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Denise Remisberger

Suche Frosch mit Krone

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Inhaltsverzeichnis

Titel

1

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5

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Impressum neobooks

1

„Dieser kleine rotblonde Drache geht mir langsam auf den Wecker!“, meinte Karla leicht grimmig. Dabei erschien vor ihrem inneren Auge eine blöde grinsende Visage mit hellgrünen Katzenaugen darin, die trotz der riesigen Nase gross wirkten. Umrahmt wurde diese Grosszügigkeit der Natur von karottenroten geraden Haarsträhnen, die viel versprechend weich schienen. Endena zuckte mit den Schultern und lächelte dabei. „Wo soll das noch hinführen“, seufzte sie, während sie die Spitzen ihres aschblonden Schopfes nach Spliss absuchte, wobei sie ein einziges beschädigtes Haar fand, was ihr beinahe die gute Laune verdarb. „Übrigens, wie kommst du auf ‚Drache‘, die spucken doch Feuer, tut er das?“ Karla, noch grimmiger: „Nein, eben nicht!“

Karla und Endena hockten in einer üblen Spelunke in einem üblen Viertel in einer miesen Stadt. Was sie noch hier behielt, wussten sie beide nicht. „Machen wir ein Café auf?“, sprudelte es aus Endena hervor, bereits zum dritten Mal in diesem Jahr. „Kein Geld!“, brummte Karla missmutig. „Wir könnten natürlich diese Bande hier rausschmeissen und das Teil besetzen!“ Jetzt sprudelte Karla und ihre braungrünen Augen mit dem komischen gelben Kranz, der sich um die Pupillen schmiegte, blitzten leicht. Wenn sie lachte, lachten ihre Augen immer zuerst. Endena zog die rechte Augenbraue in die Höhe und fragte sich wieder mal; dann aber kam auch ihr ein Gedanke: „Und wir stellen ein paar Eunuchen als Rausschmeisser an.“ Die beiden lachten laut und lange, und da sie nicht gerade leise gesprochen hatten, versenkten die Typen am Nebentisch ihre Blicke in ihren Biergläsern.

2

Endena bewohnte das Zimmer zwischen der Haustür und dem Wohnraum, Karla das andere – es gab nur noch dieses. „Klein, aber unser", prangte in grossen, schwungvoll gemalten Lettern über der abblätternden und eher kurzen Badewanne, vor allem dazu da, um nach angeschlagenem Ellenbogen gelesen zu werden. „Heute woll’n wir nicht traurig sein …“, tönte es aus dem eben erwähnten Behältnis, nicht ohne eine gewisse Ironie in der Stimme, denn Karla neigte zum Weltschmerz. Als sie fertig gebadet und fertig gesungen hatte, war es zehn Uhr, Zeit, den Tag zu beginnen, wenigstens versuchsweise.

„Endenaaaaa …“, krächzte die eben aus der Wanne Entstiegene – ihre Stimme hatte etwas unter dem Gesang gelitten, „heute ist ja der Neunundzwanzigste, da steigt ja unser ‚Bunter Abend‘ in unserem Wohnzimmer!“

Sie meinte einen hellen Raum mit Parkettfussboden, auf dem die vielfarbigen Kerzenwachsreste von einem Hang für mystische Atmosphäre zeugten. Das Sofa, welches sich an die linke Wand drückte, war ein unbequemes Stück aus der Jugendstilzeit, welches Karla, anlässlich des Umzuges ihrer Eltern in ein kleineres Haus, bekommen hatte. Dafür kam die Stehlampe mit dem grossen Schirm, die neben dem Sofa prangte, aus der IKEA. Es passte trotzdem.

