Fürstin des Lichts

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„Ein Hoch auf den freien Samstag!“ So sehr freute ich mich über ihre Gesellschaft, dass meine Fröhlichkeit sie ansteckte.

Nach den verspeisten Croissants platzte Katja mit der mir bereits bekannten und eingeplanten Neuigkeit ihrer Beförderung heraus. „Ich kriege das große Büro von Konny mit richtig viel Sonne. Außerdem einen ordentlichen Gehaltssprung, da weiß ich wenigstens, wofür ich mich totschufte.“

Ich gluckste über den Part, den sie verschwieg.

„Warum giggerst du so frech?“

„Och, ich dachte da gerade an eine bestimmte männliche Person, unverheiratet, die jetzt nicht mehr dein Vorgesetzter ist.“

Katjas Gesicht nahm die Farbe einer reifen Kirsche an. „Woher weißt du das denn schon wieder? Na, ist auch egal, stimmt ja.“ Sie strahlte bis über die Ohren.

„Ähm, Katja, wenn wir nachher kein Krümelchen mehr in unsere strammen Bäuche quetschen können, dann sollten wir zur Verdauung shoppen gehen.“

„Wieso? Nö, lieber hier abhängen, ist doch samstags total überlaufen in der City. Das mach mal alleine, dann lege ich mich solange auf eure Riesenwiese in die Sonne.“

Ups, der Plan gehört in die Tonne.“ Die Alternative … „Okay, dann veranstalten wir eine Modenschau im Kleiderschrank.“

Katja hielt sich den Bauch vor Lachen und japste: „Als Stilberaterin tauge ich ebenso viel wie Torwarthände für Ikebana.“

Ich grinste breit.

„Sag, was hast du vor?“, fragte sie gespielt drohend.

„Deinem Traumprinzen Konny ein bisschen den Kopf verdrehen?!“

Als attraktive Frau, die jedoch stoisch durch Grips statt stylische Klamotten glänzte, machte Katja es der Männerwelt ziemlich schwer. Ihr Noch-Chef war da leider keine Ausnahme.

Nachdem ein gutes Dutzend kompletter Garnituren mitsamt Schuhen und Taschen für jede nur erdenkliche Gelegenheit in Katjas Wohnung beordert war, sanken wir erschöpft in die beiden Strandkörbe vor der Terrasse. Katja liebte solche Magie inzwischen wie kleine Kinder das weiße Kaninchen aus dem Zaubererhut.

Nun verkündete sie strahlend: „Wirklich, Lilia, entweder du hast zu viel Geld oder ein zu großes Herz!“

Mein Gesicht machte auf Unschuldslamm.

„Okay, beides. Aber ganz ohne Revanche kommst du mir nicht davon. Mir wird schon etwas einfallen, verlass dich drauf.“

Wir näherten uns dem Brennpunkt des Tages.

„Tja, ich wüsste da eine Sache.“

„Was hast du noch ausgebrütet?“

Ein wenig spannte ich sie auf die Folter, bis Katja mit den Augen rollte.

„Aber sei vorgewarnt, jetzt kommt ein ziemlich dicker Hammer.“

„Mensch Mädel, mach hinne, bei mir kribbelt schon alles.“

Mein Plan verrunzelte ihre Stirn. „Also, wenn ich das richtig verstanden habe, soll ich dich quasi als so eine Art Medium in meine Mannschaft einschleusen. Und damit die Jungs und Mädels halbwegs auf dem Teppich bleiben, wahrheitsgemäß erklären, dass die Infos der letzten Monate von dir stammten?“

„Mir ist vollkommen klar, dass einige im Team zunächst Hirnverstopfung bekommen werden. Da müssen sie durch. Wir haben keine andere Wahl, Katja.“

Eindringlich blickte ich in ihre Augen, woraufhin sie sich schüttelte. „Du machst mir eine Gänsehaut. Aber mich belastet schon länger das unheimliche Gefühl, ein kleines Rädchen in einer verflucht miesen Sache zu sein.“

Die grundlosen Gewaltexzesse mit nie erlebter, unmenschlicher Brutalität und die Steilkurve an Morden wie Selbstmorden entzogen sich jeglicher Erklärungsversuche versierter Kriminologen.

