Seewölfe - Piraten der Weltmeere 292

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 292
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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-689-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Das Wild war gestellt!

Die „Louise“, das Flaggschiff Yves Grammonts, hatte nicht mehr entwischen können. Zu schwer war sie angeschlagen. Die Brandpfeile Big Old Shanes und Batutis hatten ihren Zweck erfüllt und die Segel der Piraten-Galeone weggefressen.

Pete Ballie am Kolderstock der „Hornet“ nahm keine Rücksichten mehr auf ein elegantes Anlegemanöver, das sonst bei ihm aus Samt und Seide war.

Krachend schlug Bordwand an Bordwand – die Steuerbordseite der „Hornet“ gegen die Backbordseite der „Louise“. Auf der „Louise“ kippten ein paar Kerle um, die auf den Anprall nicht vorbereitet gewesen waren, obwohl sie wie hypnotisiert auf die schräg von Backbord achteraus heranrauschende „Hornet“ gestiert hatten.

Ja, jetzt durften sie einmal erleben, wenn das eigene Schiff geentert wurde. Sonst war’s immer umgekehrt gewesen. Neidlos – so sie zu dieser Erkenntnis überhaupt noch in der Lage waren – mußten sie feststellen, daß diese Höllenhunde das Entergeschäft perfekt beherrschten, sozusagen aus dem Handgelenk.

Na, sie waren mehr erschüttert als neidlos.

Der Anprall des englischen Schiffes gegen ihre „Louise“ hatte zwar ein paar Kumpane umgeworfen, aber was neu war im Entergeschäft, das bekundete sich in der Tatsache, daß Sekunden nach Längsseitsgehen der „Hornet“ wieder ein paar der eigenen Kumpane umfielen – mit Kopftreffern. Da waren ihnen nämlich Belegnägel um die Ohren geflogen.

Und erst dann enterten sie.

Da hatte der schwarzhaarige Riese mit den eisblauen Augen, der auf dem Achterdeck der „Hornet“ gestanden hatte, gebrüllt: „Drauf, Arwenacks! Gebt’s ihnen!“

Wie ein Panther war er als erster aufs Achterdeck der „Louise“ hinübergefegt, den blanken Degen in der Faust.

Eine Meute entfesselter Höllenhunde setzte ihm nach, brüllend und tobend, der Schlachtruf dieser Eisenfresser brauste über die Decks der Piraten-Galeone, daß den Schnapphähnen Grammonts das Blut in den Adern gefror.

Daß sie selbst auch zu brüllen pflegten, wenn sie enterten, schien ihnen entfallen zu sein. Jetzt taten es die anderen, und sie hörten es mit Entsetzen. Es kündigte an, daß es zur Sache ging – Mann gegen Mann, unerbittlich und mit tödlicher Entschlossenheit, Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Einigen brach das Rückgrat. Sie warfen sich herum und stürzten sich über das Steuerbordschanzkleid ins Wasser. Panik hatte sie gepackt. Nur weg von diesem Schiff! Weg von diesen Teufeln, die an Deck flankten oder sprangen oder wie wilde Affen an Tauen hingen und mit Schwung herübersausten.

Yves Grammont schrie auf vor Wut, als er sah, daß einige seiner Mannen das Hasenpanier ergriffen, statt sich dem Gegner entgegenzuwerfen und das Flaggschiff zu verteidigen.

„Ihr Ratten!“ brüllte er, völlig außer sich. „Feiges Pack! Lumpengesindel! Wer desertiert, wird an die Rah gehängt …“

Das war schon etwas irre, denn wie es aussah, würde der Oberschnapphahn Grammont kaum noch Gelegenheit haben, jemanden an die Rah zu knüpfen, ganz abgesehen davon, daß er den Deserteur erst einmal wieder einfangen mußte. Dafür waren die Aussichten mehr als trüb. Die Kerle paddelten in wilder Panik von der „Louise“ weg. Vielleicht dachten sie, das Flaggschiff würde in den nächsten Sekunden in die Luft fliegen.

Yves Grammont hatte auch keine Zeit mehr, seinen geflüchteten Kerlen alle möglichen Höllenstrafen anzudrohen, denn er mußte sich seiner eigenen Haut wehren.

Der Mann, dessen Degenklinge vor seinen Augen silberne Girlanden zirkelte, war Philip Hasard Killigrew. Und schon eine halbe Girlande würde genügen, um ihn schmückend zu zeichnen – mit einem scharfen Schnitt.

