Philosophie des Glücks

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Epikur

Philosophie des Glücks

Philosophie des Glücks

EPIKUR

PHILOSOPHIE DES GLÜCKS

Gesamtausgabe aller Werke von Epikur

in deutscher Übersetzung – plus Nachwort und Interpretation

EINLEITUNG

Epikur beantwortet in seinen Schriften eine der größten Fragen der Menschheit: Wie kann ich ein glückliches Leben führen? Er schreibt ebenso verständlich wie tiefgründig – Epikur wollte von allen verstanden werden. Und für diejenigen, die es ganz eilig haben, fasste er seine Tipps für ein glückliches und erfülltes Leben zusammen in den „Hauptlehrsätzen“.

Das vorliegende Buch wurde sorgfältig editiert und enthält die Gesamtausgabe aller Werke Epikurs in deutscher Übersetzung.

Zum Abschluss bietet das vorliegende Buch ein ausführliches Nachwort, das als Lektüreschlüssel der Werke Epikurs dienen soll. Im Mittelpunkt stehen die Biografie Epikurs, Vorurteile gegenüber seiner Philosophie und daran anknüpfend eine detaillierte Interpretation seiner Lehrsätze – kurzum, die zentrale Frage: Wie kann uns die Philosophie Epikurs zu einem glücklichen Leben verhelfen?

*

Inhalt

Brief an Herodot

Brief an Pythokles

Brief an Menoikeus

Die Hauptlehrsätze

Aussprüche Epikurs

Fragmente

Nachwort und Lektüreschlüssel:

Wie kann uns die Philosophie Epikurs zu einem glücklichen Leben verhelfen?

*

Brief an Herodot

Epikur entbietet seinem lieben Herodotos Gruß und Heil.

Für die, mein lieber Herodotos, die nicht alles genau und vollständig zu studieren vermögen, was ich über die Natur niedergeschrieben habe, auch die größeren Bücher unter meinen Schriften nicht durchsehen können, habe ich selbst einen Auszug aus meinem gesamten Werk gemacht. Er soll ihnen ermöglichen, sich wenigstens die Grundlehren daraus hinlänglich einzuprägen, und ihnen zugleich in den wichtigsten Fragen jederzeit eine Hilfe sein, soweit sie sich überhaupt mit Naturwissenschaft befassen. Aber auch wer das gesamte System schon weitgehend übersieht, soll sich der elementaren Grundlinien meiner gesamten Arbeit erinnern; denn wir bedürfen häufig mehr des Gesamtüberblicks als der Kenntnis der Einzelheiten. Man muß jedoch auch auf diese dauernd sein Augenmerk richten und davon so viel im Gedächtnis festhalten, daß man imstande ist, den Zugang zur Erkenntnis des Naturgeschehens zu finden wie auch jede Einzeluntersuchung anzustellen. Dazu ist es nötig, vorher die hauptsächlichsten Gesichtspunkte zu erfassen und sie sich fest einzuprägen. Denn selbst wer volle Kenntnis besitzt, gelangt zu genauesten Ergebnissen nur, wenn er seine scharfsinnigen Beobachtungen auf einfache Grundbegriffe und Bezeichnungen zurückführen kann. Es ist ja unmöglich, das feste Gefüge der beobachteten Erscheinungen zu erkennen, wenn man nicht imstande ist, auch jede Einzelheit kurz zu bezeichnen.

Weil nun dieser Weg für alle nützlich ist, die sich mit der Erklärung der Naturerscheinungen befassen, so bin ich daran gegangen, für dich einen solchen Auszug und elementaren Grundriß meiner gesamten Lehrmeinungen niederzuschreiben. Ich fordere ja stets zu unablässigem Bemühen um die Erkenntnis der Natur auf, da ich selbst in einem solchen Leben die Ruhe finde.

Zuerst nun, mein lieber Herodotos, müssen wir erfaßt haben, was den Bezeichnungen zugrunde liegt, damit wir unsere Meinungen oder Probleme oder Schwierigkeiten darauf zurückführen und prüfen können, denn sonst entzieht sich uns, die wir etwas beweisen wollen, alles der Prüfung, verliert sich ins Grenzenlose, und wir gebrauchen leere Worte. Bei jeder Bezeichnung muß sich also die ursprüngliche Bedeutung erkennen lassen und keiner weiteren Erklärung bedürfen, wenn wir wirklich die Möglichkeit haben wollen, unsere Probleme, unsere Schwierigkeiten und Meinungen darauf zurückzuführen.