Weil es keinen Sinn machte, unser Projekt auf die lange Bank zu schieben, legten wir den Termin für unsere Nagelprobe kurzfristig fest. Bereits am Montag würde ich um 9 Uhr zur Teambesprechung im Präsidium erscheinen. Spontaner Lästerkommentar meines Alter Ego: „Die Barbiepuppe als kriminelles Medium, hahaha!“ Ziemlich präzise den Kopf des heiklen Nagels getroffen.

Der schlichte, dunkelblaue Hosenanzug und die im Nacken geknoteten Haare sollten mich weniger jugendlich wirken lassen. Mit innerer Gelassenheit, hervorgerufen durch sternelbische Gesänge, steuerte ich den Wagen an die Pförtnerloge. Der nette Endfünfziger reichte mir einen von Katja hinterlegten Besucherausweis. Viertel vor 9 Uhr betrat ich den sterilen dreistöckigen Zweckbau aus Beton und stupiden Fensterreihen. Begleitet von neugierigen Augen ging es die Treppe zum ersten Stock hinauf.

Niemand von ihnen ahnte, dass die Fäden unzähliger Schicksale an mir klebten. Dieser Tag markierte für mich den eigentlichen Beginn der dunklen Zeit.

Katjas Bürotür stand offen, ihre Nervosität füllte den kompletten Raum aus.

„Hey, sei du selbst, offen und ehrlich, den Rest übernehme ich.“

Sie versuchte ein zittriges Lächeln und stöhnte: „Puh, du hast gut reden. Meine Leute sind quasi am Boden der Tatsachen festgenagelt.“

Ich wusste allzu gut, was sie meinte. Das sphärische Briefing über Katjas Mannschaft am gestrigen Abend war endlos detailliert ausgefallen. „Bringen wir, was auch immer, hinter uns.“

Gemeinsam betraten wir den öden Konferenzraum, in dem das Stimmengewirr von vier Männern und zwei Frauen kreiste. Zunächst schenkten sie uns keine Beachtung.

„John fehlt mal wieder, ich hole ihn schnell“, erklärte Katja und flitzte hinaus.

Eine gute Gelegenheit für mich, kurz das Innenleben jedes Einzelnen anzuzapfen. Bürgerliche Durchschnittsgefühle mit ausnahmslos erhöhter Toleranz gegenüber Gewalteindrücken. Anders ließ sich in diesem Beruf kaum Jahre oder Jahrzehnte überleben. Dennoch rotierte meine Warnblinkanlage: Jeder von ihnen balancierte gefährlich nah am Limit entlang. Das Team stand kurz vor dem Kollaps. In wenigen Sekunden überdachte ich meine Aufgabe. Nicht die Verbrecherjagd, sondern ein Minimum an Ruhe und Entspannung gehörte an die erste Stelle. Diese rein theoretische Überlegung würde schneller in der Tonne landen als jede gut gezielte Papierkugel.

Katja setzte sich an den Kopf der doppelreihigen Tischanordnung. „Okay, Leute. Ich hoffe mal, zumindest einige von euch hatten ein erholsames Wochenende.“

Weder hörten die Kommissare richtig zu noch schauten sie zu ihr hin. „Wir haben ein neues Mitglied im Team“, deutete sie überflüssigerweise auf mich, „das ist Lilia van Luzien“.

Sofort hatten wir die ungeteilte Aufmerksamkeit der notorisch unterbesetzten Truppe.

„Ihr alle kennt ihre Arbeiten.“

Perplexe Gesichter.

„Lilia ist die anonyme Quelle.“

Ungläubiges Gaffen.

Schnell gab ich Katja ein Zeichen und ergriff mit fester Stimme das Wort. „Der einzige Grund, warum ich selbst hierher gekommen bin, ist die ausufernde Gewalt in unserer Stadt. Ich biete euch meine Hilfe an.“

Vereinzeltes Klopfen und eine Frage von links. „Sind Sie sowas wie eine Hellseherin oder woher beziehen Sie die ganzen Informationen?“

Kollektives Murmeln.

Ganz bewusst ignorierte ich das distanzierte „Sie“. „Nennt es so, wie ihr am leichtesten damit klarkommt. Wer oder was ich bin, ist letztlich völlig egal. Hauptsache, wir bekommen diesen Irrsinn in den Griff.“

Laute Kommentare und eine Frage meines Gegenübers. „Können Sie uns mal eine Kostprobe geben?“

Vereinzeltes Gelächter.

