Tarzans Dschungelgeschichten

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Eine besondere Verletzung war an seinem Körper nicht zu entdecken. Keiner der spitzen Pfähle hatte ihn durchbohrt – nur eine Geschwulst am Hinterkopf zeigte an, daß er beim Rücklingsfallen mit dem Kopf gegen die Seite eines Pfahles geschlagen war und dadurch das Bewußtsein verloren hatte. Die Schwarzen beeilten sich nach dieser raschen Feststellung, dem Gefangenen Arme und Beine zu binden, ehe er das Bewußtsein wiedererlangte, denn sie hegten einen heillosen Respekt vor diesem merkwürdigen Tiermenschen, der mit den behaarten Baumleuten zusammenlebte.

Noch ehe sie den Affenmenschen weit getragen hatten, blinzelte er mit den Augen. Er schaute einen Augenblick verwundert um sich, dann kam ihm mit dem vollen Bewußtsein auch sofort Klarheit über den Ernst seiner Lage. Von Kind auf gewohnt, sich nur auf seine eigenen Hilfsmittel zu verlassen, dachte er nicht erst an fremde Hilfe, sondern überlegte sich, welche Möglichkeiten zu entkommen in seiner eigenen Macht lagen. Er wagte keinen Versuch, seine Fesseln zu zerreißen, solange ihn die Schwarzen trugen, damit diese sie nicht aus erweckter Befürchtung verstärkten. Als seine Häscher herausfanden, daß er bei Besinnung war, hatten sie keine Lust mehr, den schweren Menschen in der Dschungelhitze zu tragen, sie stellten ihn auf seine eigenen Beine und zwangen ihn zum Vorwärtsgehen, indem sie ihn ab und zu mit ihren Sperren stachen, wobei sie aber ihre abergläubische Scheu vor ihm nicht ganz verbergen konnten.

Da sie entdeckten, daß das Stechen keine Zeichen von Schmerzen hervorrief, wuchs ihr Schauder noch, so daß sie die Quälerei bald sein ließen, weil sie schon halb und halb glaubten, daß der fremde, weiße Riese ein übernatürliches Wesen sei, dem man keinen Schmerz zufügen konnte.

Als sie dem Dorfe näherkamen, stießen sie ihren lauten Siegesruf aus, so daß um die Zeit, als sie das Tor tanzend und speerschwingend erreichten, eine große Menge von Männern, Weibern und Kindern zu ihrer Begrüßung versammelt war, um die Erzählung ihres Abenteuers zu hören.

Die Augen der Dorfbewohner blickten starr auf den Gefangenen und die großen Mäuler standen ihnen vor Staunen und Ungläubigkeit weit offen. Seit Monaten lebten sie in ständiger Angst vor einem unheimlichen, weißen Dämon, und nur wenige, die ihn gesehen hatten, waren am Leben geblieben, um ihn zu beschreiben.

Krieger waren schon in Sicht des Dorfes mitten auf dem Wege und aus der Mitte ihrer Kameraden so geheimnisvoll und spurlos verschwunden, als ob sie die Erde verschlungen hätte und später in der Nacht waren ihre Leichen wie vom Himmel herab auf die Dorfstraße gefallen.

Dieses fürchterliche Wesen war nachts in den Hütten erschienen, hatte getötet und hatte beim Verschwinden außer den Getöteten in den Hütten noch erschreckende Anzeichen seines unheimlichen Sinnes für Humor hinterlassen.

Aber jetzt war er in ihrer Gewalt und konnte sie nicht länger erschrecken! Langsam dämmerte ihnen die Erkenntnis dieser Tatsache. Ein Weib sprang mit einem Schrei vor und schlug den Affenmenschen in das Gesicht. Dann kam eine andere und wieder eine, bis Affentarzan von einem schlagenden, kratzenden, brüllenden Haufen der Wilden umgeben war.

Aber der Häuptling Mbonga ging zwischen sie hinein und hieb kräftig mit dem Speer nach den Schultern seiner Leute, bis er sie von ihrem Opfer wegtrieb.

Wir wollen ihn für heute Abend aufheben, sagte er.

