Eight Ball Boogie

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Er gab ein trockenes, abgehacktes Husten von sich.

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel einen vagen Hinweis, um wen es sich handelt?«

Er starrte mich so lange an, dass ich mich schon selbst verdächtigte. Dann schüttelte er kurz den Kopf: »Nein.«

»Affären finden nur selten zwischen völlig Fremden statt. Normalerweise handelt es sich um Bekannte, Freunde, Kollegen.«

Wieder dieses Husten. Nasal und bellend. Er klang wie ein kranker Seehund.

»Helen arbeitet nicht.«

»Und es gibt keinen Anlass, einen Ihrer eigenen Mitarbeiter zu verdächtigen?«

»Das sollen Sie ja herausfinden.«

»Also gut, dann nehme ich das als Ausgangspunkt. Je weniger Sie wissen, umso besser können Sie schlafen. Wenn ich innerhalb eines Monats nichts finde, oder in sechs Wochen, dann ist an der Sache auch nichts dran.«

»So schnell?«

»Alle fürchten so sehr, von allen beobachtet zu werden, dass sie nicht merken, wenn ein Einzelner sie beschattet. Das ist seltsam, aber wahr. Falls ich irgendwas zutage fördere, werde ich es dokumentieren und Ihnen das Dossier übergeben, inklusive der Negative.«

»Fotos?«

»Unwiderlegbare Beweise, falls es zu einer Gerichtsverhandlung kommt. Außerdem sehr nützlich, wenn man eine vermeiden will.«

»Das ist alles?«

»Ich kriege noch einen Vorschuss.«

»Wofür denn?«

»Spesen. Weiche Drogen. Ein Grundstück auf dem Mond. Keine Ahnung, wer weiß?«

Wieder glotzte er mich eine Weile an. Dann schrieb er den Scheck aus.

»Wann höre ich von Ihnen?«

»Wenn ich anrufe. Wann sind Sie denn verreist?«

»Normalerweise am Donnerstag, und den halben Freitag. Manchmal auch noch Freitagnacht.«

»Nächste Woche bleiben Sie bis Samstag weg. Und sagen Helen – Mrs Conway –, dass Sie beide Nächte wegbleiben. Noch besser wäre, wenn Sie das zwei Wochen hintereinander so machen würden.«

Er stand auf, und kurz sah es aus, als hätte er das Stehen verlernt. Strich die Falten in seiner Hose glatt und drehte sich zur Tür um. Dann schaute er mich wieder an.

»Wofür steht denn nun das J?« Er schien sich wieder gefasst zu haben, wie ein Mann, der seine eigenen Geschicke zu lenken wusste. Aber er sah umso wehleidiger aus, weil er daran glaubte.

»Das ist bloß ein Scherz.«

»Ist nicht witzig.«

»Sie bezahlen mich nicht fürs Witzigsein. Witze kosten extra.«

Er knallte die Tür so kräftig zu, dass mein Magengeschwür vibrierte. Ich zog den .38er aus dem Gürtel und legte sie in die unterste Schreibtischschublade. Dann nahm ich einen Schwung Maaloxan-Tabletten aus der obersten, warf eine Idom hinterher und rief im Erdgeschoss an, um einen Kaffee zu bestellen, der mich langsamer vergiften würde.

4

Ich rief Herbie an.

»Hast du was über Sheridan gefunden?«

»Noch nicht, der Server spielt mal wieder verrückt.«

Herbie war hauptsächlich Fotograf, aber dank seines Grasanbaus unterm Dach verdiente er auch dann ganz gut, wenn keine Aufträge reinkamen. Als wir uns zusammentaten, hatten wir vereinbart, dass ich für die Laufarbeit und das Fragenstellen zuständig war, während er sich um die Hintergrundrecherchen kümmerte, im Netz suchte, Datenbanken knackte, Passwörter stahl und Hintertürchen fand.

»Was gibt’s denn Neues?«, fragte er.

