Buchverliebt

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Buchverliebt
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Buchverliebt

Für all die unter Euch, die Männer in Kilts lieben.

Elena MacKenzie









Inhalt





Vorwort







1







2







3







4







5







6







7







8







9







10







Epilog







Rezept für Hodge Podge







Bücher von Elena MacKenzie









Impressum neobooks







Vorwort



Liebe LeserInnen,



dieses Buch spielt auf der kleinen Insel Fair. Diese Insel gibt es wirklich. Sie fasst nur etwa 70 Einwohner und liegt zwischen den Orkney und Shetland Inseln. Vieles, was Sie in diesem Buch über Fair lesen werden, entspricht der Wahrheit. Einiges habe ich selbst erfunden, denn dieses Buch ist eine fiktive Geschichte und dafür habe ich mir einige Freiheiten herausgenommen. Sie werden auf Fair also kein Sumburgh Castle finden, kein Skroo Lighthouse und schon gar keinen Kieran McDougal. Aber wenn Sie genauer schauen, finden Sie vielleicht einen anderen attraktiven Highlander im Kilt. Auch die tragische Geschichte um Isobel ist reine Erfindung, genau wie die Heiratstradition. Aber wenn Sie Fair und Mull Heat mal besuchen, können Sie den Inselbewohnern diese Tradition ja vielleicht schmackhaft machen. Trotz meiner kleinen Flunkereien wünsche ich Ihnen viel Spaß mit Buchverliebt und einem ganz besonderen Highlander.





Liebe Grüße Elena MacKenzie







1



Fassungslos starre ich auf das Display meines Handys. Aber auch nach endlosen Minuten ändert sich nichts an dem, was das Foto zeigt. Es ist ein Selfie. Man sollte meinen, so ein Selfie hat keine Bedeutung. Aber das gilt nicht für dieses. Dieses hat mein Leben in der Sekunde verändert, in der ich die Nachricht von meinem Verlobten aufgerufen habe. Selfies sollten keine Leben verändern, sie sollten etwas Spaßiges sein.



Meine Lektorin sagt etwas zu mir, aber ich höre ihre Worte nur wie durch eine dicke Wand. Weil meine Gedanken noch immer damit beschäftigt sind, das Unfassbare dieses Fotos zu verarbeiten. Ich runzle die Stirn und betrachte das Gesicht meines Verlobten. Seine Augen strahlen in die Kamera, seine Mundwinkel umspielt ein spöttisches Lächeln. Sein hellbraunes Haar ist verwuschelt. Ich mag es, wenn sein Haar so aussieht, weil es bedeutet, dass wir eben Sex hatten und ich meine Hände hineingeschoben und darin gewühlt habe. Nur hatten wir gerade keinen Sex, denn ich sitze hier in London vor dem Schreibtisch meiner Lektorin und er ist in Dover auf einer Tagung für Orthopäden. Ich lege den Kopf schief, runzle die Stirn noch stärker und betrachte das andere Gesicht auf dem Bild. Es gehört seiner Kollegin Bianca. Sie teilen sich eine Praxis schon seit mehr als drei Jahren. Seit der Zeit sind wir auch Freundinnen. Wir teilen all unsere Geheimnisse. Nein, nicht alle. Von diesem hatte ich keine Ahnung.



»Hörst du mir überhaupt zu?« Cassandra tritt um ihren Schreibtisch herum und bleibt verärgert neben mir stehen. Sie schielt auf mein Handy und keucht laut auf, dann reißt sie es mir aus der Hand. »Ich fasse es nicht! So ein verficktes Arschloch!«



