Liebe im Exzess

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„Wie schwer es doch ist, Kummer zu verbergen! Obwohl Ihr Euch mit Rücksicht auf Eure und die Ehre Eurer Tochter zweifelsohne darum bemüht, verrät mir Euer Gesicht den Kummer doch zu deutlich, als dass ich zuversichtlich wäre, ihn selbst verbergen zu können.“

„Wie, Madame“, klagte der ungeduldige Vater und ließ seinen Tränen Lauf, „kommt es, dass Ihr von meinem Unglück wisst?“

„Leider“, antwortete sie. „fürchte ich, dass Ihr der letzte wart, der von diesem Unglück Kenntnis bekam. Meine Hoffnung war, dass mein Rat und die täglichen Beweise der Geringschätzung, die der Count Eurer Tochter gegenüber hegt, sie dazu bringen würden, ihn zurückzuweisen, und ich bitte Euch tausendmal um Verzeihung für den Verrat an unserer Freundschaft, als ich Euch eine Affäre verschwieg, von der Ihr hättet erfahren müssen.“

„Ach, Madame!“, unterbrach er sie, „ich bitte Euch, sich für nichts zu entschuldigen, was der Vergangenheit angehört. Die Größe Eurer Güte ist mir wohlbekannt, und auch die Gunst, mit welcher Ihr meine Tochter immer beehrt habt; ich bitte nur darum, nicht länger im Unwissen über das schlimme Geheimnis bleiben zu müssen.“

„Ihr werdet über alles informiert werden“, sagte sie. „Ihr müsst mir aber versprechen, meinen Ratschlägen zu folgen.“

Nachdem er dies tat, teilte sie ihm mit, auf welche Weise Amena in ihr Haus gekommen war, wie kühl sich der Count ihr gegenüber verhalten hatte und wie es um das Ungestüm ihrer Leidenschaft für ihn stand.

„Nun“, sagte sie, „falls Ihr Eurem Zorn gegen den Count öffentlich freien Lauf lasst, dann wird das nur die Entehrung Eurer Tochter zum Tischgespräch von ganz Paris machen. Er ist am Hof zu angesehen und hat zu viele Freunde, um sich irgendwelche Bedingungen aufzwingen zu lassen, die Euch zufriedenstellen. Schon der geringste Klatsch könnte ihm verraten, auf welche Weise er mit ihr und ihrer exzessiven, um nicht zu sagen: ärgerlichen Vernarrtheit in ihn ursprünglich bekannt wurde. Und sollte dies geschehen, dann würde die Schande gänzlich auf sie fallen, und nur wenige würden ihn dafür verdammen, die von einer so jungen und schönen Lady wie Amena angebotenen Liebkosungen akzeptiert zu haben.“

„Aber wie ist es möglich“, rief er ganz verwirrt über diese Worte, „dass sie so tief sinken konnte, ihre Liebe anzubieten? Ach Himmel, ist das die ganze Wirkung meiner Gebete, meiner Fürsorge und meiner Milde?“

„Zweifelt nicht an der Wahrheit meiner Worte“, sprach sie weiter. „Was ich weiß, habe ich von ihr selbst, und davon wird Euch überzeugen, was ich Euch nun sage und vorher vergessen hatte.“

Nun erzählte Alovisa ihm von dem Zettel, den Amena in den Brief geschoben hatte, welchen er sie zu schreiben gezwungen hatte, und dass sie Anaret zum Count geschickt hatte, was sie durch erfundene Umstände noch drastischer ausmalte, bis der alte Mann, der das alles wie ein Orakel für bare Münze nahm, zwischen Sorge und Zorn schwankend fast den Verstand verlor; doch zunehmend vom Zorn beherrscht, schwor er, Amena auf eine Weise zu bestrafen, die jedes Kind vom Ungehorsam abhalten würde.

„Jetzt ist der Moment“, sagte Alovisa, „wo ich erwarte, dass Ihr Euer Versprechen erfüllt; solche Drohungen sind kaum dazu geeignet, den Ruf Eurer Tochter oder Eure Seelenruhe wiederherzustellen; also glaubt mir, es ist besser, nicht viel Worte darum zu machen, vielmehr zeigt Gelassenheit in Eurer Miene und überlegt, ob Ihr nicht einen Freund in einem Kloster habt, wohin Ihr sie schicken könntet, bis das Gerede und ihre Torheit sich gelegt haben. Falls Ihr niemanden kennt, kann ich Euch ein Kloster in St. Dennis empfehlen, dessen Äbtissin nahe mit mir verwandt ist und auf meinen Brief hin Amena mit aller nur vorstellbaren Liebe behandeln wird.“

Monsieur war äußerst erfreut über diesen Vorschlag und dankte ihr in Worten, wie sie ihre scheinbare Freundlichkeit verdiente.