Weit draußen in der Dschungel stand Tantor, der Elefant, mit hochgestellten Ohren und pendelndem Rüssel. Seine anfängliche sinnlose Angst hatte sich gelegt. Aber was ging in den Windungen seines wilden Gehirnes vor sich? War es möglich, daß er nach Tarzan suchte? Konnte er sich an den Dienst, den ihm der Affenmensch geleistet hatte, erinnern und seine Bedeutung ermessen? Das steht außer Zweifel. Aber fühlte er wohl Dankbarkeit? Hätte er wohl sein eigenes Leben gewagt, um Tarzan zu retten, wenn er die Gefahr gekannt hätte, die seinem Freunde drohte? Daran kann man zweifeln. Jeder, der mit Elefanten vertraut ist, wird es bezweifeln. Auch die Engländer, welche in Indien viel mit Elefanten gejagt haben, erklären stets, daß kein Fall bekannt ist, in welchem ein solches Tier einem Menschen in der Gefahr zu Hilfe gekommen wäre, wie oft auch der Mensch sich ihm freundlich gezeigt hatte. Es war also mehr als zweifelhaft, ob Tantor versuchen würde, seine instinktive Angst vor den schwarzen Menschen soweit zu bezwingen, daß er Tarzan zu Hilfe kommen konnte.

Die Schreie der wütenden Dorfbewohner drangen schwach an seine empfindlichen Ohren, er schwenkte wie erschrocken herum und dachte an Flucht. Aber irgend etwas hielt ihn zurück, er drehte sich wieder um, hob den Rüssel und ließ ein schrilles Trompeten ertönen.

Dann blieb er lauschend stehen.

In dem entfernten Dorfe, wo Mbonga mittlerweile Ruhe und Ordnung wieder hergestellt hatte, war Tantors Stimme für die Schwarzen kaum vernehmbar, aber für das scharfe Gehör Tarzans brachte sie eine Botschaft.

Seine Häscher führten ihn gerade nach einer Hütte, in der er bis zur nächtlichen Orgie seines martervollen Todes eingeschlossen und bewacht werden sollte. Als er Tantors Ruf hörte, hob er den Kopf hoch und stieß einen schauerlichen Schrei aus, daß es die abergläubischen Schwarzen kalt überlief und daß selbst die ihn bewachenden Krieger ein paar Schritte zurückwichen, obgleich dem Gefangenen die Arme auf den Rücken gebunden waren.

Mit erhobenen Sperren umgaben sie ihn, während er noch einen Augenblick lauschend stand. Ganz schwach ließ sich aus der Ferne ein anderes Trompeten als Antwort hören und Affentarzan drehte sich befriedigt um und ging ruhig nach der Hütte, in der sie ihn einsperrten.

Der Nachmittag verging. Der Affenmensch hörte rund herum im Dorfe geschäftige Geräusche zur Vorbereitung des Festes. Durch den Eingang der Hütte sah er die Weiber die Kochfeuer anzünden und ihre irdenen Töpfe mit Wasser füllen. Aber seine Ohren waren der Dschungel zugewendet und lauschten gespannt auf Tantors Kommen.

Selbst Tarzan konnte nur halb daran glauben, daß er kommen würde. Er kannte Tantor beinahe besser als dieser sich selbst. Er wußte, welch feiges Herz in dem riesigen Körper steckte. Er wußte auch, welch sinnlose Angst die Witterung der Gomangani jener wilden Brust einflößte und je näher die Nacht kam, desto mehr erstarb in seinem Herzen die Hoffnung, und er bereitete sich mit der stoischen Ruhe des wilden Tieres, das er ja auch im Grunde war, darauf vor, seinem ihn erwartenden Geschick zu begegnen.

Den ganzen Nachmittag hatte er an den Fesseln um seine Gelenke gezerrt, gezerrt, gezerrt. Ganz langsam gaben sie etwas nach. Vielleicht bekam er die Hände frei, ehe sie ihn zu der Schlächterei hinausführten, und dann – Tarzan lächelte kalt und grimmig. Sie sollten seinen Grimm zu kosten bekommen, ehe sie mit ihm fertig würden!

Schließlich kamen sie – bemalte, federgeputzte Krieger – noch scheußlicher, als sie die Natur schon geschaffen hatte. Sie kamen und stießen ihn durch die Öffnung ins Freie, wo sein Erscheinen von dem versammelten Dorfe mit wildem Gebrüll begrüßt wurde.

Sie führten ihn nach dem Marterpfahl, gegen den sie ihn rauh stießen, um ihn zunächst für den bald beginnenden Todestanz festzubinden. Da spannte Tarzan seine mächtigen Muskeln und zerriß mit einem einzigen, mächtigen Ruck die gelockerten Fesseln seiner Hände. Schnell wie ein Gedanke sprang er unter die nächsten Krieger. Ein Faustschlag streckte den einen zu Boden, während der Affenmensch knurrend und schnarrend dem nächsten an die Kehle sprang. Im Nu gruben sich seine Zähne in die Halsader des Gegners, und dann sprang ein halbes Hundert Schwarzer auf ihn und riß ihn zu Boden.

