Tarzan – Band 4 – Tarzans Sohn

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Tarzan – Band 4 – Tarzans Sohn
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Edgar Rice Burroughs

Tarzan

Band 4 – Tarzans Sohn

Edgar Rice Burroughs

Tarzan

Band 4 – Tarzans Sohn

(The Son of Tarzan)

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021

Übersetzung: J. Schulze, Tony Kellen

EV: Pegasus Verlag, Wetzlar, 1952 (304 S.)

1. Auflage, ISBN 978-3-962818-05-0

null-papier.de/703


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Inhaltsverzeichnis

Ein Rie­sen­af­fe reist nach Lon­don

Ajax, der dres­sier­te Affe

Paw­lo­wi­tschs Ende

Eine tol­le Fahrt

Die klei­ne brau­ne Me­riem

Ers­te Dschun­gel­ta­ten

Der »elf­te« Löwe

Korak, der »Tö­ter«

Ka­me­ra­den

Man­ga­ni, Ma­nus und die bun­ten Vö­gel

Die­ser da ist euer neu­er Kö­nig

Die Tier­fal­le

Me­riem be­kommt neue Her­ren

»Bwa­na« und sei­ne Farm

Das Heer der Pa­via­ne

Die Jagd

Der »Mann von Welt« in Afri­ka

Tan­tor schrei­tet durch die Wald­nacht

Korak, der Ein­sa­me

Der Ritt ins Un­be­kann­te

Zu spät

Das tote Dorf

Ab­dul Ka­mak, der Sohn der Wüs­te

Tan­tor hält Abrech­nung

Die schau­ri­ge Nacht

Tar­zan ist wie­der da!

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Jür­gen Schul­ze

Tar­zan bei Null Pa­pier

  Tar­zan – Band 1 – Tar­zan und die wei­ße Frau

  Tar­zan – Band 2 – Tar­zans Rück­kehr

  Tar­zan – Band 3 – Tar­zans Tie­re

  Tar­zan – Band 4 – Tar­zans Sohn

  Tar­zan – Band 5 – Der Schatz von Opar

  Tar­zan – Band 6 – Tar­zans Dschun­gel­ge­schich­ten

Ein Riesenaffe reist nach London

Ein Boot der »Mar­jo­rie W.« trieb zur­zeit der Ebbe den brei­ten Ugam­bi mit der Strö­mung hin­ab; es war der Be­man­nung an­zu­se­hen, dass sie sich freu­te, die har­te Ru­der­ar­beit der Strom­auf­wärts­fahrt hin­ter sich zu ha­ben, und je­der mach­te es sich, so gut es ging, be­quem. Man war ja noch etwa drei Mei­len von der »Mar­jo­rie W.« ent­fernt, die al­ler­dings so­fort in See ge­hen soll­te, so­wie sie das lan­ge Boot samt sei­ner In­sas­sen an Bord hat­te.

Als so je­der sei­nen Ge­dan­ken nach­hing oder sich mit sei­nen Ka­me­ra­den mehr oder we­ni­ger an­ge­regt un­ter­hielt, wur­de plötz­lich die Auf­merk­sam­keit al­ler nach dem Nor­du­fer des Stro­mes ge­lenkt: Dort stand je­mand … War es ein Mensch? Weit aus­ge­streckt die dür­ren, ab­ge­ma­ger­ten Arme … und dazu die bet­teln­den Rufe in höchs­ten Fis­tel­tö­nen!

Was will er ei­gent­lich? stieß ei­ner der Ma­tro­sen her­vor. Es ist ein Wei­ßer! brumm­te der Steu­er­mann vor sich hin. Dann kom­man­dier­te er: Alle Mann an die Ru­der! Wol­len ge­ra­de auf ihn zu hal­ten und se­hen, was mit ihm los ist, füg­te er noch hin­zu.

