Die Evolution der Seele und Natur

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Ost und West haben entgegengesetzte Lebensanschauungen, die zwei Seiten einer Wirklichkeit sind. Auf der einen Seite die pragmatische Wahrheit, die das vitale Denken des modernen Europa so stark und ausschließlich betont, weil es in die Lebenskraft, in den ganzen Tanz Gottes in der Natur verliebt ist; auf der anderen Seite die ewige, unwandelbare Wahrheit, der sich der in Ruhe und Ausgeglichenheit verliebte indische Geist mit der gleichen unbedingten Sucherleidenschaft gerne zuwendet: Zwischen beiden ist die Trennung nicht so scharf, der Streit nicht so heftig wie der jetzt vom parteiischen Mental, von der aufspaltenden Vernunft und der verzehrenden Leidenschaft eines ausschließlichen Verwirklichungswillen ausgerufene. Die eine ewige, unwandelbare Wahrheit ist der Geist, und ohne Geist hätte die pragmatische Wahrheit eines sich selbst erschaffenden Universums weder Ursprung noch Grundlage; sie wäre bedeutungsarm, ohne innere Führung, letztlich verloren, die Schaustellung eines ins Leere verpuffenden Feuerwerks. Doch die pragmatische Wahrheit ist auch nicht ein Traum des Nicht-Existierenden, eine Illusion oder ein langes Dahingleiten in ein sinnloses Delirium schöpferischer Fantasie; das hieße, aus dem ewigen Geist einen Trinker oder Träumer, einen Narren seiner eigenen gigantischen Wahnvorstellungen zu machen. Die Wahrheiten des universalen Daseins sind von zweifacher Art: Wahrheiten des Geistes, die ihrerseits ewig und unwandelbar sind, und das sind die Größen, die sich selbst hinaus ins Werden werfen und dort ständig ihre Kräfte und Bedeutungen verwirklichen, und das Spiel des Bewusstseins mit ihnen, die Dissonanzen, die melodischen Variationen, der Wohlklang des Möglichen, progressive Noten, Umkehrungen, Verkehrungen, die Umwandlungen, aufsteigend in eine größere Harmoniegestalt; und aus alledem erschafft und erschuf der Geist immer sein Universum. Doch sich selbst erschafft er darin, er ist Schöpfer und Schöpfungsenergie, Ursache, Methode und Ergebnis der Tätigkeit, er ist der Maschinist und die Maschine, die Musik und der Musiker, der Dichter und das Gedicht, Supramental, Mental, Leben und Materie, Seele und Natur.

Bei unseren Problemlösungen werden wir von einem Ur-Irrtum verfolgt. Wir lassen uns durch das Auftreten eines Widerspruchs verwirren; wir setzen die Seele gegen die Natur, den Geist gegen seine schöpferische Energie. Aber Seele und Natur, Purusha und Prakriti sind zwei ewig Liebende, die ihre immerwährende Einheit besitzen und ihre ständige Verschiedenheit genießen, und in der Einheit sind sie voll Leidenschaft für das vielfältige Spiel ihrer Verschiedenheit, und bei jedem Schritt der Verschiedenheit sind sie voll des geheimen Sinns oder des offenen Bewusstseins der Einheit. Die Natur nimmt die Seele in sich hinein, so dass diese in einer Trance der Vereinigung mit deren verzehrender Schöpfungsleidenschaft einschläft, und auch die Natur scheint dann im Wirbel ihrer eigenen schöpferischen Energie zu schlafen; und das ist die Involution in der Materie. Oben kann es sein, dass die Seele die Natur in sich hineinnimmt, so dass diese in einer Trance des Einsseins mit dem in sich versunkenen, sich selbst besitzenden Geist einschlummert, und auch die Seele scheint in der Tiefe ihres eigenen selbstverschlossenen, unbeweglichen Seins zu schlummern. Und doch ist dieses ganze rhythmische Pochen und Pulsieren oben und unten, ringsumher und im Inneren die Ewigkeit des Geistes, der sich so in Seele und Natur selbst gestaltete und mit vollkommener Bewusstheit alles genießt, was er durch diese Involution und Evolution in sich selbst erschafft. Die Seele erfüllt sich in der Natur, wenn sie in ihr das Bewusstsein jener Ewigkeit und deren Macht und Freude besitzt und das natürliche Werden mit der Fülle des spirituellen Seins umwandelt. Die ständige Selbsterschaffung, die wir Geburt nennen, findet da die vollkommene Evolution von allem, was sie in ihrer eigenen Natur fasst, und enthüllt ihren eigenen höchsten Sinn. Die vollständige Seele besitzt ihr ganzes Selbst und die ganze Natur.