Wir müssen ferner bei allem unsere Sinneswahrnehmungen beobachten wie auch das prüfen, was in unserem Denken, in unserem Erkennen und Empfinden dabei vor sich geht, damit wir Anhaltspunkte haben für die Deutung des noch Unbekannten, das wir erwarten.

Wenn wir dies genau erfaßt haben, dürfen wir bereits Erwägungen über das Unbekannte anstellen.

Zuerst also: Nichts entsteht aus dem Nichts; denn dann könnte alles aus allem entstanden sein, ohne irgendwie der Samen zu bedürfen. Und wenn das, was im Schwinden ist, ins Nichts verginge, dann wären bereits alle Dinge zugrunde gegangen, und es wäre nichts vorhanden, wohinein sie sich aufgelöst hätten. Überdies: Das All war in seiner Beschaffenheit immer so, wie es gegenwärtig ist, und wird immer so sein; es gibt ja nichts, in das es sich verwandeln könnte. Denn neben dem All existiert nichts, was in das All eindringen und die Verwandlung bewirken könnte.

Weiter: Das All besteht aus Körpern und leerem Raum. Denn daß es Körper gibt, bezeugt bei allen Dingen schon die Sinneswahrnehmung, und aus der Sinneswahrnehmung müssen wir, wie ich vorhin schon gesagt habe, das Unbekannte durch Überlegung erschließen. Wenn es das nicht gäbe, was wir das Leere, den Raum, die unfaßbare Natur nennen, dann gäbe es nichts, wo die Körper wären und worin sie sich bewegten. Und es ist doch offensichtlich, daß sie sich bewegen. Außer diesen Körpern und dem leeren Raum können wir nicht einmal begrifflich etwas erschließen oder durch Analogie zu dem Begreifbaren als vorhanden erfassen; denn diese beiden werden als Teile der gesamten Natur angesehen und nicht als Eigenschaften oder Zufälligkeiten des Körperlichen und des Leeren bezeichnet.

Ferner: Von den Körpern sind die einen Zusammensetzungen, die anderen aber Urbestandteile, aus denen die Zusammensetzungen gebildet sind. Diese Urbestandteile sind nun unteilbar und unveränderlich, wenn anders nicht alle in das Nichtseiende vergehen sollen, sondern in voller Kraft bei den Auflösungen der Zusammensetzungen fortdauern sollen, vollständig in ihrer Beschaffenheit, da es nichts gibt, worin und wie sie sich auflösen könnten.

Daher müssen die Urwesenheiten der Körper ihrer Beschaffenheit nach unteilbar (Atome) sein.

Weiter: Das All ist unendlich; denn alles Begrenzte hat ein Äußerstes, doch kann ein Äußerstes nur im Vergleich zu einem anderen betrachtet werden. (Das All jedoch kann nicht in Vergleich zu etwas anderem gesetzt werden.) Das All hat also kein Äußerstes und daher auch keine Grenzen. Und da es nun keine Grenzen hat, wird es wohl unendlich und unbegrenzt sein.

Nach der Menge der Körper wie nach der Größe des leeren Raumes ist das All unendlich. Wenn nämlich der leere Raum unendlich wäre, die Körper aber (an Zahl) begrenzt, dann würden die Körper nirgendwo verharren, sondern zerstreut in dem leeren Raum umherfliegen und nichts haben, was sie stützen und bei den Zusammenprallungen einordnen könnte. Wäre dagegen der leere Raum begrenzt, dann hätten die unbegrenzt zahlreichen Körper keinen Ort, wo sie sich hinstellen könnten.

Dazu sind die unteilbaren und festen Urkörper, aus denen die Zusammensetzungen entstehen und in die sie sich auflösen, unbeschränkt in der Verschiedenheit ihrer Gestaltungen. Denn es ist unmöglich, daß so viele Verschiedenheiten aus denselben begrenzten Gestaltungen entstehen können. Und in jeder Gestalt sind die gleichen Urbestandteile schlechthin unendlich, aber in der Verschiedenheit nicht schlechthin unendlich, sondern nur unerfaßbar.