„Ich möchte nicht“, fuhr sie fort, „dass Ihr sie mit nach Hause nehmt oder sie seht, bevor sie dorthin geht; oder, wenn Ihr doch wollt, nicht bevor alles für ihre Abreise vorbereitet ist, denn ich weiß, dass sie so viele Versprechen, sich zu bessern, geben wird, bis sie mithilfe Eurer väterlichen Milde durchgesetzt hat, in Paris zu bleiben, und ich weiß auch, dass sie nicht die Kraft hat, diese Versprechen zu halten, wenn sie in der gleichen Stadt wie der Count lebt. Sie kann, wenn Ihr wollt, in meinem Haus versteckt wohnen, bis Ihr alles für die Reise hergerichtet habt; um üble Nachreden zu vermeiden, ist es auch hilfreich, wenn Ihr verbreitet, dass sie sich mittlerweile bei Verwandten auf dem Land aufhält.“

Während sie sprach, kam Charlo und teilte ihr mit, dass jemand sie zu besuchen wünschte. Sie zweifelte nicht daran, dass es D´Elmont war, also drängte sie Monsieur Sanseverin zu gehen, doch nicht ohne ihn den Entschluss bekräftigen zu lassen, ihre Ratschläge vollständig zu befolgen. Sobald sie sich der Ankunft von D´Elmont sicher war, schwand alle Traurigkeit aus ihrer Miene, die nun Frohsinn und gute Laune ausstrahlte; sie zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen und alle lachenden Kupiden in ihre Augen.

„Mein Herr“, sagte sie, „Ihr tut gut daran, durch diesen zeitigen Besuch Eurem Geschlecht den dahinschwindenden Ruf der Beständigkeit zurückzugewinnen und zu beweisen, wie gut Amenas Urteilsvermögen war, als sie ihre Gunst einer Person gewährte, die sie aufgrund ihrer Qualifikationen, darunter die Beharrlichkeit, auch verdient.“

Als er zu einer Antwort ansetzte, wurden sie durch das Geräusch von jemandem, der hastig die Treppe an einem Ende des Salons herablief, genötigt, sich dorthin zu wenden. Es war die unglückliche Amena, die den Gedanken daran, im Haus ihrer Rivalin zu bleiben, nicht ertragen konnte, und die versunken in ihr Leid und ohne Rücksicht darauf, was aus ihr werden könnte, sich anschickte, diesen abscheulichen Ort zu fliehen, sobald sie hörte, dass die Tore geöffnet waren. Alovisa erschrak angesichts dieses Widerstands, denn sie hatte gehofft, mit dem Count eine Weile sprechen zu können, bevor die beiden sich begegneten; doch sie verbarg ihre Bestürzung. hielt Amena fest, als sie vorbeilaufen wollte, und fragte sie, wohin sie wolle und was der Grund für ihre Aufregung sei.

„Ich fliehe“, antwortete Amena, „vor einem falschen Liebhaber und einer falschen Freundin. Aber warum sollte ich Euch tadeln?“

Sie blickte wütend zwischen dem Count und Alovisa hin und her.

„Verräterisches Paar, nur zu gut kennt Ihr die Niedertracht des anderen und meine Missetaten; haltet also nicht länger eine Unglückliche fest, deren Gegenwart, wenn ihr auch nur das geringste Gefühl von Ehre, Dankbarkeit oder gewöhnlicher Menschlichkeit hättet, euer Gewissen mit Reue und Scham erfüllen würdet, und die jetzt keinen anderen Wunsch hat als den, euch für immer zu meiden.“

Bei diesen Worten versuchte sie sich aus Alovisas Armen zu befreien, doch diese hielt sie trotz ihres Schrecks immer noch fest. D´Elmont war nicht minder verstört und wusste, ohne die Bedeutung jener Worte zu verstehen, nicht, was er dazu sagen sollte, bis sie ihre Anschuldigungen wieder aufnahm:

„Warum, ihr barbarischen Ungeheuer, erfreut ihr euch am Anblick des Unglücks, das ihr angerichtet habt? Reicht nicht das Wissen um mein Elend, mein immerwährendes Elend, um euch zu befriedigen? Und muss mir das einzige Heilmittel für mein Leiden verwehrt bleiben? Der Tod! Ach, welch grausamer Lohn für meine Liebe und meine Freundschaft und das Vertrauen, das ich in euch gesetzt hatte! Ach, wie tief bin ich gesunken durch mein zu weiches und unbefangenes Wesen; es ist das harte Los der Zartheit, andere zu heilen, aber sich selbst zu verwunden – gerechter Himmel!“

Hier hielt sie ein; ihre Wut erstickte ihre Worte und entlud sich in Seufzern; dann fiel sie in Ohnmacht. So fassungslos der Count und Alovisa auch waren, sie unterließen nichts, um Amena wieder zu Sinnen zu bringen. Als sie damit zu Werke gingen, fiel jener verhängnisvolle Brief, welcher die Aufregung verursacht hat, aus ihrem Busen, und im Versuch, ihn als erster zu fassen zu kriegen (im Glauben, dass er etwas enthülle), ergriffen beide ihn im gleichen Augenblick. Der Brief war nur leicht gefaltet und offenbarte ihnen gleich, was die Quelle von Amenas Verzweiflung war; ihre Vorwürfe an Alovisa und die Schamröte und Bestürzung, die der Count auf ihrem Gesicht wahrnahm, als sie den Brief öffneten, machten dem Geheimnis ein Ende. Auch jemand mit geringerer Auffassungsgabe als D´Elmont hätte sofort erkannt, dass die unbekannte Bewunderin keine andere als Alovisa war. Um ihre Bestürzung zu überspielen, rief sie ihre Dienerinnen herbei und befahl ihnen, Amena in ein anderes Zimmer mit mehr Luft zu bringen. Bevor sie ihnen folgte, wandte sie sich, noch immer sehr verwirrt, an den Count und sagte:

„Verzeiht mir bitte, mein Herr, wenn die Sorge um meine Freundin mich verpflichtet, Euch zu verlassen.“

„Oh Madame“, antwortete er, „Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, vielmehr ruft all Eure Güte auf, um einem Unglücklichen zu vergeben, der so blind für das Glück war wie ich.“

Sie konnte oder wollte darauf nicht antworten, sondern tat so, als hätte sie es nicht gehört, ging eilig in das Zimmer, wo Amena nun war, und ließ den Count mit seinen ratlosen Gedanken zurück. Die Sanftheit seines Gemüts ließ ihn bedauern, der Urheber von Amenas Unglück zu sein, doch wie erbärmlich steht es um eine Frau, wenn sie wegen ihres Ungeschicks auf einen so armseligen Trost angewiesen ist wie das Mitleid ihres Liebhabers; das männliche Geschlecht ist im Allgemeinen zu lebenslustig, um lange schwermütig zu bleiben, und es ist unwahrscheinlich, dass D´Elmont ein Leiden zu beklagen imstande wäre, das er wegen seiner geringen Vertrautheit mit der Leidenschaft, der es entsprang, gar nicht verstehen konnte. Die Freude an der Entdeckung des Geheimnisses, das er so lange hatte erkunden wollen, hinderte ihn daran, dem Abenteuer, das dazu geführt hatte, allzu viel Aufmerksamkeit zu widmen; er kam aber nicht umhin, sich einer unverzeihlichen Dummheit zu zeihen, wenn er sich die Einzelheiten von Alovisas Verhalten, ihre Ohnmacht auf dem Ball, ihre ständigen Blicke sowie ihr häufiges Erröten, wenn er mit ihr sprach, vor Augen führte; und in all seine Betrachtungen, gleich ob über Alovisa oder Amena, mischte sich Verwunderung über die Macht, die von der Liebe ausgehen kann.