Hauend, kratzend, beißend kämpfte der Affenmensch – er kämpfte, wie es ihn seine Pflegeeltern gelehrt hatten – kämpfte wie ein Raubtier, das in die Ecke gedrängt ist. Seine Stärke, seine Gewandtheit, sein Mut und seine Klugheit ließen ihn wohl einem halben Dutzend Schwarzer im Handgemenge gewachsen sein, aber selbst Affentarzan konnte es nicht auf die Dauer erfolgreich mit einem halben Hundert aufnehmen.

Langsam überwältigten sie ihn, obgleich ein Dutzend von ihnen aus bösen Wunden blutete, während zwei schon ganz still unter den trampelnden Füßen und den herumrollenden Körpern der Ringer lagen.

Überwältigen konnten sie ihn wohl. Aber ob sie ihn auch zum Binden festhalten konnten? Eine halbe Stunde der verzweifeltsten Anstrengung bewies ihnen, daß sie dazu nicht imstande waren, und Mbonga, der sich wie alle tüchtigen Anführer im sicheren Hintergründe gehalten hatte, befahl einem, mit dem Speer dazwischen zu gehen und das Opfer zu durchbohren. Langsam näherte sich der Krieger durch den Strudel kämpfender Männer seinem Ziel.

Er hob den Speer über den Kopf und wartete auf den Augenblick, der ihm einen Teil des Affenmenschen freigeben würde, ohne daß der Stoß einen Schwarzen gefährdete. Näher und näher drängte er sich zwischen die Bewegungen der ringenden, sich windenden Kämpfer. Bei dem Knurren des Affenmenschen lief es dem Krieger mit kaltem Schauer das Rückgrat hinab und er wollte erst recht vorsichtig sein, um nicht bei einem ersten Fehlstoß selbst den erbarmungslosen Zähnen und mächtigen Händen preisgegeben zu sein.

Endlich ersah er eine Blöße. Höher hob er seinen Speer, die Muskeln unter der glänzenden, glatten, schwarzen Haut spannten sich wie Seile – als aus der Dschungel gerade hinter der Pallisade ein donnerndes Krachen kam.

Der Schwarze hielt mit dem Sperre an und sah nach der Störung zurück wie die anderen, die nicht mit dem Niederhalten des Affenmenschen beschäftigt waren.

Sie sahen im Feuerschein eine riesige Masse gegen die Wand stürmen, sie sahen die Pallisade schwanken und nach innen sinken. Sie sahen noch, wie sie zersplitterte, als ob sie aus Stroh gebaut wäre und dann donnerte Tantor der Elefant auf sie ein.

 

Mit Schreckensschreien flohen die Schwarzen nach rechts und links. Einige, oben auf im Handgemenge mit Tarzan, hörten es und brachten sich in Sicherheit, aber ein halbes Dutzend von ihnen war so in wahnsinniger Kampfwut verbissen, daß sie selbst die Ankunft des riesigen Elefanten überhörten.

Tantor griff diese mit wütendem Trompeten an. Über ihnen stand er, schwenkte seinen empfindlichen Rüffel, und jetzt hatte er Tarzan auf dem Boden herausgefunden, zwar blutete dieser, aber er kämpfte immer noch.

Einer der Krieger sah aus dem Handgemenge auf. Über ihm türmte sich der riesige Koloß des Dickhäuters, das Licht des Feuers glänzte auf den kleinen Augen – boshaft, fürchterlich, schreckenerregend sahen sie herab. Der Krieger schrie, aber schon umfaßte ihn der biegsame Rüssel, hob ihn hoch empor und schleuderte ihn hinter dem Haufen Fliehender her.

Mann für Mann riß Tantor die anderen vom Körper des Affenmenschen und schleuderte sie nach rechts und links, wo sie dann stöhnend oder ganz still liegen blieben, je nachdem sie der Tod langsam oder sofort ereilte.

Mbonga sammelte in einiger Entfernung seine Krieger. Seine gierigen Augen hatten die großen Stoßzähne des Elefanten bemerkt. Als der erste Schreck vorbei war, jagte er seine Leute mit den schweren Elefantenspeeren zum Angriff vor. Aber als sie kamen, schwang Tantor Tarzan auf seinen breiten Kopf, schwenkte herum und trampelte durch die große Bresche, die er in die Pallisadenwand gebrochen hatte, wieder in die Dschungel hinaus.

