WELTVERGESELLSCHAFTUNG

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Dominic D. Kaltenbach

WELTVERGESELLSCHAFTUNG

Leben mit der Untergangsprophezeiung -

Wie steht es um Familie, Arbeit und Religion?

Imprint

WELTVERGESELLSCHAFTUNG. Leben mit der Untergangsprophezeiung - Wie steht es um Familie, Arbeit und Religion?

Dominic D. Kaltenbach

published by: epubli GmbH, Berlin,

www.epubli.de

Copyright: © 2013 Dr. Dominic D. Kaltenbach

ISBN 978-3-8442-4480-9

Inhaltsverzeichnis

Warten auf den Untergang

Der Verfall der Familie

Der Verfall der Arbeit

Der Verfall der Religion

Der Verfall des Verfalls oder Vom Schein zum Sein

Literatur

Warten auf den Untergang

Es ist schlecht bestellt um unser Dasein: Familie, Arbeit, sogar die religiöse Orientierung und die Hoffnung auf das Jenseits - die großen Propheten unserer Zeit beklagen lautstark den Untergang all dieser Institutionen.

Schuld daran ist - natürlich die Globalisierung. Sie ermöglicht vor allem den wirtschaftlichen Akteuren, sich jeglicher Regulierung zu entziehen. Die Staaten werden gegeneinander ausgespielt, kulturelle Besonderheiten werden eingeebnet. Als Deutscher hätte man im Überlebenskampf sicherlich noch eine Chance gehabt. Aber kulturelle Hintergründe und Nationalität spielen im Einheitsbrei der Weltgesellschaft keine Rolle mehr. Unvorstellbar, dass sich irgendjemand auf der Weltbühne für den schlichten Menschen und seine Bedürfnisse interessiert.

Wer gegenteilige Beispiele zu kennen glaubt - alles vermarktungsorientierte Taktik. Hier tritt die Komplizin der Globalisierung auf den Platz - die Individualisierung. Sie löst die Menschen aus ihren Schutz gewährenden Einheiten heraus. Die Familie hatte von Anfang an keine Chance. Es ist offensichtlich, dass Erziehung und die Weitergabe von Überlieferungen nicht mehr stattfinden. Tradition muss unweigerlich durch Konsum ersetzt werden. Bedauernswert, wer aus Armut heraus nicht konsumieren kann. Aber die Orientierung an den Mitmenschen fällt erleichternd sowieso der resultierenden Ellenbogen-Mentalität zum Opfer. Gesellschaftliche Belange und die Zukunft nachfolgender Generationen spielen für das Handeln keine entscheidende Rolle mehr.

Die Diagnose ist gestellt. Die Propheten sind sichtlich zufrieden. Mit den beiden Prozessen als Schuldige lässt sich kein persönlicher Adressat ausmachen. Eine weitere Auseinandersetzung wäre bei der vorliegenden Plausibilität sowieso zwecklos. Es wird kommen, wie es kommen muss. Hilfe ist daher nicht zu erwarten. Bleibt zumindest, so lange als möglich durchzuhalten und den Besitzstand zu wahren. Als letzte verbliebene Sicherheit im Leben muss wenigstens die zweifelsfreie Tatsache des kommenden Untergangs erhalten bleiben. Dafür müssen die letzten unverbesserlichen Visionäre zum Arzt geschickt und Optimismus sicherheitshalber als Mangel an Informiertheit klassifiziert werden.

Der Untergang kommt! Es bleiben nur noch zwei wesentliche Fragen offen: Wie viel Zeit bleibt uns noch und was fängt man mit der verbleibenden Zeit an?

Für die augenscheinlich älteste Vorbereitungsmethode braucht es nur ein Boot. Die Größe bestimmt sich je nach Rettungsanspruch und reicht vom Einpersonen-Paddelboot Typ „Ego“ bis zum artenerhaltenden Stallboot Typ „Arche“. Früher eher selbst gebaut, vertraut man heutzutage auch gerne mal auf bereits vorgefertigte Modelle, die man immerhin noch selbst auf einen Berg schafft. Allerdings empfiehlt sich diese Vorbereitungsart nur dann, wenn man mit einem baldigen Auftreten großer Wassermassen rechnet.

