Eine böse Überraschung

Text
Read preview
Mark as finished
How to read the book after purchase
Font:Smaller АаLarger Aa

„Schlafen Sie dort auch?“

„Sicher. Superbequem.“ Henriette Möbius hob das Fußende an und präsentierte ein Fach, in dem eine saubere Bettzeugrolle lag. „Alles griffbereit.“

„Toll!“ Liz´ Lob kam aus ehrlichem Herzen, Felix räusperte sich mahnend. Liz setzte sich auf den zweiten Hocker und versuchte vergeblich, sich auf die Möbius zu konzentrieren und nicht auf die Küchenzeile, auf die sie jetzt freien Blick hatte.

Schöne Küche. Sehr kompakt, blassgrau und perfekt aufgeräumt. Da gab es garantiert nicht irgendwelchen alten Kram ganz hinten in den Schränken-

„Liz?“

Sie nahm sich zusammen und weckte das Tablet auf. „Alles klar!“

„Frau Möbius, wie gut kennen Sie sich in Ihrer Familiengeschichte aus?“

„Schon ganz gut, denke ich. Ist das nicht in den meisten Familien so, dass ein weibliches Wesen für so etwas zuständig ist, die Adressen parat hat, weiß, wie die Kinder der Cousine zweiten Grades heißen und all sowas? Was möchten Sie denn wissen?“

„Vor allem alles über diese WG-Phase.“

„Hm, schwierig. Ich weiß nahezu alles über die Großeltern und warum sie weggezogen sind und Papa dieses Häusl überlassen haben – aber über die WG haben unsere Eltern praktisch nie gesprochen. Eigentlich merkwürdig… naja, vielleicht auch wieder nicht, hab ich mir manchmal gedacht.“

„Ach ja? Warum das? Hatte es dort Ärger gegeben?“

„Keine Ahnung. Nein, aber unsere Eltern waren eigentlich eher spießig. Wir wurden relativ streng erzogen, und dann unsere altmodischen Namen… die Sache mit der WG passte eigentlich gar nicht zu ihnen, vielleicht war es ihnen im Nachhinein peinlich, mal so flippig gewesen zu sein.“

Waren sie denn so flippig?“, fragte Liz, die von dieser Küche zwischendurch ein Foto gemacht hatte, um sich später in Ruhe daran zu ergötzen.

„Ich meine, eine WG muss ja nicht wie die Kommune 1 damals gewesen sein, oder? Vielleicht ging es einfach darum, das Haus für Studenten sinnvoll zu nutzen?“

Henriette Möbius überlegte. „Möglich. Dieser Ansatz wäre nüchterner und hätte auch besser zu ihnen gepasst. Was ihnen allerdings dann so peinlich war… schon gut, klar, da ist irgendwas passiert, sonst hätten wir ja nicht dieses Skelett im Fundament. Aber das wussten wir natürlich nicht, wir fanden es bloß blöd, dass sie immer nur erzählt haben, wie brav sie als Kinder waren, viel braver als wir.“

Felix grinste: „In eurem Alter haben wir schon…?“

„Abitur gemacht, den Garten ganz alleine in Ordnung gehalten, vom Taschengeld ein Vermögen angespart… grauenvoll, vor allem, weil wir nicht ein Wort davon geglaubt haben. Wie gesagt, sie haben sich bezüglich der WG ausgesprochen bedeckt gehalten und wir Doofis haben uns nicht viel dabei gedacht, sonst hätten wir uns jede Menge gruseliger Geschichten darüber ausgedacht. Ich weiß bloß, dass Mamas Bruder auch mal da gewohnt hat. Thomas Wiesinger, ich glaube, den Namen hatte ich Ihnen schon genannt, oder?“

Felix nickte. „Danke, ja. Mehr wissen Sie nicht mehr über diese Zeit?“

„Das klingt, als hätte ich sie miterlebt! Diese WG, das muss so 1972 bis 73 oder 74 gewesen sein. Maximal! Willi ist 74 geboren, da waren unsere Eltern schon wieder alleine im Haus. Und ich bin überhaupt erst 81 geboren. Aber wie gesagt, fragen Sie den Wiesinger, der müsste auch die Daten besser parat haben. Ah!“

„Ja?“ Felix hörte selbst die Gier in seiner Stimme.

