Prozessberatung für die Organisation der Zukunft

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Prozessberatung für die Organisation der Zukunft
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EHP – ORGANISATION

Hrsg. von Gerhard Fatzer

in Zusammenarbeit mit Wolfgang Looss und Sonja A. Sackmann


Der Autor:

Edgar H. Schein, Professor emeritus der Sloan School of Management am Massachusetts Institute of Technology, wo er heute noch arbeitet. Als Schüler von Douglas McGregor und Richard Beckhard und einer der Mitbegründer der Organisationspsychologie und der Organisationsentwicklung war er Co-Leiter von Kurt Lewins Forschungszentrum für Gruppendynamik am MIT; zahlreiche bahnbrechende Veröffentlichungen zur Entwicklung der Prozessberatung als grundlegender Form von OE, zur Analyse und Entwicklung der Organisationskultur und zur Karriereentwicklung sowie zur Organisationspsychologie; zusammen mit Warren Bennis und Chris Argyris Trainer in den National Training Labs in Bethel; Berater von großen Konzernen, Regierungen und Führungskräften in der ganzen Welt. Vor seinem ethnologischen und sozialpsychologischen Hintergrund entwickelte sich seine Praxis als Gruppendynamiker und Prozessberater.

1969 begründete er zusammen mit Dick Beckhard die erste Buchreihe zur Organisationsentwicklung; sowohl seine eigenen Bücher als auch die von ihm herausgegebenen Titel und die seiner Schüler sind in eine Vielzahl von Sprachen übersetzt; seit 1999 Herausgeber der Zeitschrift Reflections. International Journal for Change, Learning, Dialogue, und von Profile. Internationale Zeitschrift für Veränderung, Lernen, Dialog; Consulting Editor der Reihe EHP-Organisation.

Neben dem vorliegenden Klassiker sind seine Bücher Organisationskultur, Aufstieg und Fall von Digital Equipment Corporation und Führung und Veränderungsmanagement dem deutschsprachigen Leser zugänglich.


© 2003 für die deutsche Ausgabe EHP - Verlag Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbach

www.ehp-koeln.com Original English language title: Process Consultation Revisited: Building the Helping Relationship Copyright © 1999. All Rights Reserved Published by arrangement with the original publisher ADDISON WESLEY LONGMAN, a Pearson Education company

Aus dem Amerikanischen von Isabella Bruckmaier

Redaktion: Maria Michels-Kohlhage

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

3. Auflage 2010

Umschlagentwurf: Gerd Struwe

– unter Verwendung eines Bildes von Claudine Fessler –

Satz: MarktTransparenz Uwe Giese, Berlin

Gedruckt in der EU

Alle Rechte vorbehalten

All rights reserved. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.

eBook-ISBN 978-3-89797-528-6

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Inhalt

Zur Reihe EHP-Organisation

Vorwort

I. TEIL: DEFINITION VON PROZESSBERATUNG

1. Kapitel: Was ist Prozessberatung

Beratungsmodelle und die impliziten Annahmen, auf denen sie beruhen

Definition der Prozessberatung

Zusammenfassung, Implikationen und Schlussfolgerung

Fallbeispiele und Übung

2. Kapitel: Die Psychodynamik der helfenden Beziehung

Das anfängliche Statusungleichgewicht in helfenden Beziehungen

Aushandeln von impliziter Rolle und Status

Beziehungsaufbau auf verschiedenen Stufen gegenseitiger Akzeptanz

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Übung

3. Kapitel: Aktives Fragen und Zuhören zum Ausbalancieren des Statusgleichgewichts

Verschiedene Formen des aktiven Fragens und Zuhörens

Konstruktiver Opportunismus

Elemente des Entscheidungsprozesses

Hinweise auf Statusgleichgewicht

Das Konzept des anerkennenden Fragens

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Übungen

4. Kapitel: Das Konzept des Klienten

Wer? Grundtypen bei den Klienten

Was? Klientenrollen nach Problem- oder Themenebene

Themen bei Kontakt- und mittelbaren Klienten

Zu primären Klienten

Zu ahnungslosen und ultimativen Klienten

Personen im Einflussbereich als Klienten und der Einfluss von Nichtklienten

Schlussfolgerung und Auswirkungen

Fallbeispiele und Übung

II. TEIL: DEKODIEREN VERBORGENER KRÄFTE UND PROZESSE

5. Kapitel: Intrapsychische Prozesse: BRUI

Beobachtung (B)