In ständiger Bewegung sind nun diese Atome durch alle Ewigkeit. Die einen fallen in weiten Abständen voneinander senkrecht hinab, andere wiederum vollführen eine schwingende Bewegung an Ort und Stelle, wenn sie gerade durch eine Verflechtung eingeschlossen sind oder umkreist werden von anderen, die im Begriff sind, sich zu verflechten.

Das bewirkt nämlich die Natur des leeren Raumes, die jedes einzelne Atom vom andern trennt, da sie nicht imstande ist, ihm eine Stütze zu bieten; andererseits bewirkt die den Atomen eigene Festigkeit beim Zusammenstoß ein Zurückprallen, soweit die Verflechtung die Rückkehr aus dem Zusammenstoß an die alte Stelle zuläßt. Einen Anfang für dieses Geschehen gibt es nicht; denn die Atome sind ewig, und ewig ist der leere Raum.

Diese wichtige Aussage schafft eine geeignete Grundlage für die Erkenntnis der Natur der Dinge, wenn wir dies alles fest im Gedächtnis behalten.

Doch weiter: Audi die Welten sind unbegrenzt an Zahl, sowohl die der unsern ähnlichen wie die ihr unähnlichen; denn da die Atome, wie ich eben gezeigt habe, unendlich an Zahl sind, bewegen sie sich auch in die fernsten Weiten. Die unendlich vielen Atome, aus denen eine Welt entstehen oder gebildet werden könnte, werden nämlich weder für eine einzige Welt noch für eine beschränkte Anzahl von Welten aufgebraucht, weder für solche, die der unsrigen ähnlich sind, noch für solche, die ihr unähnlich sind. Demnach steht nichts der Annahme einer unendlichen Anzahl von Welten im Wege.

Es gibt auch Erscheinungsformen von gleicher Gestalt wie die der festen Körper, die aber an Feinheit die Dinge weit hinter sich lassen, die wir wahrnehmen. Denn es ist weder unmöglich, daß in dem sie Umgebenden derartige Zusammenballungen vor sich gehen, noch daß für die Erzeugung von Höhlungen und Feinheiten geeignete Umstände entstehen; und es können auch Ausströmungen stattfinden, welche die dauernde Stellung und Lage bewahren, die sie in den festen Körpern hatten. Diese Erscheinungsformen nennen wir Bilder. Ihre Bewegung durch den leeren Raum legt, wenn ihr nichts begegnet, was sie hemmen könnte, jede erdenkliche Entfernung in unerdenklich kurzer Zeit zurück. Der Eindruck nämlich von Langsamkeit und Schnelligkeit hängt davon ab, ob ein Hindernis im Wege steht oder nicht.

 

Ein sich bewegender Körper kommt allerdings gemäß der mit der Vernunft erfaßbaren Zeit nicht an mehreren Orten zugleich an - denn das ist unausdenkbar -, wenn er auch in der von uns wahrnehmbaren Zeit gleichzeitig anzukommen scheint, von welcher Stelle des Unendlichen, nicht von einem Ort, den wir erkannt haben, er auch immer seinen Flug angetreten haben mag. Denn etwas einem Widerstand Ähnliches wird es geben, selbst wenn wir bis dahin die Schnelligkeit der Bewegung als unbehindert haben gelten lassen. Es ist nützlich, auch diesen Grundsatz festzuhalten.

Des weiteren: Die Bilder sind von einer unübertreffbaren Feinheit; dieser Annahme widerspricht nichts aus der Erscheinungswelt. Daher besitzen sie auch unübertreffbare Geschwindigkeiten; sie finden überall einen ihnen passenden Durchgang, so daß ihre Bewegung nichts oder nur wenig hemmt, während den vielen unzähligen Atomen sofort etwas im Wege steht.

