Suche Frosch mit Krone

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7

Zorrolein wurde nicht minder verschont. Ihn verfolgte Karlas Berührung bis in den Traum hinein. Als er aufwachte, war sein Einmann-Bett nicht mehr ganz so trocken. Sein Blick fiel auf das alte Pink Floyd-Poster an der Wand, welches noch aus seiner sogenannten Rebellenzeit stammte, während der er freilich nur das tat, was auch seine Kollegen taten, nämlich, dem Gruppendruck nachgeben. Das gute Poster konnte ihn jedoch nicht erretten. Als er das Fiasko in seiner Schlafstätte besah, sagte er laut: „Blödsinn!", doch es liess sich nicht mehr ungeschehen machen und seine etwas verfehlte Bemerkung besänftigte ihn auch keineswegs, ganz im Gegenteil. Er nahm sich vor, Karla anzurufen.

Als niemand den Hörer abnahm – sie tummelte sich ja gerade im Park und Endena war immer noch nicht nachhause gekommen –, war er richtig deprimiert.

Er war so enttäuscht, dass er es erst wieder am Mittwoch versuchte, und siehe da, jemand meldete sich: „Endena?“ „Hallo, ist Karla zuhause?“, stiess er ausser Atem hervor, da sein Solarplexus gerade von Medusa bearbeitet wurde. „Bist du das, Zorro?“, klang es sehr bedeutsam. „Jaa …“, tönte es eher gequält, da Zorro nicht gerne zugeben wollte, dass er was von Karla haben musste. Er musste schliesslich sein Image des Unabhängigen wahren.

Endena übergab den Hörer mehr als schmunzelnd. Karla versuchte krampfhaft, ihre Nervosität abzumurksen, doch sie hatte sich vergebens bemüht. Ihre Stimme hörte sich auf bedenkliche Weise brüchig an. Das knapp fünfsekündige Telefonat hörte sich wie folgt an: „Kommst du auf eine Tasse Grüntee zu mir?“ „Ja!“ „O.K. Bis dann.“ Er hängte auf, noch bevor sie sich verabschieden konnte.

Auf Umwegen hatte er erfahren, dass sie auf Grüntee stand, was immer das war. So war er am Dienstag extra ins Reformhaus gewandert, vergass aber zu fragen, wie er mit diesem Zeugs umzugehen hatte.

In seiner Hast nun schüttete er die halbe Tüte in die Pfanne und die andere Hälfte neben besagte. Es wurde nichts daraus.

Er setzte sich resigniert auf den wackeligen Küchenhocker an den runden, marmorfarbenen Bistro-Tisch und drehte sich einen. Dann sog er seufzend daran und beruhigte sich etwas, wobei er die hellgrüne Farbe der Kästchentüren über dem Chromstahlspülbecken in sich aufnahm. „Den Anti-Autoritätsspruch, den ich vor einem Jahr an die Wand genagelt habe, sollte ich vielleicht durch etwas Reiferes ersetzen. Aber durch was?“, sinnierte er bekümmert.

Als Karla dann endlich kam, angetan mit einem wollenen dunkelgrünen Mini und einem schwarzen Oberteil, das vorne von einem langen Reissverschluss zusammengehalten wurde, sammelte sie den ausgeschütteten Tee ein und zeigte ihm das richtige Mass. Sie dachte bei sich, dass, wenn er mit seinen Gefühlen auch so grosszügig umgehe, sie die Flucht ergreifen werden müsse. Doch er verhielt sich eher schüchtern – anfangs.

Nach einem Weilchen des gegenseitigen Umzingelns und des Übersiedelns in den angrenzenden Wohn-Schlafraum, ging Karla als Erste zum Angriff über. Sie wickelte sich eine seiner Haarsträhnen um den Finger und küsste ihn, diesmal etwas sanfter. Seine Hände glitten langsam an ihr herunter und der Druck seiner langen Finger raubte ihr beinahe den Atem. Der Kuss wurde deutlich leidenschaftlich, und da sie nicht wusste, wohin mit der sich in ihr aufwirbelnden Energie, die seine Berührung auslöste, bohrte sie ihre vom Vollkornbrotgenuss sehr stabilen Nägel in seinen Nacken, was er dann erst am Tage darauf als rote Striemen manifestiert sah, doch sie hatte es ja schliesslich nicht mit der vollen Absicht getan. Und da es mit seiner Haarfarbe in völliger Harmonie stand, fand er es sogar ästhetisch.

