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Die indischen Eskimos

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Die zukünftigen Eskimos

Einige Stunden waren vergangen – und zwar war es eigentlich Nachtzeit – als Richard wieder die Grotte betrat. Soliman hatte die dicken Handschuhe fertig und konnte viel von seinen Kameraden und den Malangos erzählen, die wieder apathisch an der Erde kauerten, nachdem sie Richards letzte Konserven verzehrt hatten. Die draußen herrschende Kälte schien auch hier drinnen Appetit zu machen.

Vorläufig sagte Richard hierzu nichts, sondern zog ruhig die Handschuhe wieder an, ohne welche er vorhin nichts hatte anfangen können, und ging noch einmal hinaus, um dann mit mehreren großen Vögeln zurückzukehren und auch noch einiges Holz herbeizuschaffen.

Die Eingeborenen sollten nun die Vögel rupfen, ausnehmen und sie am Feuer braten. Das gab einmal eine Abwechslung in der Ernährung.

Doch sein Zureden war vergeblich, denn weder die Malangos noch die Malayen wollten sich dazu bequemen, obgleich sie mit lüsternen Blicken nach den Vögeln sahen.

Gut, so bereiteten Richard und Soliman sich den Braten allein!

Das Feuer flackerte auf, der Rauch fand Abzug durch die Löcher oder wurde von dem Wasserdampfe mit fortgerissen, und da auch sonst nichts fehlte und man sogar Salz nicht entbehrte, so waren bald die köstlich duftenden Braten fertig.

Richard legte sich und Soliman vor, und sie begannen zu essen.

Bald rückten die vier Malayen näher an das Feuer, und die Malangos rutschten nach, indem sie erwartungsvoll nach dem gebratenen Geflügel blickten.

„Was wollt Ihr?“ fragte Richard harmlos.

„Essen, Sahib, wir haben Hunger.“

„Ach, Ihr wollt doch sterben.“

„Wir wollen nicht sterben, sondern wir müssen es; aber da wir jetzt noch leben, wollen wir auch essen.“

„Allerdings, Ihr wollt wohl essen, aber Ihr bekommt nichts; wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen,“ entgegnete Richard entschieden. Und dabei blieb es. Die hungrigen Gäste durften zwar der Mahlzeit zuschauen, bekamen aber nicht einmal einen Knochen.

Da schienen sie sich in ihr Schicksal ergeben zu wollen, seufzten und legten sich wieder hin. Nur ein kleiner Malango, sicherlich der Schlaueste von ihnen, machte eine Ausnahme. Er fragte nämlich Soliman, ob er Holz klein spalten dürfe, und als er nun dafür einen Hühnerflügel bekam, da entstand unter den anderen eine lebhafte Debatte, und das Resultat derselben war, daß sich alle bereit erklärten, zu arbeiten und zu thun, was der kluge Sahib ihnen befehlen würde, jetzt und immerdar. Es wurde sogar ein förmlicher Pakt geschlossen, nach welchem Richard feierlich erklärte, sie dem Leben zu erhalten. Nun bekamen sie alle ihren Anteil an der Mahlzeit, und so war diese Angelegenheit zu allgemeiner Zufriedenheit geregelt.

Noch vor dem Schlafengehen, denn es war ja schon spät in der Nacht, wenn auch die Sonnen noch über dem Horizonte stand, schleifte Richard einige größere Tiere in die Grotte, darunter auch einen Lippenbären; dann legten sie sich schlafen, und nach dem Erwachen wurden die ersten Arbeiten vorgenommen, die der Aufenthalt in der neuen Zone nötig machte.

Dem unterdessen aufgetauten Wilde wurde das Fell über die Ohren gezogen, und während man das Fleisch draußen gefrieren ließ, fingen die Eingeborenen an, mit dem Fette die Häute und die Eingeweide zu bereiten, welche Arbeit durch das heiße Wasser außerordentlich erleichtert wurde.

