Die Uhr meines Vaters

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Die Uhr meines Vaters
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Ekkehard Wolf



Die Uhr meines Vaters



Erinnerungen eines alten Mannes





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Inhaltsverzeichnis





Titel







Anfang







Armsen 38







Klauen und Hauen und andere Sachen, die verboten waren







Doktor und andere Spiele







Dorferziehung







Leben







Sterben







Abschied auf Raten







Tapetenwechsel







Gute Taten







Neue Orientierungen







Para Bellum







Para pacem







Familienglück







Neue Ufer







Wo gelebt wird, da wird auch gelitten







Impressum neobooks







Anfang



Die Uhr meines Vaters



- Erinnerungen eines alten Mannes




Von Ekkehard Wolf







Inhalt:





Anfang



Armsen 38



Klauen und Hauen und andere Sachen, die verboten waren



Doktor und andere Spiele



Dorferziehung



Leben



Sterben



Abschied auf Raten



Tapetenwechsel



Gute Taten



Neue Orientierungen



Para Bellum



Para pacem



Familienglück



Neue Ufer



Wo gelebt wird, da wird auch gelitten






Die Uhr meines Vaters liegt wie eigentlich an jedem Tag vor mir auf dem Schreibtisch. Und ich überlege wie immer, ob ich sie noch einmal zur Reparatur geben soll. So, wie ich das in den vergangenen Jahren schon mehrfach getan habe. Ein bisschen ist das so, als ob ich versuchen würde, das Rad des Lebens auf diese Weise ein wenig zu verlängern. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob ich dabei an das Leben meines Vaters denke, oder an mein eigenes. Erstmals vor dieses Problem gestellt worden bin ich an dem Tag, an dem ich im Grunde ziel- und weitgehend orientierungslos auf dieser Welt zurück geblieben bin. Der Ausdruck traumatisiert war damals noch nicht so gebräuchlich. Ja, was soll ich sagen? Das war natürlich ganz schrecklich. So richtig fertig bin ich damit immer noch nicht. An sich war das eigentlich ein ganz normaler Tag gewesen. So normal, wie Tage damals bei uns nun mal gewesen sind. Wir haben in einem kleinen Dorf gewohnt. Armsen heißt das. Für mich ist es das schönste Dorf der Welt. Ganz abgelegen und daher mit vielleicht eigenwilligen Traditionen wie dem germanischen Sportfest, bei dem sich die Teilnehmer sogar im Baumweitwurf messen. Falls es wirklich einen Menschen geben sollte, der nicht weiß, wo Armsen liegt: Das Dorf liegt in Niedersachsen und gehört inzwischen zu Kirchlinteln und das gehört zum Landkreis Verden und das liegt ungefähr 30 Kilometer östlich von Bremen. Hier habe ich die ersten 11 Jahre meines Lebens verbracht. Das erste, woran ich mich erinnere, ist das morgendliche Krähen eines Hahnes und der eigenartige Duft, der mich umgab, wenn ich das Fenster öffnete, um nach dem Hahn Ausschau zu halten. Damals wohnten wir im Dachgeschoss bei Familie Kappenberg. Das war insofern bemerkenswert, als Vater aufgrund seiner Kriegsverletzung aus dem 1. Weltkrieg mit nur einem Bein auskommen musste. Das tägliche Auf und Ab auf der schmalen Stiege dürfte für ihn kein Zuckerschlecken gewesen sein. Aber natürlich habe ich das damals nicht bemerkt, ich kannte es ja nicht anders. Wir hatten damals einen Hund, der Strupp hieß und eine Gartenlaube, in der ich zum ersten Mal mit der großen Politik in Berührung kam.



In der Hütte stand ein Schrank, genannt Spielschrank. In einer der Schubladen fand ich eines Tages kleine Figuren, die früher einmal Pappsoldaten gewesen waren. Jetzt waren sie nicht mehr zu gebrauchen, da irgendjemand sie zerrissen hatte. Dieser Irgendjemand waren englische Soldaten gewesen, denen diese Figuren bei einer Hausdurchsuchung in die Hände gefallen waren, die mein Vater über sich hatte ergehen lassen müssen, nachdem er aus der amerikanischen Zone zugezogen war. Die Soldaten hatten es für richtig befunden, diese Relikte des deutschen Militarismus mit Stumpf und Stiel auszurotten. Das hat Vater mir erzählt. Ich hätte gern mit den Pappsoldaten gespielt. Das ging jetzt nicht mehr. Deshalb mochte ich die Engländer nicht. Da war ich vielleicht vier oder fünf Jahre alt.