„Vorwärts, Grammont!“ knurrte Hasard. „Was wir auf Mordelles angefangen haben, wollen wir jetzt zu Ende bringen. Oder streich die Flagge! Du hast die Wahl!“

Grammont nahm den Kampf an und strich nicht die Flagge. Da war er konsequent und dickschädelig. Da geisterte in seinem Kopf wohl auch die Vorstellung, daß ein Kapitän sein Schiff nicht verloren geben durfte, solange er selbst noch einen Funken Leben in sich hatte.

So ähnlich dachten noch ein paar von seinen Männern – Saint-Jacques, bis vor kurzem noch Kapitän der „Coquille“, die dieses Gefecht nicht überstanden hatte, ferner Ferret und Jules Arzot sowie eine Handvoll der rüdesten Galgenvögel aus der „Louise“-Crew.

Und da waren noch Easton Terry mit dem Schreihals Halibut und sechs weiteren ehemaligen Genossen von der „Fidelity“, die allesamt von der Fahne gegangen waren und sich Grammont angeschlossen hatten.

Spätestens jetzt kapierten diese sieben Kerle unter Easton Terry, daß sich ihr Verrat nicht auszahlen würde. Die Übermacht, die Yves Grammont gegen die „Hornet“, die „Fidelity“ und den Schwarzen Segler aufgeboten hatte, war zusammengeschmolzen wie Schnee in der Sonne. Nicht die „stärkeren Bataillone“ hatten den Kampf entschieden, sondern die besseren Kämpfer – jene Teufel, die jetzt enterten.

Die Seewölfe!

Wie stets bei Enterkämpfen konzentrierten sie ihren Angriff auf das Achterdeck, dem Kommandostand jedes Schiffes. Dort klirrten bereits die Blankwaffen Hasards und Grammonts in wirrer Folge aufeinander.

Dort auch hatte sich Dan O’Flynn den tückischen Saint-Jacques vor die Klinge geholt, wobei er gleichzeitig den Rücken Hasards abschirmte.

Der grimmige Carberry indessen ging auf Easton Terry los, der ihm vom Beginn ihrer „Waffenbruderschaft“ an schwer im Magen gelegen hatte. Deswegen hatte er von Hasard auch mehrere Male recht happige Rüffel einstecken müssen. Nun, die Zeit der grollenden Zurückhaltung diesem Rübenschwein gegenüber war vorbei. Der Profos konnte vom Leder ziehen, ohne von seinem Kapitän getadelt zu werden. Carberry krempelte gewissermaßen die Hemdsärmel auf.

Er hatte sich eine zersplitterte Spillspake geschnappt und drosch mit ihr drauflos. Der Cutlass, den Easton Terry gegen ihn geschwungen hatte, flog wirbelnd außenbords. Terry quittierte es mit einem Wutgebrüll und schlenkerte seine geprellte rechte Hand.

„Gleich brüllst du noch mehr!“ röhrte Carberry, glitt behende schräg hinter Terry, schwang die Spillspake wie eine Axt über die rechte Schulter und schmetterte sie Terry aufs Hinterteil. Terry schoß davon, durchbrach die Querbalustrade des Achterdecks und krachte auf die Kuhl hinunter.

„Hiergeblieben!“ donnerte Carberry, konnte sich aber um Terry nicht mehr kümmern, weil ihm plötzlich jemand hinten im Kreuz hing und seinen Schädel mit den Fäusten bearbeitete.

Carberry krümmte sich blitzschnell zusammen, der Kerl sauste über seinen Kopf und knallte auf die Planken – im Überschlag.

Es war Smoky, und er hatte glasige Augen sowie eine wurstähnliche Beule auf der Stirn.

„Was suchst du denn auf meinem Rücken, du Affenarsch?“ brüllte Carberry erbittert.

Smoky stierte zu ihm hoch und wackelte irritiert mit dem Kopf.

„Dachte, du wärst ’n anderer“, sagte er undeutlich.

Der Profos geriet außer sich. „’n anderer? Hast du Sauerkraut auf deinen verdammten Klüsen?“

„Man kann sich ja mal irren“, erklärte Smoky verbiestert.