Reaktion (R)

Urteil (U)

Intervention (I)

Der realistischere BRUI-Zyklus

Wie man Fallen vermeidet

Schlussfolgerung

Übung

6. Kapitel: Dynamik in der Angesicht-zu-Angesicht-Situation: Kulturelle Regeln der Interaktion und Kommunikation

Warum kommunizieren Menschen überhaupt?

Die Rolle der Sprache

Kulturelle Regeln für die Interaktion von Angesicht zu Angesicht

Soziale Gerechtigkeit: Einfache Kommunikation muss faires Geben und Nehmen sein

Menschliches Geben und Nehmen als Drama

Die Person als »heiliges Objekt«: Die Psychodynamik der »Gesichts-Wahrung«

Der zirkuläre Prozess und sich selbst erfüllende Prophezeiungen

Schlussfolgerung

 

Übung

III. TEIL: INTERVENTION ALS LERNHILFE

7. Kapitel: Kommunikation und bewusstes Feedback

Kommunikationsebenen

Bewusstes Feedback als geplanter Lernprozess

Die Bühne für bewusstes Feedback bereiten

Prinzipien und Richtlinien für bewusstes Feedback

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Übungen

8. Kapitel: Fördernde Prozessinterventionen: Aufgabenprozesse in Gruppen

Was ist ein Prozess?

Problemlösung und Entscheidungsfindung in der Gruppe

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

9. Kapitel: Fördernde Prozessinterventionen: Interpersonale Prozesse

Gruppenbildungs- und Gruppenerhaltungsprozesse

Gruppenreife

Wie soll interveniert werden: Aufgaben- oder interpersonal orientiert? Inhalt-, prozess- oder strukturorientiert?

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

Übungen

10. Kapitel: Fördernde Prozessinterventionen: Dialog

Dialog versus Sensitivitätstraining

Schlussfolgerungen und Implikationen für die Prozessberatung

Übungen

IV. TEIL: PROZESSBERATUNG IN DER PRAXIS

11. Kapitel: Beratung in der Praxis: Einstieg, Settings, Methoden und der psychologische Vertrag

Erster Kontakt und Einstieg

Definition der Beziehung: Das Explorationstreffen

Der psychologische Vertrag

Zusammenfassung und Schlussfolgerung

12. Kapitel: Prozessberatung und die helfende Beziehung in der Gesamtschau

Zehn Prinzipien als Kern der Prozessberatung Ist die Entwicklung einer sinnvollen Typologie von Interventionen möglich?

Formales Wissen, Können oder Intuition?

Eine persönliche Anmerkung zum Schluss

Anmerkungen

Literatur


Zur Reihe EHP-Organisation

Die Reihe EHP-Organisation verfolgt das zentrale Anliegen, neben der Übersetzung wichtiger amerikanischer Originaltexte (zum Bereich der Organisationsentwicklung und des »Change Managements«) auch Grundlagen zur Organisationskultur, zu interkulturellen Entwicklungen, zur Verbindung Management und neue Technologien, zur lernenden Organisation, aber auch zu Grundlagen der »systemischen Intervention« in Organisationen, zu defensiven Routinen, zu neuen Formen der Organisation, zu wichtigen historischen und konzeptionellen Grundlagen der Organisationsentwicklung und des »Managements« von Veränderungen und theoretischen Ansätzen wie Aktionsforschung, Systemtheorie, Prozessberatung und Gestaltansätzen der OE darzustellen. Dabei werden selbstverständlich auch die verwandten Interventionsformen wie Supervision und Coaching ausführlich erörtert und in ihrer Unterschiedlichkeit und Ähnlichkeit gewürdigt. Dabei soll nicht nur der interkulturelle Austausch zwischen Europa und Amerika im Vordergrund stehen, sondern auch neue Interventionsformen der OE wie Dialog und Wissensmanagement in Form von »Lerngeschichten in Organisationen«. Es werden neue Organisationsformen wie Joint Ventures, Strategische Allianzen und Mergers & Acquisitions thematisiert.

