Die Taufe auf den Tod Christi

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1.3.2 Umstände und Abläufe von Ritualveränderungen

„Doch Rituale wandeln sich nicht zwangsläufig, wenn sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändern. Einige Rituale werden mit neuen gesellschaftlichen Erfordernissen obsolet. Andere funktionieren als Folie, an der sich gesellschaftliche Debatten und Kämpfe entzünden.“1 Die Art und Weise, in der sich Rituale verändern bzw. aktiv umgestaltet werden, kann sehr vielfältig sein.

1) Rituale reagieren in unterschiedlicher Weise auf Veränderungen ihres Bezugskontextes:2 a) Sie passen ihre Form an. b) Sie bleiben in ihrer Form gleich und werden neu gedeutet. c) Rituale werden in neue Kontexte transferiert. d) „Die Rituale bleiben äußerlich unverändert, geraten in ein Spannungsverhältnis zu ihrer Umwelt und erstarren zum ‚leeren Ritualismus‘.“3 Stollberg-Rilinger stellt zu Recht fest, dass sich die einzelnen Varianten nicht immer klar trennen lassen.4

2) Selten geht die Ritualveränderung offen und für alle erkennbar vonstatten. Dies hat seine Ursache entweder darin, dass sich ein Ritual unmerklich nach und nach verändert oder aber darin, dass die Veränderung gezielt verschleiert wird: „Neues wird als Altes, Innovation als Tradition ausgegeben.“5 Für religiöse Rituale begründet dies Schwedler folgendermaßen: „Ein von höherer Macht bestätigter und gewollter Kult kann nicht so einfach ‚erneuert‘ werden, ohne in den Verdacht zu geraten, etwas Ursprüngliches und damit Legitimierendes zu verfälschen.“6 Dahingehend stellt sich auch die Frage, inwieweit Neuerungen von allen als solche erkannt und empfunden werden.7

3) Die jeweilige Beschaffenheit eines Rituals hat Einfluss auf dessen Verände­rungsprozess. „Dabei spielen etwa ihre Sakralität, ihre zeitliche Frequenz, die Handlungsmacht ihrer Regisseure und vor allem die Art und Weise der Weitergabe eine zentrale Rolle.“8 Während eine rein individuelle mündliche Weitergabe sowie große Zeitspannen zwischen den Ritualvollzügen eine schleichende Veränderung begünstigen, kann die Veränderung eines schriftlich fixierten und von Spezialisten archivierten Rituals nur herbeigeführt werden.9

4) Nicht allein Ritualneuentwicklungen, sondern auch Ritualveränderungen greifen in einem gewissen Maße auf bereits bekannte Ritualelemente bzw. Ritualbausteine zurück. Stollberg-Rilinger betont gar die Notwendigkeit dessen: „Nur so erfüllt sie die Funktion, in Umbruchssituationen, etwa bei der Etablierung eines neuen Regimes, eines neuen Amtes, eines neuen Kultes, eines neuen politischen Programmes usw., von der Legitimität der Tradition zu profitieren und das Neue als weniger neu, gefährlich, beunruhigend und irritierend erscheinen zu lassen.“10 Dies ist dahingehend anzufragen, ob Ritualinnovationen und -veränderungen tatsächlich allein durch die Bewältigungsnotwendigkeit von veränderten Kontexten motiviert sind oder nicht gerade neue Situationen durch Ritualveränderungen geschaffen und gedeutet werden können.

5) Die Bedeutung desjenigen, der ein Ritual verändert, in einen neuen Kontext transferiert, umdeutet oder gar neu entwickelt, ist kaum zu unterschätzen. Bell fasst diejenigen, welche die Autorität haben, Rituale zu leiten, aber auch zu verändern, unter dem Begriff „agency“ zusammen.11 Eine solche Autorität kann abgeleitet sein „[a]us einer göttlichen Quelle, aus institutioneller Autorität, aus gemeinschaftlicher Übereinkunft aufgrund von Aushandlung, aus einer Kombination von all dem“.12 Eine Unterkategorie davon stellen die sog. „founder figures“, wie sie Betz nennt, dar, welche im Zuge von Ritualtransfers Rituale in ihren neuen Kontext einführen, begründen und ggf. die Anpassungen sowie Neuinterpretationen vornehmen.13