Die Elefantenjäger mögen recht haben, wenn sie behaupten, daß dieses Tier einem richtigen Menschen einen solchen Dienst nicht erwiesen haben würde, aber für Tantor war Tarzan kein Mensch – er war ihm ein Kamerad aus den Dschungeltieren.

Und damit erfüllte Tantor, der Elefant, eine Dankespflicht gegen den Affentarzan und kittete ihre alte Freundschaft noch fester. Denn sie bestand schon zwischen ihnen, seit Tarzan noch als kleiner, brauner Knabe unter den Gestirnen des Äquators auf Tantors mächtigem Rücken durch die mondbeschienene Dschungel geritten war.

Der Kampf um das Affenbaby

Teeka war Mutter geworden. Affentarzan zeigte außerordentliches Interesse dafür, viel mehr als selbst Taug, der Vater, denn Tarzan hatte Teeka sehr gerne. Selbst die Sorgen der bevorstehenden Mutterschaft hatten in Teeka noch nicht ganz das Feuer der sorglosen Jugend erstickt und sie war in dem Alter, in welchem die anderen Weibchen von Kerschaks Stamm bereits die mürrische Würde der Vollreife annahmen, immer noch ein gutlauniger Spielgefährte geblieben. Sie hatte immer noch ihr kindliches Entzücken an den primitiven, von Tarzans fruchtbarem Menschenhirn erfundenen Abschlag- und Versteck-Spielen behalten.

In den Baumwipfeln Abschlagen zu spielen ist ein anregender und aufregender Zeitvertreib. Tarzan schwärmte dafür, aber die mit ihm gleichaltrigen Affen hatten längst solch kindische Dinge aufgegeben. Doch wenigstens Teeka war immer scharf dabei gewesen bis kurz ehe ihr Baby kam; mit der Ankunft ihres Erstgeborenen jedoch änderte sich auch Teeka.

Die Erkenntnis dieser Änderung überraschte und verletzte Tarzan außerordentlich. Eines Morgens sah er, wie Teeka auf einem niedrigen Zweig hockte und etwas sehr eng an ihre Brust drückte – ein winziges Etwas, das sich krümmte und zappelte. Tarzan nahte sich mit jener Neugierde, die allen Geschöpfen gemeinsam ist, sobald ihr Gehirn über mikroskopische Abmessungen hinaus entwickelt ist.

Teeka rollte die Augen nach ihm und drückte das zappelnde Körperchen noch enger an sich. Tarzan kam näher. Teeka zog sich zurück und zeigte die Fangzähne. Tarzan fand, daß so etwas noch nicht dagewesen war! Teeka hatte ihm bisher die Zähne nie anders als im Spiel gezeigt; aber heute sah sie nicht nach Spiel aus. Tarzan fuhr sich mit seinen braunen Fingern durch das dichte schwarze Haar, bog den Kopf auf die Seite und äugte. Dann rückte er ein Stückchen näher und reckte den Hals, um das Ding, welches Teeka mit den Armen verhüllte, besser zu sehen.

Wieder zog Teeka mit warnendem Schnarren die Oberlippe hoch. Tarzan streckte vorsichtig eine Hand aus, um das Ding in Teekas Armen zu berühren, als Teeka plötzlich mit einem häßlichen Brummen auf ihn losfuhr. Ehe der Affenmensch seinen Arm zurückziehen konnte, biß sie ihn hinein und verfolgte ihn noch eine kurze Zeit, während er sich sogleich durch die Bäume davonmachte. Teeka mit ihrem Baby im Arm konnte ihn nicht einholen.

In sicherer Entfernung hielt Tarzan an und besah mit unverhehltem Erstaunen seine frühere Spielgefährtin. Was war geschehen, daß sich die sanftmütige Teeka so geändert hatte? Sie hatte das Ding in ihren Armen so bedeckt, daß Tarzan es bis jetzt noch nicht hatte erkennen können, aber als sie von seiner Verfolgung abließ, sah er es. Und Tarzan lächelte trotz Schmerz und Ärger, denn er hatte junge Affenmütter schon früher gesehen. In ein paar Tagen würde sie weniger argwöhnisch sein. Aber Tarzan war dennoch gekränkt. Es war nicht recht, daß Teeka ihn wie alle anderen fürchtete. Ei! nicht um alles in der Welt würde er ihr etwas zuleide tun, sowenig wie ihrem Balu. Balu ist nämlich das Affenwort für Baby.