Langsam sehe ich zu ihr auf, was mich einiges an Anstrengung kostet, denn Cassy ist die größte Frau, die ich jemals gesehen habe. Sie misst satte 1,98 Meter und ist dabei schlank wie ein Supermodel. Die Natur kann schon ungerecht sein. Sie hat endlos lange Beine, einen Körper, der eigentlich auf das Cover des Playboy gehört und dazu auch noch eine kupferrote Lockenmähne, die bis weit über ihre Schultern reicht. Und ich wandel mit knappen 1,65 Metern, Minititten und einem Arsch wie Kim Kardashian herum. Ihr glaubt jetzt wahrscheinlich, dass so ein Arsch doch voll im Trend liegt. Das tut er auch, aber nicht, wenn er an so einen Winzkörper wie meinem hängt. (Winz von Winzling, nicht Winzer.) Okay, mit meinen Haaren bin ich dann doch ganz zufrieden: glänzend schwarz, wellig und voll reichen sie mir bis über die Schulterblätter. Aber so wie es auf dem Foto auf meinem Handy aussieht, steht mein Verlobter seit Neuestem auf Blondinen ohne Kardashian-Arsch. Dafür mit Dolly Buster-Vorbau.



Cassy wedelt wütend mit den Armen, dann lässt sie das Handy angewidert zurück in meinen Schoß fallen. Ich nehme es und betrachte von neuem das Foto, das meinen Verlobten - vielleicht sollte ich ihn lieber Exverlobten nennen - mit meiner Freundin im Bett zeigt. Er hält sie im Arm, und ich bin mir sicher, sie hat keine Ahnung von diesem Foto, denn sie schläft auf seiner nackten Brust.



»Das ist wohl seine Art, mir zu sagen, dass wir nicht heiraten werden«, sage ich monoton. Ich sehe zu Cassy auf, die wütend neben mir auf- und abgeht und Bill nach allen Regeln der Kunst mit Beleidigungen bedenkt. In meiner Brust zieht sich etwas schmerzhaft zusammen. Ich bin nicht traurig, was mich wundert, denn ich habe angenommen, dass ich Bill liebe. Ich bin wütend und enttäuscht. Aber ich trauere ihm nicht nach. Wahrscheinlich muss ich den Schock erst verarbeiten, denn noch vergangene Woche haben wir beide in unserem Wohnzimmer gesessen und Reisekataloge für unsere Flitterwochen gewälzt. Flitterwochen, die jetzt auch nicht mehr stattfinden werden. Aber das macht mich auch nicht traurig. Ich versuche den Gründen dafür nachzuspüren, aber ich finde sie nicht. Ich kann nur gelähmt dabei zusehen, wie Cassy die Wut auslebt, die eigentlich ich empfinden sollte.



»Zumindest musst du ihn jetzt nicht mehr um Erlaubnis fragen.«



»Weswegen?«, hake ich abwesend nach.



»Fair Isle! Wir haben doch darüber gesprochen!«



»Oh, ja. Haben wir. Aber ich habe noch nicht ja gesagt.«



Cassy setzt sich wieder in den schmalen weißen Bürostuhl hinter ihrem gläsernen Schreibtisch. »Uns gefallen deine Pläne, eine Liebesgeschichte in einem malerischen Hinterlanddorf weit ab von menschlicher Zivilisation spielen zu lassen. Und es wäre doch gut, wenn du als Stadtbewohnerin erst einmal einen Blick auf das Landleben wirfst.«



»Ich weiß nicht«, winde ich mich. »Ich muss die Hochzeit absagen, die Blumen abbestellen …«, sage ich und habe plötzlich doch einen Kloß im Hals. Es laut auszusprechen, macht es wohl real. Und wenn es real wird, tut es auch weh. Ich schlucke heftig.