„Oh, Vorsicht junger Mann. Willst du wirklich, dass deine Kollegen erfahren, was du gestern um diese Uhrzeit gemacht hast?“

Er bekam einen roten Kopf. Großes Gelächter.

„Aber im Ernst“, nahm ich den Faden wieder auf. „jeder von euch arbeitet seit vielen Wochen hart an der Grenze des Menschenmöglichen. Wollt ihr mir eine Chance geben?“

Jeden Einzelnen schaute ich offen und direkt an. Ihre Gesichter stellten das komplette Spektrum von Offenheit bis absoluter Ablehnung dar.

Katjas Instinkt ließ sie zur Tagesordnung übergehen. „Okay, teilen wir die Arbeit für den heutigen Tag ein …“

Die Sternelben meldeten sich. „Lilia, um halb Sechs findet ein Banküberfall statt.“

Während ich die Details aufnahm, kam Katja zum Schluss. „Noch Fragen?“

„Was macht denn unsere neue Kollegin?“

Alle Augen richteten sich auf mich. „Ich versorge euch mit fehlenden Informationen. Eines müsst ihr euch unbedingt einprägen: Überfälle, Morde oder Entführungen werden vorher geplant. Aber ihr wisst, es gibt auch Ausnahmen, nämlich Akte spontaner Gewalt. Sie sind niemals vorhersehbar!“ Kurze Verdauungspause. „Außerdem werde ich heute Nachmittag ein Team, das Katja gleich benennen wird, zu dem Banküberfall auf der Schlierallee begleiten.“

Eine Tasse fiel um, ein Stuhl schrammte, die Stimmung drohte ins Chaos zu kippen.

Energisch erhob die junge Kommissarin rechts neben mir ihre Stimme: „Du hast uns allen in den letzten Monaten immer wieder den Arsch gerettet – und wir haben auch noch die Lorbeeren kassiert. Mir ist völlig egal, wie du das anstellst.“ Sie warf einen festen Blick in die Runde. „Also, willkommen im Team.“

Am liebsten hätte ich sie umarmt!

Es erwies sich als Segen, wie viel Übung das Team dank meiner täglich übermittelten „Vorschauberichte“ darin besaß, auf dem gleichen Wissensstand wie die Täter zu sein. Den richtigen Moment für einen einbuchtungssicheren Zugriff zu erwischen, war wahrhaftig ein Kunststück. Effektiv und schnell stand der Einsatzplan für den Banküberfall. Wir würden den Schurken erwarten.

Katja verpasste mir vor unserem Aufbruch eine kugelsichere Weste. „Keine Widerrede!“

Meine eindringliche Mahnung über spontane Gewaltanwendung versah der Bankräuber mit dem Echtheitszertifikat. Im Affekt, aussichtslos vom Team in der verschachtelten Filiale eingekesselt, richtete er seine Pistole auf Thomas. Mit der Geschmeidigkeit einer Katze, ich dankte im Stillen dem elbischen Morgendrill, sprang ich im entscheidenden Sekundenbruchteil dazwischen. So bohrte sich die abgefeuerte Kugel nicht in die Stirn von Thomas, sondern in meine kugelsichere Weste. Ohne das klobig schwere Ding hätten die Schmerzen doch wohl kaum schlimmer ausfallen können.

 

Mit Atemnot und zusammen gekrümmtem Oberkörper schleppte ich mich nach Santa Christiana. Meine selbstmitleidig maulige Stimmung ignorierten die Lichtwesen, während sie mich kurierten. Anders mein Alter Ego: „Das schimpft sich Lebenserfahrung.“

Mensch, Lil, du siehst ja fertig aus“, meinte Jay, der am Abend gleichzeitig mit mir vor dem Haupthaus eintraf, ernsthaft besorgt. „Komm, iss mit uns zu Abend, Schorsch müsste auch bald kommen.“

Wir gingen hinein. Jay drückte mir ein Glas Rotwein in die Hand und verordnete Faulenzen. Er selbst klapperte eifrig mit Küchenutensilien. Neuerdings war Kochen für ihn entspannende Leidenschaft, sofern er Zeit dafür fand. Hätte mir nie passieren können. Ich schlenderte zum Flügel, dem einzigen verbliebenen Interieur des Vorbesitzers. Witzig, da keiner von beiden darauf spielen konnte. Doch wer von uns verstand schon seine sämtlichen Bauchbeschlüsse?

