Der Tote vom Oberhaus

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„Glaubst du mir jetzt, dass du nur Gespenster gesehen hast?“

Franziska und Hannes hatten ihren Wagen auf dem Besucherparkplatz abgestellt und gingen zu Fuß durch die weitläufige Burganlage.

„Immerhin passen die gut zu diesen alten Gemäuern.“ Franziska zeigte auf das erste Burgtor und den dahinter liegenden Durchgang.

„Ja, aber irgendwie nicht zu Schneidlinger. Er ist bemüht. Er will ein gutes Klima. Ich kann eigentlich nichts an ihm aussetzen.“

„Schon gut, schon gut“, wiegelte Franziska ab und konzentrierte sich auf das kommende Gespräch. Sie hatten den Eingangsbereich und mit ihm den Kassentresen erreicht.

„Frau Meisel?“, sprach die Kommissarin eine schlanke ältere Dame an, die trotz der Hitze in einem dunklen Leinenkostüm hinter der Kasse saß. Franziska zeigte ihren Ausweis. „Franziska Steinbacher von der Mordkommission Passau. Ich hätte ein paar Fragen an Sie.“

„Oh, ja, natürlich. Einen Moment bitte, ich muss nur noch schnell die nächste Gruppe abkassieren!“

Franziska nickte und stellte sich, um Platz zu machen, zu einem Tisch, auf dem Prospekte ausgelegt waren. Hannes folgte ihr. „Wahnsinn, was man in Passau alles anschauen kann. Wusste gar nicht, dass wir in einer so interessanten Stadt leben.“

Franziska sah Hannes prüfend an. Doch er schien es ernst zu meinen.

„Man nimmt sich einfach zu wenig Zeit …“

„So, ich wäre jetzt so weit.“ Mit federnden Schritten kam Petra Meisel zu ihnen herüber. „Heute ist hier die Hölle los.“ Franziska nickte. Obwohl noch nichts in der Zeitung stand, hatte sich die Nachricht von einem Toten in der Burg natürlich blitzschnell herumgesprochen.

„Sie saßen gestern Nachmittag an der Kasse?“, begann Franziska mit ihren Fragen.

„Ja, von eins bis fünf!“

„Und erinnern Sie sich auch an diesen Mann?“ Franziska hielt der Kassiererin das Foto aus Mautzenbachers Wohnung entgegen.

„Ja, sicher“, bestätigte die Frau. „Sehr gut sogar. Ein ganz außergewöhnlicher Mann.“

Franziska straffte die Schultern. Es wurde spannend. „Wie meinen Sie das?“

„Nun, es war ein Mann ohne Seele!“

Die beiden Kommissare wechselten einen schnellen Blick und sahen dann wieder zu Petra Meisel.

„Ist Ihnen das noch nie aufgefallen?“, fragte diese ganz selbstbewusst und lieferte gleich darauf die Erklärung. „Wenn Sie einen Menschen anschauen, ich meine so richtig anschauen – nicht nur ins Gesicht, sondern in die Augen und durch die Augen hindurch, bis in die Seele … dann erst wissen Sie, wen Sie vor sich haben!“

Sie ließ den Kommissaren Zeit, um ihre Ansicht zu verinnerlichen.

„Nicht jeder Mensch ist gleich. Es gibt Menschen, die haben eine junge“, sie lächelte, „beinahe verspielte Seele. Die müssen noch viel durchmachen, um zu reifen. Und dann gibt es Menschen, die haben eine alte Seele, eine, die schon viele Leben hinter sich hat. Sie ist voller Weisheit und Erfahrung, und man merkt das den Menschen mit so einer alten Seele auch an. Ja, und dann gibt es noch die ohne Seele, ohne Gewissen. Die sind zu allem fähig. Wenn ich solche Leute treffe, dann schaudert es mich, aber es ist auch sehr interessant, sie zu beobachten.“

„Gibt es viele solcher … Seelenlosen?“, fragte Franziska und merkte zu spät, worauf sie sich da gerade eingelassen hatte.

„Oh ja! Aber es ist mir selten so sehr aufgefallen wie bei diesem Mann!“ Petra Meisel zeigte auf das Foto, das Franziska noch immer in der Hand hielt. Sie sah nun selbst darauf, suchte in seinem Blick nach einem Merkmal, um künftig Menschen ohne Seele erkennen zu können, als Hannes sich räusperte.

