Just a little Teenage-Dream

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Just a little Teenage-Dream
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Ewa A.

Just a little Teenage-Dream

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Ein paar Worte

Weitere Werke von Ewa A.

Impressum neobooks

Widmung

Just a little Teenage-Dream

Ein Liebesroman von Ewa A.

Impressum

Texte: © Copyright by

E. Altas

79423 Heitersheim

ewa.xy@web.de

Cover:

Bildmaterial:

pixabay_london-441853 (www.pixabay.com)

pixabay_rain-930263 (www.pixabay.com)

Covergestaltung:

Sabrina Baur

“Sophia Silver Coverdesign”

(www.photorina.net)

Alle Rechte vorbehalten.

*

Die Handlung sowie die Personen und Orte in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit Begebenheiten, Orten, lebenden oder toten Personen sind in keiner Weise beabsichtigt und wären purer Zufall.

*

Es gibt Menschen, die sind wie die Flamme einer Kerze.

Mit ihrem Licht halten sie dich auf dem Weg, geben dir Mut ihn weiterzugehen und spenden dir Kraft mit ihrer Wärme.

Diese Geschichte widme ich meinen drei Flammen:

Alara,

Bea und

Ellik


Kapitel 1

Mai 2010

Ist es nicht seltsam, dass man die peinlichen Dinge, die einem im Leben widerfahren, vollkommen vergessen kann, aber die verpassten Chancen nie?

Du möchtest ein Beispiel? Man kann zum Beispiel wunderbar vergessen, dass es einem im letzten Schuljahr vor versammelter Klasse die Hose zerrissen hat, als man sich nach der heruntergefallenen Tafelkreide bückte. Aber man wird es immer bereuen, dass man den geilsten Typen, den man je vor die Augen bekam und der einen ständig herausfordernd anlächelte, nicht angesprochen hat. Und das kann über fünf Jahre und noch länger her sein, man wird es auf ewig bereuen. Tatsache!

Noch seltsamer verhält es sich allerdings mit den Situationen, in denen man gedemütigt wurde. Da scheint man beinahe ein fotografisches Gedächtnis zu besitzen. Diese Erinnerungen brennen sich einem ins Gehirn ein und tauchen immer wieder auf - wie eine Boje auf hoher See. Blubb!! Und da treiben sie dann, an der Oberfläche der Gedankensuppe. Unerwartet aus dem Nichts sind sie auf einmal da, abrufbar bis in jede (und ich meine wirklich jede) verdammte Einzelheit.

Bevor ich weiter ins Blaue philosophiere, sollte ich mich vielleicht erst vorstellen. Also, ich bin Karen, dreiundzwanzig Jahre alt und nicht gerade eine Augenweide. Meine Körpergröße wäre für ein Mädchen, das Model werden will, perfekt, aber wegen meiner Figur bin ich nun mal keins, leider. Ich habe eine Haarfarbe, die ich nach Ansicht einiger damaliger Klassenkameraden hätte besser ändern sollen, weil rot anscheinend nicht in die Top-Drei ihrer bevorzugten Haarfarben gehörte. Am wenigsten hasse ich an mir meine Augen, da ich für ihr Vergissmeinnichtblau schon ein paar Komplimente einheimsen durfte. Allerdings bekomme ich schneller einen Sonnenbrand als man Mallorca sagen kann und weil ich alles, was weiter als zehn Meter von mir entfernt ist, nur verschwommen sehe, benötige ich manchmal eine Brille.

Naja, wie man lesen kann, bin ich erstens das Anti–Schneewittchen und zweitens ein verrücktes Huhn. Da sich damit leider kein Geld verdienen lässt, schufte ich als Sekretärin in einem Versicherungsunternehmen. Ich falle also nicht in die Kategorie: außergewöhnlich.

Wahrscheinlich bist du rein zufällig hier zwischen diesen Buchseiten gelandet. Aber da du schon mal hier bist, möchte ich dir eine total verrückte Geschichte erzählen, die mir passierte. Mach es dir bequem, hol dir etwas zu trinken, denn das kann ein bisschen länger dauern.

Zurück zu den von mir zuvor erwähnten eingebrannten Einzelheiten meiner Demütigung.

