Fidibus und die dänische Fibel

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Fidibus und die dänische Fibel
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Denise Remisberger

Fidibus und die dänische Fibel

Ein Mönch Fidibus Krimi

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

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Impressum neobooks

Vorwort

Während Papst Johannes XII. in Rom den Vatikan zu einem Bordell umfunktionierte, König Otto der Grosse das Ostfrankenreich plus Oberitalien und baldige Heilige Römische Reich durch die Stärkung des Reichsepiskopats durchmauschelte, was den treu ergebenen Bischöfen, Äbten und Äbtissinnen immer mehr königliche Befugnisse und den eigensinnigen Stammesherzögen immer weniger einräumte, Bischof Konrad von Konstanz unermüdlich Bauwerke nach ihren Vorbildern in Jerusalem und Rom errichtete, die Herrschenden des Herzogtums Schwaben, Burchard III. und seine Frau Hadwig, nicht immer einer Meinung waren und Abt Craloh im Kloster Sankt Gallen seine Mönche terrorisierte, wurde eine dänische Fibel auf eine unfreiwillige Reise an den Bodensee genötigt, auf dass sie im Frühjahr 957 prompt für ein schon fast unchristliches Durcheinander im eigentlich beschaulichen Leben von Mönch Fidibus, Cellerar im Kloster Sankt Gallen, sorgte, das abenteuerlustige Burgfräulein Siegelinde plus Anhang auf den Plan rief, Räuber Dumpfbacke und seine garstigen Kumpane aus ihrer Höhle im gefürchteten Arboner Forst lockte, die betenden Frauen im Kloster Münsterlingen um ihre wohlverdiente Nachtruhe brachte und sogar im bischöflichen Konstanz auf nicht ganz uneigennütziges Interesse stiess.

1

Klirrende Kälte stieg vom feuchten Boden auf, an diesem Februartag kurz vor der Vesper. Der Bodensee und sein Ufer nahe der Insel Rinisgemünde, zwischen Rorschach und dem aus Churrätien kommenden Rheinzufluss, lagen in dichtem Nebel. Das gelb-bräunliche Schilf, welches das Ufer an dieser Stelle recht weitläufig säumte, beherbergte nicht nur die verschiedensten Arten von Seevögeln, die, gedämpft durch den Nebel, die eigenartigsten Töne von sich gaben, sondern auch eine Bande von Seepiraten, sieben an der Zahl, die, bereits mit Knüppeln, Lanzen und langen Messern bewaffnet und in ihren wendigen Seglern hockend, auf der Lauer lagen, denn heute sollte eine über Gebühr reiche Witwe aus dem Herzogtum Bayern über den See kommen, mit dem Ziel, dem Kloster Sankt Gallen eine üppige Spende zu überreichen. So hatte es auf alle Fälle der Seepirat Gizi von zwei Handwerkern aus dem Klosterdorf Sankt Gallen aufgeschnappt, die am Rande des Schilfs auf der Römerstrasse am Bodenseeufer Richtung Rorschach entlanggelaufen waren und in einer Lautstärke den neuesten Lindauer und Sankt Galler Klosterklatsch ausgeplaudert hatten, dass Gizi die Ohren gewackelt und er sich in grosser Vorfreude die Hände gerieben hatte.