„War der Mann allein, oder war er in Begleitung?“, fragte er, um wieder auf ihr eigentliches Anliegen zurückzukommen. Im Vergleich zu seiner Kollegin hatte sich Hannes nämlich überlegt, wie sich die Exkursion in die Seelenvariationen der Menschheit in ihrem späteren Bericht machen würde.

„Er war allein. Zumindest kaufte er sich nur ein Einzelticket.“

„Ihnen ist also niemand aufgefallen, der sich für Herrn Mautzenbacher interessiert hätte?“, fragte Hannes eindringlicher.

„Nein, offen gestanden nicht.“

„Dann eine andere Frage: Kennen Sie diesen Mann?“ Hannes zog ein Foto von Walter Froschhammer aus seinem Notizbuch, und als Franziska erkannte, um wen es sich handelte,

sog sie hörbar die Luft ein. Hannes stieß sie mit dem Ellenbogen unauffällig in die Seite.

„Aber das ist doch der Künstler, der die neuen Räume gestaltet, dieser …“, sie überlegte, schien aber nicht auf seinen Namen zu kommen. Dann huschte ein feines Lächeln über ihr Gesicht. „Dieser Mann hat zum Beispiel eine alte Seele, sehen sie!“ Sie zeigte auf seine Augen.

„Können Sie das auf einem Foto erkennen?“, fragte Franziska ungläubig.

Petra Meisel lachte. „Nein, natürlich nicht. Aber ich habe mich schon ein paar Mal mit ihm unterhalten. Er geht ja hier ein und aus. Und er ist einfach faszinierend, wenn ich das so sagen darf.“

Um ein Haar hätte Franziska sie gefragt, ob der Künstler sie am Ende schon gemalt hatte, als Hannes die beiden Frauen wieder auf Kurs brachte.

„Walter Froschhammer war gestern Nachmittag in der Burg. Haben Sie ihn gesehen?“

„Walter Froschhammer, genau, so heißt er.“ Frau Meisel sah Hannes an und nickte. „Ja. Er kam, als ich gerade anfing.“

Hannes ließ nicht locker. „Und wann ging er wieder?“

„Hm, lassen Sie mich mal überlegen. Vielleicht so gegen zwei? Zumindest glaube ich, dass ich ihn da gesehen habe. Da kam ein Geschichtskurs aus dem Adalbert-Stifter-Gymnasium, die hatten sich für die Führung ‚Von der mittelalterlichen Burg zur barocken Festung‘ angemeldet. Gestern war ganz schön was los“, fügte sie erklärend hinzu.

„Das heißt, Sie wissen nicht mit Sicherheit, ob Walter Froschhammer um zwei Uhr das Oberhaus verlassen hat?“, versuchte Hannes die Aussage von Petra Meisel zu präzisieren.

„Nein. Sicher bin ich mir nicht.“


Hauptkommissar Josef Schneidlinger saß an seinem neuen Schreibtisch und kratzte mit dem Löffel den letzten Rest Milchschaum aus seiner Tasse. Dann stand er auf, ging zur Spüle und begann, das Geschirr sorgsam abzuwaschen. Er liebte diese Art der Beschäftigung, gab sich voller Eifer dem Bürsten und Durchspülen hin. Für ihn war Abwasch keine Arbeit, sondern eine Möglichkeit, um in Ruhe nachzudenken.

Nachdem Obermüller und Gruber gerade alle sozialen Netzwerke und Internetforen durchforsteten, um vielleicht auf diesem Wege etwas über Xaver Mautzenbacher herauszufinden, hatte es Schneidlinger auf dem altmodischen Weg versucht und seine Kontakte spielen lassen. Einer seiner Informanten war Acarbay Özdemir. Der kleine korpulente Mann mit dem großen Namen betrieb im Münchner Bahnhofsviertel ein florierendes Import-Exportgeschäft, wobei die meisten seiner Geschäfte legal waren. Er holte Früchte und Textilien aus der Türkei und lieferte Elektrogeräte und Computer nach Istanbul. Nebenbei, um seine lauteren Geschäfte finanziell abzusichern, war er Teil eines großen illegalen Netzwerkes. Eine Sache, der Schneidlinger einst auf die Schliche gekommen war, sie nicht weiter verfolgt hatte und dafür immer noch ausnutzen konnte. So wie jetzt im Fall Mautzenbacher, als es darum ging, die Herkunft der Rolex zu überprüfen, die, wie Obermüller herausgefunden hatte, nirgends gestohlen gemeldet war.