Doch um wieder auf den berühmten Nachmittag zurückzukommen, folgte auf die Sache mit den Nägeln eine nicht minder Spuren hinterlassende Aktion von Seiten Zorros, und zwar mit seinen spitzen Zähnen an ihrem Hals – nicht mal seine Stockzähne waren die abgerundetsten. Doch sie stöhnte nichtsdestotrotz, sodass er sich sofort dazu berufen fühlte, dasselbe auf gegenüberliegender Seite auszuprobieren. Da diese Seite aber aus irgendeinem selbst ihr unbekannten Grunde um einiges empfindlicher war, rief sie „Nicht so stürmisch", anstatt wie eben noch so schön zu stöhnen.

Das verwirrte ihn – wir dürfen nicht vergessen, wie unerfahren er immer noch war. Sie sagte ihm, das sei jetzt halt so, und er solle doch an einem andern Ort weitermachen und ausserdem habe sie zu heiss, worauf sie sich auszog, denn sie glaubte nicht daran, dass er es mit ihren Reissverschlüssen hätte aufnehmen können.

Danach schlang sie die Arme um ihre Beine und grinste ihn spöttisch an, worauf er anfing, sein braungrün gestreiftes Hemd aufzuknöpfen. Da läutete es an der Tür.

Draussen lehnte Kring an der Wand und wartete, bis Zorro öffnete. „Störe ich? Du siehst nicht so erfreut aus.“ „Tatsächlich!“, kam es düster.

Krings leuchtend blaue Augen hatten schon manche Frau irritiert und seine langen geraden Haare in einem eher bräunlichen Dunkelblond luden zum Sich-darin-Vergraben ein. Er strahlte eine Lebensfreude und eine Kraft aus, die noch durch seine weite Jacke mit den grossflächigen rot-schwarzen Karos untermalt wurden. Trotz seines extrovertierten Charakters war er der unter seinen Kollegen, der die feinen Schwingungen seiner Mitmenschen zuerst wahrnahm. Er konnte sogar seinen Kolleginnen das Wasser reichen.

Karla hatte sich in aller Hast angezogen und erschien nun im Korridor. „Oh, Karla, du bist auch da? Und einen Jupe hast du an, einfach toll!“ Er küsste sie auf die Wange und grinste anzüglich, während Zorro böse vor sich hinfunkelte. Karla war gerade in den Sinn gekommen, dass sie noch aufs Arbeitsamt sollte, und sie verabschiedete sich mit einem lang anhaltenden Kuss von Zorro und einem Augenzwinkern von Kring.

Als sie im Tram Richtung Stempelkontrolle sass, musste sie so in sich hineinlachen, dass sie noch verwunderter als üblich von den Eingeborenen dieses, von welchem Unglück auch immer heimgesuchten, Landes mit ihren typisch nach unten gezogenen Mundwinkeln angeglotzt wurde. Lachende Menschen fielen hier eben auf.

An dem zermürbenden Ort angekommen, musste sie zuerst einmal draussen anstehen, wurde jedoch sogleich wieder von dem „Hallo“ Robertos aufgeheitert, der aus dem Gebäude nebenan herausgekommen war. „Hallo Roberto, wo hast du dich denn am Samstag rumgetrieben?“ Der arme Junge musste nun schon zum fünften Mal den Aufenthalt bei seinen Eltern erwähnen, was er bei Karla speziell ungern tat, denn sie zog ihn in solchen Fällen auch immer ganz speziell auf. Vor allem die Art, wie sie sich über ihn lustig machte, passte ihm gar nicht. Es war irgendwie verunsichernd.