»Vergiss es. Du wirst keinen Finger krümmen! Du verschwindest von hier und lässt das diesen Idioten machen. Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich ihn noch nie leiden konnte?«



»Ja, hast du«, gebe ich widerwillig zu. »So ungefähr jedes Mal, wenn er mich mit allem allein gelassen hat, um auf irgendwelche Tagungen zu fahren.« Ich stocke und sehe Cassy mit weit aufgerissenen Augen an. »Glaubst du, das waren gar keine Tagungen?«



Cassy blinzelt verwirrt. Sie ist wohl genauso erschrocken wie ich. Als sie bemerkt, dass mir Tränen in den Augen schwimmen, winkt sie kopfschüttelnd ab. »So ein Arschloch ist er nun auch wieder nicht.« Aber die Unsicherheit in ihrem Gesicht kann der lässige Plaudertonfall nicht überspielen.



»Okay, du hast recht«, sage ich umso entschlossener. Denn plötzlich ist es mir ein Bedürfnis, Bill mit allem allein zu lassen. Soll er doch unsere Gäste ausladen, das Brautkleid zurückgeben und …



»Die Wohnung gehört ihm! Was mach ich nur mit meinen Sachen?«



Cassy winkt schon wieder ab und wirft grinsend einen Blick auf ihre weinrot lackierten Fingernägel. »Die meisten Möbel hat er ausgesucht. Und seien wir doch mal kurz ehrlich zueinander: sein Geschmack diesbezüglich ist genau wie sein Frauengeschmack.« Cassy zeigt auf mein Handy. »Anwesende ausgeschlossen.« Ich erinnere sie nicht daran, dass die Dame auf dem Foto meine Freundin ist, denn im Moment bin ich mir deswegen selbst nicht mehr sicher.



»Du fährst jetzt ein paar Wochen weg und danach suchst du dir was Neues und dann gehen wir groß Shoppen. Und in der Zwischenzeit, werfen wir deine Klamotten und was du sonst noch so besitzt und ihm wegnehmen möchtest einfach auf meinen Dachboden. Und ich werde bei meinem Cousin Kieran anrufen und einen kleinen Gefallen einfordern. Der Kerl schuldet mir noch was.«



Warum eigentlich nicht

, denke ich mir und nicke zufrieden. Wann habe ich mir das letzte Mal eine Auszeit gegönnt? Und eigentlich wollte ich schon immer Mal irgendwo in die Einöde und vollkommen zurückgezogen in der Arbeit an einem Buch versinken. Warum nicht jetzt sofort? »Also gut. Ich hoffe nur, dass dein Cousin nicht auch so ein Arschloch ist.«



»Ist er nicht. Er ist ganz harmlos und schon viel zu alt, um noch ein Arschloch zu sein. Du wirst ihn kaum zu Gesicht bekommen. Sumburgh Castle ist groß genug, um euch für Wochen aus dem Weg zu gehen.«

 








Fair Isle ist genau 4,8 Kilometer lang und 2,4 Kilometer breit. Es gehört zu den Shetland Inseln und liegt einsam auf halbem Weg zu den Orkney Inseln. Derzeit wird es von nur 69 Menschen bewohnt. Erreichen kann man die Insel drei Mal in der Woche mit einer Fähre und vier Mal mit einem kleinen Charterflugzeug. Natürlich immer wetterabhängig. Ich befinde mich gerade auf der Fähre und wäre dankbar gewesen, wenn man heute beschlossen hätte, die Fähre nicht fahren zu lassen. Denn der starke Wind und heftige Wellen rütteln an dem Gefährt und treiben mir die Übelkeit in sämtliche Regionen meines Körpers. Krampfhaft kämpfe ich darum, mein Mittagessen im Magen zu behalten und bete das Ende dieser Folter herbei. Und jede Minute, die diese Folter andauert, verfluche ich Cassy, die mich hierauf nicht vorbereitet hat. Sie hat nur von der wundervollen Landschaft, den Vögeln und den steilen Klippen gesprochen. Dass man seetauglich sein muss, war ihr wohl entfallen.