Daher ist diese ganze Evolution ein Wachsen des Selbstes in der materiellen Natur zu dem bewussten Besitz seines eigenen spirituellen Seins. Sie beginnt mit der Form – offenbar einer Form der Kraft –, in der ein Geist verborgen wohnt; sie endet in einem Geist, der bewusst seine eigene Kraft lenkt und seine eigenen Formen erschafft oder annimmt aus freier Freude über sein Sein in der Natur. Die Natur beginnt die Evolution, indem sie ihr eigenes Selbst und ihren eigenen Geist involviert und unterdrückt in sich hält, als einen gefangenen Herrn des Daseins, ihrer Weise von Geburt und Wirken untertan – und doch ist diese Weise die seine und dieser Geist die Bedingung für ihr Sein und für das Gesetz ihres Wirkens: Der Geist krönt die Evolution, indem er die bewusste Natur in sich fasst, die vollständig ist durch seine Vollständigkeit, befreit durch seine Befreiung, vollendet in seiner Vollkommenheit. All unsere Geburten sind die Geburten dieses Geistes und Selbstes, die eine Seele in der Natur geworden sind oder diese hervorgetrieben haben. Zu sein ist der Zweck unseres Daseins – es gibt keinen anderen Zweck, kein anderes Ziel, denn Bewusstsein und Seligkeit des Seins ist Anfang, Mitte und Ende, da jene ohne Beginn und Ende sind. Das aber bedeutet, in Evolutionsstufen gesehen, immer weiter zu wachsen, bis wir in unsere eigene Fülle des Selbstes hineinwachsen; alle Geburt ist eine progressive Selbstfindung, ein Mittel zur Selbstverwirklichung. Zu wachsen an Wissen, an Macht, an Wonne, Liebe und Einssein hin zum unendlichen Licht, zur Fähigkeit und Seligkeit der spirituellen Existenz, uns zu universalisieren, bis wir eins sind mit allem Sein, und ständig unser gegenwärtiges, begrenztes Selbst zu überschreiten, bis es sich voll der Transzendenz öffnet, in der das Universale lebt, und darauf unser ganzes Werden zu gründen – das ist die volle Evolution dessen, was jetzt in der Natur dunkel eingehüllt liegt oder halbentwickelt in ihr arbeitet.

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Teil II

Die Mutter

Spirituelle Wiedergeburt bedeutet das ständige Abstreifen unserer früheren Verbindungen und Umstände und so weiterleben, als ob wir in jedem jungfräulichen Augenblick unser Leben neu beginnen würden.

— Die Mutter

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Kapitel 1
Die Philosophie der Wiedergeburt

Worte Sri Aurobindos

Geburt ist das erste spirituelle Geheimnis des physischen Universums, Tod das zweite. Der Tod gibt dem Geheimnis der Geburt seine zweifache Rätselhaftigkeit. Denn das Leben, das sonst eine selbstverständliche Tatsache des Daseins wäre, wird nun selbst zu einem Geheimnis dank dieser beiden, die sein Anfang und sein Ende zu sein scheinen, sich aber auf tausend Arten als keines von beiden, vielmehr als Mittel-Stufen in einem geheimnisvollen Prozess des Lebens erweisen. Auf den ersten Blick möchte es scheinen, als sei die Geburt ein ständiges Hervorbrechen von Leben in einem allgemeinen Tod, ein beharrlich fortdauernder Umstand in der universalen Leblosigkeit von Materie. Bei näherer Untersuchung wird es jedoch wahrscheinlicher, dass Leben etwas in die Materie Involviertes oder sogar eine der Energie, die Materie erschafft, innewohnende Macht ist. Sie kann aber nur dann in Erscheinung treten, wenn sie die notwendigen Voraussetzungen dazu bekommt, die für sie charakteristischen Phänomene sicher durchzusetzen und eine für sie geeignete Organisation zu erschaffen. Doch gibt es bei der Geburt des Lebens noch etwas mehr, das an seinem Hervortreten mitwirkt, ein Element, das nicht mehr materiell ist, das starke Hervorbrechen der Flamme einer Seele, eine erste sichtbare Schwingung des Geistes.

