Der Tote vom Oberhaus

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Es war kurz nach halb neun Uhr abends, als Franziska mit ihrem Auto direkt auf dem niedergetrampelten Grünstreifen vor der Eingangstür von Wohnblock Nr. 7 der Böhmerwaldsiedlung parkte. Seit sie den inneren Burghof der Veste Oberhaus verlassen hatten, war kein Wort mehr zwischen ihr und Hannes gefallen.

Franziska hatte beschlossen, die Tatsache, dass Hannes auf einmal so dick mit Schneidlinger war, zu ignorieren. Bestimmt hatte er seine Gründe. Dennoch wunderte sie sich, wie schnell sich das Verhalten zwischen zwei Menschen verändern konnte.

„Wir sind da“, erklärte sie mit aufgesetzter Munterkeit, riss die Autotür auf und wäre um ein Haar mit ihren Riemchensandalen in einem Haufen Hundekot gelandet.

Scheiße, fluchte sie innerlich und wusste, dass sie sich besser konzentrieren musste. Aber es war ja nicht nur Hannes, der sich so anders benahm. Wirklich zu schaffen machte ihr die Tatsache, dass Walter allem Anschein nach in den Fall verwickelt war und sie nicht wusste, wie sie, nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, damit umgehen sollte.

Als sie endlich auf dem geteerten Eingangsweg stand, wanderte ihr Blick zur Haustür, wo Fahrräder und ein paar Mofas, bei deren Anblick sie bezweifelte, ob die eine Verkehrsüberprüfung überstanden hätten, aufgereiht waren. Weiter drüben, bei einer Baumgruppe, lümmelten ein paar Jugendliche und schauten neugierig zu ihnen herüber. Zwei Mädchen trugen kurze Hosen, die lediglich den Po bedeckten und knappe Shirts. Die Jungs schien das nicht zu beeindrucken, und Franziska sah keinen Grund, das Grüppchen mit den Ereignissen zu behelligen.

Die Klingelschilder verrieten, dass Mautzenbacher im obersten Stock wohnte, und da die Haustür nur angelehnt war, gingen die beiden Kommissare zügig zum Aufzug, der sich, sobald sie eingestiegen waren, rumpelnd in Bewegung setzte.

Auf dem Weg nach oben mutmaßte Franziska insgeheim, dass so ein Haus vielleicht ein besonders schönes Penthouse hatte, ein Schmuckstück, das man von unten nicht erahnen konnte, aber der Grund dafür war, warum ein Mann wie Mautzenbacher, der eine Rolex trug und an dessen Schlüsselbund sich ein BMW-Schlüssel befunden hatte, in so eine Wohnanlage zog. Doch schon die Wohnungstür belehrte sie eines Besseren, und als die Kommissare das schäbige Appartement betreten hatten, staunten sie nicht schlecht.

„Kaputt!“, meinte Hannes, nachdem er mehrmals vergeblich den Lichtschalter betätigt hatte, und blickte skeptisch zu Franziska hinüber, doch die zuckte nur mit den Schultern.

„Warum suchen wir eigentlich, seit wir wissen, dass er in dieser Siedlung wohnt, nach Gründen, warum das alles nicht so sein kann, wie es aussieht?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, ging Franziska den kurzen Flur entlang bis ins Wohnzimmer, drückte auf den Lichtschalter und blieb im abendlichen Dämmerlicht stehen.

„Weil wir uns von seinem feinen Anzug und zwanzigtausend Euro täuschen ließen“, vervollständigte Hannes, der der Kollegin gefolgt war und zusah, wie diese angewidert vor der fleckigen Couch zurückwich. „Dabei hatte er noch nicht einmal Geld, um sich neue Glühbirnen zu kaufen.“

Mit aufgerissenen Augen inspizierte Franziska die kleine Bücherreihe, die in einem wackeligen Regal stand, während Hannes den Uraltfernseher begutachtete. „Der braucht vielleicht gar keinen Strom, sondern läuft noch mit Holzkohle“, amüsierte er sich gerade, als mit einem Schlag Licht und Fernseher angingen.

„Was hast du gemacht?“, rief Franziska erschrocken und fixierte entsetzt das Buch, das sie gerade aus dem Regal genommen hatte. Es war falsch herum einsortiert gewesen, und Franziska musste es drehen, um den Titel lesen zu können.

„Nichts“, entgegnete Hannes, schaute aber vorsichtshalber auf seine Hände.