Hierzu kommt, daß die Entstehung der Bilder mit der Schnelligkeit eines Gedankens geschieht; denn das Ausströmen der Bilder von der Oberfläche der Körper findet, unserer Wahrnehmung allerdings nicht erkennbar, ununterbrochen statt, da immer wieder Ergänzung erfolgt. Das Ausströmen bewahrt dabei lange Zeit die Lage und Ordnung der Atome am festen Körper, mag sie sich auch bisweilen verwirren. Zusammensetzungen solcher Bilder entstehen in dem Umgebenden blitzschnell, da ja eine körperliche Tiefe nicht ausgefüllt zu werden braucht. Schließlich können solche Wesenheiten noch auf andere Art und Weise ihren Ursprung nehmen. Dies alles wird durch unsere Sinneswahrnehmungen nicht widerlegt, wenn man nur irgendwie darauf achtet, in welcher Weise die Sinneswahrnehmung Eindrücke und Empfindungen in uns entstehen läßt.

Wir müssen aber auch als Grundsatz anerkennen, daß wir nur darum sehen und über das Gesehene nachdenken, weil etwas von den Außendingen in uns eingeht. Denn die Außendinge dürften uns wohl ihre Beschaffenheit an Farbe und Gestalt nicht durch die zwischen, ihnen und uns vorhandene Luft wie ein Siegel aufprägen, ebensowenig wie durch Strahlen oder Ausströmungen, die von uns zu ihnen gelangen. Das geschieht so, als ob von den Dingen irgendwelche Abdrücke in uns eingingen, die von gleicher Farbe und Gestalt sind wie sie und in der passenden Größe in unseren Blick und in unser Denken eintreten, und zwar mit großer Schnelligkeit. Das erzeugt in uns die Vorstellung des einen und einheitlichen Gegenstandes und läßt uns den ihnen zugrundeliegenden Gegenstand empfinden je nach dem von dort ausgehenden Eindruck, der durch das Schwingen der Atome in der Tiefe des festen Körpers entsteht. Und die Vorstellung, die wir von einer Gestalt oder von ihren Eigenschaften durch unser Denken oder durch unsere Sinneswerkzeuge erhalten - sie ist wirklich gestalteter fester Körper, der entsteht, weil das Bild sich in dichter Folge wiederholt oder seinen Eindruck zurückläßt. Täuschung und Irrtum aber hängen von dem ab, was hinzugedacht wird; das Zugedachte aber erwartet die Bestätigung oder das Fehlen einer Widerlegung und wird dann bestätigt oder widerlegt.

Die Ähnlichkeit nämlich der Vorstellungen, die wir zum Beispiel von einem Gemälde erhalten oder die in Träumen oder bei anderen Betätigungen des Denkens und des Prüfern der Kennzeichen zustande kommen, mit den tatsächlich vorhandenen und als wahr bezeichneten Dingen wäre nicht gegeben, wenn nicht etwas, und zwar Ähnliches, existierte, mit dem wir es vergleichen. Es gäbe andererseits keinen Irrtum, wenn wir nicht auch noch eine andere Bewegung in uns selbst erführen, die zwar mit dem Objekt, das zur Vorstellung kommt, verknüpft ist, aber eine ganz persönliche Meinung darstellt; wenn diese Meinung nicht bestätigt oder gar widerlegt wird, dann handelt es sich um eine Täuschung, wird sie aber bestätigt oder nicht widerlegt, dann handelt es sich um die Wahrheit.

Diesen Lehrsatz müssen wir uns besonders gut einprägen, damit die durch den Augenschein gewonnenen Kriterien nicht unbeachtet bleiben und der Irrtum, wenn er für Wahrheit gehalten wird, nicht alles in Verwirrung bringt.

Audi das Hören kommt dadurch zustande, daß eine Strömung von etwas Tönendem oder Hallendem oder Lärmendem ausgeht oder von sonst irgend etwas, das eine Hörempfindung hervorruft. Und diese Strömung zerstreut sich in gleichmäßig gestaltete Körperchen; sie bewahren zugleich eine gewisse verwandtschaftliche Übereinstimmung miteinander wie eine eigenartige Einmaligkeit, die bis zu dem Gegenstand zurückreicht, der sie ausgesandt hat, und meistenteils die entsprechende Wahrnehmung hervorruft oder wenigstens deutlich macht, daß in der Außenwelt etwas vor sich geht. Denn ohne daß von dorther etwas übertragen wird, das Mitempfindung erzeugt, dürfte wohl keine derartige Wahrnehmung entstehen.