Mit einer anderen Methode ist man schon auf ein breiteres Szenario eingestellt und diese eignet sich auch für einen mittel- bis langfristigen Erwartungshorizont. Immerhin den technischen Fortschritt nutzend, setzt man dabei, gar nicht so selten, auf den eigenen Bunker im Keller. Das Abwarten gestaltet sich bei dieser Art der Vorbereitung weit weniger einschränkend, als wenn man sich auf einen Berg begeben muss. Allerdings bleibt hier die Frage offen, ob man den Bunker dann jemals wieder verlassen können wird.

Beide Methoden gehen jedoch irrtümlich von einem Danach aus. Dabei legt der verbreitete Fatalismus eigentlich eher eine schnelle, stoische und damit zumindest selbstbestimmte Beendigung nahe. Vielleicht ist es aber doch besser, man ordnet zunächst noch seinen Nachlass - für wen auch immer. Das Schicksal lässt sich möglicherweise leichter ertragen, wenn man im Zuge dessen die Entwicklung noch einmal nachzeichnet. Man will, als sauberen Abschluss, doch zumindest verstehen, an welcher Stelle die fatale, die falsche Entscheidung gefällt wurde. Schließlich, und das wird niemand wirklich bezweifeln, war früher einmal alles eindeutig und damit selbstverständlich auch besser:

„Familie“ stand für eine uneingeschränkte Harmonie. Niemand kam auf die Idee, die familiale Ordnung, die jedem seinen Platz und seine Aufgabe zuwies, in Frage zu stellen. Die Kinder konnten wohlbehütet aufwachsen. Gewährleistet wurde dies durch die liebevolle, aufopfernde Mutter und selbstverständlich durch den biologisch dazugehörenden Vater. Der Vater wiederum übernahm uneigennützig die Versorgung der ganzen Familie. Die daraus begründete Stellung als Familienoberhaupt, mit uneingeschränkter Entscheidungsbefugnis, war in Anbetracht der Schwere dieser Aufgabe nur ein kleiner Dank.

„Unternehmer“ stand für Verantwortung und Anstand. Der Gewinn spielte für den Großteil der Menschen nur bei der Lotterie eine Rolle. Heuschrecken fand man ausschließlich auf der Wiese und erfreute sich an deren musikalischem Zirpen. Das Arbeitsleben war wohlgeordnet. Jeder wusste genau, wann im Leben eine entscheidende Veränderung anstand. Zuerst kommt die Schule, danach der Beruf und schließlich der wohlverdiente Ruhestand. Der Chef gab die Richtung vor und garantierte im Rahmen eines väterlichen Verhältnisses ein geordnetes Dasein auf Lebenszeit. Damit war der Chef in jeglicher Hinsicht auch Vorbild für die Organisation innerhalb der Familie.

„Glaube“ war weder das Gegenteil von Wissen noch ein Diskussionsangebot. Was man glaubte, das wusste jeder direkt nach der Geburt. Glaube war eine eindeutige Anweisung Gottes, der man in Demut und Reue nachkam. Es gab nur die eine, die wahre Religion. Diese gab Halt und Orientierung. Selbstverständlich kümmerte sich die Kirche auch um den privaten und intimen Bereich im Leben. Wer sonst hätte hier als Vorbild im Umgang mit den ständigen Versuchungen durch das Böse fungieren können. Das Böse war ebenfalls eindeutig eingegrenzt. Alle diejenigen, die den eindeutigen Aufforderungen Gottes, vertreten durch die Kirche, nicht Folge leisteten, waren für jeden offensichtlich vom Teufel besessen. Die Härten des Alltags ermöglichten in besonderer Weise ein gottgefälliges Leben und garantierten die alles entscheidende Belohnung im Himmel.

Der Verfall der Familie

Was ist aus der Familie nur geworden? Die Entwicklung war so vielversprechend. Dabei kam der Begriff „Familie“ in unseren Breiten erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf.

