Lebendige Seelsorge 3/2017

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III. GEMEINSCHAFT

Kaum etwas drückt besser die Zusammengehörigkeit einer Gruppe aus als das gemeinsame Mahl. Die Gemeinschaft beim Essen verstärkt den Zusammenhalt – typisch auch die großen Essen im Zusammenhang kirchlicher Knotenpunkte: Taufe, Erstkommunion, Trauung und Beerdigung. Und an die Stelle der unübersichtlich gewordenen Gemeinde tritt die Familie, die sogar oft von weit her dazu anreist. Bis über den Tod hinaus wird diese Gemeinschaft symbolisiert durch den frei gehaltenen Platz, wie es im Altertum üblich war (vgl. das Fest Kathedra Petri) und heute noch nach dem Tod eines Konventualen in manchen Klöstern für einige Zeit gemacht wird.

Andererseits zeigt sich die Nicht-Gemeinschaft zwischen katholischer und evangelischer Kirche gerade in dem Umstand, dass es kein gemeinsames (eucharistisches) Mahl gibt. Im Falle des gemeinsamen Kirchentags in München 2010 wich man dabei auf die orthodoxe Form der „Artoklasie“ aus und versammelte sich unter freiem Himmel und brach das Brot an den vielen Tischen. „Es geht um die Gemeinschaft, die wir heute hier erlebt haben“, sagte der griechisch-orthodoxe Erzbischof am Ende dieser Feier, die freilich nur eine Ahnung von Tischgemeinschaft bot.

IV. ANTEIL AM FEST

Der Gedanke, bei großen Feiern auch diejenigen nicht auszuschließen, denen es nicht gut geht, ist alt und schon biblisch belegt. Im 8. Kapitel des Buches Nehemia wird beschrieben, wie dem Volk Israel nach der Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft erstmals wieder das Wort Gottes feierlich verkündet wird – ein denkwürdiges Ereignis. „Dann sagte Esra zu ihnen: Nun geht, haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein! Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben; denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre des Herrn. Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke“ (Neh 8,10).

Diejenigen, „die selbst nichts haben“, sind im Alten Testament in der Regel Witwen, Waisen, Leviten, Sklaven, Fremde. Sie haben keinen Besitz und sind deshalb bei Festen auf einen Anteil an den Gaben anderer angewiesen. Zugleich stellen sie gewissermaßen ein Abbild der Israeliten dar, die in Ägypten Sklaven gewesen und auf Gottes Güte angewiesen waren. Es sind zunächst also tief menschliche Verhaltensweisen, die zum Teilen der Freude mit Bedürftigen an großen (Bundes-)Festen drängen: Eingedenk der eigenen Erfahrung, von Gott beschenkt worden zu sein, gibt man diese Freude als Anteil am Fest weiter.

Kochen und Essen erscheinen nicht mehr so sehr von der Religion mit geprägt, sondern selbst als eine Art implizite Religion.

Bischof Caesarius von Arles spricht im 6. Jahrhundert dieses Werk der Barmherzigkeit in einer Predigt an, in der es um die angemessene Vorbereitung auf das Weihnachtsfest geht: „Frommt es auch, jederzeit Almosen zu geben, so sollen wir doch vornehmlich an den heiligen Festen nach Kräften reichlicher austeilen. Vor allen Dingen sollen wir die Armen häufiger zu Tisch laden. Denn es wäre nicht recht, dass an einem heiligen Fest im christlichen Volk, das einem Herrn angehört, die einen sich berauschen, die anderen von Hungersnot gequält werden. […] Warum sollte der Arme […] unwürdig sein, wenigstens die Überreste von deinem Essen zu bekommen, der mit dir zum Gastmahl der Engel gelangen wird?“

Die „Überreste“ des Essens, wie es Caesarius ausdrückt, wurden früher nicht selten an den Türen „geheischt“, wie es für den Martinstag, aber auch für Weihnachten belegt ist. Die Erinnerung an diese Zusammenhänge von Fest (-mahl) und einem Anteil für die Armen blieb bis in unsere Zeit erhalten: Bei verschiedenen Mahlformen besonderer Gruppen, aber auch von Familien und einzelnen, wurde der Gedanke an die Armen zum Ausdruck gebracht und auch in konkreten Zuwendungen praktiziert.