Nach überstandenem einseitigem Amüsement kam er auf Endena zu sprechen, während er und Karla weiter in der Schlange aufschlossen. „Wie lange wohnt ihr denn jetzt schon zusammen, du und Endena?“ Die Betonung des Wortes „Endena“ war so seltsam, dass sie aufhorchte. „Zwei Monate. Warum?“ „Ach, nur so. Sie geht nicht so gerne in den Ausgang, nicht wahr, ich meine, im Gegensatz zu dir.“ „Sie muss halt oft ins Basketball-Training, weisst du. Doch am Samstag war sie zuhause“, endete Karla die Unterhaltung grinsend und zeigte der Frau am Schalter ihre Karte.

Wieder draussen, fragte Roberto, ob Karla ihm die Karten legen würde. „Klar! Heute?“ „Ja, aber bitte bei mir zuhause. Nicht, dass noch jemand zuhört.“ Er kratzte sich verlegen an der Stelle, wo das längere Haarbüschel hervorstand.

8

Während Karla eine Beziehung zwischen Roberto und Endena prophezeite, machte Kurt seine Hausaufgaben in der WG-Stube, die er sich mit drei Mitbewohnerinnen teilte. Im Moment jedoch hielt sich niemand von den anderen drei zuhause auf. Kurt war ein schlaksiger Junge mit strohblondem anliegendem Haar und einem verbitterten Zug um den kleinen Mund. Er hatte die Angewohnheit, im Stehen sein Gewicht in schnellstem Tempo von einem Fuss auf den anderen und wieder zurück zu verlagern, wobei er seine Schultern nach vorne hängen liess, was nicht gerade bodenständig aussah. In krassem Gegensatz zu seinem Zynikermund standen seine grossen kornblumenblauen Augen und dann gab es Momente, in denen er mit seinem schrägen Humor durchaus positiv überraschen konnte. Gerade hatte er sich zu einem neuerlichen Lernanlauf überwunden. Viel lieber als dieses Zeugs über verschiedene Baustoffe zu lernen, um die er bei seinem Architekturstudium leider nicht herumkam, würde er jetzt irgendeinem hübschen unbekannten Mädchen seine Probleme mit dem Krieg in Ex-Jugoslawien schildern. Er hatte zwar eher ein paar Konflikte mit seiner eigenen Person, aber das ferne Ex-Jugoslawien schien ja so viel weniger verzwickt. Er hatte sogar schon einige Patentlösungen ausgetüftelt, denen es allerdings schwer an konkreter Durchführbarkeit mangelte. Er liess sich von seinen Tagträumen jedoch, wie gesagt, nicht lange beirren, denn am folgenden Tag war eine Prüfung angesagt, bei der er unbedingt gut sein musste.

9

Am selben Abend rief Remo bei Karla an. Er hatte alle seine khakifarbenen Sakkos in einer Truhe im Estrich verstaut und sass nun genügsam mit einem dicken Wollpullover, den ihm seine liebe Tante gestrickt hatte, in seinem schlauchartigen engen Wohnzimmer in einem unbequemen Sessel aus schwarzem abgewetztem Kunstleder, den er sich aus dem Brockenhaus geholt hatte, als es dort noch solche gab. „Ich habe bei der Bank gekündigt!“ „Was?!“, war die überraschte Antwort. „Das ist ja geil! Endlich! Bist du endlich vernünftig geworden!“ „Puh. Ja“, kam es kleinlaut. „Gehn wir nächstens zusammen stempeln?“ „Wahrscheinlich.“

 

10

Um das freudige Ereignis gebührend zu feiern, fuhren Karla und Endena am nächsten Abend bei Remo ein.

Er wohnte an einer Schnellstrasse mit Blick aufs Haus gegenüber, das schwarz war vor lauter Abgasen. Bei trübem Wetter wirkte die Fassade beängstigend und der Lärm von unten liess eine sich nahende Apokalypse erahnen.