Vor einer Stunde hatte Schneidlinger mit Acarbay telefoniert, und der hatte ihm versichert, er werde sich umhören.

Mit einem selbstgefälligen Lächeln auf den Lippen räumte der Hauptkommissar sein Geschirr zurück in den kleinen Schrank unter dem Kaffeeautomaten und bemerkte nicht, dass seine Gedanken sich nicht mit dem Fall Mautzenbacher beschäftigten, sondern von seinem Freund Acarbay zu einer anderen Münchner Bekanntschaft gewandert waren.

Denn auch Paulina hatte er während Ermittlungen kennengelernt, allerdings auf eine ganz andere Art als Acarbay.

Die junge Frau jobbte neben ihrem Studium für einen Escortservice, und im Rahmen dieser Tätigkeit wurde sie zum Alibi eines Hauptverdächtigen, der in einen großen Wirtschaftsbetrug verwickelt war. Als alles vorbei war, trafen sich Schneidlinger und Paulina zufällig in der Stadt, und nachdem Paulina ihr Studium beendet und ihren verruchten Job an den Nagel gehängt hatte, entstand eine solide Freundschaft zwischen den beiden.

Ein weiterer Zufall wollte es, dass erst Paulina und nun auch Schneidlinger in Passau landeten und er somit eine vertraute Ratgeberin in seiner Nähe hatte. Natürlich war ihm bewusst, dass niemand, der die Vorgeschichte zu dieser Freundschaft kannte, ihm glauben würde, dass sie wirklich nur gute Freunde waren.

Darum war Schneidlinger immer besonders vorsichtig, wenn er zu Paulina ging, um Fragen nach der Art ihrer Beziehung gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Nachdem er am gestrigen Abend mit ihr telefoniert hatte, hatte er seinen Porsche Boxster wenig später in der Heilig-Geist-Gasse geparkt und war zu Fuß zu ihrer Altbauwohnung hoch über der Passauer Fußgängerzone gegangen, wo sie ihn schon vor der Wohnungstür erwartete.

Barfuß, in einem weißen Sommerkleid, die Haut sanft gebräunt, die langen schwarzen Haare zu einem lockeren Zopf geflochten, die Fußnägel rot lackiert. Wie immer war Schneidlinger von ihrer Schönheit fasziniert, und wie immer stellte er sich vor, was wäre, wenn es nicht bei einer freundschaftlichen Umarmung bliebe.

Doch dann hatten sie über seine Entdeckung im Fall Sophia Weberknecht gesprochen, Wein getrunken und überlegt, was Schneidlinger in dieser Sache unternehmen sollte und konnte, ohne sich unbeliebt zu machen.

 

„Gib dem Hollermann eine Chance“, hatte Paulina schließlich vorgeschlagen, weil sie wusste, wozu Männer um ihrer Karriere willen imstande waren.

Schneidlinger hatte sich die Möglichkeit bei einem Schluck Wein durch den Kopf gehen lassen, und als kurz darauf die Meldung kam, dass im Oberhaus ein toter Mann gefunden worden war, hatte er es als Zeichen des Himmels gedeutet, gelächelt und beschlossen: Hollermann würde seine Chance bekommen.

Ein letztes Mal wischte Schneidlinger mit dem Spüllappen das Becken aus und ging dann zu seinem Schreibtisch. Er hatte einen Termin im Heinrichsbau bei Oberstaatsanwalt Schwertfeger, weil der am Vormittag wegen einer Gerichtsverhandlung nicht an der Besprechung hatte teilnehmen können und jetzt einen mündlichen Bericht einforderte. Eine gute Gelegenheit, wie Schneidlinger fand, um mal über das eine oder andere zu sprechen.