„Ja, ja, so sei es“, war die nicht nur durch die Küchenwand verzerrte Antwort. Endena hatte bereits ein Vögelchen ins Ohr geflüstert, dass Roberto nicht kommen würde. Was war er auch immer so zurückhaltend. Oder eher sprechgestört? War sein überhebliches Schweigen nur eine kleine Verklemmung, die sie leicht beheben konnte, oder setzte er es berechnend ein, um geheimnisvoll zu wirken? Endena sonnte sich in dem Ruf, wahnsinnig intellektuell zu sein. Sie diskutierte selbst mit hoffnungslos sturen Fällen, wobei sie sich zwar sinnlos verausgabte, aber nichtsdestotrotz ein gewisses bösartiges Vergnügen darin fand. Schliesslich wurden manche Gegenüber wütend, womit sie ihr Ziel, ernst genommen zu werden, erreicht hatte.

„Meinst du, der kleine Drache kommt auch?“, unterbrach Karla ihre Gedanken über Roberto. Der Hoffnungsschimmer war nicht aus Karlas Stimme zu tilgen. „Ich dachte, er gehe dir auf den Wecker?“, gurgelte es hämisch – diesmal aus dem Korridor. Karla murrte kurz, dann lachte sie. Sie fand sich ja selber ganz schön paradox. Verliebte sie sich denn nie in jemanden, über den sie nichts zu fluchen hatte?

3

Der verhängnisvolle Abend stand vor der nicht mehr ganz so sicher scheinenden Tür, und schon riefen die ersten Klingeltöne zum Gefühleverstecken auf.

Karla setzte die coole Miene auf, welche hervorragend zu ihrem langen schwarzen Trägerkleid aus dicker Baumwolle passte und gab sich einen Ruck. Sie schaute noch mal schnell in den barocken Wandspiegel, kam sich vor wie eine Schlossbesitzerin ohne Bargeld und zerzauste ihr kastanienbraunes gerades Haar, das ihr fast bis zu den Schultern reichte. Sie war ungeschminkt, genau wie ihre Redeweise. Ausgenommen natürlich die eigenen Herzensangelegenheiten, über die sie nie sprach. Die lagen unter einer dicken Make-up-Paste verborgen und warteten geduldig auf ihr Coming-out.

 

Sie kamen alle aufs Mal – auch Zorro, der Drache. Die Horde, die im Treppenhaus, das dringend einer Renovation bedurfte, laut grölte, hatte sich zuerst in der üblen Stammknelle, die in einer Einbahnstrasse im ältesten Teil Zürichs vor sich hin roch, getroffen und trug jetzt den weltoffenen Duft von Philip Morris in die heimelige Küche, wo er gar nichts verloren hatte, denn Endena und Karla waren Nichtraucherinnen. Wo gab es das noch.

Karla sah allen in die glasigen Augen ausser einem – ihre Begrüssung für jenen nuschelte sie vor sich hin und starrte dabei auf sein stets um zwei Knöpfe geöffnetes Hemd. Als sie bemerkte, dass er ihr seine Hand hinhielt, ergriff sie diese und verlagerte ihren Blick auf seinen Mund. Die Berührung ihrer Hände war zwar nicht das, was sie erwartet hatte, doch sein spöttisches Lächeln auf dem erotischen Mund liess ihre gespielte Coolness beinahe abblättern. Sie besann sich deshalb in ihrer Not auf ihren stets griffbereiten Sarkasmus, der sich ihrem Zugriff immer dann besonders schmeichlerisch anbot, wenn sie eigentlich ihre Gefühle zeigen sollte: „Hast du das, was du ausspucken solltest, zuhause gelassen?“ Er wusste selbstverständlich nicht, was sie meinte, und sein Spott ging augenblicklich in Verärgerung über. Karla lächelte befriedigt. Sie hätte am liebsten in seinen roten Haaren herumgewütet und ihn in den Hals gebissen, doch sie behielt ihre vampirischen Neigungen für sich. Irgendwann einmal …

Dann gab sie sich genussvoll der Begrüssung der weniger aufwühlenden Figuren hin.