Alle bekannten Umstände und Resultate der Geburt lassen uns ein Unbekanntes ahnen, das vor ihr ist, und ebenso legt sich uns eine Universalität nahe, ein Wille zum dauernden Beharren des Lebens, ein Fehlen von Schlüssigkeit beim Tod, das auf etwas Unbekanntes danach hinzuweisen scheint. Was waren wir vor der Geburt, was sind wir nach dem Tod? Das sind die Fragen, deren Beantwortungen voneinander abhängen. Von Anfang an hat der Intellekt des Menschen sich diese Fragen gestellt, ohne dass er bis jetzt bei einer endgültigen Lösung zur Ruhe kommen kann. Tatsächlich kann der Intellekt kaum die endgültige Antwort geben. Denn diese muss ihrer Natur nach jenseits der Gegebenheiten des physischen Bewusstseins und Gedächtnisses sowohl der menschlichen Rasse wie des Individuums liegen. Und das sind doch die einzigen Gegebenheiten, die der Intellekt mit so etwas wie Vertrauen zu konsultieren gewöhnt ist. Bei diesem Mangel an Materialien und bei dieser Ungewissheit schweift er immer weiter von einer Hypothese zur anderen; jede nennt er der Reihe nach einen gültigen Schluss. Überdies hängt die Lösung von Natur, Ursprung und Ziel der kosmischen Bewegung ab. Je nachdem wir diese bestimmen, müssen wir auch unsere Schlüsse in Bezug auf Geburt, Leben und Tod, auf das Vorher und das Nachher ziehen.

Die erste Frage ist, ob das Vorher und das Nachher etwas rein Physisches und Vitales oder in gewisser Beziehung, gar überwiegend, etwas Mentales und Spirituelles ist. Kein weiteres Fragen wäre möglich, wenn Materie das Prinzip des Universums wäre, wie der Materialist behauptet, wenn sich die Wahrheit der Dinge in jener ersten Formel finden ließe, zu der Bhrigu, der Sohn des Varuna, kam, als er über das ewige Brahman meditierte: „Die Materie ist der Ewige, denn aus der Materie werden alle Wesen geboren, durch die Materie existieren alle Wesen, und zur Materie scheiden alle Wesen hin und kehren sie zurück.“ Das Vorher unserer Körper würde dann im Einsammeln dessen bestehen, was sie aufbaut, aus den verschiedenen physischen Elementen durch Vermittlung des Samens und der Nahrung, vielleicht auch unter dem Einfluss verborgener, aber immer materieller Energien. Und das Vorher unseres bewussten Wesens wäre eine Vorbereitung durch Vererbung oder einen anderen physisch-vitalen oder physisch-mentalen Vorgang in der universalen Materie, die ihre Aktivität auf diesen Einzelnen ausrichtet und ihn durch die Körper seiner Eltern, durch Samen, Gen und Chromosom aufbaut. Das Nachher des Körpers wäre dann seine Auflösung in die materiellen Elemente und das Nachher des bewussten Wesens ein Zurücksinken in die Materie, wobei vielleicht die Auswirkungen seiner Aktivität im allgemeinen Mental und Leben der Menschheit überleben würden. Dieses letztere ziemlich illusorische Überleben würde unsere einzige Chance für die Unsterblichkeit sein. Da man aber nicht mehr die Universalität der Materie für eine ausreichende Erklärung der Existenz des Mentals halten kann und da tatsächlich auch Materie selbst nicht länger allein durch Materie erklärt werden kann, weil sie nicht selbst-existent zu sein scheint, werden wir von dieser leichten und naheliegenden Lösung auf andere Hypothesen zurückgeworfen.

 

Eine von diesen ist der alte religiöse Mythos und das dogmatische Mysterium von einem Gott, der ständig unsterbliche Seelen aus seinem Wesen, durch seinen „Atem“ oder durch die Lebens-Macht erschafft. Sie gehen, wie man annimmt, in die materielle Natur oder vielmehr in die Körper ein, die er in ihr erschafft und die er in ihrem Inneren durch sein spirituelles Prinzip verlebendigt. Man kann dies als Mysterium des Glaubens hochhalten und braucht es nicht weiter zu untersuchen. Ist es doch Absicht der Glaubens-Mysterien, jenseits von Frage und Erforschung zu stehen. Für die Vernunft und die Philosophie fehlt dem aber die Überzeugungskraft. Es passt nicht in die bekannte Ordnung der Dinge. Denn es enthält zwei Paradoxa, die einer gründlicheren Rechtfertigung bedürfen, bevor man ihnen überhaupt Beachtung schenken kann. Das erste ist die stündliche Erschaffung von Wesen, die zwar einen Anfang, aber kein Ende in der Zeit haben und die überdies durch die Geburt aus dem Körper geboren werden, aber nicht durch den Tod des Körpers enden. Das zweite Paradoxon ist die Annahme einer fertigbereiteten Masse kombinierter Eigenschaften, von Tugenden und Lastern, Fähigkeiten und Mängeln, Vorzügen und Behinderungen durch Temperament und andere Umstände, die ganz und gar nicht von ihnen selbst durch ein Wachsen zustande gebracht, sondern für sie durch willkürliche Anordnung, wenn nicht durch ein Gesetz der Vererbung, gemacht wurden, für die und für deren vollkommenen Gebrauch sie dennoch von ihrem Schöpfer verantwortlich gemacht werden.

