TARZAN, DER UNBESIEGBARE

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»Hinaus!«, befahl die Frau. In ihrer Stimme schwang weder Furcht noch Hysterie. Sie sprach ganz ruhig, selbstbewusst und beherrscht. Für jeden Mann, den die Leidenschaft nicht ganz blind gemacht hatte, wäre dies ein bedeutungsvoller Umstand gewesen. Zoras Haltung verriet, dass sie entschlossen war, sich unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen. Aber Raghunath Jafar sah nur die Frau seiner Träume in ihr. Mit einem raschen Sprung war er bei ihr und packte zu.

Zora Drinov war jung, kräftig und gewandt. Dennoch hatte sie gegen den stämmigen Hindu nicht viel anzubringen, unter dessen Fettpolstern sich erhebliche Körperkraft verbarg. Sie versuchte sich loszureißen und aus dem Zelt zu entkommen. Der Mann hielt sie mit Bärenkräften fest und zog sie zurück. In wilder Wut fuhr Zora herum und schlug ihn mehrfach ins Gesicht. Er aber zog sie nur umso fester in seine Umarmung und trug sie zum Feldbett.

Drittes Kapitel: Unheimliches Spiel

Wayne Colts Führer, der einige Schritte vor dem Amerikaner einher marschierte, blieb plötzlich stehen und schaute mit breitem Lächeln zurück.

»Dort ist das Lager, Bwana!«, sagte er triumphierend und deutete mit ausgestrecktem Arm voraus.

»Dem Himmel sei Dank!«, rief Colt mit einem Seufzer der Erleichterung.

»Das Lager ist aber verlassen, stellte der Führer fest. Es sieht ganz so aus, nicht wahr?«, stimmte Colt zu. »Wir wollen es uns näher ansehen.«

Von seinen Männern gefolgt betrat er das Lager und ging die Zeltgasse entlang. Seine übermüdeten Träger setzten ihre Lasten ab. Auch die Askaris warfen sich der Länge nach in den Schatten der Bäume. Inzwischen begann Colt, von Tony gefolgt, eine Untersuchung des Lagers.

Dem jungen Amerikaner fiel sofort auf, dass eines der Zelte unter heftigen Stößen erzitterte.

»Da drüben geht etwas vor«, sagte er zu Tony und schritt schnell auf den Zelteingang zu.

Der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn einen erstaunten Ruf ausstoßen. Ein Mann und eine Frau wälzten sich auf dem Boden herum. Der Mann war dabei, die nackte Kehle seines Opfers zuzudrücken, während die Frau ihm mit nachlassenden Kräften ins Gesicht schlug. Jafar war so mit seinem bösen Vorhaben beschäftigt, dass er Colts Gegenwart nicht eher wahrnahm bis er eine schwere Hand auf seiner Schulter spürte und heftig beiseite gestoßen wurde.

Von wilder Wut gepackt sprang er auf und schlug nach dem Amerikaner. Dabei fing er selbst einen Hieb ein, der ihn zurücktaumeln ließ. Abermals griff er an und wiederum fuhr ihm eine schwere Faust ins Gesicht. Dieses Mal ging er zu Boden. Als der braune Mann sich mühselig erhob packte ihn Colt, drehte ihn herum und stieß ihn durch den Zelteingang hinaus. Er beschleunigte den unfreiwilligen Abschied mit einem gut gezielten Tritt.

»Wenn er hier noch einmal eindringen will, Tony, schießt du ihn nieder«, befahl Colt dem Philippino. Dann sprang er der Frau bei, um ihr auf die Füße zu helfen. Er musste sie halb tragen und ließ sie schließlich auf dem Feldbett nieder. In einem Eimer entdeckte er Wasser. Er genetzte ihre Stirn, ihre Kehle und ihre Handgelenke damit.

Im Freien erblickte Raghunath Jafar die Träger und die Askari im Schatten der Bäume. Er erblickte außerdem Antonio Mori, der ihn stirnrunzelnd fixierte und mit einem Revolver bedrohte. Mit einem wütenden Fluch drehte der Hindu um und verschwand in seinem eigenen Zelt. Sein Gesicht war vor Wut verzerrt. Mordgedanken glühten in seinem Herzen.

Endlich schlug Zora Drinov die Augen auf und schaute in das besorgte Gesicht von Wayne Colt, der sich über sie beugte.