Dann konnten sie beide ihren erbaulichen Dialog nicht weiter fortsetzen, weil sie getrennt wurden. Zwischen ihnen sauste einer von Grammonts Galgenvögeln hindurch, gefolgt von dem hageren Mac Pellew, der den Kerl mit einer riesigen Bratpfanne vor sich her trieb. Ob sie von der „Hornet“ stammte, konnte Carberry, dem vor Verblüffung das Rammkinn wegsackte, nicht mehr feststellen, denn der dicke Arzot, auch einer von Grammonts Kerlen, rempelte ihn an und wurde dafür im Gegenzug von Carberrys Spillspake umgewischt.

Sekunden später dröhnte die Bratpfanne Mac Pellews auf den Schädel des Kerls, den er verfolgt hatte, und stauchte ihn gleich auf die Hälfte seiner Körperlänge zusammen. Gleich darauf schepperte es noch einmal, als Mac mit der Bratpfanne einen Belegnagel abfing, der seinem Kopf gegolten hatte.

So lächerlich war dieses Ding gar nicht. Mac benutzte die Pfanne als Schild und als Schlagwaffe, wie’s gerade kam. Und er war ein exzellenter Bratpfannenkämpfer. Sogar Pistolenkugeln prallten wirkungslos von dem Ding ab.

Zu diesem Zeitpunkt herrschte ein totales Durcheinander auf dem Achterdeck der „Louise“, das sich jedoch aufzulösen begann, als ein paar Kerle Grammonts und Terrys zur Kuhl und zum Vordeck flüchteten. Der Kampf verlagerte sich wieder auf die ganze Länge des Schiffs, dessen Decks ein Chaos darstellten und mit zerborstenen, heruntergeschossenen Spieren und Stengen, zerfetzten oder brandigen Segeln und einem Gewirr von Tauwerk übersät waren.

Über diese Wuhling tobte die wilde Jagd.

 

Zwei Kerle waren so witzig, ihrerseits auf die „Hornet“ überzuentern. Es bekam ihnen gar nicht gut.

Zurückgeblieben auf Hasards Schiff waren Old O’Flynn, Pete Ballie, der Kutscher, die beiden Zwillinge Hasards – und Paddy Rogers, der von einem Schuß Lucio do Velhos schwer getroffen worden und noch ohne Besinnung war. Der Kutscher und die Zwillinge kümmerten sich um ihn in der Kombüse der „Hornet“.

So waren es nur Old O’Flynn und Pete Ballie, die sich den beiden Kerlen widmen konnten. Aber was heißt hier schon „nur“?

Pete Ballie war als Kämpfer genausogut wie als Rudergänger und hatte Pranken von der Größe der Bratpfanne, mit der Mac Pellew in den Kampf gezogen war.

Und Old O’Flynn war trotz der Behinderung durch sein Holzbein ein eisenharter Knochen, der noch stets jeden Gegner – und sei er auch noch so flink und körperlich überlegen – unverdrossen angenommen hatte.

Allerdings stellte sich den beiden Kerlen noch einer entgegen, nämlich Arwenack, der Bordschimpanse der Seewölfe. Er war beim Seegefecht unter Deck gewesen und von den dauernden Breitseiten, die über ihm dröhnten, ganz rappelig geworden. Außerdem hatte er sich kostümiert, und zwar mit einem Schlapphut, den er unter Deck gefunden hatte. Später stellte sich heraus, daß diesen Schlapphut das blonde „Engelchen“ Lucille getragen hatte, als es von Hasard in der Pinasse überwältigt worden war.

Also, Arwenack hatte sich diesen Schlapphut auf den Kopf gestülpt und tauchte in dem Moment zähnefletschend und ziemlich wild aus einer Luke in der Back auf, als die beiden Kerle aufs Vordeck der „Hornet“ sprangen, ohne eigentlich so recht zu wissen, was sie dort wollten. Nur eins war ihnen bewußt: daß es auf der „Hornet“ zur Zeit ruhiger zuging als auf der „Louise“. Vielleicht wollten sie eine Pause einlegen.

Daraus wurde nichts.

Als sie kurz vor der Luke aufsetzten, fuhr der schlapphutbekrönte Arwenack aus ihr hoch wie ein Kastenteufelchen und äußerte sich in der Affensprache, einer Mischung aus Kecker- und Grunzlauten, aber deutlich mit einem sehr zornigen Unterton. Er betrommelte auch seinen Bauch und stülpte die Oberlippe fast bis zu den Nasenlöchern hoch, womit er seine prächtigen Zähne freilegte.