Abgesehen von dieser Prägung hat sich mir seltsamerweise vor allem der große Kachelofen eingeprägt, der hinten in der guten Stube von Kappenbergs stand und eine wohlige Wärme verbreitet hat. Diese Beobachtung hat dazu geführt, dass ich bis Mitte zwanzig ernsthaft davon überzeugt war, dass der ideale Standort für einen Heizkörper hinten im Raum sein müsse.



Ein anderer Erinnerungsfetzen aus der Zeit bei Kappenbergs ist die Sache mit den Zöpfen meiner Schwester. An denen habe ich mich nach einem Besuch mit meinem Vater bei Frisör Hellwinkel in Verden erfolgreich im Umgang mit einer Schere versucht. Ich werde das Geschrei meiner Schwester nicht vergessen, als sie begriff, was ich da angerichtet hatte. Die darauf folgende Abreibung natürlich auch nicht. Mit uns Kindern gespielt haben damals zwei ältere Mädchen; soweit ich mich erinnere gehörten die zur Familie Störk, die neben den Kappenbergs gewohnt haben.






Armsen 38




Später sind wir dann in das Haus mit der Hausnummer 38 umgezogen, in dessen überheiztem Wohnzimmer Vater und ich an diesem Tag saßen. Wir, das waren Vater, Mutti, meine kleine Schwester Erdmute (Mute) und ich. Das Haus liegt direkt neben dem Gebäude, das damals als Erholungsheim für Kinder genutzt wurde. Es hatte fünf Zimmer, glaube ich. In zwei Zimmern wohnten die Heinzes. Nachdem wir nach Verden gezogen sind, sind die dann in den Anbau an der Scheune gezogen, in dem zuvor die Schnells gewohnt haben. Herr Heinze ist dann an Krebs erkrankt. Ich kann mich erinnern, dass mich der Eindruck des körperlichen Verfalls in der Endphase der Krankheit ziemlich getroffen hat. Seither versuche sich solchen Begegnungen aus dem Weg zu gehen. In den anderen drei Zimmern wohnten wir. Wir hatten auch noch eine Küche und ein richtiges Badezimmer mit einem richtigen Klo und einer richtigen Badewanne, die mit heißem Wasser befüllt werden konnte, das aus einem Boiler kam, der mit Propangas befeuert wurde, und – wir haben Klopapier benutzt. Was es damals noch nicht gab, war ein Kühlschrank. Wenn Lebensmittel wie etwa Obst haltbar gemacht werden sollten, mussten sie entweder getrocknet oder eingemacht werden. Die Einweckgläser wurden anschließend in einem halb hohen, kleinen Keller verstaut, der über eine kleine Stiege von der Küche aus erreicht werden konnte. Dieser Keller hatte ein kleines Fenster und daran muss ich immer denken, wenn ich an die Fabel von dem Fuchs und dem Wolf denke. Die Küche selbst war der Ort, an dem gekocht und gegessen wurde. Für das Kochen war Mutti zuständig und für das Essen wir alle und zwar gemeinsam.