Im dichten Blattwerk eines Baumes hoch über dem Lager überblickte Tarzan, der Affenmensch, die Szene unter sich. Eine einzige, geflüsterte Silbe hatte Nkimas Geschwätz verstummen lassen. Auch Tarzan hatte die wilde Bewegung hinter der Zeltwand erblickt, die Colts Aufmerksamkeit angezogen hatte. Er sah, dass der Hindu offensichtlich gewaltsam entfernt wurde und beobachtete die drohende Haltung des jungen Philippinos, der Jafar davon zurückhielt, abermals das Zelt zu betreten. Diese Dinge interessierten den Affenmenschen allerdings nur wenig. Die Streitereien und ein Krach dieser Leute unter sich gingen ihn nichts an. Er wollte nur herausfinden, warum sie hier waren und was sie in seinem Lande zu suchen hatten. Um das herauszubekommen, hatte er zwei Pläne entworfen. Zunächst wollte er das Lager und seine Bewohner beobachten, bis sich aus ihrem Verhalten der Zweck ihres Hierseins erraten ließ. Die andere Möglichkeit bestand darin, den Anführer der Expedition ausfindig zu machen und dann das Lager zu betreten, um von ihm direkt Auskunft zu verlangen. Von dieser zweiten Möglichkeit wollte Tarzan jedoch nur Gebrauch machen, nachdem er sich zunächst durch eigene Beobachtungen einen kleinen Vorteil verschafft hatte. Er wusste nicht, was in jenem Zelt vor sich ging. Er kümmerte sich auch nicht weiter darum.

Mehrere Sekunden lang schaute Zora Drinov aufmerksam zu dem Mann hinauf.

»Du musst der amerikanische Kamerad sein«, stellte sie schließlich fest.

»Ich bin Wayne Colt«, erwiderte er. »Aus der Tatsache, dass du erraten hast, wer ich bin, darf ich wohl entnehmen, dass ich mich im Lager des Kameraden Zveri befinde.«

Sie nickte. »Du bist gerade im richtigen Augenblick aufgetaucht, Kamerad«, sagte sie.

»Dem Himmel sei Dank dafür«, meinte er.

»Es gibt keinen Himmel«, erinnerte sie ihn.

Colt errötete. »Wir werden die Schatten der Herkunft und der Gewohnheit nicht los«, erklärte er.

Zora Drinov lächelte. »Das ist freilich wahr«, sagte sie, »aber es ist unsere Sache, mit einer großen Anzahl solcher Gewohnheiten aufzuräumen. Nicht nur in unserem Interesse, sondern um die Welt zu bessern.«

Seit die Frau zu sich gekommen war, hatte Colt mehrfach abschätzende Blicke über sie hingleiten lassen. Ihm war nicht bekannt gewesen, dass er in Zveris Lager eine weiße Frau antreffen würde. Und selbst wenn er das gewusst hätte, wäre ihm nie in den Sinn gekommen, eine Frau wie diese zu erwarten. Vielleicht hätte er sich vorgestellt, eine halb vermännlichte Agitatorin vorzufinden, der man wohl Zutrauen konnte, sich mit einer wilden Bande von Männern in das Herz Afrikas zu wagen; eine raue und ungepflegte Frau von mittlerem Alter und bäuerlichem Aussehen. Zora Drinov jedoch, die von ihrem herrlichen, welligen Haar bis zu den schmalen Fesseln alles andere darstellte als eine stämmige Bauernmagd, ganz abgesehen davon, dass sie keineswegs ungepflegt wirkte, bot einen Anblick, den man hier nicht erwartet hätte. Sie wirkte sauber und frisch. Außerdem war sie jung und hübsch. »Kamerad Zveri ist zurzeit nicht im Lager?«, fragte Colt.

»Nein, er hat sich auf eine kurze Expeditionsfahrt begeben«, erläuterte Zora.

»Also gibt es hier niemanden, der uns miteinander bekannt machen würde? lächelte der Amerikaner.«

»Oh, Verzeihung«, sagte sie. «Ich bin Zora Drinov.«

»Ich hatte eine so erfreuliche Überraschung keineswegs erwartet«, sagte Colt. »Ich glaubte, hier nur uninteressante Männer wie mich selbst vorzufinden. Wer war übrigens der Kerl, den ich hinausgefeuert habe?«

»Das war Raghunath Jafar, ein Hindu«, meinte die Frau.

»Gehört er etwa zu unserer Gruppe?«, fragte Colt.

»Ja, erwiderte sie. »Aber nicht mehr lange – Peter Zveri wird dafür sorgen, dass er seinen Lohn erhält.«

»Das heißt?«

»Ich will damit sagen, dass Peter ihn töten wird.«

Colt zuckte mit den Schultern. »Das hat er wirklich verdient«, stellte er fest. »Vielleicht hätte ich es gleich selbst tun sollen.«

»Nein«, sagte die Frau, »wir wollen es Peter überlassen. Hat man dich ganz allein ohne Schutz im Lager zurückgelassen?«, wunderte sich Colt.