Ich war wirklich glücklich an jenem Tag. Es roch nach Sommer, nach gemähtem Gras und heißem Asphalt. Die Bienen schwirrten in den Lavendelsträuchern umher.

Der Wocheneinkauf und die letzte Anprobe meines Hochzeitskleides lagen gerade hinter mir. Endlich passte mir dieser Traum in Weiß, ein Korsagenkleid mit einem schmalen, langen Rock, der mit unzähligen winzigen Glitzersteinen bestickt war.

Da ich zwar recht groß bin, aber leider nicht superschlank, sondern … nennen wir es drall, war es schier unmöglich gewesen, etwas zu finden, in dem ich nicht wie eine Schneelawine aussah. Nach ein paar Änderungen saß das Kleid perfekt und ich hoffte, innerhalb der letzten drei Wochen vor meiner Hochzeit nicht mehr zuzunehmen.

Peter, mein Verlobter, wollte, dass wir uns um die Mittagszeit bei ihm zu Hause trafen. Da ich nach der Heirat bei ihm einziehen sollte, war meine Wohnung bereits zum Ende des nächsten Monats gekündigt, mit Umzug-Kartons vollgestopft und dementsprechend ungemütlich. Also fuhr ich gleich vom Brautladen aus zu Peter.

Der weiße Wagen meiner Arbeitskollegin Desiree parkte ebenfalls schon vor seinem Haus, was mich nicht überraschte. Wir hatten nämlich vereinbart, uns bei ihm zu treffen, um gemeinsam in einer Gärtnerei, den Tischschmuck für die Festtafel auszusuchen.

Desiree hatte mich in den letzten Wochen bei den Vorbereitungen zur Hochzeit sehr unterstützt. Ich war froh, eine so gute Freundin wie sie gefunden zu haben. Sie ging sogar mit Peter den Hochzeits-Anzug aussuchen, da ich an jenem Tag doch nicht frei bekommen hatte, weil mein doofer Chef, Herr Becker, mal wieder ganz spontan auf eine Geschäftsreise gehen musste. Und ich war damals die Auserwählte gewesen, die kurzfristig seine Reise, wie auch die Vertretung für seine Abwesenheit, hatte arrangieren dürfen.

Überladen mit Tüten voller Lebensmittel stolperte ich nun den schmalen Weg entlang, durch den gepflegten Vorgarten, auf das Reihenhaus meines Verlobten zu. Ich klingelte mit dem Ellenbogen und Peter öffnete mir die Tür. Da mir fast die Arme vom Gewicht meines Einkaufs abfielen, rauschte ich mit einem platten „Hallo“ an ihm vorbei, direkt in die Küche und stellte meinen Ballast auf der Kücheninsel ab.

Peters Wohnung war gegen meine Schuhschachtel riesig. Natürlich verdiente er, als zweiter Geschäftsführer (sein Vater ist übrigens erster) einer Großbäckerei, um einiges mehr als ich.

Sofort machte ich mich daran, die Lebensmittel auszupacken und in den Schränken zu verstauen. Nebenher plapperte ich munter drauflos: „Gott sei Dank, das mit dem Kleid wäre erledigt. Jetzt müssen wir uns nur noch wegen der Blumen einig werden. Das Probeessen vom Catering ist ja erst nächste Woche und …“

Peter war mir in die Küche gefolgt. Mit ernster Miene schaute er mir bei der Arbeit zu. „Karen, wir müssen reden.“

Etwas verwirrt blinzelte ich ihn an. Taten wir das denn nicht gerade?

Mit einem schuldbewussten Ausdruck auf seinem einnehmenden Gesicht wartete er auf eine Reaktion von mir. Seine blonde Prinzen-Föhn-Frisur lag wie immer perfekt. Angespannt biss er die Zähne zusammen, so dass sein Kirk-Douglas-Gedächtnisgrübchen noch tiefer wurde.

War er nervös?