«Da sind sie», flüsterte Guzi, ein anderer der Seepiraten, zu dem die Stimme des Steuermannes Sigi, zu dessen Kundschaft ausschliesslich reiche Leute gehörten, die er auf dem Bodensee umherschipperte, als Erstem herübergeweht war. Sigi hätte eigentlich lieber im Seehafen Rorschach angelegt, doch die Dame wollte kein grosses Aufsehen erregen und hatte darum noch am Tag zuvor, als sie im Lindauer Kloster «Unserer Lieben Frau unter den Linden» geweilt hatte, einen eher einsamen Punkt am Ufer ausgesucht, um aufs Festland überzuwechseln. Kurz bevor sie aber dort anlangten, sausten die Seepiraten in ihren beiden Booten mit lautem Gebrüll auf den einmastigen Rahsegler zu, dessen Wollsegel sich im eisigen Wind blähte, und enterten das kleine Gefährt. Sie entrissen der schreienden Witwe den prall gefüllten Lederbeutel, den sie an sich gedrückt hatte, und schlugen den Panzerreiter, der die ältere Frau beschützen sollte, nieder. Sigi wurde ignoriert, denn der wehrte sich eh nie. Durch den Kampf aus dem Gleichgewicht gebracht, schwankte das Boot hin und her, bis es umkippte und alle ins zwar nicht tiefe doch saukalte Wasser beförderte. Nachdem sich die nun nicht mehr ganz so reiche Dame Klothilde, der leidende achtundsechzig Lenze alte Panzerreiter Trumer, der sein Damaszenerschwert so schnell nicht hatte ziehen können und dessen linke Kniekehle durch den Schlag des einen Knüppels unterhalb des Schuppenpanzers entsetzlich schmerzte und nach allen Seiten ausstrahlte, und Steuermann Sigi, der sein Boot das kurze Stück hinter sich hergezogen hatte, an Land gerettet hatten, waren die Seepiraten verschwunden. Nun standen sie alle drei triefnass auf schilfiger Flur, debattierten noch eine ganze Weile über die Art der Fortsetzung ihrer Reise und entschieden sich dann doch noch, wieder ins Boot zu steigen und sich zum sicheren Seehafen Rorschach zu begeben. Während Klothilde vor Kälte zitterte, Trumer seine gequetschten Beinmuskeln abtastete und Sigi sich mit den zum Glück immer gut vertäuten Rudern ins Zeug legte, hing das patschnasse Wollsegel traurig vom Mast herunter und wartete auf bessere Zeiten.

 

2

Im Kloster Sankt Gallen war der Teufel los. Drei Mönche und fünf Novizen waren damit beschäftigt, im Gästehaus, welches von der Klosterschule und einer eigenen kleinen Küche mit Bäckerei und Brauerei flankiert wurde und sich ausserhalb der Klausur befand, das Zimmer für den hohen Besuch aus Bayern herzurichten. Abt Craloh stand mürrisch herum, liess seine säuerlichen Ausdünstungen in aller Nasen steigen und giftete wieder einmal mehr seinen Cellerar Fidibus an, der, fröhlich ein Liedchen pfeifend, gemütlich auf einem Schemel hockend an der Wand lehnte, die kurzen Beine von sich streckte und die Liste der Waren kontrollierte, die heute eingetroffen waren.

«Merkst du überhaupt, wenn etwas fehlt, so wie du dasitzt?», pflanzte sich der bösartige Abt vor ihm auf.

«Aber sicher doch», meinte Fidibus und holte gleich noch zu einer frommen Erklärung aus, wobei er den ironischen Unterton wohlweislich vermied: «Wenn die Säfte im Körper ungehindert fliessen können, sehe ich besser. Darum hat unser Herr im Himmel uns dergestalt geformt, auf dass alles in uns in Einklang gebracht werden kann. Durch eine entspannte Sitzhaltung.»

«Was du dir immer für Ausreden ausdenkst, Fidibus. Aber vielleicht stimmt es ja. Ich werde mich jetzt in meine Pfalz begeben und überlasse dir die Aufsicht über dieses Durcheinander hier. Ich hoffe, dass ich mich vor der grosszügigen Spenderin aus Bayern nicht schämen muss.»

«Sie wird sich bei uns wohl fühlen», versicherte der Cellerar.

«Sie soll sich nicht wohl fühlen, sondern von der geistigen Grösse unseres Klosters beeindruckt sein.»

«Das gewiss auch, werter Abt.»