»Nein, Peter ließ meinen Diener und zehn Askaris hier. Jafar hat es irgendwie fertigbekommen, sie alle aus dem Lager zu entfernen.«

»Von nun an befindest du dich in Sicherheit«, sagte Colt. »Ich werde mich um dich kümmern, bis Kamerad Zveri zurückkehrt. Vielleicht darf ich jetzt zunächst dafür sorgen, dass mein eigenes Lager aufgeschlagen wird. Inzwischen schicke ich zwei meiner Askaris, die vor deinem Zelt Wache halten sollen.«

»Das ist sehr freundlich von dir«, sagte sie. »Ich halte es aber jetzt nicht mehr für notwendig.«

»Ich werde es trotzdem tun«, sagte er. »Auch ich würde mich dann sicherer fühlen.«

»Sobald das Lager aufgeschlagen ist, möchte ich dich zum Essen einladen«, sagte sie. »Oh, ich habe ganz vergessen, dass Jafar meinen Diener fortgeschickt hat, fuhr sie fort. »Nun habe ich niemanden, der für mich kocht.«

»Dann nimmst du vielleicht eine Einladung an, mit mir zu essen«, sagte der Mann. »Mein Diener ist ein ziemlich guter Koch.«

»Mit Vergnügen, Kamerad Colt«, stimmte sie zu.

Der Amerikaner verließ das Zelt. Zora Drinov lag noch eine Weile mit halbgeschlossenen Augen auf dem Feldbett. Wie anders war dieser Mann. Sie hatte einen ganz anderen Typ erwartet. Wenn sie sich sein Gesicht und seinen Augenausdruck vorstellte, fiel es ihr schwer, in ihm einen Verräter zu sehen, der seine Leute und sein Land hinterging.

Colt hatte Zoras Zelt verlassen und ging zu seinen Leuten hinüber, um die notwendigen Anordnungen zu treffen. Raghunath Jafar beobachtete ihn aus dem Inneren seines Zeltes. Ein bösartiges Stirnrunzeln verzerrte die Züge des Hindu. In seinen Augen lag Hass. Von seinem Beobachtungsposten aus sah Tarzan, dass der junge Amerikaner seinen Leuten Anweisungen erteilte. Die Persönlichkeit dieses jungen Fremden machte auf. Tarzan einen günstigen Eindruck. Er gefiel ihm so gut wie ihm ein Fremder nur gefallen konnte. Tief in seinem Inneren fühlte der Affenmensch jedoch noch immer den Argwohn des wilden Tieres gegenüber allen Fremden und vor allem gegenüber fremden Weißen. Während er den Mann beobachtete, entging ihm nichts, was in der Umgebung geschah. Deshalb sah er auch sogleich, wie Raghunath Jafar mit einem Gewehr in der Hand aus seinem Zelt auftauchte. Nur Tarzan und der kleine Nkima bemerkten diesen Vorgang. Und Tarzan erriet sogleich, dass der Inder etwas Böses vorhatte.

 

Raghunath Jafar verließ auf kürzestem Wege das Lager und verschwand im Dschungel. Leise von Ast zu Ast schwingend verfolgte ihn Tarzan. Jafar schlug einen Halbkreis um das Lager, wobei er sich hinter den Dschungelbüschen verbarg. Schließlich blieb er stehen. Von seinem Platz aus war das ganze Lager gut zu übersehen. Er selbst jedoch war hinter dichtem Blattwerk verborgen.

Colt bewachte die Schwarzen, die sein Gepäck auspackten und das Zelt aufstellten. Seine Leute beeilten sich, die ihnen durch den Vormann zugewiesenen Arbeiten auszuführen. Alle waren müde und sprachen miteinander kaum ein Wort. Die Arbeit ging in ungewöhnlicher Stille vor sich, die man sonst nicht kennt, wenn Neger in größerer Anzahl zusammen sind. Diese seltsame Stille wurde plötzlich von einem erstickten Schrei und dem Knall einer Büchse zerrissen. Die beiden Geräusche folgten einander so rasch, dass man kaum entscheiden konnte, ob der Schrei oder der Knall zuerst hörbar wurde. Eine Kugel zischte an Colts Kopf vorbei und riss einem Neger, der nahe bei ihm stand, ein Stück des Ohrläppchens fort. Die friedliche Tätigkeit im Lager wurde von einem wilden Durcheinander abgelöst. Zunächst wusste man nicht, aus welcher Richtung der Schuss und der Schrei gekommen waren. Colt sah schließlich das kleine Rauchwölkchen des Abschusses, das sich dicht am Rande des Lagers aus den Büschen erhob.