Kurze Zeit später klaubte der neue Chef des K1 seine Wagenschlüssel vom Schreibtisch, zog sein Jackett über und ging mit einem knappen Nicken an Ramona vorbei. Auf dem Gang stieß er auf den Kollegen Gruber, der sich gerade seine langen Haare zu einem Zopf band und in der Spiegelung der Glastür seinen eingezogenen Bauch bewunderte. Als er Schneidlinger entdeckte, ließ er verlegen von Bauch und Mähne ab und rief freudig: „Ah, Chef! Wir haben das Kennzeichen von Mautzenbachers Auto. Ich habe es zur Fahndung rausgegeben.“

Schneidlinger nickte anerkennend. „Gut. Sehr gut.“ Dabei klopfte er Gruber auf die Schulter.

Gruber warf seine Haare nach hinten und lächelte dann unsicher. „Ja, dann will ich mal wieder.“ Er schob das Gummiband in die Hosentasche und sah zu Schneidlinger, doch der steuerte schon die Tür an. Er hatte es eilig. Er legte Wert auf Pünktlichkeit, bei anderen und natürlich auch bei sich selbst.

Als er mit seinem Auto vom Polizeiparkplatz rollte und sich in Richtung Haitzinger Brücke in den allabendlichen Berufsverkehr einreihte, sah er auf seinem Display den eingehenden Anruf von Franziska Steinbacher. Na, bitte, da geht doch was, dachte er und nahm ab.

„Tut mir leid, Chef, aber wir kommen hier nicht weiter. Von den Mitarbeitern hat niemand etwas gesehen, und ohne Zeugen können wir weder einen Täter finden noch einen Unschuldigen entlasten“, keuchte sie etwas kurzatmig, und Schneidlinger hatte das Gefühl, als habe sie das Ganze auswendig gelernt.

„Immer mit der Ruhe, Frau Steinbacher. Ich habe bereits mit der Journalistin Kathrin Selig gesprochen. Sie wird einen Artikel über unseren Mord schreiben. Sie arbeitet sehr professionell, ich glaube das wird uns weiterhelfen.“ Schneidlinger lauschte in sein Handy und versuchte gleichzeitig, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. „Sind Sie noch dran?“

„Ja, aber der Empfang ist hier oben sehr schlecht“, sagte Franziska, was ihr Schneidlinger aber nicht glaubte. Er hatte gehört, dass sie eine Hand auf die Sprechmuschel gelegt und mit jemandem gedämpft gesprochen hatte. Wahrscheinlich Kollege Hollermann, dachte Schneidlinger.

„Kathrin Selig“, fuhr er unbeirrt fort, „die kennen Sie doch vom Fall Weberknecht. Das ist die Journalistin, die Sie nach dem Tod von Hajo Felbermann über dessen Arbeit für die Zeitung befragt haben.“

„Das ist gut!“, erklärte Franziska aufs Geratewohl und fügte hinzu, dass man in so einem Fall auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen sei.

Schneidlinger passierte die Zufahrt zum Innenhof der Staatsanwaltschaft und fuhr auf einen der wenigen freien Parkplätze zu. Kurz berichtete er der jüngeren Kollegin von Grubers Entdeckung und beendete das Gespräch mit den Worten: „Ich muss jetzt aufhören, ich habe einen Termin.“

Ohne Hast stieg der Hauptkommissar die breite Steintreppe empor und gelangte schließlich zum Büro des leitenden Oberstaatsanwalts, der ihn bereits erwartete. Nach einem Blick auf die Uhr ließ der den Single Malt stehen und bat stattdessen bei seiner Sekretärin um Kaffee. Schneidlinger nickte zustimmend und setzte sich auf den angebotenen Platz dem Oberstaatsanwalt gegenüber.

„Was können Sie mir denn über den neuen Fall berichten?“ Schwertfeger beugte sich ein wenig über seine gefalteten Hände und lächelte den Hauptkommissar auffordernd an.

„Nun“, eröffnete Schneidlinger, las von seinem vorläufigen Bericht die wichtigsten Informationen ab und ergänzte dann: „Interessant ist die Wohnsituation, die völlig gegensätzlich zu der Art und Weise steht, wie sich der Tote am späteren Tatort präsentierte.“

Der Oberstaatsanwalt legte nachdenklich die Stirn in Falten.