Mute, meine Schwester und ich haben in demselben Zimmer geschlafen, wie die Eltern. Das war das Schlafzimmer. Im Winter haben sich da immer Eisblumen an den Fensterscheiben gebildet. Dazu gab es auch eine Geschichte, also dazu, wie die da hingekommen sind. So eine Art Märchen. Aber ich erinnere mich nicht mehr so genau daran, nur das die Eisfee dahinter steckte, die versucht hat, den Kindern damit eine Freude zu machen. Tatsächlich lag das mit den Eisblumen natürlich daran, dass der Raum auch im Winter nicht beheizt wurde und die Luftfeuchtigkeit in Frostnächten an den gefrorenen Scheiben haften geblieben ist. Aber mit solchen Banalitäten wurden wir damals nicht behelligt. Ähnliches galt für die Sache mit dem Storch, der bekanntlich die Kinder bringt. Soweit ich mich erinnern kann, haben wir den immer versucht mit Zuckerwasser anzulocken, wenn wir mal wieder ein Geschwisterchen haben wollten. Die Methode braucht übrigens niemand versuchen nachzuahmen. Sie funktioniert definitiv nicht. Aber in unserem aufgeklärten Zeitalter ist das ja vermutlich ohnehin jedem klar. Neben dem Schlafzimmer gab es das Wohnzimmer. In dem standen neben dem Schreibtisch auch die alten Bücherschränke, die Vater irgendwie aus seinem ersten Leben in unsere damalige Gegenwart gerettet hatte. Erstaunlicherweise hatten wir sogar einen Fernseher, der jeden Tag pünktlich um acht Uhr abends zur Tagesschau eingeschaltet wurde. Direkt daneben befand sich das Weihnachtszimmer. Das haben wir praktisch nicht benutzt, obwohl oder gerade weil dort unsere guten Möbel standen. Nach vorne raus war die Diele. Da hat der Vermieter jede Woche am Freitag seinen Verkaufsstand aufgebaut, und sein Fleisch und seine Wurst verkauft. Der Vermieter war Schlachter und mein Vater hat seinem Sohn Spanisch beigebracht, weil der auswandern wollte – nach Brasilien. Das war schon ziemlich peinlich für Vater, als der Sohn des Schlachters schrieb, wie es ihm in Brasilien mit Spanisch ergangen war.

 



Von der Diele aus ging eine Treppe auf den Dachboden. Da hatten Generationen von Vorbewohnern all die Dinge abgelegt, die sie nicht mehr haben wollten. Für mich war das ein Ort zu Stöbern. Das war eigentlich nicht erlaubt, aber auch nicht richtig verboten. Es war spannend, auch wenn ich da nie etwas gefunden habe, was ich hätte gebrauchen können. Aber dafür gab es viele Sachen, die es sonst eben nicht mehr gab. Ausrangierte Küchengeräte, Teile von Pferdegeschirren und solche Sachen. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir das Fell eines Hasen. Das hatte irgendjemand verkehrt herum aufgehängt - zum Trocknen – und dann aber wohl einfach vergessen.



Vor dem Haus war der Hof. Rechts war die Scheune. Da standen Wagen und Sachen drin, die Bauern so brauchen. Hinter der Scheune wurde im Sommer immer eine riesige Dreschmaschine aufgestellt, deren Antrieb über einen ewig langen Treibriemen erfolgte und die nicht nur einen Höllenlärm machte, sondern dazu auch den gesamten Vorplatz in eine große Staubwolke gehüllt hat. Direkt daneben habe ich einmal eine tote Taube gefunden, die meine Mutter dann gerupft und gebraten hat. Geschmeckt hat das Tierchen hervorragend, aber viel war nicht daran. Vielleicht ist das der Grund dafür , dass ich seither nie wieder eine Taube auf den Teller bekommen habe.



Im Anbau der Scheune wohnte eine andere Familie, die Schnells. Die Schnells hatten zwei Töchter. Die eine hieß Bärbel. Das war wohl meine erste Liebe. An den Namen der Älteren kann ich mich nicht erinnern. Die Mutter hat die Wäsche draußen in einer Badewanne gewaschen. Da habe ich mal einen großen Stein rein geworfen. Danach hat es ganz schön was gesetzt. So war das damals eben. Ich hab danach dann eben keine Steine mehr in die Wäsche geworfen. Schließlich gab es ja noch genügend andere Möglichkeiten, Unsinn anzustellen. Den Beschwerden der Nachbarn und der nachfolgenden Dresche nach zu urteilen, scheint meine Phantasie mich da durchaus erfinderisch gemacht zu haben.