Beim Nä­her­kom­men er­kann­ten sie in der Ge­stalt deut­lich das kläg­li­che Zerr­bild ei­nes Men­schen. Ein paar arm­se­li­ge wei­ße Lo­cken deck­ten wirr und kraus das Haupt, der nack­te Kör­per schi­en nur Haut und Kno­chen, und um die schma­len Len­den hing lose ein Lei­nen­fet­zen. Trä­nen ran­nen von den ein­ge­fal­le­nen und nar­ben­be­deck­ten Wan­gen, als der Mann die An­kömm­lin­ge mit frem­dem, un­be­kann­tem Ge­stam­mel an­re­de­te.

Das ist viel­leicht ein Rus­se, mein­te der Steu­er­mann. Kannst du Eng­lisch? rief er dem Fremd­ling zu.

Er ver­stand die Fra­ge und ra­de­brech­te nun lang­sam und sto­ckend her­vor, was er woll­te. Es mach­te den Ein­druck, als sei­en Jahr­zehn­te ver­flos­sen, seit er das letz­te Mal eng­lisch ge­spro­chen hat­te, doch ließ sich sei­nen Wor­ten so viel ent­neh­men, dass er un­ter al­len Um­stän­den aus die­sem »Lan­de der Schre­cken« fort­woll­te. Als er an Bord der »Mar­jo­rie W.« war, er­zähl­te er sei­nen Ret­tern sei­ne gan­ze Lei­dens­ge­schich­te, die über­all mit leb­haf­ter An­teil­nah­me auf­ge­nom­men wur­de. Es war eine un­un­ter­bro­che­ne Ket­te von Ent­beh­run­gen, Nö­ten und Qua­len ge­we­sen, die ihn zehn Jah­re lang ge­fes­selt hat­te. Und tat­säch­lich war auch nichts, was beim An­blick die­ses be­dau­erns­wer­ten Men­schen­wracks an die statt­li­che Er­schei­nung des Schur­ken Ale­xei Paw­lo­wi­tsch von einst er­in­nert hät­te.

Zehn Jah­re wa­ren ver­flos­sen, seit der Rus­se dem Schick­sal, das sei­nen Freund, den Bö­se­wicht Ro­koff, er­eilt, ent­gan­gen war. Nicht nur ein­mal, nein, un­zäh­li­ge Male hat­te Paw­lo­wi­tsch in die­sen zehn Jah­ren das Schick­sal ver­wünscht, das Ni­ko­laus Ro­koff den Tod und da­mit die Be­frei­ung von al­len Lei­den ge­währt, wäh­rend es ihm die schreck­lichs­ten Schre­cken ei­nes Le­bens zu­maß, das wahr­lich schlim­mer als der Tod war, den es ihm hart­nä­ckig im­mer und im­mer wie­der ver­sag­te. Paw­lo­wi­tsch hat­te sich in den Dschun­gel da­von­ge­macht, so­wie er Tar­zans Tie­ren mit ih­rem wil­den Herrn und Ge­bie­ter an Bord der »Kin­caid« den letz­ten Streich ge­spielt hat­te. In sei­ner Angst, dass Tar­zan ihn doch noch ver­fol­gen und ge­fan­gen­neh­men könn­te, hat­te er sich in die Tie­fen des Dschun­gels ge­flüch­tet und war so schließ­lich in die Hän­de ei­nes grau­sa­men Kan­ni­ba­len­stam­mes ge­fal­len, der Ro­koffs Schand­ta­ten noch sehr in Erin­ne­rung hat­te. Zehn Jah­re lang hat­te er dann die Ziel­schei­be al­ler Ra­che­ge­lüs­te die­ser Wil­den sein müs­sen, Wei­ber und Kin­der hat­ten ihn ge­schla­gen und mit Stei­nen nach ihm ge­wor­fen, und die Män­ner wa­ren nur zu oft mit Mes­sern und Knüp­peln über ihn her­ge­fal­len. Ein bös­ar­ti­ges Fie­ber nach dem an­de­ren hat­te sich ihn zu sei­nem Op­fer aus­er­ko­ren – und doch starb er nicht, auch als die Blat­tern ihn mit furcht­ba­ren Kral­len um­klam­mer­ten.