Blickt man unter diesen Voraussetzungen auf die christliche Taufe, ergeben sich eine Reihe an Fragen: Handelt es sich dabei tatsächlich um ein neues Ritual, um einen Ritualtransfer oder aber um eine bloße Weiterentwicklung der Johannestaufe? Welche konkreten Kontextveränderungen führen zur Entstehung und Deutung der christlichen Taufe. In welcher Weise reagiert das Ritual auf diese Veränderungen? So fällt etwa die sehr rasche Entwicklung, Verbreitung und Etablierung der christlichen Taufe mit den Entstehungsjahren der ersten christlichen Gemeinden zusammen, deren zwei größten hermeneutischen Herausforderungen die Deutung des gewaltsamen Leidens und Sterbens Jesu Christi sowie der Umgang mit der einsetzenden Heidenmission und damit nichtjüdischen Christusgläubigen sind – zwei Aspekte, welche in grundlegender Weise die christliche Taufe wie auch die ältesten Tauftexte bestimmen. Geradezu ein Paradebeispiel für einen Ritualtransfer stellt später die Verbreitung der christlichen Taufe in der hellenistischen Welt im Rahmen der heidenchristlichen Mission v.a. durch Paulus dar. Betz leitet daraus die These ab: „We are suggesting that the apostle Paul should be viewed as analogous to these Hellenistic founder figures […] The transferral and concomitant re-interpretation of baptism provide us with a classical example of this process.“14 Dies wäre ebenso zu untersuchen wie auch die Frage, auf welche ggf. bereits bekannten Ritualelemente und -deutungen Paulus für seine (Neu-)Interpretation zurückgreift und mit welcher Intention.

1.4 Missverständnisse, Fehler und Protest

Der Ritualablauf kann allerdings auch durch bewusste Verletzungen oder Fehler eine Veränderung erfahren.1 Rehberg spricht sogar davon, es seien wie bei allen Normen erst „die Verletzungen, die Nichtbefolgung, durch welche ihre normative Struktur sichtbar wird.“2 Dies gilt einerseits für die Beteiligten am Ritual: „Oft veranlassen erst Regelverstöße die Akteure dazu, die zugrundeliegende Regel zu thematisieren, die sonst unausgesprochen und selbstverständlich gilt. Erst ein Fehler bringt die Akteure dazu zu reflektieren, inwiefern dadurch die Wirkung des Rituals gefährdet oder zunichte gemacht worden sein könnte.“3 Dabei können über Fehler beim eigentlichen Ritualvollzug hinaus auch Missverständnisse, Unwissen und Fehlverhalten in mit dem Ritual in enger Verbindung stehenden Bereichen oder auch bei korrespondierenden Ritualen zu Beeinträchtigungen oder gar dem Misslingen des ursprünglichen Rituals führen. Gedacht sei etwa an den Vollzug der Beschneidung an Heidenchristen in Galatien, welche für Paulus in direktem Verhältnis bzw. Missverhältnis zu deren christlicher Taufe steht. Andererseits gibt die Analyse derartiger Fehler sowie v.a. des Umgangs mit ihnen Ritualwissenschaftlern ritologische Einsichten in Rituale und deren intendierter Wirkung, welche nicht direkt in den überlieferten Quellen thematisiert und dokumentiert sind. Stollberg-Rilinger weist dabei mit Recht darauf hin, dass die Beurteilung eines möglichen Fehlers zwischen Ritualleiter und Ritualadressaten durchaus unterschiedlich ausfallen kann,4 z.B. abhängig von der jeweils intendierten Ritualwirkung, wie nicht zuletzt die galatische Auseinandersetzung zeigt.

