Das hat ja was mit mir zu tun!?

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3Diskriminierung – Was ist das eigentlich?

»Menschen werden nicht wegen ihres Geschlechts, Glaubens, ihrer Abstammung, Sprache, Heimat, Herkunft, Orientierung oder Behinderung diskriminiert. Sie werden diskriminiert, weil die Gesellschaft strukturell rassistisch, sexistisch, trans-, homo- und behindertenfeindlich ist.« 8

Sibel Schick (2020)

Bei einem Blick in die Fachliteratur lassen sich für den Begriff der Diskriminierung viele unterschiedliche Definitionen finden. Dies erklärt sich vor allem durch die unterschiedlichen (Forschungs-)Perspektiven, die bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Diskriminierung eingenommen werden können. Hierzu zählen unter anderem eine soziologische, eine sozialpsychologische oder auch eine juristische Perspektive.9 Auch unterscheiden sich die Definitionen in ihrer Komplexität, womit durchaus verschiedene Praxisfelder berücksichtigt und überhaupt der Zugang und Einstieg in diese vielschichtigen Wirkungsmechanismen erleichtert werden können. So verstehen Pates, Schmidt und Karawanskij (2010, S. 255) unter Diskriminierung, »dass eine Person schlechter als andere behandelt wird, weil sie einer bestimmten Gruppe zugeordnet wird oder ein bestimmtes Merkmal hat«. Hormel und Scherr (2010, S. 7) geben folgende Begriffsbestimmung: »Als Diskriminierungen gelten gewöhnlich Äußerungen und Handlungen, die sich in herabsetzender oder benachteiligender Absicht gegen Angehörige bestimmter sozialer Gruppen richten«. Aus der Kombination dieser beiden Definitionen ergeben sich zunächst drei wichtige Aspekte von Diskriminierung. Erstens geht es bei Diskriminierung um eine Ungleichbehandlung bzw. Benachteiligung. Zweitens zeigt sie sich sowohl in Sprache als auch in Verhaltensweisen und konkreten Handlungen. Drittens sind die Menschen davon betroffen, die als Angehörige bestimmter sozialer Gruppen wahrgenommen werden, egal ob sie tatsächlich Mitglieder dieser Gruppen sind bzw. sich selbst als solche identifizieren oder nicht. Scherr, El-Mafaalani und Yüksel (2017, S. vi, Hervorh. im Orig.) erweitern diese Definitionen und Aspekte, indem sie

»Diskriminierung hier nicht allein als eine Folge von benachteiligenden Handlungen [verstehen], denen Stereotype zu Grunde liegen, sondern als ein komplexes soziales Phänomen, das auf historische gewordene soziale Verhältnisse, auf institutionell verfestigte Erwartungen und Routinen, organisatorische Strukturen und Praktiken sowie auf Diskurse und Ideologien verweist«.

Dies bedeutet auch, dass sich diskriminierendes Verhalten nicht nur in intentionalen Handlungen vollzieht, sondern auch nicht intendiertes Handeln, das beispielsweise vor dem Hintergrund unhinterfragter Normsetzungen ausgeführt wird, mit einschließt.

3.1 Verschiedene Ebenen von Diskriminierung

Neben dem Verweis auf die historischen Kontinuitäten von Diskriminierungsverhältnissen werden verschiedene Ebenen benannt, auf denen Diskriminierung stattfindet. Häufig wird Diskriminierung als Vorgang zwischen zwei Personen, also als Bestandteil individuellen Interaktionsverhaltens betrachtet. Dies beschreibt die individuelle Ebene, die jedoch nur eine von drei Ebenen darstellt. Diskriminierung entfaltet ihre Wirkmächtigkeit auch, und erst dadurch so umfassend, auf einer strukturellen bzw. institutionellen sowie auf einer ideologischdiskursiven Ebene (vgl. Pates et al. 2010, S. 34 f.; siehe auch Schmidt, Dietrich u. Herdel 2009; Gomolla 2010, 2017). Diese werden in Kapitel 4.4 am Beispiel rassistischer Diskriminierung näher beleuchtet.