„Ich hab noch Mamas Fotoalbum, bloß wo…“

„So wie es hier aussieht, hätte ich gedacht, dass Sie alles längst digitalisiert haben“, kommentierte Liz.

„Ja, stimmt schon. Aber das Album hat meine Mutter noch persönlich angelegt und alles selbst beschriftet, deshalb konnte ich es nicht wegwerfen. Möchten Sie es sehen – wenn ich es denn mal gefunden habe?“

„Sehr gerne“, antwortete Felix, fast gar nicht ironisch.

Henriette Möbius drehte sich mehrfach suchend um die eigene Achse und strich dabei ihre kurzen rotbraunen Locken zurück, dann öffnete sie einige der Schiebefächer in der Mediensäule und schob sie brummend wieder zu. Danach durchstöberte sie den Einbauschrank im Flur, knallte die Türen wieder zu und machte sich mit einem verlegenen Lächeln in Richtung Liz über den ersten Oberschrank in der Küchenzeile her.

„Systematik ist was anderes, fürchte ich“, kommentierte sie und zog ein rotglänzendes Album aus dem obersten Fach. „Das hat hier eigentlich gar nichts zu suchen… bitte schön.“

Felix nahm es entgegen und schlug es auf: Fotos von einer braven standesamtlichen und einer noch braveren kirchlichen Trauung. „Wie alt waren Ihre Eltern bei der Hochzeit?“

„Papa zweiundzwanzig und Mama einundzwanzig. Und nicht mal schwanger! Keine Ahnung, warum sie sofort geheiratet haben… na, vielleicht hätten die Großeltern ihnen sonst das Häusl nicht übergeben, wer weiß. Die beiden sehen aus wie die reinsten Kinder, was?“

„Stimmt…“ Felix blätterte weiter, die Pergamenttrennblätter raschelten leise.

„Oh, das sind die Zimmer im Haus…“

Liz sah ihm über die Schulter. „Voll die dreißiger Jahre – war das die genormte Ausstattung für das Volksgenossenheim?“

Henriette Möbius lachte. „Ich sehe, Sie kennen sich aus! Ganz genau. Schlicht, preiswert, nur heimische Materialien. Das hatten die Großeltern schon vorgefunden, als sie das Haus in den frühen Fünfzigern übernommen hatten. Soweit ich weiß, waren die ersten Besitzer echte Nazis. Er blond, sie blond, fünf blonde Kinder. Ich glaube, er ist dann im Krieg gefallen und sie ist nach Kriegsende mit den Kindern weggezogen… zweite Ehe, besseres Haus. Wo genau, weiß ich nicht. Die Frau wird jetzt wohl auch schon tot und begraben sein…“

„Macht nichts. Ich glaube, so alt dürfte das Skelett auch wieder nicht sein.“

„Kann man das bei einem Skelett denn noch feststellen? Ich meine, wenn erstmal alles Fleisch weg ist? Äh, fieses Thema…“

„Ich denke mal, auf zehn Jahre genau kann das schon feststellen“, fabulierte Liz, die es auch nicht so recht wusste. Dr. Engelhorn würde sie schon informieren. Felix lächelte nachsichtig und blätterte weiter um.

Das gleiche Einfachsofa mit den Holzlehnen, aber jetzt saßen sechs Personen darauf. Mutter Möbius hatte alles zwar beschriftet, aber die Gute hatte eine sehr ungewöhnliche Handschrift geschrieben, jedenfalls konnte Felix nichts entziffern. Henriette zog ihm das Album weg. „Ach ja, Mamas Sauklaue! Das in der Mitte ist auf jeden Fall Papa, mit Mama auf dem Schoß. Der Mann ganz links… könnte Onkel Thomas sein.“

Felix fixierte das Gekrakel. „Ja, das könnte Thomas heißen… und daneben?“

„Hm, ich weiß es auch nicht – Amalia?“

„Wer hieß denn damals Amalia?“, wandte Liz ein.