Stollberg-Rilinger listet insgesamt acht verschiedene Arten der Abweichungen bzw. Fehler bei Ritualen5 und Lösungsmöglichkeiten dazu auf:6 1) Das Missgeschick,7 welches entweder taktvoll übersehen; mit einer rituellen Gegenmaßnahme korrigiert oder auch als übernatürlicher Eingriff ausgelegt werden kann; 2) der Konflikt (über den richtigen Ablauf) im Ritual bes. bezüglich Darstellung und damit Herstellung der sozialen Rangordnung der Teilnehmer,8 auf welchen mit Abreise, Protest oder einer Ausnahmeregelung reagiert werden kann; 3) die Abwesenheit von Ritualteilnehmern;9 4) die ironische Distanz von Ritualteilnehmern,10 was die Frage nach dem Verhältnis von äußerlichem Vollzug und innerer Akzeptanz stellt; 5) die Verweigerung der erwarteten Reaktion v.a. in dialogisch angelegten Ritualen;11 6) Entgleisungen durch emo­tionale Überreaktionen;12 7) die Usurpation oder der Missbrauch als die Störung von außen bzw. die „rituelle Lüge“ eines der Ritualteilnehmer;13 sowie 8) der demonstrative Ritualbruch, der „darauf zielt, die Institution, die das Ritual repräsentiert, grundsätzlich anzugreifen“.14 Stollberg-Rilinger leitet daraus ab: „Wird ein traditionelles Ritual ungestraft entweder ignoriert oder demonstrativ verletzt, dann wird vor aller Augen sichtbar, dass seine performative Kraft […] allein von der Anerkennung der Beteiligten abhängt und dass diese ihm auch entzogen werden kann.“15

1.5 Ritualkritik

Es ist bereits erwähnt worden, dass Ritualkritik einer der wesentlichsten Motoren für die (Weiter-)Entwicklung von Ritualen ist und auch einige der Fehler und Störungen innerhalb von Ritualen – von ironischer Distanz über Verweigerung bis hin zum offenen Ritualbruch – aus der Kritik am Ritual oder seiner Umsetzung entspringen können. Entgegen der landläufigen Meinung, Kritik und Ablehnung von Ritualen seien ein modernes Phänomen,1 lassen sich verschiedene Arten von Kritik und deren Auswirkungen bereits für die Antike belegen,2 was zu der These führt, dass mit jedem Ritual mindestens das Potential zur Ritualkritik gegeben ist.3

Hotz beschreibt in seinem einführenden Artikel drei zu unterscheidende Arten der Ritualkritik: 1) die „Skepsis und offene Kritik an der Wirksamkeit von Ritualen“4 allgemein, welche das Ziel hat, das bzw. die Rituale abzuschaffen; 2) die Kritik „gegen einzelne Elemente der rituellen Praxis, ohne dabei grundsätzlich die Wirksamkeit von Ritualen in Zweifel zu ziehen“,5 sondern auf die Reform des Rituals in dem kritisierten Ritualaspekt drängt;6 und 3) die Er­setzung oder Ergänzung der „als unzureichend empfunden rituellen Handlungen“ um „eine verinnerlichte und ethische Frömmigkeit“.7 Ob dies zur kompletten Abschaffung,8 Ersetzung9 oder möglicherweise zu einer besseren Bezugnahme und Integration von Ritual und innerer Haltung führt, hängt – wie bei sämtlichen Kritikformen – wesentlich davon ab, ob die Kritik als legitim wahrgenommen und aufgenommen wird oder ob von Anfang an Strategien vorhanden sind, mögliche Kritik zu vermeiden bzw. zu unterbinden.10

 

Der letzteren Art der Kritik ist die Äußerung des Paulus zuzuordnen, dass nicht der ein Jude sei, der es äußerlich ist, sondern derjenige, der es innerlich sei (Röm 2,28f). Die argumentative Struktur der paulinischen Tauftexte lässt vermuten, dass sie teilweise als Ritualkritik des Apostels am Tauf-, aber eben auch Beschneidungsverständnis der Adressaten oder bestimmter Gegner des Paulus zu verstehen sind. Da weder Beschneidung noch Taufe als Ritual an sich zur Diskussion stehen, dürfte es sich entweder um Kritik an Einzelaspekten, z.B. dem Bedeutungsumfang und der Wirkung des Rituals oder aber am Fehlen einer inneren Entsprechung im Lebensalltag handeln. Die Auseinandersetzung um Taufe und Beschneidung, aber auch die Selbstaussagen Johannes des Täufers über seine Taufe und diejenige dessen, der nach ihm kommen wird, sind Beispiele für die besondere Art der Ritualkritik über einen Ritualvergleich.

