Eight Ball Boogie

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2

Herbie hing immer noch zitternd über seinem Moped.

»Und?«

»Könnte sein, dass es kein Selbstmord war.«

»Hast du was rausgekriegt?«

»Nichts, was man in einer Zeitung für die ganze Familie zitieren könnte.«

»Scheiße.«

Er streckte sich, blies in die Hände und erinnerte sich wieder, dass er Handschuhe trug. Er schaute über den See zur Stadt, die sich am Fuße eines Berges erstreckte wie ein wild wucherndes Ekzem. Fünf Meilen weit bis zum Atlantik, kleinteilig zerstückelt in Grau und Weiß.

»Hat Regan dir gesagt, wer sie gefunden hat?«

»Nein.«

»Meinst du, er war’s?«

»Lass gut sein, Harry, mehr ist nicht zu holen.«

»Ja, ja.«

Ich holte den Tabak raus, schnorrte ein Blättchen und drehte mir eine Fluppe. »Na schön, überlass das mir. Ich werd mal ein bisschen rumtelefonieren. Es ist sowieso schon zu spät für die Abendausgabe.«

»Kilfeather ist ein Mistkerl.«

»Er ist Bulle, Herb. Das ist sein Job. Aber egal, Kilfeather ist nicht das Problem. Da ist so ein Riese aus der Stadt gekommen, der die Ermittlungen leitet.«

»Hast du von dem was erfahren?«

»Der würde mich nur bemerken, wenn ich auf ‘ne Leiter steige. Und noch was, du Schlaumeier: Wenn er rauskriegt, dass Regan unser Leck ist, dann wird er ihm noch ein paar Lecks verpassen, damit es richtig schön sprudelt.«

Herbie fluchte, zündete sich eine Selbstgedrehte mit seinem Tabak-Gras-Gemisch an und starrte den Garda-Beamten an, der an einem Pfosten an der Einfahrt lehnte. Pflückte eine Tabakkrume von seiner Unterlippe, schnippte sie in Richtung des Polizisten und ließ den Mittelfinger ausgestreckt. Der Bulle schaute ihn seelenruhig an. Herbie sagte: »Meinst du, die stecken mit drin?«

»Wer, die Bullen?«

»Wer denn sonst? Diese Arschlöcher hängen sich doch überall rein.«

»Herb, warum sollten die Bullen ein Interesse am Tod von Imelda Sheridan haben?«

»Vielleicht hat sie ein Bordell geleitet und den Inspektor in einer misslichen Lage erwischt. Vielleicht plante sie einen Staatsstreich, nach dem Motto ›Tony for President‹, und die Bullen haben Wind davon bekommen.« Er zuckte mit den Schultern. »Alles ist möglich.«

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte.

»Hör auf mit dem Gras, Herb. Ernsthaft, Mann. Dein Kopf ist eine einzige Matschbirne.«

Er holte tief Luft und wurde richtig aufgeregt. Eindringlich sagte er:

»Das ist Stoff für die Titelseite, Harry. Richtig fette Schlagzeilen. Mit riesengroßen Fotos, die man schon von weitem sieht, und mein Name steht darunter. Meiner, nicht der von irgendeiner beschissenen Bildagentur.«

Die Agentur kassierte bei allem, was wir lieferten, eine Provision, und das war Herbie ein Dorn im Auge. Mir war es egal, dreißig Prozent auf nichts waren immer noch ungefähr nichts und fertig.

»Mach was Großes draus, Harry. Koks, Selbstmord, vielleicht auch Mord, alles dabei. Was brauchst du denn noch?«

»Wie wär’s mal mit Beweisen?«

»Was heißt denn hier Beweise?« Er hob seine Kamera an. »Die Bilder sind da, ich muss sie nur auf den Weg bringen. Richtig hübsch! Tussi mit ‘nem Loch im Hals, so groß, dass du die schwarze Kugel drin versenken könntest. Das Einzige, was ich noch brauche, ist ein Scheck mit ‘ner Unterschrift drauf.«

»Wie wär’s mal mit der Frage nach dem Motiv? Nur ein winziges Detail oder auch zwei?« Ich verstummte, weil ich den braunen Honda Civic bemerkt hatte, der gerade einparkte. Die Karosserie sah astrein aus, also konnte es nur ein Leihwagen sein. »Es muss richtig angegangen werden, Herb. Entweder ziehen wir das korrekt durch oder gar nicht.«

Er hörte den Civic, drehte sich um und zuckte mit den Schultern. Seine Wut verflog erstaunlich schnell.