„Ja, finde ich auch – Anna? Annette? Keine Ahnung. Die beiden rechts… das heißt Gerti – Gerda? und vielleicht Wolfi?“

Liz notierte sich das. „Haben die dort echt zu sechst gehaust? Ich will ja nicht meckern, aber…“

Die Möbius lachte. „Schon klar. Ich glaube auch, es waren insgesamt nur fünf. Vielleicht war diese A-wie-auch-immer nur zu Besuch. Ich schlage vor, sie fragen Thomas, der war doch dabei, und als Stadtrat kann er ja noch nicht völlig gaga sein, oder?“

„Haben Sie denn keinen Kontakt mehr zu ihm?“

Kopfschütteln. „Ich weiß gerade mal, dass es ihn gibt. Moment! Er ist ja Willis Firmpate… da war jemand extrem Verkniffener auf der Feier, glaube ich – aber ganz ehrlich, da war ich acht. Mich hat da nur das Essen interessiert. Und der Kuchen hinterher.“

„Aha – waren noch mehr Gäste aus der Generation Ihrer Eltern dabei?“

„Mei… Papa, Mama, der Thomas… der Willi, der Luggi, der Ulli – dem Ulli ist speiübel geworden, kein Wunder, so wie der sich den Kuchen reingeschaufelt hat, der Depp…“ Sie grinste bei der Erinnerung, dann wurde sie wieder ernst. „Nein, sonst niemand. Nicht mal die Paten von uns anderen Kindern. Eigentlich komisch…“

Sie sah die beiden entschuldigend an. „Ich weiß, es ist blöd – aber alle, die über das Skelett etwas wissen können, sind entweder tot oder uns nicht bekannt. Wenn Ihnen der Thomas nicht weiterhelfen kann…“

Felix seufzte und stand auf. „Präzise zusammengefasst. Wir werden mit Stadtrat Wiesinger reden. Und können wir das Album mitnehmen? Sie kriegen es natürlich so schnell wie möglich zurück.“

„Ja, natürlich.“ Henriette Möbius reichte ihm das Album und warf Liz, die sich immer noch begierig umsah, einen amüsierten Blick zu. „Meine Wohnung gefällt ihnen, was?“

Liz nickte eifrig. „Sie können gerne fotografieren, was Ihnen interessant erscheint. Möchten Sie auch noch einen Blick ins Bad werfen? Aber das ist nicht ganz so Star trek-mäßig wie der Rest. Da gibt´s halt nicht so viele Möglichkeiten…“

„Photonendusche“, schlug Felix nicht ganz ernst vor.

„Wirkt wohl weniger säubernd“, konterte Frau Möbius, während Liz einen Blick ins Bad warf und staunte – hellstes Grau, bodengleiche Dusche mit blitzblanker Glasabtrennung, schickes eckiges Waschbecken, dito Toilette (in einer Art Nische), in einer weiteren Nische die Waschmaschine, an der Wand eine Handtuchheizung. Und nichts stand herum und störte das monochrome Farbkonzept – nun, das war wohl dem Spiegelschränkchen über dem Waschbecken zu verdanken. Tolles Stück – nur Spiegel, der kaum acht Zentimeter tiefe Schrank ließ sich mit einem Knopf auf der Seite öffnen.

Mit heftigen Neidgefühlen trat Liz wieder in den Flur, wo Felix schon wartete. Sie gratulierte Henriette Möbius zu dieser Wohnung und folgte ihrem Chef nach draußen.