3.2 Direkte und indirekte Diskriminierung

Eine weitere Unterscheidung, die hinsichtlich Diskriminierung getroffen wird und sich vor allem auf die strukturelle bzw. institutionelle Ebene beziehen lässt, ist die der direkten und indirekten Diskriminierung10. Gomolla (2017, S. 145) versteht unter direkter institutioneller Diskriminierung, wenn bestimmte Menschen kontinuierlich, bewusst und absichtlich in oder durch Institutionen Ungleichbehandlungen erfahren. Dies kann sowohl formell, also über Gesetze sowie Handlungsanweisungen in Organisationen, als auch informell, zum Beispiel über Routinen oder ungeschriebene Regeln geschehen. Dabei erfolgt die Ungleichbehandlung unmittelbar aufgrund eines Diskriminierungsmerkmals (Fereidooni 2016, S. 44). Im Gegensatz hierzu handelt es sich bei der indirekten Diskriminierung um Vorschriften, Praktiken und Handlungsweisen, die vermeintlich merkmalsneutral sind und für alle Menschen gelten bzw. von denen alle gleichermaßen betroffen sind (ebd., S. 44). Die Diskriminierung entsteht in diesem Zusammenhang dadurch, dass »die Chancen, vermeintlich neutrale Normen erfüllen zu können, bei Angehörigen verschiedener sozialer Gruppen grundsätzlich ungleich verteilt sind« (Gomolla 2017, S. 146).

3.3 Relevante Merkmale für Diskriminierung

Wer ist von Diskriminierung betroffen bzw. kann von ihr betroffen sein? Von welchen sozialen Gruppen wird hier gesprochen? Welche Merkmale werden als »diskriminierungsrelevante Differenzkategorien« (Fereidooni 2016, S. 44) gesehen? Abbildung 1 gibt in Anlehnung an Zick, Küpper und Berghan (2019) hier einen Überblick, aus dem sich betroffene (und konstruierte) Gruppen ableiten lassen. Neben tatsächlicher oder vermeintlicher bzw. zugeschriebener Herkunft, Geschlecht, Religionszugehörigkeit oder sexueller Orientierung zeigt sie weitere für den Diskriminierungskontext relevante Kategorien auf.11 Wie im Diskriminierungsverständnis von Scherr et al. (2017, S. vi), wird auch hier deutlich, dass die einzelnen Kategorien (z. B. Rassismus, Sexismus, Antisemitismus) auf Ideologien der Auf- und Abwertung basieren. Gleichzeitig kann der Ideologiegrad zwischen den einzelnen Elementen, aber auch innerhalb eines Elementes sehr unterschiedlich ausfallen. Je nach Einstellung und Manifestation kann dies von »einfachen« Stereotypen und Vorurteilen bis hin zu mehr oder minder geschlossenen Ideologiekomplexen reichen.

Grundsätzlich ist den jeweiligen Diskriminierungsformen gemein, dass sie von einer »Ideologie der Ungleichwertigkeit« ausgehen. Konkret stellt sich also hier die Frage, ob Personen davon ausgehen, dass alle Menschen gleich viel wert sind, oder eben nicht. Dies bezieht sich in einem erweiterten Sinne auch auf Organisationen in ihren Routinen und Handlungen oder auch auf gesellschaftliche Diskurse. Die empirischen Untersuchungen von Zick et al. beziehen sich jedoch lediglich auf individuelle Einstellungspotenziale. Eine zugrunde liegende Ideologie der Ungleichwertigkeit zeigt sich auch darin, dass die Wahrscheinlichkeit zur Zustimmung zu einer Kategorie steigt, sobald einer anderen zugestimmt wird. Zick, Küpper und Krause (2016, S. 52) verweisen hier auf einen »substanziellen Zusammenhang nahezu aller Elemente untereinander«. So belegen sie empirisch die Überlegungen hinsichtlich der »ideologischen Verknüpfungen«, wie sie beispielsweise Miles (1991, S. 116) für Rassismus und Sexismus anstellte.

