Slaughter's Hound

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»Kann ich mir auch kaum vorstellen. Was will er denn hier bauen? Ein Gefängnis?«

Finn zuckte mit den Schultern. »Die Idee entstand in der Zeit, als alles rund lief. Da plante er einen eigenen Stadtteil mit Läden, ein oder zwei Restaurants, einem Pub. Zu Anfang war sogar ein Yachthafen vorgesehen, jede Wohneinheit sollte einen Anleger kriegen. Ich musste eine künstlerische Impression für ihn zeichnen, sah gar nicht schlecht aus. Wenn man die alten Backsteinfassaden stehen ließe, meinte er, würden die Yupniks total drauf abfahren.«

»Yupniks?«

»Yuppie-Rednecks.« Er hatte den Anstand, immerhin verlegen dreinzublicken. »Wie auch immer, das ist alles Schnee von gestern.«

»Aber er will immer noch kaufen.«

»Ja, er spielt auf Zeit, um den Preis zu drücken. Immerhin beherrscht er dieses Good-Cop-Bad-Cop-Spielchen ganz gut. Im einen Moment sagt er: ›Du musst sofort verkaufen, Finn‹, kurz darauf heißt es: ›Der Käufer macht den Preis, Finn‹. Schizophrener Drecksack.«

»Du solltest nicht direkt mit ihm verhandeln. Setz einen Anwalt dazwischen, damit du mehr Luft hast. Sag dem Anwalt, er soll hart bleiben.«

»Das ist auch noch so eine beschissene Sache, Mann. Gillick ist mein Anwalt.«

»Stimmt.«

»Ist ziemlich kompliziert. Er ist der Anwalt der Familie, das war schon immer so. Außerdem findet er die Idee mit Zypern gut, er will einsteigen, Erdgeschoss-Wohnung.« Er schob den Gedanken beiseite. »Wie auch immer, kein Grund zur Panik. Wenn wir die bürokratischen Hürden da unten erstmal genommen haben, wird er mir das Geld hinterherschmeißen.«

»Darauf würde ich nicht wetten, Finn. Bei der Sache muss man einen langen Atem haben.«

»Ja, na gut …« Er sah jetzt mutlos aus. »Aber hör mal, halt das unter Verschluss, ja?«

»Ich kauf mir extra ein paar Tupperdosen.« Ich prostete ihm mit meinem Kaffeebecher zu. »Fair war gestern, Mann. Bon Voyage

»Danke.«

Ich trank den Kaffee aus, brachte den Becher in die Küche und spülte ihn ab. Als ich zurückkam, hatte er The Only Ones aufgelegt, »Another Girl, Another Planet«. »Erwartest du noch jemanden?«, fragte ich.

»Nein, wieso?«

»Ich hol dann mal das Zeug.«

Er schaute auf die Uhr. »Nicht nötig, ich bin fast fertig. Ich komm gleich nach. Oh, hier.« Er fasste unter den Tisch, klapperte ein paar CDs durch und hielt dann eine unbedruckte Hülle hoch. Warf sie mir rüber. »Songs zum Tanzen und Kinderzeugen # 7« stand in seiner geschwungenen Handschrift auf dem weißen Einlegezettel. »Schau mal, ob du damit klarkommst.«

»Da fällt mir ein, Herb wollte ein bisschen Motown hören. Von Smokey Robinson, falls du so was hast.«

»Kein Problem. Bin in zehn Minuten unten.«

Tatsächlich brauchte er zwanzig. Auch wenn er sich zum Schluss sehr beeilte. Als er mit dem Kopf zuerst das Taxidach durchschlug, musste er über achtzig Stundenkilometer draufgehabt haben.

6

Brutzelndes Fleisch, verbranntes Benzin, vielleicht sogar ein Hauch von Schwefel. Der Geruch des Aufstands an einem Samstagabend in der Hölle.

Meine Gedärme verknoteten sich zu einem zuckenden Klumpen. Ich taumelte Richtung Hafenbecken, um eine zu rauchen, meine Hände zitterten so sehr, dass ich den Tabak erst beim dritten Versuch aus meiner Hosentasche kriegte. Bear hatte aufgehört zu bellen, aber ab und zu hörte ich ihn kratzen und leise winseln. Endlich hatte ich es geschafft, mir eine Fluppe zu drehen, und hielt mein Gesicht in den Rauch.

