Три товарища / Drei Kameraden

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3

Am Dienstag vormittag saßen wir vor unserer Werkstatt im Hof und frühstückten, Der Cadillac war fertig. Lenz hielt ein Blatt Papier in der Hand und schaute uns triumphierend an. Er war unser Reklamechef. Er las uns vor, was er für den Verkauf des Wagens verfaßt hatte.

»Urlaub an südlichen Gestaden im Luxusgefährt«.

Köster und ich schwiegen eine Weile.

»Wozu lange reden«, unterbrach ich ihn. »Das ist ein Inserat für einen Kurort oder eine Schönheitscreme, aber nicht für ein Automobil.«

Lenz öffnete den Mund.

»Augenblick«, fuhr ich fort. »Fragen wir mal Jupp. Das ist die Stimme des Volkes!«

Jupp war unser einziger Angestellter, ein Junge von fünfzehn Jahren, der eine Art Lehrlingsstelle bei uns hatte. Er bediente die Benzinpumpe, besorgte das Frühstück und räumte abends auf. Er war klein, übersät mit Sommersprossen und hatte die größten abstehenden Ohren, die ich kannte. Lenz las ihm das Inserat vor.

»Würdest du dich für so‚ nen Wagen interessieren, Jupp?« fragte Köster.

»Einen Wagen?« fragte Jupp zurück. Ich lachte.

»Natürlich einen Wagen. Meinst du ein Pferd?«

»Hat er Schnellgang, von oben gesteuerte Nockenwelle und hydraulische Bremsen?« erkundigte Jupp sich ungerührt.

»Schafskopf, es ist doch unser Cadillac«.

»Nicht möglich«, erwiderte Jupp und grinste von einem Ohr zum andern.

»Da hast du‘s, Gottfried!« sagte Köster. »Das ist die Romantik von heute.«

Lenz verschwand mißmutig in der Bude.

Ein paar Minuten später erschien Oberinspektor Barsig plötzlich in der Hoftür. Wir empfingen ihn mit großen Ehren. Er war Ingenieur und Sachverständiger der PhönixAutoversicherung, ein wichtiger Mann, um Reparaturen zugewiesen zu bekommen. Wir standen glänzend mit ihm. Als Ingenieur war er zwar ein scharfer Satan, der nichts durchgehen ließ, aber als Schmetterlingsfachmann war er weich wie Butter. Er hatte eine große Sammlung, und wir hatten ihm einmal einen dicken Schwärmer geschenkt, der nachts in unsere Werkstatt geflogen war. Es war ein Totenkopf, die ihm in seiner Sammlung noch gefehlt hatte. Er vergaß uns das nie und besorgte uns seitdem Reparaturen. Wir fingen ihm dafür jede Motte, die wir erwischen konnten.

»Einen Wermut, Herr Barsig?« fragte Lenz.

»Keinen Alkohol vor abends«, erwiderte Barsig. »Eisernes Prinzip bei mir.«

»Prinzipien muß man durchbrechen, sonst machen sie keine Freude«, erklärte Gottfried und schenkte ein.

Barsig wischte sich den Schnurrbart.

»Ich bringe Ihnen eine gute Nachricht. Sie können den Ford abholen. Die Direktion hat bewilligt, daß Sie die Reparatur machen.«

»Großartig«, sagte Köster. »Wir können sie gut brauchen. Und wie steht es mit unserm Kostenanschlag?«

»Auch bewilligt.« Barsig stand auf und verabschiedete sich. »Denken Sie an«, sagte er im Gehen, »die Frau, die mit in dem Ford war, ist vor ein paar Tagen doch noch gestorben. Hatte nur Schnittwunden. Wahrscheinlich zuviel Blut verloren.«

»Wie alt war sie denn?« fragte Köster.

»Vierunddreißig«, erwiderte Barsig. »Schwanger im vierten Monat. Mit zwanzigtausend Mark versichert.«

Wir fuhren gleich los, um den Wagen zu holen. Er stand bei einem Bäckermeister. Der Mann war nachts halb betrunken. Nur seine Frau war verletzt worden; er selbst hatte nicht einen Kratzer bekommen. Wir trafen ihn in der Garage, als wir den Wagen zum Abschleppen fertigmachten. Er sah uns eine Zeitlang schweigend zu.