Und nun hatte er trotz der Schmerzen im Arm und trotz seines verletzten Stolzes nur noch mehr den Wunsch, aus der nächsten Nähe Taugs neugeborenen Sohn zu besichtigen. Es erscheint wunderlich, daß Affentarzan, der mächtige Kämpfer, vor dem gereizten Angriff eines Weibchens flüchtete und daß er sich scheute, zur Befriedigung seiner Neugierde zurückzukommen, da er doch mit Leichtigkeit die geschwächte Mutter des neugeborenen Jungen überwältigen konnte. Aber das ist nicht wunderbar. Jeder Affe weiß, daß nur ein tollwütiger Bulle ein Weibchen anders als milde zurechtweist, natürlich ausgenommen jene Individuen, wie wir sie auch in unserer Rasse finden, welche ein Vergnügen darin finden, ihre bessere Hälfte zu schlagen, weil sie zufällig kleiner und schwächer ist als sie selbst.

Tarzan kam wieder auf die junge Mutter zu, aber ganz vorsichtig und mit offen gehaltener Rückzugslinie. Wieder brummte Teeka wild. Tarzan protestierte.

Affentarzan wird Teekas Balu nichts tun, sagte er. Laß es mich sehen.

Geh fort, befahl Teeka. Geh fort oder ich töte dich.

Laß es mich sehen, drängte Tarzan.

Geh fort, wiederholte die Affin. Da kommt Taug. Er wird dich fortbringen. Taug wird dich töten. Es ist Taugs Balu.

Ein wildes Knurren dicht hinter seinem Rücken belehrte Tarzan darüber, daß Taug die Warnungen und Drohungen seiner Ehegefährtin gehört hatte und ihr zu Hilfe kam.

Nun war Taug so gut wie Teeka Tarzans Spielgefährte gewesen, solange er noch jung genug war, um zu spielen. Tarzan hatte dem Taug auch schon einmal das Leben gerettet. Aber das Gedächtnis eines Affen ist nicht allzugut und Dankbarkeit geht nicht weiter als die verwandtschaftlichen Instinkte. Tarzan und Taug hatten ihre Kräfte einmal gemessen und Tarzan war Sieger geblieben. An diese Tatsache erinnerte sich Taug sicher noch; aber trotzdem war er bereit, sich für seinen Erstgeborenen einer neuen Niederlage auszusetzen – wenn er zufällig in der richtigen Stimmung war.

Nach seinem häßlichen, jetzt an Stärke und Umfang zunehmenden Knurren zu urteilen, schien er gerade in der Laune dazu zu sein. Tarzan fürchtete sich keineswegs vor Taug, und das ungeschriebene Gesetz der Dschungel forderte auch nicht von ihm, daß er den Kampf mit irgendeinem Männchen vermeiden sollte, wenn er es nicht aus rein persönlichen Gründen unterließ. Aber Tarzan hatte Taug gerne; er hatte keinerlei Zank mit ihm und sein Menschenverstand sagte ihm etwas, was einem Affen nie eingeleuchtet hätte – daß Taugs Benehmen in keiner Weise bösen Willen anzeigte. Es war nur der naturgemäße Trieb des Männchens, seinen Sprößling und seine Ehegefährtin zu schützen.

Tarzan hatte wohl keine Lust, mit Taug zu kämpfen, andererseits konnte das Blut seiner englischen Ahnen in ihm auch keinen Gefallen am Weglaufen finden. Doch als der Bulle angriff, sprang Tarzan geschmeidig zur Seite und Taug, der dadurch Mut bekam, drehte sich herum und stürzte sich wie toll auf den anderen. Vielleicht stachelte ihn gerade die Erinnerung an seine frühere Niederlage unter Tarzans Händen gegen diesen auf. Vielleicht trieb auch der Umstand, daß Teeka zusah, seinen Wunsch an, den Affenmenschen vor ihren Augen zu besiegen, denn auch in der Brust jedes Dschungelmännchens sitzt die große Eitelkeit, welche sich in der Vollbringung von verzweifelten Taten im Angesicht des anderen Geschlechtes ausdrückt.

Über der Schulter des Affenmenschen hing dessen langes Grasseil, das Spielzeug von gestern, die Waffe von heute. Als Taug das zweite Mal angriff, zog Tarzan die Stricke über den Kopf und legte geschickt die Laufschlinge zurecht, während er wiederum gewandt dem ungeschickten Tier auswich. Ehe sich der Affe wenden konnte, war Tarzan weit weg auf den Zweigen der oberen Terrasse.