Meine Sachen haben wir innerhalb eines Tages aus Bills Wohnung geholt. Wir hatten sogar die tatkräftige Unterstützung meines Stiefvaters, der für seine siebenundfünfzig Jahre noch immer sehr gut anpacken kann. Im Übrigen hat meine Mutter mir bei jeder Kiste, die wir gemeinsam eingepackt haben, gesagt, dass sie es ja schon immer gesagt hatte. Und das hatte sie tatsächlich. Die Idee, das, was Bill am allermeisten liebt, auch noch mitzunehmen, hatte auch Cassy. Jetzt steht der 55 Zoll-Fernseher erstmal bei ihr im Wohnzimmer. Eigentlich komme ich ja nie zum Fernsehen, aber als Cassy mir sagte, dass ich ihn unbedingt bräuchte, da konnte ich nicht nein sagen.



Ich stehe hinter der Glasscheibe und starre auf das dunkelgraue Meer. Die Trennung von Bill ist jetzt fast drei Wochen her und Trauer hat sich noch immer nicht eingestellt. Die Wellen schaukeln die Fähre kräftig umher. In Gedanken sage ich mir immer und immer wieder: langsam einatmen, langsam ausatmen. Gleich ist es vorbei. Direkt voraus erhebt sich doch schon eine steile Felswand. Dort willst du hin. Nur noch wenige Minuten. Langsam einatmen …



»Sie sehen recht blass aus«, spricht mich eine ältere Dame an. Sie trägt ein rot-grünes Plaid um ihre Schultern. In ihr Gesicht haben sich schon tiefe Falten gegraben und ihr lockig graues Haar steckt unter einer Plastiktüte. Sie bemerkt meinen Blick und lächelt. »Es regnet heute.«



»Ich habe einen Schirm mit«, erwähne ich pflichtbewusst. Sie schüttelt lächelnd den Kopf.



»Bei dem Wind wird der Ihnen nichts bringen. Was wollen Sie sich denn ansehen bei uns?«



Sie ist einen Kopf kleiner als ich. Ich muss nicht oft nach unten schauen, um jemanden ins Gesicht zu sehen. »Das weiß ich noch nicht. Ich habe mich noch gar nicht informiert, was es auf der Insel alles gibt. Ich bin hier mehr oder weniger reingestolpert. Meine Freundin hat einen Cousin hier.« Ich vermeide mit Absicht das Wort Lektorin. Es führt fast immer zu der erstaunten Frage, was ich denn beruflich mache. Damit habe ich auch meist kein Problem. Es ist ja auch nicht allzu schlimm zu sagen:

Ich bin Autorin.

 Doch darauf folgt immer die nächste Frage: Was schreiben Sie denn? Und einer Dame in den Siebzigern zu sagen: Ich schreibe erotische Literatur, kommt nicht immer gut an.



»Wer ist denn dieser Cousin?«



Natürlich wird sie ihn kennen. Bei weniger als siebzig Einwohnern kennt jeder jeden. Und da Cassy meinen Aufenthalt für ganze sechs Monate eingeplant hat, damit ich mich auch richtig in das Leben hier einfühlen kann, wird sie es wohl bald allein herausfinden. »Kieran McDougal.«



»Kieran!«, sagt sie gedehnt. »Er lebt völlig zurückgezogen. Dass er sich überhaupt Gäste in sein Haus holt. Aber vielleicht quartiert er sie ja auch im Leuchtturm ein.«



»Leuchtturm?«



»Skroo Lighthouse. Gehört auch ihm. Gar nicht so hässlich, wie sich das vielleicht anhört«, sagt sie bestimmt.