Einen so furchtbaren Kämpfer hatten die beiden Kerle noch nie gesehen. Fast erlitten sie einen Herzschlag.

„Der Leibhaftige!“ röchelte der eine.

Und sie nahmen Reißaus – hinunter zur Kuhl.

Dort wurden sie von Old O’Flynn und Pete Ballie empfangen und gerieten vom Regen in die Traufe. Der eine stolperte über Old O’Flynns weit vorgestrecktes Holzbein und stieß sich die Nase, als er platt auf den Planken landete. Der andere raste zielgenau in Pete Ballies rechte, hart abgefeuerte Bratpfannenfaust – mit dem Gesicht natürlich. Er spürte es ebenfalls an seiner Nase, dann jedoch am Hinterkopf, weil er rücklings auf die Planken krachte.

Pete Ballie sammelte beide Kerle auf, schleifte sie zur Backbordseite und hievte sie über Bord. Als sie wieder auftauchten, begannen sie zu brüllen.

„Vielleicht können sie nicht schwimmen“, sagte Old O’Flynn.

„Mir doch egal“, brummte Pete Ballie. „Sie hätten ja drüben bleiben können.“

„Da hast du auch wieder recht“, sagte Old O’Flynn.

Arwenack hüpfte inzwischen auf der Back herum und gab weitere Mißfallensäußerungen von sich. Das war gut so, denn auf diese Weise bewachte er das Vorschiff, falls da noch mehr Kerle herüberturnen wollten.

Achtern, an der Heckgalerie der „Louise“, sackte Yves Grammont zusammen, und der Degen entfiel seiner Hand. Er blutete aus mehreren Wunden, und es war ihm schwarz vor Augen geworden. Hasard kümmerte sich nicht weiter um ihn. Er wirbelte herum und sah, wie auch Dan O’Flynns Gegner Saint-Jacques in diesem Moment zusammenbrach, offenbar noch schwerer verletzt als Yves Grammont.

„Alles klar bei dir?“ fragte Hasard.

Dan O’Flynn wischte sich mit dem linken Unterarm den Schweiß vom Gesicht und nickte. „Alles klar, Sir. Bei dir auch?“

„Sicher.“ Hasard warf einen kurzen Blick zu dem zusammengesunkenen Grammont. Immerhin, er hatte tapfer gekämpft. Für einen Moment dachte Hasard daran, ihn zur „Hornet“ hinüberschaffen zu lassen, damit sich der Kutscher um ihn kümmerte. Aber dann wischte er diesen Gedanken wieder beiseite. Der Kampf war noch nicht beendet. Und der Kutscher war sicher mit Paddy Rogers beschäftigt. Paddy Rogers ging vor.

Und dann fiel ihm etwas anderes ein, und er fuhr zu Dan herum. „Wo steckt Terry?“

„Ich sah nur, wie er die Querbalustrade durchbrach und zur Kuhl abrauschte.“

Dan hatte kaum ausgesprochen, da fegte Hasard bereits zur Kuhl hinunter – mitten hinein in das Chaos.

Dan wollte ihm folgen, erhielt aber einen furchtbaren Stoß in den Rükken und schlug auf die Planken. Über ihn weg flog ein Messer, wirbelte in den Besanmast und blieb dort fast bis zum Heft stecken.

Und da brüllte Ben Brighton: „Du hinterhältige Ratte, du Dreckskerl …“

Klingen klirrten aufeinander.

Dan O’Flynn wälzte sich herum und sprang auf. Mit einem Blick erkannte er, daß ihm Ben Brighton wahrscheinlich mit dem Stoß ins Kreuz das Leben gerettet hatte – buchstäblich im letzten Moment.

Halibut war der Messerwerfer gewesen. Halibut, einer der miesesten und übelsten Kerle der Terry-Crew. Und jetzt tanzte er vor Ben Brighton herum, einem Ben Brighton, der lange brauchte, um voll loszulegen.

Er legte los.

Wenn den Ersten Offizier der Seewölfe-Crew etwas in Fahrt brachte, dann waren das solche Typen wie Halibut, die von hinten zu meucheln pflegten. Im übrigen war es Halibut gewesen, der sich am lautstärksten beim Bordgericht gegen Easton Terry auf dessen Seite gestellt und eine Meuterei gegen Hasard und seine Männer entfesselt hatte.