Als meine Innereien sich wieder beruhigt hatten, drehte ich mir noch eine und lief zurück zu der Stelle, wo er lag. Ging in die Hocke und hielt mir die Nase zu. Etwas musste gesagt werden. Es war ein bisschen zu spät für einen Akt der Reue, außerdem war Finn sowieso nicht religiös gewesen, also entschied ich mich für etwas halbwegs Spirituelles aus »Bell Jars Away«.

»I have thrown myself into your warm hold«, flüsterte ich, »where you bless away the shivering

Es gab keinen Grund zu flüstern. Im Umkreis von einem Kilometer hörte niemand zu. Aber ich hatte Angst, meine normale Stimme könnte versagen. Ich zitterte, das große Beben hatte sich beruhigt, aber kleinere Nachbeben brachen immer noch durch.

Ich drückte einen Kuss auf meine Faust und berührte damit das, was von seiner linken Schulter übrig geblieben war.

Das war nicht viel, aber ich musste es tun.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Ambulanz eintraf und etwas vorfand, das man vielleicht noch als Salami hätte verwenden können. Vor ihrer Ankunft fragte ich mich, ob Finn seinen Audi vielleicht unverschlossen abgestellt hatte. Hatte er. Ich schimpfte ihn einen Volltrottel und zwar laut, und ich merkte, dass ich das nur tat, weil ich wusste, dass niemand in der Nähe war, nie gewesen war, nicht zu so später Stunde. Ich hegte die vage Hoffnung, sogar der Zündschlüssel könnte im Schloss stecken, aber nicht mal Finn war so nachlässig. Zwei Minuten, ein paar Drahtenden und einigen Funken später hatte ich wieder einen fahrbaren Untersatz. Der Audi war auf der linken Seite schlimm verbrannt, die Fenster waren rußgeschwärzt und sahen aus wie getönt. Aber die Kiste funktionierte noch.

Die Sanitäter kamen, sahen und schreckten zurück. Ich identifizierte Finn und erzählte ihnen, was ich gesehen hatte. Der Typ, der die Leitung hatte, schien einigermaßen kompetent und stabil zu sein, also ging ich meiner Wege. Als er hörte, wie ich die Tür des Audis schloss, kam er rüber und klopfte gegen das Fenster. Ich ließ es herunter.

»Meinen Sie, Sie können fahren?«, fragte er.

»Aber sicher.«

»Passen Sie auf, der Schock kann mit Verzögerung eintreten. Wenn Ihnen schlecht wird, bei Benommenheit oder einem plötzlichen Schwindel, halten Sie sofort an.« Er schaute mich genauer an, bemerkte die verschmorten Augenbrauen, das Blut an den Händen, das jetzt schwarz vertrocknet war. »Außerdem müssen Sie sich nähen lassen, da an der Hand.«

»Ich kümmere mich drum.«

»Und Sie wissen auch, dass Sie nicht wegfahren dürfen, bevor die Cops hier sind.«

»Jemand muss es seiner Familie sagen.«

»Das können auch die Cops machen.«

»Ja, aber es sollte jemand sein, der ihn kannte.«

»Na schön, aber ich muss Ihr Kennzeichen aufschreiben.«

»Nur zu. Ich komm zurück, wenn ich die Nachricht überbracht habe. Falls die Polizei dann nicht mehr hier ist, geh ich zur Wache. Ich brauche ungefähr eine Stunde, bis ich zurück bin.«

Er klopfte aufs Dach und richtete sich auf. »Ich reiße mich bestimmt nicht darum«, sagte er und ging weg.

Er hatte ja keine Ahnung. Ich verließ den Hof und fuhr Richtung Stadt. Zehn Minuten später stand ich vor Weir’s Folly, der offiziellen Adresse von Fine Arts Investments, eine Fünf-Zimmer-Penthouse-Suite mit Balkon zur Yeats-Brücke im Norden und Lough Gill im Osten. Zwei Zimmer waren zu einem Büro umfunktioniert worden, die restlichen zwei Drittel des Penthouses blieben dem Direktor von Fine Arts Investments, Finn Hamilton, zur mietfreien Wohnung. Kein kleines Privileg angesichts der Tatsache, dass eine Fünf-Zimmer-Wohnung im Herzen der Stadt gut und gerne ihre Fünfzehnhundert pro Monat kostete, und dank der Büroadresse konnte Finn auch noch alle anfallenden Kosten als Betriebsausgaben absetzen.

Mit Geld kauft man sich Geld.