Die alte Dame hat mich gut abgelenkt, denn als ich jetzt wieder nach draußen sehe, laufen wir schon in den kleinen Hafen ein, der in einer Bucht liegt. Ich folge ihr von der Fähre. Mit uns verlassen nur etwa sieben weitere Personen die Fähre. Ich bleibe am Anleger stehen und sehe mich um. Alle verlassen geschäftig den kleinen Hafen und wenige Minuten später bin ich die einzige, die im Regen steht und nicht weiß, was sie tun soll. Ich laufe los und sehe mich nach einem Taxistand, einer Bushaltestelle oder Ähnlichem um. Aber da ist nichts. Ein Mann steht an ein kleines Boot gelehnt und mustert mich neugierig. Ich winke ihm und trete langsam näher. Er muss um die Fünfzig sein, trägt einen Hut, der tief in die Stirn gerückt ist, und einen langen schwarzen Gummimantel. Ich muss zugeben, er wirkt wie der Mörder aus dem Slasher Movie

Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast

, aber im Moment bin ich dazu bereit, das Risiko einzugehen.



»Entschuldigen Sie, ich möchte zum Sumburgh Castle. Gibt es hier ein Taxi, das ich rufen könnte?«



Der Mann lacht. Seine Schultern zucken unter dem Gummimantel. Der Wind trägt den Geruch von fauligen Algen zu uns. »Ein Taxi? Hier? Hier kann man alles zu Fuß erreichen. Hin und wieder fährt der alte McLean mit seinem Transporter Touristen. Aber bei dem Wetter kriegen Sie den nicht vor die Tür.«



Ich seufze. Meine Kleidung ist durchnässt und mir ist kalt. Meine Zähne schlagen aufeinander. Ich muss mir in Erinnerung rufen, dass das hier Cassys Idee gewesen ist. Sie war der Meinung, Fair im Herbst zu bereisen wäre das Richtige für mich. Okay, die Alternative hätte geheißen, mich mit Bill herumzuschlagen. Dann ist eine Lungenentzündung doch kein so schlechter Plan. »Wie lange läuft man denn bis zum Castle?«



»Etwa 30 Minuten die Straße runter, dann kommen Sie direkt darauf zu.«



Ich bedanke mich, schnappe mir meine zwei Rollkoffer und laufe los. Die Straße ist nicht lange eine Straße und verändert sich bald in festgefahrenen Schotter, der sich bei diesem Regen mit Matsch vermischt hat. Meine Koffer rattern und hüpfen hinter mir her und ich verfluche diesen Kieran, weil er mich nicht vom Hafen abgeholt hat. Aber, entschuldige ich ihn auch gleich wieder bei mir, vielleicht hat er ja wirklich wichtige Dinge zu tun. Was eben auf einer Burg so anfällt: Moos von den Steinen kratzen, Löcher zwischen Steinen stopfen, Rüstungen abstauben … Ich zähle die Arbeiten auf, die mir einfallen und bin mir sicher, dass er dafür Angestellte hat. Und weil ich mir da so sicher bin, frage ich mich jetzt, warum nicht einer von ihnen mich abgeholt hat? Und mit jedem vor Kälte bibbernden Schritt, den ich hinter mich gebracht habe, werde ich noch zorniger und wünsche diesem Kieran McDougal, dass er einen guten Grund hat, mich nicht abgeholt zu haben.



Es wird dunkel und als ich nach zwanzig Minuten noch immer kein Castle in der Ferne sehen kann, wird mir mulmig zumute. Es gibt hier nämlich weit und breit auch keine Straßenbeleuchtung. Und irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Nacht hier deutlich schneller hereinbricht. Ich laufe weiter und sehe mich nach irgendeinem Licht um. Egal welches ich jetzt entdecke, ich werde darauf zuhalten. Vor zehn Schritten kam mir das Rattern der Koffer noch nicht so beängstigend vor. Doch jetzt hallt es bedrohlich in der hereinbrechenden Dunkelheit. Ich bleibe stehen, sehe mich um und es gibt noch immer kein Licht. Nur die Sterne direkt über mir, die hin und wieder ein Loch in der Wolkendecke finden. Ich krame mein Handy heraus. Ich muss Cassy anrufen, denn in mir macht sich langsam der Verdacht breit, dass ich mich verlaufen habe. Aber wie hätte ich mich verlaufen können? Ich bin der Straße gefolgt. Ich wähle mit klammen Fingern Cassys Nummer und warte auf das Klingeln. Es kommt nicht. Weil ich mich auf einer winzigen Insel im Nordatlantik befinde, auf der es noch nicht einmal Busse und Taxis gibt. Wie hätte es dann hier ein Handynetz geben sollen?



