TARZAN, DER UNBESIEGBARE

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Zweites Kapitel: Der Hindu

Beim Anbruch des nächsten Tages wurde es in dem Lager der Verschwörer sehr lebendig. Jetzt hatten die Beduinen keine Zeit für ihren Kaffee. Die weißen Männer legten ihre Karten beiseite und die Gallakrieger frönten nicht mehr ihrem Minkala.

Zveri saß hinter einem Klapptisch und teilte seine Leute ein. Zora und Raghunath Jafar halfen ihm, Patronen an die Männer auszugeben, die sich in einer langen Schlange an dem Tisch vorbeischoben. Miguel Romero und die beiden übrigen Weißen beaufsichtigten die Verteilung der Lasten unter die Träger. Der wilde, schwarze Kitembo schoss unter seinen Leuten hin und her. Hier scheuchte er Müßiggänger von dem verspäteten Frühstück auf und dort ließ er die bereits mit Munition versehenen Neger in Gruppen antreten. Abu Batn, der Scheik, saß in einiger Entfernung inmitten seiner sonnenverbrannten Krieger. Die Beduinen waren zu jeder Minute des Tages aufbruchbereit und beobachteten mit einiger Verachtung die langwierigen und aufgeregten Vorbereitungen ihrer Begleiter.

»Wie viele Leute wirst du zur Bewachung des Lagers zurücklassen?«, fragte Zora.

»Du bleibst mit Kamerad Jafar zurück. Ihr tragt die Verantwortung während meiner Abwesenheit«, erwiderte Zveri. »Eure persönlichen Diener und zehn Askaris bleiben als Lagerwache bei euch.«

»Das genügt bei weitem«, gab Zora zurück. »Hier droht uns keine Gefahr.«

»Nein«, stimmte Zveri zu, »jetzt nicht. Aber wenn dieser Tarzan hier wäre, könnte die Lage leicht gefährlich werden. Ich habe mit allen Mitteln versucht, seinen Aufenthalt festzustellen und herausgefunden, dass er nicht hier ist. Danach erst habe ich mich dazu entschlossen, unser Ausgangslager in diese Gegend zu legen. Ich bin darüber informiert worden, dass er für lange Zeit fortgegangen ist. Er beteiligte sich an einer verrückten Luftschiffexpedition, von der man nie wieder etwas gehört hat. Man darf mit Sicherheit annehmen, dass er nicht zurückkommt.«

Nachdem der letzte Neger seine Patronen empfangen hatte, versammelte Kitembo seine Stammesmitglieder in einiger Entfernung von den übrigen Teilnehmern der Expedition. Dort hielt er seinen Leuten mit gesenkter Stimme eine Rede. Sie gehörten zum Stamme der Basembo und Kitembo, ihr Häuptling, redete mit ihnen im heimatlichen Dialekt.

Kitembo hasste alle Weißen. Die Fremden hatten das Land besetzt, das seinem Volke seit undenklichen Zeiten Heimat gewesen war. Und da Kitembo, der erbliche Häuptling des Stammes, sich der Fremdherrschaft widersetzte, hatten die Weißen ihn aus seinem Amte entfernt. Zurzeit leitete ein unterwürfiger Kriecher die Geschicke seines Stammes, der den fremden Herrschern genehm war.

Für Häuptling Kitembo waren alle Weißen Teufel. Er war wild und grausam und hatte einen verräterischen Charakter. In der Zusammenarbeit mit Zveri sah er nur eine günstige Gelegenheit, sich an den Weißen zu rächen. Nur deshalb hatte er eine größere Anzahl Krieger um sich versammelt, um mit ihnen an diesem Unternehmen teilzunehmen, das nach Zveris Versprechungen die Fremden für immer aus dem Lande treiben sollte. Dann sollte Kitembo zu noch größerer Macht und zu noch weiterem Einfluss gelangen, als ein Basembohäuptling es jemals zuvor erreicht hatte.

Es fiel Kitembo allerdings nicht immer leicht, seine Männer bei der Stange zu halten. Seit der Besetzung seines Landes durch die Weißen waren seine Macht und sein Einfluss erheblich gesunken. Das führte soweit, dass verschiedene Krieger, die in früheren Zeiten gehorsam wie Sklaven waren, nun seine Autorität anzuzweifeln wagten. Solange die Expedition nichts weiter als kurze Märsche, ruhige Lager und genügend Verpflegung mit sich brachte, waren Widersprüchlichkeiten nicht vorgekommen. Die Schwarzen von der Westküste, die weniger kriegerisch waren als die Basembos, und andere Neger hatten als Träger die härteste Arbeit leisten müssen. Nun aber, da, wie es schien, die ersten Kämpfe bevorstanden, wollten einige von Basembos Männern durchaus wissen, wofür sie in den Kampf ziehen und was für sie dabei herauskommen sollte. Keiner von ihnen hatte besondere Lust, seine Haut zu Markte zu tragen, nur damit der weiße Zveri oder der schwarze Kitembo dadurch zu Ruhm, Ansehen und Reichtum kam.