Sie hat­ten ihn also mit an Bord der »Mar­jo­rie W.« ge­nom­men und dort für Nah­rung und gute Pfle­ge ge­sorgt. Ge­wiss, er kräf­tig­te sich ein we­nig, aber ihm war fast nichts da­von an­zu­se­hen. Als das Wrack ei­nes Men­schen, zer­schla­gen und halb­zer­bors­ten, hat­ten sie ihn ge­fun­den – und das Wrack ei­nes Men­schen, zer­schla­gen und halb­zer­bors­ten, wür­de er auch blei­ben, bis der Tod ihn ein­mal zu sich rief, Ale­xei Paw­lo­wi­tsch war noch in den vier­zi­ger Jah­ren, und doch hät­te man ihn leicht für einen Acht­zi­ger ge­hal­ten. Die un­er­gründ­li­che Na­tur hat­te dem blo­ßen Hel­fers­hel­fer schwe­re­re Stra­fen auf­er­legt, als der Füh­rer und An­stif­ter auf sich neh­men muss­te.

Kei­ner­lei Ra­che­ge­dan­ken durch­wühl­ten das Hirn die­ses Ale­xei Paw­lo­wi­tsch mehr, aber er groll­te doch dem Man­ne, den er und Ro­koff nicht hat­ten zer­schmet­tern kön­nen. Groll emp­fand er auch, wenn er an Ro­koff dach­te, denn Ro­koff hat­te ihn mit sich in die­ses Schre­ckens­reich hin­ein­ge­ris­sen, des­sen Qua­len er nun bis zur Nei­ge aus­ge­kos­tet hat­te. Er groll­te auch der Po­li­zei ei­ni­ger Städ­te, aus de­nen er hat­te flie­hen müs­sen, er hass­te die Ge­set­ze, die Ord­nung, er hass­te al­les. Den Ma­tro­sen, die ihn vor dem völ­li­gen Un­ter­gang ge­ret­tet hat­ten, trat er kaum nä­her. Zum Ar­bei­ten war er zu schwach, er war auch viel zu gries­grä­mig, um ein gu­ter Ge­sell­schaf­ter zu sein. Man ließ ihn bald al­lein; er moch­te sich mit sich selbst be­schäf­ti­gen.

 

Die »Mar­jo­rie W.« war sei­ner­zeit von ei­ner Ve­rei­ni­gung wohl­ha­ben­der Fa­bri­kan­ten gechar­tert wor­den; man hat­te auf ihr ein La­bo­ra­to­ri­um ein­ge­rich­tet und ihr einen Stab von Ge­lehr­ten mit­ge­ge­ben, die nach ei­nem Roh­stoff su­chen soll­ten, den die Un­ter­neh­mer der Ex­pe­di­ti­on bis­her un­ter un­ge­heu­rem Kos­ten­auf­wand aus Süd­ame­ri­ka ein­füh­ren muss­ten. Um was für einen Roh­stoff es sich han­del­te, war al­lein den Ge­lehr­ten an Bord der »Mar­jo­rie W.« be­kannt. Für uns hat dies nur in­so­fern Be­deu­tung, als der wei­te­re Ver­lauf der For­schungs­rei­se das Schiff, nach­dem man Paw­lo­wi­tsch an Bord ge­nom­men, nach ei­ner In­sel in der Nähe der afri­ka­ni­schen Küs­te führ­te.

Das Schiff lag ei­ni­ge Wo­chen un­weit des In­selufers vor An­ker. Kein Wun­der, dass das ewi­ge Ei­ner­lei für die Mann­schaft mit der Zeit recht lang­wei­lig wur­de. Man ging also öf­ters an Land, und schließ­lich hat­te auch Paw­lo­wi­tsch das ein­tö­ni­ge Le­ben an Bord gründ­lich satt und frag­te, ob er sich den Ma­tro­sen an­schlie­ßen dür­fe.