Die NAMA mochte ja über Hamilton Holdings hergefallen sein wie eine biblische Plage, aber an den Türen von Weir’s Folly klebte kein Räumungsbefehl. Und ich war mir auch ziemlich sicher, dass ich, wenn ich raus zu The Grange fuhr, dort auch keine »Zu verkaufen«-Schilder vorfinden würde, die den Blick aufs Anwesen verschandelten.

Ich drückte erneut auf die Klingel und fragte mich, wie ich überhaupt anfangen sollte. Egal wie ich begann, es brach alles in dem Moment zusammen, wo ich seinen Namen sagen musste. Dann schaltete sich Finns Stimme ein und redete von Familie und Kindern und seinen Plänen für Zypern. Dann hörte ich wieder, wie Fleisch auf glühend heißem Metall verbrutzelte, und roch diesen widerlichen öligen Gestank …

Ich klingelte zum vierten Mal, aber die Wohnung blieb dunkel. Maria war ganz offensichtlich nicht zu Hause. Ich wartete noch mal dreißig Sekunden, dann zog ich mein Handy aus der Tasche und wählte ihre Nummer. Es klingelte mehrmals, dann ging die Mailbox an.

»Hi, Maria hier. Ich bin im Moment leider nicht zu sprechen, Sie können mir aber Ihren Namen, Ihre Telefonnummer und eine kurze Nachricht hinterlassen, ich melde mich dann so schnell wie möglich. Vielen Dank.«

»Hallo, Maria, Harry hier. Ruf mich bitte an, wenn du das hörst. Es ist, äh, es ist sehr wichtig.«

Ich legte auf und fragte mich, ob sie es vielleicht schon wusste. Ob sie womöglich da drinnen saß, die Lampen ausgeschaltet hatte, im Dunkeln die Hände vor den Bauch presste und mit leerem Blick ins Nichts starrte, dorthin, wo einmal ihre Zukunft gewesen war.

7

Es war eine eigenartige Zeit, eine Art früher irischer Sommer, der zwei Monate oder auch nur zwei Stunden dauern kann, sich aber immer zu lang anfühlt. Eine Woche voller Sonnentage und milder Nächte lag hinter uns, und das Abendrot war durchaus verheißungsvoll. Es würde also ein heller, warmer und wunderschöner Morgen sein, wenn ich Herb mitteilen musste, dass er sein Taxi abschreiben konnte, dank Finn, diesem unzuverlässigen Fuck du jour.

Ich fragte mich, ob Herbs Vollkaskoversicherung auch für Selbstmordsprünge aus dem neunten Stock einstand. Was eigentlich egal war, denn jede anschließende Beitragserhöhung würde sowieso mich treffen. Alles, was während meiner Fahrzeit passierte, ging auf meine Kappe, so war die Abmachung.

 

Zu allem Überfluss waren auch noch die drei Beutel von Toto McConnells allerfeinstem Gras in Rauch aufgegangen.

Noch so eine beschissene Sache …

Ich fuhr die Bundoran Road nach Norden. Immer noch zittrig. Meine Daumen trommelten unkontrolliert auf dem Lederbezug des Lenkrads. Ich war zutiefst verstört, mein Herz raste, mein Mund war ausgetrocknet. Irgendwas in mir war zerrissen, ob man es nun mein Gemüt, meine Seele oder die Batterie nannte, die die Maschine am Laufen hielt. In mir sprühten Funken, Blitze schlugen durch düstere Wolken, die sich am Horizont zusammenballten, und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Sturm losbrach und die Einsamkeit mir entgegenstürmte, laut aufheulend wie ein Rudel schwarzer Hunde, denen vor Anstrengung die Lunge barst.

Die Furien entfesselt und Gonzo vorneweg, erbarmungslos, mit gebleckten Zähnen und weit aufgerissenem Rachen.

Finn war der Einzige gewesen, der das verstanden hatte. Er hatte mir von seinen Träumen erzählt, in denen es von Kraken wimmelte und Kreaturen, die halb Hai, halb Tintenfisch waren und aus unsichtbaren Tiefen aufstiegen, um ihn am Strand zu packen und nach unten zu ziehen. Auch Träume vom Ertrinken oder solche, in denen er auf dem Grund des Ozeans hockte und versuchte, den Atlantik leerzutrinken. Aber die Träume, in denen sich die schleimigen Tentakeln in die Arme seines Vaters verwandelten, waren die schlimmsten, wenn er die Hand nach Finn ausstreckte und dieser versuchte, sie zu packen, es immer wieder versuchte, die Hand aber so glitschig war, dass sie ihm entglitt und unter der Oberfläche versank und verschwand.