Um diese unzufriedenen Zweifler zu beruhigen, hielt Kitembo jetzt seinen Kriegern eine Rede. Er versprach ihnen reiche Beute, wenn sie gehorsam blieben und drohte für eine etwaige Meuterei schreckliche Strafen an. Zveri und die anderen weißen Mitglieder der Gruppe wären erstaunt gewesen, hätten sie den Basembodialekt verstanden und gehört, was der Häuptling seinen Kriegern als Belohnung und Beute versprach. Mehr noch als durch diese Versprechungen wurden die schwarzen Krieger durch Angst und Furcht vor den Grausamkeiten des Häuptlings in Zucht gehalten.

Unter den übrigen schwarzen Teilnehmern an der Expedition befanden sich Männer aus verschiedenen Stämmen, die wegen ihrer Verbrechen ausgestoßen worden waren. Darüber hinaus gab es eine beträchtliche Anzahl von Trägem, die man auf dem normalen Wege angeworben hatte, um an einer nach außen hin als wissenschaftlich getarnten Expedition teilzunehmen. Für Abu Batn und seine Krieger gab es zwei Gründe, Zveri wenigstens vorübergehend die Treue zu halten. Wie immer waren die Beduinen auf Beute aus. Außerdem aber veranlasste sie ihr Hass gegen alle Weißen, bei diesem Unternehmen dabei zu sein. Der fremde Einfluss in ihrer Heimat und in den umliegenden Ländern, die sie als ihre angestammte Domäne betrachteten, hatte sie zu Zveris Gefolgsleuten gemacht.

Von den Weißen, die Zveri begleiteten, hätte man annehmen sollen, dass sie nur von edlen, wahrhaft menschlichen Beweggründen dazu angetrieben worden seien. Jedoch muss festgehalten werden, dass ihr Anführer öfter von den Möglichkeiten, sich persönlichen Reichtum und Macht zu erringen sprach, als von den Rechten der Unterdrückten oder der Brüderlichkeit unter allen Menschen.

Es war also eine recht lose zusammengewürfelte, dennoch nicht gerade schwache Expedition, die sich an diesem lieblichen Morgen aufmachte, um die Schatzkammern von Opar zu erobern.

Zora Drinov schaute den abmarschierenden Männern nach. Ihre schönen, klaren Augen ruhten auf der Gestalt Peter Zveris, bis er ihrem Blick entschwand. Die Kolonne zog ein Stück am Flussufer hinauf und verschwand im finsteren Dschungel.

Stand hier eine Frau, die mit ängstlichem Zagen den Geliebten unbekannten Abenteuern entgegenziehen sah, oder...

»Vielleicht kehrt er nie mehr zurück«, sagte eine ölige Stimme dicht hinter Zoras Rücken.

Sie fuhr herum und sah sich den halbgeschlossenen Augen Raghunath Jafars gegenüber.

»Er wird zurückkehren, Kamerad«, sagte sie bestimmt. »Peter Zveri kehrt immer zu mir zurück.«

»Du scheinst seiner sehr sicher zu sein«, meinte der Mann hinterlistig.

»Ganz sicher«, erwiderte Zora. Sie ging zu ihrem Zelt.

»Warte«, sagte Jafar.

Sie blieb stehen und drehte sich abermals um. »Was willst du von mir?«, fragte sie.

»Ich will dich«, gab er zurück. »Was hast du von diesem linkischen Kerl, Zora? Was versteht er schon von Liebe und Schönheit? Ich weiß dich richtig einzuschätzen, schöne Blume des Morgens. Mit mir zusammen würdest du die höchsten Freuden der vollkommenen Liebe erleben, denn ich bin ein Meister des Liebeskultes. Ein Tier wie Zveri würde dich nur entehren.«

Zora unterdrückte das Gefühl des Ekels und Abscheus. Sie wollte den Mann nicht merken lassen, was sie dachte. Denn die Expedition konnte viele Tage unterwegs sein. Während dieser Zeit war sie praktisch allein mit Jafar im Lager zusammen. Die wenigen Schwarzen kümmerten sich wahrscheinlich überhaupt nicht um die Beziehungen einer weißen Frau zu einem fremden Manne. Dennoch war Zora entschlossen, den Annäherungsversuchen des Inders ein für alle Mal ein Ende zu bereiten.