»Es wird richtig angegangen, aber nicht von uns. Da kommt schon die Kavallerie.«

Sie war klein, höchstens eins sechzig und auf eine Art Ende zwanzig, die man jahrelang geübt haben muss. Ein orange-roter Pagenschnitt, der ein Auge verdeckte, dazu aprikosenfarbener Lippenstift. Ein freundliches Lächeln und jede Menge Sommersprossen auf der Stupsnase. Augen so tief, dass mir schwindelig wurde, und so groß, dass ich mich am liebsten auf sie gestürzt hätte.

»Gentlemen.« Sie hatte einen ganz leichten nordirischen Akzent.

»In dieser Umgebung ist das eine Beleidigung«, sagte ich. Ich deutete mit dem Kopf zum Haus. »So wie es aussieht, wurde die Pediküre für heute abgesagt.«

»Ich versuch mal mein Glück.«

Sie tauchte unter dem gelben Absperrband hindurch, hielt dem Garda-Beamten einen Ausweis unter die Nase und stolzierte über den Asphalt zum Haus.

Herbie warf sein Moped an, der Motor ratterte und klapperte, bis der Auspuff kleine schwarze Wolken ausspuckte.

»Soll ich dich mitnehmen?«

»Nein, danke. Ich hab es eilig.«

Er grinste verhalten, während er sich mit dem Helmgurt abplagte. »Kann ich sonst noch was tun?«

»Du könntest Infos über Tony Sheridan zusammensuchen. Hintergrundmaterial, alles was wir brauchen könnten, um die Story zu unterfüttern.«

»Geldgeschichten?«

»Genau, was fürs Gemüt. So viel Geld und dann wird leider die Frau abgemurkst. Das lieben die Leute.«

»Alles klar. Ich ruf dich später an.«


Ich war auf halbem Weg in die Stadt, schon am Friedhof vorbei, und fluchte, weil ich nicht mehr Blättchen von Herbie geschnorrt hatte, als mir endlich einfiel, wo ich den Wagen gelassen hatte. Im selben Moment schnurrte der Civic vorbei, blinkte links und hielt auf dem Seitenstreifen. Sie beugte sich über den Beifahrersitz, entriegelte die Tür und stieß sie auf. Sie sagte kein Wort, und ich wollte den schönen Moment nicht zerstören.

Sie war eine gute Fahrerin. Ihre Bewegungen waren geschmeidig, sicher, und sie sah mich nicht an, während sie fuhr. Aus der Nähe konnte ich erkennen, dass das zweiteilige Kostüm aus Bastseide war. Die kleine Brandnarbe knapp über ihrem linken Knie verfärbte sich jedes Mal weiß, wenn sie in einen anderen Gang schaltete.

Sie kam direkt zur Sache.

»Was haben Sie herausgefunden?«

»Nichts. Aber das bleibt unter uns.«

»Packen Sie Ihren Schwanz weg, das ist ein geschäftliches Gespräch.«

»Ich bin für strikte Trennung von Privatem und Geschäftlichem. Und mit Fremden mache ich keine Geschäfte. Vor allem nicht mit solchen, die mir sagen, ich soll meinen Schwanz wegpacken.«

Sie unterdrückte ein Lächeln und musste dafür nicht einen Muskel bewegen.

»Entschuldigen Sie. Ich bin Katie. Katie Donnelly.«

»Und ich bin Harry. Harry Rigby.«

»Ich weiß.«

Dazu fiel mir erst mal nichts ein. Sie sagte: »Lust auf einen Kaffee?«

»Immer.«

Wir umfuhren Midtown und krochen dann durch die Einbahnstraßen des Old Quarter mit seinen engen Gassen und dreistöckigen Gebäuden. Knallbunte Ladenfronten im Erdgeschoss, abblätternde Farbe und bröckelnder Verputz weiter oben.

»Ist der Verkehr hier immer so schlimm?«, fragte sie.

»Weihnachten steht vor der Tür, die Schäfchen vom Lande lassen sich das Fell über die Ohren ziehen. Und wir Anderen sind bloß hier, weil wir uns nicht vorstellen können, dass die übrige Welt nur ein Fernsehkanal ist. Und was haben Sie für eine Entschuldigung?«

»Ich bin freie Journalistin und schreibe einen Artikel über Imelda Sheridan für Woman Now!. In Farbe, auf Hochglanzpapier, sie sollte als erfolgreichste Wohltätigkeits-Spendensammlerin in die Februarausgabe. Das Interview hab ich gestern geführt, hab das Haus fotografiert und sie selbst in ihren schicksten Klamotten, wie sie über den See blickt, das ganze Programm.« Sie seufzte. »Und jetzt sowas.«

»Das ist erst heute Morgen passiert. Wieso sind Sie immer noch hier?«

Sie fuhr ein Stück weiter und nahm den Gang raus. Fummelte am Heizungsknopf herum, während die Fenster beschlugen.