Am „Bunten Abend“ wurde Kreatives erzeugt. Endena, in einem dunkelvioletten Minikleid mit grünen Punkten darauf und mit dicken schwarzen Woll-Leggins darunter, war gerade dabei, sich auf die Farbe Gelb zu konzentrieren, als Gustav ihr etwas ins Ohr flüsterte. Er besass eine frappierende Ähnlichkeit mit Dalí in jungen Jahren und in seinem Blick schimmerte manchmal etwas Morbides. Sein Ziegenbärtchen kräuselte sich an den Enden und passte zu seinen schwarzen Überwasserhosen, die von grauen Hosenträgern gehalten wurden. An den Füssen trug er robuste Stiefel, die bei seiner dünnen Figur für die richtige Ausgewogenheit sorgten. Als er noch jünger war, nannten ihn seine Bekannten „die kleine Fledermaus". Kurz nach der Fledermauszeit, vor Jahren, waren er und Karla „das“ Paar. Sie stritten zwar täglich, doch alle anderen hielten ihre Beziehung für ideal.

Endena hörte ihn trotz seines exzentrischen Äusseren erst beim zweiten Anlauf. Ihr Gesicht verzog sich zu einem „Spinnst du?!", und er zog sich daraufhin hüstelnd zurück. Sie tat zwar so, wie wenn sie sich wieder auf die Farbe Gelb konzentrieren würde, doch dieses schüchterne, aber äusserst direkte „Du übst eine starke Anziehungskraft auf mich aus, weisst du“ liess sie nicht mehr los.

Der Erfinder dieser nicht sonderlich originellen Phrase betrieb das Spiel mit den Farben etwas professioneller – er besuchte die medizinisch-technische Abteilung der Kunstgewerbeschule. Dort durfte er Autopsien zeichnen und andere nette Sachen. Ihm gefielen Endenas Werke, von denen ein paar im Gang aufgehängt waren, so gut wie sie selber, auch wenn die Bilder eher von Feinheit und Sensibilität denn von Mord und Totschlag zeugten. Sie konnte mit den hellen Farben eine klingende Elfenwelt aufs Papier zaubern. Gustav fühlte sich äusserst geknickt. Doch im Grunde seines Herzens liebte er störrische Frauen. Er wusste allerdings nicht, dass der Hauptgrund für ihre distanzierte Haltung ihm gegenüber ihre Zuneigung zu Roberto war.

Karla hatte ihr Malpapier auf den Boden gelegt und kniete zwischen ihren ausgebreiteten Farben, ohne Rücksicht auf zukünftige Flecken. Sie sass in dem einen Winkel, von dem aus sie einerseits Zorro unbemerkt beobachten konnte, und wo sie sich andererseits in seinem Blickfeld befand – schliesslich wollte sie auch von ihm gesehen werden.

Zorro trug eine selbst gemachte Hose mit aufgenähten Blumenmuster-Pads und ein oranges langes Batikhemd – gekauft. Er lehnte sitzend an der Wand und schien sich zu langweilen. Er war nicht der Typ, der Kreativität in der Öffentlichkeit produzieren konnte. Die Angst, damit nicht anzukommen, war zu gross. Da tat er lieber nichts.

Karla spähte gerade zwischen ihren Haaren hindurch, als er sie anglotzte. Sie wurde sich ihrer Leidenschaftlichkeit auf einen Schlag wieder bewusst, blieb jedoch sitzen, wo sie war, knirschte unvernehmlich mit den Zähnen und warf die Farbe Rot auf ihr Bild.

Unser Zorro war nun nicht gerade unsensibel, auch wenn er sich immer grosse Mühe gab, wie der Coolste von allen zu wirken. Er bemerkte also Karlas innere Zerrissenheit, aber da er noch keinerlei Erfahrung mit dem Schönen Geschlecht hatte, interpretierte er natürlich alles falsch. „Sie findet mich völlig daneben“, sagte er sich. Sein sinnlicher Mund, der mit grosszügigem Schwung in sein Gesicht gezeichnet war, verzog sich zu einem grimmigen Strich, was seine erotische Ausstrahlung leicht beeinträchtigte. Dann nahm er einen tiefen Schluck „Feldschlösschen“ und einen noch tieferen Zug „Schwarzen“ und atmete tief durch. „Das nützt auch nichts!“, musste er sich nach anfänglicher Umnebelung zynisch eingestehen.