»Wann ist der Wagen fertig?« fragte er.

»In drei Wochen«, erklärte Köster.

Der Mann wollte kostenlos ein neues Verdeck, für das die Versicherung nicht haftbar war, in die Reparatur hineinschmuggeln. Wir stritten uns eine Weile herum. Schließlich gab Köster nach. Er hätte es nicht getan, wenn wir nicht Arbeit gebraucht hätten.

»Ich komme in den nächsten Tagen, den Stoff aussuchen. Beige, denke ich.«

Wir fuhren los. Draußen zeigte Lenz auf die Sitze des Fords. Sie hatten große schwarze Flecken.

»Das Blut seiner toten Frau. Und ein neues Verdeck herausgeschunden. Beige. Alle Achtung. Dem trau‘ ich auch zu, daß er die Versicherungssumme für zwei Tote‚ rausholt. Die Frau war ja schwanger.«

»Möglich«, sagte Lenz. »Es soll ja Leute geben, für die so was direkt ein Trost im Unglück ist. Uns kostet es glatt fünfzig Mark von unserm Verdienst.«

Nachmittags ging ich nach Hause. Ich war um fünf Uhr mit Patrice Hollmann verabredet, aber ich sagte in der Werkstatt nichts davon. Nicht, daß ich es verbergen wollte; aber es kam mir auf einmal ziemlich unwahrscheinlich vor. Sie hatte mir ein Café als Treffpunkt angegeben. Ich kannte es nicht; ich wußte nur, daß es ein kleines, elegantes Lokal war. Ahnungslos ging ich hin. Ich war in eine typische Damenkonditorei geraten. Mit Mühe gelang es mir, einen Tisch, der gerade frei wurde, zu ergattern. Außer mir waren nur noch zwei Männer da, und die gefielen mir nicht.

»Kaffee, Tee, Schokolade?« fragte der Kellner.

»Einen großen Kognak«, erwiderte ich.

Er brachte ihn. »Vier Plätze, bitte!« sagte er und zeigte auf meinen Tisch.

»Halt«, antwortete ich, »der Tisch ist nicht frei. Ich erwarte jemand.«

»Das geht nicht, mein Herr!« sagte der Kellner. »Um diese Zeit können keine Plätze reserviert werden.«

»Können Sie mir wenigstens noch einen Kognak bringen?« knurrte ich den Kellner an.

»Sehr wohl, mein Herr. Wieder einen großen?«

»Ja.«

»Bitte sehr.«

Er verbeugte sich.

»Es ist doch ein Tisch für sechs Personen, mein Herr«, sagte er entschuldigend.

»Schon recht. Bringen Sie nur den Kognak.«

Das ganze Unternehmen erschien mir plötzlich lächerlich. Was wollte ich hier? Und was wollte ich von dem Mädchen? Ich wußte nicht einmal, ob ich sie in all dem Durcheinander überhaupt wiedererkennen würde. Ärgerlich schüttete ich meinen Kognak hinunter.

»Salute!« sagte jemand hinter mir.

Da stand sie und lachte. Ich war plötzlich verwirrt. Das Mädchen sah ganz anders aus, als ich es in Erinnerung hatte. Es wirkte wie eine schmale, junge Amazone, kühl, strahlend, sicher und unangreifbar. Das wird nie etwas mit uns, dachte ich und sagte:

»Wo sind Sie denn nur so geisterhaft hergekommen? Ich habe doch die ganze Zeit die Tür beobachtet.«

Sie zeigte nach rechts hinüber.

»Dort drüben ist noch ein Eingang. Aber ich habe mich verspätet. Warten Sie schon lange?«

»Gar nicht. Höchstens zwei, drei Minuten. Ich bin auch erst eben gekommen.«

»Wollen wir hier bleiben?« fragte ich.

Sie sah mich belustigt an.

»Ich fürchte, Cafés sind überall gleich.« Ich schüttelte den Kopf.