»Nicht viel.« Herbie musste das mit Frank Conway ja nicht wissen, das war ein Einzelauftrag. »Ich hab mich nur gerade was wegen Sheridan gefragt.«

»Was denn?«

»Wo ist er überhaupt? Er war heute Morgen nicht zu Hause, oder?«

»Regan meinte, er sei in Dublin. Ein Geschäftstermin.«

»Hübsches Alibi. Hast du Lust auf ein Späßchen?«

»Um was geht’s denn?«

»Wir treffen uns in einer halben Stunde. Zieh einen Mantel an. Und versuch, dämlich auszusehen.«


Die Brünette machte die Tür auf, trat zurück in ihren schmalen Flur und war immer noch benommen vom Schlaf, als sie ihren Morgenmantel fester zuband.

»Miss Hunter?«

Sie nickte.

»Miss Joan Hunter?«

Sie nickte wieder und blinzelte ein bisschen.

»French«, sagte ich und zeigte ihr meine aufgeklappte Brieftasche. Ich deutete mit dem Daumen hinter mich auf Herbie. »Naughton. Dürfen wir reinkommen?«

Ich ging hinein, bevor sie antworten konnte, und sie verschwand im Flur. Wir folgten. Es war ein Penthouse mit einer großen Fensterfront, das Zimmer war weitläufig und hell, die Einrichtung schwarz und minimalistisch. Unten floss träge der Fluss, und in der Ferne konnte ich die Brücke sehen. Es war schwülwarm hier drin. Orchideen, fleischig, weiß und hässlich, sprossen aus einer reich verzierten Vase vor der hinteren Wand. Sie sagte, während sie ein Hüsteln unterdrückte und die Hand vor den Mund hielt: »Was kann ich für Sie tun?«

Ich schätzte sie auf vierzig, und im Licht der Morgensonne sah man ihr das auch an. Ihr Gesicht war blass und verhärmt, sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Hatte die Nacht durchgemacht und auf den Nachtklub aufgepasst. Herbie stieg gleich ziemlich aggressiv ein.

»Die Hälfte der Mädchen, die vergangene Nacht in ihrem Nachtklub gewesen sind, war minderjährig«, knurrte er. »Ich brauche nur sechs Stunden, dann habe ich die Aussage einer Minderjährigen, die behauptet, von einem ihrer Gäste vergewaltigt worden zu sein. Die Vergewaltigungsklage können Sie vielleicht abschmettern, aber wir würden den Klub für zwei Wochen schließen, von Weihnachten bis Neujahr, und die Klatschpresse würde sich draufstürzen – perverse Sexgeschichten lieben die noch mehr als ich. Haben wir uns verstanden?«

Sie riss die Augen und den Mund auf. Das war ihr schlimmster Albtraum, aufgeführt von einem Bullen aus einem drittklassigen Film.

»Ich weiß gar nicht …«

»Haben wir uns verstanden?«

»Ja, ja, natürlich. Aber …«

Ich ging dazwischen, um ihr eine Pause zu verschaffen.

»Naughton ist ziemlich aufgebracht, Miss Hunter. Das sind wir alle. Es hat einen sehr niederträchtigen Mord gegeben, und wir hoffen, dass Sie in der Lage sind, etwas Licht in die Angelegenheit zu bringen.«

»Ich? Aber … wer denn? Wer wurde denn umgebracht?«

Herbie sprang in die Bresche und bellte: »Imelda Sheridan. Wurde heute Morgen abgeschlachtet. Und Sie brauchen jetzt mindestens drei Alibis und den Beistand der Kirche.«

Sie wurde leichenblass, ihre Augen glänzten. Offenbar hatte sie überhaupt noch nichts davon gehört. Was Imelda Sheridan betraf, war diese Dame völlig unbeleckt. Aber deshalb waren wir ja auch nicht gekommen.

»Miss Hunter … es geht hier zweifellos um eine delikate Angelegenheit, aber Sie können sich auf unsere Diskretion verlassen. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass Sie im Zusammenhang mit dieser Ermittlung nicht genannt werden, es sei denn, es ist unerlässlich.« Ich holte tief Luft, nur zur Show. »Wir müssen Sie nach Ihrer Beziehung zu Tony Sheridan fragen.«

»Tony?«

Herbie ging sie wieder scharf an.