Den Tränen nahe stecke ich das Handy weg und laufe weiter. Die Straße nimmt eine Biegung um einen Hügel herum. Ich überlege, ob ich nicht umkehren soll, wer weiß, ob hier draußen überhaupt noch was kommt. Aber dann fällt mir ein, dass die Insel ja nicht groß ist und eigentlich müsste ich sie fast einmal durchlaufen haben. Wenn ich ein Haus finde, dann bestimmt in Küstennähe. Also laufe ich um den Hügel herum und stehe vor dem, was ich auf den ersten Blick für ein Castle halten würde. Meine Schultern sacken erleichtert nach unten. Selbst wenn das hier nicht Sumburgh Castle ist, hier scheint jemand zu wohnen, denn es brennt Licht in einem der unteren Fenster. Groß wirkt die Silhouette nicht, die sich vor dem Nachthimmel abhebt. Aber ich habe auch kein großes Castle auf einer so kleinen Insel erwartet. Ich gehe auf das Licht zu. Ein paar niedrige Bäume kann ich wahrnehmen und das Meer höre ich in der Nähe rauschen.



An der Tür suche ich nach einer Klingel, kann aber keine finden. Da ist nur ein eiserner Ring. Ich nehme ihn und hämmere damit gegen das schwere Holz. Eine Windböe erwischt mich und lässt mich erzittern. Ich reibe meine Hände gegeneinander. Die Tür wird aufgerissen und ich blinzele gegen das Licht an, das mich plötzlich trifft. Ein groß gewachsener Mann mit breiten Schultern und unzufriedenem Gesichtsausdruck starrt mich an.



»Sind Sie Kieran McDougal?«, möchte ich ungeduldig wissen.



»Und Sie sind?«



»Jenna Summers, Cassandra hat mich angemeldet«, sage ich und spüre, wie sich langsam Zorn in mir breit macht, weil ich noch immer in der Kälte stehe.



»Ach die Autorin auf dem Selbstfindungstrip.«



»Dem was?« Mein Mund klappt auf.



»Cassandra meinte, Sie bräuchten etwas Zeit für sich, um nachzudenken.«



»Das hat sie gesagt?«



»Nicht genau das, aber es kommt in etwa hin.«



Ich ignoriere, was er gesagt hat. Jede weitere Diskussion würde nur dazu führen, dass ich noch länger in der Kälte stehen muss. »Könnte ich jetzt? Mir ist kalt. Es hat ja niemand für nötig gehalten, mich abzuholen.«



»Ich soll Sie hier wohnen lassen, von mehr war nicht die Rede. Und ich mach das nur, weil ich Cassandra etwas schulde.«



»Vielleicht beruhigt es Sie ja, dass Cassy wohl jetzt mir etwas schuldet. Immerhin musste ich bei diesem Wetter die ganze Insel überqueren. Wenn sie mir gesagt hätte, dass ich auf einen Neandertaler ohne Anstand treffe, hätte ich mich besser vorbereitet.« Jetzt bin ich wirklich zornig. Dieser Hinterwäldler von einem Mann sieht scheinbar nicht einmal ein, mir den Weg in sein Haus freizugeben.



»Frauen wie Sie sind der Grund, warum ich lieber allein lebe«, knurrt er, macht mir nun aber doch endlich Platz. Ich greife mit erfrorenen Fingern nach meinen Koffern und ziehe sie hinter mir her in eine große Halle von der zwei Türen abführen und sich eine breite Treppe zum Obergeschoss windet.