Im schmalen Wohnzimmer mit der enormen Wohnwand vom Vorgänger wartete bereits Roberto und fing an zu zittern, als er Endena in der Tür stehen sah. Diese fasste sich ein Herz und setzte sich zu ihm aufs Sofa mit dem knallroten Stoffüberzug. Der Stoffüberzug war neu.

Karla, die sich ebenfalls aufs Sofa neben Endena gehockt hatte, schnappte sich eine Holzschüssel mit zwei dazupassenden Löffeln und fing an, damit Musik zu machen. Sie hämmerte wild drauflos, und schon bald setzten auch die anderen mit ein.

Remo, der am Boden sass, schob sich den leeren Papierkorb auf den Kopf und klebte sich im Takt zu Karlas Gehämmer Etikett-Kleber auf die Hosen.

Endena, eine rote Plastik-Schubkarre auf dem Kopf, wühlte in getrockneten Blättern herum, und erzeugte damit eine Art Hintergrundton.

Der etwas verklemmtere Roberto begnügte sich damit, mittels eines Quietsch-Krokodils aus Remos alten Kindertagen seinen Senf dazuzugeben.

Endena und Roberto lächelten sich zwischendurch verlegen an, bis Roberto sie mit tausend Hintergedanken fragte, ob sie ihm nicht Grundunterricht in Basketball geben würde. „Ja, warum nicht“, säuselte sie und verdrehte ihre dunklen Augen gen Himmel beziehungsweise in Richtung abbröckelnde Zimmerdecke.

Als Remo zwei Stunden später, schon halb taub, anmeldete, er müsse jetzt schlafen gehen, gingen die drei gemeinsam weg, sodass Endena Roberto ungehindert fragen konnte, ob sie ihn mit dem Auto nachhause fahren solle. Er schaute sie mit grossen ernsten Unschuldsaugen an und versuchte ein ganz neutrales „Ja, gerne“ von sich zu geben. Er fragte sich darauf, was Karla denn jetzt wieder so lustig fand.

Als sie schon ein Stück gefahren waren, und Roberto bereits seine Adresse preisgegeben hatte, kam es Karla so vor, als würden sie in die falsche Richtung brausen. Sie wollte Endena jedoch nicht blossstellen und sagte nichts. Roberto, der ebenfalls von diesem Abweg Kenntnis nahm, meldete sich behutsam: „Endena, willst du uns dein Auto vorführen?“ Sie, die das sichere Gefühl hatte, auf der richtigen Strasse zu sein, hatte nicht den leisesten Schimmer, was er ihr damit sagen wollte. „Auto vorführen? Wofür hältst du mich?!“ „Ich dachte nur, weil ich eigentlich auf der andern Seite der Stadt wohne.“ „Ich glaube, du hast zu viel mit deinem Gummikrokodil gespielt, ich fahre schon richtig!“, meinte sie spitz. Er seufzte und lehnte sich zurück. Karla drehte den Kopf fest nach rechts, sodass niemand ihr breites Smile sehen konnte.

Irgendwann im Verlaufe der Stadtbesichtigungstour wendete Endena und kam schliesslich wider Erwarten der andern beiden vor Robertos Haustür an. „Hättest du morgen Zeit zum Basketball-Spielen, so um drei?“, fragte er schüchtern. „O.K.“, tönte es sehr gereizt – verständlich, nach dieser Irrfahrt.

11

Am nächsten Abend trafen sich Karla, Remo und Knelch in ihrer Stammbeiz, in der sie sich anschreien mussten, um den Krach aus den Lautsprechern zu übertönen.

Knelch war derjenige der Clique, der jegliche News immer erst dann erfuhr, wenn schon wieder alles anders war. Und dann sah er Dinge, die ausnahmslos seinem Wunschdenken entsprachen, wie damals, an einem „Bunten Abend“ bei Karla und Endena zuhause, als er meinte, Endena knutsche mit Gustav in einer Ecke des Badezimmers herum, dabei war da gar niemand. Die beiden hatten lediglich eine kleine Meinungsverschiedenheit über Farbkombinationen und da standen sie im Wohnzimmer.