»Big Tony, genau der. Der, mit dem Sie den heißen Fandango getanzt haben. Seine Frau wusste davon. Und jetzt ist sie tot. Erstochen. Also … spucken Sie es aus.«

»Tony und ich … das ist doch längst vorbei, das ist nicht … erstochen?

Ich fragte: »Was hat Imelda Sheridan denn zu Ihrer Affäre gesagt?«

»Das weiß ich nicht, Tony hat mir nichts erzählt. Das war nicht ungewöhnlich bei ihm …« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Sie war … ich weiß nicht, sie war …«

Ich rieb mir die Nase, das war für Herbie das Zeichen zum Rückzug.

»Miss Hunter … darf ich Sie Joan nennen?«

Sie nickte, starrte zu Boden und unterdrückte ein Schluchzen.

»Joan, denken Sie bitte mal darüber nach, was Sie über Imelda Sheridan wissen. Könnten Sie sich vorstellen, dass sie aufgrund von Tonys Indiskretionen jemanden bedrohen könnte?«

Sie schüttelte den Kopf und schluchzte leise.

»Entschuldigen Sie bitte, Joan. Können Sie das noch mal wiederholen?«

Jetzt brach sie in unkontrolliertes Weinen aus. Wir warteten ab. Als sie genug geheult hatte, tupfte sie sich die Tränen aus den Augenwinkeln und sagte mit einem leichten Schluchzen: »Sie war eine sehr zurückhaltende Frau, sehr still … eher farblos, würde ich sagen. Über Tony schien sie sich nicht so viele Sorgen zu machen. Ich dachte immer, sie war sogar froh, dass er nicht zu ihr ins Bett stieg. Sie schien … kein Interesse daran zu haben.«

»Kein Interesse?«

»Solche Menschen gibt es ja.«

»Und Tony?«

»Tony?« Ein hysterisches Kichern bahnte sich den Weg durch ihre Kehle. »Der hatte großes Interesse.«

Herbie: »Hat er sich Ihnen gegenüber mal danebenbenommen?«

Ihre Stimme klang heiser.

»Nein.«

Ja. Ich sagte: »Hat er je davon gesprochen, dass er Imelda verlassen will, Joan?«

»Verlassen?«

»Wollte er sich scheiden lassen?«

Diesmal schüttelte sie entschieden den Kopf.

»Für Imelda wäre das niemals in Frage gekommen … oh.«

»War sie sehr gläubig? War sie religiös?«

»Nein … weiß ich nicht, vielleicht. Aber vor allem war sie zufrieden mit dem, was sie hatte. Sie brauchte Tony nicht, um es zu genießen.«

»Hat sie ihn wegen des Geldes geheiratet?«

Sie warf mir einen herablassenden Blick zu – na klar, warum denn sonst?

»Woher soll ich das denn wissen, Detective?«

 

Herbie stieg wieder hart ein: »Was ist mit Drogen?«

»Drogen?«

»Imelda hat Weihnachten ein bisschen vorverlegt, jedenfalls, was den Schnee betrifft. Ein Bernhardiner hat sie aus der Verwehung in ihrem Wohnzimmer gerettet. War das normal bei Imelda?«

»Herrje, das kann ich mir nicht vorstellen. Sind Sie sicher, dass Sie die richtigen …«

»Wir stellen immer die richtigen Fragen. Glauben Sie, Tony könnte seine Frau erstochen haben?«

»Nein!« Sie prallte zurück. »Und ich denke nicht …«

»Denken ist unser Job«, rief Herbie. »Könnte er es vielleicht in Auftrag gegeben haben?«

»Woher sollte ich das denn wissen?«

»Ja oder nein? Entweder hier oder auf der Wache.«

»Nein.«

Ich rieb mir wieder die Nase.

»Joan, wir sind Ihnen dankbar für Ihre Kooperation, und wir können uns vorstellen, was für ein großer Schock es für Sie sein muss, das zu erfahren.« Sie nickte, senkte den Kopf, ganz das arme Opfer. »Aber wir müssen Sie bitten, den Bezirk nicht zu verlassen, ohne uns vorher davon in Kenntnis zu setzen.«

Ihr Kopf ruckte hoch, sie riss die Augen weit auf.