Wir können, wenigstens vorläufig, gewisse Dinge für legitime Mutmaßungen der philosophischen Vernunft halten und fairerweise die Beweislast hinsichtlich ihres Gegenteils denen auferlegen, die sie bestreiten. Zu diesen Postulaten gehört das Prinzip, dass das, was kein Ende hat, notwendigerweise auch ohne Anfang sein muss. Alles, was anfängt oder erschaffen ist, findet sein Ende: durch das Aufhören des Prozesses, der es erschuf oder im Dasein erhält, durch die Auflösung der Materialien, aus denen es zusammengesetzt ist, oder durch das Ende der Funktion, um derentwillen es ins Dasein kam. Wenn es für dieses Gesetz eine Ausnahme gibt, muss das durch das Herabkommen des Geistes in die Materie geschehen, der die Materie mit Göttlichkeit beseelt oder ihr seine eigene Unsterblichkeit verleiht. Aber der Geist, der so herniederkommt, ist unsterblich, nicht gemacht oder erschaffen. Wenn die Seele dazu geschaffen wurde, den Körper zu beseelen, wenn sie für ihren Eintritt ins Dasein vom Körper abhing, kann sie keinen Grund und keine Grundlage mehr für ihre Existenz haben, nachdem der Körper verschwunden ist. Es ist eine natürliche Annahme, dass der „Atem“ oder die Macht, die dem Körper zu seiner Beseelung verliehen wurde, nach dessen endgültiger Auflösung wieder zu ihrem Schöpfer zurückkehrt. Wenn sie stattdessen als ein unsterbliches verkörpertes Wesen weiterbesteht, muss es einen subtilen oder seelischen Körper geben, in dem sie weiterexistiert. Dann ist ziemlich sicher, dass dieser seelische Körper und sein Bewohner vor dem materiellen Körper existent gewesen sein muss. Es ist irrational, anzunehmen, sie seien ursprünglich nur dazu geschaffen worden, diese kurzlebige, vergängliche Gestalt zu bewohnen. Ein unsterbliches Wesen kann nicht das Ergebnis eines so kurzlebigen Vorfalls in der Schöpfung sein. Wenn die Seele aber in einem körperlosen Zustand übrig bleibt, kann sie wegen ihres Daseins nicht ursprünglich von einem Körper abhängig gewesen sein. Sie muss vor der Geburt ebenso als ein nicht verkörperter Geist existiert haben, wie sie in ihrer körperlosen spirituellen Wesenheit nach dem Tod fortdauert.

Weiterhin können wir annehmen, dass dort, wo wir in der Zeit eine gewisse Entwicklungsstufe wahrnehmen, eine Vergangenheit dieser Entwicklung vorausgegangen sein muss. Wenn darum eine Seele in dieses Leben mit einer gewissen Entwicklung von Personalität eintritt, muss diese in anderen vorausgegangenen Leben hier oder anderswo vorbereitet worden sein. Wenn sie aber nur ein voraus gefertigtes Leben und eine Persönlichkeit annimmt, die nicht von ihr vorbereitet worden ist, die vielleicht durch eine körperliche, vitale oder mentale Vererbung vorbereitet wurde, muss sie selbst etwas von diesem Leben und dieser Persönlichkeit völlig Unabhängiges sein, etwas, das nur durch einen Zufall mit dem Mental und dem Körper verbunden ist. Sie kann darum nicht wirklich von dem beeinflusst werden, was in diesem mentalen und körperlichen Lebensablauf getan oder entwickelt wurde. Ist die Seele etwas Wirkliches, ist sie unsterblich, kein konstruiertes Wesen oder nur eine Erscheinung des Seienden, dann muss sie ebenso ewig, anfangslos in der Vergangenheit wie endlos in der Zukunft sein. Wenn sie aber ewig ist, muss sie entweder ein unwandelbares Selbst sein, das vom Leben und seinen Gesetzmäßigkeiten nicht beeinträchtigt wird, oder ein zeitloser Purusha, eine ewige spirituelle Person, die in der Zeit einen Strom sich wandelnder Personalität offenbart oder hervorruft. Ist sie eine solche Person, kann sie diesen Strom von Personalität nur in einer Welt von Geburt und Tod dadurch manifestieren, dass sie aufeinanderfolgende Körper annimmt, – mit einem Wort: durch ständige Wiedergeburt in die Gestaltungen der Natur.

