Verhaltensbiologie

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1.5 | Was müssen Verhaltensbiologen können?

Die Arbeit von Verhaltensbiologen ist äußerst vielfältig, weshalb die Anforderungen sehr unterschiedlich sind. Wer viel im Freiland arbeitet, benötigt ein gewisses Improvisationstalent, da technische Geräte manchmal ein «Eigenleben» führen und im Regenwald oder der Antarktis der Kundendienst oder die Hotline nicht funktionieren oder erreichbar sind. Im Gegensatz dazu sind bei der Laborarbeit andere Fähigkeiten und Fertigkeiten erforderlich, so z.B. Geduld und die Fähigkeit, ermüdende Tätigkeiten konzentriert und gewissenhaft durchzuführen. Generell haftet der Verhaltensbiologie – zumindest in der Bevölkerung – etwas romantisch Verklärtes an und es wird vergessen, dass Verhaltensbeobachtung auch das akribische Registrieren von Verhaltensweisen umfasst und manchmal endlose Stunden des langweiligen Wartens mit sich bringt, z.B. dann, wenn sich die zu untersuchende Schimpansenhorde tagelang nicht zeigen will. Hier hilft eine hohe Frustrationstoleranz weiter. Gute Kenntnisse der verschiedensten Tierarten sind von Vorteil und – weil die Datenanalysen oft einen gewichtigen Teil der Büroarbeit ausmachen – auch umfangreiche Statistikkenntnisse.

Weiterführende Literatur

Alcock J (2005): Animal Behaviour. An evolutionary Approach. Sinauer Associates, Sunderland, 579pp.

Breed MD, Moore J (2012): Animal Behaviour. Academic Press, Burlington, 475pp.

Kappeler, PM (2012): Verhaltensbiologie. 3. Aufl. Springer, Heidelberg, 641pp.

Online

www.bachelor-bio.de

www.master-bio.de


Methoden der Verhaltensbiologie | 2

Inhalt

2.1 Verhaltensbiologen testen Hypothesen

2.2 Forschungsansätze

2.3 Methodenrepertoire der Verhaltensbiologie

2.4 Integrative Funktion der Verhaltensbiologie

2.5 Probleme bei verhaltensbiologischen Studien

Die Verhaltensbiologie testet Hypothesen und verfügt über ein reichhaltiges Repertoire an Methoden der Datensammlung sowie der Analyse von Original- und Sekundärdaten. Bei Originaldaten handelt es sich um Messwerte, die ein Wissenschaftler selbst erhoben, gemessen oder beobachtet hat. Bei Sekundärdaten erfolgt eine (Re-)Analyse bereits veröffentlichter und/oder frei zugänglicher Daten. Verhaltensbiologen vergleichen sowohl Individuen einzelner Arten untereinander als auch verschiedene Arten miteinander. Hypothesen-geleitete Beobachtungen und Experimente stehen dabei im Vordergrund. Verhaltensbiologen arbeiten sowohl im Freiland als auch im Labor, oft sogar in Kombination, und benutzen vielerlei Methoden, von relativ simplen Beobachtungen mittels Fernglas bis hin zu automatischen Registrierungen und molekularen Analysen.

2.1 | Verhaltensbiologen testen Hypothesen

In der Verhaltensbiologie steht das Testen von Hypothesen im Vordergrund. Die wichtigsten Typen von Hypothesen in der Verhaltensbiologie sind:

• adaptive (ultimate) Hypothesen, die den Überlebenswert bestimmter Verhaltensweisen betreffen,

• kausale (proximate) Hypothesen, die sich mit Fragen beschäftigen, die das «Funktionieren» bzw. die Mechanismen bestimmter Verhaltensweisen betreffen,

• entwicklungsbiologische (ontogenetische) Fragen, bei denen es um die Entwicklung von Verhalten beim Individuum geht und

• phylogenetische Hypothesen, die sich mit dem Entstehen von Verhalten im evolutiven Zusammenhang beschäftigen.