Die Reihe soll sowohl Diskussionsgrundlagen und Denkfiguren im Bereich OE für das 3. Jahrtausend als auch historische Grundlagen der OE in ihrer Aktualität bereitstellen. Damit ist die Reihe bewusst ein Stück unmodern und zeigt auf, dass die Professional Community der OE-Berater, Coaches, SupervisorInnen zum Teil diese Grundlagen nicht kennt und dass auch kein interkultureller Dialog zwischen Europa und den USA stattfindet. Es soll ein Gegentrend zu den gängigen Einbahnstraßen der Wahrnehmung und zur kulturellen Ignoranz geschaffen werden, indem auch Autorinnen und Autoren zu Wort kommen, die diesen interkulturellen Dialog praktizieren und konzeptionell untermauern. Damit soll der herrschenden Flut von Publikationen, die zum Teil nur konzeptlos aus dem amerikanischen Sprach- und Kulturraum übersetzt und in deutschsprachigen Versionen publiziert werden, eine Reihe mit ausgewählten Titeln entgegengesetzt werden. Inspiriert ist die Reihe auch durch unsere amerikanischen Kollegen und langjährigen Wegbegleiter Chris Argyris, Edgar H. Schein, Fred Massarik, Ed Nevis, Warren Bennis und die Kollegen um Peter Senge am MIT, aus deren Kreis sich auch die Consulting Editors von EHP-Organisation rekrutieren.

Herausgeber sind vier Kolleginnen und Kollegen aus dem Feld: als Hauptherausgeber Gerhard Fatzer in Zusammenarbeit mit Wolfgang Looss und Sonja Sackmann.

Die ersten Titel waren Ed Nevis’ Organisationsberatung, ein Meilenstein, in dem Gestalt-, System- und Prozessberatungsansätze in Verbindung mit gestaltpsychologischen Grundlagen dargestellt wurden; dann das Buch von Albert Koopman, Transcultural Management, das praktisch und konzeptionell ein großes und erfolgreiches interkulturelles OE-Projekt zwischen Weißen und Schwarzen in Südafrika illustriert. Es folgten Titel der Herausgeber der Reihe, Gerhard Fatzer (Supervision und Beratung), ein Handbuch, das die Grundlagen von Supervision und Organisationsberatung als eines der ersten Handbücher 1990 umfassend thematisierte und bereits in 9. Auflage erscheint; die verschiedenen Trias-Kompasse aus dem Trias-Institut (als erste Erfolgsfaktoren von Veränderungsprozessen). Organisationsentwicklung für die Zukunft ist eine breite Darstellung der Grundlagen der lernenden Organisation von Peter Senge und zahlreichen Kollegen wie Bill Isaacs, Ed Schein; es enthält die ersten deutschsprachigen Texte von Chris Argyris zur »eingeübten Inkompetenz« und zu »defensiven Routinen«, die diesen wichtigen Vordenker in Europa bekannt machten. In der Gegenüberstellung zu den amerikanischen Autoren schreiben immer die wichtigsten deutschsprachigen Autorinnen und Autoren zu diesen Themen wie Wolfgang Looss, Kornelia Rappe-Giesecke, Wolfgang Weigand, Jörg Fengler, Kurt Buchinger, Rudolf Wimmer, Sonja Sackmann, Jane E. Salk, Lothar Nellessen u.a.m.