Besonders an Weihnachten hat sich bei uns etwas von diesen alten Zusammenhängen bewahrt. Das geschah früher z. B. auch durch das Beschenken Bedürftiger mit Speisen und Getränken – heute längst institutionalisiert durch verschiedene caritative Aktionen schon in den Wochen zuvor. Im „Weihnachtsmahl für Arme“ der Gemeinschaft Sant’ Egidio findet dieser Aspekt noch eine bemerkenswerte Umsetzung insofern, als dieses Festmahl nicht selten sogar im Kirchenraum stattfindet.

VERÄNDERUNGEN

Es stellt sich freilich die Frage, inwieweit diese Zusammenhänge heute noch präsent sind. Ohnehin hat sich die religiös geprägte Mahlkultur in den letzten Jahrzehnten unzweifelhaft verändert. Als Stichworte genügen die zunehmende Auflösung einer gemeinsamen Zeitstruktur, die den Rahmen für das Mahl gibt, der Rückgang der religiösen Ausdrucksformen auch angesichts eines vielen Menschen wie selbstverständlich erscheinenden Lebensmittelangebots, die Auswahl der Speisen selbst, die oft nicht mehr traditionell, sondern unter verschiedenen, auch durchaus sehr reflektierten Aspekten gewählt werden, der Sinn für das Kochen und Zubereiten, das geradezu zelebriert wird. Kochen und Essen erscheinen nicht mehr so sehr von der Religion mit geprägt, sondern selbst als eine Art implizite Religion.

Ein Auseinanderklaffen zwischen Fest und Mahl zeigt sich auch im kirchlichen Raum.

Das festliche Mahl benötigt nicht das Fest, sondern kann das Fest selbst sein. In der Arbeit an der Neuauflage meines 2002 erschienenen Buches „Heiligabend. Riten – Räume – Requisiten“, das die Entstehung der familiären Heiligabendfeier aus einer evangelischen Hausandacht darstellt, habe ich auch die Umfrage zur Gestaltung dieses Tages, die seinerzeit über viele Zeitungen und Sender bundesweit lief, nochmals aufgelegt. In den neuen Antworten zeigen sich auch Veränderungen das Essen betreffend. War das Heiligabend-Essen noch bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts (zumindest katholischerseits) und darüber hinaus noch stark von der Einschätzung des Heiligabends als Vigiltag geprägt und damit wenig entfaltet, so lässt sich inzwischen vielfach eine Hinkehr zur lust- und genussvollen Vorbereitung und Gestaltung des Heiligabend-Essens als eines zweiten Höhepunktes neben der Bescherung erkennen. Die religiösen Elemente dieses Tages erscheinen dazu nur noch als eine Art Dekor. Dies wird auch massiv durch die Werbung, durch Fernsehsendungen und einschlägige Artikel in Verbraucher- und Familienzeitschriften vermittelt.

Dass das Religiöse oftmals nur äußerlicher Anlass ist, der die entsprechenden Versatzstücke liefert, lässt sich nicht nur bei Fest-, sondern auch für Fastentage sagen; zwar wird der Freitag vielfach als „Fischtag“ gehalten, doch ob allen klar ist, womit das zu tun hat, ist eine andere Frage. Ähnliches gilt für den Karfreitag, wenn in den Restaurants „Edelfisch“ angeboten oder am Aschermittwoch zum Fastenbier eingeladen wird. Selbst in religiös motivierten Kochbüchern (vgl. Ciucci/Sartor) gerät der Festinhalt bisweilen zur Spielerei, etwa wenn am Fest des hl. Dominikus „Gesegneter Aal“ empfohlen wird oder (in einem anderen) an Karfreitag Fischfilet auf gekreuzten Spargelstangen … „Das Haus duftete nach Osterkuchen, aber der Geruch war ihm zuwider. Er wusste, dass sie nicht mehr für Christus buken, sondern für ihren Magen.“

