Personalentwicklung im Bereich Seelsorgepersonal

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3.1.6 Leitkonzepte im Wandel: Von der Defizit- zur Potenzialorientierung





Betrachtet man die aufeinander folgenden Konzepte der Personalarbeit im Überblick, ergibt sich eine dreifache Erweiterung des Blickes: Von einer Orientierung an Defiziten (Was fehlt den Mitarbeitern) und einem Konzept der Anpassung durch Vermittlung von Know-how geht der Blick zur Potenzialorientierung. Nicht mehr zweckorientiertes „Zurüsten“ und „Nachbessern“ stehen im Vordergrund, sondern „Know-how-to-know“ als Gestaltungsprinzip. Potenzialorientierung will die Kompetenzen der Mitarbeiter, ihr Wissen und ihre Potenziale nutzen, statt wie in herkömmlichen Schulungsprozessen einen Großteil des Wissens „auf Halde“ und „ins Leere“ zu produzieren. Potenzialorientierung in der Personalentwicklung kann darüber hinaus aber auch bedeuten, Kompetenzen beim Personal auch ohne Vorliegen konkreter und zeitnaher Stellenanforderungen zu fördern, als eine Art Vorleistung oder Investition in die Problem- und Lernfähigkeit einer Organisation.



Menschen leben aus der Kraft ihrer Ressourcen, nicht von ihren Defiziten.

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 Obwohl die Reflexion von Defiziten selten interessant und weiterführend ist, hat es sich auch in der Pastoral eingebürgert, den Defiziten eine ungebührliche Aufmerksamkeit zu widmen. Christoph Jacobs lenkt den Blick auf die Salutogenese: „Seelsorger und Seelsorgerinnen brauchen eine stetige und gelassene Vergewisserung der heilsamen Ressourcen, die von Gott zum Aufbau der Kirche geschenkt werden. Die Bezugnahme auf die Potenziale stellt eine geistliche und psychologisch folgenträchtige Entscheidung dar. Sie ist eine Wahl. Die Ressourcenperspektive steuert die Aufmerksamkeit, die Blickrichtung, die Dynamik der Analyse und die Erneuerung des pastoralen Handelns.“

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Statt einer simultanen Personalentwicklung, die versucht, für den Arbeitsmarkt adäquat ausgebildetes Personal zeitnah bereitzuhalten, steht heute der antizipierende Aspekt von Personalentwicklung im Vordergrund. Personalentwicklung hat weniger eine konsekutive und reaktive Ausrichtung; Ziel ist es, Personal auf Zukunft hin zu befähigen, in komplexen Alltagssituationen Problemlösungen selbstständig zu planen und durchzuführen. In Zeiten rasanten Wandels greift eine reaktive „Know-how-Anpassung“ durch Erlernen entsprechender Fähigkeiten nicht mehr. Im Vordergrund steht die Frage nach den „weichen Faktoren“ wie Kreativität, Sozial- und Persönlichkeitskompetenz, Flexibilität und die Fähigkeit, eigenständige Lern- und Entwicklungsprozesse zu organisieren. Personalentwicklung steht nicht im Dienst der Anpassung, ist keine Strategie zur Personalbedarfsdeckung. Personalarbeit wird zum Baustein von Veränderungsgestaltung. Die Grenzziehung zwischen zweck- und verwendungsorientiertem Lernen in Betrieben einerseits und Bildung und Persönlichkeitsentwicklung in außerbetrieblichen Bereichen andererseits ist heute nicht mehr möglich. Die klassische Personalentwicklung hat sich in hohem Maße zur Persönlichkeitsentwicklung gewandelt.



Vom Ansatz des Lehrens und Führens geht die Entwicklung hin zur Moderation betrieblicher Selbstorganisation. Nicht mehr der „Vor-Gesetzte“ ist Leitbild von Führung, sondern der Lenker und Moderator von Lern- und Veränderungsprozessen. Lösungsvorgaben sind weniger gefragt; Führung bedeutet, „die Eigenkräfte und Ressourcen, die Eigeninitiative, Selbstgestaltungs- und Selbstregulierungsfähigkeit der Organisation, ihrer Subsysteme (Arbeitseinheiten) und Elemente (Mitarbeiter) zu erkennen und zu entwickeln, zu mobilisieren und auf die Erfüllung der gemeinsamen Aufgaben hin auszurichten.“

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 Betriebliche Selbstorganisation bedeutet auch zunehmende Dezentralisation der Personalentwicklungsfunktionen. Weder Personalleitung noch Fortbildungsabteilungen können Kriterien und Wege der Wissensvermittlung und Kompetenzaneignung vorgeben. Die Leitungspersonen vor Ort sind darauf vorzubereiten, dass Lernen und Kompetenzmanagement in den kleinsten Organisationseinheiten für alle Mitarbeiter gewährleistet werden.



Zusammenfassend lässt sich der Wandel im Selbstverständnis von Personalarbeit skizzieren als Weg von der verwaltenden Personalarbeit der fünfziger Jahre über die betreuende Personalarbeit zur Personalentwicklung bis hin zum Verständnis von Personalarbeit als unternehmerische Gestaltung.








3.1.7 Von der mechanistischen zur humanistischen Konzeption





Organisationstheorien beinhalten Annahmen über Werte und Einstellungen der Mitglieder zur Organisation. Verschiedene Entwürfe von Personalentwicklung lassen sich nach Zink K. J. auf im Wesentlichen zwei – von McGregor bereits in den sechziger Jahren zusammengestellte – unterschiedliche Grundannahmen über den Menschen zurückführen, die als „Theorie X“ und „Theorie Y“ bezeichnet werden.