Neuere Titel sind der Band von Fatzer, Rappe-Giesecke und Looss zu Qualität und Leistung von Beratung, der die Grundlagen von Supervision, Coaching und OE vergleicht, in ihren Qualitätsansprüchen dokumentiert und zugleich eine »Informationsbroschüre« für Kunden und Auftraggeber ist; es folgte der Trias-Kompass von Beucke-Galm, Fatzer und Rutrecht zu Schulentwicklung als Organisationsentwicklung, der den aktuellen Entwicklungsstand von OE in der Schule für die drei Länder Deutschland, Schweiz und Österreich darstellt und in vielen Fallbeispielen in ihren jeweiligen lokalen Ausprägungen dargelegt. Zudem werden die Ansätze des Dialogs und der lernenden Organisation für die Schule adaptiert.

Der neueste Titel ist der vorliegende Klassiker eines Mitbegründers der Organisationspsychologie und der Organisationsentwicklung, Edgar H. Scheins Prozessberatung für die Organisation der Zukunft, der die Grundlagen von Prozessberatung als einer Philosophie des Helfens für Einzelpersonen, Teams und ganze Organisationen aufzeigt. Das Buch ist angereichert durch Fallbeispiele und Übungen aus 50 Jahren weltweiter Praxis in Unternehmen und vor dem Hintergrund der langjährigen Forschung am Massachusetts Institute of Technology in Boston, wie sie ursprünglich durch Douglas McGregor und Kurt Lewin dort begründet wurde. Schein stellt auch die Grundlagen von Dialog im Kontext von Kulturentwicklung dar. Zudem hat das erfolgreiche Herausgeberteam Barbara Heimannsberg und Christoph Schmidt-Lellek einen interessanten Band zum Thema Interkulturelle Beratung und Mediation zusammengestellt, in dem die immer wichtiger werdenden Grundlagen der Mediation auf den interkulturellen Bereich und auf die Organisationsentwicklung angewendet werden.

Zudem freut es uns, auch das bahnbrechende Buch von William I. Isaacs (ebenfalls Mitglied der Fakultät des MIT) zum strategischen Dialog in Unternehmen anzukündigen, in dem der Begründer des Dialog-Ansatzes in Organisationen aufzeigt, worin Dialog besteht und wie er auf die Kommunikation von Unternehmen, Führungskräften und gesellschaftlichen Gruppen und im interkulturellen Kontext angewendet werden kann; eine zukunftsweisende Konkretisierung der lernenden Organisation aus dem Kontext MIT und schon jetzt ein Klassiker.

Neue Titel werden dazu beitragen, das Verständnis von Menschen, Teams und Organisationen in einer immer turbulenter werdenden Umwelt zu fördern. Zu erwähnen ist in diesem Kontext auch die neue Zeitschrift Profile (Internationale Zeitschrift für Lernen, Veränderung und Dialog), die dieser Zielsetzung ebenfalls verpflichtet ist und als Periodikum unsere Buchreihe ergänzt.

Selbstverständlich soll die Reihe auch den Dialog zu den Lesern und innerhalb der globalen Professional Community fördern und der Fortentwicklung des Feldes von Organisationsentwicklung und Supervision, von Coaching und Lernen, von Veränderung und Dialog dienen. Herausgeber und Verlag laden Sie dazu ein.

Gerhard Fatzer, Grüningen/Zürich


Vorwort

Ursprünglich schrieb ich 1969 mein Buch Prozessberatung aus einem Gefühl der Unzufriedenheit heraus, Unzufriedenheit damit, dass meine Kollegen nicht wirklich verstanden, was ich machte, wenn ich mit Klienten in Organisationen arbeitete. Dreißig Jahre später habe ich das Gefühl, dass die Kollegen und die Klienten, die ich zu erreichen versuche, immer noch nicht die Bedeutung der Prozessberatung verstanden haben. Prozessberatung ist keine Technik, keine Sammlung von Interventionen für die Arbeit mit Gruppen, wie sie leider immer noch häufig (miss-)verstanden wird. Prozessberatung ist nicht einfach ein Modell der nichtdirektiven Beratung für die Anwendung in Organisationen, sie ist kein Beruf, kein Full-Time-Job. Vielmehr ist sie eine Philosophie des Helfens, eine Technik oder Methodik des Helfens.