»Dort drüben ist es«, sagte er und lief auf den Punkt zu.

Der Vormann der Askari hielt ihn auf. »Geh nicht dorthin, Bwana«, rief er. »Vielleicht hat sich ein Feind verborgen. Wir wollen unsere Gewehre in den Dschungel abfeuern.«

»Nein«, bestimmte Colt, »wir wollen zuerst nachforschen, mit wem wir es zu tun haben. Du nimmst einige deiner Männer und schlägst einen Bogen nach rechts. Ich komme mit dem Rest der Gruppe von der linken Seite. Wir arbeiten uns langsam von zwei Seiten durch den Dschungel vor, bis wir einander treffen.«

»Jawohl, Bwana«, willigte der Vormann ein. Er rief seine Leute zusammen und erteilte die notwendigen Befehle. Kein Geräusch im Busch verkündete, dass ein verborgener Feind etwa zu fliehen suchte. Es war überhaupt nichts zu hören, was auf die Anwesenheit eines lebenden Wesens schließen ließ. In absoluter Stille schlichen die beiden Gruppen von Männern durch den Dschungel. Niemand hatte etwas Verdächtiges bemerkt, als man sich schließlich traf. Die Männer waren in langer Linie zu einem Halbkreis auseinandergezogen, dessen Bogen eine Strecke weit in den Dschungel ragte. Auf Colts Zuruf hin bewegte sich die vielfach gewundene Linie auf das Lager zu.

Der Amerikaner erblickte als erster den Körper Raghunaths Jafars, der direkt am Rande des Lagers hinter einem Busch lag. In der rechten Hand hielt er noch das Gewehr. Aus seinem Herzen ragte der Schaft eines starken Pfeiles heraus.

Die Neger umstanden schweigend die Leiche und schauten einander fragend an. Ihre Blicke gingen zurück in den Dschungel und hinauf in das Geäst der Bäume. Einer von ihnen untersuchte den Pfeil. »Dieser Pfeil sieht ganz anders aus als die Pfeile der Stämme, die ich kenne«, stellte er fest. »Ich glaube, dieser Pfeil ist überhaupt nicht von Menschenhand gemacht.«

Sofort bemächtigte sich abergläubische Furcht aller Negerherzen.

»Der Schuss galt unserem Bwana«, sagte einer der Krieger. »Deswegen muss der Dämon, der diesen Pfeil abschoss, ein Freund unseres Bwana sein. Wir brauchen uns also nicht zu fürchten.«

Diese Erklärung beruhigte die Schwarzen einigermaßen, aber sie befriedigte Wayne Colt keineswegs. Er dachte immer noch über den Vorfall nach, während man zum Lager zurückkehrte. Zuvor hatte er noch angeordnet, dass der Hindu an Ort und Stelle beerdigt wurde.

Zora Drinov stand am Eingang ihres Zeltes. Als sie Colt erblickte, kam sie ihm entgegen.

»Was hat es gegeben?«, fragte sie. »Was ist geschehen?«

»Kamerad Zveri wird Raghunath Jafar nicht zu töten brauchen«, erklärte Colt.

»Warum?«, fragte die Frau.

»Weil Raghunath Jafar bereits tot ist.«

Der Amerikaner erklärte Zora in kurzen Worten, was sich zugetragen hatte.

»Wer mag nur den Pfeil abgeschossen haben?«, wunderte sie sich.

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, musste er eingestehen. »Der ganze Vorfall ist außerordentlich geheimnisvoll. Er bedeutet jedoch, dass das Lager beobachtet wurde. Wir werden sehr vorsichtig sein müssen und dürfen uns keineswegs allein und einzeln in den Dschungel wagen. Meine Leute glauben, dass der Pfeil abgeschossen wurde, um mich vor der Kugel eines Meuchelmörders zu bewahren. Es erscheint mir durchaus wahrscheinlich, dass Jafar die Absicht hatte, mich zu töten. Es ist jedoch denkbar, dass ich nun an seiner Stelle tot im Busch läge, wäre zufällig ich allein in den Dschungel gegangen. Habt ihr schon Zusammenstöße mit Eingeborenen erlebt, seit sich das Lager hier befindet oder sind andere unangenehme Vorkommnisse mit den Wilden zu verzeichnen gewesen?«