Mit solchen Beschäftigungen vergingen einige Tage; dann hatten sich die Felle in Pelzkleider, Schuhe, Kapuzen und Handschuhe verwandelt, und als Solimans Kostüm fertig war, betrat auch er an Richards Seite das Freie und spannte sich vor die erfrorenen Tiere, um sie in die Grotte hineinzuziehen. So wurden immer neue Felle gewonnen, und bald besaß jeder Eingeborener, sogar jedes Kind, solch ein warmes Kostüm. Dann erfand man Verbesserungen, und einer nach dem anderen wurde langsam daran gewöhnt, diese Kälte im Freien zu ertragen. Freilich hatte Richard oft genug ungeheuere Mühe mit den Indiern; er konnte manchmal verzweifeln; ja, es kam sogar vor, daß sich ein Malango plötzlich in den Schnee warf und nicht wieder aufstehen wollte. Da wählte Richard, als er merkte, daß alles Zureden nichts half, ein besseres Mittel, welches stets den gewünschten Erfolg hatte. Wenn ein Eingeborener nicht wieder aufstehen, sondern sterben wollte, so prügelte ihn Richard einfach mit dem Bambusstock, den er zu diesem Zwecke immer mit sich führte, windelweich. Dadurch wurde der Körper des Geschlagenen zugleich brühwarm, und mit der zurückkehrenden Lebenswärme kam dann auch der Lebensmut wieder, und der Geprügelte sprang schnell genug wieder empor.

Inzwischen beobachtete Richard mit Hilfe seiner Instrumente unausgesetzt die Sonne, und seine Berechnungen ergaben schließlich mit untrüglicher Gewißheit, daß der neue Nordpol genau mit Singapore zusammenfiel und daß man sich daher auf dem einundachtzigsten Breitengrade befände.

Jetzt war hier Polarsommer. Wie würde es nun werden, wenn erst der Winter mit seiner halbjährigen Nacht und furchtbaren Kälte käme? In der Grotte allerdings, deren heißer Bach nicht versiegte, war man ja vor der Kälte geschützt, und gefrorenes Fleisch gab es auch in Ueberfluß, man mußte sich nur die Fleischablagerungsstätten merken, falls sie verschneiten – doch Richard sah schon weiter in die Zukunft, dachte schon an die Kinder der Eingeborenen, und ganz andere Pläne entstanden da in seinem Kopfe; er wollte sich nicht begnügen, dieses Geschlecht nur in der warmen Grotte geschützt zu wissen.

Sie mußten hinaus, sich acclimatisieren, und wer dazu nicht fähig war, der mochte zu Grunde gehen. Nur dem Starken und Widerstandsfähigen gehört das Leben.

Wir werden sehen, wie er seine Pläne ausführte.

Die Ansiedlung an der Küste

Zu den Pelzkostümen waren Schlafsäcke gekommen, wie sie auch die Eskimos benutzen, um in der strengsten Kälte draußen zu übernachten. Die Pelze dazu lieferten Bären, deren Hinterindien zwei Arten besitzt, eine kleinere, den malayischen, und eine größere, den Lippenbären. Auch Schneeschuhe waren gefertigt worden, und man hatte sich auf ihnen bei kleineren Expeditionen geübt. So konnte nun, als das Laufen einigermaßen ging, der erste große Marsch nach der Küste angetreten werden, denn Richard begehrte vor allen Dingen, das Meer zu schauen.

Alle Männer mußten mit, und nur die Frauen und Kinder blieben in der Grotte zurück.

An einem sonnenklaren Morgen flogen die acht Männer über die glatte Schneedecke dahin. Jeder war mit seinem Schlafsacke und einigem Fleischvorrate belastet; im Gürtel steckten Axt und Messer, und in der Hand trugen sie einen langen Bambusstab mit Steinspitze, der ihnen als Bremsstock und Lanze zugleich diente. Die Malangos waren außerdem noch mit Pfeilen und Bogen bewaffnet, während Richard nur einen Revolver bei sich trug.

Vieles an dieser Ausrüstung war unnötig. Denn wozu brauchte man in der ausgestorbenen Schneewildnis Waffen? Wozu Proviant, da überall das Fleisch herumlag? Aber Richard begann schon jetzt mit seiner planmäßigen Erziehung der Eingeborenen. Sie mußten sich eben auch an eine solche Ausrüstung gewöhnen.

Als Richard noch nicht so weit vorgedrungen war, schien die Umgebung überall die gleiche zu sein. Dann aber entdeckte er doch manches Neue.

Ein Fuchs sprang zum Beispiel auf und verschwand in einem Schneeloche. Das war etwas sehr Wichtiges. So war also die Tierwelt doch nicht ganz ausgestorben.