Nachdem die Lampen auch nach mehrmaligem Ein- und Ausschalten konstant leuchteten, machten sich die beiden Kommissare mit geübtem Griff an die Durchsuchung des Wohnzimmers.

„Immerhin liest er“, bemerkte Franziska, schüttelte ein Buch nach dem anderen aus und stellte sie dann wieder ins Regal zurück.

„Wonach genau suchen wir?“, fragte Hannes und hob die Kissen an, um anschließend unter der vergilbten Wolldecke nachzusehen.

Ein wenig hilflos blickte Franziska in den kleinen Raum. „Keine Ahnung. Nach etwas, was uns von dem Mann erzählen kann, den wir heute tot im Oberhaus gesehen haben.“

Hannes öffnete die Balkontür und ließ frische Luft herein. Dann zeigte er mit der rechten Hand auf die Jugendlichen, die immer noch vor dem Wohnblock lümmelten. „Vielleicht können die uns etwas über Mautzenbacher erzählen.“

Franziska folgte seinem Blick, sah ein paar Zigaretten aufglimmen und spürte selbst über die große Distanz, wie die Musik, mit der sich die Clique aus einem unsichtbaren Gerät beschallen ließ, in ihrem Inneren vibrierte. „Hartz IV als Zukunftsperspektive“, murmelte sie, ging in die Wohnung zurück und schloss die Balkontür, um mit der frischen Luft auch den Lärm wieder auszusperren. „Nein, glaub mir, die interessieren sich nicht für einen wie den Mautzenbacher.“

Allerdings gab auch seine Wohnung praktisch nichts über ihren Mieter preis. Es gab keine Fotos, keine Rechnungen und keine Urlaubserinnerungen. Nichts.

„Sieht so aus, als hätte er kein Leben gehabt“, stellte die Kommissarin fest, bevor sie aus der Schublade einer Kommode doch noch ein Foto von ihm herausfischte. Sie zeigte es Hannes.

„Der Mann auf dem Bild sieht tatsächlich aus wie die Leiche.“

Franziska wechselte ins Schlafzimmer. Als sie den Kleiderschrank öffnete, hatte sie Angst, er würde jeden Moment auseinanderfallen. Vorsichtshalber hielt sie die Türen fest und sah erst dann genauer hin. Es gab zwei Anzüge, vier Hemden und eine Krawatte. Auf einem Regalbrett lagen eine einfache Trainingshose, zwei ausgeblichene T-Shirts, Unterhosen und Socken, auf dem Boden stand eine Sporttasche mit Werbeaufschrift. Nichts von Wert. Skeptisch sah sie auf die Sachen im Schrank. Etwas fehlte. Sie schloss die Türen und blickte zum Bett. Es war schmal und mit einer fadenscheinigen Bettwäsche bezogen. Auf dem Nachttischchen standen ein Wecker und eine kleine Lampe. Sie zog die einzige Schublade des Möbels auf und stellte fest, dass sie leer war.

Sie wollte gerade nach Hannes rufen, als ihr dieser im Schlafzimmer entgegenkam.

„Schau dir das mal an! Der hat doch tatsächlich den Sicherungskasten mit einer Zeitschaltuhr versehen.“

„Was?“ Franziska verließ das Schlafzimmer und folgte Hannes. „Wie kommt man auf so was?“

Statt zu antworten, las Hannes die Einstellungen ab. „Von sieben Uhr morgens bis um halb neun, und dann wieder von neun bis elf Uhr abends.“

„Vielleicht hat er öfter mal vergessen, das Licht auszuschalten, und wollte auf Nummer sicher gehen“, versuchte es Franziska mit einer möglichen Erklärung. Dann wusste sie, was ihr im Schlafzimmer gefehlt hatte. Es gab weder Bettwäsche zum Wechseln noch Handtücher. „Hier stimmt was nicht“, entschied sie und setzte ihre Suche in Küche und Bad fort.

„Ja, fragt sich nur was …“

Franziska öffnete den Kühlschrank. „Schlecht geworden wäre zumindest nichts“, berichtete sie Hannes, der noch immer vor dem Sicherungskasten stand. „Er hat nur Bier, H-Milch und Fischdosen gelagert.“

„Er sparte halt, wo er konnte.“ Hannes stand jetzt hinter ihr, zeigte aber mit dem Kopf in Richtung Flur und Sicherungskasten.