»Bin ich etwa …? Soll das bedeuten, ich …?«

»Nein, Ma’am, aber wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mit uns in Verbindung blieben.« Ich hielt inne. »Unter diesen Umständen sorgen wir uns um die Sicherheit aller Personen im Umfeld des Opfers.«

Sie starrte mich an, musste schlucken und fing wieder an zu schluchzen. Ich machte ein paar tröstende Geräusche und tätschelte ihre Schulter. Wir gingen. Nachdem die Aufzugtür sich geschlossen hatte, schaute Herbie mich schief an.

»Denken ist unser Job«, schnarrte er.

»Du bist ein richtig beschissener Schmierenkomödiant.«

Wir verließen das Haus nacheinander, immer noch in bester Laune.

5

Wieder im Büro, ging ich die Post durch – nur Rechnungen – und warf die ersten Mahnungen in den Müll. Drehte mir eine Fluppe, dachte über den Zeitungsausschnitt nach, den Katie liegen gelassen hatte, und fragte mich, warum sie das getan hatte. Ein Gesicht tauchte in meinem Hinterstübchen auf, in der hintersten Reihe, ganz oben rechts – schwarze Schweinsaugen in einem bleichen Gesicht, das keine Rasur nötig hatte.

Wieder überkam mich dieses Gefühl, als hätte ich Betonbrocken im Magen, und ich bekam eine Gänsehaut – es war diese Gewissheit, dass ich beobachtet wurde. Ich griff nicht nach dem 38er. Stattdessen zündete ich mir die Fluppe an, warf noch eine Tablette ein und rief im Leichenschauhaus an. Fragte mich, ob ich nicht selbst eine Bahre mieten und alles vergessen sollte. Ich warf eine Münze. Sie fiel nicht herunter.


Sie war blond und dumm und schon jenseits der fünfzig, aber immer noch dumm genug, um blond sein zu wollen. Ihre Haut hatte die Farbe von Pergament und hing unterm Kinn lasch herab. Dünne Lippen, die fast rosa waren, schmale Nase, die Haare über der Oberlippe waren ebenfalls blondiert. Ich wollte sie schon fragen, warum Blondinen sich nie ihre Augenbrauen färben, aber sie hatte die Augen geschlossen, und der Schnitt, der ihren Hals durchtrennte, war gute fünfzehn Zentimeter lang.

Das Leichenschauhaus war kalt, steril und weiß. Die Vibrationen der sechs Krankenhausstockwerke darüber waren hier unten noch zu spüren, trotzdem konnte ich fast hören, wie sehr der Assistenzarzt schwitzte. Er schaute von Imelda Sheridan zur Tür, dann wieder zu ihr.

»Wissen Sie inzwischen, wer sie gefunden hat?«

Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, bleckte die Zähne wie ein Pferd.

»Woher zum Teufel soll ich das denn wissen?«

»Sie hätten ja nachfragen können.«

»Warum sollte ich nachfragen?«

»Keine Ahnung – aus professionellem Interesse, was weiß ich.«

Er lachte quäkend, wie eine Ratte mit Nebenhöhlenentzündung, und zog das Tuch wieder über ihr Gesicht.

»Abholen, abfertigen, ablegen. Wer mehr will, muss mehr zahlen.«

»Was ist denn die Währung? Amphetamine?«

Er wurde bleich, sein Mund klappte auf, er schlief im Stehen und mit offenen Augen.

»Sie sollten sich mal ausruhen«, sagte ich.

»Ich sollte mir mal eine Knarre besorgen.«

»Seien Sie vorsichtig mit Ihren Wünschen, Chef. Hat der Pathologe irgendwas Interessantes aufgeschrieben?«

»Der hat ‘ne ganze Menge aufgeschrieben, seitenlang.«

»Und war was Besonderes dabei?«

»Woher zum Teufel …«

»Sollen Sie das wissen? Ich dachte, Sie hätten seit dem letzten Mal vielleicht lesen gelernt.«

Er strich sich mit der Hand über den Stoppelhaarschnitt.

