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Die indischen Eskimos

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Es war kein Mensch gewesen, der ihm geantwortet hatte, sondern ein Tier, aber ein solches, das oft zuverlässiger ist als ein Mensch und in diesem Falle dem Einsamen unersetzlich war.

Ein Hund hatte mit tiefer Stimme angeschlagen, und in diesem Bellen hatte eine grenzenlose Freude gelegen.

Richard machte sich abermals durch Rufen bemerkbar. Nun kam das Bellen näher, und da jagte auch schon ein riesiger Neufundländer um die Ecke, der sich vor Freude wie rasend gebärdete und Richard fast über den Haufen warf. Durch Vor- und Rückwärtslaufen und Umblicken deutete das Tier in nicht mißzuverstehender Weise an, daß der Mensch ihm folgen solle. Einmal kehrte er dabei sogar ganz schnell um und fuhr ihm mit der Zunge über das Gesicht.

Richard weinte Freudenthränen, als er dem klugen Tiere folgte. Wozu dessen auffallendes Drängen? Wohin wollte es ihn mit solcher Eile führen? Etwa zu seinem toten Herrn? Oder gar zu seinem noch lebenden?

Richard sollte etwas finden, was er nicht im mindesten erwartet hatte, obgleich es sehr nahe lag und von ihm auch schon vorher hätte erkannt werden können.

Der Hund führte ihn nämlich gerade auf den zwischen den Häusern liegenden Dampfer zu, dessen Anblick hier in der Nähe sehr unheimlich wirkte. Außenbords hing ein Fallreep, eine Strickleiter, und da der Neufundländer, wie die Matrosen sagen, ‚Seebeine‘ besaß und ein Schiffshund und so gewandt wie ein Seemann war, so schlug er jetzt mit den Vorderläufen hakenförmig in die Sprossen ein, enterte die Leiter hinauf und schwang sich endlich über die Bordwand. Hier blickte er sich um, ob ihm der Mensch auch folge, und eilte dann über Deck, um, rückwärts hinabkletternd, in einer Luke zu verschwinden, in welche keine Treppe, sondern eine eiserne Leiter führte.

Da es sehr dunkel in dem Gange war, sah Richard zuerst nichts. Doch der Hund knurrte und zog ihn mit den Zähnen am Pelzrocke weiter, und nun vernahm er winselnde Stimmchen, jetzt ging ihm eine Ahnung auf. Schnell tasteten seine Hände nach dem Boden, und er fühlte die wolligen Felle von vier kleinen Neufundländern, die ihm die Hand leckten. Nochmals weinte Richard Thränen der Freude. Diese Entdeckung entzückte ihn mehr, als wenn er einen Menschen gefunden hätte. Konnte er wissen, was dieser für einen Charakter besaß? Diese Hunde aber waren zuverlässig.

Wie hatte die Hündin die alles vernichtende Kälte überstanden? Wovon ernährte sie sich und ihre Jungen?

Nach und nach gewöhnten sich Richards Augen an die Dunkelheit. Er sah nun eine offene Thür, die in die Proviantkammer führte, wo Schinken und Würste am Boden lagen. Genug zu fressen hatte die Mutter also gehabt.

Als Richard sich jetzt weiter in dem Schiffe umblickte, konstatierte er, daß es ganz mit Mehl und Kohlen beladen war, auch fand er Leichen erfrorener Menschen, denen außerdem meistenteils die Köpfe zerschmettert waren. Offenbar wurden sie bei der Katastrophe gegen die Decke geschleudert. Endlich stieß Richard auf die Leiche eines zweiten Neufundländers, wahrscheinlich die des Vaters jener Jungen. Auch er war der Kälte zum Opfer gefallen, und so mußte man annehmen, daß nur die Mutterliebe, die Sorge um ihre Jungen die Hündin am Leben erhalten hatte.

Vereskimot

Hier in Phunga hatte Richard so wie so eine Zeit lang bleiben wollen, um die zukünftigen Eskimos sich allein weiter entwickeln zu lassen. Er richtete sich daher auf diesem Passagierschiffe häuslich ein, polsterte eine mit einem Kanonenofen heizbare Kabine mit Decken und Matratzen aus und widmete sich einige Tage ganz den Hunden, indem er sie pflegte, fütterte und sich mit ihnen unterhielt.

Das waren jetzt die zukünftigen Eskimohunde, denn sie würden ganz sicher einen dichteren Pelz bekommen, jedenfalls wie die Eskimohunde in den stillen Schneewüsten das Bellen verlernen und den Menschen auf Jagden und als Schlittenzieher die nützlichsten Gefährten werden. Richard wußte selbst nicht, wie es kam, aber diese Tiere waren ihm schon jetzt weit angenehmere Gesellschafter, als die Malayen, und er glaubte, sich mit ihnen viel besser unterhalten zu können, als mit jenen.

Dann untersuchte er die Schiffsbibliothek, trug Bücher aus anderen Häusern zusammen und las und schrieb viel. Er entwarf nämlich Pläne zur Erziehung der zukünftigen Eskimos und gründete schon jetzt in Gedanken ein Reich, in welchem der letzte Kaukasier als ein König über schmutzige, verräucherte, fischessende und thrantrinkende Eskimos, die aber immerhin ein glückliches, zufriedenes, heiteres Völkchen waren, herrschen wollte. In der That giebt es ja keine glücklicheren Menschen auf der ganzen Erde, als die Eskimos in ihrer Bedürfnislosigkeit sind. –

Hier und noch an vielen Stellen waren unermeßliche Reichtümer von Lebensmitteln aufgestapelt. Sollte sie Richard den Indiern erst zugänglich machen? Nein, besser war es schon, sie gewöhnten sich gleich an das Eskimoleben und vergaßen ganz den Tabak, Kaffee, Thee und die anderen Reizmittel, denn einmal mußten auch die scheinbar unerschöpflichen Vorräte ein Ende nehmen.