Abb. 1: »Ideologie der Ungleichwertigkeit« in Anlehnung an Zick et al. (2019)

Hieran anschließen lassen sich auch die Überlegungen zur Intersektionalität12, also das Betroffensein von mehreren Diskriminierungsformen. Wichtig dabei ist, dass es sich bei dem Erleben von Intersektionalität nicht lediglich um eine Anhäufung der Diskriminierungserfahrungen handelt, sondern dass durch eine Verschränkung der Diskriminierungsformen, also durch die Schnittmenge dieser, eine neue, eigene Form der Diskriminierung entsteht (vgl. AlSabah 2020, S. 20). Meint also,

»dass soziale Kategorien wie Gender, Ethnizität, Nation oder Klasse nicht isoliert voneinander konzeptualisiert werden können, sondern in ihren ›Verwobenheiten‹ oder ›Überkreuzungen‹ (intersections) analysiert werden müssen« (Walgenbach 2012, S. 81, Hervorh. im Orig.).

Beispielsweise kann eine Rollstuhlfahrerin of Color nicht nur als Frau, als Mensch of Color sowie als Person, die auf einen Rollstuhl angewiesen ist, Diskriminierung erfahren, sondern eben gerade in der Überschneidung als Rollstuhlfahrerin of Color eine spezifische Form der Diskriminierung erleben. Für die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Macht- und Diskriminierungsverhältnissen ist eine intersektionale Perspektive von großer Bedeutung. Dementsprechend auch speziell im Kontext von Beratung (siehe z. B. Interview mit Souzan AlSabah in diesem Buch).

3.4 Machtpositionen und Privilegien

Eng verknüpft und eine Voraussetzung für gesellschaftliche Diskriminierungsverhältnisse sind gesellschaftliche Machtstrukturen und die sich daraus ergebenden Machtpositionen. Hierbei geht es nicht nur um politische oder ökonomische Entscheidungsgewalt und Möglichkeiten der Machtausübung, sondern auch um situative Macht und die eigene gesellschaftliche Positioniertheit. Denn diese ermöglichen in Kombination mit Stereotypen und Vorurteilen Diskriminierung (vgl. Schmidt 2009, S. 82). Abgeleitet aus den Überlegungen zu Abb. 1 und im Sinne der Intersektionalität wird deutlich, dass nicht alle Menschen gleichwahrscheinlich von Diskriminierung betroffen sein können. Hieraus ergibt sich ein Teil der gesellschaftlichen Positioniertheit und der damit verbundenen Machtposition und Privilegien: Denn wo Menschen Diskriminierung erfahren, gibt es auch immer andere, die davon profitieren (unabhängig davon, ob sie selbst aktiv diskriminieren oder sich dessen bewusst sind). Die Benachteiligung von marginalisierten Personen ist die Bevorzugung von dominant positionierten Personen. Diese erhalten dadurch Privilegien, die ohne entsprechende Reflexion über gesellschaftliche Diskriminierungsverhältnisse meist nicht als solche, sondern als Normalität wahrgenommen werden. Jedoch können sich beispielsweise nicht alle Kinder und Jugendlichen sicher sein, dass sie in der Schule nach den gleichen Kriterien benotet werden wie viele ihrer Mitschüler*innen. Gleiches gilt für die Bewerbung auf eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle.13 Durch die Anerkennung der Existenz von Privilegien, die vielen häufig nicht bewusst sind, ergibt sich auch der Bruch mit dem gesellschaftlichen Narrativ, dass Menschen in einer Leistungsgesellschaft lediglich nach ihrer individuell erbrachten Leistung wahrgenommen und bewertet werden würden. Im Zusammenhang mit Machtpositionen geht es auch darum, ob Menschen, die Diskriminierung sichtbar machen oder sich darüber beschweren, zugehört wird. Und wenn ja, wer dann über die Deutungshoheit verfügt: Wer also hat die Macht, zu definieren, ob etwas diskriminierend ist oder nicht? Hier zeigt sich auch die Verteilung von symbolischer Gewalt bzw. Macht im Sinne Bourdieus (vgl. Moebius u. Wetterer 2011; Schmit u. Woltersdorff 2008). Privilegiert sein heißt auch, »die Wahl zu haben, sich mit Diskriminierung zu beschäftigen oder eben nicht. Menschen, die Diskriminierung erleben, müssen dies ungewollt immer wieder tun« (Köttler u. Gold 2019, S. 6).