»Du spielst mit dem Tod, Jafar«, sagte sie ruhig. »Ich bin nicht hier, um mich in Liebesgeschichten einzulassen. Wenn Zveri erfährt, was du mit mir vorhast, wird er dich auf der Stelle töten. Erlaube dir nie wieder, mit mir so wie eben zu sprechen.«

»Es wird nicht mehr nötig sein«, erwiderte der Hindu hintergründig. Seine halbverschlossenen Augen wichen nicht von Zora Drinov. Eine Minute lang standen sie so voreinander. Zora Drinov fühlte eine seltsame Schwäche in ihren Gliedern und vermochte sich kaum noch aufrecht zu halten. Sie kämpfte gegen diese Schwäche an. Ihre ganze Willenskraft warf sie dem Manne entgegen. Plötzlich vermochte sie ihren Blick von seinem Blick loszureißen. Sie hatte gesiegt. Der Sieg aber ließ sie ihre eigene Schwäche erkennen. Sie zitterte wie nach einem schweren Kampf. Schnell drehte sie sich um und lief zu ihrem Zelt hinüber. Sie wagte es nicht zurückzuschauen, um nicht noch einmal der seltsamen Kraft dieser beiden unergründlichen Augen ausgesetzt zu sein. Raghunath Jafar schaute ihr nach. Weil Zora sich nicht umdrehte, sah sie nicht das ölige Lächeln der Zufriedenheit, das um die lüsternen Lippen des Hindu spielte. Sie hörte auch nicht wie er flüsternd wiederholte: »Es wird nicht mehr nötig sein!«

Langsam schob sich die Expedition auf dem Pfad entlang, der zu dem Fuß eines steilen Bergabsturzes, der unteren Grenze eines trockenen Hochplateaus, führte. Jenseits dieser Hochebene befinden sich die uralten Ruinen von Opar.

Weit im Westen suchte um die gleiche Zeit Wayne Colt den Weg zum Hauptlager der Verschwörer. Südlich davon ritt ein kleiner Affe auf dem Rücken eines großen Löwen. Von diesem sicheren Platz aus rief das Äffchen mit schriller Stimme allen Dschungelbewohnern die ärgsten Beleidigungen zu. Lautlos, aber von der gleichen Verachtung für alles andere Getier erfüllt wie das Äffchen auf seinem Rücken, schritt der mächtige Löwe hochmütig gegen den Wind den Pfad entlang. Er war sich seiner Macht bewusst und wusste, wie sehr ihn alle anderen fürchteten. In der Nähe des Pfades graste eine Antilopenherde. Das Leittier fing die scharfe Witterung der Riesenkatze auf. Die Tiere begannen nervös durcheinander zu laufen. Als der Löwe jedoch in Sicht kam, ging die Herde nur einige Schritte beiseite und machte ihm Platz. Noch während der Löwe zu sehen war, begannen die Antilopen wieder zu grasen. Numa, der Löwe, war satt und die Antilopen wussten, dass man Numa nicht zu fürchten brauchte, wenn er einen wohlgefüllten Magen hat. So wissen die Tiere der Wildnis viele Dinge, die dem Menschen mit seinen abgestumpften Sinnen verborgen bleiben. Auch andere Tiere, die sich in weiterer Entfernung befanden, fingen die Witterung des Löwen auf. Auch sie begannen sich nervös zu bewegen. Jedoch war ihre Furcht weitaus geringer als der erste Schrecken, der die Antilopen befallen hatte. Diese anderen Tiere waren die Riesenaffen vom Stamme des To-yat, dessen mächtige Bullen sich selbst vor Numa durchaus nicht zu fürchten brauchten. Für die Weiber mit den kleinen Balus lag jedoch Grund zu Besorgnis vor.

 

Als das Raubtier immer näherkam, wurden die Mangani unruhiger und reizbarer. To-yat, der König des Stammes, schlug sich wild auf die Brust und entblößte die riesigen Fangzähne. Ga-yat reckte die mächtigen Schultern und begab sich an den äußersten Rand der Lichtung, wo er der nahenden Gefahr am nächsten war. Zu-tho stampfte wütend auf seinen schwieligen Füßen einher. Die Affenweiber riefen ihre Balus herbei. Viele von ihnen brachten sich auf den unteren Ästen mächtiger Bäume in Sicherheit. Andere von ihnen hielten sich in der Nähe von Baumstämmen zu sofortiger Flucht bereit.