Wissenschaftler formulieren Hypothesen so, dass sie widerlegt (falsifiziert) werden können. Sie tun dies deshalb, weil ein einziges Beispiel genügt, um eine Hypothese zu widerlegen, während man unendlich viele Belege benötigen würde, um Hypothesen zu bestätigen (verifizieren). Da Letzteres im Prinzip also gar nicht möglich ist, kann wissenschaftlicher Fortschritt besser auf dem Weg der Falsifikation als auf dem Weg der Verifikation erlangt werden. In der Praxis wird diesem Ansatz allerdings nicht in aller Strenge gefolgt; sprechen sehr viele Daten für eine Hypothese, so gilt sie als bestätigt, auch wenn es theoretisch noch immer möglich ist, dass ein weiteres Beispiel sie falsifiziert.

2.2 | Forschungsansätze

Forschungsmethodische Ansätze können konzeptuell, theoretisch oder empirisch sein (Dugatkin 2014). Konzeptuelle Ansätze entstehen, wenn verschiedene Aspekte, die bislang nicht miteinander in Verbindung gebracht wurden, miteinander verknüpft werden oder bislang schon Bekanntes «neu gedacht» wird (wie z.B. in der Soziobiologie; vgl. → Kap. 11). Theoretische Ansätze basieren hingegen in der Regel auf Modellierungen, statistischen Annahmen und (Gedanken-)Modellen (wie beim Thema optimale Nahrungssuche; vgl. → Kap. 5.2), während empirische Ansätze auf Beobachtungen und Experimenten beruhen. Oft beginnt die Forschung mit konzeptuellen und theoretischen Ansätzen, die in der Folge empirisch untersucht werden (deduktives Verfahren). Die empirischen Ansätze folgen meist einem induktiven Verfahren. Häufig steht an dessen Anfang die Beobachtung eines Verhaltens, welches die Forscherin verstehen will. Um dahin zu gelangen, formuliert sie Hypothesen, die sie in der Folge empirisch prüft und damit falsifiziert oder verifiziert (→ Kap. 2.1). Dieses Verfahren ist als Bottom-up-Strategie bekannt. Sie steht allerdings im Gegensatz zu dem, was die Wissenschaftstheorie als ideale Vorgehensweise postuliert. Gemäß der wissenschaftstheoretischen Doktrin sollte nämlich am Beginn eines Erkenntnisvorgangs stets eine Theorie stehen, aus der dann Hypothesen abgeleitet werden (Buss 2008). Der Kerngedanke dieser Top-down-Strategie ist es, dass es bei der Formulierung von Hypothesen sinnvoll ist, auf den bereits bestehenden Wissenskorpus der Forschung zurückzugreifen, und die Hypothesen zur Erklärung eines Verhaltens also aus dem Wissen herzuleiten, welches bereits als wissenschaftlich gesichert gilt. In der Praxis wird diesem Widerspruch in der Regel mit einem «sowohl als auch» begegnet; verhaltensbiologische Forschung setzt also sowohl auf die Bottom-up- als auch auf die Top-down-Strategie; dieses «sowohl als auch» wird auch das Interdependenz-Modell genannt (vgl. → Abb. 2-1).

| Abb. 2-1

Interdependenz-Modell (Wechselwirkungen). Der Bottom-up-Ansatz schließt aus Beobachtungen auf eine allgemeingültige Theorie, der Top-down-Ansatz dagegen geht von einer allgemeingültigen Theorie aus und untersucht dann ein einzelnes Merkmal/Verhalten bzw. versucht, dieses durch eine Hypothese vorherzusagen. (Neu gezeichnet nach Voland 2013.)


2.3 | Methodenrepertoire der Verhaltensbiologie

Die Verhaltensbiologie verfügt über ein reichhaltiges Repertoire an Methoden, das in unterschiedliche Kategorien eingeteilt werden kann. An erster Stelle steht die Unterscheidung zwischen Originaldaten und Sekundärdaten. Bei Originaldaten handelt es sich um Daten, die der Wissenschaftler selbst erhoben, gemessen oder beobachtet hat. Sie werden durch Beobachtungen oder durch Experimente gewonnen. Bei Sekundärdaten erfolgt eine (Re-)Analyse bereits veröffentlichter und/oder frei zugänglicher Daten.