Aber die Unsterblichkeit oder Ewigkeit der Seele drängt sich uns auch dann nicht ohne weiteres als notwendig auf, wenn wir die Deutung ablehnen, alle Dinge seien aus einer ewigen Materie entstanden. Denn wir haben da noch die Hypothese von der Erschaffung einer zeitweiligen Seele, die durch die Macht jener ursprünglichen Einheit in Erscheinung trat, aus der alle Dinge ihren Anfang nahmen, durch die sie leben und in die sie sich wieder auflösen. Einerseits können wir auf der Grundlage gewisser moderner Ideen oder Entdeckungen die Theorie von einem kosmischen Nichtbewussten aufstellen, das eine vergängliche Seele erschafft, ein Bewusstsein, das nach einem kurzen Spiel ausgelöscht wird und wieder in das Nichtbewusste zurückkehrt. Oder es könnte ein ewiges Werden geben, das sich in einer kosmischen Lebens-Kraft offenbart, wobei die Materie als das eine, objektive Ende ihrer Operationen, das Mental als das andere, subjektive Ende in Erscheinung tritt. Die Einwirkung dieser beiden Phänomene der Lebens-Kraft aufeinander erschafft unser menschliches Dasein. Andererseits haben wir die Theorie von einem allein existierenden Überbewussten, einem ewigen unveränderlichen Wesen, das durch Maya die Illusion eines individuellen Seelen-Lebens in dieser Welt von phänomenalem Mental und Materie zulässt oder erschafft. Diese beiden seien letztlich unwirklich – selbst wenn sie eine kurzfristige und phänomenale Wirklichkeit besitzen oder annehmen –, da das eine unwandelbare und ewige Selbst oder der Geist die einzige Wesenheit sei. Oder wir haben die buddhistische Theorie von einem Nihil oder Nirvana und, diesem irgendwie aufgezwungen, ein ewiges Handeln oder eine Energie aufeinanderfolgenden Werdens, Karma, das die Illusion von einem fortdauernden Selbst oder einer Seele durch die Kontinuität von Verknüpfungen, Ideen, Erinnerungen, Empfindungen und Bildern erschafft. In ihrer Auswirkung auf das Lebens-Problem sind diese drei Erklärungen praktisch eine einzige. Denn auch das Überbewusste ist für die Zwecke des universalen Wirkens ein Äquivalent des Nichtbewussten. Es kann nur seines eigenen unwandelbaren Selbst-Seins inne werden. Die Erschaffung einer Welt von individuellen Wesen durch Maya ist etwas diesem Selbst-Sein Aufgezwungenes. Das findet statt vielleicht in einer Art Schlaf des Bewusstseins, das in das Selbst versunken ist, susupti.1 Aus diesem treten dennoch alles aktive Bewusstsein und die Abwandlung des phänomenalen Werdens genauso hervor, wie in der modernen Theorie unser Bewusstsein eine vorübergehende Entfaltung aus dem Nichtbewussten ist. In allen drei Theorien ist die in Erscheinung tretende Seele oder spirituelle Individualität des Geschöpfes nicht unsterblich im Sinne von Ewigkeit. Vielmehr hat sie einen Anfang und ein Ende in der Zeit, ist eine Schöpfung von Maya oder von einer Natur-Kraft oder eine kosmische Aktion aus dem Nichtbewussten oder Überbewussten. Darum ist sie in ihrem Dasein ohne Bestand. In allen drei Theorien ist Wiedergeburt entweder unnötig oder auch etwas Illusorisches. Sie ist entweder die Verlängerung einer Illusion durch deren Wiederholung. Oder sie ist ein zusätzliches, sich immer weiter drehendes Rad unter den vielen Rädern der komplexen Maschinerie des Werdens. Oder sie ist deshalb ausgeschlossen, weil eine einzige Geburt alles ist, was ein bewusstes Wesen erlangen kann, das durch Zufall als Teil einer nichtbewussten Schöpfung entstanden ist.