FEST UND MAHL IM KIRCHENRAUM

Ein Auseinanderklaffen zwischen Fest und Mahl zeigt sich auch im kirchlichen Raum. In evangelischen Kirchen ist es – auch aufgrund einer anderen Theologie des Raumes – nicht ungewöhnlich, auch Gottesdienste mit wirklichen Mahlzeiten zu feiern. Diese Verbindung hat es, wie ich in meinem Buch „Ma(h)l anders“ gezeigt habe, in den christlichen Kirchen, anlassbedingt, immer gegeben. Es ist bedauerlich, dass dies in katholischen Kirchen nicht möglich ist oder nur ansatzweise geschieht (bei Wallfahrten etwa). Selbst ein vom Gottesdienstraum getrenntes gemeinsames Mahl gibt es nur sehr selten. Hier ließe sich Maß nehmen an der Vielfalt von Formen und Möglichkeiten, wie sie auch manche evangelische (lutherische wie reformierte) und freikirchliche Gemeinden praktizieren und damit auch ihre Gastlichkeit ausdrücken.

Allerdings kann man hier inzwischen auch immer häufiger finden, dass für manches besondere Essen bewusst der Kirchenraum gewählt wird – mit einem diffusen religiösen Hintergrund – wie etwa das „white dinner“. Ich hatte vor Jahren selbst an einem solchen „white dinner“ in einer Kirche teilgenommen, bei dem im Anschluss auch die anderen Mitfeiernden ratlos hinsichtlich der Form waren: eine Agape? Ein Gottesdienst? Ein Happening? Hier wird das Mahl zum Fest und der Raum liefert das religiöse Drumherum.

FAZIT

Es ist unbestreitbar, dass die Religions- und Konfessionszugehörigkeiten der Menschen weltweit Essverhalten, Kochkonzepte, Genussverständnis und den Mahlstil vor allem im Privatleben prägen. Das religiöse Fest spiegelt sich auch im gemeinsamen Mahl wider, das dessen Inhalt in den Alltag hinein verlängert. Das hat sich vor allem im westlichen Christentum aus verschiedenen Gründen verändert, was auch danach fragen lässt, welche Impulse die Kirchen für das Essen und Trinken der Menschen geben können und sollen, die über ein „Brauchtum“, das auch sinnentleert sein kann, hinausreichen.

LITERATUR

Bornhauser, Thomas (Hg.), Heilige Alltäglichkeit. Essen und feiern in der Kirche. Eine Handreichung für die Gemeindepraxis, Zürich 2006.

Caesarius von Arles, Caes. Arel. serm. 188. Zit. nach Frühchristliche Reden zur Weihnachtszeit. Ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Joseph A. Fischer, Freiburg i. Br. 1963, 43-47.

Ciucci, Andrea/Sartor, Paolo, Einfach, aber himmlisch! Zu Tisch bei den Heiligen. Rezepte aus zwei Jahrtausenden, München 2016.

Egen, Jean, Die Linden von Lautenbach, Reinbek bei Hamburg 22008.

Fuchs, Guido, Gott und Gaumen. Eine kleine Theologie des Essens und Trinkens, München 2010.

Ders., Ma(h)l anders. Essen und Trinken in Liturgie und Kirchenraum (Liturgie & Alltag), Regensburg 2014.

 

Gemeinschaft Sant’ Egidio, Das Weihnachtsmahl. Eine weltweite Familie ohne Grenzen. Mit einem Vorwort von Andrea Riccardi, Würzburg 2010.

Löcher, Paul/Abeln, Reinhard (Hg.), Wie’s einstens war zur Osterzeit, Ostfildern 1982.

Wiechert, Ernst, Das heilige Jahr. Fünf Novellen, Berlin 1936.

Das Festmahl im Wandel

Die Replik von Daniel Kofahl auf Guido Fuchs

Die Ausführungen von Prof. Guido Fuchs sind in aller Regel eine Freude zu lesen,seine Bücher sind Standardwerke zu einer – wenn man so sagen darf – christlich-kulinarischen Theologie oder auch einer theologischen Analyse des Kulinarischen. Er ist ein ausgewiesener Kenner der Materie, als Ernährungskulturwissenschaftler wiederum kennt man seine Arbeit selbstverständlich, man bezieht sich auf sie, versucht sie im besten Fall hier und da weiterzudenken.