 

Die Vielfalt seiner Gedanken würde ihn noch länger beschäftigt haben, wenn nicht ein hereinplatzender Page ihn mit der Nachricht unterbrochen hätte, dass der junge Chevalier Brillian gerade in Paris angekommen sei und ungeduldig die Rückkehr des Count erwarte. Und so sehr D´Elmont ein Fremder in der Welt der Liebesaffären war, so vertraut war er mit der Welt der Freundschaft; und weil er nicht zweifelte, dass die erstere hinter der letzteren in jeder Hinsicht zurückzustehen hatte, sagte er einer von Alovisas Dienerinnen beim Hinausgehen einfach nur, er würde ihr am Abend erneut seine Aufwartung machen, und eilte so schnell wie möglich nach Hause, um seinen geliebten Bruder, den er nach so langer Abwesenheit zurückersehnt hatte, willkommen zu heißen; und tatsächlich bekundeten beide durch die Art, wie sie sich wiederbegegneten, eine uneingeschränkte und aufrichtige wechselseitige Zuneigung.

Der Chevalier war nur ein Jahr jünger als der Count; sie waren von Kindheit an zusammen aufgewachsen und so seelenverbunden und so ähnlich in ihrer Erscheinung, dass ihre Liebe zueinander weit über das hinausging, was zwischen Verwandten sonst üblich ist. Nach der Begrüßung begann D´Elmont seinen Bruder auszufragen, wie er die Zeit seit ihrer Trennung verbracht hatte, und tadelte ihn ein wenig dafür, nicht so oft geschrieben zu haben, wie er es eigentlich erwartet hätte.

„Es tut mir leid, liebster Bruder“, antwortete der Chevalier. „Mir sind seitdem einige Abenteuer widerfahren, die meine Nachlässigkeit hoffentlich entschuldigen, wenn ich sie berichte.“

Er seufzte dabei, und ein melancholischer Ausdruck zog über sein Gesicht und verdunkelte das muntere Funkeln in seinen Augen, was in dem ungeduldigen Count den Wunsch erweckte, den Grund dafür zu erfahren. Als er darum bat, erfüllte der Chevalier (nachdem er seinen Bruder verpflichtet hatte, bis zum Ende des Berichts keine Anzeichen von Spott zu zeigen, egal welche Gründe er auch fand, sich über die Torheit des anderen lustig zu machen) den Wunsch auf diese Weise:

Die Geschichte des Chevalier Brillian

Dem unglücklichen Chevalier kamen bei diesen Worten die Tränen, so dass der Count, als er dies sah, ihn liebevoll umarmte und zu trösten versuchte, wie es von einem herzlichst verbundenen Freund zu erwarten ist. Um das zu erreichen, wollte der Count seinen Bruder nicht aus seinen Armen entlassen, denn er glaubte, dass von den Abenteuern eines anderen zu hören (besonders von jemanden, an dem er überaus interessiert war) für den Bruder das sicherste Mittel sei, mit seinen melancholischen Gedanken Frieden zu schließen. Also erzählte der Count ihm alles, was ihm seit seiner Ankunft in Paris geschehen war: die Briefe, die er von einer unbekannten Lady erhielt, seine kleinen Galanterien mit Amena und der Vorfall, der ihm die unbekannte Lady als eine der reichsten Frauen von ganz Frankreich offenbarte.

Nichts konnte dem Chevalier das Herz mehr erwärmen als zu hören, dass sein Bruder von Ansellinas Schwester geliebt wurde. Er bezweifelte nicht, dass das die Möglichkeit eröffnete, Ansellina früher wiederzusehen als erhofft; so begannen die beiden Brüder sich ernsthaft über diese Angelegenheit zu beraten, was mit ihrem Entschluss endete, ihre Schicksale daran zu binden. Der Count hatte noch nie eine Schönheit gesehen, die spektakulär genug war, um ihn über Stunden in Unruhe zu versetzen (rein um der Liebe willen), und sagte oft, Amors Köcher habe nie ein Pfeil mit der Kraft enthalten, sein Herz zu erreichen. Die zarten Empfindungen und die bebenden peinvollen Entzückungen, die jeder Lichtstrahl des geliebten Objekts hervorruft und die unverkennbar eine wahre Leidenschaft von einer Fälschung unterscheiden, betrachtete er als Chimären eines müßigen Gehirns, welche die Illusion imaginärer Glückseligkeit inspirieren und Narren sich in der Suche nach ihr verlieren lassen; oder wenn sie existierten, dann nur in schwachen Seelen wie eine Krankheit, mit der er sich aber auf keinen Fall anstecken würde. Ehrgeiz war gewiss die beherrschende Leidenschaft in seiner Seele, und Alovisas hoher Stand und riesige Besitztümer, die deren vollkommene Befriedigung versprachen, waren das ganze Glück, das er sich von einer Ehe mit ihr wünschte.