Bei diesem Stand der Entwicklung fiel plötzlich ein fast nackter, weißer Mann aus dem dichten Laubwerk eines Baumes und stand inmitten der Riesenaffen. Die Tiere waren so nervös und wütend, dass sie mit Gebrüll das verhasste Menschenwesen anfallen wollten. Der Affenkönig stürmte an der Spitze der ganzen Herde herbei.

»To-yat hat ein sehr schlechtes Gedächtnis«, sagte der Mann in der Sprache der Mangani, der Riesenaffen. Einen Augenblick zögerte der Anführer. Vielleicht war er überrascht, die Laute seines Stammes von den Lippen eines Menschenwesens zu hören.

»Ich bin To-yat!«, knurrte er. »Ich töte!«

»Ich bin Tarzan«, erwiderte der Mann. »Ich bin ein mächtiger Jäger und starker Kämpfer. Ich komme in Frieden.«

»Ich töte! Ich töte!«, schrie To-yat. Und die anderen riesigen Bullen schoben sich mit entblößten Fangzähnen drohend näher heran.

»Zu-tho! Ga-yat!«, schrie der Mann. »Ich bin es, Tarzan, der Affenmensch.«

Aber die Bullen waren nervös und erschrocken zu gleicher Zeit. Die Witterung des Löwen stand stark in ihren Nüstern. Hinzu kam der Schreck über Tarzans plötzliches Auftauchen. Die Riesenaffen waren einer Panik nahe.

»Töten! Töten!«, schrien sie durcheinander. Dennoch griffen sie nicht sofort an. Vielmehr kamen sie langsam näher heran. Dabei steigerten sie sich gegenseitig in eine wilde Wut hinein, die plötzlich in einen Blutrausch ausbrechen konnte, den kein lebendes Wesen überstehen würde. Gewiss wären dann selbst von Tarzan nicht mehr als ein paar blutige Fetzen übriggeblieben.

Der schrille Schrei von den Lippen einer großen, dicht behaarten Affenmutter mit einem winzigen Balu auf dem Rücken übertönte das Gebrüll der Bullen.

»Numa!«, schrillte sie und brachte sich mit mächtigen Sätzen im Geäst des nächsten Baumes in Sicherheit. Sofort suchten auch die übrigen Affenweiber mit den Kindern ihr Heil in der Flucht. Sie verschwanden in den Bäumen so schnell sie konnten. Die Affenbullen richteten ihre Aufmerksamkeit auf die neue Drohung und vergaßen den Menschen. Der Anblick, der sich ihnen bot, brachte sie noch mehr durcheinander. Ein mächtiger, gelber Löwe kam direkt auf sie zu. Seine runden, gelbgrünen Augen flammten vor Wildheit. Auf dem Rücken des Löwen aber hockte ein kleiner Affe, der den riesigen Bullen wüste Beschimpfungen entgegenschrie. Dieser Anblick war zu viel für die Affen vom Stamme des To-yat. Der Anführer wendete sich als erster zur Flucht. Mit einem Brüllen, dessen wilder Ton ihm wenigstens einen Teil seiner Selbstachtung erhalten sollte, sprang er den nächsten Baumstamm hinauf. Sofort folgten ihm die anderen und flohen. Der weiße Riese stand dem wütenden Löwen allein gegenüber.

Der König der Tiere näherte sich dem Menschen mit sprühenden Augen. Er senkte den Kopf und drückte sich flach an den Boden. Der Schweif war ausgestreckt und peitschte die Zweige des Gebüsches. Da sprach der Mann ein einziges Wort. Er flüsterte fast. Seine Stimme war nicht weiter als über einige Meter zu hören. Dennoch hob der Löwe sofort den Kopf. Der schreckliche Glanz in seinen Augen verschwand. Im gleichen Augenblick stieß der kleine Affe einen schrillen Schrei des Wiedererkennens und der Freude aus. Er sprang über Numas Kopf und war mit drei lächerlichen Sätzen auf der Schulter des Mannes angelangt. Die dünnen Arme klammerten sich um den bronzenen Hals.

»Lieber kleiner Nkima!«, flüsterte Tarzan. Die weiche Wange des Äffchens presste sich gegen sein Gesicht.

Der Löwe schritt majestätisch näher heran. Er beschnüffelte die nackten Beine des Mannes, rieb den Kopf an seiner Hüfte und ließ sich zu seinen Füßen nieder.

»Jad-bal-ja!«, begrüßte ihn der Affenmensch.

Von ihrer sicheren Zuflucht in den Bäumen herab beobachtete To-yat mit seinem Stamm die Szene. Angst und Wut der Riesenaffen ließen nach.