Und nun soll hier eine Replik auf einen seiner Texte stattfinden, der sich auch noch auf Festlichkeiten bezieht. Wer wollte denn hier bitteschön Essig in den guten Wein kippen? Genau, ich auch nicht.

Was fällt dem Wissenschaftler mit Fokus auf die Gegenwartsgesellschaft – also dem Soziologen – auf, wenn er den Beitrag „Fest und Mahl“ liest? Man bekommt zum Beispiel eindrücklich dargelegt, wie ehemals religiös aufgeladene Feste in der Gegenwart zusehends säkularisiert werden. Fuchs zeigt, wie sich ein eifernder, aber ganz und gar weltlicher Tanz um das Kulinarische beobachten lässt. Das Zentrum dieses Tanzes ist dabei nicht mehr wie zu Moses Zeiten ein mehr oder weniger nutzloses goldenes Kalb, sondern vielmehr ein besonders schmackhaft zubereitetes Filet vom Kobe-Rindskalb oder ähnliches. Immerhin sättigend und wohlschmeckend, könnte man sagen. Freilich verweist auch das teure Stück Kobe-Rind als kulturelles Zeichen auf das goldene Kalb, welches selbst wiederum auf Reichtum, Macht und die Formen modernen Luxus und Distinktion hinzeigt.

Doch dass es nun nicht gerade neue Götter sind, die geschaffen und verehrt werden, sondern vielmehr einfach die alten Gottesbezüge entleert werden und die übriggebliebenen Reste als profane Heiligkeiten bleiben, ist interessant. Das Spirituelle der alten Tradition, das über die pure Gegenwart hinausweist und seine Manifestation in den alimentären Köstlichkeiten des Festmahls findet, wird verdrängt vom reinen Utilitarismus nutritiver Ornamente. Die rein Diesseitigen erhalten sich die religiösen Symboliken lediglich aus ästhetischen Gründen: „Das Auge isst schließlich mit“ und ein Hauch von Weihnachts-, Oster- oder sogar Aschermittwochszauber – sofern es nicht zu tiefgründig wird – veredelt jede Speis und jeden Trank. Denn das können auch die größten Kirchenkritiker nicht negieren: Festlichkeit und Feierlichkeit in Szene zu setzen, darin hat es die (katholische) Kirche und ihre Liturgie zu wahren Meisterleistungen gebracht, wenngleich nicht als Selbstzweck, sondern mit an Transzendenz orientierter Intention.

Fraglos, alles unterliegt dem Wandel, nur, dass alles dem Wandel unterliegt, eben nicht. Auch die christlichen Festmähler müssen sich insofern verändern, als dass sie von den Menschen der Zeit verstanden und für diese anschlussfähig bleiben. Wie sehr dies ein Balanceakt ist zwischen dem Bewahren der Tradition, des ursprünglichen Geistes einerseits und der Hinwendung zum Zeitgeist andererseits kennt man aus allerhand Debatten rund um Kirche und christlichen Glauben. Dies gelingt, wie Fuchs in seinem Text zeigt, sicher dort gut, wo sich die Kirche als Raum öffnet oder auch neue beziehungswiese vernachlässigte Gruppen anspricht und an die gemeinsame Tischgemeinschaft holt.

Im Gegenzug ist es dort wenig erbaulich, wo zu viele der alten Elemente ausgetauscht oder gestrichen werden, um Inklusion selbst dort zu realisieren, wo mit den Kernideen des Festes eigentlich gar kein Vergemeinschaftungswunsch besteht. Hier öffnet sich die Falltür der Beliebigkeit, welche der Moderne als ihr Charakteristikum nicht selten und auch nicht immer zu Unrecht attestiert wird. Feste, so lesen wir in dem Beitrag, sind Identitätsstifter. Identität ist nicht in Stein gemeißelt, das ist klar. Es muss nicht zwingend ein Lammbraten sein, mit dem das Osterfest gefeiert wird. Wer es lieber vegetarisch mag oder wem Lamm partout nicht schmeckt, der wird eine sinnstiftende Alternative finden. Doch in die kulinarisch-spirituelle Willkür muss man sich deswegen noch lange nicht aufmachen. Rein weltliche Koch- und Verkostungswettbewerbe gibt es zuhauf, oftmals gar nicht schlecht, aber sie sind nun mal von völlig anderem Charakter, sie bieten ganz andere Angebote zur Sinnstiftung.