Die In­sel war dicht be­wal­det, üp­pi­ges Dschun­gel­ge­strüpp wu­cher­te bis zum Stran­de her­ab. Die Ge­lehr­ten wa­ren weit ins In­ne­re vor­ge­drun­gen und such­ten nach den wert­vol­len Schät­zen der un­be­rühr­ten Na­tur, die – wie die Ein­ge­bo­re­nen des Fest­lan­des ih­nen ver­si­chert hat­ten – dort in er­staun­li­cher Fül­le zu fin­den sein soll­ten. Die Ma­tro­sen fisch­ten, gin­gen auf die Jagd oder streif­ten plan­los in den Wäl­dern her­um, wäh­rend Paw­lo­wi­tsch am Stran­de auf und ab hin­k­te oder im Schat­ten der großen Bäu­me am Wal­dessaum vor sich hin­däm­mer­te.

Ei­nes Ta­ges schlief er wie­der un­ter ei­nem sol­chen Baum­rie­sen. Die Ma­tro­sen stan­den in ei­ni­ger Ent­fer­nung um einen Leo­par­den, dem die Ku­gel ei­nes ih­rer Ka­me­ra­den im In­nern der In­sel den Garaus ge­macht hat­te. Mit ei­nem Male er­wach­te Paw­lo­wi­tsch. Es kam ihm vor, als habe sich eine Hand auf sei­ne Schul­ter ge­legt, er rich­te­te sich ent­setzt auf: Ne­ben ihm hock­te ein rie­si­ger Men­schen­af­fe und starr­te ihm fest in die Au­gen.

Der Rus­se war zu Tode er­schro­cken, sei­ne Bli­cke schweif­ten hin­über zu den Ma­tro­sen …, doch die wa­ren ei­ni­ge hun­dert Me­ter weit weg. Wie­de­r­um zupf­te der Affe an sei­ner Schul­ter und stieß da­bei ein paar kläg­li­che Jam­mer­lau­te her­vor. Paw­lo­wi­tsch er­kann­te, dass in dem for­schen­den, bit­ten­den Blick des Tie­res und in des­sen gan­zer Hal­tung im Au­gen­blick nichts Be­droh­li­ches lag. Als er sich dann lang­sam er­hob, stand der Affe ne­ben ihm auch so­fort auf.

Halb­ge­bückt wank­te Paw­lo­wi­tsch vor­sich­tig da­von; er muss­te ver­su­chen, mit hei­ler Haut zu den Ma­tro­sen hin­über­zu­kom­men. Doch der Affe ging ru­hig mit und fass­te ihn so­gar an sei­nem Arm. So ge­lang­ten sie un­be­merkt ziem­lich nahe an die Ma­tro­sen her­an; Paw­lo­wi­tsch hat­te in­zwi­schen die Über­zeu­gung ge­won­nen, dass das Tier nichts Bö­ses im Schil­de führ­te; es schi­en an mensch­li­che Ge­sell­schaft ge­wöhnt zu sein. So­fort schoss ihm der Ge­dan­ke durch den Kopf, dass die­ser Affe ei­gent­lich einen rie­si­gen Wert hat­te. Und den woll­te er sich zu­nut­ze ma­chen, sich ganz al­lein. Be­vor er noch zu den Ma­tro­sen stieß, war die­se Idee bei ihm ab­ge­mach­te Sa­che.

Die Ma­tro­sen wa­ren aufs höchs­te be­stürzt, als sie mit ei­nem Male das selt­sa­me Paar aus dem Dickicht her­an­hum­peln sa­hen, und so­gleich reck­te sich den An­kömm­lin­gen ein Ge­wehr­lauf ver­der­ben­brin­gend ent­ge­gen. Doch der Affe zeig­te nicht die ge­rings­te Furcht. Er pack­te so­fort einen Ma­tro­sen nach dem an­de­ren an den Schul­tern und mus­ter­te je­den lan­ge mit ei­nem for­schen­den Blick. Dann wand­te er sich wie­der zu Paw­lo­wi­tsch zu­rück. In sei­nen Zü­gen und in sei­ner gan­zen Hal­tung war bit­te­re Ent­täu­schung zu le­sen.