Gegenüber der Scheune war so ein kleines Gebäude, eine Art Schuppen. Keine Ahnung, wie das richtig heißt. Im vorderen Teil war die Waschküche. Die hat meine Mutter benutzt. Da stand ein großer Trog. Der war außen aus Stein und hatte einen Kessel aus Metall. Oben drauf war ein großer Deckel. Unten befand sich eine Art Ofen. Den konnte man anheizen und so das Wasser im Kessel zum Kochen bringen. Da kam die Kochwäsche rein. Die musste ständig umgerührt werden mit einem großen Holzlöffel. In der Mitte des Häuschens war ein Hühnerstall, in den die Hennen abends eingeschlossen wurden. Tagsüber wackelten die Tiere über die Höfe und suchten sich ihr Futter auf der Straße. Wem die Hühner gehörten kann ich nicht mehr sagen, aber ich glaube den Schnells. Ich erinnere mich aber daran, wie die Hühner geschlachtet wurden. Dafür gab es einen Hackklotz hinter der Scheune. Der war eigentlich zum Holzhacken da. Bei Bedarf wurde er aber auch für die Hühner hergenommen. Denen wurde der Kopf mit dem Beil abgehackt. Danach wurden die immer losgelassen. Die sind dann noch eine Zeitlang rumgelaufen. Irgendwie war das immer eine lustige Sache. Jedenfalls ist keiner auf die Idee gekommen, uns Kinder vor so etwas fernzuhalten, im Gegenteil. Das war auch nicht anders, wenn Enten geschlachtet wurden. Aber das war nicht so interessant, weil denen einfach die Hälse umgedreht wurden und sie dann nicht mehr durch die Gegend gelaufen sind. Bei Schweinen war das noch wieder anders. Die haben das irgendwie gemerkt, was los war und haben dann versucht, zu entwischen. Da sind dann immer alle hinterher und haben sie wieder eingefangen. Ich glaube die nannten das die Sau durchs Dorf treiben. Anschließend wurde das Schwein von ein paar Mann an den Beinen festgehalten und umgekippt. Der Schlachter hat ihm dann mit dem Bolzenschussgerät eins verpasst, damit es ruhig war. Dann hat er dem Viech die Halsader aufgeschnitten und das Blut abgezapft. Das wurde dann glaube ich für die Blutwurst gebraucht. Dann wurde das Schwein an den Hinterfüßen aufgehängt und aufgeschnitten und die Gedärme rausgenommen. Anschließend ging der Schlachter her und teilte das Tier mit einem großen Beil in zwei Hälften. Bevor so ein Schwein geschlachtet wurde, hatte es, verglichen mit den heutigen Verhältnissen, ein saugutes Leben. Die Viecher suhlten sich im Dreck und wurden mit dem gefüttert, was vom Essen der Menschen übrig blieb. Gelegentlich stöberte ein Schwein auch in dem kleinen Eichenwald, um sich voll zu fressen. Aber das ist, glaube ich, nicht so oft passiert.



Wenn ein Schwein geschlachtet wurde, war das immer ein besonderes Ereignis. Zum Schluss gab es das Schlachtfest. Da sind dann die, die daran beteiligt waren zum großen Festschmaus zusammengekommen. Da waren wir aber nicht dabei. Aber manchmal haben wir am nächsten Tag eine Portion Knipp gekriegt. Das war dann immer etwas ganz Besonderes.



Im letzten Teil des kleinen Gebäudes war die Jauchegrube. Die hat meine Mutter im Herbst mit einer großen Kelle abgeschöpft und damit den Garten gedüngt. Unter dem Dach des Bauwerks war noch ein kleiner Spitzgiebel. Als wir groß genug waren, da hochzuklettern, haben wir uns da gerne versteckt und verbotene Sachen gemacht. Ich habe da zum Beispiel meine erste Zigarette geraucht. Da war ich vielleicht acht oder neun.






Klauen und Hauen und andere Sachen, die verboten waren




Wenn ich so zurückdenke, haben wir überhaupt ziemlich oft Sachen gemacht, die eigentlich verboten waren.