Man musste kein Freud sein, um das zu deuten. Wir brauchten keine Therapeuten, die in unserem Innern herumstocherten.

Nur, wie lebt man mit so etwas? Darüber steht nirgendwo etwas geschrieben. Keine Hinweise auf irgendwelchen Klemmbrettern, keine Hieroglyphen, die in unsichtbarer Tinte zwischen den Zeilen auf ihren endlosen Fragebögen stehen.

Ich schwelgte in Selbstmitleid, na klar. Immer noch besser, als sich mit dem zu beschäftigen, was mir bevorstand, die Konfrontation mit einer Mutter, einer Witwe, der ich das Schlimmste mitteilen musste, was sie je zu hören bekommen würde.

Und anschließend würde ich hineinkriechen in dieses tiefe dunkle Loch und Erde über mich rieseln lassen, um nichts mehr sehen und hören zu müssen um mich herum, nichts, was mich daran erinnern könnte, dass ich noch lebte.

Der Audi schnurrte in einem weiten Bogen hinunter nach Rathcormack, dann geradeaus nach Drumcliffe, überragt vom kahlen Gipfel des Benbulben. Das Dorf mit der hübschen kleinen, hell erleuchteten Kirche, in der W. B. Yeats einen kalten Blick auf das Leben, auf den Tod wirft – ich fuhr weiter. McIlhatton, du Maulheld, wir brauchen dich, so ruft eine Million zitternder Männer, und welch rohes Tier, dessen Zeit jetzt gekommen, kriecht auf eine Mutter zu, um ihr Herz zu brechen …

Mir brach der Schweiß aus. Der Audi schlenkerte über die weiße Linie. Ich setzte mich aufrecht, schnippte die Kippe aus dem Fenster und drehte die Stereoanlage auf. Radiohead, »Paranoid Android«, Thom Yorkes Klage über den Regen, der aus großer Höhe fällt. Gutes Timing, Thom. Der Hammer war, dass Finn das Radio des Audi auf McCool FM eingestellt hatte, seine persönliche Playlist, die er Abend für Abend auf die Welt losließ oder zumindest den Teil der Welt, der in einem Radius von zwanzig Kilometern um das alte Hafenamtsgebäude lag.

Nicht auszuhalten.

Ich nahm seine Songs-zum-Kinderzeugen-CD und schob sie in den Player. In der Hoffnung auf etwas Ablenkung. Finns Compilations waren musikalische Kreuzworträtsel, jeder Song ein Hinweis. Nur dass Rollerskate Skinny zuerst drankamen mit »Swingboat Yawning«, und das war wirklich ein bisschen zu dicht dran, heaven to be overcome, what are you going through the only thing I can ask you, sogar noch bevor sie diesen seltsamen Haken schlagen, Now my future is all behind me

Ich schaltete die Anlage aus und fuhr weiter. Ich schwankte zwischen Entsetzen über Finns Tod und dem Gefühl der Erleichterung – es hätte auch mich treffen können, was Gott gnädig verhütet hat. Mein Hirn schlug Funken bei dem Versuch, zwei unvereinbare Wahrheiten zusammenzubringen: auf der einen Seite Finn, der leichtfertige Typ mit den großen Plänen und dem frechen Ist-mir-scheißegal-Grinsen, auf der anderen dieser zusammengedrückte Klumpen aus verbranntem Fleisch und zerschmetterten Knochen. Es war kein Sinn darin zu erkennen, keine Logik.

Aber genau das war Finn. So war er immer gewesen. Ein Puzzle aus zwei Teilen, die nicht zusammenpassten.

Now my future is all behind me …

Vielleicht hatte Herb ja recht. Er hatte Finn immer einen Teilzeit-Philanthropen genannt, einen reichen Jungen, der sich in der Armut suhlte, wenn Pressetermine anstanden oder es steuerlich günstig war. »Pro bono, leck mich doch«, höhnte er, wenn Finns Bild im Champion oder im Weekender erschien. Herb fand es überaus passend, dass Finn gern Skiurlaub machte oder Snowboard fuhr. »Weil’s da immer bergab geht.«

Ja, klar, kann schon sein. Es geht nicht viel weiter bergab als neun Stockwerke, wenn die Schwerkraft ihren Sirenengesang anstimmt.