»Das hier ist eine hübsche Stadt«, sagte sie. »Und Weihnachten steht vor der Tür. Ich dachte, ich bleib eine Weile, um etwas Lokalkolorit mitzunehmen.«

»Versuchen Sie es mit Grau, davon haben wir fünfzig Schattierungen.«

Wir bogen um die Ecke und sahen den Grund für den Stau. Er war klein und untersetzt, ging auf die siebzig zu, und auf seinen weißen Locken saß ein Lederhelm aus dem Ersten Weltkrieg mit passender Schutzbrille. Sein Gesicht war rund und knallrot. Er stand mitten auf der Straße, fuchtelte mit den Armen und gab widersprüchliche Anweisungen, jedes Mal, wenn er sich umdrehte. Sein zerschlissener Mantel blähte sich im Wind.

»Über den sollten Sie einen Artikel schreiben. Er ist lokal und ziemlich koloriert.«

»Er passt nicht zu unseren Meinungsforschern, behauptet jedenfalls die Zielgruppe. Aber das ändert sich eh jede Woche. Wer ist das denn?«

»Der Dorftrottel, Baluba Joe. Es heißt, er sei noch nie in seinem Leben nüchtern gewesen. Wenn es ihn packt, muss er unbedingt den Verkehr regeln, und wenn dann alles im Chaos versinkt, kriegt er Entzugserscheinungen. Aber er ist völlig harmlos.«

»Unsere Leserinnen wären bestimmt fasziniert.«

Sie klang ziemlich blasiert. Im Auto war es zu warm. Ich brauchte dringend eine Zigarette, Kaffee und frische Luft, in dieser Reihenfolge.

»Er war mal Soldat.« Sie bemerkte den scharfen Ton in meiner Stimme und schaute mich zum ersten Mal an, seit ich in den Wagen gestiegen war. »Er ist verrückt, wirklich geisteskrank. Das merkt man, wenn man ihn ansieht. Aber falls Sie es nicht gleich merken, erklärt er es Ihnen selbst. Er irrte drei Tage lang im Kongo durch den Dschungel, nachdem sein Zug in einen Hinterhalt der Balubas geraten und ausgelöscht worden war. Der Dschungel ist sowieso kein angenehmer Ort, erklärt er gern. Aber wenn man achtzehn Jahre alt ist und mit angesehen hat, wie seine Kumpels mit Macheten abgeschlachtet wurden und ihr Blut immer noch am eigenen Körper klebt, dann ist das Gekreische im nächtlichen Dschungel das Fegefeuer.«

 

Wir fuhren langsam an Joe vorbei. Schaum stand vor seinem Mund. Autos hupten, Motoren heulten auf. Er sah aus wie ein Besessener.

»Warten Sie mal«, sagte sie, »ich habe doch nicht …«

»Das war in den Sechzigern. Also hat er seit vierzig Jahren alles getrunken, was ihn nicht sofort umbringt, und es interessiert ihn einen Scheiß, ob er es überlebt oder nicht. Eines Abends hat er mir erklärt, er wüsste schon, dass alle ihn bemitleiden. Und fragte mich, warum eigentlich.«

Sie parkte problemlos ein und machte den Motor aus.

»Harry …«

»Vor ein paar Jahren haben sie ihm eine Medaille verliehen, aber er gab sie dem Offizier zurück, als der nicht wagte, ihm ins Gesicht zu sehen. Das hat der Sache den Glanz genommen, meinte er. Ich sagte ihm, er hätte die Medaille nehmen sollen, damit der Offizier so richtig angepisst ist. Wissen Sie, was er dazu meinte? ›Noch nie ist ein Offizier wegen so einer Kleinigkeit angepisst gewesen.‹«

Sie starrte nach vorn mit versteinerter Miene. Ich sagte: »Ich hätte es nie bis zum Offizier geschafft. Sie müssen mich nicht bemitleiden.«

Sie schaute mich fragend an.