„Du erinnerst dich noch daran, dass du Polizistin bist?“, fragte Felix im Aufzug nach unten. „Und nicht Innenarchitektin?“

„Ja, klar. Aber du musst zugeben, die Wohnung ist schon toll: kein Vergleich mit dieser Nazihütte. Wenn die sich sowas leisten kann – wir haben gar nicht gefragt, was sie beruflich macht!“

 

„Das fragen wir einfach den nächsten, den Ludwig. Diese Namen! Wohin jetzt?“

„Henting, Flusswiesenstraße 19. Da vorne auf den Kreisel und dann die zweite rechts.“

„Herzlichen Dank. Hoffentlich wohnt der nicht auch so futuristisch, dass du ganz hingerissen bist…“

„Mir geht es gar nicht um das Futuristische“, versuchte Liz zu erklären. „Was mir so gut gefällt, ist dieses Sparsame. Alles digital. Im Idealfall braucht die nur einen Karton für die Klamotten, einen für den Küchenkram und eine Laptoptasche für alles andere. Sie reist mit leichtem Gepäck – und das finde ich toll.“

Felix lachte, während er die Flusswiesenstraße entlangkroch, auf der Suche nach einem Parkplatz. „Ganz schön voll hier, haben die keine Garagen?“

„Nummer dreizehn ist das Ärztehaus“, erklärte Liz und schloss ihre Tablethülle. „Da, schau!“

Felix parkte ein und betrachtete das Haus. Ziemlich neu, leuchtend weiß, Fensterrahmen und Balkongitter aus Aluminium oder etwas Ähnlichem. Die Häuser in der Umgebung sahen ähnlich aus, offenbar war hier in den letzten Jahren einiges abgerissen und dann neu gebaut worden.

Ludwig Möbius öffnete selbst. „Ich weiß schon Bescheid“, sagte er, als er den Besuchern in ein großes, halbleeres Wohnzimmer voranging. „Setzen Sie sich doch, bitte. Schöner Mist, das alles.“

„Wer hat Sie informiert?“

„Willi. Also, dass sie beim Abreißen der alten Hütte ein Skelett im Fundament gefunden haben. Unter dem Vorratsraum, oder? Mir ist gleich wieder eingefallen, wie es da immer gerochen hat. Kaffee?“

Felix winkte ab. „Wie hat es denn da gerochen – nach Verwesung?“

„Ich weiß nicht, ich habe noch nie Verwesung gerochen. Ich dachte damals, es kommt von den Kartoffeln im Regal, die faulten da so langsam vor sich hin. Meine Mutter hat sie dann weggeschmissen, aber die nächsten haben wieder schnell gefault. Meinen Sie, das war wegen der Leiche unter dem Boden?“

Felix zuckte die Achseln. „Schwer zu sagen. Ich glaube es eigentlich nicht. Wissen Sie noch irgendetwas über diese WG, die vor Ihrer Geburt in dem Haus gelebt hat?“

„Sie sagen ja, vor meiner Geburt! Unsere Eltern haben immer sehr zurückhaltend reagiert, wenn wir nach Jugendsünden gefragt haben. Naja, Schulstreiche kamen manchmal schon… aber diese Zeit wurde immer ausgespart. Waren Sie schon bei Henni? Die hat das Familienalbum, vielleicht hilft es Ihnen weiter?“

Liz zog das Album aus ihrer Tasche. „Vielleicht können Sie die eine oder andere Person identifizieren? Bis jetzt haben wir nur Ihren Onkel Thomas Wiesinger.“

„Der Onkel Thomas – au ja, ich kann mich noch an Willis Firmung erinnern, da war er dabei. Und der Ulli hat gereiert wie ein Weltmeister, der alte Fresssack. Ein Riesenaufstand! Das einzig Spannende bei der ganzen Aktion.“ Er grinste versonnen.