Doch während der Count und der Chevalier sich damit beschäftigten, verbrachten die rivalisierenden Ladies ihre Stunden mit ganz anderen Dingen; die Verzweiflung und die bitteren Klagen, in denen sich die unglückliche Amena erging, nachdem sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, erweckten sogar das Mitgefühl von Alovisa, und wenn irgendetwas anderes außer einem Verzicht auf D´Elmont ihrer Rivalin Trost verschafft hätte, würde sie davon Gebrauch gemacht haben. Es gab jetzt keinen Grund mehr, sich zu verstellen, und so gestand sie Amena, den bezaubernden Count auf eine irrwitzige Weise von dem Moment an geliebt zu haben, als sie ihn zum ersten Mal sah; dass sie, um seine Gunst zu erringen, jeden Trick angewandt und dafür gesorgt habe, dass Monsieur Sanservin und sein Haus von der Affäre durch den Alarm in der vorherigen Nacht erfuhren; und, zuletzt, dass sie ihm den Rat gegeben habe, Amena in ein Kloster zu schicken, wohin sie nun innerhalb weniger Tage reisen solle, ohne vorher Abschied von ihrem Vater zu nehmen.

„So habt Ihr“, rief Amena sie unterbrechend, „meinen Vater überredet, mich von diesem verhassten Ort fortzuschicken ohne die Strafe, mir seine Vorwürfe anhören zu müssen?“

Alovisa bejahte das.

„Ich danke Euch", fuhr Amena fort. "Diese Gefälligkeit hat Eure ganze Grausamkeit wiedergutgemacht, denn nach all den Narrheiten, deren ich mich schuldig gemacht habe, erschiene mir nichts so schrecklich wie sein Anblick. Und wer wollte, ach Himmel...“

Sie brach in Tränen aus.

„… in einer Welt bleiben, die voller Falschheit ist.“

Für ein paar Augenblicke versagte ihr die Stimme, dann richtete sie sich im Bett auf und bemühte sich um mehr Fassung.

„Ich möchte Euch, Madame“, sprach sie weiter, „aber um zwei Gefallen bitten, die zu erfüllen Euch, so glaube ich, nicht schwer fallen wird, nämlich dass Ihr Euren Einfluss auf meinen Vater nutzt, um meine Abreise möglichst zu beschleunigen, und dass ich, solange ich hier bin, nie den Count D´Elmont zu Gesicht bekomme.“

Es ist kaum wahrscheinlich, dass Alovisa die Erfüllung von Bitten, die ihren eigenen Wünschen so sehr entgegenkamen, verwehren würde, und in der sehr berechtigten Annahme, dass ihre Gegenwart Amena nicht sonderlich zusagte, überließ sie ihren Frauen die Sorge um sie mit der Anweisung, Amena mit der gleichen Aufmerksamkeit zu behandeln wie ihre Herrin.

Am Abend, bevor der Count kam, verbrachte Alovisa den ausklingenden Tag mit sehr unruhigen Gedanken; sie wusste noch nicht, ob sie Grund zur Freude haben oder ob sie ihr Schicksal beklagen sollte angesichts der so unerwarteten Enthüllung ihrer Leidenschaft, und ein ständiges Schwanken zwischen Hoffnung und Furcht peinigte sie ganz unerträglich, bis das geliebte Objekt endlich erschien; und obwohl sein Anblick zu ihren anderen Gefühlen das der Scham hinzufügte, gelang es ihm, seine Worte so gut zu wählen und so bescheiden und kunstvoll das Wissen um sein Glück anzudeuten, dass ihre Gefühle der neuen Bewunderung wichen, die sie nun seinem Verstand entgegenbrachte; und wenn sie zuvor geliebt hatte, so betete sie ihn nun an und begann es als eine Art Verdienst anzusehen, empfänglich für ihn zu sein.