Den Ma­tro­sen mach­te der Affe jetzt Spaß. Sie dräng­ten sich her­an, such­ten den Rus­sen aus­zu­fra­gen und mus­ter­ten sei­nen Beglei­ter von al­len Sei­ten. Der Rus­se sag­te nur so viel, dass der Affe ihm ge­hö­re. Im Üb­ri­gen rück­te er nicht wei­ter her­aus, be­ton­te aber im­mer wie­der: Der Affe ge­hört mir. All­mäh­lich konn­te man die­se al­ber­ne Er­klä­rung Paw­lo­wi­tschs schon gar nicht mehr an­hö­ren. Ei­ner der Ma­tro­sen ver­such­te sich mit ei­ner klei­nen Ne­cke­rei. Er schlich um den Af­fen her­um und stach ihn mit ei­ner Na­del in den Rücken. Doch der Affe stürz­te sich blitz­ar­tig auf sei­nen Pei­ni­ger. In dem Au­gen­blick, in dem er sich um­dreh­te, hat­te sich das erst so harm­lo­se fried­li­che Tier in eine wut­schnau­ben­de Bes­tie ver­wan­delt. Das brei­te La­chen, das um die Lip­pen des Ma­tro­sen spiel­te, als er sich den küh­nen Scherz er­laub­te, wich au­gen­blick­lich wil­dem Ent­set­zen. Er such­te den lan­gen Ar­men, die sich nach ihm aus­streck­ten, durch einen ra­schen Sei­ten­sprung zu ent­ge­hen, doch ver­geb­lich. Und als er sein lan­ges Mes­ser aus dem Leib­gurt zog, schlug der Affe es ihm mit ei­nem Ruck aus der Faust zu Bo­den. Dann gru­ben sich die gel­ben Fang­zäh­ne des Un­ge­heu­ers in die Schul­tern des Ma­tro­sen …

Mit Knüt­teln und Mes­sern fie­len die an­de­ren Ma­tro­sen über das Tier her, wäh­rend Paw­lo­wi­tsch um den flu­chen­den und brül­len­den Knäu­el der Kämp­fen­den her­um­schlich und sei­ner Wut mit mehr oder we­ni­ger lau­ten Bit­ten und Dro­hun­gen Luft mach­te; denn all sei­ne schö­nen Träu­me von Wohl­stand und Reich­tum sah er schon un­ter den Dol­chen und Knüt­teln der Ma­tro­sen ins Nichts zer­flie­ßen …

Al­lein der Affe war nicht ge­willt, sich ohne wei­te­res der Über­macht zu fü­gen, wenn es auch schi­en, als müs­se er un­ter­lie­gen. Er riss sich jetzt von dem Ma­tro­sen los, der den Frie­den ge­bro­chen hat­te, zwei an­de­re, die sich an sei­nen Rücken fest­ge­klam­mert hat­ten, schüt­tel­te er ein­fach ab und stürz­te dann auf die An­grei­fer, dass ei­ner nach dem an­de­ren zu Bo­den flog. Bald sprang er hier­hin, bald dort­hin …, er war be­händ wie ein Meer­kätz­chen.

Der Ka­pi­tän und der Steu­er­mann wa­ren vom Stran­de aus Zeu­gen die­ses Kamp­fes ge­we­sen und ka­men jetzt mit schuss­be­rei­ten Re­vol­vern her­an­ge­eilt. Zwei Ma­tro­sen, die das Boot der »Mar­jo­rie W.« her­über­ge­ru­dert hat­ten, folg­ten ih­nen auf dem Fuße.