»Seit wir dieses Lager bezogen haben sind wir überhaupt keinem Eingeborenen begegnet«, erklärte Zora. »Wir haben oft darüber gesprochen, dass dieser ganze Landstrich wahrscheinlich völlig verlassen ist, obwohl viel jagdbares Wild hier lebt.«

»Vielleicht ist der heutige Vorfall eine Erklärung für die Tatsache, dass dieses Land unbewohnt oder jedenfalls ziemlich unbewohnt ist«, überlegte Colt. »Vielleicht sind wir, ohne es zu wissen, in das Jagdgebiet eines außergewöhnlich wilden Stammes eingedrungen. Es ist durchaus denkbar, dass dieser Pfeilschuss einen Willkommensgruß darstellte, mit dem man uns sagen will, wir seien hier höchst ungern gesehene Gäste.«

»Du sagtest, einer deiner Leute ist verwundet worden?«, meinte Zora.

»Nichts von Bedeutung«, erklärte Colt. »Er hat nur ein Teil seines Ohres eingebüßt.«

»Stand der Mann nahe bei dir?«

»Er war genau hinter mir«, erwiderte Colt.

»Dann halte ich es für absolut erwiesen, dass Jafar dich zu töten beabsichtigte«, sagte Zora.

»Das wäre möglich«, erwiderte Colt. »Jedenfalls ist es ihm nicht geglückt. Er hat nicht einmal meinen Appetit zu töten vermocht. Wenn es mir gelingt, meinen zu Tode erschrockenen und aufgeregten Diener zu beruhigen, werden wir bald unser Essen fertig haben.«

Aus einiger Entfernung beobachteten Tarzan und Nkima die Beerdigung des Hindu Raghunath Jafar. Kurz darauf kehrte Kahiya mit seinen Askari und Zoras Diener Wamala zurück, die Jafar auf die Jagd geschickt hatte.

»Wo sind alle die anderen Tarmangani und Gomangani, die du in diesem Lager gesehen haben willst?«, wollte Tarzan von Nkima wissen.

»Sie haben ihre Donnerstöcke genommen und sind fortgegangen«, erklärte der kleine Manu. »Sie sind sicherlich auf der Jagd nach Nkima.«

Tarzan, der Affenmensch, ließ ein seltenes Lächeln sehen.

»Wir werden ihre Spur verfolgen müssen, um herauszufinden, was sie vorhaben, Nkima«, sagte er.

»Aber es wird im Dschungel bald finster sein«, gab Nkima zu bedenken. »Dann ist Sabor unterwegs und Sheeta und Numa und Hista. Sie alle sind auf der Suche nach dem kleinen Nkima, um ihn zu fressen.«

Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen als Colts Diener ankündigte, dass das Essen fertig sei. Inzwischen hatte Tarzan einen neuen Plan gemacht und war in die Bäume oberhalb des Lagers zurückgekehrt. Er war davon überzeugt, dass mit dieser Expedition etwas nicht stimmte, und dass diese Menschen, deren Hauptlager er entdeckt hatte, etwas Gefährliches im Schilde führten. Aus der Größe des Lagers ließ sich unschwer herleiten, dass es für viele Menschen gedacht war. Er musste sich Gewissheit darüber verschaffen, wohin der Rest der Gruppe gegangen war und welchem Zweck das Unternehmen diente. Sein Gefühl verriet ihm, dass das ganze Vorhaben sicherlich zwischen den beiden einzigen Weißen in diesem Lager besprochen würde. Deshalb suchte er sich einen günstigen Platz in einem Baum, von wo aus er hören konnte, was unten besprochen wurde. So geschah es, dass Tarzan, der Affenmensch, sich im dichten Blattwerk eines großen Baumes gerade über Zora Drinov und Wayne Colt verbarg, als diese sich zum Abendessen niedersetzten.

»Du hast heute sehr Schweres erleben müssen«, meinte Colt. »Dennoch machst du nicht den Eindruck, als hätte dich dieses Erlebnis besonders beeindruckt. Ich habe bisher angenommen, dass eine Frau nach einem solchen Vorfall einem Nervenzusammenbruch nahe sein müsste.«

»Ich habe schon so Schreckliches in meinem Leben erfahren, Kamerad Colt, dass ich überhaupt keine Nerven mehr habe«, erwiderte die Frau.