Dan O’Flynn rieb sich das Kreuz, wo ihn Bens Stoß getroffen hatte, und sah, wie der Erste die Hiebe Halibuts parierte. Dieser Mistkerl hatte außer seinem Messer, das jetzt im Besanmast steckte, noch einen Cutlass. Mit dem meinte er, Ben Brighton ins Jenseits befördern zu können.

Nur war Ben eben außer Rand und Band. Er trieb Halibut nach achtern, ständig in der Gegenparade auf Hieb und Stich. Halibut stolperte über den zusammengesackten Grammont, fing sich sofort, glitt nach rechts, entdeckte dabei den Degen Grammonts, bückte sich blitzschnell und riß ihn an sich, während er gleichzeitig den Cutlass in seine linke Hand warf.

Als er sich wieder aufrichtete, glitzerten die Augen in seinem sonst so stumpfsinnigen Gesicht. Er rechnete sich wohl eine Chance aus.

Sekunden später brauchte er nichts mehr auszurechnen. Da fehlte ihm die rechte Hand mit dem Degen Grammonts. Gleichzeitig durchbohrte ihn der Cutlass Ben Brightons. Noch mit der Waffe in der Brust hob ihn der Erste an und beförderte ihn nach Steuerbord über das Schanzkleid weg ins Wasser. Als er über Bord ging, war er bereits tot.

Dan O’Flynn atmete auf und sprang mit Ben Brighton zusammen auf die Kuhl hinunter – auf dem Achterdeck der „Louise“ gab es keine Kämpfer mehr. Grammont und Saint-Jacques lebten noch, aber ob sie überleben würden, war fraglich. Zur Zeit jedenfalls hatten sie keinen Anteil mehr an dem, was auf der „Louise“ passierte.

Der Widerstand an Deck brach zusammen.

Ferret, einer der Kerle Grammonts, wurde von einem Degenstich des blonden Schweden Stenmark tödlich getroffen und gleich außenbords befördert.

Einer der Kerle Easton Terrys fiel unter der Axt Ferris Tuckers, während der dicke Arzot an Batuti geriet und den Kampf mit dem Riesen aus Gambia nicht überlebte.

Wüst sah es aus auf den Decks der „Louise“. Keuchend blickten sich die Männer des Seewolfs um und ließen die Waffen sinken.

Die Arbeit war getan. Es gab keine Gegner mehr – nur Tote oder Verletzte, die ohne Besinnung waren. Die „Louise“ war ein Wrack. Die Stille nach dem Waffengeklirr und dem Kampfeslärm wirkte fast gespenstisch.

Hasards klare Stimme durchschnitt sie: „Hat jemand Terry gesehen?“

Carberry starrte ihn erstaunt an. „Wieso? Der muß doch hier sein.“

„Und wo?“

„Hier auf der Kuhl. Ich verdrosch ihn mit der Spillspake, und da flog er auf die Kuhl hinunter.“

„Hier ist er aber nicht“, sagte Hasard.

„Vielleicht ist er außenbords gesprungen“, meinte Dan O’Flynn.

Hasard musterte seine Männer. „Hat das jemand beobachtet?“

Nein, sie hatten nichts gesehen.

„Durchsucht das Schiff!“ befahl Hasard knapp.

2.

Yves Grammonts Piratenverband hatte aus sechs Schiffen bestanden – dem Flaggschiff „Louise“, der „Coquille“ sowie drei Dreimast-Galeonen und einer Zweimast-Karavelle. Dieser letztere Viererverband war – für Hasards Kampfgruppe unvermutet – von einem Piratenunternehmen bei St. Nazaire zurückgekehrt und hatte sofort an der Seite Grammonts in das Gefecht mit eingegriffen, das sich Hasards drei Schiffe, die „Hornet“, die „Fidelity“ und Thorfin Njals „Eiliger Drache über den Wassern“, mit der „Louise“ und der „Coquille“ bei der Pirateninsel Mordelles lieferten.

Da hatten also plötzlich sechs Schiffe gegen Hasards drei Schiffe im Gefecht gestanden – ein Kräfteverhältnis, das die Schnapphähne Grammonts hatte aufjubeln lassen und allerdings dazu angetan war, für die „Hornet“, die „Fidelity“ und „Eiliger Drache über den Wassern“ das Schlimmste zu befürchten.