Ob wir nun bei diesen Ansichten annehmen, das eine Ewige Sein sei ein vitales Werden oder ein unveränderliches und unmodifizierbares spirituelles Wesen oder ein namenloses und formloses Nicht-Seiendes, hier kann das, was wir die Seele nennen, nur eine sich wandelnde Masse oder ein Strom von Bewusstseins-Phänomenen sein, der im Ozean eines wirklich illusorischen Werdens ins Dasein trat und hier auch zu existieren aufhören wird. Oder die Seele ist vielleicht ein vergängliches Substrat, ein bewusster Reflex des Überbewussten Ewigen, das durch seine Gegenwart die Masse der Phänomene unterstützt. Sie ist nicht ewig. Ihre Unsterblichkeit besteht nur daraus, dass sie längere oder kürzere Dauer im Werden besitzt. Sie ist keine wirkliche und immer seiende Person, die den Strom oder die Masse der Phänomene in Gang hält und ihre Erfahrung damit macht. Was diese in Gang hält, was wirklich und immer existiert, ist entweder das eine ewige Werden oder das eine ewige und apersonale Wesen oder der ständige Strom von Energie in seinen Wirkensweisen. Für eine Theorie dieser Art ist es entbehrlich, dass eine seelische Wesenheit, und zwar immer dieselbe, fortdauert und Körper um Körper, Gestalt um Gestalt annimmt, bis sie zuletzt durch irgendeinen Prozess aufgelöst wird, der zugleich auch den ursprünglichen Anstoß annulliert, der diesen Zyklus in Gang gebracht hat. Es ist sehr wohl möglich, dass sich so, wie jede Gestaltung entwickelt worden ist, auch ein der Form entsprechendes Bewusstsein entwickelt. Wenn sich dann die Form auflöst, vergeht auch das entsprechende Bewusstsein mit ihr. Nur der Eine, der alles gestaltet, dauert für immer fort. Oder wie der Körper aus den allgemeinen Elementen der Materie zusammengewachsen ist und sein Leben mit der Geburt beginnt und mit dem Tod beendet, kann sich auch das Bewusstsein aus den allgemeinen Elementen des Mentals entwickelt haben. Es mag ebenso mit der Geburt anfangen und mit dem Tod enden. Auch hier ist der Eine, der durch Maya oder auf andere Weise die Kraft liefert, die die Elemente erschafft, die einzige Wirklichkeit, die fortdauert. Bei keiner dieser Theorien des Seins ist die Wiedergeburt eine absolute Notwendigkeit oder ein unvermeidliches Ergebnis der Theorie2.

 

Tatsächlich erkennen wir jedoch einen großen Unterschied. Denn die alten Theorien bejahen die Wiedergeburt als einen Teil des universalen Prozesses, während die modernen sie verwerfen. Modernes Denken geht vom physischen Körper als der Basis unseres Daseins aus. Es erkennt nicht die Wirklichkeit einer anderen als der Welt dieses materiellen Universums an. Was es hier sieht, ist ein mentales Bewusstsein, das mit dem Leben des Körpers eng verbunden ist, das bei seiner Geburt kein Anzeichen eines vorhergehenden individuellen Daseins an sich trägt und das, wenn es den Körper mit seinem Ende verlässt, nichts andeutet von einem darauffolgenden individuellen Dasein. Was vor der Geburt war, sei die materielle Energie mit ihrem Lebens-Samen, bestenfalls die Energie einer Lebens-Kraft, die in dem Samen fortdauert und von den Eltern übertragen wird. Er präge durch seine geheimnisvolle Beimischung vergangener Entwicklungen diesem winzigen Träger, dem auf diese Weise wunderbar erschaffenen neuen individuellen Mental und Körper, einen eigenen mentalen und physischen Stempel auf. Was nach dem Tod übrig bleibt, sei dieselbe materielle Energie und Lebenskraft, die in dem Samen weiterbesteht. Er wird an die Kinder weitergegeben und sorgt für die weitere Entwicklung des in ihm enthaltenen mentalen und physischen Lebens. Von uns bleibt nichts übrig als das, was wir auf diese Weise an andere weitergeben. Oder das wirkt fort, was die Energie, die das Individuum durch ihr präexistentes Schaffen und die Umwelteinflüsse, durch Geburt und Umgebung, gestaltet hat, nun als das Ergebnis des individuellen Lebens annehmen mag, um es in ihr darauffolgendes Wirken hineinzuarbeiten. Allein das könne ein Überleben haben, was durch Zufall oder durch ein physisches Gesetz dazu helfe, die mentalen und vitalen Bauelemente und die Umgebung anderer Individuen zu bilden. Hinter beiden, den mentalen und den physischen Phänomenen, gebe es vielleicht ein universales Leben, dessen Individualisierungen evolutionäre und phänomenale Werdeformen sind. Dieses universale Leben erschaffe zwar eine wirkliche Welt und wirkliche Wesen, aber die bewusste Personalität in diesen Wesen sei nicht – oder brauche es zumindest nicht zu sein – das Zeichen oder die Form von Bewusstsein einer ewigen, ja nicht einmal einer fortdauernden Seele oder einer supraphysischen Person. In dieser Formel vom Sein findet sich nichts, was uns zwingt, an eine seelische Wesenheit zu glauben, die den Tod des Körpers überdauert. Es gibt hier keinen Grund und auch nur wenig Raum für die Anerkennung der Wiedergeburt als eines Teils des Grundschemas der Dinge.