»Das glaube ich dir«, sagte Colt. »Sicherlich ist es dir in deinem Heimatland nicht immer gut gegangen.«

»Die schlimmsten Jahre erlebte ich als ganz kleines Mädchen«, erklärte sie. »Aber ich erinnere mich jeder Einzelheit noch ganz deutlich.«

Colt schaute sie aufmerksam an. »Deiner Erscheinung nach«, versuchte er zu raten, »bist du sicherlich aus gutem Hause.«

»Mein Vater war ein einfacher Arbeiter. Er starb in der Verbannung, weil er sich gegen die damalige Regierung stellte. Seitdem habe ich gelernt, alles zu hassen, was Tyrannei ist. Als man mir anbot, mit Kamerad Zveri dieses Unternehmen durchzuführen, erblickte ich darin eine Möglichkeit, einen Teil der Rache zu nehmen, die ich im Andenken an meinen Vater zu vollbringen habe. Und zu gleicher Zeit gedenke ich, dabei etwas für ein besseres Leben in der ganzen Welt zu tun.«

»Als ich Zveri zum letzten Male jenseits des großen Teichs begegnete«, meinte Colt, »hatte er offensichtlich noch keinerlei Pläne für ein Unternehmen wie dieses gefasst. Er hat eine Expedition dieser Art mir gegenüber niemals erwähnt. Als ich seine Aufforderung erhielt, mich ihm hier anzuschließen, teilte er mir gleichfalls keine weiteren Einzelheiten mit. Ich tappe einigermaßen im Dunkeln und habe keine Ahnung, worum es jetzt eigentlich geht.«

»Gehorsam ist eine Zierde des guten Soldaten«, erinnerte ihn die Frau.

»Ja, das weiß ich wohl«, stimmte Colt ihr bei.

»Aber auch der einfachste Soldat kann seine Aufgabe besser erfüllen, wenn er weiß, welchem Ziele sein Einsatz dient. Der allgemeine Plan ist natürlich unter uns kein Geheimnis«, erklärte Zora. »Ich begehe gewiss keinen Vertrauensbruch, wenn ich dich darin einweihe. Unser gegenwärtiges Unternehmen gehört zu einem umfassenden Plan, mit dessen Hilfe die bestehenden Staaten in Krieg und Revolutionen verwickelt werden sollen. So verhindern wir, dass sie sich gegen uns vereinigen. Unsere Sendboten haben seit langer Zeit daran gearbeitet, überall Unruhe zu stiften. Dadurch wird die Aufmerksamkeit vieler Regierungen von ihren eigenen Angelegenheiten abgelenkt. Vor allem aber binden wir dadurch erhebliche, bewaffnete Kräfte. Das Ganze ist Kamerad Zveris lange gehegter Lieblingsplan«, sagte die Frau. »Natürlich kenne ich nicht alle Einzelheiten seiner Organisation und seiner Geldquellen. Ich weiß indessen, dass er für den Anfang über genügend Mittel verfügt. Außerdem ist mir bekannt, dass er sich gerade deswegen auf die Errichtung des Hauptlagers in dieser Gegend versteift hat, weil er hier in der Nähe das notwendige Gold zu finden hofft, um die weitreichenden Unternehmungen zu finanzieren, die für den endgültigen Erfolg unbedingt nötig sind.«

»Ich fürchte, dann wird die ganze Sache von vorneherein fehlschlagen«, meinte Colt. »Zveri kann ganz bestimmt in diesem wilden Lande nicht genügend Reichtümer finden, um sein riesiges Programm durchzuführen.«

»Kamerad Zveri ist vom Gegenteil überzeugt«, ereiferte sich Zora. »Gerade jetzt ist er mit seiner Expedition auf dem Wege, die Goldschätze zu heben, die es in dieser Gegend geben soll.«

Über ihnen lag in der Finsternis die regungslose Gestalt des Affenmenschen auf einem dicken Ast ausgestreckt. Seine scharfen Ohren hörten jedes Wort, das zwischen Zora und Colt gewechselt wurde. Auf seinem bronzenen Rücken hatte sich der kleine Nkima zusammengerollt, Das Äffchen schlief und hatte keine Ahnung davon, dass wenige Meter von ihm entfernt Worte gesprochen wurden, die geeignet waren, an den Grundsätzen der Welt und ihren Regierungen zu rütteln.

»Ist es ein Geheimnis oder darf ich erfahren, wo Kamerad Zveri so große Goldmengen zu finden hofft?«, fuhr Colt fort.