„Sollen wir das bei Vronis Firmung auch machen?“, schlug ein schwarzhaariges Mädchen vor, das in der Tür stand. „Ich meine, wir wollen ja nicht, dass du dich dabei langweilst, Papa!“

„Meine Tochter Stephanie“, stellte Ludwig Möbius mit müder Routine vor. „Steffi, lass uns bitte allein, das ist eine polizeiliche Befragung.“

„Weiß ich doch! Im Haus von den Großeltern haben sie einen Totenkopf gefunden, gell? Weiß doch schon jeder.“

Möbius seufzte hinter seiner Tochter her. „Woher hat sie das nun schon wieder? Das Mädchen hört wirklich die Flöhe husten! Vroni ist da deutlich langsamer… aber deshalb sind Sie ja nicht hier. Wo waren wir stehen geblieben – ach ja, das Album! Zeigen Sie doch mal her.“

Er blätterte die Seiten langsam um, brummte ab und zu und gab es dann zurück. „Den Onkel Thomas habe ich wiedererkannt. Das ist auf dem Gruppenfoto der, der ganz links sitzt.“

„Ihre Schwester glaubt, dass einer der Namen etwas mit A ist – können Sie sich da an etwas erinnern?“

„Erinnern ist gut, das war doch alles vor meiner Zeit! Sie meinen, auf dieser Seite… das soll ein A sein? Ich weiß nicht recht…“ Er sah auf und grinste. „Ist das nicht eher ein F?“

„Was?“, fragte Liz konsterniert.

Felix grinste. „Fritze Hitler hieß er ja wohl nicht… kennen wir, aber das hilft uns jetzt nicht wirklich weiter. Schauen Sie nochmal genau hin, bitte!“

Möbius grinste reuig. „Sorry. Nein, ich denke, das ist ein G. Aber für unsere Mutter – Gabi – kann es nicht stehen, die sitzt doch erst zwei Plätze weiter? Es muss sich auf die mit der roten Wallemähne beziehen. Außerdem hätte Mama ja wohl einfach „ich“ hingeschrieben – äh. Hat sie auch, jetzt sehe ich es selbst.“

„G… fällt Ihnen dazu etwas ein?“

Möbius schüttelte traurig den Kopf. „Ich sag doch, ich kenne keine Namen – und ganz ehrlich, der Ulli bestimmt auch nicht. Unsere Eltern haben sich da sehr bedeckt gehalten. Am ehesten könnte die Henni noch was wissen – aber die haben Sie ja schon gefragt.“ Er hielt das Album hoch.

„Vielleicht sagen Ihnen ja die anderen Fotos noch etwas?“

Gehorsam blätterte Ludwig Möbius die übrigen Seiten durch. „Ja, hier. Das ist der Willi mit einem Jahr, dann ist der Wurm der Ulli. Ja, genau. Oh, da bin ich!“ Er zeigte Liz ein Foto mit zwei kleinen Jungen und einem weiteren Säugling und schien tatsächlich über sein eigenes Baby-Ich gerührt zu sein. Immerhin war hier die Mutter zweifelsfrei zu identifizieren. Der stolze Vater hatte wohl die jeweiligen Fotos aufgenommen – traditionelle Rollenverteilung. Liz wunderte sich ein wenig – hätte man von jungen Menschen, die anno 1972 eine WG gegründet hatten, nicht etwas mehr Reformfreude erwarten können? War ihnen ihr Ausflug in progressive Familienstrukturen so schnell wieder suspekt geworden? Deshalb vier Kinder wie die Orgelpfeifen, biederste Namen und keinerlei Reminiszenzen an ihre Kampfjahre?

Das war durchaus logisch, fand sie.

Ludwig erklärte auf ihr Befragen, Henni arbeite bei einem Autozulieferer, als Ingenieurin. Außerdem war er der Ansicht seine Frau habe mit ihrer Schwiegermutter nie einen Plausch unter Frauen geführt. „Eigentlich hat die Mama überhaupt nie viel gesagt. Komisch, wenn man es recht bedenkt. Der Papa hat schon viel geredet, aber auch nie über die Zeit damals. Meinen Sie, da ist irgendetwas passiert, dass die beiden gar so zugeknöpft waren?“

Felix legte den Kopf schief. „Durchaus möglich – immerhin gibt es da dieses Skelett, nicht?“

„Kann das nicht schon aus den Zeiten vorher stammen? Von den Großeltern oder gar von denen, die das Haus gebaut haben?“

„Hätten Sie da Namen für uns?“

Ludwig Möbius schüttelte schon wieder den Kopf. Ein irgendwie negativer Mensch, fand Liz.