»Wenn irgendjemand herauskriegt, dass ich Sie hier reingelassen habe …«

»Ich weiß, dann müsste ich denen erzählen, dass Sie den Medizinschrank plündern und Leute sterben, weil Sie sich einen Kick geben mussten. Wischen Sie sich mal die Tränen aus den Augen.«

Ich ging zur Tür und warf noch einen Blick zurück, während er Imelda Sheridan zurück in den Kühlschrank schob.

»Wenn es bei der Obduktion was Neues gibt, rufen Sie mich an.«

»Woher zum Teufel …«

Ich ließ die Tür der Leichenhalle hinter mir zufallen.


Ich nippte am Kaffee und dachte noch ein bisschen über Katie nach. Fragte mich, wie es ihrem Spliss wohl ging. Mir ging ein Licht auf, eine schwache Funzel. Ich nahm mir die Gelben Seiten vor und ging die Friseure durch, alphabetisch von hinten nach vorn, einer Eingebung folgend.

»Hallo, ich rufe im Auftrag von Tony Sheridan an. Er möchte den Termin seiner Frau absagen … kann ich, ja … Nein? Wirklich? Tut mir leid, dann hab ich wohl die falsche Nummer … Pardon? Ja, natürlich werde ich das weitergeben … Bitte entschuldigen Sie die Störung. Auf Wiederhören.«

Sieben Anrufe später wurde ich fündig.

»Ja, genau, ich kümmere mich nur um die Termine, Mr Sheridan möchte nicht, dass jemand Nachteile hat … Entschuldigung? Ja, genau, so ist er nun mal … Das gebe ich gerne weiter. Sehr freundlich von Ihnen. Darf ich fragen, mit wem ich gesprochen habe? Sandra?«

Sandra war eine von den Künstlerinnen, die einen Botticelli mit einem Barbie-Cartoon übertünchen und dem Ganzen noch ein paar Glanzlichter aufsetzen können, ohne Aufpreis. Sie selbst sah aus wie eine wandelnde Reklame, pariert und poliert, gebleicht und gebräunt, mit einer Haut wie alter Karamell. Kantige Gesichtszüge wie aus Plastik geformt, eine Kreditkarte auf zwei Beinen.

»Das ist wirklich sehr freundlich, Sandra … Ja, das war sie, eine echte Dame … Es ging nur ums Styling, richtig? Sie werden natürlich für Ihre Unannehmlichkeiten einen angemessenen Ersatz … Maniküre auch? Und Gesichtskosmetik, natürlich … Ja, ich verstehe, natürlich … Entschuldigung? Ja, ich bin sicher, dass Mr Sheridan das versteht … Ja, das werde ich selbstverständlich tun. Leben Sie wohl, auf Wiederhören.«

Tom Kilfeather war vielleicht kein schlechter Bulle, aber das bisschen, was er über Frauen wusste, hatte er am Tag seiner Hochzeit für immer vergessen. Falls Imelda Sheridan depressiv war, wie Kilfeather es genannt hatte, dann jedenfalls nicht so schwer, dass es sie davon abgehalten hätte, die Partysaison zwischen den Jahren mit einem kompletten Make-over zu beginnen. Ich drehte mir eine Fluppe und gönnte mir ein langes Starren auf die gegenüberliegende Wand.


Der riesige Kerl trampelte wie ein angreifender Rugbyspieler herein und pflanzte seine Fäuste auf meinen Schreibtisch.

»Wenn Sie nicht anklopfen«, gab ich zu bedenken, »dann ist es, technisch betrachtet, ein Einbruch.«

Er grinste breit und böse.

»Technisch betrachtet könnte ich drauf scheißen.«

Er beugte sich so weit vor, bis sein Gesicht direkt vor meinem war, und tippte sich mit dem Daumen gegen die Brust. Sein Atem stank noch genauso wie zu dem Zeitpunkt, als er mich von Sheridans Grundstück gejagt hatte, und er schwitzte wie ein alter Käse. »Detective Brady. Sie, ich, kleine Unterhaltung.«

»Aber gerne doch. Man hat ja kaum noch Gelegenheit dazu heutzutage.«

Er hockte sich auf den Schreibtischrand und streckte das Kinn vor. Eine überflüssige Geste, sein Kinn hing praktisch schon aus dem Fenster und wartete auf eine Lücke im Verkehr.

