen für Aufgaben der Universität bereitstellten. Dies hat sich speziell auch bewährt, als die Universität das große Projekt eines neuen und architektonisch anspruchsvollen Campus begann. Nicht zuletzt durch hauseigene Expertise in Vertragsgestaltung, Projektmanagement, Steuerrecht etc. ist es gelungen, den eindrucksvollen neuen Campus voll im Zeit- und Kostenplan zu errichten. Dies entspricht meinem Bild der Universität als „Universitas“, als Vereinigung von qualifizierten Persönlichkeiten für eine gemeinsame Aufgabe, und ich freue mich, dass ich dies nach meinen guten Linzer Erfahrungen auch an einer großen Universität wie der WU-Wien erleben konnte. Ich selbst habe übrigens in meiner späteren Funktion als „Krisenmanager“ der Bawag-PSK ebenfalls von diesem Netzwerk profitieren können, wo ich von Kollegen vielfach wertvolle freundschaftliche Hinweise und Hilfen bekam.

Nach Ende meiner Tätigkeit als Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank wurde ich eingeladen, wieder eine Vorlesung an „meiner“ Wirtschaftsuniversität zu halten. Ich bin dieser Einladung gerne nachgekommen, war aber leider von den „Corona“-bedingten Einschränkungen des Lehrbetriebes betroffen. Bei meinem kontinuierlichen Kontakten mit der Wirtschaftsuniversität bin ich aber stets beeindruckt von der Qualität der Studierenden und der positiven Weiterentwicklung dieser Universität unter der Führung der energischen Rektorin Edeltraud Hanappi-Egger. Die WU ist sowohl bei Lehrkörper und Studierenden eine internationale Universität geworden, durchgehend zweisprachig. Auch meine Vorlesung – den aktuellen Gegebenheiten geschuldet findet sie überwiegend online statt – halte ich auf Englisch. Sie ist aber nicht nur eine Universität der gegenwärtigen und zukünftigen „Globalisierungs-Gewinner“, sie ist auch Vorreiter in Forschung und Lehre über Fragen der Verteilung und Entwicklung von Lebenschancen, speziell auch von Menschen aus sozial benachteiligten Milieus. Als mir die Nationalbank, wie beim Abschied üblich, freundlicherweise Forschungsmittel zur Vergabe zur Verfügung gestellt hat, habe ich diese Mittel verwendet, um – freilich in bescheidenem Ausmaß – sozial benachteiligten Studierenden Studienaufenthalte im Ausland zu ermöglichen.

Es gibt in Österreich erfreulicherweise keine unmittelbare finanzielle Barriere für ein ordentlich durchgeführtes Studium – sehr wohl aber deutliche finanzielle Barrieren für das Erlangen jener wichtigen Zusatzqualifikationen – wie Auslandsaufenthalte, Spezialkurse und vor allem interessante Praktika – die für einen weiteren Karriereverlauf oft von größter Bedeutung sind. Hier sehe ich die Gefahr, dass es auch im Bereich der akademischen Ausbildung zu einer Zweiklassengesellschaft kommt; zwischen einer bestens ausgebildeten, international mobilen und vernetzten Elite und den „normalen“, lokal orientierten Absolventinnen und Absolventen. Ich habe speziell im Finanzbereich gesehen, dass bei Postenvergaben auch nach objektiven Kriterien diese Elite einen meist nicht aufholbaren Vorsprung hat – und damit indirekt wieder eine Form der sozialen Selektion auftritt. Bezüglich der Berücksichtigung von Minderheitengruppen arbeiten amerikanische Universitäten – vielfach durchaus umstritten – mit Quotensystemen, und es gibt auch großzügige Stipendien für Doktorandinnen und Doktoranden. Im europäischen Kontext wird dieser Aspekt einer sozialen Chancengleichheit im gehobenen Ausbildungsbereich – etwa auch beim Zugang zu teuren Top-Business Schools – zwar diskutiert, ich kenne aber noch wenige konkrete Bemühungen, dieses Problem zu entschärfen.

12Vgl.: Egon Matzner, Ewald Nowotny (Hrsg.): Was ist relevante Ökonomie heute? Festschrift für Kurt W. Rothschild. Metropolis, Marburg 1994.

13Reinhold Mitterlehner: Haltung: Flagge zeigen in Leben und Politik. Ecowin, Salzburg 2019.

14Ewald Nowotny: Wirtschaftspolitik und Umweltschutz. Rombach, Freiburg im Breisgau 1974.

15Ewald Nowotny: Inflation and Taxation. Reviewing the Macroeconomic Issues. In: Journal of Economic Literature 1980, Vol. 18: 1025ff.

16Ewald Nowotny: Regionalökonomie – Eine Übersicht über Entwicklung, Probleme und Methoden. Springer Verlag, Wien-New York, 1971.

17Béla J. Löderer, Ewald Nowotny: Oberösterreich 1980 – Eine Untersuchung der Entwicklung von Bevölkerung, Wirtschaft und Landesfinanzen. Europa Verlag, Wien, 1969.