Vorher hatten die Menschen offensichtlich wenig bzw. einen eigenwilligen Sinn für Ordnung. Ab dem 14. Jahrhundert war zumindest so etwas wie ein „Haushalt“ vorherrschend. In der Regel zählten zu einem Haushalt meist ein Vater, eine Mutter, viele Kinder, Knechte, Mägde, Verwandte und Untermieter. Man schien sich allgemein auch recht gut zu verstehen. Das Zusammenleben dieser Haushaltsmitglieder spielte sich nämlich meist in nur einem Raum ab. In diesem wurde gearbeitet, gegessen und geschlafen. Auch gegenüber der dörflichen bzw. städtischen Gemeinschaft sah man nicht unbedingt die Notwendigkeit, auf Offenheit und Transparenz zu verzichten. Der Haushalt war mehr oder weniger ausschließlich für die Ernährung der in ihm lebenden Menschen verantwortlich. Er war eine Produktionseinheit. Unabhängig dessen, ob die Tätigkeit im bäuerlichen, handwerklichen oder protoindustriellen Bereich angesiedelt war. Verständlich, dass dabei materielle Motive und zusammenpassende Arbeitskompetenzen die Grundlage der Ehe waren. Wo die Härte der Zeit eine emotionale Beziehung zuließ, war diese immerhin durch eine patriarchale Struktur geprägt. Die Frau soll arbeitsfähig und gehorsam sein. Durch die fehlende Zeit für die Kinder kam es auf die mütterlichen Fähigkeiten sowieso nicht unbedingt an. Die Umsorgung der Kinder war ab dem 3. bzw. 5. Lebensjahr durch die Einbindung in den Arbeitsprozess gewährleistet. Um das Versorgungspotential des Haushalts nicht Übergebühr zu beanspruchen, war es nicht unüblich, dass die Kinder relativ früh die Eltern verlassen mussten. Sie wurden weggeschickt, um bei Verwandten oder auch Fremden in Dienst zugehen. Das Wohlbefinden der Kinder gehörte dabei nicht unbedingt zu den vordringlich zu berücksichtigenden Aspekten. Teilweise sahen diese Kinder ihre Eltern nie wieder.

In den gehobeneren Ständen lebte man sicherlich nicht unbedingt in dieser räumlichen Enge. Für den Umgang mit den Nachkommen dürfte auch weniger ein materieller Hintergrund ausschlaggebend gewesen sein. Vielmehr stand dort eine öffentlich repräsentative Lebensweise der Kinderbetreuung entgegen. Die Kinder wurden entsprechend von Kindermädchen und/oder dem Dienstpersonal versorgt. Im Vergleich zu jenen aus ärmeren Schichten dürfte diesen zumindest die schwere körperliche Arbeit erspart geblieben sein.

 

Es wird allgemein angenommen, dass die damals nicht unübliche mehr als verhaltene emotionale Beziehung zu den Kindern möglicherweise auf die große Anzahl derer und die allgemein ohnehin hohe Kindersterblichkeit zurückging. Es wird zwischenzeitlich ebenfalls angenommen, dass auch die Mehrgenerationenfamilie in Westeuropa aufgrund der geringen Lebenserwartung zwischen 35 und 40 Jahren nicht unbedingt vorherrschend war. Dieses idyllische Bild der Großfamilie war wohl doch eher eine Erfindung der Sozialwissenschaftler Mitte/Ende 19. Jahrhundert.

Die Idylle kommt aber spätestens mit der traditionellen bürgerlichen Kleinfamilie. Diese besteht aus einem verheirateten, auf jeden Fall und unbedingt verschiedengeschlechtlichen Paar, das mindestens mit einem Kind zusammenlebt. Zum erweiterten Kreis der Familie gehören fortan nur noch Blutsverwandte. Geheiratet wird nun nicht mehr aus materiellen Gründen, sondern selbstverständlich aus Liebe und Zuneigung. Eine Unterscheidung zwischen Ehe und Familie ist eigentlich überflüssig. Die Partnerschaft ist auf das gesamte Leben ausgelegt und verlangt das absolute Bekenntnis zur ewigen, monogamen Treue. Das Kinderbekommen gibt dem Rückzug in die Privatsphäre ihren Sinn. Das Private ist fortan der einzige Platz für emotionales Wohlbefinden und verbindet sich mit Wärme, Nähe, Sicherheit und Ruhe.

Die Schaffung dieser Oase ist der bürgerlichen Trennung von Erwerbsarbeit und Familie sowie der dazugehörenden geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung zu verdanken. Der Mann verlässt tagsüber das Haus, um schwer arbeitend seiner Rolle als Alleinverdiener gerecht zu werden. Die Frau darf selbstverständlich den ganzen Tag im Wohlfühlbereich des Privaten bleiben. Im Gegenzug hat sie sich mit bedingungsloser Liebe um das Wohl des Mannes und der Kinder zu kümmern. Die Sorge des Mannes um die Frau ist bei genauer Betrachtung aber nicht weniger tiefgründig. Diese Tiefgründigkeit zeigt sich vor allem darin, dass die nunmehr zentrale Zuständigkeit der Frau innerhalb der Familie früher nebenbei erledigt werden konnte und auch musste.