„Mautzenbacher trug zum Beispiel eine echte Rolex, sagte dem Nachbarn aber, sie sei nur ein Imitat. Warum? Ebenso rätselhaft sind die gefundenen zwanzigtausend Euro. Woher hatte Mautzenbacher die, und warum trug er sie bei einem Besuch der Veste Oberhaus bei sich? Weil er mit dem Täter verabredet war und sie dem geben wollte? Oder musste? Aber warum nahm sie der Täter dann nicht an sich? Oder ahnte der Täter nicht, dass er sein Opfer treffen würde, und wusste somit auch nichts von dem Geld? Sie sehen, der Fall wirft viele Fragen auf.“

Schneidlinger sah Schwertfeger erwartungsvoll an, dann zur Tür, die sich gerade öffnete. Die Sekretärin des Oberstaatsanwalts betrat mit einem Tablett in der Hand den Raum.

„Was werden Sie also unternehmen?“, fragte Schwertfeger.

„Nach der Pleite in der Wohnung haben wir Mautzenbachers Auto zur Fahndung ausgeschrieben, und ich habe einen Zeugenaufruf an die Presse rausgegeben. Vielleicht kann uns ja bald schon jemand etwas zu diesen Widersprüchen sagen.“

Der Oberstaatsanwalt nickte und schwieg, bis seine Sekretärin die Kaffeetassen verteilt hatte. „Und bei Facebook sind Sie auch nicht fündig geworden?“

Der Hauptkommissar lachte kurz auf. Zuhause erklärte er seinen Kindern, sie sollten sich genau überlegen, was sie in dieser Community von sich preisgaben, und im Beruf griff er immer wieder gern und erfolgreich auf genau diese kostenlose Datensammlung zurück. „Nein, zumindest nicht unter seinem richtigen Namen.“

„Was sagt die Gerichtsmedizin?“

Schwertfeger dachte an alles. Doch damit hatte Schneidlinger gerechnet und wiegelte dessen Erwartung sofort ab.

„Oh, das kann dauern. Die Ärzteschaft streikt doch mal wieder, und diesmal machen sie noch nicht einmal vor den Toten halt.“

Schwertfeger rührte in seiner Kaffeetasse und blieb stumm. Er überlegte, was sein ehemaliger Studienfreund und früherer Hauptkommissar Berthold Brauser in diesem Fall getan hätte.

„Ich habe ein paar meiner früheren Kontakte genutzt und versucht, auf diesem Weg etwas über die Rolex in Erfahrung zu bringen“, erklärte Schneidlinger mit Stolz in der Stimme. „Vielleicht gibt es ja eine Verbindung zwischen der Herkunft der Uhr und dem Täter.“

„Letzten Endes müssen Sie jedes Mittel nutzen, solange es legal ist“, erklärte Schwertfeger.

„Natürlich“, gab Schneidlinger zurück und lächelte provozierend. Er trank seinen Kaffee aus und erhob sich, während Schwertfeger ihm für seinen Besuch dankte.

„Und halten Sie mich bitte auf dem Laufenden!“

„Ja, das mache ich doch gern. Aber was ich Sie noch fragen wollte …“, Schneidlinger trat einen Schritt auf Schwertfeger zu und senkte seine Stimme. „Im vergangenen Herbst hatten Sie doch in diesem spektakulären Fall zu ermitteln.“

Der Oberstaatsanwalt wich ein wenig zurück. „Was meinen Sie?“

„Na, den Fall Weberknecht. Die Zeitungen waren damals voll davon, selbst in München, und ich …“

„Was bitte haben Sie mit dem Fall Weberknecht zu tun? Der Fall ist abgeschlossen“ Schwertfeger straffte die Schultern.

„Nun ja. Um mich einzuarbeiten, habe ich mir die alten Akten angesehen und dabei ist mir aufgefallen, dass … Also gut, ich glaube, es wurde etwas übersehen!“

Schwertfeger sah den Hauptkommissar so lange schweigend an, dass dieser schon dachte, er würde gar nichts mehr sagen.

„Herr Schneidlinger, es ist durchaus bewundernswert, dass Sie sich trotz des neuen Falles – dem Sie im Übrigen Ihre gesamte Energie widmen sollten – für die alten Berichte interessieren. Trotzdem möchte ich Sie daran erinnert, dass in diesem Fall eingehend ermittelt wurde. Es gibt wirklich keinen weiteren Handlungsbedarf.“

Beim letzten Satz hatte Schwertfeger jedes einzelne Wort betont, fast als wolle er dem Hauptkommissar ein für alle Mal eintrichtern, sich aus der Sache rauszuhalten.