Man darf also nicht glauben, die Luft selbst werde von dem ausgesandten Ton oder von Gleichartigem geformt - denn es fehlt viel dazu, daß sie eine derartige Wirkung durch den Ton erleide -, sondern man muß vielmehr als Grundwahrheit ansehen, daß der Impuls, der in uns entsteht, wenn wir einen Ton aussenden, sofort eine entsprechende Ausstoßung von hauchartig strömenden Körperchen hervorruft, die bei uns die Empfindung des Hörens entstehen läßt.

Desgleichen muß man auch überzeugt sein, daß der Geruch wie das Gehörte keinesfalls eine Empfindung in uns entstehen ließen, wenn es nicht gewisse kleine Körperchen gäbe, die von dem Gegenstand ausgehen und so geartet sind, daß sie in dem entsprechenden Sinneswerkzeug einen Eindruck hervorrufen, die einen in verwirrter und fremdartiger Weise, die anderen unverwirrt und angenehm.

Sodann muß man festhalten: Die Atome besitzen sonst keine Eigenschaft der uns erscheinenden Dinge außer Gestalt, Gewicht, Größe und allem, was mit Gestalt notwendig verbunden ist. Denn jede Beschaffenheit verändert sich; die Atome aber verändern sich keinesfalls. Bei der Auflösung der Zusammensetzungen muß ja etwas Festes und Unlösbares zurückbleiben, das eine Veränderung in das Nichtseiende oder ein Auftauchen aus dem Nichtseienden nicht gestattet. Die Veränderungen erfolgen im Gegenteil durch Umlagerungen, bisweilen auch durch Zugang und Abgang von Atomen. Daher muß das, was sich umlagert, unzerstörbar sein und nicht die Natur des Veränderlichen an sich haben, dagegen eigene Masse und Gestalt; und auch diese müssen unverändert bleiben.

Denn bei den Umgestaltungen, die sich vor unseren Augen durch Verminderung vollziehen, treffen wir noch die Gestalt als das dem Dinge Innewohnende an; die Eigenschaften aber, da sie dem sich verändernden Ding nicht innewohnen, bleiben nicht zurück wie die Gestalt, sondern entweichen aus dem ganzen Körper und gehen zugrunde. Das Übrigbleibende ist also hinreichend, die Verschiedenheiten der Zusammensetzungen zu erzeugen; denn es ist notwendig, daß etwas übrigbleibt, was nicht in das Nichtseiende verlorengeht.

Man darf jedoch wiederum nicht annehmen, es gebe Atome von jeder Größe, damit man nicht durch die Erscheinungswelt widerlegt werde. Daß es indes gewisse Unterschiede in den Größen gibt, muß man annehmen; weil dies so ist, läßt sich auch das, was bei den Empfindungen und Wahrnehmungen vor sich geht, noch besser erklären. Daß aber jede Größe von Atomen vorhanden sei, ist zur Erklärung der Eigenschaftsverschiedenheiten der Dinge nicht nötig; es müßten uns dann ja schon sichtbare Atome vor Augen gekommen sein. Das aber ist noch niemals geschehen, und es ist auch nicht auszudenken, auf welche Weise ein Atom sichtbar werden könnte.

Dazu darf man nicht glauben, in dem umgrenzten Körper seien unbegrenzt viele Ur-Teilchen vorhanden, geschweige denn solche von jeder beliebigen Größe. Wir müssen daher nicht nur die Meinung beseitigen, es gebe eine Teilung und Verkleinerung bis ins Unendliche, damit wir nicht unserer ganzen Lehre den Boden entziehen und bei unseren Vorstellungen von den Zusammensetzungen uns gezwungen sehen, das Seiende zusammenzupressen, so daß es sich schließlich ins Nichts auflöst. Wir dürfen auch nicht annehmen, daß die begrenzten Dinge sich ins Unbegrenzte vergrößern oder verkleinern können.

Wenn jemand behaupten sollte, es gebe in einem Ding eine unbegrenzte Anzahl von Teilchen oder solche von jeder beliebigen Größe, dann kann man sich nicht vorstellen, wie dieses Ding dann noch in seiner Größe begrenzt sein könnte. Denn es ist doch klar, daß die unendlich vielen Teilchen eine gewisse Größe besitzen müssen; und wären diese Teilchen auch von beliebiger Größe, so wäre doch immer ihre Größe nicht zu ermessen. Da ferner das Begrenzte ein unterscheidbares Äußeres hat, selbst wenn es an sich nicht sichtbar ist, so muß doch das sich Anschließende als Ähnliches zu denken sein, und so wird man, immer weiter voranschreitend im Denken, bis ins Unendliche kommen.