Mittlerweile war Desiree hinter ihn getreten und begrüßte mich flötend über seine Schulter hinweg: „Hallo, Karen.“

„Hi, Desiree. Schön, dass du schon da bist“, erwiderte ich lächelnd und wandte mich dann leicht genervt wieder an meinen Verlobten. „Oh nein, sag nicht, dass die Band abgesagt hat?“

 

„Nein, … es geht nicht darum.“ Peter rieb sich seine Unterarme. Ein weiteres Anzeichen für seine Nervosität. Langsam hörte ich mit dem Auspacken auf.

Desiree, wie immer topgestylt in einem schwarzen Mini, viel zu hohen High-Heels und einem roten Shirt mit schwarzen Tupfen, erinnerte mich an einen überdimensionalen Marienkäfer. Gebannt betrachtete sie Peter von der Seite. Ihr akkurat geschnittener Pagenkopf leuchtete bronzefarben in den gleißenden Sonnenstrahlen, die durch die breite Fensterfront hereinfielen. Der grellrot geschminkte Mund lächelte erwartungsvoll. Staubkörnchen tanzten wie Konfetti durch die Luft. Es roch nach Kaffee, den Peter kurz zuvor aus dem Kaffeevollautomaten herausgelassen hatte.

„Um was geht es denn?“, fragte ich tonlos.

Und dann kam die Antwort, auf die ich nicht vorbereitet war. Zwei Wörter nur, die alles veränderten.

„Um uns.“ Peter schluckte, ich sah seinen Adamsapfel hüpfen.

Desiree begutachtete mich lauernd. Ihre Lippen waren leicht geöffnet.

Mein Blick wechselte von ihr zu ihm. „Sollten wir nicht - nachher darüber reden?“

Fassungslos stand ich da, mit einer Zehnerpackung weißer Bio-Eiern aus Freilandhaltung in den Händen. Peter senkte sein Haupt und wich auf diese Weise meinem Blick aus.

Plötzlich lag Desirees manikürte Hand auf seiner Schulter. Ihre spitzen, roten Fingernägel krallten sich leicht in sein weißes Polohemd. Prompt hob sich sein Kopf wieder mir entgegen, als hätte er aus dieser Geste Mut geschöpft.

„Nein, es kann nicht länger warten“, sagte er entschlossen.

Diesmal schluckte ich, denn diese Hand, die auf seiner Schulter lag, sagte mir bereits alles. Sein um Vergebung heischender Blick und Desirees hämisches Grinsen wären gar nicht mehr nötig gewesen, um mir klar zu machen, was gleich auf mich zukommen würde.

Langsam schüttelte ich meinen Kopf. Das konnte nicht sein!

„Nein! Nein, nein“, kam es leise über meine Lippen, denn ich glaubte, es aufhalten zu können.

Doch Peter sprach ungerührt weiter. „Ich kann dich nicht heiraten … Ich wollte es dir schon früher sagen, glaub mir, aber …“ Sein Flüstern erstarb. Erneut holte er Luft. „Keiner von uns hat es geplant. Es ist einfach passiert.“ Sein „Wir lieben uns einfach, Karen!“ ließ mich qualvoll aufschluchzen.

Wo war plötzlich der Boden hin? Ich schwebte über einem Abgrund. Auf einmal war nichts mehr wie zuvor. Während die Welt auf dem Kopf stand, war meiner wie leergefegt. Aber gleich darauf füllte er sich mit all den Kleinigkeiten, die ich wochenlang für die Hochzeit vorbereitet hatte. Mein Kleid, der Pfarrer, die Kirche, das Catering …

Ich stellte die Eier ab und hielt mich an der kalten Granitplatte der Kücheninsel fest. In jenem Moment schien mir die das einzige Stabile in meinem Leben zu sein, an dem ich mich festhalten konnte. Mit kugelrunden Augen starrte ich die beiden an und fragte völlig konfus: „Und was machen wir mit dem Hochzeitstisch in Rossners Geschenkeladen?“

Desiree räusperte sich kurz, um mir dann grausam lächelnd die nächste Bombe an den Kopf zu werfen. „Ach, ich denke das ist kein Problem. Wir tauschen einfach die Namen auf dem Tischkärtchen aus. Statt Peter und Karen wird es dann Peter und Desiree heißen.“

Ich quiekte hysterisch auf wie ein kleines Schweinchen, das zur Schlachtbank geführt wurde.