Inzwischen war Endena mit ihrem Bild, das an eine gleissende Sonne, aus der Unterwasserperspektive betrachtet, erinnerte, fertig geworden und wanderte im Raum umher – im materiellen, versteht sich, denn sie hielt weder was von „Schwarzem“ noch von „Grün Gestreiftem". Sie wollte die Werke der andern inspizieren. Sie fing dann auch gleich mit Remos Gemälde an.

Remo machte auf „verkannter Yuppie“. Er bemühte sich, mit seinen khakifarbenen Sakkos sportlich-elegant zu wirken, doch da er sich kein wirklich teures Material leisten konnte, wiesen seine Klamotten so viele Knitterfalten auf, dass er eher an jemanden erinnerte, der die abgetragenen Kleider seines grossen Bruders gnädigerweise vermacht bekommen hatte.

Der nach zwei Jahren Trennung immer noch in seine Ex-Freundin verliebte Arme hatte sich wieder mal herzzerreissend auf dem Papier ausgelassen. Das Bild war in rosa Tönen gefasst und stellte eine langstielige Rose dar – was sonst.

Endena fragte sich, wieso unglücklich Verliebte immer so fantasielos sein müssen.

Remo hockte also davor und sinnierte mit verzweifeltem Romeoblick, der zu seinen glatt nach hinten gegelten, schwarz gefärbten Haaren hervorragend passte. Sein angeborener Schleierblick, den euphemistischere Menschen als „verträumt“ bezeichnen würden, wurde durch seine Brille mit dem Metallgestell und den kleinen runden Gläsern auf die Ebene der klaren Wahrnehmung getäuscht. Ohne Brille, also in Wahrheit, sah er die Welt verschwommen und illusorisch.

Endena grinste bereits, als sie zu sprechen anfing. „Remo, du solltest dir eine neue Flamme zulegen.“ Er zuckte zusammen, doch sie fuhr unbeirrt fort: „Warst du nicht vor einer Woche mit dieser Arbeitskollegin von der Bank im Ausgang?“

Remo arbeitete nämlich widerwillig als Händler in einer dieser verrufenen Schweizer Grossbanken und trug schon seit mehreren Jahren das Problem des Nicht-loslassen-Könnens mit sich herum.

Nach Endenas Frage sprang er auf die Füsse, fuchtelte mit den Armen herum und rechtfertigte sich ungerechtfertigt: „Ich habe sie nicht abgeschleppt! Ich bin nicht so einer!“

„Eben“, war die knappe Antwort.

Endena liess ihn stehen, wo er war und ging auf die Toilette. Dort begegnete sie Karla, die gerade eine scheussliche Grimasse vor dem Spiegel zog. „Hast du ein Problem?“ „Rotschöpfchen nervt mich!“ „Schon wieder?“ „Immer noch!“

Karla stürmte in die Küche, um sich einen Kamillentee zur allgemeinen Beruhigung zu brauen und stiess dabei heftig mit Zorro zusammen, dem vor Schreck die Pommes-Chips-Tüte aus der Hand fiel und knisternd auf dem Boden ankam.

„Hi", grinste er schelmisch, wobei seine spitzen Schneidezähne entblösst wurden. Sein Selbstvertrauen hatte in der Zwischenzeit wieder etwas zugenommen.

Karla verzog zuerst den Mund zu purer Missbilligung, packte dann ein Büschel roter Haare und küsste ihre Nervensäge heftig auf den Mund, der sich ihrem ohne Widerrede öffnete. Dann riss sie sich los und torkelte völlig verwirrt über ihren Mangel an Selbstkontrolle zu ihrem Bild zurück.