»War das jetzt eine Entschuldigung?«

»Frauen entschuldigen sich. Männer geben eine Erklärung ab.«

»Aber wir sind jetzt damit durch?«

»Ja. Und wer darf die Barry-White-CDs behalten?«


Der Coffee Shop Early ‘Til Latte wurde von einem schwulen Hippiepärchen betrieben, das mehr Gras verkaufte als Kaffee. Wir gingen durch den kurzen Flur in ein kleines Hinterzimmer, wo Regale mit antiquarischen Büchern standen. Plakate warben für Feng-Shui-Kurse, Feiseanna-Wettbewerbe und Flohmärkte. Sie setzte sich mit dem Rücken zur Tür auf einen alten Barhocker und schlug die Beine übereinander. Ich quetschte mich hinter den hohen, wackligen Tisch, so, dass ich ihre Beine bewundern konnte. Wir schauten einander erwartungsvoll an, aber mir war schon klar, dass ich der Einzige war, der die Aussicht genoss.

»Was hätten Sie denn gern?«, fragte ich.

»Tony Sheridan.«

»Mit Sahne?«

Ich bestellte zwei Cappuccinos, die viel zu schnell gebracht wurden, und schnorrte zwei Blättchen von Andrea, der Kellnerin. Katie nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. Ich tat drei Stück Zucker in die Tasse, wünschte mir was, rührte um und fragte, ohne sie dabei anzusehen: »Wie kommen Sie denn darauf, dass ich Ihnen Tony Sheridan liefern könnte?«

»Detective …« Sie holte ein kleines schwarzes Notizbuch aus ihrer Umhängetasche und schlug es auf. »Brady?«

»So ein Riese?«

»Genau der.«

»Der hat sich über Sie lustig gemacht. Und davon abgesehen – wie könnte ich das wohl schaffen?«

Sie schob den Kaffee beiseite, zündete sich eine Silk Cut an, blies den Rauch aus und schlug wieder die Beine übereinander.

»Fangen wir noch mal von vorn an, Harry.«

»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich mich lieber weiter mit Ihren Beinen beschäftigen.«

Sie lächelte dünn.

»Tut mir leid, aber Sie sind nicht mein Typ.«

»Typen ergeben sich aus vorangegangenen Irrtümern. Sie sollten mehr an Ihre Zukunft denken.«

»Also echt jetzt, Harry …«

»Schon gut. Meine Güte, jetzt seien Sie doch nicht gleich eingeschnappt. Wenn ich ein Dekolleté hätte, würden Sie in Ohnmacht fallen. Jeder so, wie er kann.«

»Genau meine Einstellung.«

»Und Sie wollen sich mit Tony Sheridan beschäftigen.«

»Richtig.«

Ich ließ das erst mal so stehen und drehte mir eine Fluppe. Jetzt war sie dran. Sie zog einen braunen Umschlag aus der Tasche, blätterte einige Zeitungsausschnitte durch und reichte mir einen davon. Die Überschrift war ziemlich mäßig: »Umstrittenes Bauprojekt offiziell eröffnet«. Auf dem dazugehörigen Foto waren vor allem Männer in Sonntagsstaat zu sehen, die ihr Sonntagslächeln aufgesetzt hatten und auf dem Vorplatz eines Hotels standen. Der Typ mit der Schere in der Hand war groß, hatte sich gut gehalten und war wohl Tony Sheridan. Der Rest waren die üblichen Investoren, Stadträte mit ihrem typischen Mix an Ehefrauen, Hofschranzen und sonstigen Schaulustigen, manche wurden im Text erwähnt, andere nicht.

»Ja … und?«

»Ich nehme an, Sie erkennen den Ort?«

»Klar, das ist eine Meile von hier im Osten der Stadt, da wo der Fluss aus dem See entspringt. Da gab’s mal jede Menge Eisvögel. Und man kann dort Lachse angeln.«

Sie schaute mich strafend an. Dann sagte sie geduldig:

»Das ist eine Titelgeschichte, egal für welches Blatt. Mit dem richtigen Aufhänger kriegen wir das überall unter.«

»Aber erst dann, wenn wir, sagen wir mal, ein Steakmesser in Tonys Handschuhfach finden.«

»Ein Steakmesser?«

»Vergessen Sie es. Ich mache nur Scherze.«

Sie schaute sich kurz um und beugte sich dann über den Tisch, was bewirkte, dass der Ausschnitt ihrer Bluse um gute fünfzehn Zentimeter nach unten rutschte. Ich blieb, wo ich war, und verlor trotzdem das Gleichgewicht.