Taug folgte ihm, jetzt in wirkliche Wut gebracht. Teeka sah von unten zu. Es war schwer zu sagen, ob sie gespannt war. Da Taug nicht so rasch klettern konnte als Tarzan, hatte der letztere bereits die höchsten Zweige erreicht, ehe ihn der Affe erreichen konnte. Und ganz hinauf konnte ihm der schwere Affe nicht folgen. Nun saß er oben, sah auf seinen Verfolger herab, schnitt ihm Gesichter und gab ihm alle die schönen Namen, die seinem erfindsamen Menschengehirn einfielen. Als er dann Taug zu einem solchen Stadium kochender Wut gebracht hatte, daß der große Bulle vor Grimm auf den schwankenden Ästen förmlich tanzte, streckte er blitzschnell die Hand aus, eine aufgehende Schlinge fiel rasch durch die Luft, ein kurzer Ruck, als sie auf Taug niederfiel, und schon saß die Schlinge fest um die haarigen Beine des Menschenaffen.

Taug, der etwas schwer von Begriff war, merkte zu spät die Absicht seines Peinigers. Er wollte sich freistrampeln, aber der Affenmensch gab dem Seil einen solch scharfen Ruck, daß er Taug von seinem Aste wegriß, und eine Sekunde später hing der Affe mit dem Kopfe nach unten in dreißig Fuß Höhe über dem Boden.

Tarzan befestigte sein Seil an einem starken Ast und stieg in die Nähe Taugs herab.

Taug, sagte er, du bist so dumm, wie Buto, das Nashorn. Jetzt werde ich dich hier hängen lassen, bis du etwas Verstand in deinen dicken Schädel bekommst. Da kannst du derweil hängen und zusehen, wie ich gehe, um mich mit Teeka zu unterhalten.

Taug fauchte und drohte, aber Tarzan grinste nur, während er sich federnd auf die tieferen Zweige fallen ließ. Er näherte sich wieder Teeka, die ihn erneut mit fletschenden Zähnen und mit drohendem Knurren begrüßte. Er suchte sie zu beschwichtigen, betonte seine freundschaftlichen Absichten und reckte den Hals, um einen Blick auf Teekas Balu zu erhaschen. Aber die Äffin ließ sich nicht davon überzeugen, daß er etwas anderes wollte, als ihrem Kleinen ein Leid antun. Ihre Mutterschaft war so neu, daß die Vernunft noch vom Instinkt verdeckt wurde.

Als Teeka die Unmöglichkeit einsah, Tarzan zu packen und zu züchtigen, suchte sie ihm zu entkommen. Sie sprang auf den Boden und wackelte über die kleine Lichtung, auf der sich die Affen des Stammes in Ruhe oder auf der Futtersuche befanden. Alsbald gab es Tarzan auf, durch Überredung eine Erlaubnis zur näheren Besichtigung des Balu zu erlangen. Der Affenmensch hätte das kleine Dingelchen gar zu gerne in der Hand gehabt. Sein Anblick erweckte ihm in der Brust ein merkwürdiges Sehnen. Er wünschte das groteske, kleine Affending zu drücken und zu liebkosen. Es war Teekas Balu, und Tarzan hatte einst für Teeka seine erste Jugendliebe empfunden.

Aber jetzt wurde seine Aufmerksamkeit durch Taugs Stimme abgelenkt. Die Drohungen aus dem Maul des Affen hatten Bitten Platz gemacht. Die immer enger werdende Schlinge hemmte ihm in den Beinen den Blutumlauf – er begann ernstlich zu leiden. Mehrere Affen in der Nähe befaßten sich angelegentlich mit seiner Verlegenheit. Sie machten ihm recht eindeutig absprechende Komplimente, denn jeder von ihnen hatte bereits Taugs mächtige Faust und die Stärke seiner großen Kinnladen gefühlt. Jetzt freuten sie sich ihrer Rache.

Als Teeka sah, daß Tarzan sich wieder nach den Bäumen gewandt hatte, machte sie mitten auf der Lichtung Halt, setzte sich hin und liebkoste – argwöhnische Blicke um sich werfend – ihr Balu. Mit dem Erscheinen des Balus hatte sich Teekas bisher sorgenfreie Welt plötzlich mit einer Unzahl von Feinden bevölkert. In Tarzan, ihrem besten Freund bisher, sah sie einen unversöhnlichen Feind. Selbst die arme, alte Mumga, halb blind und fast völlig zahnlos, die nur noch geduldig unter altem Holz nach Maden suchte, erschien ihr als ein übelwollender Geist, den nach dem Blute kleiner Balus dürstete.