Nur – die Kerle hatten zu früh gejubelt. Der Sieg, dessen sie sich so sicher gefühlt hatten, war zu einer totalen Niederlage geworden.

Zu der unerwarteten Wendung hatten die Höllenflaschen gehörig beigetragen, die von Hasard eingesetzt worden waren.

Am Erfolg der Seewölfe und ihrer Mitkämpfer war jedenfalls nicht mehr zu zweifeln. Die Gefechtsbilanz lautete, daß von Grammonts stolzem Sechserverband lediglich noch eine kampffähige Galeone übriggeblieben war – einer der vier Segler, die bei St. Nazaire gewesen waren. Zwar schwamm auch noch die „Louise“, Grammonts Flaggschiff, aber sie war zum Wrack geschossen und außerdem von den Seewölfen geentert worden.

Jene andere Piraten-Galeone, und das hatte Grammont in Raserei versetzt, war auf zurückhaltende Distanz vom Gefechtsfeld gegangen, als sie von der „Hornet“ Zunder gekriegt hatte. Ihr Kapitän war kein rücksichtsloser Draufgänger, dafür aber Realist, der die Gefechtssituation nüchtern betrachtete und zu der Einsicht gelangt war, daß sich Grammont wohl überschätzt hatte, als er sich mit diesen Höllenhunden anlegte.

Er jedenfalls hatte keine Lust, noch einmal von diesen explodierenden Teufelsflaschen beharkt zu werden. Außerdem war ihm der schwarze Viermaster nicht geheuer – ein Schiff, wie er es noch nie gesehen hatte. Da waren sogar behelmte Kerle an Bord, Gestalten, die verdammt an jene Riesen erinnerten, von denen die Sagen und Legenden berichteten. Auf mit Drachenköpfen verzierten Langschiffen waren diese Kerle aus dem hohen Norden über die französische Atlantikküste hergefallen. Und jetzt das!

Nun war die See bei der Insel Mordelles in etwa ein Spiegelbild der wrackreif geschossenen „Louise“, wobei allerdings eine andere der St.-Nazaire-Galeonen drüben an Land auf ein Riff gelaufen war und sich offenbar den Schiffsbauch aufgeschlitzt hatte. Jedenfalls war die auch wrackreif.

Auf der See dümpelte also jener Kram herum, der übrigbleibt, wenn ein Schiff auf Tiefe geht – Spieren, Planken, Grätings, Fässer, Kisten, zum Teil zerborsten und zerfetzt, manchmal noch gut erhalten. Da zeigten sich auch noch Rahen mit aufschwimmenden zerrissenen Segeln und Teilen des Riggs, das schlangengleich um die Torsos herumschwappte und erst sinken würde, wenn es sich mit Wasser vollgesogen hatte.

Ein schlimmes Bild, das noch grausiger wirkte, wenn da und dort plötzlich etwas aus dem Wasser blubbernd aufschoß – ein Faß etwa, das sich aus dem gesunkenen Rumpf gelöst hatte und auftrieb. Schiffe behalten ja nicht alles, wenn sie gesunken sind. Einiges geben sie noch her. Dennoch sind es eigentlich tote Gegenstände.

Nicht tot jedoch waren jene Kerle, die das Gefecht und den Untergang ihres Schiffes überlebt hatten – zum Teil vielleicht verletzt. Solange sie lebten, hielten sie sich über Wasser – schwimmend, wassertretend oder an irgendein Trümmerstück geklammert.

Man nennt solche Menschen Schiffbrüchige. Sind sie verletzt, verkürzt sich ihre Überlebenschance. Sie schrumpft sogar rapide zusammen.

Das Verhalten des Kapitäns jener Galeone, die sich aus dem Gefecht zurückgezogen hatte, war unfaßbar – er kümmerte sich einen Dreck um diese Schiffbrüchigen, und das waren ja eigene Kameraden.

 

Ein großer Teil von ihnen – jene, die unverletzt geblieben waren und schwimmen konnten – hatte die Wahl gehabt, zu versuchen, schwimmend die Insel Mordelles, die Festlandküste oder diese Galeone zu erreichen. Die Galeone bot sich an, weil sie den Schiffbrüchigen am nächsten war, beziehungsweise ihnen entgegenlaufen konnte. Außerdem hatte sie ja Boote an Bord, die man abfieren konnte, um sie die Schwimmer aufsammeln zu lassen.