Er gab ihr bald Gelegenheit, ihm einen Gefallen zu erweisen, indem er von der Leidenschaft seines Bruders für ihre Schwester erzählte; ohne zu zögern versicherte sie, wie sehr sie dies begrüße und dass sie Ansellina mit der nächsten Post schreiben und sie veranlassen würde, baldmöglichst nach Paris zu kommen. Kurzum, es gab keine Bitte, die Alovisa ihm abgeschlagen hätte, und in der Tat wäre es ihr lächerlich erschienen, nach all den Beweisen, die sie ihm für eine der stürmischsten Leidenschaften, die es je gab, geliefert hatte, jetzt noch die Zurückhaltende zu spielen. Dieses Vorwissen ersparte ihnen beiden ein Übermaß an Verstellung, und sie sorgte dafür, dass er, wenn die Zeichen seiner Zuneigung nach der Heirat nachlassen sollten, nicht vorgeben könnte (wie manche Ehemänner es getan haben), dass sich sein Vorrat in einem langwierigen Liebeswerben erschöpft habe. Man einigte sich sofort auf alles, und der Hochzeitstag wurde festgelegt, sobald alle Vorbereitungen getroffen waren, um ihn großartig zu gestalten.

Obwohl der Count wegen seiner gutartigen Natur den Wunsch verspürte, sich nach Amena zu erkundigen, wagte er es nicht aus Furcht, seine zukünftige Braut damit zu verärgern. Sie ahnte aber den Grund für sein Schweigen und sagte ihm ganz offen, wie sie sich Amena vom Hals schaffen würden; daraufhin fühlte er sich noch um einiges wohler, denn wäre sie in Paris geblieben, hätte er ständig mit Eifersüchteleien von Alovisa rechnen müssen. Und weil er Amena wirklich Glück wünschte, aber nichts dafür tun konnte, glaubte er, ihre Abwesenheit von Paris könnte eine aussichtslose Leidenschaft aus ihrem Herzen verbannen und die Zeit und andere Dinge eine Vorstellung auslöschen, die für ihren Seelenfrieden nur schädlich wäre. Er blieb bis zu sehr später Stunde in Alovisas Haus, und vielleicht hätten sie sich erst Stunden später getrennt, wenn ihn der ungeduldige Wunsch, seinen Bruder über seinen Erfolg zu informieren, nicht fortgetrieben hätte.

Der junge Chevalier war unendlich mehr von der bloßen Aussicht beflügelt, dem Ziel all seiner Hoffnungen etwas näher zu kommen, als D´Elmont von der Zusicherung, seines in Besitz zu nehmen; der Count konnte es sich nicht verbeißen, seinen Bruder zu verspötteln, weil er den höchsten seiner Wünsche auf ein solches Spielzeug richte, wie es eine Frau nun einmal sei, was der Chevalier zu widerlegen sich bemühte, worauf ein lebhafter Disput sich entspann, den zuletzt, weil keiner den anderen überzeugen konnte, nur der Schlaf zu schlichten vermochte. Am nächsten Tag gingen sie gemeinsam Alovisa besuchen und waren von da an nur selten getrennt. Doch aus Mitgefühl mit Amena taten sie alles, um die geplante Heirat geheimzuhalten, und innerhalb weniger Tage war die unglückliche Lady, wie es ihre findige Rivalin eingefädelt hatte, aus Paris verschwunden, ohne einen ihrer Lieben gesehen zu haben.

Als sie fort war und keine Notwendigkeit bestand, ein Geheimnis daraus zu machen, breitete sich die Nachricht über die großartige Hochzeit sofort in der ganzen Stadt aus, und alle sprachen so darüber, wie es ihnen ihre besonderen Interessen oder Neigungen diktierten. Alle Freunde von D´Elmont waren begeistert, und was ihn selbst zusätzlich freute, war die Nachricht in einem Brief von Ansellina an seinen Bruder, dass Belpines Verletzung sich als ungefährlich herausgestellt hatte und er auf einem sehr guten Weg zur Besserung war. Und so wurde beschlossen, dass der Chevalier, sobald die Hochzeit vorüber war, persönlich nach Amiens reisen würde, um seine geliebte Ansellina für eine zweite und ebenso ersehnte Hochzeit herbeizuholen. Da war nun kein Schatten mehr, der die Heiterkeit dieses glücklichen Tages verdüstern würde, nichts konnte grandioser sein als diese Feier, und Alovisa wähnte sich selbst am Ende all ihrer Sorgen; die Fortsetzung dieses ruhmvollen Anfangs aber, und welche Auswirkung die Verzweiflung und die Verwünschungen der Amena, als sie davon erfuhr, hervorrufen würde, das wird zusammen mit den weiteren Abenteuern des Chevalier Brillian im nächsten Teil gewissenhaft berichtet.