„An Bettzeug und Handtüchern? Ich weiß nicht. Und stattdessen leistet er sich teure Anzüge und läuft mit zwanzigtausend Euro in der Tasche in der Gegend herum?“

„Vielleicht hat er geklaut.“

„Weißt du, was mich wundert?“, fragte Franziska, ohne auf Hannes einzugehen. „Hier gibt es nichts, was auch nur im Entferntesten an einen Beruf erinnert. Noch nicht einmal einen Hartz IV-Bescheid.“

„Was schlägst du vor?“

„Wir befragen die Nachbarn. Irgendjemand muss doch was über den Mann wissen. Der war einfach zu jung, um sich so konsequent vor dem Leben zu verstecken!“


Als Hannes auf den Klingelknopf der Nachbarwohnung drückte, erklärte ihm Franziska betont beiläufig: „Machst du hier bitte alleine weiter? Ich hab noch was zu erledigen.“

Dann ließ sie ihn stehen und verschwand, ohne auf seine Zustimmung zu warten, im Aufzug. Hannes rief ihr gerade nach, was das zu bedeuten habe, als die Wohnungstür aufging und er von einem Mann in Feinrippunterhemd und mit einer Flasche Bier in der Hand argwöhnisch gemustert wurde. Das Alter des Mannes war schwer zu schätzen. Die besten Jahre lagen aber eindeutig hinter ihm.

„Willi Geiler?“, fragte Hannes, holte seinen Ausweis aus der Hemdtasche und stellte sich und sein Anliegen kurz vor. Er hatte Mühe, seinen Unmut über Franziskas Verhalten zu verbergen.

„Kennen? Den Mautzenbacher? Na ja. Ich war mal oben. Auf ein Bier halt. Weiß gar nicht mehr, warum.“

Geiler hatte den jungen Kommissar in seine Wohnung gebeten, sich aufs Sofa gesetzt und es Hannes überlassen, sich ebenfalls einen Platz zu suchen. Jetzt kratzte er sich nachdenklich an der Stelle auf seiner Brust, wo die langen grauen Haare aus dem Unterhemd hervorlugten. Ohne etwas zu sagen, nahm er einen tiefen Schluck aus seiner Flasche, den Kommissar schien er vergessen zu haben.

„Wann waren Sie denn bei ihm oben?“

Obwohl die Balkontür weit offen stand, war es im Zimmer ziemlich warm. Abgestanden, geradezu ekelhaft, wie Hannes fand. Bierdunst mischte sich mit Schweiß und altem Bratenfett, und er überlegte, ob er dem Nachbarn nicht lieber die Bierflasche wegnehmen sollte. Immerhin stand auf dem Tisch schon eine ganze Reihe geleerter Flaschen, und man wusste ja nie, wann der eine Schluck zu viel jede Aussage unmöglich machte.

 

Schließlich verkündete Geiler, der noch immer seine Brust bearbeitete: „Der Xaver war ‘ne richtig arme Sau. Der hatte ja gar nix mehr. Der hatte noch nicht mal ’ne Alte, die was von ihm wollte.“

Hannes konnte nicht sagen, ob der Blick des Mannes ausdruckslos war oder einfach durch ihn hindurchging.

„Der Xaver, der war dauernd auf Jobsuche. Aber der hat ja nichts gekriegt! Den wollte einfach keiner“, fügte der Nachbar hinzu und hob erneut seine Flasche. „Unqualifiziert war der Xaver! Ja, das hat der gesagt.“

„Was war er denn eigentlich von Beruf?“, fragte Hannes schnell, und tatsächlich ließ Geiler die Flasche im letzten Moment sinken. Dann sah er ihn überrascht an.

„Keine Ahnung!“ Geiler schüttelte den Kopf. „Aber der Xaver, der hatte so’n Auto, rot und rostig.“ Geiler lachte kurz auf. „Wir haben uns mal darüber gekabbelt, weil ich sagte: Ist das deine Firma, Rot & Rostig? Das war lustig.“ Geiler trank und stellte nach zwei Schlucken fest, dass seine Flasche leer war.

„Wollen Sie auch eins?“, fragte er Hannes, der tatsächlich Lust auf ein Bier hatte. Vor allem auf ein kaltes.

„Danke“, antwortete er und schüttelte höflich den Kopf. „Wir haben es ohnehin gleich, vielleicht könnten Sie so lange …“

„Na klar, Herr Kommissar. Sie müssen ja weiter, stimmt’s? Immer im Einsatz!“ Seine Sprache wurde zunehmend schleppender.