Der Affe stand jetzt ru­hig da und schi­en zu be­trach­ten, was er an­ge­rich­tet hat­te. Paw­lo­wi­tsch ver­moch­te in­des­sen nicht zu er­ra­ten, was er nun tun wür­de. Ob der Affe einen neu­en An­griff er­war­te­te oder ob er über­leg­te, wel­chen sei­ner Geg­ner er zu­erst ins Jen­seits be­för­dern soll­te? Er wuss­te nur so viel, dass die bei­den Of­fi­zie­re mit dem Tier kur­z­en Pro­zess ma­chen wür­den, so­wie sie auf Schuss­wei­te her­an­wa­ren. Ir­gen­det­was muss­te also ge­tan wer­den, und zwar schnell, wenn er das ver­hin­dern woll­te. Kei­ne Be­we­gung des Af­fen deu­te­te dar­auf hin, dass er auch den Rus­sen an­grei­fen wür­de; im­mer­hin war Paw­lo­wi­tsch nicht si­cher, was pas­sier­te, so­wie er sich mit die­sem wil­den Tie­re wei­ter ein­lie­ße. Ob nicht trotz­dem die Bes­tie sich zu wü­ten­dem An­griff auch ge­gen ihn er­hö­be, nach­dem ihr eben erst fri­sches Blut in die Nase ge­stie­gen war? Er zö­ger­te einen Au­gen­blick, doch dann schweb­ten vor sei­nen Au­gen wie­der die Traum­bil­der von Reich­tum und Über­fluss, die die­ser große Men­schen­af­fe zwei­fel­los zur Wirk­lich­keit ma­chen konn­te, wenn Paw­lo­wi­tsch erst ein­mal wohl­be­hal­ten mit ihm in ir­gend­ei­ner Me­tro­po­le der zi­vi­li­sier­ten Welt – viel­leicht in Lon­don? – ge­lan­det wäre.

Der Ka­pi­tän rief Paw­lo­wi­tsch laut ent­ge­gen, er sol­le bei­sei­te­tre­ten, da­mit er den Af­fen nie­der­schie­ßen kön­ne. Statt des­sen dräng­te sich Paw­lo­wi­tsch nä­her an das Tier her­an und wie­wohl ihm vor Angst die Haa­re zu Ber­ge stan­den, be­zwang er sich und stütz­te sich auf des Af­fen Arm.

Komm mit, ge­bot er dem Af­fen und such­te ihn mit An­span­nung al­ler Kräf­te aus dem Krei­se der Ma­tro­sen weg­zu­zer­ren, die mit schre­ckens­wei­ten Au­gen da­sa­ßen oder auf Hän­den und Kni­en aus dem Be­reich ih­res Be­zwin­gers da­von­kro­chen.

Lang­sam ließ sich der Affe bei­sei­te füh­ren, und es war nicht das ge­rings­te An­zei­chen da­für zu ent­de­cken, dass er dem Rus­sen ein Leid an­tun wür­de. Der Ka­pi­tän war in­zwi­schen bis auf ein paar Schrit­te an das selt­sa­me Paar her­an­ge­kom­men und blieb ste­hen.

Tritt bei­sei­te, Sa­b­rov! be­fahl er. Ich will die Bes­tie dort­hin be­för­dern, wo sie ei­nem bra­ven See­mann nichts mehr an­ha­ben kann.

Das Tier war nicht schuld an der gan­zen Sa­che, warf Paw­lo­wi­tsch ein. Schie­ßen Sie bit­te nicht! Die Leu­te reiz­ten das Tier – sie ha­ben den Kampf vom Zau­ne ge­bro­chen. Se­hen Sie nur, der Affe ist völ­lig zahm, und – er ist mein, er ge­hört mir, ja, mir ge­hört die­ser Affe! Ich dul­de nicht, dass Sie ihn tö­ten, schloss er, und in sei­nem an­ge­krän­kel­ten Hirn tauch­te wie­der die küh­ne Idee von vor­hin auf. Er be­rausch­te sich förm­lich an dem Ge­dan­ken, dass der Affe ihm in Lon­don Geld ein­brin­gen wür­de, viel Geld, so viel, wie er nie zu be­sit­zen ge­hofft hät­te, wäre ihm nicht die­ser wert­vol­le Affe vom Glück in den Weg ge­schickt wor­den.