»Er ist unterwegs zu den berühmten Schatzkammern von Opar«, erklärte die Frau. »Du hast sicherlich schon davon gehört.«

 

»Ja, antwortete Colt, »aber ich habe nicht geglaubt, dass es diesen sagenhaften Schatz in Wirklichkeit geben könnte. Überall in der Welt erzählt man sich Legenden von riesigen Schätzen aus alter Zeit.«

»Bei den Schätzen von Opar handelt es sich nicht um eine Legende«, erwiderte Zora bestimmt.

Tarzan zeigte mit keiner Bewegung, ob die überraschende Enthüllung, die er mit anhörte, ihn sonderlich interessierte oder nicht. Er lag unbeweglich und lauschte.

Einige Zeit saß Colt still und nachdenklich da. Offensichtlich überlegte er die unwahrscheinlichen Möglichkeiten des Planes, der ihm gerade erklärt worden war. Seiner Ansicht nach konnte er nur von einem Halbverrückten entworfen worden sein. Er glaubte nicht, dass auch nur ein Bruchteil davon in die Tat umgesetzt werden konnte. Ihm wurde mit erschreckender Deutlichkeit klar, dass alle Mitglieder der Expedition auf verlorenem Posten standen. Es gab kein Entkommen, wenn die Kolonialmächte erst einmal auf die Tätigkeit dieser Gruppe aufmerksam wurden. Zunächst dachte er aber nicht an sein eigenes Schicksal, sondern an die Sicherheit der Frau neben sich.

»Das gegenwärtige Unternehmen birgt gewiss große Gefahren«, sagte Colt vorsichtig. »Mir scheint, dass es in erster Linie eine Männerangelegenheit ist. Deshalb erscheint es mir unverständlich, warum man dir erlaubt hat, die Gefahren und Unbequemlichkeiten auf dich zu nehmen, die sich mit der Durchführung eines so gewagten Planes immer verknüpfen.«

»Das Leben einer Frau ist nicht mehr wert als das eines Mannes«, erklärte sie. »Meine Mithilfe war nötig. Es gibt immer eine große Menge wichtiger und vertraulicher Schreibarbeiten, die Kamerad Zveri nicht irgendjemanden anvertrauen kann. Dazu bedarf er einer Sekretärin, auf die er sich verlassen muss. Ich genieße sein volles Vertrauen. Außerdem bin ich eine vollständig ausgebildete Stenotypistin. Diese Gründe allein könnten schon zur Genüge erklären, warum ich hier bin. Darüber hinaus gibt es noch einen sehr gewichtigen Grund, nämlich die Tatsache, dass ich auf meinen eigenen Wunsch mit Kamerad Zveri zusammen bin.»

Colt erkannte, dass sich hinter den einfachen Worten der Frau eine Romanze verbarg. Für sein amerikanisches Denken jedoch wäre eine Liebesbeziehung zwischen Zveri und Zora Drinov erst recht ein Grund gewesen, die Frau nicht in diese wilde Gegend zu führen. Er konnte sich jedenfalls nicht vorstellen, dass ein Mann die Frau, die er liebte, solchen Gefahren aussetzte.

Über ihnen bewegte sich Tarzan, der Affenmensch, mit äußerster Vorsicht. Zunächst griff er über seine Schulter und hob den kleinen Nkima von seinem Rücken. Das Äffchen hätte am liebsten laut losgeschimpft. Aber auf Tarzans leis geflüsterte Warnung hin blieb Nkima ganz still. Der Affenmensch kannte verschiedene Arten mit seinen Feinden fertig zu werden. Er hatte viel gelernt und weitgehende Erfahrungen gesammelt, schon lange bevor er wusste, dass er nicht zu den Affen gehörte. Längst ehe er den ersten weißen Mann zu sehen bekam, hatte er sich zum Herrn gemacht über die Gomangani, die schwarzen Bewohner des Urwaldes und des Dschungels. Er hatte gelernt, dass man schon einen entscheidenden Schritt zu dem endgültigen Sieg getan hat, wenn es gelingt, zunächst die Kampfmoral des Feindes zu untergraben. Er wusste nun, dass diese Leute nicht nur zu Unrecht in sein Besitztum eingedrungen waren und deswegen seine persönlichen Feinde sein mussten. Er hatte auch gehört, dass durch diese Verschwörer der Frieden der Welt und insbesondere Afrikas bedroht war, das er als seine Wahlheimat schätzte. Auch die übrige zivilisierte Welt war in höchster Gefahr, mit der Tarzan zum mindesten keinen Streit hatte. Es ist freilich wahr, dass er für die Zivilisation nur Verachtung empfand. Aber noch größer war seine Verachtung für alle Menschen, die sich in die Rechte ihrer Mitmenschen eindrängten, mochte es sich dabei um die natürliche Ordnung des Dschungels oder eines Staates handeln.