»Das könnte eine große Sache werden, Harry. Es gibt jede Menge Typen, die sich Journalisten nennen, die nur wegen einer einzigen Story ins Geschäft gekommen sind, die immer noch die Titelseiten kriegen, namentlich genannt werden und so weiter. Das hier ist meine große Story, Harry.«

»Machen Sie sich doch nicht klein. Außerdem gibt’s bestimmt noch andere Leute, die an dieser Geschichte dran sind.«

»Wer denn? Die Matschbirne auf dem Moped? Nicht Ihr Ernst.«

»Er hat zwar nicht so einen Ausschnitt, aber er ist ein guter Kumpel. Vor allem hat er die Fotos, das ist der Punkt.«

»Dann soll er doch eine beschissene Ausstellung damit machen. Die Fotos bringen ihm gar nichts ohne die Story und ein Blatt, das sie abdruckt.«

»Nehmen wir mal an, ich gehe darauf ein. Was hab ich davon?«

Sie bemühte sich sehr, nicht allzu hinterlistig auszusehen. »Wir teilen uns die Credits. Beim Honorar machen wir fifty-fifty. Ihren Anteil können Sie dann mit dem Moped-Typ teilen.«

»Faires Angebot. Was wollen Sie denn über Tony wissen?«

»Was wissen Sie denn?«

Ich deutete auf den Zeitungsausschnitt.

»Dieses Hotel, das war vor fünf Jahren. Es war eine einzige Katastrophe.«

»Hat Sheridan den Planungsprozess beschleunigt?«

»Nicht so hastig. Er hat das als lokale Angelegenheit sogar behindert, es ist ja sein Wahlkreis und er wohnt dort. Er hat Reden gehalten über den Umweltschutz, über seine Enkel, die bedrohten Tierarten. Wäre er noch grüner gewesen, hätte er kotzen müssen.«

»Also?«

»Also hat er sich Unterstützung von den Ökos in Dublin besorgt und einen Deal mit ein paar opportunistischen Provinzlern gemacht, die ein Abtreibungsreferendum durchführen wollten. Dann entschied er über den Kopf des Leiters der Kreisverwaltung hinweg und setzte eine einstweilige Verfügung durch. Damals ging so was noch.«

»Aber das Hotel wurde trotzdem gebaut.«

»Ja, aber erst zwei Jahre später. Da war die Fianna Fáil wieder an der Regierung und hatte die Mehrheit. Sie brauchten Tonys Stimme nicht. Am See ist niemand besonders glücklich darüber, vor allem Tony nicht, dem das Ding vor die Nase gesetzt wurde. Aber so ist es halt gelaufen.«

»Sie sagten, das Ganze sei eine Katastrophe.«

»War es auch. Tony war nicht gerade begeistert. Aber da das Hotel nun mal gebaut wurde, wollte er wenigstens seinen Anteil daran haben. Also investierte er, genau wie viele andere Leute hier in der Gegend. Andere, die keine hundert Riesen irgendwo herumliegen hatten, waren stinksauer. Aber Tony erzählte allen, es würde neue Jobs geben, er schwadronierte über Möglichkeiten im Tourismus, die Synergieeffekte für die Region und so weiter. Und als der große Tag kam, durfte er das Band durchschneiden. Drei Monate später trieb der erste Lachs mit dem Bauch nach oben. Das Hotel hatte seine Abwässer in den See gepumpt, was für eine Überraschung aber auch. So wie es aussieht, wird man in ein, zwei Jahren über den Fluss spazieren können. In noch fernerer Zukunft reicht das als Fundament für eine zweite Brücke, die wahrscheinlich Tonys Namen tragen wird.«

Sie wartete ab. Ich trank meinen Kaffee und drehte mir noch eine Fluppe.

»Und das ist alles?«

»Das ist alles.«

»Das sind die schmutzigen Hintergründe?«

»Wer hat denn was von schmutzig gesagt? Sie haben einfach vorausgesetzt, dass Korruption im Spiel war. Aber das Ganze beweist nur, dass Tony ein Heuchler ist.«

»Er ist ein Heuchler. Was für eine Story.«

»Früher war’s das mal.«

»Steigen Sie vom Kreuz runter, Harry, sonst wird Ihnen noch schwindelig. Sagen Sie mir einfach, ob Sie noch was anderes gegen Sheridan in der Hand haben. Ist er korrupt? Vögelt er herum? Gibt’s etwas, das seine Frau dazu gebracht haben könnte, sich die Kehle durchzuschneiden? Wenn nicht, verschwenden wir hier meine Zeit.«

Ich dachte darüber nach.

»Nee, ich verschwende nur Ihre Zeit.«

Sie legte das Notizbuch weg.