»Amtsanmaßung bringt locker fünf bis zehn Jahre Knast. Die gebrochenen Unterarme gibt’s auf Wunsch dazu. Sagen Sie mir einen Grund, warum ich Sie nicht sofort einbuchten soll.«

»Ich habe nicht die leiseste Idee, wovon Sie sprechen.«

»Joan Hunter. Tony Sheridans ehemalige Geliebte. Sie haben sich heute Morgen ihr gegenüber als Polizist ausgegeben.«

»Blödsinn.«

»Sie schwört, dass es so war.«

»Dann leistet sie einen Meineid.« Ich deutete zum Schriftzug an der Tür. »Das hier ist ein Büro für Ermittlungen. Wir stellen Nachforschungen an. Ist doch nicht mein Fehler, wenn Sie falsche Schlüsse ziehen.«

Er grinste wieder, aber nicht so wie einer, dem gerade eine witzige Entgegnung eingefallen ist.

»Sie sind ein ganz Schlauer, was? Ich mag Schlauberger, die können nicht so schnell rennen.« Er kratzte sich die Stoppeln. »Was hat sie Ihnen erzählt?«

»Nichts, was Sie nicht schon wüssten.«

»Sagen Sie es mir trotzdem.«

»Nein.«

Er dachte darüber nach und ließ es so stehen.

»Sie sind doch der Schmierfink, der heute vor Tony Sheridans Haus aufgekreuzt ist.«

»Genau der.«

»Für wen arbeiten Sie?«

»Nicht dass es Sie irgendwas anginge, aber ich bin auch noch freier Journalist.«

»Passen Sie mal auf, Rigby. Erstens geht mich alles etwas an. Zweitens, wenn Sie mir noch mal komisch kommen, dann können Sie sich in drei Mülltüten verpackt hier raustragen lassen. Und drittens, was immer Sie heute Morgen in Erfahrung gebracht haben, ist null und nichtig. Die Information hat nie existiert. Sie haben bereits wieder alles vergessen, was Sie gesehen und gehört haben.«

»Und wenn Sie mit dem Finger schnippen, quake ich wie eine Ente.«

Er spreizte die Finger und grinste hinterhältig wie ein Fuchs, der ein Kaninchen in die Enge getrieben hat. Ich spannte die Muskeln an, falls es was zu parieren gäbe. Er sagte: »Haben Sie mal was vom Official Secrets Act gehört?«

»Na klar, Schutz von Staatsgeheimnissen, steht in diesem Buch, gleich hinter dem Gesetz über die Auskunftspflicht öffentlicher Einrichtungen.«

Ich hatte es nicht mal kommen sehen. Eben noch saß Brady gemütlich auf meiner Schreibtischkante, im nächsten Moment war die Welt eine einzige Faust. Seine riesige Pranke stoppte ungefähr vier Millimeter vor meinem Gesicht. Sie zitterte kein bisschen und sah hart aus wie Granit.

»Noch einen blöden Spruch. Nur einen noch. Bitte.«

Ich blieb stumm. Die Faust verschwand. Brady setzte sich wieder und zündete sich eine Zigarette an.

»Na schön – und nun zu den Regeln, nach denen wir spielen werden. Ich möchte, dass Sie …«

In diesem Moment sprang ich auf, hob den Tisch an, kippte ihn nach vorn, und Brady verschwand darunter. Er kam ganz schnell wieder hoch, die Fäuste geballt, mit hochrotem Kopf. Ich stand starr und verängstigt da. Er trat vor, duckte sich, und ich war auf alles gefasst – aber er tänzelte zur Seite, deutete einen Aufwärtshaken an und brach in lautes Lachen aus.

»Schon gut, Rigby, setzen Sie sich. Die Show ist vorbei.«

Ich setzte mich auf den Stuhl und er stellte den Tisch wieder auf, mit einer Hand.