»Wenn sie leer sind, sind sie besser. Wir könnten am besten in eine Bar gehen.«

»In eine Bar? Gibt es denn Bars, die am hellen Tage offen sind?«

»Ich weiß eine«, sagte ich. »Sie ist allerdings sehr ruhig. Wenn Sie das mögen…«

»Manchmal schon…«

Ich blickte auf. Ich konnte im Augenblick nicht feststellen, wie sie das meinte. Ich hatte nichts gegen Ironie, wenn sie nicht gegen mich ging; aber ich hatte ein schlechtes Gewissen.

»Also gehen wir«, sagte sie. Ich winkte dem Kellner.

»Drei große Kognaks«, brüllte er. »Drei Mark dreißig!«

Das Mädchen drehte sich um.

»Drei Kognaks in drei Minuten? Ganz schönes Tempo!«

»Es sind noch zwei von gestern dabei.«

Ich sah sie an. Sie erschien mir wie aus einer andern Welt. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, was sie war und wie sie lebte.

Die Bar war sicherer Boden für mich. Fred, der Mixer, stand hinter der Theke und polierte gerade die großen Gläser für Kognak, als wir hereinkamen. Er begrüßte mich, als sähe er mich zum erstenmal und hätte mich nicht vor zwei Tagen noch nach Hause bringen müssen. Der Raum war leer bis auf einen Tisch. Dort saß, wie fast immer, Valentin Hauser. Ich kannte ihn vom Kriege her; wir waren in derselben Kompanie gewesen.

»Salü, Valentin!« Er blickte auf und nickte.

»Salü, Robby!«

Wir setzten uns in eine Ecke. Der Mixer kam.

»Was möchten Sie trinken?« fragte ich das Mädchen.

»Vielleicht einen Martini«, erwiderte sie. »Einen trockenen Martini.«

»Darin ist Fred Spezialist.«

Fred erlaubte sich ein Lächeln.

»Mir wie immer«, sagte ich.

Die Bar war kühl und halbdunkel. Sie roch nach vergossenem Gin und Kognak. Ich war etwas verlegen und wußte nicht recht, wie ich ein Gespräch anfangen sollte. Ich kannte das Mädchen ja überhaupt nicht, und je länger ich es ansah, um so fremder erschien es mir. Es war lange her, daß ich mit jemand so zusammen gewesen war; ich hatte keine Übung mehr darin. Ich hatte mehr Übung im Umgang mit Männern. Vorhin, im Café, war es mir zu laut gewesen – jetzt, hier, war es plötzlich zu ruhig.

Fred brachte die Gläser. Wir tranken. Der Rum war stark und frisch. Er schmeckte nach Sonne.

»Gefällt es Ihnen hier?« fragte ich.

Das Mädchen nickte.

»Um so besser, daß es Ihnen dann hier gefällt. Wir sind oft hier. Abends ist diese Bude für uns schon fast so eine Art Zuhause.«

Sie lachte.

»Ist das nicht eigentlich traurig?«

»Nein«, sagte ich.

Fred brachte mir das zweite Glas. Er legte eine grüne Havanna dazu auf den Tisch.

»Von Herrn Hauser.« Valentin winkte aus seiner Ecke herüber und hob sein Glas.

Ich nickte ihm zu und hob ebenfalls mein Glas.

»Er ist mein Freund«, sagte ich zu dem Mädchen. »Ein Kamerad aus dem Kriege. Er weiß nicht mehr, was er mit seinem Leben anfangen soll – deshalb freut er sich einfach, daß er noch lebt.«

Sie sah mich nachdenklich an. »Das kann ich gut verstehen«, sagte sie.

Ich blickte auf. »Dafür sind Sie viel zu jung.«

Sie lächelte. Es war ein leichtes, schwebendes Lächeln, das nur in den Augen war.

»Zu jung«, sagte sie, »Ich finde, zu jung ist man nie. Nur immer zu alt.«

 

Ich schwieg einen Augenblick. Das Mädchen war so sicher und selbstverständlich; ich fühlte mich wie ein Holzblock dagegen. Ich hätte gern ein leichtes, spielerisches Gespräch geführt. Lenz konnte das; bei mir aber wurde es immer schwer.

»Wollen Sie nicht noch einen Martini nehmen?« fragte ich das Mädchen.

»Was trinken Sie denn da?«

»Das hier ist Rum.« Sie betrachtete mein Glas.