Mit einem Korb voller Einkäufe betrat Franziska ihre Wohnung, stellte ihn in der Küche auf die Anrichte und ging ins Bad, um sich ihre verschwitzen Jeans und das Shirt auszuziehen. Nur noch in Unterwäsche gekleidet kam sie zurück, schenkte sich ein großes Glas Eistee ein und trank gierig, bevor sie begann, die Lebensmittel in Kühl- und Vorratsschrank zu räumen. Als sie fertig war, öffnete sie ihre Balkontür, die direkt auf eine kleine Dachterrasse führte, und ließ sich auf den Liegestuhl fallen. Seufzend blinzelte sie in die Abendsonne und schloss die Augen, bis ihr knurrender Magen sie daran erinnerte, dass sie noch nichts gegessen hatte. Es gab Tage, da konnte sie nach dem Dienst stundenlang in der Küche stehen, Gemüse schnippeln und Fleisch anbraten. Heute jedoch hatte sie sich eine Fertiglasagne mitgebracht. Sie nahm ihr Glas mit hinein, schob die Lasagne in die Mikrowelle, schaltete den Laptop ein und stellte sich unter die Dusche. Als sie zurückkam und das Essen noch immer nicht fertig war, überprüfte sie ihr Handy und seufzte: kein Wort von Walter.

Franziska klickte auf die Startseite seiner Homepage, und zumindest von dort aus lächelte er sie genauso an, wie sie sich das von ihm wünschte. Mit einem weiteren Klick wechselte sie zu seinem Blog und wusste im selben Moment nicht, ob sie sich freuen oder ärgern sollte.

Er hatte ihr Bild eingestellt. Nicht ihr Gesicht, das nicht! Zu sehen war das Seidentuch mit ihrem Körper darauf. Die Dokumentation ihrer Lust. Ungebändigte Schöne lautete der Titel, und nachdem Franziska den kurzen Text über die genaue Herstellung des einzigartigen Werks gelesen hatte, war sie froh, dass ihr Name darin nicht auftauchte. Unfähig ihren Blick zu lösen, starrte sie auf die Farben, bis sie vor ihrem Auge verschwammen, bis sie nur noch rote, gelbe und orangefarbene Kreise und Striche sah. Bis sie die Augen schloss, sich zurücklehnte und an den Abend dachte, an dem das Werk entstanden war. In Gedanken stellte sie sich vor, wie das Treffen hätte verlaufen können, wenn nicht dieser alberne Mord dazwischengekommen wäre …

Sie parkte ihr Auto vor der Künstlerwerkstatt. Kaum hatte sie die erste Stufe der Metalltreppe erklommen, da öffnete ihr Walter auch schon die Tür.

„Hallo, Frau Kommissarin, wie schön, dass du endlich kommst!“ Mit seinem hinreißenden Lächeln und nichts auf dem Leib, außer den Boxershorts, kam er ihr entgegen und küsste sie voller Verlangen auf den Mund.

„Bist du allein?“, fragte sie.

Walter antwortete mit schmeichelnder Stimme:

„Ja. Die anderen haben heute Generalprobe im Theater. Wir sind ganz für uns.“ Seine linke Augenbraue zuckte kurz nach oben und ließ Franziska erschaudern.

Er nahm ihre Hand und zog sie die Stufen hinauf, an verschiedenen Türen vorbei, bis zum kleinen Malsaal. Während Walter die Tür schloss, begann Franziska, die Knöpfe ihres Sommerkleides zu öffnen, und als er sich zu ihr umdrehte, stand sie nur noch in Slip und Büstenhalter vor ihm.

„Wow!“, kommentierte er anerkennend, und Franziska sah, dass auch dem Inneren seiner Boxershorts ihr Auftritt gefiel. Verführerisch fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen, öffnete den Verschluss ihres BHs und schob dann langsam und ohne ihren Blick von ihm und seiner Lust zu wenden, die Träger über die Schultern nach unten.