Eine Scheidung aus diesem Idyll kann niemand wirklich wollen. Entsprechend ist diese nur für absolute Ausnahmefälle vorgesehen und stark sanktioniert. Der meist einhergehende gesellschaftliche Ausschluss und die materielle Verarmung mussten sich die Frauen schon selbst zuschreiben. Immerhin setzt die Schaffung der privaten Oase eine nicht gerade geringe Anstrengung des Mannes voraus. Zwar lässt die Bescheidenheit vieler Männer dies nicht unbedingt erkennen, aber vor allem in unteren Schichten ist diese geschlechtsspezifische Rollenverteilung aus materiellen Gründen eher selten praktikabel.

Für den informierten Beobachter ist es wohl wenig überraschend, dass diese Anstrengungen, gerade seit den 1960er-Jahren, enorm an Stellenwert verloren zu haben scheinen. Zunächst begann die Anzahl der Scheidungen zu steigen. Seit den 1970er-Jahren überschlagen sich dann die familienbezogenen Ereignisse. So sinkt seither die Zahl der Eheschließungen, dafür steigt das durchschnittliche Alter bei der Heirat. Das gleiche ist bei den Geburten zu beobachten. Die Statistik verzeichnet einen stetigen Geburtenrückgang bei deutlich steigendem Alter der Erstgebärenden. Und wenn von einer steigenden Zahl berichtet werden kann, dann sind das die Geburten unehelicher Kinder und nichtfamilialer Haushalte. Was läuft hier nur schief? Was treiben die Menschen innerhalb der Familien?

In einem Satz zusammengefasst könnte man sagen, Vorgaben von außen raus und vieles, aus ursprünglich familienfremden Bereichen, rein. Als erstes werden alte Zusammenhänge auseinander gebrochen: Liebe und Ehe, Ehe und Elternschaft, biologische und soziale Elternschaft gehören nicht mehr selbstverständlich zusammen. Was unter Familie jeweils verstanden werden soll, muss nun von den Paaren in Abstimmung mit ihren jeweiligen Lebensbedingungen selbst ausgehandelt werden. Es wird geunkt, diese Entwicklung sei einzig und alleine auf die veränderten Möglichkeiten der Frau zurückzuführen. Das scheint bei den neuen Begrifflichkeiten auch durchaus naheliegend. Welcher Mann käme auf die Idee einer „pragmatischen Verhandlungspartnerschaft“ oder einer „Konsensualpartnerschaft“. Auch der völlige Rückzug aus der Öffentlichkeit in das Private und die einhergehende Bedeutungsaufladung der Partnerschaft scheint eindeutigen Ursprungs zu sein. Bereits heute muss man drei „Privatheitstypen“ mit ihrer jeweils charakteristischen Orientierung unterscheiden. Von der „Normalfamilie“ wird nur noch gesprochen, wenn die Orientierung auf die Kinder gerichtet ist. Daneben findet sich noch ein partnerschaftsorientierter und ein individualistischer Typus. Die ideale Partnerschaft vor Augen wird die ehemalige Oase der Ruhe mit riesigen Erwartungen und Ansprüchen beladen. Auf die unweigerlich immer häufiger auftretende Diskrepanz zwischen den gewünschten Lebensentwürfen und den Umsetzungsmöglichkeiten, folge ebenso unweigerlich Konflikt und Disharmonie und damit das Ende der Verhandlungspartnerschaft. Auffällig ist hier vor allem das relativ enge Verständnis, das bezüglich der Umsetzungsmöglichkeiten häufig angeführt wird. Die Menschen würden in der Modernisierungsfalle feststecken. Mit einem unbegrenzten Raum an Möglichkeiten vor Augen seien die hierfür fehlenden materiellen Umsetzungsmittel für die Menschen noch unerträglicher. Die physischen und psychischen Aspekte und die eigentlich immer noch gegebene Notwendigkeit, auf ein Ziel oder einen Wunsch hinarbeiten zu müssen, scheinen nach dieser Auffassung keine besondere Rolle zu spielen. Scheitern die Familien tatsächlich schlicht und einfach am Geld und an den entsprechend nicht umsetzbaren Möglichkeiten?