»Das haben Sie neulich auch schon getrunken.«

»Ja«, sagte ich, »das trinke ich meistens.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß das schmeckt.«

»Ob es schmeckt, weiß ich schon gar nicht mehr.«

Sie sah mich an. »Weshalb trinken Sie es denn?«

»Rum«, sagte ich, froh, etwas gefunden zu haben, über das ich reden konnte. »Rum hat mit Schmecken nicht viel zu tun. Er ist nicht so einfach ein Getränk – er ist schon mehr ein Freund. Ein Freund, der alles leichter macht. Er verändert die Welt. Und deshalb trinkt man ja« Ich schob das Glas beiseite. »Aber soll ich Ihnen nicht noch einen Martini bestellen?«

»Lieber einen Rum«, sagte sie. »Ich möchte ihn auch mal versuchen.«

»Gut«, erwiderte ich, »aber nicht diesen. Der ist für den Anfang zu schwer. Bring einen Baccardi-Cocktail«, rief ich zu Fred hinüber.

Fred brachte die Gläser. Er setzte auch eine Schale mit Salzmandeln und schwarzgebrannten Kaffeebohnen dazu.

»Laß meine Flasche nur gleich hier stehen«, sagte ich.

Langsam schwand die Unsicherheit, die Worte kamen von selber, und ich achtete nicht mehr so darauf, was ich sagte. Ich trank weiter und spürte, wie die große, weiche Welle herankam und mich erfaßte. Plötzlich war es nicht mehr die Bar – es war eine Ecke der Welt. Das Mädchen war fremd und geheimnisvoll. Ich hörte mich sprechen, aber es war, als wäre ich es nicht mehr, als spräche jetzt ein anderer.

Es war schon dunkel, als ich Patrice Hollmann nach Hause brachte. Langsam ging ich zurück. Ich fühlte mich plötzlich allein und leer. Ich hatte zuviel getrunken, das merkte ich jetzt. Einen schönen Eindruck mußte das Mädchen von mir bekommen haben! Sie hatte es sicher gemerkt. Sie hatte ja selbst fast nichts getrunken.

Aber ich ärgerte mich nicht nur über mich – ich ärgerte mich über alles –, auch über das Mädchen. Sie war ja der Anlaß gewesen, daß ich mich betrunken hatte.

4

Das Wetter wurde warm und feucht, und es regnete einige Tage lang. Dann klärte es sich auf. Als ich am Freitagmorgen in die Werkstatt kam, sah ich Mathilde Stoß auf dem Hof stehen.

»Nu sehen Sie doch mal, Herr Lohkamp! Is doch immer wieder‘n Wunder.«

Ich blieb überrascht stehen. Der alte Pflaumenbaum war über Nacht aufgeblüht.

»Und der Geruch«, sagte Mathilde und verdrehte die Augen, »wunderbar – genauso wie Ihr Rum…«

Ich roch nichts. Aber ich verstand sofort.

»Es riecht mehr nach dem Kundenkognak«, behauptete ich.

Ich schenkte ihr ein Glas Rum ein und ging dann zur Benzinpumpe, Jupp saß schon da. Er hatte vor sich eine Anzahl abgeschnittener Blütenzweige stehen.

»Was soll denn das heißen?« fragte ich erstaunt.

»Für die Damen«, erklärte Jupp. »Wenn sie tanken, gibt‘s so einen Zweig gratis. Habe daraufhin schon neunzig Liter mehr verkauft. Der Baum ist Gold wert, Herr Lohkamp.«

»Du bist ein geschäftstüchtiger Knabe.«

Er grinste. Ich ging zur Grube hinüber, wo Lenz gerade unter dem Ford hervorkroch.

»Robby«, sagte er, »mir ist da was eingefallen. Wir müssen uns mal um das Mädchen von dem Binding kümmern.«

Ich starrte ihn an. »Wie meinst du das?«

»Genau, wie ich es sage. Aber was starrst du denn so? Wie hieß das Mädchen eigentlich noch? Pat, aber wie weiter?«

»Weiß ich nicht«, erwiderte ich.