 

Hilfe benötigen zu unterschiedlichen Zeiten in unserem Leben immer wieder alle möglichen Leute von uns: unsere Freunde, unsere Ehepartner und Kinder, unsere Kollegen, Vorgesetzten und Untergebenen und manchmal sogar Fremde. Genau dann, wenn wir wahrnehmen, dass Hilfe gebraucht wird, oder wenn wir direkt um Hilfe gebeten werden, genau dann bekommt die Prozessberatung ihre Bedeutung. Aber wie alle professionellen Helfer wissen, zeigt es sich, dass es nicht einfach ist, Hilfe zu leisten, so wenig wie es leicht ist zuzugeben, dass man Hilfe benötigt, und so wenig es leicht ist sie anzunehmen, wenn sie angeboten wird. Genau deshalb ist es für das Verständnis von Prozessberatung notwendig, viel mehr psychologischen und soziologischen Einblick in die Dynamik der helfenden Beziehung zu bekommen.

In den früheren Versionen des vorliegenden Buchs war ich davon ausgegangen, dass meine Leser eine ganze Menge vom Gewähren und Annehmen von Hilfe verstehen, aber genau auf diesem Gebiet entdeckte ich dann bei meinen Studenten, Klienten und Kollegen die größten Defizite. Als ich begann, über eine neue Version von Prozessberatung nachzudenken, bemerkte ich, dass 40 Jahre Erfahrungen mit dem Versuch hilfreich zu sein, neue Perspektiven auf den Prozess des Helfens selber eröffnet haben. Deshalb habe ich mein Denken reorganisiert und anstatt einer dritten Ausgabe der alten Bände habe ich ein neues Buch geschrieben, das sich spezifischer dem Versuch widmet, ein generelles Modell der helfenden Beziehung zu entwickeln. Viel Material dieses Buchs stammt aus den Vorgängerbänden, aber es ist vollständig neu organisiert. Im vorliegenden Band beschäftige ich mich vor allem mit der Beziehung zwischen Berater und Klienten in der Angesicht-zu-Angesicht-Situation und in Kleingruppensettings. Ziel ist ein Modell für alle Arten des Helfens, nicht nur für den Organisationsberater. Der Therapeut, Sozialarbeiter, Studienberater, Coach, Elternteil, Freund, Manager und jeder, der helfen möchte, sollte hier eine brauchbare Sammlung von Ideen, Vorlagen und Prinzipien finden.

Wenn jemand Hilfe benötigt und darum bittet, bildet sich eine komplizierte Dynamik zwischen dem Helfer und dem »Klienten«, weil der Helfer automatisch dazu eingeladen ist, die Expertenrolle zu übernehmen. Das impliziert, dass der Helfer etwas hat, das dem Klienten fehlt; und der Helfer ist in der Lage, dieses »Etwas« zu gewähren oder zurückzuhalten. Diese Ausgangssituation lädt den Helfer nicht nur ein, sich als Experten zu sehen, sondern sie bringt ihn automatisch in eine Machtposition gegenüber dem Klienten. Dies Ungleichgewicht der Beziehung ist die Quelle der psychologischen Dynamik, die sowohl verstanden und eingeschätzt als auch bearbeitet werden muss, wenn Hilfe aktuell gewährt werden soll.