 

8Auf Twitter abrufbar: https://twitter.com/sibelschick/status/1271857145072570370 [25.09.2020]

9Für eine Sammlung und Darstellung verschiedener Forschungsperspektiven im Themenfeld Diskriminierung siehe Scherr, El-Mafaalani u. Yüksel (2017).

10Fereidooni (2016, S. 44) spricht in vergleichbarer Weise von unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung. Rommelspacher (2011, S. 31) nutzt im Kontext rassistischer Diskriminierung das Begriffspaar explizit und implizit.

11Die Darstellung der Kategorien soll nicht als abgeschlossen verstanden werden. Im Laufe der regelmäßig erscheinenden Studien von Zick et al. wurden diese sukzessive ergänzt oder auch Kategoriebezeichnungen verändert. Dennoch ist darauf hinzuweisen, dass unter macht- und rassismuskritischer Perspektive immer noch problematische Begriffe genutzt werden, die hier ersetzt wurden. Zu einer rassismuskritischen Kritik siehe auch Hykel (2013).

12Der Begriff geht im Englischen auf »Intersectionality« von Crenshaw (1989) zurück. Die amerikanische Juristin untersuchte in kritischen Fallanalysen verschiedene Antidiskriminierungsurteile in den USA. Sie spricht hier von einem »Paradigma Intersektionalität«, das mit Bezügen zum Black Feminism und der Critical Race Theory entstanden ist (siehe dazu Marten u. Walgenbach 2017, S. 158 ff.). Für eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Themenfeld siehe Lutz, Herrera, Vivar u. Supik (2013) oder auch das www.portal-intersektionalitaet.de der Bergischen Universität Wuppertal.

13Beispiele hierfür werden in Kapitel 4.4.1 mit Verweis auf empirische Studien aufgeführt.

4Rassismus: Ein gesellschaftliches Machtverhältnis

»Rassismus ist die Norm und nicht die Ausnahme. Und um ihn zu demontieren, ist es immens wichtig, dass wir dies anerkennen und begreifen.«

Tupoka Ogette (2019, S. 41)

Nachdem in Kapitel 3 Diskriminierung im Allgemeinen dargestellt worden ist, folgt nun die Fokussierung auf Rassismus als eine spezielle Form von Diskriminierung. An dieser Stelle sei auf die Bedeutsamkeit der Auseinandersetzung in systemischen Kontexten mit anderen Diskriminierungsformen (z. B. Sexismus oder LGBTIQ*-Feindlichkeit) und ihren Überschneidungen im Sinne der Intersektionalität (siehe Kap. 3.3) verwiesen.