»Du hast doch ihre Adresse aufgeschrieben!«

»Habe den Zettel verloren.«

»Verloren!« Er sah mich an. »Dilettant! Um so schlimmer! Weißt du denn nicht, was das für ein Mädchen war? Herrgott!« Er starrte zum Himmel. »Läuft uns endlich schon mal was Richtiges über den Weg, dann verlierst du die Adresse!«

»So großartig fand ich sie gar nicht.«

»Weil du ein Esel bist«, erwiderte Lenz, »der nichts kennt, was über das Niveau der Huren aus dem Café International hinausgeht! Du Klavierspieler! Es war ein besonderer Glücksfall, dieses Mädchen! Du hast natürlich keine Ahnung von so was! Hast du dir die Augen angesehen? Natürlich nicht – du hast dein Schnapsglas angesehen. Endlich einmal ein Mädchen, wie es sein muß, schön, natürlich und, was das wichtigste ist, mit Atmosphäre« – er unterbrach sich –, »weißt du überhaupt, was das ist, Atmosphäre?«

Gottfried redete weiter. Er hatte ja keine Ahnung davon, was passiert war und daß jedes Wort von ihm mich traf. Besonders jedes über das Trinken. Er lobte und lobte das Mädchen, und mir wurde bald zumute, als hätte ich wirklich etwas Besonderes verloren.

Ärgerlich ging ich um sechs Uhr zum Café International. Zu meinem Erstaunen herrschte ein Riesenbetrieb, als ich eintrat. Auf der Theke standen Torten und Alois rannte mit einem Tablett voll Kaffeegeschirr ins Hinterzimmer. Ich blieb stehen. Der Wirt klärte mich auf. Heute war im Hinterzimmer die Abschiedsfeier für Rosas Freundin Lilly. Ich schlug mich vor den Kopf. Natürlich, dazu war ich ja eingeladen! Als einziger Mann sogar, wie Rosa bedeutungsvoll gesagt hatte.

Ich ging rasch noch einmal los und besorgte einen Strauß Blumen, eine Ananas, eine Kinderklapper und eine Tafel Schokolade. Rosa empfing mich mit dem Lächeln einer großen Dame. Sie trug ein schwarzes, ausgeschnittenes Kleid und thronte oben am Tisch. Ihre Goldzähne leuchteten. Ich erkundigte mich, wie es ihrer Kleinen ginge, und überreichte für sie die Zelluloidklapper und die Schokolade. Rosa strahlte. Ich wandte mich mit der Ananas und den Blumen an Lilly.

»Meine herzlichsten Glückwünsche!«

»Er ist und bleibt ein Kavalier!« sagte Rosa. »Und nun komm, Robby, setz dich zwischen uns beide.«

Lilly war die beste Freundin Rosas. Sie hatte eine glänzende Karriere hinter sich. Sie war eine Hotelfrau. Sie geht nicht auf den Straßenstrich – sie wohnt im Hotel und macht da ihre Bekanntschaften. Fast alle Huren kommen nicht dazu – sie haben nicht genug Garderobe und auch nie genug Geld. Lilly hatte zwar nur in Provinzhotels gelebt; aber sie hatte fast viertausend Mark gespart. Jetzt wollte sie heiraten. Ihr künftiger Mann betrieb ein kleines Installationsgeschäft. Er wußte alles von ihr, und es war ihm gleichgültig. Für die Zukunft konnte er unbesorgt sein; wenn eines dieser Mädchen heiratete, war es zuverlässig. Sie waren treu. Lilly sollte Montag heiraten. Heute gab Rosa ihr einen Abschiedskaffee. Nach ihrer Hochzeit konnte sie nicht mehr hierher kommen.

Rosa schenkte mir eine Tasse Kaffee ein. Sie legte mir ein mächtiges Stück von Kuchen auf. Ich wußte, was ich zu tun hatte.

»Der ist aber bestimmt nicht im Laden gekauft…«

»Selbstgebacken«, sagte Rosa glücklich.

Sie war eine gute Köchin und hatte gern, wenn man es anerkannte.

Die Unterhaltung hier konnte jedem Damenkränzchen Ehre machen.

»Alles schon vorbereitet, Lilly?« fragte ich. Sie nickte.

»Die Aussteuer hatte ich ja schon lange. Wunderbare Aussteuer«, sagte Rosa.