Knelchs Kopf krönte ein Bürstenschnitt in Blond, der von seinen Aktivitäten im Schweizer Militär zeugte. Warum er dort ehrgeizig war, würde nur sein Therapeut herausfinden, doch diesen mied er tunlichst. Er war einmal auf Betreiben seiner ersten Freundin hingegangen, doch es blieb bei dem einen Mal. Sein liebenswert argloser Gesichtsausdruck machte das von ihm romantisierte Militär zwar nicht wirklich besser, doch er machte ihn so sympathisch, dass ihm einfach verziehen werden musste.

Und dann war da noch seine Computermanie. Knelch hatte den ganzen Tag wieder mal nichts anderes getan, als auf diversen Tastaturen herumzuhacken.

Er schwärmte, zu Karlas Unverständnis, gerade von einem Fehler, den er nach dreiwöchiger Suche nun endlich gefunden zu haben schien, als klein Zorro, in dunkelvioletten Jeans und braunem Zopfmusterpulli mit V-Ausschnitt, den Laden betrat. Seine roten Haare wurden bereits am Eingang vom Barlicht in ein leuchtendes Flammenmeer verwandelt.

„Na, wie war es denn mit Kring, habt ihr euch gut amüsiert?“, fragte ihn Karla grinsend. Er verzog nur seinen Mund und holte sich ein grosses Bier.

Nach ein paar Schlucken hatte er sich jedoch wieder so weit erholt, dass er mit Karla eines ihrer beliebtesten Streitgespräche beginnen konnte, nämlich dasjenige über das Thema Astrologie. Sie fand die Horoskopanalyse etwas Unerlässliches, er laberte die ganze Zeit von seinem Instinkt, der ihm alle seine psychischen Probleme von selbst aufzeigen würde, was Karla sichtlich erstaunte, wenn sie an seine Ratio-Überbetonung dachte. Sie versuchte auf alle Fälle, nicht zu kichern.

Als die beiden einige Stunden später zu Karla unterwegs waren, nachdem sie so unschuldig wie möglich dreingeschaut hatten, als sie sich von Remo und Knelch verabschiedeten, sprachen sie über die Liebe. Sie taten so, als seien sie ganz offen zueinander, behielten aber mindestens drei Viertel für sich – schliesslich hatten beide ein Problem mit dem Aspekt zwischen Mond und Merkur, also zwischen dem, was sie fühlten, und dem, was sie dann schliesslich aussprachen. Das zwischenmenschliche Vertrauen war beiderseits etwas angeknackst.

In ihrem Schlafzimmer angelangt, fühlte sich Karla plötzlich sehr gehemmt. In ihrem Kopf spukten tausend Gedanken umher, sodass sie sich überhaupt nicht ihren Gefühlen hingeben konnte. Ausserdem war sie von Natur aus misstrauisch, vor allem in Bezug auf Männer.

Als Zorro sie in die Arme nahm, entspannte sie sich etwas. Sie küssten sich innig, ein Kleidungsstück nach dem andern flog durch die Luft, sie sog den Duft ein, der seinen weichen Haaren entströmte, doch irgendetwas stimmte immer noch nicht. Sie liebten sich, doch Karla war zum Heulen. Sie wusste nicht, warum. Vielleicht war sie einfach zu fest verliebt, und Liebe verband sie immer mit Schmerz. Irgendein unsanfter Kobold legte ihr dann ein paar anscheinend beleidigende Worte für Zorro in den Mund, sodass er aufhörte, mit ihr zu schlafen, sich anzog und nachhause ging.

12

Zwei Tage später kam er nochmals vorbei, erklärte Karla, dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben wolle und ging wieder.

Sie bekam einen solchen Schock, dass sie Remo ins Geschäft anrief und ins Telefon heulte. Er versuchte, sie zu beruhigen und fand auch etwas Positives dabei: nämlich, dass Karla endlich ihre Gefühle zeige.