2.3.1 | Beobachtungen

Bei Beobachtungen wird das Verhalten von Tieren beschrieben und analysiert. Aus diesen Beschreibungen werden dann Schlussfolgerungen gezogen, wie z.B. Erklärungen und Vorhersagen. Ein Beispiel: Beobachtet man, dass Amseln (Turdus merula) flüchten, sobald sich ihnen eine Hauskatze (Felis catus) nähert, so kann man die Fluchtdistanz von Amseln ermitteln, in dem man bei zahlreichen «Amsel-flieht-vor-Katze»-Beobachtungen misst, wie nahe die Amsel die Katze herankommen lässt, bevor sie davonfliegt. Die anschließend ermittelte durchschnittliche Distanz – die Fluchtdistanz – erlaubt dann Voraussagen über künftiges Verhalten von Amseln. In anderen Worten: Sie erlaubt die Prognose, dass eine Amsel davonfliegen wird, falls sich ihr eine Katze auf eine bestimmte Distanz nähert (Wenn-Dann-Logik). Beobachtungen dieser Art sind fast immer beschreibend. Sie können zwar hilfreich sein, um erste Anhaltspunkte zur Erklärung von Verhalten zu generieren, sind aber oft sehr allgemein und bringen nur beschränkte Erkenntnis.

Verhaltensbiologen testen solche, auf Beobachtung basierende Hypothesen auf verschiedene Weisen (verändert nach Dawkins 2007):

• Vergleiche von Individuen innerhalb einer Art (Variation zwischen Individuen): Dabei werden verschiedene Individuen beobachtet, um zu einer Schlussfolgerung zu gelangen; man würde also jeweils verschiedene Amseln beim Zusammentreffen mit einer Katze beobachten, um zu sehen, ob die Amsel ab einer bestimmten Distanz immer vor der Katze flieht oder nicht. Man kann davon ausgehen, dass zwischen den Individuen Unterschiede in der Fluchtdistanz bestehen, dass also nicht alle Amseln bei der exakt gleichen Entfernung flüchten.

 

• Vergleiche desselben Individuums in verschiedenen Kontexten: Hierbei werden dieselben Individuen betrachtet, aber in verschiedenen Situationen, um herauszufinden, welchen Einfluss diese haben. Bei derselben Amsel wird also einmal die Fluchtdistanz beobachtet, wenn sie Junge zu versorgen hat, und ein weiteres Mal, wenn diese ausgeflogen sind. So kann man den Einfluss der Jungenaufzucht auf die Fluchtdistanz untersuchen.

• Vergleiche zwischen verschiedenen Arten: Hier werden z.B. verschiedene Vogelarten beobachtet und ihre Reaktion auf Katzen protokolliert, um zu vergleichen, ob baumbewohnende Vogelarten anders auf die Anwesenheit einer Katze reagieren als bodenbewohnende.

Abb. 2-2 | A) Katze (Felis catus), B) Amsel (Turdus merula). Fotos: C. Randler.


| Abb. 2-3

Häufigkeit verschiedener Tiergruppen und Methoden in der Verhaltensbiologie. (Neu gezeichnet nach Owens 2006.)


Lässt sich weiter feststellen, dass Amseln bei einer Katze eine größere Fluchtdistanz haben als bei einem Menschen, so kann aus den Beobachtungen selbst keine Erklärung für dieses Verhalten hergeleitet werden; es bleibt bei der rein deskriptiven Feststellung, dass sich die Amsel so verhält, wie sie es nach den Beobachtungen eben tut. Man könnte aber vermuten, dass Menschen für die Amsel weniger bedrohlich sind. Eine weitere Schwierigkeit von Beobachtungen besteht darin, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die unterschiedliche Fluchtdistanz bei Katzen und Menschen gar nichts mit dem Typus eines Prädators zu tun hat, sondern die Ursache eine andere ist – beispielsweise, dass Katzen auf die Amsel bedrohlicher wirken als Menschen, weil sie sich anders bewegen (z.B. anschleichen).