Spannend wird es freilich dort, wo es, wie Guido Fuchs beschreibt, zur kulinarischen Ökumene kommt. Auch dort, wo es zu weiteren intrareligiösen Festen mit unterschiedlichen Festmählern kommen könnte. Die Ernährungskultur der (Welt-)Gesellschaft ist als Ernährungskultur der Ernährungskulturen und des Ernährungskulturkontakts zu verstehen. Dieser Ernährungskulturkontakt – das kann man bei aller Skepsis gegenüber einer globalen Standardisierung durch alimentäre Global Player doch zugestehen – hat bereits jetzt zu vielen neuen kulinarischen Entdeckungen geführt und auch zur Rückbesinnung auf längst vergessene Speisen. Damit einher ging oftmals auch ein verändertes und geschärftes Bewusstsein, differenzierte Kommunikationen und aktualisierter Sinn.

Das müsste doch im Bereich des religiösen Festes auch möglich sein. Die Offenheit der Tischkultur, die bereits durch Jesus von Anfang an in der christlichen Religion begründet wurde, lädt dazu ein, in den direkten und konkreten intrareligiösen Austausch zu gehen. Dass dieser Austausch sich zuvorderst um ernste Fragen des Religiösen und Spirituellen drehen wird, ist indes kein Hindernis, diesen Schritt mit köstlichen Speisen und Getränken als „Fest und Mahl“ zu feiern.

Die Freude am Fest

Die Replik von Guido Fuchs auf Daniel Kofahl

Es stellt sich die Frage, warum eigentlich „der christliche Glaube und die auf ihmerrichtete Kirche“ – möglicherweise auch andere Religionen – immer wieder im Verdacht stehen, besonders genussfeindlich zu sein. Genuss als Sünde – und das womöglich schon seit dem ersten Griff nach einem „Apfel“ im Paradies (heute würde man das als „gesund sündigen“ abtun…)?

Zumindest allen drei abrahamitischen Religionen ist der Genuss beim Essen durchaus bekannt, allen ist eine Liebe zum guten Essen gemeinsam – davon zeugen übrigens nicht zuletzt zahlreiche „religiöse“ Kochbücher, die Gerichte aus verschiedenen Regionen dieser Religionen vorstellen. Das Christentum kennt dabei, anders als die beiden anderen Religionen, nicht einmal eine Speiseneinschränkung, allenfalls eine Reduzierung an den vergleichsweise moderaten Fastentagen.

Natürlich gibt es biblisch die Warnung davor, sich dem Bauch hinzugeben; das Reich Gottes besteht eben nicht im Essen und Trinken. Außerdem mag die Mahnung zur Wachsamkeit und Nüchternheit dazu beigetragen haben, nicht zu sehr dem Genuss zu frönen. Den christlichen Gemeinden war es zudem in den ersten Jahrhunderten sehr wichtig, sich durch eine Lebensführung der Mäßigung positiv abzuheben; das galt gerade auch in Hinblick auf die Mahlfeiern. Immer wieder werden die Christen aufgerufen, sich vor allem beim Weingenuss zurückzuhalten, um sich dadurch von den damals üblichen Symposien abzuheben. „Man isst so viel, wie man für den Hunger braucht, und man trinkt so viel, wie Anständigen gut ist“, so ordnete es Tertullian im 3. Jahrhundert für die gemeinsamen Agapemähler an.