Gleichzeitig machen es die kulturellen Hintergründe des Helfens (Was bedeutet es, um Hilfe zu bitten, Hilfe zu akzeptieren oder zu gewähren? Und was bedeutet es, wenn ein Niveau an Unbefangenheit und Offenheit erforderlich ist, das nicht kulturell positiv sanktioniert ist?) notwendig, die soziologische Dynamik der helfenden Beziehung zu verstehen. Das vorliegende Buch ermöglichte es mir, eine breitere Perspektive zu eröffnen, die – vor meinem eigenen persönlichen Background – nicht nur Klinische Psychologie und Sozialpsychologie einschließt, sondern darüber hinaus Soziologie und Anthropologie.

Anders ausgedrückt versuche ich in diesem Buch eine allgemeine Theorie und Methodologie des Helfens vorzustellen, basierend auf dem Verständnis psychologischer und soziologischer Dynamiken. Die Wahl der Konzepte und die Methode der Präsentation spiegeln 40 Jahre Erfahrung mit unterschiedlichen Arten von Prozessen des Helfens wider. Ich hoffe, dass die beschriebenen Konzepte und Methoden für die Leser hilfreich sind.

Viele Menschen haben im Laufe der Jahre mein Denken beeinflusst, aber niemand mehr als Douglas McGregor, Alex Bavelas und Richard Beckhard. McGregor und Bavelas unterrichteten am MIT, als ich 1952 dort zum ersten Mal an einem Seminar teilnahm, und sie wurden meine Mentoren, als ich 1956 als Assistant Professor dorthin zurückkehrte. Dick Beckhard traf ich 1957 und begann eng mit ihm zusammen zu arbeiten, zuerst in Bethel und dann am MIT, als er dort Adjunct Professor wurde. Warren Bennis schloss sich 1958 unserer Gruppe am MIT an und wurde ebenfalls ein nahe stehender Kollege und Mitautor. Die mir wichtigste Lektion dieser Kollegen und Mentoren: Im Umgang mit Menschen ist es am besten nicht zu diktieren, sondern dabei zu helfen die eigenen Bedürfnisse zu entdecken, um dann einem Lotsen gleich den Weg dorthin hilfreich zu begleiten. Man kann nicht wirklich in der Lage sein, die Motive, Haltungen und Gedanken der Menschen zu kontrollieren; aber wenn man ihnen dabei helfen kann, ihre Bedürfnisse zu erkennen, muss man wenigstens die eigenen Bedürfnisse nicht zurückstellen und kann sie vielleicht sogar mit denen der anderen integrieren.

Eine Anekdote über Axel Bavelas ist mir immer im Kopf geblieben. Als er in den frühen 50er Jahren am MIT lehrte, soll er zu Beginn eines Seminars in der ersten Sitzung angekündigt haben: »Ich bin Axel Bavelas und mein Büro liegt dort hinten. Wenn Sie herausbekommen haben, was Sie in diesem Seminar lernen wollen, können Sie zu mir kommen.« Er verließ dann den Raum und kam solange nicht zurück, bis die Studenten ihn darum baten. Nachdem sie ihn einige Zeit »getestet« hatten, merkten die Studenten, dass es ihm ernst war; sie erarbeiteten sich ihre Interessen und Wünsche und profitierten den Rest des Semesters von einem sensationellen Seminar. Ich war immer der Meinung, dass diese Geschichte paradigmatisch für eine Überzeugung ist, die auf Kurt Lewin und Carl Rogers zurückgeht: Der Lernende muss immer selbst aktiv beteiligt sein am eigenen Lernen – und schlussendlich kann man den Leuten nur helfen, sich selbst zu helfen. Der Grundgedanke dieser Philosophie hat mich immer bei meiner Arbeit als Organisationsberater begleitet, und ich schulde besonders Dick Beckhard Dank dafür, dass er mir häufig gezeigt hat, wie man diesen Gedanken in die Tat umsetzt.