Ich setzte mich ans Klavier. Rosa hatte schon darauf gewartet. Sie liebte Musik wie alle diese Mädchen. Ich spielte zum Abschied noch einmal alle ihre und Lillys Lieblingsschlager. Zu Anfang das »Gebet einer Jungfrau«. Dann folgte »Der Vöglein Abendlied«, das »Alpenglühen«, »Wenn die Liebe stirbt«, »Die Millionen des Harlekin« und zum Schluß »Nach der Heimat möcht‘ ich wieder«. Das liebte Rosa besonders. Huren sind ja das Härteste und Sentimentalste zugleich. Alle sangen es mit.

Lilly mußte ihren Bräutigam abholen. Rosa küßte sie herzhaft ab.

»Mach‘s gut, Lilly.«

Beladen mit Geschenken ging sie davon.Sie hatte ein ganz anderes Gesicht als früher. Es hatte wieder etwas von einem jungen Mädchen. Wir standen vor der Tür und winkten Lilly nach. Die ganze Gesellschaft kehrte in das dunkle International zurück. Aber es kam keine rechte Stimmung mehr auf.

»Spiel uns noch einen zum Schluß, Robby!« sagte Rosa. »Zum Aufmuntern.«

»Schön«, erwiderte ich. »Wollen wir mal den ›Alten Kameradenmarsch‹‚ runterhauen.«

Dann verabschiedete ich mich auch. Ich überlegte, was ich machen sollte. In die Bar wollte ich auf keinen Fall; in ein Kino auch nicht; in die Werkstatt? Unschlüssig sah ich nach der Uhr. Es war acht. Jetzt mußte Köster wieder zurück sein. Wenn er da war, konnte Lenz nicht wieder stundenlang über das Mädchen reden. Ich ging hin. In der Bude war Licht. Nicht nur in der Bude – auch der ganze Hof war überflutet. Köster war allein da.

»Was ist denn hier los, Otto?« fragte ich. »Hast du vielleicht den Cadillac verkauft?«

Köster lachte. »Nein. Gottfried hat nur ein bißchen illuminiert.«

Es sah wunderbar aus.

»Großartig«, sagte ich. »Wo ist er denn?«

»Er holt was zu essen.«

»Glänzende Idee. Fühle mich so ein bißchen hungrig.« Köster nickte »Essen ist immer gut. Hauptgesetz aller alten Krieger. Ich habe heute Karl zum Rennen gemeldet.«

»Was?« sagte ich.

»Etwa zum Sechsten?«

Er nickte. »Verdammt noch mal, Otto, da starten doch allerlei Kanonen.« Er nickte wieder.

»In der Sportwagenklasse Braumüller.«

»Halt«, rief Gottfried, der gerade hereinkam, »erst futtern!«

Er packte das Abendbrot aus – Käse, Brot, steinharte Räucherwurst und Sprotten. Dazu tranken wir gut gekühltes Bier. Zwei Stunden arbeiteten wir dann an Karl herum und kontrollierten und schmierten alle Lager. Hinterher aßen Lenz und ich zum zweitenmal Abendbrot. Gottfried beleuchtete jetzt auch den Ford. Durch Zufall war bei dem Zusammenstoß einer der Scheinwerfer heil geblieben.

»So, Robby, nun hol mal die Flaschen. Wir wollen das ›Fest des blühenden Baumes‹ feiern.«

Ich stellte den Kognak, den Gin und zwei Gläser auf den Tisch.

»Und du?« fragte Gottfried.

»Ich trinke nichts.«

»Was? Warum nicht?«

»Weil ich keine Lust dazu mehr habe.«

Lenz betrachtete mich eine Weile.

»Unser Kind ist übergeschnappt, Otto«, sagte er dann zu Köster.

»Laß ihn doch, wenn er nicht will.« Lenz schenkte sich sein Glas voll.

»Der Junge ist schon seit einiger Zeit etwas verrückt.«

»Ist noch nicht das Schlechteste«, erklärte ich.

Der Mond kam groß und rot hinter dem Dach der Fabrik gegenüber hervor. Wir saßen eine Weile und schwiegen.

»Sag mal, Gottfried«, begann ich dann, »du bist doch ein Fachmann in der Liebe, nicht?«

»Fachmann? Ich bin der Altmeister der Liebe«, erwiderte Lenz bescheiden.