Am Ende dieser allgemeinen methodischen Einführung ist festzuhalten, dass der Untersuchungsgegenstand „Ritual“ ein komplexes und in der Forschung kontrovers diskutiertes Feld eröffnet. Dennoch konnten erste Kategorien und methodische Ansätze ausgemacht werden, mit Hilfe deren die christliche Taufe in ihrem Entstehungsstadium grundsätzlich einzuordnen und zu interretieren sein wird. Offen ist dabei bisher geblieben, welche Methodik dem Gegenstand und der Quellenlage am besten gerecht wird.

2 Die Methodik der Arbeit
2.0 Marginalisierung des Rituals in der Exegese?

Obwohl sich in den biblischen Texten vielerlei Rituale in ganz unterschiedlichen Kontexten ausmachen lassen, blieb die Anzahl der Studien zu Ritualen oder gar dezidierte ritologische Untersuchungen in der Exegese lange Zeit überschaubar. Gorman sieht die Ursache allgemein für die Theologie in einem von der Aufklärung geprägten Bild einer „reasonable and rational religion“,1 welches zu einer regelrechten Abwertung von Ritualen beigetragen habe. In der Exegese erschwere die historisch-kritische Methode ein ritologisches Arbeiten zusätzlich durch „its efforts to be objective and reasonable“2, „its focus on texts“3, „its basic understanding of the nature of historical analysis and historical thinking“.4

„Recognition of the distance between biblical texts and contemporary readers began to grow, and the ‚alien‘ nature of the texts, their ‚otherness,‘ was emphasized. It becomes common to separate the historical settings and cultural trappings of texts from their ‚true‘ meaning. The ‚meaning‘ of texts came to be located either ‚behind‘ or ‚above‘ them.“5 Gormans Meinung nach führe diese Suche nach “ewiger Wahrheit” zu einem Abtun von Ritualtexten, da diese als lokal, kulturell spezifisch und zeitgebunden keine universell gültigen Äußerungen von Religion wären und damit zur „Wahrheitssuche“ nichts beizutragen hätten.

Beiden ist insofern zuzustimmen, als dass mangelndes und fehlgehendes Wissen um die Vielfalt, Wirkmacht sowie möglichen Funktionen ritualisierten Handelns zur Zurückhaltung gegenüber ritualfokussierten Untersuchungen beigetragen haben. Andererseits scheint die schwierige Quellenlage, wie etwa das fast vollständige Fehlen von Ritualbeschreibungen im NT, mindestens in gleicher Weise Ursache zu sein. Die aus der Anthropologie und Ethnologie hervorgehenden Ritualwissenschaften bieten originär kaum Anhaltspunkte, wie dem methodisch in angemessener Weise zu begegnen ist. Dass wiederum die historisch-kritische Methodik einer angemessenen Ritualanalyse und -interpretation grundsätzlich entgegensteht, scheint ebenso fraglich.6

Seit einigen Jahrzehnten lässt sich, allerdings hauptsächlich in der alttestamentlichen Exegese, eine ganz neue Hinwendung zu rituellen Themen feststellen.7 Klingbeil macht dafür zwei allgemeine Tendenzen innerhalb der Exegese verantwortlich: 1) „There is a shift from text-oriented analysis to meaning-oriented interpretation.“8 2) Es gäbe kategoriale Neubewertungen von Ritualfunktionen, welche bis in die Exegese hineinwirken. Beispielhaft dafür wäre etwa die These Bells, dass Rituale keineswegs nur für politische und soziale Machtausübung instrumentalisiert würden, „rather, ritual practices are themselves the very production of power relations.“9

2.1 Rahmenbedingungen und Herausforderungen ritologischen Arbeitens im NT

Wenn auch die neutestamentlichen Schriften den detailreichen Kultanweisungen des Pentateuchs entsprechenden Ritualbeschreibungen ermangeln, so begegnen doch in den heilenden, segnenden und provozierenden Handlungen und Gesten Jesu oder den Beschreibungen und Problematisierungen von gottesdienstlichen und anderen Gemeindezusammenkünften in Apg und den Briefen eine erstaunliche Fülle an neu entwickelten oder auch lang tradierten, möglicherweise aktualisierten Ritualen und ritualisierten Handlungen. Neben diesen deskriptiven Texten finden sich solche, welche selbst rituelle Funktionen wahrnehmen, so zum Beispiel die Gruß- und Segenswünsche zu Beginn und Schluss der paulinischen Briefe – Texte, welche bisher kaum unter ritologischen Gesichtspunkten wahrgenommen wurden.