„Diese uralten Geschichten, die kennt nur die Henni. Die ist bei uns für solchen Familienkram zuständig, deshalb muss sie ja auch das Fotoalbum aufbewahren, gell? Und das Grab pflegen, da sind aber bloß die Eltern drin, die Großeltern sind in München begraben, hat die Henni mal erzählt.“

Felix schnitt diese unnützen Erinnerungen ungeduldig ab. „Ja, das ist ein guter Hinweis. Wir werden Ihre Schwester noch einmal befragen. Und Ihren Onkel natürlich auch. Er zumindest müsste sich doch noch erinnern können…“

Auf der Straße fiel Liz ihre Überlegung wieder ein. „Findest du nicht, von Ex-WGlern könnte man ein bisschen mehr Liberalismus erwarten?“

„Inwiefern?“ Felix ließ die Zentralverriegelung aufjaulen.

„Na, dieses verklemmte Schweigen! Dann die spießige Namenwahl für die Kinder – voll das Kaiserreich, oder? Fehlt bloß noch ein Fritz… Ist es denen peinlich, dass sie mal eine WG hatten? Was kann da abgelaufen sein?“

„Vielleicht“, antwortete Felix vage und öffnete die Fahrertür. „Aber vielleicht waren sie auch damals spießig und die WG sollte wirklich nur Geld sparen und keine neuen Lebensweisen ausprobieren?“

„Auch möglich. Wenn die niemandem etwas über diese Zeit erzählt haben, können wir uns ehemalige Arbeitskollegen und sowas wohl auch schenken…“

„Stimmt. Dieser Thomas weiß bestimmt noch die Namen, dann fragen wir da weiter.“

„Ja, und was ist mit den Nachbarn? Vielleicht gibt´s da welche, die in den Siebzigern auch schon dort wohnten?“

„Gute Idee. Schreib das gleich auf, damit wir es nachher nicht vergessen!“

*

Max und Maggie fuhren leicht frustriert ins Präsidium zurück – Ulrich Möbius hatte zwar eine elegante und ziemlich neue Doppelhaushälfte in Mönchberg vorzuweisen (und es war immer nett, fremde Häuser von innen zu sehen), aber über die wilden Jahre seiner Eltern wusste er überhaupt nichts. „Da müssen Sie die Henni fragen, die sammelt solche Fakten. Ist wohl eher Mädelskram.“

Wie alle Sozialkompetenzen, maulte Maggie stumm.

Zumindest schienen Musikjournalist und Inhaberin eines Ladens für Wohnschnickschnack – Interior Decorating - zusammen sehr gut zu verdienen. Und drei Kinder hatten sie auch. Familien wie aus der Margarine-Werbung. Wahlweise aus diesem Spot für billige Schokotoffees…

„Wahnsinnig innovative Konzepte haben die Kinder auch nicht gerade entwickelt“, fand Maggie.

„Jedenfalls die Söhne nicht“, stimmte Max zu. „Mal sehen, was Felix und Liz über die Tochter sagen.“

„Und haben wohl alle diese großzügigen, halbleeren Häuser?“, überlegte Maggie. „Ist das jetzt schick oder haben die sich die Hütten einfach ein paar Nummern zu groß gekauft? Die schlottern ja richtig um sie herum wie zu große Klamotten!“

„Vielleicht wollen sie die Hütten noch vollstopfen? Ein paar Shoppingtouren, ein eigenes Zimmer für die Schuhe?“

„Wie bist du denn drauf?“, wunderte sich Maggie. „Ist ja voll das Klischee! Vielleicht müssen die alle kompensieren, dass sie in dieser Enge aufgewachsen sind?“

„Meinetwegen, kann auch sein“, gab Max sich großzügig. „Ich kenne solche Zwergenhäuser, da kannst du dich echt kaum drin umdrehen.“