»Es ist Tarzan«, sagte Zu-tho.

»Ja, es ist Tarzan«, fiel Ga-yat ein.

To-yat knurrte. Er mochte Tarzan nicht leiden. Er fürchtete den Affenmenschen. Angesichts dieses neuen Beweises für die seltsamen Kräfte des großen Tarmangani wuchs seine Furcht noch mehr.

Eine Weile lauschte Tarzan dem raschen Schnattern des kleinen Nkima. Das Äffchen erzählte ihm von den fremden Tarmangani und den vielen Gomangani, den schwarzen Kriegern, die in das Land eingedrungen waren, das dem Herrn des Dschungels gehörte.

Die Riesenaffen bewegten sich rastlos in den Ästen hin und her. Sie wollten gerne herabklettern. Aber sie fürchteten Numa. Die großen Bullen waren zu schwer, um durch die Äste von Baum zu Baum zu klettern, wie es die kleineren Affenarten zu tun pflegen. Die Riesenaffen vermochten ihren Standort nicht zu ändern, solange Numa in der Nähe war.

»Geht fort!«, rief To-yat, der Affenkönig. »Geht fort und lasst die Mangani in Frieden.«

»Wir gehen gleich«, erwiderte der Affenmensch. »Ihr braucht euch indessen vor Tarzan und dem Goldlöwen nicht zu fürchten. Wir sind eure Freunde. Ich habe Jad-bal-ja gesagt, dass er euch nichts zuleide tun darf. Ihr könnt ruhig herunterkommen.«

»Wir bleiben in unseren Bäumen bis ihr fort seid«, sagte To-yat. »Der Löwe könnte sich vergessen.«

»Du hast Angst«, sagte Tarzan verächtlich. »Zu-tho oder Ga-yat würden keine Furcht zeigen.«

»Zu-tho fürchtet sich vor überhaupt nichts«, brüstete sich der große Bulle.

Ohne ein Wort kletterte Ga-yat kühn von seinem Baum herunter, der ihm Zuflucht geboten hatte. Er war von seiner eigenen Kühnheit nicht besonders begeistert und zögerte sogar ein wenig. Trotzdem näherte er sich Tarzan und Jad-bal-ja, dem Goldlöwen. Seine Stammesbrüder erwarteten, dass der Löwe im nächsten Augenblick angreifen und den Kühnen in Stücke reißen werde. Der Goldlöwe lag zu Füßen Tarzans und beobachtete jede Bewegung des rauhaarigen Affenbullen. Der Herr des Dschungels beobachtete seinerseits Numa. Niemand wusste besser als er, dass ein Löwe immer ein Löwe bleibt, mag er noch so sehr an Gehorsam gegenüber seinem Herrn gewöhnt werden. Während all der Jahre ihrer Freundschaft, seit Ja-bal-ja ein kleiner fleckiger Fellball gewesen war, hatte Tarzan niemals Grund gehabt, an seiner Treue zu zweifeln. Aber es hatte auch schon Zeiten gegeben, da es für ihn schwierig und sogar gefährlich war, die wilden, ererbten Instinkte der riesigen Bestie zu unterdrücken.

Ga-yat kam näher heran. Der kleine Nkima schimpfte und schnatterte von der Schulter seines Herrn herab, wo er sich in Sicherheit wusste. Der Löwe blinzelte träge und schaute schließlich in eine andere Richtung. Die Gefahr, wenn es überhaupt eine gegeben hatte, war vorüber. Nur in dem starren, aufmerksamen Blick eines Löwen liegt wirkliche Gefahr.

Tarzan ging dem Affenbullen entgegen und legte ihm freundlich die Hand auf die Schulter.

»Das ist Ga-yat«, sagte er zu Jad-bal-ja, einer von Tarzans Freunden. »Du darfst ihn nicht angreifen.«

Er bediente sich bei diesen Worten keiner menschlichen Sprache. Vielleicht konnte man diese Lautfolge überhaupt nicht als eine richtige Sprache bezeichnen. Aber der Löwe, der Riesenaffe und auch der kleine Manu verstanden ihn.

»Sage dem Mangani, dass Tarzan auch der Freund des kleinen Nkima ist«, schrillte die Stimme des Äffchens. »Sage ihm, dass er den kleinen Nkima nicht töten darf.«

»Es ist so, wie Nkima sagt«, versicherte der Affenmensch.

»Tarzans Freunde sind auch Ga-yats Freunde«, erwiderte der Riesenaffe.