Inzwischen beobachtete Richard auch die Natur und die Veränderungen in der Tier- und Pflanzenwelt, und damit vergingen Wochen, in denen die Sonne nicht mehr auftauchte und dafür das Nordlicht die Nacht erleuchtete. Fürchterliche Schneestürme tobten durch das Land. So verstrich ein halbes Jahr. Dann, als die Sonne wieder schien, schleifte Richard ein gut erhaltenes Boot nach dem Wasser und trat, die fünf Hunde mitnehmend, die Rückfahrt an.

Die jungen Tiere hatten sich schon stattlich entwickelt. Die Größe der Mutter würden sie allerdings voraussichtlich nicht erreichen, dagegen war ihr Pelz bereits dichter; auch hatte sich ihr Bellen in ein Heulen verwandelt.

Die warme Strömung längs der Küste, die für die Rückfahrt so günstig war, hatte angehalten, sodaß das Meer eisfrei war. Rings herum jedoch starrte es noch von Eisbarrieren. Auf den Klippen wucherten Moosflechten, überall nisteten Eisvögel und Möwen, auf den Eisschollen sonnten sich Seehunde und Walrosse.

Was war nun aus den Indiern geworden? Hatten sie den halbjährigen Winter mit seiner größeren Kälte und den vielen Schneestürmen überstanden? Es war ein gewagter Versuch gewesen, diese Menschen sich allein zu überlassen, und Richard hatte sich schon oft Vorwürfe über dieses Experiment mit Menschenleben gemacht!

Da – großer Gott – erblickte er einen Eskimo, einen echten Eskimo, in einem Kajak das Doppelruder handhabend!

Ja, hatte denn Richard ganz vergessen, daß auch die echten Eskimos ihre alte Heimat verlassen und dem Zuge der Polartiere folgen konnten? –

Jetzt legte der Eskimo das Ruder ein und schwang eine Harpune in der Faust, jetzt tauchte der Kopf eines Seehundes auf, und schwubb .....

„Ich habe ihn, Sahib, einen ganz fetten!“ erklang es jubelnd, und der Eskimo ruderte auf das Boot zu, den getöteten Seehund, der das Kajak noch etwas fortgeschleppt hatte, an einer Leine nach sich ziehend.

Richards Staunen war grenzenlos. Soliman war es! Und noch dazu in einem grönländischen Kajak, und mit Doppelruder und Harpune!

Die Entwicklung des Indiers zum Eskimo war schneller vor sich gegangen, als er geahnt hatte.

Allerdings bestand das Gerippe des Kajaks, das mit Fellen überzogen war, noch nicht aus Walfischborden, sondern erst aus Bambusstäben, aber der Anfang zu einem echten Eskimoboote war doch schon gemacht, und echt eskimoisch war auch bereits die Freude, mit der Soliman den Wiederkommenden begrüßte, und die Geschwätzigkeit und das fortwährende Lachen, mit dem er erzählte und immer wieder von dem fetten Seehunde sprach.

Auch etwas anderes fiel Richard auf. Das Kostüm, das Soliman trug, war weit praktischer, als es Richard hätte erfinden können. Bei dem Anzuge des Indiers gab es schon wasserdichte Abschlüsse, und außerdem war er innen mit Eiderdunen gefüttert. Die bittere Kälte war die beste Lehrmeisterin gewesen.

Dort, wo sich drei Schneehütten erhoben, betraten sie nun das Land. Ein dreijähriger Junge sprang ihnen entgegen. Splitterfasernackt, mit zwei langen, weißen Zapfen an der Nase, biß er vergnügt in einen rohen Fisch wie in Eskimokinder bei 20 Grad Kälte nackt im Freien herumlaufen, der mag nach Grönland gehen, oder die Berichte von Polarreisenden darüber lesen.

Richard kroch durch den Schneetunnel in eine Hütte. Hier saßen Männer, Frauen und Kinder ebenfalls nackt um die Thranlampe herum. Alles war schwarz und schmierig, aber alles seelenvergnügt.

Die warme Grotte hatten sie bereits ganz vergessen, denn dort duftete es ja nicht so schön wie hier. Die Schneehütte war ihnen nach gethaner Jagd zum Paradiese geworden. Von dem gefrorenen Fleische der früheren Tiere wollten sie auch nichts mehr wissen, das war nicht fett genug und schmeckte vor allen Dingen nicht so lieblich nach Thran, wie das der Fische, Seehunde und Walrosse. Ach, flüssiger Thran! Was gab es Edleres auf der Welt, als so eine ganze Schüssel davon ohne abzusetzen auszuleeren!

Auch schnitten sie lange Streifen von Seehundsspeck ab, hielten das eine Ende desselben über die Lampe und ließen es langsam nach oben brennen. War dann die Außenseite schwarz verkohlt, dann war er gut, dann pfropften sie von der so angenehm brenzlich schmeckenden Delikatesse in den lachenden Mund so viel hinein, als nur hineingehen wollte, und auch noch etwas dazu.

Ja, sie waren zu echten Eskimos geworden. Niemand hätte daran gezweifelt, wenn er sie so beobachtete, wie sie sich gegenseitig die zwischen den Zähnen hervorragenden Speckstreifen dicht vor denselben abschnitten und in die schmutzigen Mäuler stopften! – –

Hier begann Richards Traum undeutlich zu werden; äußere Eindrücke mischten sich mit ein, und er erwachte.