»Schön. Ich möchte nämlich mal wissen, ob man sich eigentlich dabei immer blödsinnig benimmt.«

»Wieso blödsinnig?«

»Na so, als ob man halb trunken ist. Herumredet und Unsinn quatscht und schwindelt.«

Lenz brach in ein Gelächter aus.

»Aber Baby! Das Ganze ist doch eine Lüge. Eine wunderbarere Lüge von Mama Natur. Schau dir den Pflaumenbaum an! Er schwindelt auch gerade. Macht sich schöner, als er nachher ist. Es wäre ja scheußlich, wenn Liebe was mit Wahrheit zu tun hätte.«

Ich richtete mich auf. »Du meinst, ohne etwas Schwindel geht‘s überhaupt nicht?«

»Überhaupt nicht, Kindchen. Mach, was du willst – steh kopf, rede den dümmsten Quatsch, prahle wie ein Pfau, singe vor ihrem Fenster, nur eins tu nicht; sei nicht sachlich! Nicht vernünftig!«

Ich wurde lebendig. »Was meinst du dazu, Otto?«

Köster lachte. »Wird wohl stimmen.«

Er stand auf und klappte Karls Motorhaube auf. Ich holte meine Rumflasche und ein Glas und stellte sie auf den Tisch. Otto ließ den Wagen an. Der Motor schlurfte ganz tief und verhalten. Lenz hatte die Füße auf der Fensterbank und starrte hinaus. Ich setzte mich neben ihn.

»Warst du schon mal betrunken, wenn du mit einer Frau zusammen warst?«

»Oft«.

»Und?«

Er sah mich aus schrägen Augen an. »Nie entschuldigen, Baby. Nie reden. Blumen schicken. Ohne Brief. Nur Blumen. Die decken alles zu.«

Ich sah ihn an. »Könnte nun eigentlich ruhig etwas trinken«, sagte ich und machte die Flasche auf.

Ich ging früh nach Hause. Als ich die Korridortür aufschloß, hörte ich Musik. Es war das Grammophon Erna Bönigs, der Sekretärin. Eine leise, klare Frauenstimme sang. »Wie hab‘ ich nur leben können ohne dich«, sang die Stimme, ein paar Schritte weiter hinter der Tür. Ich zuckte die Achseln und ging in mein Zimmer. Nebenan hörte ich erregtes Gezänk. Ein paar Minuten später klopfte es bei mir und Hasse kam herein.

»Störe ich Sie?« fragte er müde.

»Gar nicht«, sagte ich. »Wollen Sie was trinken?«

 

»Lieber nicht. Nur etwas sitzen.« Er sah stumpf vor sich hin. »Sie haben‘s gut«, sagte er, »Sie sind allein…«

»Ach Unsinn«, erwiderte ich. »Immer so allein‚ rumsitzen, das ist auch nichts – können Sie mir schon glauben…«

Er saß zusammengesunken in seinem Sessel.

»Hab‘ mir das Leben ganz anders vorgestellt«, sagte er nach einer Weile.

»Haben wir alle«, sagte ich.

Nach einer halben Stunde ging er wieder hinüber, um sich mit seiner Frau zu vertragen. Ich gab ihm ein paar Zeitungen und eine halbe Flasche Curaçao mit, die noch von irgendwann auf meinem Schrank herumstand – ein unangenehmes, süßes Zeug, aber für ihn ganz gut. Er verstand doch nichts davon.

Ich setzte mich ans Fenster. Draußen lag der Friedhof im blauen Mondlicht. Ich saß ziemlich lange und dachte an allerlei Dinge. Auch daran, wie wir damals zurückgekommen waren aus dem Kriege, jung, ohne Glauben, wie Bergleute aus einem eingestürzten Schacht. Die Zeit der großen Menschen- und Männerträume war vorbei. Die Betriebsamen triumphierten. Die Korruption. Das Elend.

Am nächsten Morgen brach ich frühzeitig auf und klopfte den Besitzer eines kleinen Blumenladens aus seiner Wohnung, bevor ich zur Werkstatt ging. Ich suchte einen Busch Rosen bei ihm aus und sagte ihm, er möge sie gleich fortschicken. Es war ein wenig sonderbar für mich, als ich die Adresse langsam auf die Karte schrieb: Patrice Hollmann.