»Sie sollen ja nicht mit mir leben. Ich bin sicher, es gibt hier genug Räumlichkeiten, um uns für die Zeit meines Aufenthalts aus dem Weg zu gehen. Sie werden mich nicht bemerken und ich werde Sie nicht ertragen müssen«, werfe ich bibbernd ein und grinse in mich hinein, als ich die Pfütze zu meinen Schlammfüßen sehe. »Das tut mir leid. Das müssten Sie jetzt wohl nicht sauber machen, wenn Sie mich vom Hafen abgeholt hätten.«



»Das macht nichts. Amanda kann das morgen wegmachen, wenn sie zur Arbeit kommt.«



Ich mustere den Mann genauer. Er hat einen scharf geschnittenen sehr markanten Unterkiefer, ein breites Kinn, volle Lippen und eine gerade Nase. Nicht nur sein schwarzes Haar lässt ihn düster wirken. Alles an ihm wirkt rau und auf eine wilde Art attraktiv. Er trägt ein dünnes dunkelblaues Shirt mit einem verwaschenen Aufdruck, das jeden einzelnen Muskel seines Oberkörpers umschmeichelt. Er grinst mich selbstzufrieden an, als er meine Musterung bemerkt. Ich ziehe provokant die Augenbrauen hoch.



»Ich stelle gerade fest, körperlich sind Sie in der Lage, meine Koffer in mein Zimmer zu tragen.« Ich lasse die Griffe los und wende mich der Treppe zu. »Wo ist mein Zimmer? Ich brauche dringend eine heiße Dusche.« Ich bin eine freundliche Person, aber wenn man mir gegenüber ein solches Verhalten an den Tag legt, dann vergesse ich meine gute Erziehung. Außerdem hat meine Mutter schon immer gesagt:

Was ein Mann dir antut, tu ihm auch an. Männer haben es nicht anders verdient.

 Bis vor Kurzem hätte ich ihr da widersprochen, aber seit Bill mir auf so nette Weise das Ende unserer Verlobung erklärt hat, habe ich meine Meinung geändert. Ich muss gestehen, was Männer betrifft, hat meine Mutter recht. Ich frage mich nur, warum sie dann ein zweites Mal vor den Altar getreten ist?

 



Mein breitschultriger, groß gewachsener Gastgeber nimmt sich knurrend meine Koffer und geht vor mir die Stufen nach oben. Ich werfe einen bewundernden Blick auf die knackige Rundung seines Hinterns in der lässig tief sitzenden Jeans. Mir gefällt, was ich sehe, aber natürlich gestehe ich es mir nicht ein, sondern ermahne mich in Gedanken, diesen Hintern absolut verachtenswert zu finden.



»Ihre Vorfahren sind Kelten?«, frage ich beiläufig, während wir oben ankommen und uns nach rechts wenden. Ich nicke anerkennend, als ich die kleinen dunklen Beistelltischchen sehe auf denen alte Vasen, Bilderrahmen und anderer Nippes stehen. An einer Wand entdecke ich das Gemälde einer rothaarigen jungen Schönheit mit moosgrünen Augen.



Er wirft mir aus silbernen Augen einen fragenden Blick über die Schulter zu.

Dieser starke Kontrast zum dunklen Haar, bemerkenswert

, denke ich. »Wie kommen Sie darauf?«



»Um ehrlich zu sein, war das eine rhetorische Frage und eigentlich wollte ich damit nur darauf anspielen, dass Sie nicht nur groß, dunkelhaarig und eben keltisch wirken. Sie knurren noch dazu wie ein Wilder von Vorgestern.«



Er bleibt stehen, dreht sich mit gerunzelter Stirn zu mir um und sieht mich bedrohlich an. Ich bin sicher, er hätte fast schon wieder geknurrt, hat es aber runtergeschluckt. Ich kichere zufrieden in mich hinein und sehe mit großen Augen unschuldig zu ihm auf. Er macht einen Schritt auf mich zu und sieht von oben auf mich herab.