Ganz verboten war es zum Beispiel, zu klauen. Ich habe es trotzdem fertig gebracht, mir einzubilden, vor den Augen des Kaufmanns Seemann unbemerkt einen Spielzeugrevolver klauen zu können. Der Laden lag direkt gegenüber von dem Haus, in dem wir wohnten, auf der anderen Straßenseite. Ich kann mich daran erinnern, als ob es heute wäre, so sehr hat mir der Revolver gefallen. Das war natürlich sehr peinlich und meine Mutter hatte große Mühe, den Kaufmann dazu zu überreden, meinem Vater nichts davon zu erzählen. Das hat mich nicht davon abgehalten, im Sommer gemeinsam mit einem Freund beim Gärtner Erdbeeren klauen zu gehen. Natürlich wurden wir wieder erwischt. Aber der Gärtner ist nicht zu meinen Eltern damit gelaufen, sondern zum Lehrer, dem alten Borchers. Der hat mich und meinen Freund dann am nächsten Tag mit dem Taschenmesser in der Hand im Klassenzimmer empfangen. Das Taschenmesser durften wir dann mit nach draußen nehmen, um zwei Weidengerten abzuschneiden. Mit denen hat uns der Borchers dann vor allen Mitschülern den Hosenboden versohlt. Aber gründlich. Danach war uns die Lust aufs Erdbeeren Klauen erst einmal vergangen. Der Borchers war ohnehin so ein Typ von Lehrer, den man heute wohl vergebens sucht. Vier Jahrgänge gleichzeitig zu unterrichten, das war schon eine Herausforderung, der sich heute sicher kaum noch jemand auf Dauer stellen würde. Im Dorf berühmt für seine täglichen Spaziergänge, die ihm den Ruf einbrachten, ein uralter Mann zu werden, hatte er vor allem Unterrichtseinfälle, die Lernen erfahrbar machten. Ich werde den Bau der Serpentinenstraße im Hügel hinter der Schule nicht vergessen, deren Stabilität wir dann mit den eigenen Spielzeugautos testen durften. Oder das Einüben eines Theaterstücks neben dem Unterricht. Zugegeben, es war die Idee des damaligen Referendars, der hieß Herr Fuhrmann. Aber es zuzulassen, das war die Entscheidung vom alten Borchers. Ich durfte mich am Hans im Glück versuchen. Das war natürlich eine große Ehre. Aber die Geschichte fand ich schon damals nicht wirklich schlau. Gut möglich, dass ich mir schon damals vorgenommen habe, so etwas besser nicht zu machen. Jedenfalls habe ich die Lehre aus der Geschichte mein Leben lang nicht vergessen.



Abgesehen von Klauen gab es in Armsen auch damals schon natürlich noch andere verbotene Sachen, bei denen wir glaubten, uns dabei besser nicht erwischen lassen zu sollen. Da waren zum Beispiel die Feuerspielchen. Zwei der Nachbarjungs fanden es eines Tages sehr lustig, ein Huhn zu fangen, dessen Gefieder mit Benzin zu übergießen, das Tier dann anzuzünden und laufen zu lassen. Das hat damals für ziemlich viel Aufregung im Dorf gesorgt. Nicht so sehr wegen des Huhns, aber das Viech hätte ja das ganze Dorf anzünden können. Natürlich hätten die Erwachsenen zu gern erfahren, wer die Übertäter waren. Aber wenn das einer gepetzt hätte, wäre es ihm ziemlich an den Kragen gegangen. Also hat keiner gepetzt. Da die Täter nicht ermittelt werden konnten, mussten alle, die dafür in Frage kamen, sich entsprechende Predigten der Eltern anhören, ich auch. Die beiden Spaßvögel hat das nicht davon abgehalten, das Spiel mit dem Feuer wenig später noch einmal mit einer Katze zu spielen. Der wurde dazu ein benzingetränkter Lappen an den Schwanz gebunden. Das fand ich zur Abwechslung mal nicht so gut, weil ich Angst hatte, sie könnten das mit meiner Katze auch machen. Gemacht haben sie das trotzdem. Als das Tier in seiner Panik dann brennend ins Haus lief, war es allerdings mit dem Spaß vorbei. Normalerweise haben die Erwachsenen in diesem Dorf uns ziemlich viel durchgehen lassen. In diesem Fall war das anders, wohl auch, weil die Lausbuben erwischt worden sind. Den Bösewichtern wurde so gründlich das Fell gegerbt, dass ihnen die Lust auf Feuerspielchen vergangen ist. Auf die Lust mit der Gewalt an Tieren nicht unbedingt. Das habe ich dann bei unserer Katze Katinka gemerkt. Als sie es trotz heraushängender Gedärme irgendwie doch noch zurück bis nachhause geschafft hat, haben wir sie zwar mit Penicillinpulver wieder zusammengeflickt, aber ihre frühere Zutraulichkeit gegenüber Menschen war natürlich weg. Ich war wegen Katinka ziemlich sauer auf die anderen Jungs. Zu Katzen habe ich seither und bis heute ein besonders vertrautes Verhältnis. Das liegt wohl vor allem daran, dass Katzen die einzigen Tiere sind, die sich von Menschen nicht so dressieren lassen. Vermutlich kommt das aber auch daher, dass ich einmal erlebt habe, in was für eine Furie sich eine Katze verwandeln kann, wenn sie in die Ecke gedrängt wird. In dem Fall war die Ecke zwar ein verschlossenes Scheunentor, aber ich werde trotzdem nicht vergessen, wie der Hund, der die Katze dahin gejagt hat, von ihr mit den Krallen ihrer Vorderpfoten so heftig attackiert wurde, dass er mit blutender Schnauze jaulend das Weite gesucht hat.