Jay guckte aus der Küche. „Möchtest du erzählen?“

Er wusste nicht, dass die Frage korrekt lauten musste: Darfst du erzählen? Egal, der Tageskübel wollte geleert werden. Also berichtete ich, unter Aussparung gewisser Dinge, von meinem neuen Job und dem Banküberfall.

Ganz Arzt, schimpfte Jay: „Lil, eine kugelsichere Weste ist doch kein Ganzkörperpanzer! Das hätte verdammt schief gehen können.“

Tja, leider führten die Sternelben vor dem Überfall scheinbar stichhaltige Argumente gegen den Gebrauch meines Lichtschutzes an. So nach dem Motto: Die Kommissare halten dich glatt für eine unsterbliche Außerirdische. Und Plan B bestand halt aus der harten Tour mit Kugelweste, das Team für mich zu gewinnen. Zur Belohnung hatten am Ende des ersten Tages die vier an der Aktion beteiligten Kollegen hinter mir gestanden.

Jay riss mich aus den Gedanken. „Hey, weißt du überhaupt schon, dass Schorsch und ich übernächsten Samstag zehn Jahre zusammen sind? Wir schmeißen eine super Gartenparty.“

„Wow! Darf ich euch beim Organisieren helfen?“

„Na, du stellst Fragen.“

Dienstag, Mittwoch, Donnerstag. Am Freitag überwältigte mich schließlich das elende Gefühl, die Hälfte meines Lebens in diesem trostlosen Konferenzraum mit seiner deprimierenden Aussicht auf eine sechsspurige Straße verbracht zu haben. Das einzig Ermutigende: Inzwischen scharten sich fünf Kollegen einigermaßen bereitwillig um mich. Einer der beiden Letzten, Kai, hielt mich steif und fest für eine Hochstaplerin. Etwas anderes war für das verödete Vorstellungsvermögen des 55-Jährigen undenkbar. Er tat mir leid.

Dürfte ich zumindest Pflanzen für die Fensterbänke organisieren?“, bettelte ich in einer Pause bei den Sternelben. Am liebsten hätte ich meiner geschundenen Seele zuliebe Tabula rasa veranstaltet: sämtliche verschlissenen Furniermöbel ersetzen, Farbe an die schmutziggrauen Wände, Pflanzen dazu plus eine Anrichte mit Kaffeeautomat und Wasserkocher.

Die Sphäre riet ab. „Denk an die Menschen, Lilia.“

Ja eben, tat ich doch. Und ein klitzekleines bisschen an mich selbst. Ich vermisste Elin, seit vergangenem Sonntag hatte ich sie nicht gesprochen. Und ich vermisste die friedliche Stille von Santa Christiana.

Meinem triefenden Selbstmitleid setzten die Sternelben ein knalliges Ende: „Arbeit für dich.“

Ein Killer würde mittags auf dem Flughafen Schönefeld landen. Sein Auftrag: Den russischen Mafiaboss töten, um einen Krieg zwischen der russischen und italienischen Unterwelt anzuzetteln.

Derart intriganten Verstand hätte ich den Dämonen nie zugetraut.“

Den besitzen sie auch nicht. Die Mafia gebiert ihre Bosheit aus sich selbst.“

Kaum waren die Details in mein Workpad geflossen, marschierte ich zu Katja ins Büro.

Sie schaute, sich müde die Augen reibend, auf. „Noch mehr?“

Zerknirscht ließ ich sie die Infos lesen.

„Der wird von Interpol gesucht? Dann schnappen wir ihn uns direkt am Flughafen. Kurzer Prozess“, atmete sie erleichtert aus.

Darf ich jetzt heim?“

Die Sternelben stimmten gnädig zu.

Kurz nachdem die Putzfrauen um 8 Uhr am Sonntag, dem normal siebten Arbeitstag der Woche durch waren, füllte ich die fünf Fensterbänke des Konferenzraums magisch mit Pflanzen. Dieses Zugeständnis konnte ich den Lichtwesen abschwatzen. Da ich vernünftigerweise vor allen anderen Kollegen zur Arbeit angerückt war, sollten sie keinen Verdacht schöpfen.

Während der zweiten Woche im Kommissariat überlebte ich die tägliche Überdosis an Gewalt nur, weil jede freie Minute in die Planung der Gartenparty für Jay und Schorsch floss. Die beiden verhedderten sich in ihren unterschiedlichen Ideen so sehr, dass ich kaum Überredungskunst investieren musste, um ihnen die Sache mit diebischer Freude aus der Hand zu nehmen. Sie rechneten mit rund hundert Leuten. Den größten Spaß bereitete es, das Geschenk zu finden. Trotz aller Gegensätze teilten sie gemeinsame Träume. Getoppt wurde meine Euphorie durch die riesige Vorfreude auf mein freies Wochenende.