 

Und während sich Teeka argwöhnisch vor Unheil hütete, wo keines zu erwarten war, übersah sie zwei schreckliche, gelbgrüne Augen, die hinter einem dicken Haufen Büsche gegenüber starr nach ihr blickten.

Der ausgehungerte Leopard Sheeta blickte gierig nach dem lockenden Bissen in nächster Nähe, aber der Anblick der großen Bullen drüben hielt ihn zurück.

Ah, wenn die Äffin mit ihrem Balu nur ein Stückchen näher käme! Ein kurzer Sprung! Er wäre auf und davon mit seinem Mahle, ehe ihn die Bullen hindern konnten.

Die Spitze seines gelbbraunen Schweifes schlug krampfhaft kleine Zirkel. Alles dieses sah Teeka nicht, ebensowenig sah es einer der anderen Affen in Ruhe oder auf Futtersuche; auch nicht Tarzan oder einer der Affen auf den Bäumen bemerkte es.

Tarzan hörte die Schmähungen, mit welchen die Bullen den hilflosen Taug überschütteten, und kletterte rasch zu ihnen hin. Einer davon war näher gerutscht und lehnte sich vor, um den baumelnden Affen zu erfassen. In Erinnerung an die letzte Gelegenheit, bei der ihn Taug derb geschlagen hatte, hatte er sich in richtige Wut versetzt und wollte es ihm nun heimzahlen. Wenn er den schwingenden Affen erst gepackt hatte, konnte er ihn rasch in den Bereich seines Gebisses ziehen. Tarzan sah es und war empört. Er liebte einen ehrlichen Kampf, aber das Vorhaben dieses Affen erregte seinen Zorn. Schon hatte eine haarige Hand den hilflosen Taug gepackt, als Tarzan mit einem zornigen Knurren des Protestes auf den Zweig zu dem Angreifer sprang und ihn mit einem einzigen, mächtigen Hieb von seinem Sitz warf.

Der überraschte Affe schlug nach der Seite um, griff wild nach einem Halt und warf sich mit einem gewandten Schwung auf einen ein paar Fuß tiefer herausstehenden Ast. Dort fand er einen Griff für die Hand, richtete sich rasch auf und kletterte alsbald wieder hinauf, um sich an Tarzan zu rächen, aber der Affenmensch war eben anderweitig beschäftigt und liebte keine Unterbrechung. Er machte gerade wieder Taug dessen bodenlos tiefe Unwissenheit klar und bedeutete ihm, um wieviel größer und mächtiger als Taug oder jeder andere Affe Affentarzan sei.

Am Ende würde er Taug wieder loslassen, aber nicht eher, als bis der letztere völlig von seiner eigenen Minderwertigkeit überzeugt war. Und nun kam der wütende Bulle von unten herauf und im gleichen Augenblick wurde aus dem gutmütigen, Belehrung erteilenden Jüngling ein knurrendes, wildes Tier. Das Haar auf dem Kopf sträubte sich, die Oberlippe fuhr zurück, um die Reißzähne bereit zu halten. Er wartete nicht, bis der Bulle an ihn kam, denn irgend etwas in Erscheinung oder Stimme des Angreifers reizte in dem Affenmenschen ein unleugbares Gefühl kriegerischer Gegnerschaft. Mit einem Schrei, der nichts Menschliches an sich hatte, fuhr Tarzan dem Angreifer an die Kehle.

Unter dem Ungestüm seines Griffes und unter dem Gewicht und der Wucht seines Körpers fiel der Bulle nach einem Halt greifend und haschend rücklings durch die belaubten Zweige herab. Volle fünfzehn Fuß fielen die beiden hinab, Tarzan immer noch mit den Zähnen in der Schlagader seines Gegners, bis ein starker Zweig ihren weiteren Sturz auffing. Der Bulle schlug quer mit dem Kreuz auf den Ast, und hing da einen Augenblick samt dem auf seiner Brust liegenden Affenmenschen, dann kollerten sie beide weiter.

Tarzan fühlte, wie bei dem schweren Aufschlag auf den Baumast der Körper unter ihm schlagartig schlaff wurde. Als sich der andere überschlug und nach dem Boden zu weiter stürzte, faßte er daher noch rechtzeitig mit einer Hand einen Zweig, um seinen eigenen Sturz zu verhindern, während der Affe wie ein Bleiklotz unten auffiel.

Tarzan blickte einen Augenblick auf die regungslose Gestalt seines toten Gegners, dann erhob er sich zu voller Höhe, reckte seine breite Brust, schlug mit den geballten Fäusten darauf und brüllte den unheimlichen Kampfruf des siegreichen Affenbullen in die Ferne.