Zorro war nicht weniger verwirrt – schliesslich hatte er sich vor Kurzem noch eingeredet, dass sie ihn nicht mögen würde. Sein Herz flatterte, seine Hände zitterten und er fühlte eine prickelnde Energie sich in seinem Körper ausbreiten. „Gibt es das wirklich?“, fragte er sich, hilflos seinen Sinnen ausgeliefert, die seiner sonstigen Kopflastigkeit so fremd waren.

4

Währenddessen hockte Roberto zuhause in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung vom Sozialamt (als Beamter der Stadt kam er schneller als andere zu einer billigen Wohnung, trotz seines höheren Einkommens) vor der Glotze und liess ein langweiliges Programm über sich ergehen. Dabei träumte der inzwischen immerhin schon 25-Jährige von der Liebe, und zwar von der körperlichen, und das, ohne sich dabei wirklich zu berühren. Er konnte, was seine Unberührtheit betraf, Zorro durchaus das Wasser reichen. Letzte Woche liess er sich die dichten strohblonden Haare bis auf 5 cm abschneiden, wobei er eine Strähne irgendwo über dem rechten Ohr doppelt so lang beliess. Er war dem New-Wave-Zeitalter, das in seiner Pubertät aktuell gewesen war, noch nicht ganz entwachsen. Dafür steckten seine wohlgeformten Beine in einem Paar abgewetzter Blue Jeans, das eher an den Wilden Westen erinnerte. Vielleicht hatte er ja eines seiner vergangenen Leben dort verbracht und es noch nicht verarbeitet. Sein schlabberiges T-Shirt mit den halblangen Ärmeln entbehrte jeglicher Farbe.

Gerade raffte er sich zum vierten Male zur Küche auf, um seinem Bierharass eine volle Flasche mehr zu entwenden, und schon hatte ihn das konkrete Leben wieder eingeholt. „Wie war noch ihr Name? Endena, genau, so hiess sie. Sie wurde verlegen, als er sie ansprach und doch hing ein Grinsen an ihren vollen Lippen. Lachte sie ihn aus?“ Er fragte sich das mit ernster Miene und trank.

5

Später, um vier Uhr morgens, als unser Roberto schon ins schwarz bezogene Bett gefunden hatte, läutete es an der Tür. Schlaftrunken stolperte er in Richtung des schrillen Tons und fand dort, nach mehrmaligem Drehen des Schlüssels in beide Richtungen, Ronald vor. Ronald überragte Roberto um einen halben Kopf, obwohl jener seine 1.80 vorzuweisen hatte. Vielleicht war die Ursache des Grössenunterschiedes aber auch die ewig gebückte Haltung Robertos, die ihn kleiner erscheinen liess. Ronalds kurz geschnittenes dunkelbraunes Haar mit der grünen langen Strähne, an der ein silbernes Glöckchen baumelte, hing ihm tropfend in die Stirn, da er seinen Weg zu Robertos Heim zu Fuss bewältigt hatte, obwohl es in Strömen regnete. Auch die braune Lederjacke mit dem kaputten Reissverschluss tropfte. Das einzige Stück, das der Regen verschont hatte, war seine mit einem Lederdeckel versehene Uhr. Das Ganze sah aus wie ein riesiges braunes Armband. Er war sehr stolz darauf. Ronalds Wangen glühten in einem feuerroten Ton und er miefte nach Fahne. Er hielt noch den Becher Bier in der Hand, den er sich am „Bunten Abend“ von Karla geben liess. Diese war offensichtlich sehr erpicht darauf gewesen, ihn fortgehen zu sehen. Er trampte also in Robertos Wohnung und wartete, bis dieser ihm ein Lager im Wohnzimmer vorbereitet hatte. Dieser Raum vermittelte einen etwas kargen Eindruck, denn ausser dem Fernseher und einem bequemen Sessel davor, beherbergte er nur noch eine Matratze, die mit einem alten karierten Tischtuch bedeckt war.