„Ja, genau. Aber vorher müsste ich noch wissen, was das für ein Auto war?“

„Na, so ein kleiner Flitzer halt. Ein Fiat? Keine Ahnung. Irgendwas Billiges.“

„Kein BMW?“

Geiler wieherte vor Lachen. „Naa, wo denken Sie hin? Wie soll sich denn unsereins einen BMW leisten, Herr Kommissar?“

Er griff wieder nach der Bierflasche und merkte, dass sie noch immer leer war. Dann tippte er sich auf einmal an die Stirn. Er beugte sich so weit nach vorn, dass Hannes schon fürchtete, mit ihm und einem der Kaffeeflecken auf seinem Unterhemd zusammenzustoßen.

„Ich weiß schon, was Sie meinen. Sie haben den Schlüssel gefunden.“ Den letzten Satz flüsterte Geiler mit verschwörerischer Stimme. „Und haben Sie auch die Uhr gefunden? Eine echte Rolex. Oder? Sie haben es geglaubt, stimmt’s?“ Er lehnte sich wieder zurück, stellte die Bierflasche auf den Tisch zu den anderen und kratzte sich weiter sein Brusthaar. „Der Xaver, der wusste, wie es geht. Meinte: Mehr Sein als Schein, darauf käme es an. Oder war das jetzt anders herum? Ach, egal! Ich hab mich ja nur gefragt, warum der keinen Job kriegt, wo der doch so schlau ist.“ Geiler klang nachdenklich.

„Und was sollte das mit dem Schlüssel?“ Hannes wurde aus dem ganzen Gefasel nicht schlau, vielleicht fehlte ihm einfach der Alkoholpegel von Geiler, um das alles zu verstehen.

„Na, ist doch klar“, setzte der prompt zu einer Erklärung an. „Der Xaver, der gab damit an. Der tat so, als könne der sich eine echte Rolex und einen echten BMW leisten. Vielleicht haben ihm die Weiber das ja sogar geglaubt!“ Wieder beugte er sich bedenklich weit nach vorn, sodass Hannes seinen abgestandenen Bieratem roch. „Die glauben nämlich viel, wenn du es ihnen erzählst. Ich würd so was allerdings nicht machen. Weil dann wollen die nämlich immer, dass du bezahlst. Und wenn sie nicht selber zahlen müssen, dann saufen die Weiber wie die Löcher!“ Geiler schlug sich mit der flachen Hand auf den nackten Oberschenkel und freute sich wie ein kleines Kind über seinen Witz.

Hannes stand auf. Er wusste noch nicht, ob ihn das alles wirklich weiter gebracht hatte, auf jeden Fall verstand er jetzt die Sache mit den Anzügen und der Wohnung. Xaver Mautzenbacher war ein Blender gewesen. Das erklärte allerdings noch nicht, woher er zwanzigtausend Euro hatte und warum die Handtücher fehlten.

„Kennen Sie zufällig das Kennzeichen von dem roten Flitzer?“

„Nee! Tut mir leid, Herr Kommissar. Das müssen Sie schon selber herausfinden. Ha, haha!“ Wieder schlug sich der Nachbar auf den nackten Oberschenkel, dann stand er auf und ging zur Küche. Als er die Tür erreicht hatte, drehte er sich noch einmal um und zwinkerte Hannes verschwörerisch zu. „Sie entschuldigen mich, aber ich habe eine Verabredung! Mit einer kühlen Blonden“, erklärte er mit schwerer Zunge und zwinkerte Hannes zu, bevor er in der Küche verschwand.


„Ist Walter noch da?“, fragte Franziska und hoffte dass Carlos sie auch zum zweiten Mal an diesem Tag kommentarlos einlassen würde. Doch die Proben waren beendet, und Carlos war in Plauderstimmung.

„Schon wieder Walter! Warum besuchst du nicht mal mich?“

Er nahm eine Pose ein, die Franziska beeindrucken sollte, und bedachte sie dann mit einem zweideutigen Blick.

Franziska verkniff sich zu sagen: Es ist nicht so, wie du denkst. Denn dieser Satz war absolut verbraucht. Sie selbst konnte sich an Dutzende Situationen erinnern, in denen ein Zeuge zu ihr gesagt hatte: „Es war nicht so, wie Sie denken, Frau Kommissarin!“

„Ich muss ihn sprechen. Es ist wichtig“, gab Franziska patziger als beabsichtigt zurück.