Am Tag der großen Party zauberte ich in der Morgendämmerung zu allererst trockenes Wetter. Dann erschien vor dem Haupthaus mein Geschenk. Ein rotes Cabriolet, umwickelt mit cremefarbenem Schleifenband. Einen kurzen Moment liebäugelte ich mit der Verlockung einer Probefahrt. Stattdessen stürzte ich mich auf weitere magische Aufgaben. Im Park errichteten sich ein Zelt, verstreut stehende Gruppen aus Gartenmöbeln und eine Bühne für die angeheuerte Oldieband. Üppige Dekopracht ergoss sich in und um das Haus. Zum krönenden Abschluss fehlte noch Konfetti von ihrer Schlafzimmertür hinunter bis zum Hauseingang und weiter bis zum Gartentor. Danach kamen das Champagnerfrühstück sowie der Umschlag mit meiner Glückwunschkarte und dem Autoschlüssel an die Reihe. Ich war so aufgeregt wie ein Kind vor Heiligabend. „Wow, wow, wow!“

Im Überschwang bekam Katjas schäbiger Konferenzraum voll dickköpfig noch Farbe an die Wände. Nachher würde der Raum meine lieben Kollegen in warmem Terracotta erwarten. Ich jauchzte.

Die Sternelben tadelten mich. „Menschen tolerieren keine Magie, denk an deine eigenen Erfahrungen.“

Solange ich eine akzeptable Erklärung liefern kann, werden sie es schon schlucken.“ Hoffte ich.

Immer wieder erstaunlich, auf welche Art und Weise dieses „Schlucken“ geschah.

Weder Sonntag noch am Montag war die Wandfarbe ein Thema. Der einzige Kommentar, den ich am Montag mitbekam, lautete fast wortgetreu: „Dafür ist Geld da, das hätten sie mal lieber in eine ordentliche Kaffeemaschine gesteckt.“

Durchtrieben griff ich die Meckerei für einen weiteren Schachzug auf. „Wie wäre es, wenn jeder einen Zehner spendiert und ich morgen vernünftige Geräte mitbringe?“

„Spitze“, kommentierte Janine, von allen kurz Jan genannt. Umstandslos sammelte sie sofort die Scheine ein.

Seht ihr, so geht das!“, grinste ich allwärts. Über die passende Anrichte würde ich mir später den Kopf zerbrechen.

Derart abgelenkt, bekam ich gerade noch den Rest mit. „… kaputter Stuhl. Muss ich mal beim Hausmeister nachhören, ob im Ersatzteilraum noch einer herumsteht.“

Ersatzteilraum? Genial!“

Mein Sorgenfall unter den Kommissaren hieß Kai. Gemeinsam mit seiner jungen Partnerin Amelie fahndete er nach einem Schwerverbrecher. Da Kai jede Hilfe durch meine „Fähigkeiten“ stur ablehnte, impfte ich Amelie regelmäßig hinter seinem Rücken. So auch diesmal. „Ich weiß zwar, wo er sich gegenwärtig aufhält, aber der Kerl ist impulsiv. Am besten, wir Zwei halten Kontakt per Handy, damit euer Zugriff klappt.“

Drei Stunden später klopfte sich Kai mächtig an die Brust. „Mein Spürsinn hat mich noch nie im Stich gelassen.“

Seine Partnerin verdrehte die Augen und raunte mir zu: „Ohne dich würde Mattmann an Weihnachten noch frei herumlaufen.“

Ihr Lob bekam ich kaum mit, denn die Sternelben schoben ein dickes Paket in meine grauen Zellen.

Innerlich schüttelte es mich vor Abscheu und Ekel, als ich den Weg zu Katjas Büro antrat.

„Nachtschicht?“, fragte sie müde.

„Kindesentführung.“

Ein Schauer des Entsetzens entstieg ihr.

„Der Täter ist ein alter Bekannter eures Dezernats für Sexualdelikte.“

„Dann sollen die sich kümmern!“, brauste Katja auf.

„Liebes, er will zuerst die Mutter töten“, entgegnete ich sanft.