Ronald wohnte in einer anderen Stadt, da er dort eine Stelle als Grafiker in einem Atelier ergattern konnte, und der letzte Zug war schon lange weg.

„Wieso bist du nicht auch gekommen?“, lallte Ronald. „Ich musste zu meinen Eltern nachhause, sie haben mich eingeladen“, war die lahme Antwort. „Wie alt bist du?“, kam es prompt zurück. Nach dem hervorgepressten „Fuck off“ marschierte Roberto zurück ins nicht mehr ganz so warme Bett.

Kaum aber war er wieder eingeschlafen, schreckte er auf, da jemand nach ihm tastete. „Ronald, spinnst du jetzt vollends?! Verpiss dich!“ Der Eindringling, der sich bei sich zuhause wähnte, wurde unsanft zurück ins Wohnzimmer geschoben, wo er sich auf sein Lager legte, allerdings nur mit dem Kopf; der restliche Körper kuschelte sich auf dem Parkettboden in eine imaginäre Decke. Roberto stapfte kopfschüttelnd zurück in sein Schlafzimmer und schloss die Türe sicherheitshalber ab.

 

Am nächsten Morgen fand er Ronald auf dem hellblau gekachelten Badezimmerfussboden schnarchend, was seine allgemeine Empörung noch ins Besondere steigerte. Als er ihn beim Frühstück zur Rede stellen wollte, wusste der inzwischen Ausgenüchterte nichts mehr.

6

Als Karla am nächsten Morgen in ihrem Zimmer mit dem hohen Bogenfenster mit Blick auf den bewölkten Himmel erwachte, kam ihr als Erstes ihr Debüt mit Zorro in den Sinn. Sie seufzte und rollte sich aus ihrem riesigen, türkis bespannten Bett, das auf einem Rost am Boden den meisten Platz des Raumes einnahm. Den restlichen Abend hatten sie sich gemieden, da der einzelne Kuss für eine Weile völlig gereicht hatte. Sie legte sich ihr Fellgilet um und schlurfte in die kleine, weiss verputzte Küche. Sie schöpfte einen Riesenlöffel Honig in ihre grosse Haustasse und stellte sie auf den alten Holztisch mit den verschnörkelten Beinen, während die italienische Espresso-Maschine Geborgenheit verströmte, was Karla Grund genug war, sich keine automatische Klotzkonstruktion anzuschaffen. Endena war nicht da. Sosehr sich Karla auch bemühte, die roten Zorro-Haare erschienen ihr immer wieder, flatterten an ihrem inneren Auge vorbei und waren doch nicht zu halten. Sie hatte das enorme Bedürfnis, diese Bilder zu verdrängen und so fing sie wie vergiftet an, in ihrem neuen Astrologiebuch weiterzulesen.

Sie war im ersten Jahr an der Astroschule, berufsbegleitend, und da sie gerade arbeitslos war, hatte sie viel Zeit zum Lernen.

Sie schlug also die Seite mit dem selber bemalten Buchzeichen auf und begann, sich zu vertiefen. Aber bald schon kam sie zu einem Abschnitt, der „Venus in Löwe“ behandelte, und musste sofort wieder aufhören mit ihrer Lektüre, denn Zorros Venus stand genau dort. Und über seine erotische Ausstrahlung zu lesen, vermochte sie nun wirklich nicht, ohne Schreikrämpfe zu bekommen. Und diese wollte sie tunlichst vermeiden. Also klappte sie das verhängnisvolle Ding wieder zu, sauste auf ihrem violetten City-Bike ans andere Ende der Stadt und unternahm einen Spaziergang im Botanischen Garten, in dem sie die rötlichen Blumen auch nicht gerade von ihrer Besessenheit ablenkten.