„Na klar, war ja auch nur ein Versuch. Komm rein!“ Carlos schenkte ihr ein beschwichtigendes Lächeln und gab die Tür frei. Mit dem Kopf zeigte er nach nebenan. „Er ist in der Werkstatt, zumindest hab ich ihn dort noch vor ein paar Minuten gesehen.“

Franziska ging den kurzen Gang entlang, blieb vor den beiden Türen stehen und lauschte. Hinter der rechten glaubte sie den Mezzosopran der Katharina Eschenbacher zu hören, war sich aber nicht ganz sicher. Die linke Tür stand einen Spalt offen. Ohne zu zögern, drückte sie die Tür zur Werkstatt auf, schlüpfte hinein und schloss sie sorgfältig hinter sich.

„Das ging aber schnell.“

Walter kam auf sie zu, lächelte erfreut und wollte sie gerade umarmen, als Franziska ihn anfauchte: „Warum hast du mir nichts davon gesagt?“

Verwirrt zog er seine Hände zurück und schaute sie fragend an. „Von was hab ich dir nichts gesagt?“

„Dass du im Oberhausmuseum arbeitest!“

„Hätte es dich interessiert?“Walter wich einen Schritt zurück. Er lächelte unsicher.

„Ja!“

„Warum?“ Der Bühnenkünstler schüttelte verwirrt den Kopf.

„Weil dort heute ein Mann erstochen wurde und du in den Fall verwickelt bist!“

„Spinnst du?“, keuchte Walter und sah Franziska ungläubig an.

Dann drehte er sich weg und begann, einige Dinge auf der Werkbank hin und her zu rücken. Franziska beobachtete ihn bei dieser nutzlosen Tätigkeit, wartete aber, bis er sich wieder zu ihr umdrehte.

„Ein Toter im Oberhaus. Und du glaubst, dass ich etwas damit zu tun habe?“, fragte er schließlich.

„Du hattest einen Schlüssel zu der Tür, hinter der er gefunden wurde“, erklärte sie und versuchte, ihre Emotionen herauszuhalten.

Walter nickte, schob seine Hände in die Taschen seiner Shorts und holte sie verwundert wieder heraus – sie waren leer.

„Und was soll das beweisen?“

„Erst einmal nichts“, lenkte Franziska ein. „Aber nur, wenn du ein Alibi hast!“

„Dich.“ Walter lächelte unsicher.

„Hast du vielleicht noch ein besseres?“ Franziska fand das alles überhaupt nicht spaßig.

„Ein besseres als dich? Die Oberkommissarin?“Walter grinste anzüglich, gerade so, als habe sie nur einen Spaß gemacht. Dennoch lehnte er sich unsicher an der Werkbank an.

„Ganze zwei Stunden nach der Tat“, fuhr sie ihn genervt an, weil jetzt einfach nicht die richtige Zeit für seine Spielchen war.

„Du hast mich in der Hand.“ Er lächelte bitter, und als sie noch immer nichts sagte, fragte er: „Macht dir das wenigstens Spaß?“

„Nein, es macht mir überhaupt keinen Spaß!“, rief Franziska enttäuscht. „Aber vielleicht machst du das ja mit Absicht! Vielleicht ist es dir gar nicht ernst, und du bist heilfroh, wenn du dich nicht auf mich einlassen musst!“

Walter löste sich von der Werkbank und kam auf Franziska zu. Er nahm ihre Hände in die seinen und schaute sie ruhig an. „Also gut. Ja, ich habe ein Alibi. Ich war hier.“

Er schenkte ihr eines seiner bezaubernden Lächeln und wartete darauf, dass sie sich damit zufriedengab.

„Kann das jemand bezeugen?“ Franziska schluckte schwer an ihren Gefühlen für ihn.

„Carlos, Katharina, Nina … Ich weiß nicht, wer noch alles bei der Probe war.“

„Und haben die dich auch alle gesehen?“

„Das musst du sie schon selber fragen.“ Er ließ ihre Hände so plötzlich los, dass sie wie bei einer Marionette, der man die Fäden abgeschnitten hatte, nach unten fielen. „Aber sag mir eines: Warum hätte ich so etwas tun sollen? Warum sollte ich jemanden erstechen? Und womit überhaupt – mit meinem Langhaarpinsel?!“

„Mit einer Partisane!“

„Mit einer was?“

„Er wurde mit einer Art Stoßlanze getötet.“ Franziska wusste, dass sie Walter mit Informationen versorgte, die sie ihm in dieser Situation nie hätte geben dürfen.