8

Die ersten Hamiltons kamen mit Cromwell auf die Insel und schlachteten genug Papisten ab, um sich einen besonderen Platz in der Hölle zu sichern. Oder in Connaught, wie die Einheimischen dazu sagen. Die Ortschaft, das kleine Dörfchen Manorhamilton in der Grafschaft Leitrim, ist immer noch da, auch wenn man dort heutzutage nicht mehr unter »Wuchermieten«, sondern unter »Sparmaßnahmen« leidet und eher McBurgers als schorfige schwarze Kartoffeln spachtelt.

Der Punkt ist, dass die Hamiltons und ihre geschäftstüchtigen anglo-irischen Verbündeten erst seit fünfhundert Jahren in Irland ansässig sind.

Und hier bei uns bedeutet das allenfalls, dass man mal kurz reingeschaut hat.

Ich war schon einmal in The Grange gewesen, anlässlich einer Hochzeitsfeier, trotzdem brauchte ich eine ganze Weile, um mich in diesem Gewirr labyrinthischer Wege auf der Halbinsel südlich des Ortes Grange zurechtzufinden. Das Anwesen war in pseudo-georgianischem Stil erbaut worden, allerdings muss man fairerweise dazu sagen, dass es nur deshalb Fake war, weil das ursprüngliche georgianische Gebäude 1921 während der IRA-Kampagne zur ethnischen Säuberung Irlands von den Protestanten, vor allem der Klasse der Landbesitzer, abgebrannt worden war. Aber die Hamiltons waren eine zähe Sippe und sehr ausdauernd. Von der Sorte, die unter kriegerischen Bedingungen erst so richtig gedeiht. Da schadete es auch nicht, dass einer von Donald Hamiltons Brüdern, einer der weniger bedeutenden Vertreter der Irischen Renaissance, der heute vollkommen von Jack Yeats überstrahlt wird, 1924 als Alibi-Protestant des Freistaats in den Senat gewählt worden war.

Der Audi schnurrte durch den kleinen Wald aus Eichen und Ahornbäumen in eine Senke mit Wiesen, die sich vom Waldrand bis zum Haus erstreckten und dahinter wieder hinaufführten, sodass sich ein Talkessel mit hohen Rändern ergab. Ein Kiesweg führte beinahe ganz um das Anwesen herum, durchaus elegant, konkurrierte aber mit einem rechtwinkligen Brunnen, einem Trio von Cherubim mit Pfeil und Bogen, die sich über seine Ränder reckten, einem Mexican Stand-off in Marmor. Der obligatorische Mercedes stand vor dem Eingang, dahinter parkten ein schwarz gelackter Lexus und einer von diesen lächerlichen urbanen Jeeps, ein RAV 4. Scheinwerfer gingen an, als ich den Wald verließ, und das Haus erstrahlte in bläulichem Glanz. Ein breiter, schwerfällig wirkender Klotz mit drei Stockwerken, der trotzigen Widerstand ausstrahlte. Rötlicher Efeu gab der grauen Fassade ein wenig Farbe, hatte aber den perversen Effekt, die strengen Linien und scharfen Kanten zu betonen. Breite Stufen führten zu einem Säulenportal, das Lord Elgin offenbar zusammen mit den Marmorstatuen mitgebracht hatte. Die Blumen in den Rabatten waren so akkurat wie ein doppelter Gin.

Ich schleppte mich über die breite Treppe nach oben. Zitternd, weil eine salzige Atlantikbrise um die Hausecke wehte. Abgesehen von dem Efeu war die feuerrote Eingangstür der einzige Farbtupfer des Gebäudes. Der Türklopfer aus Messing in Form eines Elefantenkopfes sah verführerisch aus, nach einem beherzten Griff wurde man allerdings eines Besseren belehrt, es war nur eine Attrappe. Ich drückte auf den Klingelknopf in einer Stahlplatte rechts neben der Tür. Beinahe sofort meldete sich eine verzerrte Stimme im Lautsprecher darüber.

»Ja?«

»Harry Rigby. Ich bin ein Freund von Finn.«

»Ja?«

»Es hat einen Unfall gegeben.«

Das Luftholen deutete darauf hin, dass er schon eine weitere Ja-Frage stellen wollte, aber dann wurde ein Riegel zurückgeschoben. Als die Tür weit genug aufgegangen war, dass ich hindurchpasste, betrat ich eine Halle, die offenbar dafür gedacht war, sehr fetten Giraffen eine Heimstatt zu bieten. Er wollte etwas sagen, trat aber zur Seite und ließ mich durch. »Ich bin Simon«, sagte er und führte mich durch die geflieste Halle in ein Herrenzimmer mit Verandatüren, die sich über die gesamte hintere Wand erstreckten. Die übrigen Wände wurden von Bücherregalen mit ledergebundenen Bänden eingenommen, hier und da unterbrochen von grotesk übertriebenen, modernen Porträtgemälden, die schräge Blicke in den düsteren Raum warfen.