Betrachtet man hier die familiale Arbeitsteilung der neuen Lebensentwürfe, ergibt sich ein etwas anderes, wenig kreatives Bild. Zwar gibt es unter den Männern eine zunehmende Zahl an Vorreitern, bei denen sich durchaus bereits ein neuer Möglichkeitsraum bezüglich der Partnerschaft geöffnet hat. Insgesamt wird das Thema aber lieber besprochen als an dessen Umsetzung gearbeitet. Materielle Hintergründe dürften hierbei nicht unbedingt eine Rolle spielen. Zwischenzeitlich werden die unter Umständen einhergehenden finanziellen Einbußen zumindest teilweise durch den Staat abgefedert. Man spricht von einer verbalen Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre. Junge Männer können sich noch am ehesten vorstellen, Erziehungsurlaub zu nehmen. Allerdings wird die Kindererziehung dann nicht, wie bei den Frauen, als Hausarbeit, sondern als Form der Selbstverwirklichung charakterisiert. Die Gleichrangigkeit der Partner ist insgesamt auf der normativen Ebene wesentlich weiter fortgeschritten als auf der faktischen Ebene. Ein entsprechendes Rollenverhalten findet sich allerdings nicht nur durch die Männer begründet, sondern teilweise auch durch die Frauen selbst. Bei der Hausarbeit wird sogar von einer Re-Traditionalisierung gesprochen. Die übernommenen Tätigkeiten lassen sich angeblich immer noch geschlechtsspezifisch nach drinnen-draußen, leicht-schwer, fein-grob und trocken-nass trennen. Viele Frauen bleiben also trotz zunehmender Erwerbstätigkeit hauptsächlich und meistens alleine für den Haushalt zuständig.

Einige Erklärungsansätze hierfür erinnern stark an eine Unternehmensberatung. So werden Investitionen in die Beziehung zur Nutzenmaximierung herausgearbeitet. Auch die Kinder werden in diese Kosten-Nutzen-Kalkulation einbezogen. Der Kinderwunsch sei das Ergebnis der Abwägung des Konsum-, Einkommens und Versicherungsnutzens eines Kindes. Stellt sich eigentlich nur noch die Frage, wann die ersten Familien an der Börse notiert werden. Bemerkenswert und von den Männern tunlichst zu beachten ist auch der „Gender-Display-Ansatz“: Wenn die Frauen in der Beziehung schon die Hauptverdienerinnen sind, wollen sie wenigstens Zuhause durch die Übernahme der Hausarbeit ihre weibliche Rolle betonen.

Der Untergang der „Familie“ kann also eher nicht den Frauen in die Schuhe geschoben werden. Ist diese Redewendung überhaupt noch zeitgemäß? Vielleicht lässt sich der Untergang der Familie den Frauen zumindest in die High Heels schieben? Schließlich sind die Frauen durch das umfänglichere Erwerbsengagement aus der alten Versorgungsnotwendigkeit durch die Männer herausgelöst. Das schöne Druckmittel der Verarmung bei einer Scheidung zieht in diesen Fällen nicht mehr. Entsetzt sind vor allem jene Männer, die primär die Konformität und weniger die Individualität ihrer Angetrauten besonders lieben. Der Anteil an Vollzeit erwerbstätigen Müttern ist relativierend allerdings kontinuierlich gesunken. So arbeiten Frauen mit Kindern vor allem in Teilzeit und geringfügiger Beschäftigung. Auch wenn sich im Osten Deutschlands noch stärker das Doppelversorgermodell findet, sind die Frauen primär Zuverdiener, so dass das Ernährermodell fortan lediglich als „modifiziert“ bezeichnet werden muss. Die Doppelorientierung einer Balance zwischen Arbeit und Familie findet sich nach dem Soziologen Rüdiger Peuckert bundesweit bei 65% der Frauen. Trotz der Doppelbelastung durch Familie und Beruf, geht diese Orientierung (paradoxerweise) gegenüber einer reinen Familienorientierung als zentralem Lebensinhalt (14%) und einer reinen Berufsorientierung, bei der selbst nach der Geburt die Erwerbsarbeit Priorität besitzt (21%), mit einer größeren Zufriedenheit einher.