»Ich werde Ihnen keinen abkauen, Harry, egal, wie sehr Sie mit dem Schwanz wedeln. Finden Sie sich damit ab und zwar schnell. Ich hab ein paar Anrufe gemacht. Es ist noch nicht durchgesickert, aber wenn es erst mal so weit ist, liegen wir am Boden und es rollt über uns hinweg.« Sie schaute auf die Uhr. »Herrje, es ist ja schon spät.«

»Verabredet?«

Sie zupfte an ihrem Pony und warf mir einen Kussmund zu, so ätzend wie Salzsäure.

»Spliss ist eine echte Plage, Harry. Eine Frau sollte auf ihr Äußeres achten.«

»Für den Fall, dass Kameras auftauchen?«

»Genau.« Sie packte alles in ihre Tasche und stand auf. »Vielen Dank für den Kaffee.«

»Hurra.«

Ich sah ihr nach, nippte an meinem Kaffee, grübelte über den Zeitungsartikel nach und fragte mich, warum sie ihn liegen gelassen hatte. Dann stieg ich die drei Treppen hinauf ins Büro in der Hoffnung, dass jemand seinen Hund vermisste.

3

Das Geräusch von thailändischem Take-away, das in den Mülleimer geknallt wird, verkündete mir, dass die Bürotür bereits offen war. Das bedeutete, das jemand eingebrochen war. Allerdings musste man kein Genie sein, um das zu bewerkstelligen, die größte Herausforderung dabei wäre, die Tür nicht versehentlich aus den Angeln zu heben. Ein dicker Junge hätte bei mir einbrechen können, bloß indem er sich gegen die Milchglasscheibe lehnte.

Es hätte ein ziemlich gelangweilter dicker Junge sein müssen, denn in meinem Büro gab es nur einen Schreibtisch, zwei Stühle und einen Aktenschrank mit immerhin drei Ordnern, zwei davon mit bezahlten und unbezahlten Rechnungen. Welcher davon der dünnere war, kann man sich denken. Der dritte Ordner war für die Aufträge bestimmt und eindeutig magersüchtig.

Der dicke Junge ging auf die vierzig zu, er sah aus wie ein türkischer Ringer, der in einem rostroten Armani-Anzug feststeckte. Er hatte wulstige Lippen und eine breite Nase. Seine Schweinsaugen waren klein, schwarz und leblos, sein Haar mit viel Gel straff nach hinten gekämmt.

Er nickte mir freundlich zu, als ich eintrat.

»Nett hier«, sagte er mit einer Reibeisenstimme. Er stieß die einzelnen Worte kurz und hastig aus, aus dem Mundwinkel, als wären sie auf diese Weise billiger. Ich nickte zurück, freundlich wie ein ganzer Kirchenchor.

»Hallo. Wer zum Teufel sind Sie?«

»Herrje, entspannen Sie sich.«

»Entspannter geht’s leider nicht. Ich hab zu viel Kaffee intus, ein Magengeschwür und die Folgen des Drogenmissbrauchs in meiner frühen Jugend machen sich allmählich bemerkbar. Ich würde zum Arzt gehen, aber der ist schon zum zweiten Mal in diesem Jahr auf Entzug, und das Heroin hilft uns auch nicht weiter, zumal im Moment ziemlich viel davon in Umlauf ist. Also, wer zum Teufel sind Sie?«

 

Ich wusste, wer er war. Frank Conway, ein Immobilienhändler, der nebenher mit Gebrauchtwagen handelte. Viele Leute kannten Frank Conway. Er war erst seit achtzehn Monaten in der Stadt, fuhr aber ein silbergraues Cabrio, einen Mercedes SL, Baujahr ‘84, der wie neu aussah und mit einem Motor ausgestattet war, den man nicht überhören konnte. Bislang waren wir einander noch nicht offiziell vorgestellt worden, aber da ich bereits einen .38er im Gürtel stecken hatte und Gonzo zurückkommen würde, brauchte ich wirklich nicht noch mehr Ärger. Und Frank Conway bedeutete Ärger. Gerüchten zufolge kamen Franks Autos vollgestopft wie Apothekerschränke und für jede Party einsatzbereit über die Grenze.

»Ich frage nur, weil montags hier der Müll abgeholt wird, und ich möchte nicht, dass jemand Sie mit dem Abfall verwechselt.«

Er schenkte mir ein dünnes Lächeln und deutete mit dem Kopf zur Milchglasscheibe mit dem Schriftzug »Harry J. Rigby, Unabhängiges Ermittlungsbüro«.