Wie aber, wenn wir mit der Erweiterung unserer Erkenntnis finden würden – wie gewisse Forschungen und Entdeckungen vorauszusagen scheinen –, dass die Abhängigkeit des mentalen Wesens oder der seelischen Entität in uns vom Körper nicht so vollständig ist, wie wir das natürlicherweise zuerst aus dem Studium allein der Gegebenheiten des physischen Daseins und des physischen Universums schließen? Wie, wenn man erkennen würde, dass die menschliche Personalität den Tod des Körpers überlebt und dann zwischen anderen Ebenen und diesem materiellen Universum hin- und hergeht? Dann müsste die vorherrschende moderne Vorstellung von einem nur zeitweiligen bewussten Dasein sich ausweiten und ein Leben anerkennen, das einen weiteren Bereich als das physische Universum umfasst. Sie müsste auch eine personale Individualität zulassen, die nicht vom materiellen Körper abhängig ist. Sie könnte praktisch die antike Vorstellung von einer subtilen Gestalt oder von einem Körper wieder annehmen müssen, der von einer seelischen Entität bewohnt wird. Eine psychische oder seelische Wesenheit, die das mentale Bewusstsein in sich trägt, oder – falls es keine solche ursprüngliche Seele gibt - die entwickelte und fortdauernde mentale Einzelperson würde nach dem Tod weiterexistieren in dieser subtilen, fortdauernden Gestalt, die für sie entweder vor ihrer Geburt oder durch die Geburt selbst oder während des Lebens erschaffen worden sein muss. Denn entweder ist die seelische Entität in anderen Welten in subtiler Form präexistent und kommt mit dieser von dort hierher zu einem kurzen Aufenthalt auf der Erde, oder die Seele entwickelt sich hier in der materiellen Welt selbst, und mit ihr wird im weiteren Verlauf der Natur ein seelischer Körper entwickelt, der nach dem Tod in anderen Welten fortbesteht oder hier durch Wiedergeburt weiter existiert. Das wären die beiden möglichen Alternativen.