Ausgetauscht! Ich wurde ausgetauscht … So einfach war das.

„Und das Kleid?“, stammelte ich. „Willst du das auch?“

Abfällig lachend verneinte Desiree, so dass ihre glatten Haare synchron um ihr Gesicht wogten. „Sei nicht albern! Wie soll ich noch so schnell zunehmen, damit ich da reinpasse?!“

Mein Gehirn arbeitete mittlerweile auf Autopilot und verzweifelt suchte ich nach Peters Beistand. Das konnte nur ein Scherz sein, oder?

„Aber, aber was sagen deine Eltern …? Die, die Hochzeitsfeier ... bei euch?“, stotterte ich hoffnungsvoll.

Wieder meldete sich Desiree zu Wort. Peter war schon längst verstummt und glotzte nur noch zwischen ihr und mir hin und her, wie ein gehetztes Kaninchen beim Tennis.

„Sie werden erleichtert aufatmen. Schon lange reden sie auf Peter ein, dass er dich verlassen soll. Wusstest du das nicht? Du kommst nun mal nicht aus unseren Kreisen“, frohlockte meine adrette Arbeitskollegin.

„Nein!“, flüsterte ich ungläubig. „Stimmt das, Peter?“

„Das spielt jetzt keine Rolle mehr, Karen“, meinte er lahm und scheute noch immer den Augenkontakt mit mir.

Ich schluckte. Ja, jetzt ergab einiges am Verhalten seiner Eltern Sinn. Dieses aufgesetzte Lächeln seiner Mutter, ihre pikierte Art und Weise mir gegenüber, als hätte ich sie beleidigt. Dieser herablassende und zugleich abwägende Blick seines Vaters. Alles passte nun zusammen. Deswegen war ich mir nie wie die angehende Schwiegertochter vorgekommen, sondern wie ein Gast oder noch schlimmer, wie ein lästiger Eindringling.

Peter war bei meinen Eltern dagegen aufs Allerherzlichste aufgenommen worden. Ich würde schwören, dass sie ihn vom Fleck weg adoptieren würden, wenn sie es könnten. Meine Mutter riss ihn schon an der Tür an sich und schleppte ihn ins Wohnzimmer, um ihn neben meinem Vater auf das Sofa zu platzieren, wo dieser ihm bereitwillig eine seiner wohlbehüteten Bierflaschen in die Hand drückte. Mich, ihre einzige Tochter, vergaßen sie an der Haustür.

Ich konnte Peter und Desiree bloß noch stumm anstarren, meine Beine schienen leblos geworden zu sein.

„Karen, es wäre mit uns nie gut gegangen. Ehrlich gesagt, … bist du nicht mal mein Typ … Weißt du, eigentlich stehe ich mehr auf klein und zierlich.“

Peters Worte ließen mich auf den knallharten Boden der Wirklichkeit schmerzhaft aufschlagen.

„Eigentlich nicht dein Typ?!“, echote ich bestürzt und konnte nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte.

Ich versuchte, den Kloß im Hals herunterzuschlucken, doch der blieb, wo er war.

Es tat schrecklich weh, sich so etwas anhören zu müssen. Musste er mir vor Desiree ausgerechnet das sagen, was mich am meisten verletzte? Und das, obwohl er mein Komplexe ganz genau kannte? Mit meiner überdurchschnittlichen Größe und dem (für meinen Geschmack) viel zu hohen Kampfgewicht fühlte ich mich sowieso schon wie eine wabbelnde Wikinger-Walküre. Schlachtschiff!, Wuchtbrumme! hörte ich im Geiste wieder meine alten Klassenkameraden pöbeln, woran die zerrissene Hose bestimmt nicht unschuldig war. Ganz zu schweigen von den Spitznamen, die mir meine roten Haare eingebracht hatten. Davon waren Feuerwehrmelder und Kupferkopf noch die schmeichelhaftesten gewesen.

„Ich werde mich um alles kümmern. Du brauchst lediglich deine Eltern und Verwandten zu informieren, dass ... wir uns getrennt haben.“

Aufatmend, als habe er eine Heldentat vollbracht, richtete Peter sich wieder zur vollen Größe auf und schaute mir in die Augen.