„Das ist doch vollkommen absurd“, begehrte Walter auf.

„Sie lag in dem Raum, in dem du die Skizze gemacht hast. Vielleicht hat dich das Opfer bei deiner Arbeit gestört? Du bist erschrocken, hast die Waffe ergriffen und ihn aus Versehen getötet.“

„Aus Versehen?“, fragte Walter höhnisch.

„Ja“, bestätigte Franziska und hoffte inbrünstig, dass alles nur ein Missverständnis war, dass der Mann, der sie noch vor ein paar Stunden auf so wunderbare Weise verführt hatte, nichts, aber auch gar nichts mit dem Mord an Xaver Mautzenbacher zu tun hatte.

„Nein!“, schrie Walter so laut in ihre Gedanken hinein, dass Franziska zusammenzuckte. Für einen Moment fürchtete sie, die ganze Sängerschar würde zur Tür herein kommen, um nachzusehen, was hier los war.

„Schrei doch bitte nicht so“, bat sie flüsternd und schaute ihn hilflos an. „Ich kann doch auch nichts dafür. Warum musst auch ausgerechnet du einen der beiden Schlüssel haben? Und warum hast du ihn überhaupt stecken lassen? Es ist doch deiner, oder?“

Sie dachte an die leeren Hosentaschen, die Walter ihr vor wenigen Minuten noch gezeigt hatte.

„Ja, es ist meiner. Ich habe ihn stecken lassen, weil ich es eilig hatte, ob du es glaubst oder nicht! Ich habe mich auf den Nachmittag mit dir gefreut. Da kann man schon mal vergessen, einen Schlüssel abzuziehen!“

Franziska wollte ihn sanft am Arm streicheln, aber Walter schüttelte ihre Hand ab.

„Auf was wollen wir uns denn jetzt einigen?“, fragte sie und unterbrach damit das eisige Schweigen.

„Einigen?“, fragte Walter mit ausdruckslosem Blick, bis sich sein Gesicht plötzlich erhellte. „Ach, ich verstehe. Du willst nicht, dass dein Kollege weiß, dass du hier warst!“ Sein gequältes Lächeln klang bitter. „Du fürchtest dich vor seiner Eifersucht.“

„Hannes ist doch nicht eifersüchtig!“

Überrascht lachte Walter auf. „Ach, Franziska, ich hab doch gesehen, wie er dich anschaut!“

„So ein Quatsch!“ Franziska schüttelte kurz den Kopf. „Hannes ist mein Kollege, mehr nicht.“

Walter nickte resigniert. „Franziska, du würdest es doch gar nicht merken, wenn sich ein Mann nach dir verzehrt.“

In diesem Moment kam Franziska ihr ehemaliger Chef in den Sinn. Der war von einer schönen Frau angebaggert worden, weil sie von ihm wissen wollte, wie seine Ermittlungen liefen.

Was, wenn Walter sie auch nur benutzte?

Was, wenn ihr das Gleiche passierte, wie Berthold Brauser?

„Willst du unsere Freundschaft beenden?“, fragte Walter in die Stille hinein.

Franziska schloss die Augen. Es fiel ihr sehr schwer zu sagen, was sie sagen musste. Aber Walter hatte ein Recht darauf, dass sie ehrlich zu ihm war.

„Nein, natürlich nicht. Aber wir sollten uns nicht mehr treffen, bis ich weiß …“ Sie brach mitten im Satz ab, um die richtigen Worte zu finden.

„Bis meine Unschuld erwiesen ist?“

„Ja. Nein. So ein Blödsinn. Aber versteh mich doch!“

„Ich versteh schon. Du willst deine Karriere nicht ruinieren.“ Walter nickte. Und sah dabei unheimlich traurig aus.

Franziska gab sich einen Ruck und wandte sich zur Tür. Kurz davor blieb sie noch einmal stehen und sah sich um.

„Ich will das alles nicht. Aber ich muss es einfach tun. Verstehst du das?“

Dann ging sie, ohne Walter Gelegenheit zu geben, sich noch irgendwie von ihr zu verabschieden.