Er deutete auf einen mit grünem genoppten Leder bezogenen Sessel und wartete, bis ich mich gesetzt hatte, bevor er auf dem Rand des zweiten Sessels Platz nahm. Auf einem niedrigen Tischchen neben seinem Sessel standen eine Kristallkaraffe, eine Lampe mit grünem Schirm und ein leeres Ballonglas. Ein Buch mit Ledereinband lag aufgeschlagen und umgedreht auf der Sessellehne, aber ich konnte den Titel nicht entziffern. Er selbst war genauso wenig zu entschlüsseln. Irgendwie in den Vierzigern, vorsichtig geschätzt, mit Geheimratsecken und grauen Schläfen. Auch seine Augen, die mich alarmiert musterten, waren grau. Wodurch er älter wirkte und klug genug, um sich nicht in schwarzer Hose mit gleichfalls schwarzen Satinstreifen auf der Naht in der Öffentlichkeit zu zeigen.

»Es ist also schlimm«, sagte er. »Andernfalls hätten Sie angerufen.«

»Ganz schlimm. Es tut mir leid.«

Seine Augen schienen aufzugehen, dann zogen sie sich zu Schlitzen zusammen. »Ist er tot?«

Ich nickte. Er musste schlucken. Seine Augen füllten sich mit Tränen. »Wie ist es passiert?«

Noch während ich es ihm erzählte, runzelte er die Stirn und schüttelte den Kopf. »Selbstmord?«, sagte er, als ich fertig war. »Finn?«

»Deshalb dachte ich, Mrs Hamilton sollte davon erfahren, bevor die Polizei hier auftaucht.«

»Selbstverständlich. Sie wird das zu schätzen wissen. Vielen Dank.« Er schien sich nicht bewusst zu sein, dass er die ganze Zeit über den Kopf schüttelte. »Sind Sie sicher?«, fragte er dann. Ich nickte. »Aber warum sollte er …?«

»Keine Ahnung. Tut mir leid.«

Er fuhr sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen. »Sie schläft, natürlich. Ich sollte sie wecken, aber …«

Er bewegte sich nicht.

»Morgen früh werden die Neuigkeiten auch nicht schlimmer sein als jetzt«, sagte ich.

»Nein, das denke ich auch.« Er redete mir nach dem Mund, spielte auf Zeit. Gleichzeitig war er innerlich meilenweit entfernt oder vielleicht auch bloß ein Stockwerk höher und versuchte einer Frau die schlimmste Nachricht ihres Lebens zu überbringen. »Haben Sie Kinder, Mr Rigby?«

»Einen Sohn.«

»Wenn Sie in der Situation wären«, sagte er zögernd, »würden Sie es lieber gleich wissen wollen?«

»Würde ich, ja.«

»Ich denke, ich auch.« Er dachte darüber nach. Dann bemerkte er meine nervösen Finger und verschrieb mir einen Brandy zur Beruhigung. Er schenkte uns beiden großzügig ein. Dann kippte er seinen weg, ohne sich mit einem Trinkspruch aufzuhalten. Ich sehnte mich so sehr nach diesem Brandy, dass ich den Inhalt des Glases beinahe inhaliert hätte, aber ich war Taxifahrer und musste gleich wieder zurückfahren und mich mit den Bullen auseinandersetzen. Also ließ ich ihn kurz meine Lippen benetzen, um der Zeremonie zu genügen.

»Ich wecke sie jetzt«, sagte er mit dem Mut des Angetrunkenen. »Sie muss es erfahren.«

Ich stand auf und zog eine Visitenkarte aus der Jeanstasche. »Falls Sie mit mir Kontakt aufnehmen wollen, warum auch immer, erreichen Sie mich unter dieser Nummer.«

 

Er warf einen zerstreuten Blick darauf und brachte mich zur Tür, nachdem er mir erneut gedankt hatte. Er stand immer noch oben am Ende der breiten Treppe, als ich davonfuhr. Schlaffe Haltung, herabhängende Schultern. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass er dort noch den ganzen Winter über stehen geblieben wäre, wenn es ihn davor bewahrt hätte, die Treppen hinaufzusteigen und eine Frau zu wecken, die dort in glückseliger Unwissenheit schlief.