Tarzan verließ den Baum, in dem er sich versteckt gehalten hatte. Die beiden unter ihm vernahmen davon genau so wenig wie von seinem Kommen. Colt bemühte sich immer noch, den Geheimnissen der Liebe auf die Spur zu kommen. Er kannte Zveri und es erschien ihm unfassbar, dass eine Frau von der Art einer Zora Drinov sich an einen solchen Menschen gebunden fühlte. Natürlich, im Grunde genommen ging ihn die Sache nichts an. Dennoch wollte etwas in dem ganzen Bild nicht stimmen. Wenn Zora Drinov wirklich die Geliebte Zveris war, sank sie in seiner Achtung ein ganzes Stück. Diese Tatsache enttäuschte ihn. Aber Colt ließ sich nicht gerne enttäuschen, schon gar nicht von Menschen, zu denen er sich hingezogen fühlte.

»Du hast Kamerad Zveri in Amerika kennengelernt, nicht wahr?«, unterbrach Zora seine Gedanken.

»Ja», erwiderte Colt kurz.

»Was hältst du von ihm?«, fuhr sie fort.

»Er hat einen sehr starken Charakter«, gab Colt zurück. Ich halte ihn durchaus für einen Mann, der bis zum Ende durchführt, was er sich einmal vorgenommen hat. Sicherlich hätte man den Oberbefehl dieser Expedition in keine besseren Hände legen können.« Wenn die Frau etwa darauf ausgegangen war, Colt durch diese plötzliche Frage zu einer Bemerkung zu veranlassen, ob er Zveri schätzte oder verachtete, musste sie sich enttäuscht sehen. Sie war jedoch zu schlau, das Thema weiter zu verfolgen. Zora musste bald erkennen, dass sie es mit einem Mann zu tun hatte, der sich nur das entlocken ließ, was er freiwillig zu erzählen gedachte. Andererseits erkannte sie bald, dass Colt sehr leicht andere zum Reden veranlassen könne. Er gehörte zu jenem Menschentyp, dem man gern Vertrauen entgegenbringt. Seine Sprache und seine Haltung verrieten eine bestechende Sauberkeit des Charakters. Man hätte ihm einen Vertrauensbruch niemals zugetraut. Zora musste sich eingestehen, dass ihr dieser aufrechte, junge Amerikaner recht gut gefiel. Je näher sie ihn kennenlernte, desto schwerer wollte es ihr werden, in ihm einen Verräter an seiner Familie, an seinen Freunden und seinem Vaterland zu erblicken. Sie wusste jedoch, dass schon mancher ehrenwerte Mann für seine Überzeugung alles geopfert hatte. Vielleicht gehörte dieser Amerikaner zu ihnen. Jedenfalls hoffte sie im Stillen, die richtige Erklärung für seine Haltung gefunden zu haben.

Ihr Gespräch drehte sich um verschiedene Dinge – um ihr Leben, ihre Erfahrungen in den Heimatstaaten – und ging schließlich auf die Ereignisse über, die ihren Weg seit der Ankunft in Afrika bestimmt hatten. Endlich war man wieder bei den Vorkommnissen dieses Tages angelangt. Als das Gespräch sich um diesen Funkt drehte kehrte Tarzan, der Affenmensch, in den Baum über Zora und Colt zurück. Aber dieses Mal kam er nicht allein.

»Ich bin gespannt, ob wir jemals herausfinden, wer Jafar getötet hat«, meinte der Amerikaner.

Das Schweigen stand eine Weile unter dem Baum. Der Mann und die Frau überlegten, wie sich das Geheimnis wohl lösen ließe.

»Die Angelegenheit wird noch geheimnisvoller dadurch«, fuhr Colt fort, »dass keiner von unseren Askaris in der Lage war, den Typ des tödlichen Pfeiles zu bestimmen. Das mag indessen nicht viel zu bedeuten haben. Keiner unserer Leute stammt aus dieser Gegend.«

»Der Vorfall hat unsere Männer reichlich nervös gemacht«, warf Zora ein. »Ich hoffe zuversichtlich, dass sich etwas Ähnliches in absehbarer Zeit nicht wiederholt. Meiner Ansicht nach genügen geringe Aufregungen, um die Neger in eine wahre Panik zu stürzen. Die meisten Askaris sind tapfere Krieger, wenn es sich um Gefahren handelt, die sie kennen. Sobald aber etwas geschieht, das sie sich nicht erklären können und deshalb für übernatürlich halten, stürzen sie in wilder Flucht davon.«