»Wofür steht denn das J?«

»Das bedeutet raus aus meinem Sessel, verdammt noch mal.«

Er stand auf, streckte sich und zeigte mir, dass er wirklich so groß war, wie er glaubte. Er ging um den Schreibtisch herum, um sich in den anderen Sessel zu pflanzen. Ich setzte mich auf meinen Platz, stellte den Kaffeebecher ab und drehte mir eine Fluppe.

Er sagte: »Haben Sie sich hier drin schon mal verlaufen?«

»Tut mir leid, kein Sarkasmus vor dem Frühstück. Also, sind Sie nur gekommen, um die Inneneinrichtung ein bisschen zu verändern, oder kann ich wirklich was für Sie tun?«

Normalerweise verzichte ich auf das Sprücheklopfen, aber ich mochte Conway nicht. Er war mir zu glatt, zu clever, wirkte abgeleckt wie ein zufriedener Kater, und ich hasse Katzen, besonders zufriedene. Er lehnte sich zurück und legte ein Bein übers andere.

»Kriegen Sie viele Aufträge mit dieser Einstellung, Kumpel?«

»Dienstags kriege ich Depressionen wegen meiner Einstellung. Aber montags komme ich mir immer noch schlau vor. Fangen Sie also ruhig noch mal von vorn an. Wenn Sie sich gut benehmen, höre ich vielleicht bis zum Schluss zu, aber nur, weil ich mich schon seit Tagen nicht mehr amüsiert habe.«

Eigentlich hoffte ich, Conway würde den Wink verstehen und sich davonmachen, aber er beugte sich bloß vor und schnippte die Asche seiner Zigarette nachlässig in den Aschenbecher. Er stemmte die Ellbogen auf den Tisch, räusperte sich und sagte: »Sie sind doch Harry Rigby?«

»Wenn Sie nicht vom Finanzamt kommen, dann ja.«

»Und Sie sind Privatermittler?«

»Ich bin Berater für Recherchen.«

»Ist das eine seltene Tierart oder tun Sie wirklich was?«

Ich holte tief Luft und ließ meinen üblichen Sermon ab. »Ich recherchiere Informationen, die Privatpersonen normalerweise nicht zugänglich sind. Überprüfe die Kreditwürdigkeit von potenziellen Geschäftspartnern, mache ehemalige Geliebte ausfindig, solche Sachen. Ich führe verdeckte Observationen für Versicherungsgesellschaften durch, wenn ein begründeter Verdacht auf Betrug besteht. Ich dokumentiere Untreue oder ich beweise, dass die Verdächtigungen eines Ehemanns nicht mehr sind als Verdächtigungen. Ich assistiere Firmen bei der Sicherheitsüberwachung, und manchmal laufe ich geplatzten Schecks hinterher. Verschwundene Hunde und Familienstammbäume gehören zum Standardgeschäft. Als Bonus biete ich kreative Steuerrückerstattung, Fast Food, Nachtschichten und protestantische Verschwiegenheit an. Das Magengeschwür hatte ich schon, bevor ich diesen Beruf ergriffen habe. Der Kaffee wird kalt.«

Er nickte und lehnte sich zurück. Holte tief Luft und drückte die Brust durch. Verdacht auf Untreue, schätzte ich.

»Ich heiße Conway, Frank Conway. Und das hier ist streng vertraulich.«

»Stellen Sie sich vor, ich wäre der Pfarrer, das machen alle Frauen so.«

Er lachte, bellend und nasal.

»Sie sollten mal meine Frau kennenlernen.«

»Mag sie Männer mit Humor?«

»Sie findet alle Männer saukomisch.«

»Hat sie auch einen Namen oder wäre das womöglich wichtig?«

»Helen.«

Ich holte einen Notizblock aus der Schublade und schrieb ein paar Stichworte auf.

»Und ist sie abgehauen, oder hat sie es noch vor?«

»Weder noch. Ich würde ihr alle Knochen im Leib brechen.«

»Und was soll ich tun – das Alibi liefern?«

Er blies ein paar Rauchringe Richtung Zimmerdecke.

»Die meisten Ehemänner wollen eher den Nebenbuhler um die Ecke bringen«, hakte ich nach.