Weil solche unbekannten Variablen also stets einen Einfluss haben können, muss bei Beobachtungen klar getrennt werden zwischen Datenauswertung und Interpretation. In unserem Beispiel könnte man also aussagen, dass Amseln vor Katzen früher fliehen als vor Menschen. Dies wäre die korrekte Darstellung. Eine Interpretation wäre dann, dass dies an der unterschiedlichen Gefährdungssituation liegt. Solche Interpretationen sind zulässig, dürfen jedoch nicht mit der reinen Sachaussage vermengt werden. Um die Hypothesen genauer zu untersuchen, könnte man schauen, ob Amseln im Wald eine andere Fluchtdistanz gegenüber Menschen haben als Amseln in der Stadt, und wiederum vermuten, dass ein solcher Unterschied an der Gewöhnung an den Menschen liegt (Habituation, → Kap. 9.1). Man könnte aber genauso gut vermuten, dass im Wald generell ängstlichere Amseln leben und nur die «mutigeren» es geschafft haben, in der Stadt zu leben. Es gibt also stets viele verschiedene Variablen, die bei einer Beobachtung nicht erfasst und kontrolliert werden können. Ungeachtet vieler moderner Methoden und Arbeitsweisen werden in der Verhaltensbiologie vornehmlich Beobachtungen eingesetzt (Owens 2006, → Abb. 2-3).

2.3.2 | Erkenntnisgewinn durch Experimente

Experimente gelten als der Königsweg der naturwissenschaftlichen Forschung, da die Hypothesen, die in Experimenten getestet werden, von den Forschern direkt aus der Theorie (oder aus der Literatur) entwickeln werden. Die Hypothesen werden in einer kontrollierten Umgebung getestet und dabei meist in einer, seltener auch in zwei oder mehreren Faktoren systematisch variieren. In unserem Amsel-Katzen-Beispiel würde man also versuchen, alle Aspekte möglichst gleich zu halten und nur eine Variable – den Prädator – zu ändern. Das beobachtete Verhalten der Amsel (d. h. deren Fluchtdistanz) wird dabei beobachtet und protokolliert. In einem zweiten Experiment (an einem anderen Tag) würde man dann einen Menschen in den Lebensraum der Amsel einbringen und wiederum ihr Verhalten protokollieren. Aus den durch diese beiden Experimente gewonnenen Daten könnte dann die Hypothese getestet werden, dass Amseln vor einem Menschen später fliehen als vor einer Katze. Da dieses Beispiel von einem Freilandexperiment ausgeht, gibt es viele weitere Faktoren, die nicht experimentell konstant gehalten werden können, wie z.B. das Wetter oder andere Kontextfaktoren (wie den Ernährungszustand der Amsel). Deswegen werden Experimente oft im Labor durchgeführt, sodass möglichst viele (am besten alle) Bedingungen konstant gehalten werden können. Unser Experiment muss man auch bei verschiedenen Amselindividuen durchführen (Replikation), damit man eine allgemeine Aussage treffen kann. Führt man es nur bei einer Amsel druch, so kann man lediglich zur Aussage kommen, dass diese spezifische Amsel ein bestimmtes Fluchtverhalten zeigt. Wird das Experiment hingegen bei einer größeren Stichprobe (z.B. 10 oder mehr Amseln) durchgeführt, und zeigen alle Amseln ein ähnliches Verhalten, so kann man das Ergebnis generalisieren (verallgemeinern). Auf diese Weise kann das Experiment kausal betrachtet werden, d.h. die Ursache für eine bestimmte Wirkung (in unserem Beispiel die Flucht der Amsel) kann identifiziert werden.

| Tab. 2-1 Vergleich zwischen experimentellen und beobachtenden Studien.


Beobachtung Experiment
Ursache/Wirkung nur korrelativ kausal
Natürliches Verhalten weitgehend ungestörtes natürliches Verhalten Tiere unter Labor- bzw. experimentellen Bedingungen
Kosten gering für Laborexperimente z.T. hoch (Pflege und Haltung)
Zeit je nach Tierart können Beobachtungen oder Experimente zeitaufwändiger sein
Stichprobe oft größere Stichprobe nötig geringere Stichprobe bei klarer Experimentplanung möglich
Kontrollvariablen möglichst umfassend beachten weniger wichtig, oft hilfreich
Ort meist Freiland Labor und Freiland