Das hat mich damals aber nicht dazu gebraucht, beim Umgang mit allen Tieren große Skrupel an den Tag zu legen. Ganz besonders gering war die Hemmschwelle zum Beispiel bei Regenwürmern und Fliegen, obwohl ich nie dabei mitgemacht habe, ihnen zum Spaß die Flügel auszureißen. Ein echter Sonderfall war bei uns das Spatzenschießen. Das war mal so richtig spannend. Das lag vermutlich schon daran, weil es auch bei uns nicht eben selbstverständlich war, als Kind mit dem Luftgewehr durch das Dorf zu ziehen. Im Armsen hatte damals jedenfalls nur einer so ein Teil und der hieß Heiner. Damit sind wir losgezogen und haben versucht, die kleinen Biester platt zu machen. Aber das wurde schnell langweilig. Vermutlich lag das auch an der verblüffenden Erfahrung, dass die zum Abschuss vorgesehenen braunen Gesellen nicht wirklich wild darauf aus waren, von uns ins Jenseits befördert zu werden. Irgendwie haben die das immer ausgesprochen schnell begriffen gehabt, dass wir es auf sie abgesehen hatten. Wir haben das daran gemerkt, dass es auf einmal ganz ruhig war. Spatzen machen normalerweise einen ziemlichen Rabatz. Wenn wir einen von ihnen erwischt hatten, war das vorbei. Wir haben dann immer recht schnell die Geduld verloren und lieber etwas anderes gespielt. Die Spatzen haben auch das sehr schnell bemerkt und sind wieder in der Gegend herum getollt. Wir haben unsere Schießübungen mit Heiners Luftgewehr deswegen natürlich nicht etwa aufgegeben, sondern einfach nur verlegt und zwar auf den Bereich hinter dem Haus der Wilkes. Geschossen wurde da aber auch nicht mehr auf lebende Tiere, sondern so, wie sich das gehört, auf Pappscheiben. Das hatte den Vorteil, dass sich die eigenen Erfolgserlebnisse immerhin mit einer gewissen Regelmäßigkeit eingestellt haben. Von praktischem Nutzen waren diese Erfahrungen dann an der Schießbude beim Schützenfest.



„Gewalt“ gegenüber Schwächeren war aber nicht nur gegenüber Tieren recht verbreitet. Außenseiter waren auch sehr beliebt als Opfer. Davon gab es so einige bei uns im Dorf. Einer davon war ich. Aber mit mir war das etwas Besonderes. Ich war mehr ein Fremder, wegen Vater, also nicht so sehr der Opfertyp. Außerdem hatte ich viele Spielsachen. Wer da mitspielen wollte, durfte natürlich nicht unfreundlich sein. Anders war das zum Beispiel bei Herrmann, dem Sohn des Schusters. Der durfte eigentlich nie spielen und wurde dafür ständig gehänselt.

 



Ganz schlimm erging es dem Jungen von den Zeugen Jehovas. Der wohnte neben der Schmiedewerkstatt, die von Vater Schnell und dem Großvater Lohmann (?) betrieben wurde, dessen Frau mir wegen der Ausbuchtungen am Hals in Erinnerung geblieben ist. Wie der Junge hieß, habe ich vergessen. Der war schon deshalb ein bevorzugtes Opfer, weil er sich ja nicht wehren durfte. Also wurde er ständig verprügelt. Damit aufgehört ihn zu schikanieren haben wir erst dann, als er sich in seiner Verzweiflung irgendwann nicht mehr anders zu helfen wusste und seine ihm auferlegte Friedfertigkeit vergaß. Dabei kamen

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