Das Kleinste, das sich wahrnehmen läßt, muß man sich weiter von der Art denken, daß es sich nicht mehr ändern kann, doch wiederum so, daß eine Veränderung ihm nicht ganz unähnlich wäre, sondern so, daß es mit den veränderlichen Dingen eine gewisse Gemeinsamkeit besitzt, daß es sich aber in seinen Teilen nicht begreifen läßt. Aber wenn wir wegen der Ähnlichkeit, die diese Gemeinsamkeit in sich birgt, glauben, etwas von diesem Teilchen teils diesseits, teils jenseits zu erkennen, dann muß uns in Wirklichkeit das gleiche begegnen. Mit dem ersten beginnend, sehen wir die kleinsten Teilchen der Reihe nach nicht alle an derselben Stelle, auch nicht sich mit Teilen an Teile heftend, sondern mit der ihnen eigenen Eigenheit die Größen abmessend, größere eine größere, kleinere eine kleinere.

Wir müssen überzeugt sein, dieses Verhältnis findet auch auf das Kleinste im Atom Anwendung; denn nur in der Kleinheit unterscheidet es sich offenbar von dem, was wir in sinnlicher Wahrnehmung schauen, unterliegt jedoch dem gleichen Verhältnis. Wir haben ja nach diesem Verhältnis auch vom Atom ausgesagt, daß es Größe habe; wir haben nur ein recht Kleines uns bis ins Unendliche verkleinert gedacht. Ferner müssen wir als Grundlehre ansehen, daß dieses Kleinste, Unteilbare das Äußerste an geringer Ausdehnung darstellt; und so gibt es von sich aus als erstes den Maßstab für Größeres und Kleineres ab, was wir uns aber nur im Geiste von diesem Unsichtbaren vorstellen können. Denn das, was diesen kleinsten Atomen mit den unveränderlichen Teilen gemeinsam ist, reicht aus, diesen Schluß zu ziehen; es ist aber nicht möglich, daß aus ihnen eine Vereinigung entsteht, obwohl sie sich bewegen können.

Wir dürfen ferner bei dem Unendlichen nicht von „oben“ oder „unten“ sprechen, als ob es bei ihm ein Oberstes und Unterstes gäbe. Wir wissen doch, daß uns der Raum über unserem Kopf, der von unserem Standpunkt aus bis ins Unendliche geht, niemals sichtbar werden wird oder daß der unterhalb des gedachten Standpunktes bis ins Unendliche führende Raum in bezug auf den Standpunkt gleichzeitig oben und unten ist. Das ist ganz unausdenkbar. Daher müssen wir die nach oben ins Unendliche gedachte Bewegung und die nach unten als eine einzige annehmen, selbst wenn tausendmal das sich von uns nach oben in die Räume über unserem Kopfe Bewegende zu den Füßen derer über uns gelangt oder zum Kopfe derer unter uns das sich nach unten Bewegende; denn die Gesamtbewegung wird trotz alledem als eine und dieselbe nur der Richtung nach sich selbst bis ins Unendliche entgegengesetzte begriffen.

Es besteht ferner die Notwendigkeit, daß die Atome sich mit gleicher Geschwindigkeit bewegen, wenn sie durch den leeren Raum fliegen und keinen Widerstand finden. Denn die schweren Atome werden nicht schneller fliegen als die kleinen und leichten, wenigstens wenn ihnen nichts in den Weg kommt, und die kleinen nicht schneller als die großen, obwohl ihnen jeglicher Durchgang angepaßt ist, natürlich unter der Voraussetzung, daß ihnen nichts Widerstand leistet. Weder die Bewegung aufwärts noch die zur Seite, die durch Zusammenprall entsteht, noch die Bewegung nach unten infolge der eigenen Schwere wird schneller. Denn solange das Atom die eine oder andere dieser Bewegungen besitzt, so lange wird es sich mit der Schnelligkeit des Gedankens bewegen, bis irgend etwas von außen her oder aus der eigenen Schwere der Gewalt des Anpralls Widerstand leistet.