„Sag bloß, du bist auch in sowas aufgewachsen: Waren deine Großeltern so braun?“

„Wenn schon, dann mindestens die Urgroßeltern – keine Ahnung, die habe ich gar nicht mehr gekannt. Nein, mein bester Freund in der Grundschule hat in sowas gewohnt. Aber immerhin ohne Geschwister. Aber dieses Wohnzimmer – Möbel aus den frühen Siebzigern, so Muster, wo einem beim Hinschauen schlecht wird.“

„Op-art“, nickte Maggie. „Kommt alles jetzt wieder. Wann hast du gleich wieder Geburtstag?“

Max grinste. „Das sage ich wohl besser nicht!“

Er parkte fluchend zwischen zwei Streifenwagen und schlängelte sich dann mühsam aus dem Wagen. Maggie tat es ihm auf der anderen Seite gleich und klopfte ärgerlich ihre Kleidung ab. „Verdammt eng hier. Hier muss man ja schon abspecken, um überhaupt in die Autos rein und wieder raus zu kommen.“

„Lass das bloß. So blöd zugeparkt ist der Platz doch nicht immer. So, und was haben wir jetzt für die Tafel?“

„Nix Gescheites“, murrte Maggie und folgte ihm ins Gebäude.

„Schauen wir mal“, tröstete Max vor der Bürotür. „Meistens sieht es ja doch besser aus als man denkt.“

Drinnen saß Liz bereits am Rechner und ließ virtuelle Notizen an der Tafel erscheinen. „Lauter Mist“, verkündete sie, als die beiden anderen in der Tür erschienen.

„Wir haben ja auch die falschen Leute gefragt. Die waren doch alle noch nicht mal in Planung, als dieses Skelett im Boden gelandet ist!“

„Ja“, stimmte Felix zu und stellte eine große Tüte Kaffeepads neben die Maschine. „Hier, Denkdoping. Aber wenn wir die Naheliegendsten nicht zuerst befragen, schaut es auch blöd aus. Also, Kandidat Nummer eins ist der Stadtrat. Thomas Wiesinger, der Bruder der mittlerweile verstorbenen Mutter. Der lebte zeitweise in dieser WG und muss etwas wissen.“

„Vielleicht gibt es auch Nachbarn, die schon lange in der Gegend leben“, überlegte Max.

„Ja, auf der einen Seite“, gab Liz ihm Recht. „Auf der anderen Seite ist das Haus schon weg, so ist das Grundstück ja von einer einigermaßen interessanten Größe. Ich meine, wer baut denn heute auf diesen Heimstätten-Handtüchern schon Häuser? Lohnt sich ja kaum.“

„Hausbau…“ wiederholte Felix nachdenklich. „Wie heißt gleich wieder die Firma, die dort bauen will? Die müssten doch wissen, wer ihnen das andere Grundstück verkauft hat?“

Liz hielt das fest. „Da kann uns die Möbius bestimmt weiterhelfen.“

Felix grinste. „Die gefällt dir, oder? Weil sie so eine schicke Wohnung hat?“

Liz lachte. „Stimmt. Müsst ihr euch mal geben, da sieht´s aus wie in einer Kabine auf der Enterprise, alles durchtechnisiert. Und ganz, ganz wenig Zeugs.“

 

„Wovon wir alle träumen“, murmelte Maggie. „Mal so richtig ausmisten… Kennt ihr diesen Song, Mit leichtem Gepäck? Gefällt mir total gut.“

Felix und Max wechselten irritierte Blicke, was Liz wieder zum Lachen brachte. „Männer können ja bekanntlich nichts wegwerfen…“

Felix bat sie, nicht vom Thema abzukommen, und erhob sich. „Ich nehme mir mit Maggie den Stadtrat vor, Max fragt mal die Nachbarn zur Linken, und Liz darf Frau Möbius nach den Nachbarn zur Rechten beziehungsweise nach der Baufirma fragen. Um sieben wieder hier, dann vergleichen wir, planen, was wir morgen machen, und verschwinden in den Feierabend. Also los!“