Nachdem sich Abt Craloh in seine Pfalz, die gleich neben der Schule lag, zurückgezogen hatte, atmeten alle erleichtert auf. Novizenmeister Karl setzte sich neben Fidibus auf den gut gefüllten Strohsack, den die Novizen nachher in die Holzkiste legen würden, die der Dame als Bettstatt dienen sollte. Die Binsen auf dem Lehmboden des niedrigen Raumes waren zwar nicht ganz frisch im Februar, doch hatte Infirmar Kunibert einige seiner getrockneten Kamillenblüten rausgerückt, um sie unter die Binsen zu mischen, so dass es nun angenehm nach Sommer roch, obwohl es eisig kalt war in dem einzelnen Zimmer. Eine gemauerte Feuerstelle drückte sich im Refektorium des Gästehauses an die Wand mit der winzigen Öffnung für den abziehenden Rauch und war zu dürftig, um ihre Wärme im ganzen Gebäude zu verbreiten.

«Die Kamillenblüten sind regelmässig auf dem Boden verteilt», meldete Novize Bertram seinem Meister Karl.

«Schön. Habt ihr das wertvolle Bildnis der Heiligen Jungfrau gegen das weniger wertvolle ausgetauscht und den Betschemel wieder davorgestellt? Nein, ich sehe ihn nicht», drehte sich Karl in die besprochene Richtung.

«Das Bildnis haben wir ausgetauscht. Wo ist denn nun der Schemel?»

«Oh», sprang Fidibus aus seiner bequemen Ecke in die Mitte des Raumes. «Da ist er», deutete er auf den von ihm persönlich angewärmten niedrigen Hocker, der unter seiner voluminösen Figur versteckt gewesen war.

«Wieso kniet die werte Dame eigentlich nicht auf einem einfachen hölzernen Bänkchen vor dem heiligen Bildnis, wie alle anderen auch?», posaunte der freche Novize Hans quer durch die Kammer.

«Weil sie’s anscheinend an den Knien hat, die Arme», erklärte Karl.

«Also arm ist die bestimmt nicht», grinste Hans, hob den mit weichem Fell umwickelten Schemel auf und stellte ihn genau vor das kleine Bild, das nun die Wand zierte.

3

Im Hafen Rorschach war kein Mensch zu sehen, ausser natürlich dem Zollministerialen Ottokar, der gegen die Kälte auf und ab lief, so, dass der Landungssteg unter seinem Gewicht erzitterte.

«Ihr hättet Euch keine Sorgen machen müssen, edle Dame, hier lauern keine Menschenmengen, die Eure Ankunft miterleben könnten», meinte Steuermann Sigi, der noch immer unter Schock stand.

«Sieht so aus, ja», gab die Alte mürrisch zu.

«Waren?», brüllte Ottokar die Anlegenden an.

«Nein, nun nicht mehr!», brüllte die durchgefrorene Dame zurück. «Wir wurden gerade von mehreren irren Seepiraten überfallen und sind immer noch triefnass und völlig fertig. Wir brauchen dringend eine Unterkunft. Aber bestimmt keine Unterstellungen!»

«Das war ja nur eine Frage gewesen, werte Frau. Dann macht es noch zwei Pfennige Hafengebühren.»

Klothilde zog einen kleinen Lederbeutel mit Notpfennigen unter ihrem Kleid hervor und bezahlte.

«Das Gasthaus befindet sich gleich dort drüben», fuhr der zurechtgewiesene Zöllner eifrig fort und zeigte auf ein grösseres Holzhaus, das sich einladend in den festgestampften Boden kuschelte, der vom Steg zu den ersten Häusern der Hafenstadt Rorschach führte. Davor stand ein Handkarren, auf dem zwei grosse Fässer auf die Weiterreise warteten und daneben band ein Kramer seinen Maulesel vom Holzbalken los, nachdem er ihn wieder mit seinen beiden Satteltaschen, die wertvolles Safran aus dem Süden, das in der Grafschaft Bregenz zwischengelagert worden war, enthielten, beladen hatte.

Sigi eilte nach Hause in seine kleine Hütte am Stadtrand, um sich etwas Trockenes anzuziehen und eine heisse Gerstensuppe zu essen. Erst morgen würde er die nächsten Scherzkekse, die in dieser frostigen Jahreszeit unbedingt reisen mussten, in seinem Boot herumfahren.