Das Auftreten der letzten Kategorie, die reine Berufsorientierung, wird immer wieder als Folge der Individualisierung bezeichnet. Entsprechend ausgeschmückt als Karrierefrau, die über Leichen geht - vor allem die der nicht geborenen Babys. Selbst wenn ein Kind da ist, könnten es unter anderen Umständen schließlich mehrere Kinder sein. Ein anderes Phänomen ist allerdings für die Individualisierung wesentlich charakteristischer. Zumal sich dieses Phänomen in allen drei Orientierungskategorien findet. So hat sich das Deutungsmuster verändert. Unabhängig welche Orientierung vorliegt, sie wird als eigene Entscheidung und nicht mehr als Entsprechung der normativen Vorgabe gewertet. Die Gewissheit der einen und unumstößlich richtigen Lebensform gibt es nicht mehr. Die Konfrontation mit unterschiedlichsten Alternativen führe entsprechend zur völligen Orientierungslosigkeit. Dabei fällt immer wieder auf, wie wenig den Menschen bei ihrer Lebensgestaltung zugetraut wird. Die aktive Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten als Kern der Individualisierung birgt zwar Risiken eigener Natur, denn getroffene Entscheidungen können sich durchaus auch als falsch erweisen. Doch führt sie bestenfalls zu einem ehrlicheren Umgang mit sich und seinen Mitmenschen. Im Zweifel mussten die Rollenmuster der bürgerlichen Kleinfamilie ein Leben lang ertragen und durchlitten werden. Der Familie als solcher würde jedoch ein zweifelhaftes Zeugnis ausgestellt, wenn diese alleine aufgrund von Alternativen dem Untergang geweiht wäre. Anders sieht die Bewertung aus, wenn zwar die Akzeptanz institutionell vorgegebener Rollenmuster abnimmt, die ausgehandelte Praxis aber durchaus Parallelen zur traditionellen Familie aufweist.

In der äußeren Erscheinung dominiert statistisch immer noch das traditionelle Familienmodell. Die Ehe ist allerdings nicht mehr die erste Wahl. Geheiratet wird meist erst nach der Geburt eines Kindes. Früher legitimierte die Ehe das Kind, heute legitimiert eben das Kind die Ehe. Zur Bestimmung von „Familie“ wird das Primat der Ehe sogar völlig aufgegeben. Verheiratet oder nicht-verheiratet ist nicht länger relevant. Die Elternschaft begründet jetzt Familie. Das bisher Undenkbare braucht nun einen Namen. Im Angebot sind u.a. „uneheliche Familie“, „Fortsetzungsfamilie“, „Patchworkfamilie“, „Einelternfamilie“, „Ein-Elternteil-Familie“.

Wie soll man sich bei diesem Durcheinander allerdings von außen noch ein Bild machen können, wer wie zusammengehört? Glücklicherweise findet sich eine hilfreiche, fünfstufige Einordnungsschablone für die Lebensform einer Person:

1. Existenz einer Paarbeziehung

Paarbeziehungen werden weiterhin als sehr bedeutsam eingestuft. Partnerwechsel müssen hier allerdings bezüglich der Dauer geprüft werden. Neben der „Traditions- bzw. Kontinuitätsbiographie“, charakterisiert durch langfristige feste Beziehung, hat sich nämlich die „Kettenbiographie“ etabliert. Dabei handelt es sich um mehrere feste Beziehungen in Folge. Vorsicht, die augenscheinliche Einstufung als alleinstehender Single kann erst nach Überprüfung des zweiten Punktes sicher vorgenommen werden.

2. Existenz einer Lebensgemeinschaft

 

Es könnte sein, dass zwar eine Paarbeziehung vorliegt, diese aber nicht in einem gemeinsamen Haushalt praktiziert wird. Das „Getrennt Zusammenleben“ bzw. „Living Apart Together“ findet sich wie die uneheliche Lebensgemeinschaft häufig bei Jüngeren. Aber auch Ältere wählen nach Beendigung einer festen Beziehung häufig diese Haushaltsform.

3. Institutionalisierungsgrad der Paarbeziehung

Die Heiratsneigung ist insgesamt zwar gesunken. Sie ist aber immer noch relativ hoch. Der Institutionalisierungsgrad sollte deshalb nicht vorschnell aus den Augen verloren werden. Immerhin wird die nichteheliche Lebensgemeinschaft selbst von vielen Anwendern nicht generell als andauernde Alternative angesehen. Hoffnung für Traditionalisten schüren hier Bezeichnungen wie „voreheliche Lebensgemeinschaft“ und “Ehe auf Probe“. Primär im großstädtisch-alternativen Milieu ist der Würfel allerdings gegen die Ehe gefallen.