Ein universales Leben könnte in seiner Evolution auf der Erde die wachsende Personalität entfaltet haben, die jetzt zu unserem Ego geworden ist, bevor sie überhaupt in einen menschlichen Körper einging. Die Seele, die jetzt in uns ist, könnte sich in niederen Lebens-Gestaltungen entwickelt haben, bevor der Mensch erschaffen wurde. In diesem Fall hätte unsere Personalität früher Tier-Formen bewohnt. Der subtile Körper wäre ein plastisches Gebilde, das von Geburt zu Geburt übertragen wurde, sich aber jeder physischen Gestaltung anpasste, die die Seele bewohnte. Oder das sich entwickelnde Leben könnte fähig sein, eine zum Überleben geeignete Persönlichkeit aufzubauen, dies jedoch nur in der menschlichen Gestalt, sobald diese erschaffen war. Das würde durch die Kraft des plötzlichen Wachstums eines mentalen Bewusstseins geschehen, und gleichzeitig könnte sich eine Hülle von subtiler Mental-Substanz entwickeln und helfen, dieses mentale Bewusstsein zu individualisieren. Sie würde ebenso als innerer Körper funktionieren, wie die grob-physische Gestalt durch ihre Organisation Tier-Mental und Tier-Leben zugleich individualisiert und beherbergt. Aufgrund der früheren Annahme müssten wir zugeben, dass auch das Tier die Auflösung des physischen Körpers überlebt und eine Art Seelen-Formation besitzt, die nach dem Tod andere Tierformen auf der Erde und schließlich einen menschlichen Körper in Besitz nimmt. Denn es besteht nur geringe Wahrscheinlichkeit, dass die Tier-Seele über die Erde hinauskommt und auf andere als die physischen Lebens-Ebenen übergeht, um ständig hierher zurückzukehren, bis sie für die menschliche Inkarnation bereit ist. Die bewusste Individualisierung des Tieres scheint nicht weit genug zu gehen, um einen solchen Übergang tragen zu können oder um sich an ein Dasein in anderen Welten anzupassen. Bei der zweiten Annahme würde die Macht, auf diese Weise den Tod des physischen Körpers in anderen Seins-Zuständen zu überleben, erst auf der menschlichen Stufe der Evolution auftreten. Wäre die Seele tatsächlich nicht eine so konstruierte Personalität, die vom Leben entwickelt wird, sondern eine fortdauernde, sich nicht entwickelnde Wirklichkeit mit einem irdischen Leben und Körper als ihrem notwendigen Feld, dann würde man der Theorie von der Wiedergeburt im Sinne der Seelenwanderung des Pythagoras zustimmen müssen. Ist sie aber eine fortdauernde, sich entwickelnde Wesenheit und fähig, über die irdische Stufe hinauszukommen, dann wäre die indische Vorstellung von einem Weitergehen in andere Welten und einer Rückkehr zur Geburt auf der Erde möglich und höchst wahrscheinlich. Sie wäre aber noch nicht unausweichlich. Denn man könnte vermuten, dass die menschliche Personalität, wenn sie einmal so hoch entwickelt ist, dass sie andere Ebenen erreichen kann, von diesen nicht mehr zurückzukehren brauchte. Es wäre nur natürlich, wenn sie, falls kein stärkerer zwingender Grund vorliegt, ihr Dasein auf der höheren Ebene, zu der sie emporgekommen ist, fortsetzen würde. Sie hätte dann ihre Lebens-Entwicklung auf der Erde zu Ende gebracht. Eine umfassendere Voraussetzung wäre nur dann zwingend und eine wiederholte Wiedergeburt in menschlichen Gestaltungen unvermeidlich, wenn eine Konfrontation mit einem wirklich zwingenden Beweis für die Notwendigkeit einer Rückkehr auf die Erde besteht.

Aber selbst dann brauchte die vitalistische Entwicklungs-Theorie sich nicht zu spiritualisieren. Sie müsste nicht das wirkliche Dasein einer Seele, deren Unsterblichkeit oder Ewigkeit zugeben. Sie könnte die Personalität immer noch betrachten als eine phänomenale Schöpfung des universalen Lebens durch die Interaktion von Lebens-Bewusstsein und physischer Form und Kraft, beide aber mit einer ausgedehnteren, variableren und subtileren gegenseitigen Einwirkung und mit einer anderen Geschichte, als man sie bisher für möglich hielt. Sie mag dann zu einer Art von vitalistischem Buddhismus kommen, der das Karma anerkennt, es aber nur als das Wirken einer universalen Lebens-Kraft zulässt. Als eines der Ergebnisse würde sie die Kontinuität des Stroms der Personalität in der Wiedergeburt durch eine mentale Verknüpfung zugeben, aber jedes wirkliche Selbst des Individuums oder irgendein ewiges Wesen bestreiten, das etwas anderes wäre als dieses immer aktive vitale Werden. Andererseits könnte sie, einer Gedankenrichtung folgend, die jetzt etwas an Kraft gewinnt, ein universales Selbst oder einen kosmischen Geist als die uranfängliche Wirklichkeit und das Leben als seine Macht oder seinen Agenten annehmen. Sie könnte so zu einer Form von spiritualisiertem vitalen Monismus kommen. Auch in dieser Theorie wäre ein Gesetz von Wiedergeburt möglich, wenn auch nicht zwingend. Sie könnte eine phänomenale Tatsache sein, ein aktuelles Gesetz des Lebens. Sie wäre aber kein logisches Ergebnis der Theorie vom Seienden, nicht deren unvermeidliche Konsequenz.

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