Oft wird das Experiment als «höherwertig» als andere Untersuchungsmethoden betrachtet, da mit Experimenten – anders als bei Beobachtungen – Kausalitäten überprüft werden können. Soweit Experimente gut durchgeführt werden, sind sie tatsächlich besser geeignet, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Allerdings können bei Experimenten auch Probleme auftreten. Geht man beispielsweise von einer Stichprobe von 10 Amseln aus, so muss der Hälfte der Amseln zuerst eine Katze präsentiert werden, den anderen fünf hingegen zuerst ein Mensch, um Reihenfolgeneffekte oder Habituation (→ Kap. 9) auszuschließen sowie um festzustellen, ob die Amsel immer bei der ersten Begegnung früher flieht, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine Katze oder um einen Menschen handelt. Des Weiteren müssen verschiedene Katzen (z.B. mit einer unterschiedlichen Fellfarbe) und verschiedene Menschen in diesem Experiment teilnehmen, um Pseudo-Replikation zu vermeiden (→ Kap. 2.5). Schließlich kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass beispielsweise schwarze Katzen ein anderes Verhalten zeigen als graue (weil z.B. das Gen für die Fellfärbung mit dem Gen für Aggression gemeinsam vererbt wird). Diese Vorbehalte zeigen, dass es sehr schwierig ist. Bei der Planung von Experimenten kommt es also sehr darauf an, genau denjenigen Faktor zu identifizieren und zu variieren, der überprüft werden soll. Dazu sind vorab alle möglichen Fehlerquellen sorgfältig zu durchdenken.

Merksatz

Ein Experiment bezeichnet die Isolation und systematische Variation von Variablen.

Abb. 2-4 | Hausmaus (Mus musculus) bei einem Open-Field-Test und mit einer Wand. Beobachtet man lediglich das Wandkontaktverhalten, handelt es sichnoch nicht um ein Experiment. Vergleicht man das Verhalten, wenn die Wand entfernt wird, so haben wir es hingegen mit einem Experiment zu tun, weil nun die Variable Wand systematisch variiert wird. Fotos: C. Randler.


Arbeitsorte in der Verhaltensbiologie

Verhaltensbiologische Studien können sowohl im Labor als auch im Freiland durchgeführt werden. Im Labor herrschen kontrollierte Bedingungen, die leichter variiert werden können, weshalb Experimente im Labor leichter möglich sind. Beispielsweise kann man Tieren im Labor durch Beleuchtung vortäuschen, dass bereits die Sonne aufgeht, obwohl es noch Nacht ist. Eine solche Studie ist im Freiland nur unter erschwerten Bedingungen machbar, wenn nicht gar unmöglich. Viele Messapparaturen sind nur im Labor und nicht im Freiland einsetzbar. Allerdings können Laborstudien nicht immer direkt auf die Freilandsituation übertragen werden. Im Freiland kommen viele Störvariablen hinzu, die sich kaum kontrollieren, bestens aber wenigstens zum Teil erfassen und quantifizieren lassen. Zu diesen Störvariablen gehört, dass Tiere sich im Freiland verstecken können, dass man nichts über die Vorerfahrungen (z.B. Lernprozesse) der beobachteten Tiere weiß und nichts über ihren inneren Zustand (z.B. Hunger). Allerdings zeigen Tiere im Freiland ihr natürliches Verhalten, was ein Vorteil gegenüber Laborversuchen ist. Des Weiteren gibt es Arten, die sich im Labor nicht halten lassen (z.B. einige große Huftiere). Meist sind die Forschungsorte gekoppelt an die Unterscheidung experimentell/observational, da im Labor eher Experimente, im Freiland eher Beobachtungen durchgeführt werden. Dennoch gibt es auch observationale Laborstudien. Wird beispielsweise eine Hausmaus (Mus musculus) im Labor in einen Kasten gesetzt und beobachtet, ob sie sich eher an der Wand oder in der Mitte aufhält, ist dies zunächst einmal eine observationale Vorgehensweise. Erst wenn eine Variable systematisch variiert, z.B. die Wand eingesetzt, verändert oder entfernt wird, entspricht dies einem experimentellen Design (→ Abb. 2-4).

Im Labor kann man relativ einfach mit domestizierten Tieren arbeiten, aber auch manche Wildtierarten können kurzzeitig in ein Labor verfrachtet werden. Bei der Vogelzugforschung werden beispielsweise wildlebende, während des Vogelzuges gefangene Vögel für ein oder zwei Nächte in einen Registrierungskäfig gesetzt und ihr Verhalten erfasst (Fusani et al. 2009). Danach werden sie wieder freigelassen. Auf diese Weise konnte festgestellt werden, dass Zugvögel mit einer guten Körperkondition mehr nächtliche Zugunruhe zeigten als solche mit einer schlechteren Kondition (Eikenaar & Schläfke 2013). Man kann auf diese Weise auch herausfinden, in welche Richtung die Zugvögel ziehen würden.