»Und Sie sind mit Sicherheit eine verwöhnte Göre aus gutem englischen Haus, der ihre Mutter gelehrt hat, dass es eine gute Idee ist, Männer zur Weißglut zu treiben.«



Ich tu so, als müsste ich darüber nachdenken, dann schüttle ich den Kopf. »Das stimmt nicht ganz. Männer haben mich gelehrt, dass es eine gute Idee ist …«



Er hebt die Hand und winkt ab. »Ich sehe schon, wir verstehen uns. Ich habe kein Interesse an Frauen und Sie keins an Männern. Das macht dieses erzwungene Zusammenleben hier ertragbar.«



»Oh nein«, werfe ich ein. »Sie verstehen das falsch. Ich bin nicht lesbisch. Nur vorerst absolut nicht an Arschlöchern interessiert. Davon hatte ich genug.«



Sein Blick gleitet über meinen Körper, verharrt kurz auf meinen Brüsten, von denen er nicht viel sehen dürfte, denn sie verstecken sich unter einem schwarzen Wollmantel. »Das meinte ich. Frauen, die an Männern interessiert sind, rennen nicht herum wie zugeschnürte Pakete.« Er nickt mit dem Kopf nach rechts. »Ihr Zimmer, Madam.« Damit lässt er mich stehen.



Ich gebe zu, ich habe mich zu sehr hinreißen lassen, aber dieser Mann hat etwas an sich, das mich mit den Zähnen knirschen lässt. Vielleicht liegt das nur an meinem körperlichen Zustand, vielleicht aber auch einfach an ihm selbst. Im Moment bin ich zu müde, das genauer zu ergründen. Ich greife nach meinen Koffern und betrete mein Zimmer auf Zeit.



Mein Zimmer ist nicht besonders groß, aber sehr gemütlich eingerichtet. Es erinnert mich ein wenig an alte Filme. An

Vom Winde verweht

 und … Ja, auch an

Jane Austen

. Dunkles Holz, geblümte Tapeten und eine geblümte Tagesdecke. Weiße Spitze auf dem Toilettentisch und ein vom Alter erblindeter Spiegel. Das Gemälde einer Dame in der Mode des 19. Jahrhunderts an der Wand über dem Bett. Vor dem Fenster Gardinen, wie ich sie noch aus meiner Kindheit kenne, lange bevor es musterlose glatte Schals und bedruckte Gardinen gab. Ich trete an das Fenster, aber die Dunkelheit verschlingt, was auf der anderen Seite wartet. Müde sehe ich mich nach einer weiteren Tür um und muss feststellen, dass es keine gibt. Das Bad liegt irgendwo außerhalb meines Zimmers. Mir bleibt also nur, meinen Gastgeber zu suchen und ihn mit meiner Anwesenheit ein weiteres Mal zu belästigen oder mich selbst auf die Suche nach dem Bad zu machen. Ich packe meine Koffer aus, räume alles in den großen Kleiderschrank und klemme mir das unter die Arme, was ich für eine ausgiebige Dusche brauche.



Der Korridor hat ganz genau sieben Türen und jede einzelne sieht gleich aus. Ich sehe nach rechts und nach links und überlege, dass es vielleicht doch besser wäre, meinen Gastgeber zu fragen, hinter welcher sich das Bad befindet. Andererseits müsste ich ihn dazu auch erst einmal finden. So oder so, ich muss mich auf die Suche begeben und vielleicht habe ich ja Glück und finde das Bad, bevor ich ihn finde. Auf die Dusche habe ich gerade wirklich Lust. Auf ihn kein bisschen. Ich wende mich nach rechts und öffne die erste Tür. Sie führt in ein Büro. Es ist nicht groß. Bietet gerade einmal Platz für einen Schreibtisch und ein paar Regale. Auch hier sind die Möbel dunkel gehalten. Ich schließe die Tür wiede