Auf ihren Märschen durch den gebirgigen Teil der Gegend machten die Malangos Richard noch auf eine andere Höhle aufmerksam, der, wie sie sagten, ebenfalls ein Bach entsprang. Dieser habe jedoch im Gegensatze zu jenem heißen Quell in der uns schon bekannten Höhle eiskaltes Wasser. Diese Grotte wurde nun besucht, aber man konnte sie kaum wiederfinden, so war sie unter Eis und Schnee vergraben. Es mußte erst eine Schaufel gemacht werden, um ihren Eingang freizulegen und dann in eine geräumige Höhle zu gelangen, die von Eiszapfen starrte.

Richard beschloß, hier ein Museum anzulegen, in dem alle gefrorenen Tiere und Pflanzen der vergangenen Periode, oder doch von jeder Art und Spezies ein Exemplar einen Platz finden sollten.

Der Marsch wurde fortgesetzt, und am Nachmittage erreichten die Schneeschuhläufer die erste Hütte. Alles war tot, alles erfroren. Die Siamesen kauerten noch um das am Boden stehende Frühstück. Mitten in der Bewegung waren sie von der Todeskälte überrascht worden, die sie in Statuen verwandelt hatte. Offenbar hatten sie vorher gar nichts von einer Kälte verspürt.

Mochte hier auch ein großes Naturphänomen vorliegen, ganz unbekannt sind solche sogenannte Kältewellen nicht, besonders in Amerika. In New-York kennt und fürchtet man sie, und sie werden vorher telegraphisch gemeldet. Dann flüchtet alles in die Häuser und heizt, bis der Ofen glüht, denn die gewöhnliche Winterkälte sinkt nun plötzlich um zehn, ja 20 Grad und noch tiefer, und wer unvorbereitet im Freien davon überrascht wird, der ist des Todes. Ebenso plötzlich aber, wie die Kältewelle gekommen, schwindet sie auch wieder.

So wie in der ersten Hütte, sah es in allen anderen Hütten aus; die ganzen Dörfer waren ausgestorben und ausgefroren. Dennoch stieß man wieder auf Leben – nämlich auf eine die Flucht ergreifende Ratte.

Dann kam das offene Meer, und der Anblick desselben war ein solcher, daß Richard vor Staunen auf die Kniee sank.

Es war ein Polarmeer. Die blaue Farbe des Wassers hatte sich in eine grüne verwandelt, und schon hatten sich durch übereinander getürmte Schollen kleine Eisberge gebildet, die bald zu riesenhafter Größe anwachsen mußten. Schollen spülten an die Küste; in der Ferne aber zeigte sich bereits eine unübersehbare Eisbank, die wohl von der Mündung eines Flusses gebildet und abgestoßen worden war.

Ein Schiff war nicht zu sehen. Ob überhaupt noch ein solches von Menschenhand über den Ocean gesteuert wurde?

 

Zunächst maß Richard die Temperatur des Meerwassers. Dieselbe betrug 17 Grad. Das war für ein Eismeer sehr warm! Er beobachtete nun die Temperatur und die Strömungen weiter und kam im Laufe der Zeit zu der Ueberzeugung, daß an der Küste ein warmer Strom entlang lief. Damit war die Existenz von Menschen hier gesichert, und die Wintertemperatur würde vermutlich von der des Sommers nur wenig verschieden sein. Dafür sorgte das eine gleichmäßige Wärme ausstrahlende Meer, wenn auch Eis und Schnee nie schmelzen würden. Letzteres war aber gerade gut, denn nun würde auch das gefrorene Fleisch nie auftauen und in Verwesung übergehen.

Wie sie noch so dastanden und staunten, kam plötzlich vom Horizonte eine große, graue Wolke immer schneller und schneller heraufgezogen, dann senkte sich die Wolke, stieg wieder hoch, senkte sich abermals und beschrieb endlich einen Bogen. Es rauschte, schnatterte und kreischte – und die ersten Polarvögel, Eidergänse, Eiderenten, Möwen und andere Vögel hatten sich auf der vereisten indischen Halbinsel niedergelassen. Von nun an würden sie hier nisten, brüten und dem Fischfange obliegen. Die ehemalige Polargegend war ihnen zu warm geworden, sie waren ihrem Instinkte gefolgt. Nun war es vorauszusehen, daß nach ihnen die Walfische, die Robben und die anderen Bewohner der Polarmeere kommen würden; nach diesen wieder die Eisbären, Renntiere und die Moschusochsen, wenn sie auch zu ihrer Wanderung über Land vieler Jahre bedurften. Schließlich hatten die Vögel auch schon in ihren Därmen den Samen von Polarflechten mitgebracht. Bald mußte daher unter dem Schnee isländisches Moos zu finden sein.