So war es nur logisch, daß sich die Schiffbrüchigen der Galeone zugewandt hatten. Von überall bewegten sie sich auf den Dreimaster zu, quer durch das Trümmerfeld hindurch. Sie brüllten dazu und winkten. Sie mobilisierten ihre letzten Kräfte, denn dort war ihre Rettung.

Allen voran schwamm Pierre Servan, einer der Piraten-Kapitäne Yves Grammonts. Er hatte im ersten Gefecht mit den Engländern bereits seine „Antoine“ verloren. Dann hatte er zusammen mit Jean Bauduc die „Coquille“ übernommen, während der eigentliche „Coquille“-Kapitän, nämlich Saint-Jacques, auf die „Louise“ übergestiegen war. Jean Bauduc war tot, Saint-Jacques an Bord der „Louise“ schwerverletzt. Vom harten Kern der Piratenkapitäne Grammonts war also nur noch Pierre Servan übriggeblieben, und das auch noch als Schiffbrüchiger.

Der große, grauhaarige Mann mit dem Schnauzbart rechnete sich dennoch eine Chance aus und war so vermessen, zu glauben, mit der Galeone dort noch einmal entscheidend in das Gefecht eingreifen zu können.

Immerhin wußte er hinter sich einen erklecklichen Teil der Schnapphähne, die gleich ihm noch am Leben waren. Von der „Coquille“-Crew, deren Untergang von „Eiliger Drache über den Wassern“ besiegelt worden war, befanden sich auch noch einige darunter, die meinten, ihr Heil in der Galeone zu sehen.

Pierre Servan reckte sich mehrere Male aus dem Wasser auf und brüllte zu der Galeone, man möge ihnen doch, verdammt noch mal, entgegensegeln.

Aber die Kerle auf dieser Galeone schienen blind oder taub zu sein – ihr Kapitän ebenfalls. Die Männer, die sich schreiend und winkend durchs Wasser wühlten, wurden von ihnen nicht beachtet. Sie starrten über die See zum Flaggschiff Yves Grammonts, wo sich der letzte Akt des Dramas abspielte.

Wäre Pierre Servan näher an der Galeone dran gewesen, dann hätte er an den Mienen der Besatzung ablesen können, wie froh sie waren, keine „Louise“-Crew zu sein, über die das Jüngste Gericht hinwegtobte. Diese Kerle auf der Galeone waren nichts weiter als zuschauendes Publikum, das sich wohlig erschauernd sagen konnte: Wie gut, daß nicht wir es sind, deren letztes Stündlein geschlagen hat. Bei solchem Zuschauen hat man natürlich auch keinen Blick für die armen Würstchen, die bereits bis zum Hals im Wasser stecken.

Dann passierte auch noch, daß der Kapitän dieser Galeone unter vollen Segeln weiter ablief, um sich hinter die Pirateninsel zu verholen. Das heißt, er empfahl sich.

Pierre Servan erlitt nahezu einen Tobsuchtsanfall, als er das bemerkte.

Er schleuderte den rechten Arm hoch, die Hand zur Faust geballt, bäumte sich aus dem Wasser auf und brüllte: „Du Schwein! Du krummer Hund! Warte! Warte auf uns! Gei auf die Segel! Du Dreckskerl! Siehst du uns nicht? Bastard, elender, verfluchter …“

Pierre Servan mußte Luft holen, weil er sich total verausgabt hatte, und sackte aufs Wasser zurück. Jetzt gurgelte er nur noch unverständliches Zeug, sein nasser Schnauzbart hing ihm traurig über die Mundwinkel, seine Hände platschten aufs Wasser, er hatte Mühe, den Kopf gerade zu halten.

Müdigkeit überfiel ihn. Er war bereit, aufzugeben. Die Enttäuschung war zu groß. Diese Scheißer auf der Galeone ließen sie kaltblütig im Wasser verrecken. Die hauten einfach ab und überließen sie ihrem Schicksal. Erst kniffen sie mitten im Gefecht, dann sahen sie aus sicherer Entfernung zu, was sich so tat, und jetzt segelten sie davon, ohne den Schiffbrüchigen zu helfen.

Hinter Pierre Servan heulte einer der Kerle auf wie ein getretener Hund, warf sich vor, schlug die Arme ins Wasser und versuchte, an dem Piratenkapitän vorbei, hinter der Galeone herzuschwimmen. Er benahm sich wie ein Irrer und begriff nicht, daß seine Anstrengungen völlig umsonst waren.