„Okay, okay.“ Vor mich hin nickend, wie der Wackeldackel auf der Kofferraumablage meines verstorbenen Opas, schritt ich betäubt aus der Wohnung.

Einem seelenlosen Zombie gleich, noch immer mit wackelndem Kopf, setzte ich mich ins Auto und fuhr nach Hause, zu meiner Schuhschachtel.

Jep, so ein Erlebnis bleibt dir in Erinnerung, ob du willst oder nicht.

Kapitel 2

Zuhause in meinem Chaos kamen dann endlich die Tränen. Mein Verstand weigerte sich, es zu verstehen.

Peter liebte mich nicht mehr? Wann war das passiert? Hatte er ganz plötzlich damit aufgehört oder nach und nach? Und wieso habe ich davon nichts mitbekommen? War ich so mit den Hochzeitsvorbereitungen beschäftigt gewesen, dass ich nicht gerafft hatte, dass die zwei es hinter meinem Rücken miteinander getrieben haben?

Im Geiste sah ich mich seelenruhig und treudoof auf dem Sofa sitzen, während hinter mir Peter liebestoll über Desiree herfiel.

Ich war so sehr verletzt, dass ich nicht mal wütend wurde. Peters Zurückweisung schmerzte mich wie ein Stich in die Brust. Es schnürte mir den Atem ab. All meine Komplexe waren mit einem Schlag wieder da und stärker als jemals zuvor.

Eine rothaarige, hellhäutige Kuh war ich und würde ich immer bleiben. Kein Mann würde mich jemals attraktiv finden, geschweige denn, sich in mich verlieben.

Schluchzend beschloss ich, erst einmal mit meinem allerbesten Freund Harry zu telefonieren. Weil er Desiree noch nie leiden konnte, war er genau die richtige Person, mit der ich erbarmungslos über sie herziehen konnte.

„Was sagst du da? Das darf doch wohl nicht wahr sein! Hab ich es dir nicht immer wieder gesagt, dass Krüppelzeh eine falsche Schlange ist?“, schrie mir seine näselnde Stimme aus dem Hörer entgegen.

Harry hatte Desiree den Spitznamen ‚Krüppelzeh‘ verpasst, weil er steif und fest behauptete (und das bis heute), dass sie sich vom zu vielen High-Heels-Tragen verkrüppelte Hammerzehen zugezogen hätte. Keine Ahnung, woher er das wusste.

„Aber nein, du wolltest mir ja nicht glauben Nein Harry, sie hilft mir nur“, äffte er mich nach. Zittrig holte ich Luft, doch Harry explodierte weiter. “Ja, jetzt wissen wir, wem sie geholfen hat … Ääh, igitt! Ich will es mir gar nicht vorstellen. Süße, die hat nicht deine Hochzeit vorbereitet, sondern ihre eigene.“ Ich schluchzte in ein Taschentuch, während Harry weiter redete. “Was kannst du auch von jemandem erwarten, der jeden Tag, und das vierundzwanzig Stunden lang, High Heels trägt?“

Jammernd heulte ich ins Telefon: „Peter sagte, dass ich eigentlich nicht sein Typ wäre, ich sei zu groß und zu fett.“

„Eigentlich … ist Peter ein Arschloch“, stellte Harry trocken fest.

Ich lachte verzweifelt auf. „Ich denke mir etwas ganz Gemeines aus, was ich ihnen antun werde“, schniefte ich schließlich ruhiger.

„So ist es richtig, Schätzchen! Denen zeigen wir, wo der Hammer hängt. Wobei ... Desiree braucht keinen mehr, die hat ja schon zwei an ihren Füßen.“

Lachend heulte ich wieder los.

Wie nicht anders zu erwarten, ging es mir nach diesem Gespräch ein wenig besser. Die positive Wirkung auf das eigene Wohlbefinden von verdeckten, verbalen Attacken gegen einen Widersacher, wird meines Erachtens viel zu sehr unterschätzt.

Doch ich ahnte, dass dieser positive Effekt nach dem darauffolgenden Telefonat wieder dahin sein würde. Denn leider musste ich meine Eltern noch über die geplatzte Hochzeit in Kenntnis setzen.