Klothilde und ihr Panzerreiter Trumer begaben sich hoch erhobenen Hauptes in die Herberge, um dort die Nacht zu verbringen und vorher eine riesige Portion Gerstensuppe mit viel Speckwürfeln darin zu verputzen und sich mit Honig gesüsstem Würzwein volllaufen zu lassen, denn sie hatten Trost bitter nötig.

4

«So, das Zimmer ist bereit», erhob sich Fidibus vom Strohsack, auf den er sich gerettet hatte, nachdem der Betschemel verstellt worden war. «Ich gehe jetzt zur Vesper in unser Gallusmünster und danach ins Refektorium essen.»

Novizenmeister Karl trommelte seine fünf Jünglinge zusammen und begab sich mit ihnen in die Michaelskapelle, die sich innerhalb der für die Dorfbevölkerung von Sankt Gallen zuständigen Otmarskirche befand. Nach dem Stundengebet würden sie zur Kapelle hinaus über den winzigen Kreuzgang der Novizen in ihr eigenes kleines Refektorium laufen, um etwas Heisses zu sich zu nehmen, in dieser grässlichen Jahreszeit.

5

Die Sonne warf ihr karges Februarlicht auf das von kleinen Wellen gemusterte Wasser des Bodensees und liess auch den einen oder anderen matten Strahl auf die Behausung der sieben Seepiraten fallen. Das bucklige Halbrund, aus Schilf geflochten und mit Flechten gegen Wind und Kälte abgedichtet, duckte sich nah am Boden und verschwamm mit den Farben der Umgebung zu einem fast unauffindbaren Versteck, das nur über fussbreite Pfade und mit viel Orientierungssinn vom Festland aus erreicht werden konnte. Guzi kroch als Erster aus dem nicht sonderlich geräumigen Bau für sieben Personen, reckte sich, gähnte ausgiebig und rief seine Kumpane nach draussen. Gemeinsam kippten sie den Inhalt des grossen Lederbeutels, den sie der reichen Dame auf dem Boot abgenommen hatten, im morgendlichen Tageslicht auf der festgestampften Erde aus.

«Ganz viele Silbermünzen», freute sich Gezi lautstark, während er einige der Silberlinge durch die breiten Finger seiner Pranken rieseln liess.

«Und was machen wir mit den Dingern?», war dem sich am kahlen Kopf kratzenden Gözi noch nicht ganz klar.

«Ausgeben natürlich, was sonst?!», meinte Güzi kichernd, massierte seinen Schwabbelbauch und sah schon Berge von kostspieligen Sachen in seine Tasche wandern.

«Wir sollen zahlen?», staunte Guzi, der nochmals gähnte und dann seine langen dunkelblonden Strähnen mit einem erbeuteten bestickten Haarband in Weissblau zähmte.

«Wir können so tun, als wären wir total normale Bauern und in den Dörfern rumschleichen, ohne erkannt zu werden», klärte Gäzi auf, der seine genagelten Stiefel umständlich anzog.

«Und uns dabei umhören», ergänzte Gizi und glättete seinen mit Safran gefärbten, langärmeligen Kittel aus feinster Wolle, den er vor langer Zeit einem Adeligen geklaut hatte.

«Ja, genau; wer von den reichen Leutchen wann über den grossen See in die Nähe unseres Lagers kommen wird», frohlockte Gozi, der eine Ladung Fürze losliess, die es in sich hatten.

«Aber was ist das?», zog Gizi eine quadratische Fibel, aus Golddraht gearbeitet und mit dem Abbild eines Vogels in der Mitte, aus dem Münzhaufen hervor.

«Das ist eine Möwe», zeigte Gözi auf das Schmuckstück.

«Nicht im Traum. Das ist kein Seevogel», berichtigte Guzi.

«Ein seltsames Tier», meinte Güzi.

«Nur weil du es nicht kennst, ist es noch lange nicht seltsam», wies Gezi seinen jüngeren Piratenbruder zurecht.

Alle starrten auf die Fibel, konnten sich aber nicht erklären, woher diese kam und was sie bedeuten sollte. Der wundersame Vogel blieb ein Rätsel.