Box 2.1

Die Vielfalt der Erkennungs- und Markierungsmöglichkeiten

| Abb. 2-5

Markierungsmethoden und Überwachungstechniken. A) Höckerschwan (Cygnus olor) mit Halsmarkierung, B) Graugans (Anser anser) mit Farbfußring, C) Kleine Zangenlibelle (Onychogomphus forcipatus) mit Flügelmarkierung, D) Reh (Capreolous capreolous), durch eine Kamerafalle überwacht, E) Afrikanischer Elefant (Loxodonta africana) mit individueller Erkennung anhand der Stoßzahnde-formation, F) Afrikanischer Elefant mit GPS-Halskrause. Fotos: C. Randler.

 

Stehen keine natürlichen Kennzeichen wie individuelle Unterschiede in der Fellfärbung oder im Gefieder zur Verfügung, muss man zu Markierungen wie Vogelringen (Aluminium, Farbringe), Ohrmarken, Flügelmarken, Halsringen und Farbmarkierungen greifen. Kurzfristige Markierungen sind beispielsweise bei Wirbellosen auch mit einem wasserfesten Farbstift möglich (Libellenflügel).

Wichtig ist, dass die Markierungen das Verhalten der Tiere nicht verändern und möglichst über die gesamte Untersuchungsdauer sichtbar bleiben. Es gibt eine Reihe von Studien, die belegen, dass z.B. die Markierung mit Metallringen keinen Einfluss auf das Verhalten und das Überleben haben, während andere zeigen, dass beispielsweise Flügelmarkierungen bei Königspinguinen (Aptenodytes patagonicus) die Überlebensrate von Jungtieren und den Bruterfolg der adulten Tiere senken (Gauthier-Clerc et al. 2004). Kleinere Transponder oder RFID-Chips können über verschiedene Empfangsstationen abgelesen werden und ermöglichen so eine automatische Registrierung der Individuen. Für die meisten Markierungen muss eine Genehmigung der zuständigen Behörden eingeholt werden. Technische Hilfsmittel erlauben es uns, das Verhalten der Tiere relativ unbeeinflusst zu beobachten, oder ermöglichen es, Tiere bei Nacht oder in dunklen Bauen mit Filmtechnik zu beobachten.

Bei allen Laborexperimenten sind grundsätzlich die Tierschutzbestimmungen zu beachten und bei Studien, bei denen Wildtiere der Natur entnommen und kurzfristig ins Labor verbracht werden, zusätzlich die Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes bzw. eine spezielle Ausnahmegenehmigung zu beantragen (vgl. auch die «Ethics in Research» der Association for the Study of Animal Behaviour; ASAB/ABS 2006). Generell gilt bei Labortieren die Regel: «Reduction, Replacement, Refinement»: Es sollen möglichst wenige Experimente mit möglichst wenigen Tieren durchgeführt werden, d.h., die verwendeten Methoden sollen so verfeinert und die Forschungsfragen so präzisiert werden, dass möglichst wenige Tiere an den Experimenten teilnehmen müssen. Statistische Power-Tests helfen, die erforderliche Stichprobengröße bereits im Vorfeld abzuschätzen.

Tab. 2-2 | Überblick über die Methoden der Verhaltensbiologie.


Originaldaten Sekundärdaten
Beobachtung: kein Eingriff in die Natur komparative/phylogenetische Analyse: jede Art ergibt einen Datenpunkt und wird in Bezug zu verschiedenen Variablen gesetzt
Quasi-Experiment: experimenteller Eingriff, aber keine Kontrolle aller Variablen Review: «narrativ» und z.T. etwas subjektiv, neuerdings klare Vorgaben für die Durchführung systematischer Reviews; Datenpunkte sind die jeweiligen Studien, daher kann eine Art mehrfach zum Ergebnis beitragen
Experiment: Variablen werden isoliert und variiert (strenge Kontrolle der Variablen) Meta-Analyse: klare Regeln für die Literatursuche; Systematische Datenanalyse; Basis der Daten ist die jeweilige Studie; eine Art kann mehrfach zum Ergebnis beitragen