4. Vorherrschendes Erwerbsarbeitsmodell

Früher war die Einstufung, wer wie die Familie ernährt, noch relativ einfach. Man musste lediglich beobachten, wer zwischen 7.00 und 8.00 Uhr das Haus verließ und zwischen 16.00 und 17.00 Uhr wieder zurückkehrte. Durch die neuen Möglichkeiten und Arbeitsformen, wie beispielsweise die Telearbeit, ist diese Einstufung von außen heute besonders schwierig. An- und Abwesenheitszeiten können hier nicht unbedingt als Indikator herangezogen werden. Auch das Antreffen der betreffenden Person zu den üblichen Arbeitszeiten in der Öffentlichkeit, spricht nicht generell für eine vorliegende Arbeitslosigkeit oder eine Arbeitsverweigerung.

5. Kinder

Diese Einstufung ist wieder einfacher. Macht sich durch Lärm oder sonstige Zumutungen ein Kind bemerkbar, handelt es sich um eine „familiale Lebensform“. Zu unterscheiden ist dann lediglich noch, wer wie zusammengehört. Ob die Elternschaft also biologisch oder sozial begründet ist. Ohne Kind liegt eine „nicht-familiale Lebensform“ vor. Wenn Kinder im Spiel sind, hört der Spass sowieso auf. Die gesellschaftlichen Forderungen beschränken sich hier jedoch nicht nur auf die einzuhaltenden Ruhezeiten. Während die Labilität von Partnerschaften allgemein noch eher akzeptiert wird, wird für die Elternschaft Bindung gefordert. Entsprechend hat zwar der Verbindlichkeits- und Verpflichtungscharakter der Ehe, nicht aber der Familie abgenommen. Innerhalb der Familien kommt es zu einer Bedeutungszunahme der Kinder. Diese sind nicht mehr nur selbstverständlicher Bestandteil der Beziehung. Kinder sind heute ein Ergebnis bewusster Entscheidung. Vereinzelt wird sogar bemängelt, dass die resultierende Zentrierung auf das Kind zu einer Vernachlässigung der Paarbeziehung führe. Insgesamt wird die Familie von allen Bevölkerungsgruppen, verstärkt auch von Jugendlichen, immer noch als sehr wichtig und für die eigene Zufriedenheit als sehr bedeutend eingestuft.

Spätestens jetzt stellt sich allerdings die Frage, weshalb dann überhaupt im Generellen gewährleistet sein muss, dass man sich von außen ein Bild über das Innen der Familien machen kann. Die Antwort ist so brisant wie einfach. Die Gesellschaft hat einen Anspruch darauf, dass die Familie durch Reproduktion und Sozialisation die quantitative und qualitative Nachwuchssicherung gewährleistet.

Nicht mehr und nicht weniger.

Die besten Kontrolleure sind - wie im Baurecht - nun einmal die Nachbarn. Diese Beobachter sehen nun, wahrscheinlich in Ermangelung der eben dargestellten Einordnungsschablone, die Nachwuchssicherung als gefährdet an. Es drängt sich hier allerdings der Verdacht auf, dass bei der Vielfältigkeit der Lebensformen vor allem die Kontrollierbarkeit und nicht die „Familie“ gefährdet ist.

Die quantitative Nachwuchssicherung scheint jedenfalls nicht per se mit den Veränderungen verbunden zu sein. In Schweden findet sich beispielsweise eine der stärksten Pluralisierungen der Lebensformen. Gleichzeitig hat Schweden allerdings auch eine der höchsten Geburtenraten Europas. In Italien wiederum kennt man kaum Formen außerehelichen Zusammenlebens. Die Fortpflanzungstätigkeit ist dennoch, zumindest bezüglich des erhofften Ergebnisses, eher niedrig. Die resultierende Empfehlung läge auf der Hand, gliche beispielsweise Irland bei den Beziehungsformen nicht Italien und überträfe bei der Geburtenrate dabei sogar noch Schweden. Es erscheint insgesamt wenig erfolgsversprechend, die Geburtenrate über staatliche Lenkungsmechanismen beeinflussen zu wollen. So wird davon ausgegangen, dass staatliche Maßnahmen, wenn sie überhaupt einen Effekt zeigen, dazu führen, dass eine ohnehin geplante Geburt lediglich zeitlich vorverlagert wird.

Bei der qualitativen Nachwuchssicherung scheint der Verfall allerdings schon offensichtlicher. Wenn die allgemein akzeptierten normativen Verbindlichkeiten keine uneingeschränkte Anwendung mehr finden, muss die Kindererziehung scheitern. Aber von was ist hier eigentlich die Rede - Erziehung? Scheitert die Erziehung in der heutigen Zeit, weil die körperliche Züchtigung nicht mehr Bestandteil sein darf? Haben die Vertreter der 68er-Bewegung die Erziehung kaputt gemacht? Wie konnte dann deren eigene, an Tradition orientierte Erziehung zu einer derartigen Entgleisung führen? Fragen über Fragen.