»Das ist gut«, sagte Tarzan. »Nun wollen wir gehen. Richte To-yat und den anderen Stammesbrüdern aus, was wir gesagt haben. Erzähle ihnen auch, dass sich fremde Menschen in Tarzans Land aufhalten. Die Riesenaffen mögen die Fremden bewachen. Aber sorgt dafür, dass ihr nicht gesehen werdet. Denn vielleicht sind es böse Menschen, die Donnerstöcke bei sich tragen. Damit können sie den Tod über eine große Entfernung schicken. Er kommt mit Rauch und Feuer und einem lauten Knall. Tarzan geht jetzt fort, um nachzusehen, was diese Leute in seinem Land wollen.«

Zora Drinov war Jafar nach dem Abmarsch der Expedition geflissentlich ausgewichen. Sie hatte kaum ihr Zelt verlassen. Als Entschuldigung gab sie an, dass sie Kopfschmerzen habe. Der Hindu hatte keinen Versuch gemacht, bei ihr einzudringen. So verging der erste Tag. Am Morgen des zweiten Tages holte Jafar den Anführer seiner Askaris herbei, die im Lager als Wache zurückgeblieben waren und für das nötige Frischfleisch sorgen sollten.

»Heute ist ein günstiger Tag für die Jagd«, sagte Raghunath Jafar. »Die Vorzeichen sind günstig. Geh deshalb mit deinen Männern in den Wald. Nimm alle Askaris mit. Ihr braucht nicht vor Sonnenuntergang zurückzukehren. Wenn du meinen Befehl ausführst, werde ich dir ein Geschenk machen. Außerdem dürft ihr euch von eurer Beute so viel Fleisch nehmen, wie ihr essen wollt. Hast du verstanden?«

»Ja, Bwana«, erwiderte der Schwarze.

»Du nimmst auch den Diener der Frau mit. Er wird heute nicht benötigt. Mein Diener wird dableiben, und für uns kochen.«

»Vielleicht will er nicht mitgehen«, wendete der Neger ein.

»Ihr seid viele Askaris, und er ist allein. Aber sorge dafür, dass die Frau nichts davon erfährt.«

»Was für ein Geschenk erhalte ich?«, wollte der Anführer der Askari wissen.

»Du bekommst ein Stück Tuch und Patronen«, erwiderte Jafar.

»Und dann will ich noch das krumme Schwert haben, das du immer bei dir trägst, wenn wir uns auf dem Marsch befinden«, forderte der Schwarze.

»Nein«, sagte Jafar mit Bestimmtheit.

»Ich glaube, es ist heute kein günstiger Tag für eine Jagd«, sagte der Neger und wandte sich ab.

»Zwei Stücke Tuch und fünfzig Patronen«, schlug Jafar vor.

»Und den krummen Säbel«, beharrte der Neger.

Nach langem Hin und Her einigte man sich auf diesen Handel.

Der Anführer versammelte seine Askari und befahl ihnen, alles für die Jagd vorzubereiten. Der braune Bwana habe es angeordnet. Er erwähnte indessen nichts von den versprochenen Geschenken. Als die Kolonne fertig war schickte er einen Mann fort, um den Diener der weißen Frau herbeizuholen.

»Du gehst mit uns auf die Jagd«, sagte er zu dem Jungen.

»Wer hat das angeordnet?«, wollte Wamala wissen.

»Der braune Bwana will es so«, erwiderte Kahiya, der Askariführer.

Wamala lachte. »Ich nehme nur von meiner Herrin Befehle entgegen – nicht von dem braunen Bwana.« Kahiya sprang vorwärts und schlug dem Jungen die flache Hand über den Mund. Zwei seiner Männer packten Wamala und hielten ihn fest.

»Du gehorchst dem Befehl Kahiyas«, sagte der Anführer. Die Spitzen scharfer Jagdspeere wurden dem zitternden Jungen in die Haut gedrückt.

»Wirst du nun mit uns auf die Jagd gehen?«, fuhr Kahiya fort.

»Ich gehe mit«, erwiderte Wamala. Es war nur ein Scherz.

Während Zveri seine Expedition nach Opar führte, drängte Wayne Colt seine Männer und trieb sie zu größerer Eile an. Er war ungeduldig und wollte so schnell wie möglich das Lager erreichen.