Selbst der schon an der Ecke der kleinen Lichtung zum Sprung ansetzende Sheeta bewegte sich unbehaglich, als die mächtige Stimme ihren fürchterlichen Ruf dröhnend durch die Dschungel sandte. Sheeta blickte nervös nach rechts und links, wie um sich zu versichern, ob auch der Weg zum Rückzug frei war. Ich bin der Affentarzan, prahlte der Affenmensch, der mächtige Jäger, der mächtige Kämpfer. Keiner in der ganzen Dschungel ist so groß als Tarzan.

Dann ging er zu Taug zurück. Teeka hatte die Vorgänge auf dem Baume genau beobachtet. Sie hatte sogar ihr kostbares Balu auf das weiche Gras gelegt und war näher getreten, um den Vorfall in den Bäumen oben bester zu sehen. Schätzte sie wohl immer noch im innersten Herzen den glattfelligen Tarzan? Schwoll etwa ihre wilde Brust vor Stolz, als sie seinen Sieg über den Affen mitansah? Da müßt ihr Teeka fragen!

Sheeta, der Leopard, sah inzwischen, daß die Äffin ihr Junges im Gras allein gelassen hatte. Er zuckte wieder mit der Schwanzspitze, als ob er sich mit dieser schwächsten Form des Wedelns, der er sich hingeben durfte, den fehlenden Mut machen wollte. Der Schrei des siegreichen Affenmenschen hielt seine Nerven noch im Banne. Es würde noch einige Minuten dauern, bevor er sich wieder zum Angriff angesichts der riesigen Menschenaffen entschließen konnte.

Während er so seine Kräfte sammelte, gelangte Tarzan an Taugs Seite, kletterte noch höher, bis zu der Stelle, an der er sein Seil befestigt hatte, löste es los, ließ den Affen langsam herab und schwang ihn dabei hin und her, bis er sich mit den Händen an einem Zweig anhalten konnte.

Taug zog sich rasch auf einen sicheren Sitz und streifte die Schlinge ab. In seinem tollwütigen Herz war jetzt kein Raum für Dankbarkeit gegen den Affenmenschen. Er erinnerte sich jetzt nur noch der Tatsache, daß ihm dieser eine schmerzhafte Entwürdigung zugefügt hatte. Er würde sich dafür rächen, aber seine Beine waren im Augenblick so taub und sein Kopf so schwindlig, daß er die Befriedigung seiner Rache verschieben mußte.

Tarzan legte sein Seil zusammen, während er Taug eine Vorlesung über dessen Torheit hielt, seine armseligen Kräfte, körperlich wie geistig, gegen ihn, dem weit überlegenen, einzusetzen. Teeka war nahe unter den Baum gekommen und sah nach oben. Sheeta kroch mit dem Bauche auf dem Boden leise vorwärts. Im nächsten Augenblick würde er durch das Unterholz gedrungen und bereit sein, mit kurzem Sprung und schnellem Rückzug das kurze Dasein von Teekas Balu zu beenden.

Tarzan sah zufällig auf die Lichtung hinaus und sofort ließ er die gutmütige Neckerei und die großtuerische Prahlerei fallen. Lautlos und schnell schoß er auf den Boden herab und über den Grund. Als Teeka ihn kommen sah, glaubte sie, er sei hinter ihrem Balu her, sträubte die Haare und wollte kämpfen. Aber Tarzan sprang an ihr vorbei, ihre Augen folgten ihm und da sah sie den Grund seines plötzlichen Herabspringens und des schnellen Laufes über die Lichtung. Sheeta war jetzt allen sichtbar, wie er leise und langsam auf das viele Schritte entfernt im Grase zappelnde kleine Balu losschlich. Teeka stieß einen wilden, warnenden Angstschrei aus, als sie hinter dem Affenmenschen herstürzte. Sheeta sah Tarzan kommen. Er erblickte das Affenjunge vor sich und dachte sich, daß ihm der andere die Beute rauben wolle. Mit einem wütenden Fauchen sprang er vor.

Taug, durch Teekas Schrei gewarnt, kam ihr torkelnd zu Hilfe. Bellend und knurrend kamen mehrere andere Bullen näher auf die Lichtung, aber sie alle waren viel weiter als Affentarzan von dem Balu und dem Leoparden entfernt, während Sheeta und der Affenmensch fast gleichzeitig bei dem Balu anlangten. Da standen sie nun, jeder auf einer Seite, zeigten die Reißzähne und knurrten sich über das kleine Geschöpf hin an.

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