Der einzige methodische Entwurf zum ritologischen Arbeiten in der biblischen Exegese stammt nun aber dennoch von einem Alttestamentler: Gerald A. Klingbeil, Bridging the Gap. Ritual and Ritual Texts in the Bible. Entsprechend gehen die von ihm formulierten fünf Herausforderungen jeder biblisch begründeten Ritualuntersuchung zwar erkennbar von der besonderen Quellensituation der Hebräischen Bibel aus, sie sollen im Folgenden aber dennoch der Ausgangspunkt für die Überlegungen bezüglich der neutestamentlichen Tauftexte bilden, da sie den wohl profiliertesten Versuch zu diesem Thema darstellen:

1) „[…], biblical ritual must be studied nearly exclusively from texts.“1 Eine erste Kategorisierung dieser Texte könnte man mit Klingbeil in der Unterscheidung zwischen deskriptiven und preskriptiven Ritualtexten vornehmen,2 wobei sich allerdings die sechs Text-Ritual-Kategorien Streckers als wesentlich differenzierter erweisen.

Die Kategorien richten sich auf die jeweilige Art und Funktion des Rituals in einem Text und lauten: 1. Texte, die zur Ausführung eines Rituals anweisen; 2. Texte, die den Vollzug einer rituellen Handlung schildern bzw. konstatieren; 3. Texte, die sich mit der Bedeutung, Funktion oder rechten Durchführung rituellen Handelns auseinandersetzen; 4. Texte, die direkt rituellen Gebrauch entstammen; 5. Texte, die eine unmittelbare rituelle Funktion besitzen; 6. Texte, die synekdochisch mit einem Ritual vernetzt sind.3

Für die neutestamentlichen Tauftexte ist dabei weniger die Befürchtung einer teilweisen Fiktionalität von Relevanz, wie sie Klingbeil für viele alttestamentliche Ritualtexte konstatiert.4 Wohl aber ist zu erwarten, dass theologische Implikationen in die Darstellung eingeflossen sind. Die Vielfalt an Deutungsmotiven und Kontextualisierungen der Taufe allein in den paulinischen Texten kontrastiert diese allgemeine Annahme jedoch bereits insofern, als sie weniger eine unterschiedliche theologische Instrumentalisierung der Taufe als vielmehr eine Breite in Deutung und Funktion des Rituals vermuten lässt. Eine regelrecht tendenzielle Darstellung eines Rituals wird neutestamentlich lediglich für die Johannestaufe diskutiert.

2) „[…] most of the texts containing rituals are not easily dated, a fact that obviously has repercussions if one attempts the historical reconstruction of the Religion of Ancient Israel or early Christianity.“5 Während die Datierung der neutestamentlichen Tauftexte weniger ein Problem darstellt, insofern sie sich mindestens in eine wahrscheinliche relative Reihenfolge bringen lassen,6 enthält die Frage der sicheren zeitlichen Verortung des Proselytentauchbades durchaus eine Brisanz, welche sich in der Unterschiedlichkeit der daraus abgeleiteten Thesen in der Verhältnis- und ggf. Abhängigkeitsbestimmung zur christlichen Taufe widerspiegelt.