 

Die Teilnehmer an dieser Verschwörung hatten Afrika an verschiedenen Stellen betreten, um nicht durch ihre große Anzahl Aufmerksamkeit zu erregen. Diesem Plan entsprechend war Colt an der Westküste an Land gegangen. Von hier aus war er landeinwärts gefahren, soweit die Bahnstrecke reichte. Von dort aus musste er sich auf einen langen und mühseligen Fußmarsch machen. Nun, da er sein Ziel fast in Sicht wusste, hatte er es eilig, diesen Teil seines Abenteuers schnell hinter sich zu bekommen. Außerdem war er recht neugierig auf die anderen Teilnehmer an diesem gefährlichen Unternehmen. Er kannte nur Peter Zveri, aber keinen von den anderen. Der junge Amerikaner war sich durchaus darüber im Klaren, welches Risiko er auf sich nahm, als er seine Beteiligung an diesem gefährlichen Unternehmen zusagte. Er wusste, dass der Frieden der Welt auf dem Spiel stand und dass es darum ging, einen großen Teil des nordöstlichen Afrikas der Kontrolle fremder, tyrannischer Mächte zu entziehen. Es ging darum, die großen und besonders kriegerischen Stämme gegen ihre Beherrscher aufzuwiegeln. Das Unternehmen wurde umso gefährlicher, als man sich auf besetztem Territorium bewegte. Die Besatzungsmacht war hier durchaus spürbar und stand keineswegs nur auf dem Papier.

Colt war jung und begeisterungsfähig, aber nur durch bestimmte Einflüsse zu diesem Unternehmen gebracht. Wegen der Gefährlichkeit des Unternehmens machte er sich keine großen Gedanken. Er freute sich auf das Abenteuer und erwartete gierig spannende Erlebnisse. Auf der langen Reise von der Küste ins Innere des Landes hatte er keinen ebenbürtigen oder auch nur unterhaltsamen Begleiter gehabt. Der kindliche Geist des jungen Tony vermochte sich nicht über verworrene Reden zu erheben, die sich alle um die Unabhängigkeit seiner Heimat drehten. Allenfalls malte er sich hin und wieder aus, welche schönen Sachen er sich kaufen wollte, sobald er seinen Anteil an den Reichtümern der Unterdrücker erhielt. Auf welchem Wege die Verteilung der für seine Begriffe unermesslichen Reichtümer jener Blutsauger, wie er sagte, vor sich gehen sollte, war ihm gänzlich unklar.

Trotz Tonys Beschränktheit mochte Colt den jungen Mann recht gern leiden. Vor die Wahl gestellt, den Philippino oder Zveri ständig um sich zu haben, hätte er sich bedenkenlos für Tony entschieden. Seine kurze Bekanntschaft mit Zveri in New York und in San Francisco hatte ihn davon überzeugt, dass dieser keine der Eigenschaften besaß, die man bei einem annehmbaren Mitspieler voraussetzt. Es war auch nicht anzunehmen, dass man im Hauptlager der Verschwörer auf Menschen stoßen würde, die seiner eigenen Geisteshaltung besser entsprachen.

Müde und abgespannt dahinschreitend nahm Colt die ihm inzwischen vertraut gewordenen Bilder und Geräusche des Dschungels kaum wahr. Die Urwaldlandschaft hatte längst ihren Reiz für ihn eingebüßt. Selbst wenn er aufmerksamer gewesen wäre, hätte er mit seinen ungeübten Ohren kaum auf das Geschnatter eines kleinen Affen geachtet, der anscheinend in einiger Entfernung hinter ihm durch die Bäume hüpfte. Die Gegenwart eines Äffchens machte keinerlei Eindruck auf den Amerikaner. Das wäre allerdings anders gewesen, wenn er gewusst hätte, dass dieser kleine Affe auf der Schulter eines bronzenen Apollo ritt, der geräuschlos von Baum zu Baum schwingend der Safari folgte. Tarzan, der unerwartet die Spur dieses weißen Mannes gekreuzt hatte, erriet sogleich, dass der Fremde wahrscheinlich auf dem Wege zum Hauptlager war, das der Herr des Dschungels suchte. Deswegen verfolgte der Affenmensch Wayne Colt mit der Ausdauer und Geduld eines wilden Dschungeltieres. Der kleine Nkima auf seiner Schulter beschimpfte seinen Herrn und Meister, weil er nicht sofort den Tarmangani und seine Leute umbringen wollte. Der kleine Nkima war nämlich schrecklich blutdürstig, sofern nicht er, sondern ein anderer das Blutvergießen zu besorgen hatte. Während also Colt ungeduldig seine Männer antrieb und während Tarzan ihn verfolgte, näherte sich Raghunath Jafar dem Zelt Zora Drinovs. Die Frau saß auf einem niedrigen Feldbett und las in einem Buch. Als der Schatten des Mannes über sie fiel, schaute sie auf.

Der Hindu lächelte sein öliges, nichts Gutes verheißendes Lächeln.

»Ich wollte mich erkundigen, ob deine Kopfschmerzen nachgelassen haben«, sagte er.