Ich habe noch etwas sehr Wichtiges von Dick gelernt, nämlich dass es beim Begleiten von menschlichen Beziehungen vor allem darum geht, Prozesse zu entwerfen und zu begleiten. Worin Helfer wirklich Experten werden müssen, das ist das Design und das Management von Prozessen, und dabei spielt das Design, der Entwurf dieser Prozesse die entscheidende Rolle. In den 15 Jahren Arbeit in Bethel habe ich das Design von ein- und mehrwöchigen Human-Relations-Workshops und von Konferenzen gelernt; durch meine Beratungstätigkeit habe ich das Design von Weiterbildungsinterventionen und -Workshops gelernt; durch meine Lehrtätigkeit habe ich gelernt, Lernerfahrungen und Gruppenprozesse zu entwerfen. Das Unvermögen zu gestalten und zu entwerfen ist eines der größten Probleme, dem Manager, Berater und Lehrer gegenüber stehen. Dick hat seine enormen Fähigkeiten im Entwerfen und Begleiten von Prozessen seinen frühen Erfahrungen als Regieassistent zu verdanken. Von ihm habe ich mehr als von jedem anderen gelernt, wie wichtig das Design für die Ergebnisse ist. Glücklicherweise hat er schließlich doch noch selbst ein Buch (Beckhard 1997) geschrieben, so dass auch andere von seinen enormen Erkenntnissen profitieren können.

Als ich begann, das vorliegende Buch zu planen und zu schreiben, profitierte ich von der Hilfe eines ganz anderen Kollegen, eines jüngeren Mitglieds unserer Zunft: Otto Scharmer. Er interessierte sich sehr für Prozessberatung und erklärte sich bereit, alle Kapitel zu lesen, so wie sie entstanden. Zusammen mit seiner Frau Katrin, ebenfalls eine begabte Sozialwissenschaftlerin, versorgte er mich während des Schreibens ständig mit Feedback zum Fortgang meiner Arbeit. Ich bin beiden zu immensem Dank verpflichtet, und viele ihrer Ideen haben Eingang in das Buch gefunden.

Meinen kritischen Lesern Warner Burke, Michael Brimm und Dick Beckhard verdanke ich wertvolle Hinweise und ständige Ermunterung. Ein anderer Kollege und Freund, David Coghlan, Professor an der Universität von Dublin, hat den Text ebenfalls gelesen und viele wichtige Anregungen gegeben, die aufgenommen wurden. Er hat eine besondere Rolle bei der Entwicklung meiner Ideen gespielt, nämlich durch seine eigenen fruchtbaren Arbeiten zur Prozessberatung und Organisationsentwicklung (Rashford/Coghlan 1994, Coghlan 1997).

Viele folgenschwere Stunden habe ich im Ringen um den Begriff »Lernen« mit meinem Freund und Kollegen Don Michael seit 50 Jahren verbracht; seine Arbeit über Organisationslernen und die Beziehung zur Planung eröffnete eigentlich erst ein Feld, lange bevor der Rest der Welt bereit war es wahrzunehmen und damit umzugehen (Michael 1973).

Von meinen Klienten habe ich in all den Jahren viel gelernt, und einige von ihnen waren ganz besonders hilfreich für mich: Betty Duval von General Foods, Ken Olson und John Sims von Digital Equipment Corporation, Jurg Leupold von Ciba-Geigy und in der letzten Zeit Peter Lanahan von Con-Edison und Laura Lake von AMOCO. Mit ihnen Erfahrungen zu teilen und zukünftige Lernerfahrungen für ihre Klientensysteme zu entwickeln, war stets eine wichtige Quelle meines eigenen Lernens.

Ein Buch zu schreiben ist immer eine stark beanspruchende und strapaziöse Erfahrung. Am dankbarsten bin ich meiner Frau Mary, dass sie sich damit abfinden konnte, dass ich viele endlose Stunden nur physisch anwesend war, während die Gedanken bei Problemen des Buchs verweilten. Ohne ihre Unterstützung hätte dieses Buch nicht geschrieben werden können.

Edgar H. Schein, Cambridge, MA