Was nun die Atomverbindungen betrifft, so wird sich die eine schneller dahinbewegen als die andere, obwohl ihre Atome die gleiche Schnelligkeit besitzen; denn die Atome in den Verbindungen bewegen sich im kleinsten ununterbrochenen Zeitraum auf einen Ort zu, wenn sie sich auch nicht in den nur gedanklich erfaßbaren Zeiten auf einen Ort hin bewegen. Aber sie prallen häufig an, bis die fortdauernde Bewegung den Sinnen erkennbar wird. Denn was wir über das Unsichtbare dazudenken, daß nämlich auch die nur gedanklich vorgestellten Zeiten eine fortdauernde Bewegung haben, ist bei derartigen Dingen nicht richtig. Wahr ist ja nur alles, was wirklich erschaut wird oder aufgrund von Beobachtung mit dem Denken erfaßt wird.

 

Wenn wir nun nach diesen Überlegungen auf unsere Sinneswahrnehmungen und unsere Empfindungen hinweisen - denn so werden wir die sicherste Grundlage für unsere Überzeugung finden -, müssen wir einsehen, daß die Seele ein aus feinsten Teilen zusammengesetzter Körper und durch die ganze Atomanhäufung des Leibes verstreut ist, am besten vergleichbar einem Hauch, der eine gewisse Beimischung von Warmem hat, und zwar teils diesem, teils jenem ähnlich. Es gibt aber noch einen dritten Bestandteil, der durch seine Feinteiligkeit auch von diesen (dem Hauche und dem Warmen) sehr verschieden ist, der aber gerade dadurch mit der übrigen Atomansammlung noch größere Gemeinsamkeit im Empfinden besitzt.

Dies alles machen uns die Kräfte der Seele offenbar, die Empfindungen, die Beweglichkeit, die Fähigkeit zu denken, das, was unseren Tod bedeutet, wenn es uns genommen wird.

Wir müssen ferner daran festhalten, daß in der Seele die Hauptursache für unsere Sinneswahrnehmung liegt. Diese Fähigkeit besäße sie jedoch nicht, wenn sie nicht von der übrigen Atommasse irgendwie bedeckt würde. Die Atomansammlung des Körpers, die der Seele diese Fähigkeit verliehen hat, Hauptursache der Empfindung zu sein, hat nun auch selbst von der Seele Anteil an solcher Erscheinung erhalten, jedoch nicht Anteil an allem, was sie besitzt. Daher hat der Körper keine Fähigkeit, wahrzunehmen, wenn die Seele sich entfernt hat. Denn nicht besaß die Atomansammlung in sich selbst diese Kraft, sondern ein anderes mit ihr zusammen Entstandenes verschaffte sie ihr; dieses gab auch jener durch die Nachbarschaft und enge Beziehung etwas davon ab, nachdem es bei sich selbst diese in ihm gemäß der Bewegung entfaltete Kraft und die Fähigkeit zu empfinden erworben hatte, wie ich schon gesagt habe.

Daher ist die Seele niemals ohne Wahrnehmung, solange sie in dem Körper w r ohnt, selbst wenn irgendein Teil weggefallen ist; sondern sie wird die Fähigkeit wahrzunehmen behalten, was auch immer, wenn die deckende Hülle (des Körperteils) ganz oder teilweise sich loslöst, von ihr selbst mit verloren gehen mag, vorausgesetzt, daß sie überhaupt noch eine Wohnstatt behält. Der übrige Körper, mag er vollständig oder zum Teil erhalten bleiben, besitzt keine Wahrnehmungsfähigkeit, außer wenn von der Menge an Atomen so viel vorhanden bleibt, wie zum Bestehen der Seele erforderlich ist. Wenn die ganze Atomansammlung sich auflöst, zerstreut sich auch die Seele; sie hat nicht mehr dieselben Fähigkeiten, wird auch nicht mehr bewegt, wie sie auch nicht mehr wahrzunehmen vermag.

Denn man kann sich nicht denken, daß das noch Wahrnehmungsfähigkeit besitzt, was nicht mehr in diesem unserem Körper wohnt und diese Erregungen erfährt; das, was die Seele deckt und einhüllt, ist dann nicht mehr so beschaffen wie die Behausung, in der sie jetzt dieses Erregungsvermögen besitzt.