Der Ka­pi­tän ließ sei­ne Waf­fe sin­ken. Die Ma­tro­sen ha­ben das Tier ge­reizt? Stimmt das? forsch­te er. Wie steht es da­mit? wand­te er sich an die Ma­tro­sen, die sich in­zwi­schen vom Bo­den er­ho­ben. Sie hat­ten alle Lehr­geld zah­len müs­sen, aber am schlimms­ten war der dar­an, der den Zu­sam­men­stoß auf dem Ge­wis­sen hat­te, und dem nun sei­ne wun­de Schul­ter eine Wo­che oder län­ger zu schaf­fen ma­chen wür­de.

Simp­son war’s, sag­te ei­ner der Ma­tro­sen. Er stach den Af­fen mit ei­ner Na­del in den Rücken, und der Affe pack­te ihn. Das ge­sch­ah ihm ganz recht; und dass der Affe uns auch ge­hö­rig an­fass­te, kann ich ihm nicht ver­den­ken, denn wir sind dann alle zu­sam­men auf ihn los­ge­stürzt.

Der Ka­pi­tän sah Simp­son an, der die Wahr­heit der Aus­sa­ge be­stä­ti­gen muss­te. Dann trat der Ka­pi­tän auf den Af­fen zu; er tat so, als wol­le er sich nun auch selbst ein Bild da­von ma­chen, ob der Affe tat­säch­lich gar nicht bös­ar­tig sei. Da­bei hielt er den Re­vol­ver schuss­be­reit, um im Not­fall das Tier je­den Au­gen­blick nie­der­stre­cken zu kön­nen. In be­gü­ti­gen­dem Tone sprach er auf den Af­fen ein, der jetzt ne­ben dem Rus­sen hock­te und zu­erst die bei­den neu­en Ma­tro­sen be­trach­te­te. Als der Ka­pi­tän im­mer nä­her kam, er­hob er sich halb und hum­pel­te ihm ent­ge­gen. In sei­nen Au­gen lag der­sel­be ei­gen­ar­ti­ge for­schen­de Aus­druck von vor­hin, als er auf die Ma­tro­sen stieß und ih­nen nach­ein­an­der prü­fend in die Au­gen schau­te. Ganz nahe trat er an den Of­fi­zier her­an, leg­te eine Hand auf des­sen lin­ke Schul­ter und starr­te ihm lan­ge mit su­chen­dem Blick in die Au­gen. Und wie­der husch­te ein Aus­druck von Ent­täu­schung über sein Ge­sicht, und so et­was wie ein mensch­li­cher Seuf­zer ent­rang sich sei­ner Brust. Dann wand­te er sich von dem Ka­pi­tän ab und forsch­te in der­sel­ben selt­sa­men Art in den Ge­sich­tern des Steu­er­manns und der bei­den Ma­tro­sen, die mit den Of­fi­zie­ren nach­ge­kom­men wa­ren. Je­des Mal trot­te­te er seuf­zend wei­ter und schließ­lich wie­der zu Paw­lo­wi­tsch, ne­ben dem er sich aber­mals nie­der­ließ. Er zeig­te dar­auf nicht das ge­rings­te In­ter­es­se mehr an sei­ner Um­ge­bung, ja, es schi­en, als habe er den Kampf von vor­hin be­reits ver­ges­sen.

Als man an Bord der »Mar­jo­rie W.« zu­rück­kehr­te, nahm Paw­lo­wi­tsch den Af­fen mit; es schi­en auch, als sei das Tier ge­ra­de­zu dar­auf er­picht, mit­zu­kom­men. Der Ka­pi­tän leg­te kei­ne Schwie­rig­kei­ten in den Weg; der große Men­schen­af­fe wur­de still­schwei­gend als Pas­sa­gier ge­dul­det. An Bord prüf­te er mi­nu­ten­lang je­des Ge­sicht, und je­des Mal lag wie­der die­sel­be Ent­täu­schung in sei­nen Zü­gen. Die Of­fi­zie­re und See­leu­te an Bord un­ter­hiel­ten sich über das Tier, konn­ten aber kei­ne Er­klä­rung für das selt­sa­me Ge­ba­ren fin­den, mit dem der Affe je­des neue Ge­sicht emp­fing. Hät­te man ihn auf dem afri­ka­ni­schen Fest­land oder auch ir­gend­wo an­ders ein­ge­fan­gen, je­den­falls aber nicht ge­ra­de auf die­ser un­be­kann­ten In­sel, die sei­ne Hei­mat sein muss­te, dann wür­de man der Über­zeu­gung ge­we­sen sein, dass Men­schen ihn frü­her ein­mal ge­zähmt hat­ten. Die­se Auf­fas­sung war aber hier un­halt­bar, weil er doch von die­ser völ­lig un­be­wohn­ten In­sel stamm­te.