»Sie geben nicht klein bei, Rigby. Das respektiere ich. Also – ich möchte Sie nicht ausbooten, aber was sollen wir tun? Ihre Informationen sind wertlos, Sie können sie nirgendwo unterbringen, ohne zehn Jahre Knast zu riskieren.«

»Warum denn?«

»Dazu kann ich nichts sagen, Rigby. Es ist eine Nummer zu groß. In dieser Liga spielen Sie nicht.«

»Also ist Sheridan erledigt?«

»Welcher Sheridan?«

Wir saßen da und rauchten. Brady grinste vor sich hin.

»Jetzt passen Sie mal auf, Brady. Tony Sheridans Haus wird zum Schlachthaus, das ist eine Superstory. Hinzu kommt, dass jemand versucht hat, es wie einen Selbstmord aussehen zu lassen und außerdem ein bisschen Koks verstreut hat. Und währenddessen ist Tony außer Haus und vögelt wahrscheinlich gerade eine andere. Wenn man das alles zusammenzählt, wird eine Riesensache daraus. Und Sie verlangen von mir, dass ich ganz einfach nichts tue? Das wäre doch unmoralisch und verbrecherisch dumm, und so verbrecherisch dumm bin ich nicht.«

 

Er kniff die Augen zusammen. Ich blinzelte kein einziges Mal.

»Okay, dann mache ich Ihnen einen Vorschlag. Die Sache ist so riesig, wie Sie es sich gar nicht vorstellen können. Aber ich bin bereit, mit Ihnen zu kooperieren und Sie auf dem Laufenden zu halten. Wenn wir es dann unter Dach und Fach haben, kriegen Sie alles frei Haus, die Berichte, die Gutachten der Gerichtsmedizin, alles.«

»Ach richtig, ich hatte es nur gerade vergessen. Ich bin wirklich verbrecherisch dumm.«

Er zuckte mit den Schultern.

»Ja, klar, ich bin ein Bulle, aber Sie können mir vertrauen. Wenn ich diesen Fall löse, will ich sämtliche Hintergründe ausleuchten und alles vor Gericht zerren.«

»Damit es dort begraben wird?«

Er überging diese Bemerkung.

»Ich servier Ihnen den ganzen Mist auf dem Silbertablett, Rigby, mit Kusshand. Sie tun mir einen Gefallen, und ich helfe Ihnen nachher, das Puzzle zusammenzusetzen. Bis dahin ist es meine persönliche Angelegenheit.«

»Imelda Sheridan ist Ihre persönliche Angelegenheit?«

»Indirekt. Sie müssen nur ein wenig Geduld haben.«

Ich wog Vor- und Nachteile ab und warf auch Herbie in die Waagschale. Das schnelle Geld sagte mir, komm jetzt gleich groß raus damit, aber die Story sagte, scheiß auf das Geld, und ich höre immer auf die Story. Abgesehen davon hatte Brady noch einige Asse im Ärmel und war mit seinen eins neunzig nicht so leicht umzuwerfen. Ich drehte mir eine Fluppe.

»Wie kann ich Ihnen denn einen Gefallen tun?«

»Ihre Aufgabe wäre, hier vor Ort Insiderinformationen zu sammeln. Wenn Sie gut sind, kriegen Sie was raus und stecken es mir. Wenn nicht, dann gehen Sie am Schluss sowieso leer aus. Ich brauche jemanden, der sich auskennt. Wenn Sie also irgendwas Interessantes hören, rufen Sie mich an.«

Er stand auf, kritzelte eine Nummer auf die Rückseite einer Visitenkarte und warf sie auf den Tisch.

»Und noch eins, Rigby – niemand weiß, dass ich hier war. Falls die Garda Sie in die Mangel nimmt, sagen Sie, ich wäre der Earl of Lucan gewesen.«

»Sie arbeiten wohl nebenher auch auf eigene Rechnung.«

»So was in der Art, ja.« Er grinste hinterhältig. »Bis bald, Rigby.«

Er ging. Seine Schultern streiften den Türrahmen auf beiden Seiten. Ich hörte ihn noch sagen: »Ja, klar, ich bin ein Bulle, aber Sie können mir vertrauen«, und lachte laut auf. Es klang so hohl wie ein Echo. Also starrte ich erst mal wieder die Wand an.