Je älter ich wurde, desto schwerer fiel mir der wöchentlich abverlangte Anruf bei meinen Eltern. Wer ließ sich schon gerne jede Woche von seiner Mutter wie ein minderbemitteltes Häufchen Elend behandeln? Mit meinem Vater telefonierte ich dagegen gerne, weil er nicht mal ansatzweise an einem Gespräch Interesse zeigte. Immer auf seinem Fernsehsofa (wenn er mal zu Hause war), rief er meiner Mutter während des Telefonats zu: „Sag ihr Grüße, wir sprechen das nächste Mal miteinander.“ Ja, und das sagte er jede Woche.

Nicht, dass ich meine Eltern nicht liebte. Nein, ich liebte sie wirklich. Ich wusste, dass sie auf vieles verzichtet hatten, um mir einiges von dem bieten zu können, was lediglich die wohlhabenden Kinder in meiner Klasse hatten. Und genau das war das Problem. Während meine Mutter ihren Putz-Jobs nachging, brütete sie die fixe Idee aus, dass ich es noch viel weiterbringen müsste als sie selbst, in Beziehung Geld. Schließlich glaubte sie, zum Glücklichsein bräuchte man nur vermögend zu sein. Mein Vater, der als Fernfahrer arbeitete, war selten zu Hause. Er hatte übrigens keine Meinung dazu oder die gleiche wie meine Mutter. Ich hatte keine Ahnung – wir telefonierten ja nicht.

„Oh mein Gott, das ist ja schrecklich! Wie hast du das denn wieder fertiggebracht? Was sagen wir bloß der Verwandtschaft? Tante Erika wird sich das Maul zerreißen. Bist du sicher, dass Peter dich nicht mehr zurückhaben will? Wäre ja schade, er war so eine gute Partie, gerade für dich. Du weißt ja, Kind, mit deiner Körpergröße und deinen roten Haaren ist das nun mal nicht so einfach, jemanden zu finden, der ...“

Ja, da war er wieder. Der Moment, in dem ich einmal mehr überlegte, ob ich in das Telefontischchen reinbeißen oder mich zum nächsten illegalen Medikamentenversuch anmelden sollte. Möglicherweise hegst du gerade den gleichen Verdacht wie ich, dass meine Komplexe hier ihren Ursprung haben könnten.

„Nein, Mutter, mir wurde deutlich gesagt, dass er eine Andere liebt und seine Eltern mich nicht als Schwiegertochter möchten, weil ich nicht aus ihren gesellschaftlichen Kreisen stamme.“

 

Dass Peter jetzt erst, nach über einem Jahr, bewusst geworden war, dass er mich doch nicht attraktiv fand, konnte ich ihr nicht auch noch auf die Nase binden. Ich brachte es einfach nicht fertig. Es reichte ja schon, dass sie wusste, dass er eine andere liebte.

„Oh…“, erwiderte sie gekränkt. „Nur weil wir nicht gut betucht sind? So eine Frechheit!“

Ihr letzter Satz überraschte mich dann doch, weil gewöhnlich alles, was Peter oder seine Eltern taten, vollkommen richtig war, wie meine Mutter stets betonte.

„Gut, dass Peter die gesamten Kosten für die abgesagte Feier übernimmt“, beruhigte sie sich selbst.

Ein tröstendes Wort für mich, ihre Tochter, die sitzengelassene Braut, hatte sie allerdings nicht übrig. Dass mein Selbstwertgefühl zu dem Zeitpunkt auf dem Stand eines gebrauchten und wieder getrockneten Teebeutels angelangt war, brauche ich wohl nicht zu erwähnen, oder? Frustrierter konnte ich nicht mehr werden.

Traurig erklärte ich ihr: „Es hörte sich eher an, als würde er die Hochzeit nicht absagen, sondern sie nur mit einer anderen Braut feiern.“

Mutter trauerte schwer dem entgangenen gesellschaftlichen Aufstieg nach, derweil mein Vater im Hintergrund nebenbei fragte: „Muss ich was zahlen? – Nein? Na, wenigstens ist das umsonst.“

Ja, da hatte er ausnahmsweise mal den Nagel auf den Kopf getroffen.