Mit immenser Kraft drückte sie aufsteigende Tränen weg. „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“

Mein Herz weinte für sie.

Die Gratwanderung, diesen Mord zu verhindern, aber dennoch den Täter für lange Zeit hinter Gittern zu wissen, überließen die Sternelben mir. Von Tag zu Tag hielten sie sich mehr mit Ratschlägen zurück. Und selbst wenn sie halfen, klang ihr Gesang eigenartig, irgendwie unkonzentriert oder abgelenkt.

Vor Erschöpfung graue Gesichter verfolgten mit rot unterlaufenen Augen die Einsatzbesprechung. Ein anonymer Magen knurrte laut.

Blitzgedanke. „Katja, fünf Minuten Pause bitte. Ich will schnell etwas aus meinem Wagen holen.“

Mit einem überdimensionalen Tablett und dazu einem Korb am Arm balancierte ich zurück in den Raum. Fragende Blicke.

„Holt mal Gläser.“ Zuerst entfernte ich die Folie von den Sandwiches. Gierige Blicke. Dann kamen Servietten und vier Milchtüten auf den Tisch.

„Milch?!“

„Erst ausprobieren, dann meckern. Langt zu.“

Das erste Gelächter des langen Tages.

Katja dehnte die Pause stillschweigend um weitere zehn Minuten aus.

Das Aufputschmittel à la Elin wirkte.

„Okay, Leute, weiter im Takt“, beendete Katja die Schonzeit. „Wir haben folgendes Problem: Der Täter beobachtet das Haus. Wie kommen wir hinein?“

Mein Handzeichen. „Das übernehme ich. Die Mutter wird mich wie eine Freundin begrüßen …“

„Wie soll das denn funktionieren?“, pampte Kai dazwischen.

„Lass Lilia ausreden, Kai!“, schnauzte Katja. „Also, Lilia, dein Plan.“

„Die Mutter erhält von mir die wichtigsten Informationen, dann lasse ich Jan und John durch das Gartentor hinein.“

Kai erwürgte mich in seiner bescheidenen Fantasie qualvoll.

John warf ein: „Solange du im Haus bist, wird er nichts unternehmen.“

„Stimmt. Gebt mir eine Viertelstunde. Ich werde wegfahren und den Wagen auf der rückwärtigen Straße abstellen. So gelange ich von der Hinterseite abermals hinein.“

Nächster Einwand von Jan mit kritischem Blick auf den von mir besorgten Grundriss des Hauses: „In dem kleinen Schlafzimmer können wir uns nicht verstecken.“

„Nein, ihr bleibt bei der Mutter nebenan im Kinderzimmer. Ich lege mich an Stelle der Mutter in ihr Bett.“

Als schwierigster Part erwies sich die Sache mit der kugelsicheren Weste.

„Katja, ich benötige keine“, flüsterte ich eindringlich.

Nur ihre Erschöpfung verhinderte Gehirnchaos, indem sie den Zugang zur überlasteten Logikabteilung blockte.

Gibt es eigentlich Arbeitsschutzvorschriften für Magier?“, witzelte mein Alter Ego. Zum ersten Mal durfte ich mit höchstsphärischer Erlaubnis meine Schutzmagie anwenden. Sah ja niemand.

Am Tatort legte ich mich in das Futonbett und lenkte meine Konzentration auf den Energiefluss. Ein unsichtbarer Schutzfilm legte sich um meinen Körper.

Die Zeit tröpfelte in der Dunkelheit zum Einschlafen dahin.

Leise öffnete er die Tür. Seine schwarze Seele spürte ich bis ins Bett brodeln. Im geräuschlosen Schleichgang näherte er sich mir. Das Messer in seiner vorschießenden Hand prallte an meinem Schutzschild ab. Bevor er erfassen konnte, was da geschah, stieß ich ihn mit der Wucht meines Oberkörpers um. Hart schlug er mit dem Rücken am Boden auf, während ich bereits laut rief: „Jan, John, Handschellen!“

Der kleine Junge schlief friedlich in seinem Bettchen. Leise vor Glück weinend saß seine Mutter daneben.

Ins Bett würde ich jetzt auch gerne fallen“, gähnte ich.

Du darfst.“

Aus dem Buch „Inghean“

Die Dämonen scheinen sich wie ein Krebsgeschwür in den Eingeweiden der Stadt auszubreiten. Ohne Hilfe sind wir bald verloren.