13

Eine Woche später trafen Endena und Karla Kurt beim Biertrinken an der Bar ihrer miefigen Lieblingsbeiz an. Er hatte seinen üblichen Zynismus ausnahmsweise zuhause gelassen und konnte so etwas wie Freude verbreiten. Sein dunkelblaues Kapuzenoberteil traf nicht ganz den Ton der Kornblume, doch dafür hob es die strohblonden Haare durch den Helldunkel-Kontrast besser hervor. Kurt erzählte ihnen von seiner neuen Freundin und davon, dass er jetzt endgültig mit diesen ewigen One-Night-Stands aufhören würde. Karla, in ihren alten Ledermantel gehüllt, konnte ihm nur beipflichten. Endena, die bei einer Verbandszeitung einen 200%-Job als Redaktorin durchhielt, war viel zu erschöpft, um ihren Senf dazuzugeben.

Sie hatten ihre heilige Ruhe, bis Rotschöpfchen, mit seiner Kamera unter dem Arm (er versuchte sich als freischaffender Fotograf), hereinschneite und in aller Hast sein Bier hinunterspülte, zitternd und der Hysterie nahe. Er fragte Karla scheinheilig, wie es ihr gehe, doch sie schüttelte nur den Kopf. Nach zehn Minuten war er wieder weg.

Karla spürte, dass sie ihn trotzdem immer noch liebte und ärgerte sich darüber. Sie bestellte ebenfalls ein Bier, obwohl sie dem Alkohol schon lange abgeschworen hatte. Es beruhigte sie etwas. Sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, wieso Zorro so verletzt reagierte, nur, weil sie ihn im Bett gefragt hatte, ob er seine Ejakulation verzögern könne. Schliesslich hatte sie das schon andere gefragt, und diese hatten nur gelacht und gesagt: „Aber sicher doch.“ Hätte sie ihm vielleicht sagen sollen: „Oh, du bist mein einziger Herrgott"? Doch dazu war sie nun wirklich zu ehrlich und ausserdem setzte sie selbst bei Männern eine gewisse Portion an Selbstironie voraus. War das ein Fehler?

14

Silvester stand vor der Tür und vierzehn Waghalsige versammelten sich am Hauptbahnhof Zürich, um ins Wallis zu starten. Dort würde sie eine verlassene Alphütte ohne Strom und Wasser erwarten, fernab jeglicher Zivilisation.

Zorro glänzte durch Abwesenheit. Sein bester Freund Philip flüsterte Karla zu, dass Zorro nicht erscheine, weil sie da war, obwohl es ihm verboten wurde, dieses Geständnis weiterzuerzählen. Aber Philip war ein ehrlicher Mensch und besass zudem eine grössere Ader gutmütigen schwarzen Humors. Er war zu neugierig auf Karlas Reaktion, als dass er es ihr hätte verschweigen mögen. Sein Sinn für das Absurde trug also den Sieg davon und er stand neben Karla, drehte an seinem Ring aus Altsilber und lächelte verzückt, denn sie schoss grüne Funken aus ihren zusammengekniffenen Augen auf einen imaginären Zorro ab.

Perla, der die Alphütte gehörte, war die grösste unter den anwesenden Frauen, was natürlich auch an ihrem dunklen spitzen Hut aus dem eigenen Secondhand-Laden lag, der ihr langes gewelltes dunkelblondes Haar zierte. Sie war bereits am Morgen quicklebendig und nahm vieles, was andere verärgern würde, nicht so tragisch. Doch das Benehmen Zorros fand selbst sie völlig daneben.

Endena, in grauer Snowboardmütze und schwarzer Skijacke mit Reissverschluss, fluchte die ganze Zeit über ihn. Karla hatte jedoch nichts Besseres zu tun, als ihn zu verteidigen. Der schwarze Bommel ihrer langen Zipfelmütze schwang dabei aufgeregt hin und her. Endena hielt ihr eine Moralpredigt nach der anderen. Sie betonte vor allem, dass sich Karla nicht mehr mit solchen Kindsköpfen einlassen solle, die sie zu wenig respektierten, denn nach Endenas Meinung hätte Zorro Karlas Angst, zu einem Schnellfick missbraucht zu werden, begreifen sollen. Karla fragte sich, welche Männer denn keine Kindsköpfe waren.