Die Galeone war an die hundert Yards entfernt, und die Distanz wurde größer und größer. Sie war unerreichbar und so weit weg wie der Mond. Aber der Kerl schwamm und schwamm. Und er brüllte hinter der Galeone her.

Idiot, dachte Pierre Servan müde.

Dann sah er eine Gräting und schaffte es, zu ihr hinzuschwimmen und sich hinaufzuziehen. Ihm war kalt, und für einige Augenblicke schwand ihm das Bewußtsein. Es kehrte zurück, als er wieder im Wasser lag. Da stellte er zu seiner Wut fest, daß sich zwei andere Kerle auf der Gräting befanden und damit beschäftigt waren, sie wie eine Burg zu verteidigen.

Der ganze Haufen, der zuvor Pierre Servan gefolgt war, als er noch gemeint hatte, von der Galeone aufgefischt zu werden, war um die Gräting versammelt und versuchte, sie zu entern.

Es ging ziemlich ungesittet zu. Sie pöbelten sich gegenseitig an, und da war an derben Ausdrücken und Schimpfnamen allerlei zu hören. Die beiden Kerle auf der Gräting droschen um sich, was das Zeug hielt. Wo sich eine Hand an einer der vier Seiten festkrallte, da schlugen sie drauf. Fußtritte setzte es ebenfalls. Die Gräting war schwer am Schaukeln.

Zwei besonders Gewitzte untertauchten sie – nicht, um sie umzuwerfen, o nein! Sie hatten Messer bei sich. Mit denen brauchten sie nur durch ein leeres Geviert des Gitterwerks zu pieken – etwa dort, wo einer der beiden Kerle mit dem Hintern hockte.

Nach knapp fünfzehn Sekunden war die Gräting wieder frei, und die beiden Kerle tobten fluchend im Wasser herum. Sie hätten sich gern die Kehrseiten gehalten, aber jetzt brauchten sie ihre Hände wieder zum Paddeln.

Es geschah ihnen recht, denn sie waren es gewesen, die den für Augenblicke weggetretenen Pierre Servan einfach von der Gräting weggekippt und sich selbst hinaufgeschwungen hatten.

Pierre Servan besann sich seiner Führerrolle als Kapitän und bezwang sein Bedürfnis, sich apathisch treiben zu lassen. Als sich die Kerle erneut um die jetzt leere Gräting zu balgen begannen, brüllte er: „Schluß damit, verdammt noch mal! Laßt diejenigen auf die Gräting, die verletzt sind! Die anderen halten sich an ihr fest, verstanden?“

Das war ein durchaus vernünftiger Vorschlag, ein sogar menschlicher Vorschlag. Nur hatte Pierre Servan nicht bedacht, daß Kerle, denen das Wasser buchstäblich bis zum Hals steht, in der Regel auf vernünftige Vorschläge pfeifen, da sie in einem solchen Zustand selbst bar jeder Vernunft sind. Außerdem waren sie nicht diszipliniert, jedenfalls nicht für eine solche Situation, die sie sonst ja stets anderen bereitet hatten. Hier galt nur die Devise: jeder ist sich selbst der Nächste. Und danach handelten sie.

Pierre Servans Vorschlag endete seitens der Schnapphähne mit einem Hohngelächter, dem wilde Verwünschungen und Flüche folgten. Im übrigen hatte er auch zuvor den Fehler begangen, sich als erster auf die Gräting geschwungen zu haben, ohne an die Verletzten zu denken.

Einer der Kerle in seiner unmittelbaren Nähe hob drohend die Faust und brüllte: „Du kannst uns mal, Servan! Auch Grammont kann uns! Wer hat uns denn die Scheiße eingebrockt, he? Aber jetzt das Maul aufreißen, das könnt ihr …“

Weiter gelangte er nicht. Pierre Servan schnellte sich im Wasser vor und hieb dem Kerl die Faust an den Schädel. Blubbernd versackte der Mann.

Das war die Sprache, die von den Kerlen verstanden wurde.

„Braucht noch jemand was vor die Schnauze?“ fragte Pierre Servan wild und schwamm einfach auf den Haufen los.

Sie strebten auseinander und ließen ihm eine Lücke. Keiner wagte, zu rebellieren.

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