»Danke, nein«, erwiderte die Frau kalt. »Vielleicht lassen sie nach, wenn man mich nicht in meiner Ruhe stört.« Jafar nahm von dieser Zurechtweisung keine Kenntnis. Vielmehr trat er ins Zelt ein und ließ sich auf einem Feldstuhl nieder.

»Es ist so einsam hier«, sagte er, »seitdem die anderen fortgegangen sind. Findest du nicht auch?«

»Nein«, erklärte Zora. »Ich bin ganz zufrieden, wenn ich allein sein kann und ausruhen darf.«

»Deine Kopfschmerzen sind sehr plötzlich gekommen«, meinte Jafar. »Vor kurzer Zeit machtest du noch einen recht munteren und gesunden Eindruck.«

Die Frau gab ihm keine Antwort. Sie wunderte sich, was wohl mit Wamala, ihrem Diener, geschehen sein mochte. Sie hatte ihm ausdrücklich aufgetragen, niemanden das Zelt betreten zu lassen. Vielleicht vermochte Raghunath Gedanken zu lesen. »Man sagt den Ostindern oft nach, dass sie über geheime Kräfte verfügen, wenngleich der Beweis dafür noch nicht erbracht worden ist. Wie dem auch sein mag, seine nächsten Worte ließen an diese Möglichkeit denken. Wamala ist mit den Askaris auf Jagd gegangen«, erklärte er.

»Das habe ich ihm nicht erlaubt«, fuhr Zora auf.

»Ich habe mir die Freiheit genommen, ihn fortzuschicken«, sagte Jafar.

»Du hattest kein Recht, das zu tun«, meinte die Frau ärgerlich. Sie saß steil aufgereckt auf der Ecke des Feldbettes. »Ich finde, du nimmst dir allerhand heraus, Kamerad Jafar.«

»Einen Augenblick, meine Liebe«, meinte der Hindu beruhigend. »Wir wollen nicht streiten. Wie du weißt, liebe ich dich. Und von Liebe kann man nicht reden, wenn viele andere Menschen dabei sind. Vielleicht bin ich zu weit gegangen. Aber was ich tat geschah nur, um endlich eine Möglichkeit zu finden, mich in Ruhe mit dir auszusprechen. Außerdem, wie du weißt, ist in der Liebe und im Krieg alles erlaubt.«

»Dann wollen wir unser Zusammensein als Krieg bezeichnen«, sagte die Frau frostig. »Denn von Liebe kann gewiss keine Rede sein, weder auf deiner noch auf meiner Seite. Es gibt ein anderes Wort, um deine Gefühle zu beschreiben, Kamerad Jafar. Was meine Gefühle anbelangt, so sind sie dir gegenüber nicht gerade freundlich nach allem, was du dir erlaubt hast. Ich könnte dich nicht leiden, selbst wenn du der einzige Mann in der ganzen Welt wärest. Wenn Zveri zurückkehrt, das verspreche ich dir, wirst du die Rechnung zu bezahlen haben.«

»Lange bevor Zveri zurückkehrt wirst du von mir gelernt haben, was Liebe ist«, rief der Hindu leidenschaftlich. Er sprang auf und näherte sich der Frau. Sie fuhr gleichfalls hoch und schaute sich rasch nach einer Waffe um, mit der sie sich verteidigen konnte. Ihr Patronengürtel mit dem Revolver hing über der Lehne des Stuhles, auf dem Jafar gesessen hatte. Ihr Gewehr lag an der anderen Seite des Bettes.

»Du bist gänzlich unbewaffnet«, stellte der Hindu fest. »Ich habe bereits darauf geachtet, als ich ins Zelt trat. Es wird dir auch nichts nützen, wenn du etwa um Hilfe schreist. Niemand ist im Lager außer dir und mir. Mein Diener wird nicht herkommen, ehe ich ihn rufe. Er weiß, dass ich ihn niederschlage, wenn er nicht gehorcht.«

»Du bist eine Bestie!«, zischte die Frau.

»Warum willst du nicht vernünftig sein, Zora?«, fuhr Jafar ungerührt fort. Es kann dir nicht viel ausmachen, ein wenig nett zu mir zu sein. Die ganze Angelegenheit wird dadurch für uns beide leichter. Zveri braucht nichts davon zu erfahren. Wenn wir einmal in die Zivilisation zurückkehren und du dann immer noch der Meinung bist, dass du nicht bei mir bleiben magst, werde ich keinen Versuch machen, dich zu halten. Aber ich bin sicher, dass ich dich lehren kann, mich zu lieben. Wir werden sehr glücklich miteinander sein.«