Im Zug bemühte sie sich, eine gute Laune zu präsentieren und fand „das“ Hilfsmittel dazu, an dem sie ihre aufgestaute Wut auslassen konnte, ohne schreien zu müssen: Gusos Trommel, die er von seinem letzten Afrika-Trip heimgeschleppt hatte und jetzt überallhin mitnahm.

Guso, der Doppelskorpion, der immer von sich behauptete, er sei die Ausgewogenheit in Person. Seltsam, seltsam … Was da wohl alles unter diesem stillen Wasser lauerte? Indes für alle sichtbar, trug er nur italienische Schuhe und kämmte sich immer mal wieder seine kurzen dunklen Löckchen mit einer selbstzufriedenen Miene. Besonderen Wert legte er auch auf seine Gürtelschnallen, die wirkten, ohne wirklich aufzufallen. Schliesslich war er Werkzeugmacher.

Nach nicht mehr enden wollendem Ein- und Aussteigen und dem zwangsweise damit verbundenen Kennen Lernen der verschiedensten Schweizer Züge und einer äusserst wackeligen Gondelbahn und noch einem anschliessenden halsbrecherischen Abstieg, bei dem die mit den Stadtschuhen mindestens zweimal pro Person ganzflächigen Kontakt mit dem harten vereisten Boden aufnahmen, erreichten sie endlich, mit steifgefrorenen Fingern und klappernden Zähnen, ihr Ziel. Natürlich war es bereits stockfinster, und es verging geraume Zeit, bis die Kerzen, Petrollampen und vor allem das Feuer im Kamin in der Küche brannten. Die Hütte bestand aus zwei Stockwerken mit je einem Eingang für sich, einem auf der Ost- und einem auf der Westseite des Hauses. Im Parterre befand sich das Schlaflager und im ersten Stock die Küche und der Wohnraum. Um von der Schlafstätte in die Küche zu gelangen, mussten die matschnassen Schuhe also jedes Mal wieder angezogen werden und dann befand sich auch noch das Klo draussen, ein gutes Stück entfernt von den beiden Eingängen.

 

Da Karla sich nicht zur geborenen Hausfrau berufen fühlte, trommelte sie zusammen mit Philip, der ebenfalls sein Instrument mitgebracht hatte und sich allem Anschein nach auch nicht besonders gerne am Wohnlich Machen der Alphütte beteiligen wollte. Er hatte seinen langen dunklen Lockenschopf mit einem knallroten Gummiband im Nacken zusammengebunden, damit sich seine Mähne nicht in den trommelnden Händen verfangen konnte. Seine hellrote Jeansjacke war um zwei Knöpfe geöffnet und liess einen dunkelgrünen dicken Rollkragenpulli hervorlugen. Auch seine Hose war grün, allerdings etwas heller.

Nach dem Essen wurde die ganze Nacht getrommelt, die anfängliche Phase der Fingerschmerzen tapfer durchlaufen, bis die Hände nicht mehr spürbar waren.

Endlich im Polarschlafsack, sprach Karla noch lange mit den Geistern des Hauses und fühlte sich wohl behütet in ihrem neuen hohen Bett mit dem hölzernen Rand.

Die Tage vergingen und auch Karlas gute Laune. Sie nahm die depressiven Schwingungen von Zorro aus Zürich auf, die sich an Silvester beinahe ins Unermessliche steigerten, ärgerte sich über sein Benehmen und konnte es kaum erwarten, wieder abzureisen. Ausserdem war es tagsüber ohne Schlafsack saukalt.

Auf der Heimreise bekam sie auch noch Fieber, was dem Ganzen genau noch gefehlt hatte, um es ihr vollends ausfahren zu lassen.

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