Aber haben Mäßigung und Nüchternheit tatsächlich auf den Genuss Einfluss? Letzterer ist ja nicht gleichzusetzen mit Völlerei und Überfluss. Selbst die sich kärglich ernährenden Wüstenväter hatten eine Leidenschaft für Salat, wie Hans Conrad Zander („Als die Religion noch nicht langweilig war“) augenzwinkernd beschreibt. Wer tatsächlich nur so viel isst, wie er für den Hunger braucht, und so viel trinkt, wie Anständigen guttut, der schränkt sich auch einer ganz wesentlichen Haltung des Glaubens ein: der Freude am Überfluss der Schöpfung. Der Genfer Reformator Johannes Calvin – ausgerechnet, so möchte man angesichts seines asketischen Äußeren sagen – rät zum Genuss, wenn er schreibt:

„Wenn wir bedenken, zu welchem Zweck Gott die Nahrungsmittel geschaffen hat, so werden wir finden, dass er damit nicht bloß für unsere Notdurft sorgen wollte, sondern auch für unser Ergötzen und unsere Freude! So hatte er bei unseren Kleidern außer der Notdurft auch anmutiges Aussehen und Anständigkeit als Zweck im Auge. Kräuter, Bäume und Früchte sollen uns nicht nur mancherlei Nutzen bringen, sondern sie sollen auch freundlich anzusehen sein und seinen Wohlgeruch haben. Wäre das nicht wahr, so könnte es der Prophet nicht zu den Wohltaten Gottes rechnen, dass ‚der Wein des Menschen Herz erfreut‘ und dass ‚seine Gestalt schön werde vom Öl‘ (Ps 104,15). Dann könnte uns die Schrift auch nicht immer wieder zum Lobpreis seiner Güte daran erinnern, dass er selbst solches alles den Menschen gegeben hat! Auch die natürlichen Gaben der Dinge selbst zeigen uns ausreichend, wozu und wieweit man sie genießen darf. Hat doch der Herr die Blumen mit solcher Lieblichkeit geziert, dass sie sich unseren Augen ganz von selber aufdrängt, hat er ihnen doch so süßen Duft verliehen, dass unser Geruchssinn davon erfasst wird – wie sollte es dann ein Verbrechen sein, wenn solche Schönheit unser Auge, solcher liebliche Duft unsere Nase berührte? Wie, hat er denn nicht die Farben so unterschieden, dass die eine anmutiger ist als die andere? Wie, hat er nicht Gold und Silber, Elfenbein und Marmorstein solche Schönheit geschenkt, dass sie dadurch vor anderen Metallen und Steinen kostbar werden? Hat er nicht überhaupt viele Dinge über den notwendigen Gebrauch hinaus kostbar für uns gemacht?“ (Institutio Christianae religionis 111,10,2).

Kostbar für uns – ja, im wahrsten Sinn des Wortes: „Kostet und seht, wie gut der Herr ist!“ Eben das ist ja auch der Grund für den Lobpreis Gottes und den Dank für seine Gaben, die wir bei den genannten Religionen im Zusammenhang des Essens finden. Die in unserer Zeit oftmals moralisch verzweckten Tischgebete lassen das nicht mehr recht erkennen. Auch die „köstlichen“ Mahlzeiten bei den Festen bringen diesen Aspekt zum Ausdruck: die Freude am Fest, das uns über das Alltägliche, „den notwendigen Gebrauch“, wie Calvin schreibt, hinaus geschenkt ist.

Auf die Umfrage „Wie feiern Sie Heiligabend“, die meinem Buch „Heiligabend. Riten – Räume – Requisiten“ zugrunde liegt (2002/2017), schrieb jemand zur griechischen Weihnacht: „Die Stimmung ist eigentlich wie bei einem großen Geburtstag, man ist mit Freunden zusammen, isst und trinkt und freut sich, dass die Fastenzeit endlich vorbei ist. Ich glaube, das ist das psychologisch Intensivste, die Fastenzeit ist vorbei, es gab eine prächtige lange Liturgie und man isst gemeinsam und ausgedehnt.“

Man sieht an dieser Antwort deutlich: Es geht nicht um den Genuss beim Essen allein – es ist Ausdruck der Festfreude an sich, die schon in der Liturgie zu spüren ist. Aber ohne den Gaumengenuss wäre auch das Fest unvollkommen.

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