»Scheiß auf den«, knurrte Conway. »Der weiß es nicht besser. Sonst würde er diese Schlampe nicht vögeln.«

»Haben Sie denn Beweise dafür, dass Mrs Conway eine Affäre hat?«

»Sie treibt sich rum, das weiß ich genau.«

»Es wäre sehr unklug, voreilige Schlüsse zu ziehen.« Von meiner Warte aus betrachtet schien es allerdings das Einzige zu sein, was er tat. »Vielleicht sollten sie auch andere Möglichkeiten in Betracht ziehen.«

»Was denn zum Beispiel?«

Ich wusste aus Erfahrung, dass es keinen Sinn machte, an die Vernunft zu appellieren. Wenn ein Mann so überzeugt davon ist, dass seine Frau eine Affäre hat, dass er es einem anderen anvertraut, würde selbst eine Marienerscheinung ihn nicht davon abbringen. Ich versuchte es trotzdem, weil ich dringend einen Job brauchte. Und nach verschwundenen Hunden zu suchen, ist keine Arbeit für einen erwachsenen Mann.

»Meistens ist es bloß Paranoia«, erklärte ich. »Das ist typisch für einen Mann, der hart arbeitet, um seine Schwanzgröße zu kompensieren, und deshalb nicht mehr dazu kommt, den Schwanz zu benutzen. Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis er sich fragt, warum seine Frau mit ihrer Situation zufrieden ist. Manchmal hat der Typ sogar Recht und die Frau geht tatsächlich fremd, aber das kommt eher selten vor. Wie auch immer, in beiden Fällen gibt es kein Happy End.«

»Was zum Teufel war das denn? Das Wort zum Sonntag?«

Big Frank wusste Bescheid, und alles andere war ihm egal. Ich führte nicht aus, dass die Tatsache, dass ihm alles egal war, vielleicht der Grund war, dass Helen Conway einen anderen vögelte. Ich fragte nur: »Hat sie denn die Gelegenheit dazu?«

Die unheilige Dreifaltigkeit – Motiv, Gelegenheit und Beweis. Den Beweis sollte ich liefern, und nach zehn Minuten mit Frank Conway hatte sogar ich schon ein Motiv, mich nach einer Affäre zu sehnen.

»Ich übernachte in der Regel ein oder zwei Mal pro Woche außerhalb«, knurrte er. »Geschäftlich.«

»Wo?«

Er knurrte noch einmal, warnend.

»Mal hier, mal da. Das wechselt.«

Er glotzte mich an. Ich schrieb mit.

»Also? Wollen Sie Beweise dafür, dass sie eine Affäre hat? Wenn Sie ihr den Hals umdrehen möchten, sollten sie warten, bis Sie konkrete Beweise haben.«

Er nickte brüsk.

»Also gut. Ich brauche noch einige Informationen – wo sie arbeitet, wo sie einkauft, zu welchem Friseur sie geht. Ein aktuelles Foto, das Übliche halt.«

Er griff in die Innentasche und reichte mir einen Führerschein, bei dem ein offizieller Warnhinweis angebracht gewesen wäre. Sie war knapp unter vierzig, hatte dunkle, schulterlange Locken, den Kopf leicht nach hinten gelegt, was ihre Adlernase betonte. In ihren dunklen Mandelaugen schwelte das Unheil. Ihr Lächeln wirkte sardonisch und abgebrüht, und falls ihre Unterlippe weniger provokant wirkte als die von Ian Paisley, dann nur, weil sie nicht mit der Faust auf den Tisch schlug.

Ich hatte diese Sorte Frau schon oft gesehen, zumeist durchs Fernglas, also konnte ich nachvollziehen, warum Conway verzweifelt wäre, wenn sie ihn tatsächlich betrog. So eine Frau tritt nur ein einziges Mal in dein Leben, wenn du Glück hast, und dieses Glück ist nicht umsonst. Ich schrieb mir die Daten auf und gab ihm den Führerschein zurück. Ich fragte mich, ob er ihn bei sich hatte, weil er gut vorbereitet war, oder ob er verhindern wollte, dass seine Frau das Auto nahm, wenn er nicht zu Hause war.

»Hat sie ein eigenes Bankkonto?«

»Mehrere. Die genaueren Angaben habe ich nicht bei mir.«

»Eins würde genügen, am besten noch heute. Wie sieht’s mit Hobbys aus?«

»Hobbys?«

»Blumenschmuck, Tanzsport, Tiefseetauchen. Was macht sie denn so, wenn Sie nicht zu Hause sind?«

Er klang jetzt eingeschnappt.

»Sie spielt Golf.«

»The Bridge?«

»Wo denn sonst?«

Im Bridge wurde das Handicap danach berechnet, seit wie vielen Jahren das Kleine Schwarze der Ehefrau aus der Mode gekommen war.

»Spielt sie gut?«

»Was hat das denn damit zu tun?«

Ich machte mir noch ein paar Notizen. Und dann kam der Knüller: »Ich bräuchte noch ein paar Informationen über den Kerl.«