Ist von Rassismus die Rede, so denken viele Menschen an rassistische Hetze oder gar an körperliche Übergriffe aus rassistischen Motiven. Diese Erscheinungsformen stellen jedoch nur die Spitze des Eisberges dar. Rassismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen und wirkmächtige Diskriminierungsform begründet sich in kolonialen Traditionen und ist gesellschaftlich tief verankert. Auch wissenschaftlich existieren unterschiedliche Verständnisse von Rassismus. Biskamp (2017, S. 272) differenziert zwei Richtungen, die er im Feld der Rassismusforschung ausmacht: Zum einen benennt er ein »ideologiekritische[s] Verständnis von Rassismus als falsches Bewusstsein«, zum anderen ein »machtkritische[s] Verständnis von Rassismus als soziales Dominanzverhältnis oder Diskurs«. Ersteres vertritt beispielsweise Miles (1991, S. 106), indem er für rassistische Ideologien im Allgemeinen vier zentrale Kennzeichen ausmacht: Erstens handelt es sich bei rassistischen Ideologien um Ideologien der Ein- und Ausgrenzung. Es steht also immer eine gedanklich konstruierte In-Group einer Out-Group14 bzw. verschiedenen Out-Groups gegenüber. Zweitens stellt Miles (1991, S. 106) fest, dass Rassismus in seiner alltäglichen Form stark in Bezug auf die theoretische Dichte variiert. So kann Rassismus »als relativ zusammenhängende Theorie mit innerer Logik oder als eher fragmentarische Ansammlung von Klischees, Bildern und Zuschreibungen für das Alltagsleben auftreten« (Zerger 1997, S. 139). Als drittes Kennzeichen beschreibt Miles (1991, S. 107) die Funktion von Rassismus zur subjektiven Erklärung der Welt. So können Beobachtungen im Alltag aus einer rassistischen Warte heraus zu Regelmäßigkeiten konstruiert werden, denen dann wiederum mit rassistischen Strategien versucht wird entgegenzutreten. Das vierte Kennzeichen liegt in der nichtvorhandenen Einförmigkeit bzw. Statik rassistischer Ideologien, da sie sich je nach gesellschaftlichem Kontext in Inhalten und Argumentationsmustern unterscheiden und sich an die jeweiligen Diskurse anpassen können (Miles 1991, S. 109). Hierfür beispielhaft sind Ersetzungsprozesse in rassistischen Diskursen, in denen auf Begriffe wie »Kultur« oder »Religion« an die Stelle von »Rasse« verwiesen wird (siehe Kap. 4.2). An dieser Stelle ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass genetischbiologisch keine »Menschenrassen« existieren (Kattmann 2015), sondern entsprechende Theorien im Zuge des europäischen Kolonialismus systematisch entwickelt worden sind.15

Auch wenn Biskamp (2017, S. 287) nicht alle Vertreter*innen der Ansätze in der jeweiligen Ausschließlichkeit verortet, sieht er die Stärke des ideologiekritischen Verständnisses als Schwäche des machtkritischen Verständnisses und umgekehrt. So wohnt dem ideologiekritischen Rassismusbegriff eine Verkürzung auf subjektivistische Bewusstseinsprozesse inne, die dazu führt, dass Dynamiken gesellschaftlicher Machtverhältnisse und Diskurse nicht sichtbar werden. Der machtkritische Rassismusbegriff setzt hingegen indirekt einen Vernunftbezug voraus, den er selbst jedoch nicht direkt beschreibt. Da es im Rahmen der Betrachtung von Rassismus im Kontext von Systemischer Beratung primär um Betroffenenperspektiven gehen muss, ist diese Schwäche eher zu vernachlässigen und somit ein machtkritisches Verständnis von Rassismus zentral. Denn erst dieses fasst Rassismus als Beziehung zwischen Menschen, genauer zwischen Subjekten und rassistisch Objektifizierten, auf und sieht ihn dementsprechend als Ordnungsverhältnis. Es stellt sich weniger die Frage, wie rassistische Einstellungen entstehen und worauf sie gründen, vielmehr interessiert, wie sich Rassismus gesellschaftlich zeigt und welche Auswirkungen Rassismus vor allem für Betroffene hat. »Dabei gilt die Differenz zwischen den privilegierten und marginalisierten Gruppen nicht als dem Diskurs vorgängiges Phänomen, sondern als eines, das erst im Diskurs selbst produziert wird« (Biskamp 2017, S. 281). Ein solcher rassifizierender Diskurs über Bi_PoC begründet die soziale, politische, kulturelle sowie wirtschaftliche Ausgrenzung und sichert der ausschließenden Gruppe einen privilegierten Zugang zu materiellen und symbolischen Ressourcen (vgl. Hall 2018a).