Erziehung ist ganz allgemein zunächst ein Bestandteil der Sozialisation. Sie bezeichnet abgrenzend dabei die bewussten und gezielten Einflussnahmen auf die Persönlichkeitsentwicklung. Die Bedeutung dieser Entwicklung kann kaum zu hoch eingeschätzt werden. Ein Autor spricht sogar von der „zweiten Geburt“. Die erste Geburt bringt entsprechend lediglich den physischen Menschen hervor. Erst durch die zweite Geburt hat man es mit einer soziokulturellen Person zu tun. Ob diese zweite Niederkunft weniger Schmerzen verursacht als die erste, ist nicht untersucht. Jedenfalls dauert sie wesentlich länger. Schließlich beinhaltet sie nicht nur die erste emotionale Fundierung, sondern auch erste rudimentäre Kategorien des Weltverstehens und des Weltvertrauens. Auf diese erste soziale Positionierung kann dann die Vermittlung der Kultur, die sogenannte Enkulturation erfolgen. Dabei führt die Interaktion mit den Erziehungspersonen zu einer spezifischen individuellen bzw. sozio-kulturellen Prägung. Die Kinder werden im Zuge dessen also auf die spätere Übernahme ihrer sozialen Rollen in der Gesellschaft vorbereitet. Weshalb später das schon früh erworbene Weltvertrauen augenscheinlich mit zunehmendem Kenntnisstand wieder abnimmt, bleibt ein Rätsel, an dem auch die Untergangspropheten scheitern. Sie weisen jedenfalls jegliche Unterstellung der Mittäterschaft zurück. Festzuhalten bleibt an dieser Stelle jedoch, dass die Sozialisation nicht alleine in der Verantwortung der Familien liegt. Es werden insgesamt drei Sozialisationsinstanzen unterschieden. Die primäre Instanz ist die Familie. Als sekundäre Instanz kommen dann die Schule und allgemeine Bildungseinrichtungen hinzu. Die tertiäre Instanz fasst den verbleibenden Rest zusammen. Darunter fallen Freizeitorganisationen und die Gleichaltrigen ebenso wie die Medien. Wenn es allerdings keine allgemeingültigen Verbindlichkeiten mehr gibt, wo soll diese institutionelle Erziehung dann anknüpfen? Alleine innerhalb der Familien komme es bereits zu einem enorm hohen Kommunikationsaufwand und unweigerlich zu einhergehenden Konflikten und Partnerschaftsproblemen. Ganz zu schweigen von den entsprechenden Bedingungen für die geforderte Erziehungspartnerschaft. Hier sollen alle an der Erziehung eines Kindes Beteiligten - Eltern, Großeltern, Verwandte, Lehrer, Vereinsbetreuer etc. - dafür Sorge tragen, dass das Kind in seiner Erziehung eine einheitliche Linie erfährt. Zur Auswahl stehen hier vier Kategorien: Der „reife Erziehungsstil“ beinhaltet deutliche Forderungen in Verbindung mit emotionalem Rückhalt. Dieser findet sich, so Rüdiger Peuckert, in Westdeutschland in 32%, in Ostdeutschland in 41% der Familien. Der sogenannte „naive Erziehungsstil“ betont wesentlich stärker den emotionalen Rückhalt. Forderungen an das Kind werden hier keine gestellt. Diese Form der familialen Wärme findet sich bei 49% der Familien im Westen und bei 43% im Osten. Um so kälter erscheint vor diesem Hintergrund der „gleichgültige Erziehungsstil“. Hier werden ebenfalls keine Forderungen gestellt, im Gegenzug gibt es allerdings auch keinen emotionalen Rückhalt. Diese Form der absoluten Selbstständigkeit wird in 15% der Familien im Westen und in 11% der Familien im Osten gepflegt. Die heutige Bezeichnung und die nur noch geringe Verbreitung des letzten Erziehungsstils dürfte nicht unwesentlich auf die 68er-Bewegung zurück gehen. Forderungen ohne jeglichen Rückhalt zu stellen, war früher gang und gäbe. Heute wird dies als „paradox“ bezeichnet. Dieser Stil findet sich noch bei 4% der Familien im Westen und bei 5% im Osten.

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