„Warte, lass mich das machen“, rief Walter und kam auf sie zu, um sich an dem wenigen Stoff, den sie jetzt noch auf dem Leib trug, zu schaffen zu machen. Als er niederkniete, um ihren Slip über die Hüften nach unten zu schieben, küsste er ihren Bauchnabel, und als er sich noch weiter nach unten bewegte, fröstelte Franziska trotz der Hitze im Raum. Doch dann schloss sie die Augen, um sich ganz diesem herrlichen Gefühl, diesem weiteren Auflodern ihrer Lust hinzugeben. Beim Aufrichten wischte er sich mit dem Handrücken über den Mund, als habe er gerade ein köstliches Mahl verspeist und freue sich nun auf den Nachtisch.

„Bist du so weit?“, fragte er und reichte ihr die Hand.

 

Franziska lächelte. „Oh ja!“

Walter führte sie zu dem Podest, das mitten im Raum stand, und hob sie vorsichtig hinauf. Dann holte er ein Seidentuch und legte es um ihren Körper. Während er die Falten drapierte und versuchte, sie gleichmäßig auf ihrem Körper zu verteilen, schlang er immer wieder seine Arme um sie, was Franziska zusehends erregte.

„Das gefällt dir, was?“

Franziska nickte. „Ja.“

Es war mehr ein Hauch, als eine Antwort.

„Dann warte mal ab, wie dir das gefällt.“ In der einen Hand hielt er jetzt ein großes Glas Wasser, in der anderen einen dicken Pinsel. „Ist ein bisschen kalt, aber ich glaube, du kannst eine Abkühlung vertragen.“

„Ja“, hauchte Franziska erneut und nahm die Arme nach oben, zum Zeichen, dass er alles mit ihr tun konnte. Zuerst fuhr er ihr mit dem Pinsel über die leicht geöffneten Lippen, dann den Hals hinunter, und schließlich die Arminnenseiten wieder hinauf. Franziska musste lachen, weil es schrecklich kitzelte, aber sie blieb in ihrer Position.

„Hältst du das aus?“, fragte Walter, und Franziska nickte. Da tauchte er den Pinsel erneut in das Wasserglas ein und fuhr damit ihren anderen Arm entlang, bis er auf dem Seidenstoff, direkt über ihren Brustwarzen landete. Sie waren hart und aufgerichtet und ausgesprochen begeistert. So bemalte er ihren Körper mit kaltem Wasser, bis das Seidentuch durchnässt war und Franziska hörbar aufstöhnte.

„Ich halt es nicht mehr aus“, gestand sie ihm, und sofort stellte er das Glas beiseite.

„Aber du warst sehr tapfer“, lobte Walter und zog sie in seine Arme. Das Seidentuch klebte nun an ihrem und seinem Körper, und Franziska spürte die Hitze seiner Haut und das Verlangen, dem er bisher nicht nachgegeben hatte. Hastig löste Walter die Spange, mit der er das Seidentuch auf Franziskas Schulter zusammengehalten hatte, zerrte den Stoff von ihrer Haut und schob sie dann, nackt wie sie war, durch den Raum bis zur Werkbank. Dort wischte er mit einer Handbewegung alles, was im Weg war, zur Seite, drehte sie um und drückte ihren Oberkörper mit sanfter Gewalt auf die Arbeitsfläche. Während sie sich mit ihren Armen abstützte, küsste er ihren Rücken vom Nacken bis zum Po, drückte ihre Beine auseinander und drang mit einem kräftigen Stoß tief in sie ein. Franziska schrie so laut auf, dass ihr die Luft wegblieb. Dann jedoch drückte sie den Rücken durch und sich ihm entgegen. Sie stöhnte und schrie vor Erregung und sehnte jeden weiteren Stoß herbei. Ihr Körper wurde von einer einzigen Welle heißer Lust durchströmt.

Als sie den Kopf drehte, um ihn anzuschauen, umfasste er ihre Brüste und drehte sie zu sich, um sie zu küssen. Während seine Lippen immer gieriger wurden, wanderten seine Hände an ihrem Körper entlang, streichelten und liebkosten sie und ließen erst von ihr ab, als sie erneut aufschrie. Als die Lust sie aufbäumte und die Erlösung sie zusammensinken ließ. Als auch er, mit wenigen Stößen, zum Ziel und zur Ruhe kam.


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