 

Er schi­en üb­ri­gens be­stän­dig je­man­den zu su­chen, und wäh­rend der ers­ten Tage nach Ab­fahrt von der In­sel fand man ihn oft, wie er in den ver­schie­dens­ten Tei­len des Schif­fes her­um­stö­ber­te. Nach­dem er aber je­des neue Ge­sicht an Bord ge­mus­tert und al­les bis in die ent­le­gens­ten Ecken des Schif­fes aus­ge­kund­schaf­tet hat­te, ver­fiel er in na­he­zu völ­li­ge Teil­nahms­lo­sig­keit. Sei­ne gan­ze Um­ge­bung küm­mer­te ihn nicht mehr; nur für den Rus­sen be­hielt er ei­ni­ges In­ter­es­se, so oft er ihm sein Fut­ter brach­te. Sonst schi­en er den Rus­sen auch nur zu dul­den, denn er leg­te ihm ge­gen­über kei­ner­lei be­son­de­re Zu­nei­gung an den Tag. Im Üb­ri­gen deu­te­te nichts dar­auf hin, dass sei­ne wil­den In­stink­te, die sich da­mals bei dem Zu­sam­men­stoß mit den Ma­tro­sen in sei­nem Zorn so schreck­lich ent­la­den hat­ten, ei­nes schö­nen Ta­ges wie­der er­wa­chen wür­den.

Und so kam die »Mar­jo­rie W.« schließ­lich nach Eng­land. Die Of­fi­zie­re und Ge­lehr­ten hat­ten Mit­leid mit dem ar­men halb­ge­bro­che­nen Rus­sen, den sie in der Wild­nis auf­ge­le­sen, und entlie­ßen ihn mit ei­ni­gem Geld und den bes­ten Wün­schen für sei­ne und des Af­fen Zu­kunft.

Im Ha­fen und auf der Fahrt nach Lon­don hat­te der Rus­se mit Ajax sei­ne lie­be Not. Bei­na­he je­den der Tau­sen­de, die un­ter­wegs in sei­ne Reich­wei­te ka­men, such­te der Men­schen­af­fe ein­ge­hend zu mus­tern, wo­bei na­tür­lich nicht we­ni­ge sei­ner »Op­fer« zu Tode er­schro­cken wa­ren. Als er dann of­fen­bar merk­te, dass der, den er such­te, nicht zu fin­den war, ver­fiel er wie­der in eine ge­ra­de­zu krank­haf­te Teil­nahms­lo­sig­keit, aus der er sich nur ganz sel­ten auf­raff­te, wenn je­mand an ihm vor­bei­kam.

In Lon­don ging Paw­lo­wi­tsch mit sei­ner »Beu­te« so­fort zu ei­nem be­kann­ten Tier­bän­di­ger. Der Mann war so­gleich für Ajax be­geis­tert, zu­mal die Ver­hand­lun­gen dazu führ­ten, dass er den Lö­wen­an­teil an dem zu er­war­ten­den Ge­winn der Schau­stel­lung zu­ge­si­chert er­hielt. Zu­nächst woll­te er den Af­fen dres­sie­ren und wäh­rend der hier­für nö­ti­gen Zeit auch für den Un­ter­halt des Tie­res und sei­nes Be­sit­zers sor­gen.

So kam Ajax nach Lon­don, und da­mit hat­te sich das Glied ei­ner Ket­te ei­gen­ar­ti­ger Zu­fäl­le ge­schlos­sen, die für das Le­ben vie­ler Men­schen von ein­schnei­den­der Be­deu­tung sein soll­ten.