Ein machtkritisches Verständnis von Rassismus wird zum Beispiel von Rommelspacher (2011, S. 29) beschrieben. Sie versteht Rassismus als »ein System von Diskursen und Praxen, die historisch entwickelte und aktuelle Machtverhältnisse legitimieren und reproduzieren«. Es handelt sich hier also nicht nur um individuelle Vorurteile, sondern um die »Legitimation von Herrschaftsverhältnissen«, was wiederum zeigt, dass Rassismus als »gesellschaftliches Verhältnis« verstanden werden muss (ebd., Hervorh. im Orig.). In diesem Zusammenhang wird auf vier Merkmale bzw. Prozesse verwiesen, die Diskurse als rassifizierend kennzeichnen: Zunächst findet eine Naturalisierung von sozialen und kulturellen Differenzen statt. Nach einem biologistischen Verständnis werden Charaktereigenschaften und personale Merkmale unabänderlich mit der konstruierten »Rasse« verbunden und im Sinne eines Erbes weitergegeben. Das Ersetzen des Konzepts der genetischen »Rasse« durch das Konzept »Kultur« oder einer eher kulturell definierten »Ethnie« hat daran nichts Grundlegendes geändert, nur der Bezugspunkt ist ein anderer. Man spricht nun eher von einem kulturellen oder einem kulturalisierten Rassismus, nicht mehr von einem biologistischen (siehe Kap. 4.2). Das Erbe würde hier somit ein kulturelles. Das Prinzip der Naturalisierung bleibt dennoch bestehen, denn die Verbindung von Eigenschaften und Kultur wird auch hier als unabänderlich verstanden. Als zwei weitere Merkmale nennt Rommelspacher (2011, S. 29) die Homogenisierung und die Polarisierung. Denn mit der Naturalisierung findet gleichzeitig auch eine Einteilung und Vereinheitlichung von Menschen in homogene Gruppen statt. Je nach Perspektive werden dann die In-Group und die jeweilige Out-Group als disparat und grundsätzlich unverträglich einander gegenübergestellt. Als Konsequenz folgt darauf eine Hierarchisierung der Gruppen. Sie werden in eine Rangfolge gebracht und ihnen werden verschiedene Wertigkeiten zugesprochen bzw. auch eine eigene Wertigkeit aberkannt. Die Hierarchisierung wird von der Dominanzgesellschaft zu ihren Gunsten vollzogen. Wollrad (2005, S. 14) greift dies auch hinsichtlich einer historischen Kontinuität auf, indem sie Rassifizierung folgendermaßen beschreibt:

»Weiße europäische Philosophen, Anthropologen und Ethnologen haben nicht aus schlichter Ordnungsliebe Kategorien zur Klassifikation der gesamten Menschheit eingeführt, sondern die Ordnung wurde in Form einer Hierarchisierung gestaltet, deren Kern in der Selbstpositionierung der Erfinder an der Spitze der Hierarchie bestand.«

Roig (2021, S. 37) berücksichtigt hier weitere strukturelle Machtsysteme und verweist unter Rückgriff auf Ramón Grosfoguel auf ein globales Über- und Unterordnungsverhältnis, das

»in den letzten fünfhundert Jahren politisch, wirtschaftlich und kulturell durch die weiße Vorherrschaft, das kapitalistische System, den europäischen Kolonialismus und das Patriarchat produziert und aufrechterhalten [wurde].«

Davon ausgehend können mit Rommelspacher (2011, S. 30 f.) vier Segregationslinien benannt werden, anhand derer im System Rassismus von einer privilegierten Position aus Zugänge sowie Ausschlüsse bestimmt werden und damit Marginalisierung in essenziellen Lebensbereichen für Betroffene eine Lebensrealität darstellt:

 

– ökonomisch: Chancen und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, höheres Armutsrisiko von Bi_PoC oder »als Migrant*innen markierten« Menschen

– politisch: Ungleichbehandlung durch Gesetzgeber*in, hohe Hürden für die Erlangung der Staatsbürgerschaft, Sonderregelungen im Zuwanderungs- und Asylgesetz

– sozial: Umgang der Menschen untereinander, z. B. Freundschaften, Partnerschaften, Ehen zwischen weiß positionierten Personen und Bi_PoC, selektierender Wohnungsmarkt (vgl. Schiffer-Nasserie 2012, S. 43)

– kulturell: Konstruktion von »Wir« und Menschen, die als nicht zugehörig markiert werden, Zuteilung von symbolischer Macht: Wer darf sprechen? Wem wird zugehört? Über welche und über wessen Themen wird gesprochen? Wer ist wichtig in einer Gesellschaft, wer nicht und wer entscheidet darüber?

Daran wird deutlich, dass Rassismus auch immer »gesellschaftliche Diskriminierungen« (Rommelspacher 2011, S. 30) mit einschließt.16

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