Wir müssen ferner noch bedenken, daß wir nach dem allgemeinen Gebrauch des Wortes sonst nur das unkörperlich nennen, was als von sich aus bestehend gedacht werden kann. Man kann sich aber das Unkörperliche nicht als an sich bestehend vorstellen - mit Ausnahme des leeren Raumes. Der leere Raum aber vermag weder etwas zu tun noch zu erleiden, sondern gewährt nur durch sich hindurch den Körpern Bewegungsmöglichkeit. Daher reden die, die behaupten, die Seele sei unkörperlich, törichtes Zeug. Wenn sie so beschaffen wäre, könnte sie ja weder etwas tun noch etwas erleiden. Nun aber sind es offensichtlich gerade diese beiden Eigenschaften, die wir der Seele zuerkennen.

Wer nun alle diese Erwägungen hinsichtlich der Seele in Beziehung bringt zu den Empfindungen und Wahrnehmungen und sich dessen erinnert, was zu Anfang dargelegt worden ist, der wird erkennen, daß sie hinreichend unter die Gesichtspunkte gebracht wurden, von denen aus auch Teilfragen genau und sicher gelöst werden können.

Des weiteren: Formen, Farben, Größe, Schwere, und was sonst noch vom Körper ausgesagt wird, mag es entweder allen oder wenigstens den sichtbaren Körpern zugehörig und allein durch Wahrnehmung erkennbar sein, dürfen wir nicht für selbständige Wesenheiten halten; denn das können wir uns nicht vorstellen. Wir vermögen sie aber auch nicht gänzlich als nicht bestehend anzunehmen noch zu glauben, sie seien irgend etwas Unkörperliches, dem Körper Zugehöriges, noch daß sie Teile von ihm sind. Wir müssen vielmehr dafür halten, daß der ganze Körper überhaupt aus allem diesem sein eigenes immerwährendes Wesen erhält. Doch es ist nicht so, als ob er aus alledem zusammengetragen wäre, wie wenn aus selbständigen Teilchen eine größere Ansammlung sich zusammenfügte, sei es aus den ursprünglichen, sei es aus Teilen des Ganzen, die kleiner als dieses Ganze sind; sondern der Körper erhält, wie ich schon sagte, nur aus allem diesem zusammen sein eigenstes immerwährendes Wesen. Und alle diese Eigenschaften können als einzeln begriffen und unterschieden werden, doch immer so, daß das Ganze mit dabei gedacht wird und sich in keiner Weise davon absondert. Vielmehr erhält es gerade durch die Vorstellung des Gesamten erst seine Bezeichnung als Körper.

Den Körpern stößt es oftmals zu, daß neben ihnen etwas hergeht, was nicht ewig ist und was weder zu dem Unsichtbaren gehört noch unkörperlich ist. Wenn wir daher nach der häufigsten Verwendung uns des Wortes „Symptome“ (das zufällig Zustoßende) bedienen, machen wir damit klar, daß das zufällig Zustoßende, die Symptome, weder die Wesenheit des Ganzen besitzen, das wir, in der Gesamtheit zusammengenommen, als Körper bezeichnen, noch die Wesenheit des ewig Begleitenden, ohne das wir uns keinen Körper vorstellen können.

Im Hinblick auf bestimmte Beobachtungen des Ganzen dürfte jedes einzelne Symptom seine Benennung erhalten, aber nur, sooft jedes einzelne als vorhanden festgestellt wird, da ja die Symptome das Ganze nicht ewig begleiten. Und diese augenfällige Erkenntnis dürfen wir nicht aus dem Seienden vertreiben, weil die Symptome nicht die Natur des Ganzen besitzen, an dem sie auftreten und das wir Körper nennen, und auch nicht die Natur des ewig Begleitenden haben. Andererseits dürfen wir sie nicht für selbständig halten - denn das ist weder bei diesen noch bei den bleibenden Eigenschaften auszudenken -, wir müssen sie vielmehr für das halten, als was sie erscheinen, nämlich für Symptome (zufällige Attribute der Körper), die nicht bleibende Eigenschaften sind, noch eine eigene wohlgeordnete Natur besitzen, sondern für Erscheinungen von der Art, wie die Wahrnehmung selbst sie ihnen zulegt.

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