3) „[…] rituals in themselves are rather empty containers and need to be understood in their specific cultural, historical, and religious context, often requiring advanced studies and skills.“7 Um seine auf die Vorstellung hinauslaufende These „The actions that constitute a ritual do not have inherent meanings …“8 zu veranschaulichen, führt Klingbeil interessanterweise an dieser Stelle eines seiner wenigen neutestamentlichen Beispiele an: Bei dem (einen) Taufritual des NT würden erhebliche Bedeutungsunterschiede zwischen der Johannestaufe und der christlichen Taufe gemacht werden.9 Wenn seine These auch hauptsächlich auf die Warnung davor hinauszulaufen scheint, heutige Deutung in die antiken Texte einzutragen, so tritt die dahinterstehende Ritualdefinition von einer zunächst an sich „meaningless“ bzw. auch „mit Bedeutung frei zu füllenden“ Handlung deutlich hervor. Es ist bereits dargestellt worden, dass diese Auffassung keineswegs konsensfähig ist.10 Bezüglich der Taufe würde sie gegen jede symbolische Implikation des Taufvollzuges und damit auch gegen jede Erwartung einer Wirkung der Taufe sprechen, welche oft mit dem sensitiven Gedächtnis der Ritualteilnehmer in Verbindung gebracht wird. Diese hinge sodann allein an der vorherigen (!) Taufkatechese – eine Vorstellung, die modernen Ritualdefinitionen eher fremd ist und wofür m.E. in den neutestamentlichen Tauftexten auch nicht ausreichend Indizien vorhanden sind. Zu prüfen wäre vielmehr, ob die unterschiedlichen Deutungen des Taufaktes, sowohl der Johannestaufe als auch der christlichen Taufe, nicht eher auf eine (schrittweise) Veränderung bzw. Entwicklung im Taufverständnis zurückzuführen sind. Erkennt man Ritualabläufen in diesem Sinne ein Mindestmaß an inhärenter Bedeutung – neben und mit den je abhängigen Bedeutungszuschreibungen – zu, ist dies für die Interpretation der Weiterentwicklung der Johannestaufe zur christlichen Taufe zu bedenken, bei welcher der Ritualablauf trotz eines Wechsels von Ritualleiter, Zielgruppe und Funktion gleich bleibt.11

4) „[…] one has to deal with the often abbreviated nature of ritual in the Bible.“12 Klingbeil bringt dafür zwei mögliche Gründe vor: „Writing, for the professional ritual specialist, did not require all the minute details but rather focused on the larger picture. If a general audience was envisioned, it could be argued that this group also understood intuitively most basic elements […] or ritual building blocks.“13 Diese beiden Begründungen finden sich – neben der These über die allgemeine Nichtbedeutsamkeit des Ritualablaufes – gemeinhin auch für das Fehlen von Ablaufbeschreibungen für die Taufe im NT. Die folgende Untersuchung hat jedoch genau zu ergründen, ob die neutestamentlichen Tauftexte tatsächlich jeder Beschreibung eines Ritualablaufes ermangeln – v.a. angesichts der Entstehungssituation, in welche mindestens die paulinischen Texte noch zu rechnen sind und für welche im Gegensatz zu ausdifferenzierten alttestamentlichen Festritualen noch kein umfangreiches Gesamtritual mit vielfältigen Teilritualen zu erwarten ist. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die vielseitigen Deutungsmotive und Kontextualisierungen der Tauftexte nicht auch ein aussagekräftiger Hinweis bezüglich des Fokus dieser Texte sind: Strittig, mindestens diskutabel sind demnach nicht Details eines komplizierten, möglicherweise symbolischen Ritualablaufes, sondern die Funktionen und Deutungen der christlichen Taufe in ihren rituellen Relationen.

5) „[…] comparative material is generally helpful and beneficial […]“14 Der methodische Ansatz Klingbeils, den Herausforderungen zu begegnen, sieht eine vergleichende Arbeitsweise vor, bei welcher er schriftlichen Texten grundsätzlich den Vorzug vor anderen Quellen gibt und dabei sowohl „historical comparison“15 als auch „typological comparison“16 grundsätzlich für potentiell aussagekräftig hält. Mit Blick auf die Taufe wären demnach Wasser-Ritual(text)e im Allgemeinen und solche mit einem ähnlichen geographischen und zeitlichen Hintergrund im Besonderen vergleichend heranzuziehen und diesen jederzeit den Vorzug gegenüber sämtlichen sonstigen Quellen,17 aber auch modernen Ritualinterpretationsmodellen18 zu geben.19

In welcher Weise den gerade beschriebenen Herausforderungen und Rahmenbedingungen in dieser Arbeit methodisch begegnet werden soll, ist im Folgenden zu bedenken.