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Unterschiedliche Annahmen über Bedürfnis- und Motivationsstruktur des Menschen determinieren auch unterschiedliche Management- und Organisationsstrukturen. Das Menschenbild und die daraus resultierende Unternehmenskultur prägen auch Inhalte und Didaktik einzelner Weiterbildungsmodule, bestimmen Lehr- und Lernvorgänge und beeinflussen das Bildungsmanagement einer Organisation.



Die Grundeinstellung einer Führungskraft zieht entsprechendes Führungsverhalten nach sich und jedes Verhalten einer Führungskraft ruft entsprechende Reaktionen beim Mitarbeiter hervor. Reaktionen der Mitarbeiter bestätigen wiederum die Einstellung der Führungskraft. Diese Grundannahmen über den Mitarbeiter müssen auch Raster für die „Gewissenserforschung“ Personalverantwortlicher sein. Im Anschluss an die „Gewissenserforschung“ und Reflexion könnte sich vor allem der gute Vorsatz anschließen, sich um ein Y-theoretisches Verhalten zu bemühen. Über eine Änderung des Verhaltens und das Registrieren der Auswirkungen kann sich auch die Einstellung verändern.



Auf strukturell organisatorischer Ebene müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine Y-theoretische Einstellung fördern. Im Laufe der Berufsjahre muss sich jeder Personalverantwortliche die Frage stellen, ob sich seine Grundeinstellungen verändert, in Richtung Theorie X verhärtet haben und ob die eigene Menschenliebe und Visionen noch stark genug sind. Ein im Laufe der Berufsbiographie zunehmendes negatives Menschenbild, Misstrauen und pessimistische Einstellung gegenüber Mitarbeitenden könnte bei Personalverantwortlichen Ursache sein für Überlastungsgefühle und Erschöpfung (Burn-out).








3.2 Strategische Personalentwicklung – Kennzeichen einer Organisation mit hohem Reifegrad





In Abgrenzung zu einem kurativ-administrativen Verständnis der Personalverwaltung ist Personalentwicklung heute strategisch ausgerichtet. Strategische Personalentwicklung korrespondiert mit einem hohen Reifungsgrad einer Organisation. Im Unterschied zu auf die Person zugeschnittenen, gelegentlichen oder zufälligen Fortbildungsmaßnahmen oder individuellen Unterstützungsangeboten meint strategisches Vorgehen ein proaktives und antizipierendes Aufnehmen gegenwärtiger und zukünftiger Veränderungen. Strategische Personalentwicklung ist mehr als die planlose Zusammenfassung einzelner Maßnahmen zur Förderung von Mitarbeitern. Einzelmaßnahmen werden vernetzt im personenbezogenen Interesse einer möglichst hohen Arbeitszufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter. Zum anderen geht es um die Belange der Organisation im Hinblick auf eine erfolgreiche Personalbesetzung aktueller und zukünftiger Positionen. Strategische Personalentwicklung ist immer auch integrierte Personalentwicklung. Das bedeutet, dass Organisationsstrukturen und Arbeitsbedingungen auf allen Ebenen zu den zugrunde liegenden Inhalten und Visionen passen. Integriert ist dabei eine Personalentwicklung, welche „aus einem Guss“ ist. Die Vorstellungen und Erwartungen, die man bezüglich der Kompetenzen der Mitarbeiter vertritt, müssen in den Inhalten der Ausbildung und Weiterbildung vorkommen, in der Führungsebene vorgelebt und in betrieblichen Kommunikationsstrukturen wieder erkennbar sein. Eine Unternehmensleitung muss Auskunft geben können, welche Mitarbeiter für welche Bereiche sie gewinnen möchte. Indem eine Organisation beginnt, über diese Frage systematisch nachzudenken, versteht sie Personalentwicklung strategisch. Am Beginn jeder Strategie steht die Klärung dessen, um was es geht.



Strategische Personalentwicklung beinhaltet Strategieentwicklung durch Analyse von Ist-Zuständen, wie z.B. Rahmen- und Umweltbedingungen, aber auch Analyse der internen Situation einer Organisation. Veränderungen z.B. in den Lebenswelten von Menschen haben Einfluss auf Inhalte und Methoden der Aus- und Weiterbildung. Umgekehrt verpflichtet sich eine strategische Personalentwicklung, ihre eigenen Maßnahmen nach den Prinzipien der Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit effektiv zu koordinieren.



Eine Strategieformulierung klärt die Vision und Grundsätze eines Unternehmens, um daraus Handlungsleitlinien festzulegen. Im Handlungsleitbild einer strategisch ausgerichteten Personalentwicklung geht es um einen Paradigmenwechsel und nicht einen Austausch von Begriffen oder darum, eine unverändert fortdauernde Praxis theoretisch neu zu verkleiden. Schließlich hat sich strategische Personalentwicklung auch zu befassen mit der Umsetzungsstrategie: Einführung von Aktionsplänen und Reformen, Bereitstellung von organisatorischen, personellen und technischen Rahmenbedingungen. Konkrete Umsetzungsschritte, wie z.B. die flächendeckende Einführung des Mitarbeiterjahresgespräches, müssen nachvollziehbar und kontrollierbar sein. Strategisches Controlling analysiert die Ist-Soll-Abweichungen und prüft, warum Projektziele nicht erreicht wurden.

 








3.3 Instrumente einer strategisch ausgerichteten Personalentwicklung





Der Begriff der Personalentwicklung umfasst sowohl Konzepte wie Instrumente und Bildungsmaßnahmen zur Steuerung und Förderung der personellen Ressourcen von Organisationen. Im Folgenden werden die Instrumente vorgestellt, die im Kontext einer strategischen Personalentwicklung von Seelsorgepersonal besondere Bedeutung haben.



Der Bereich der

Ausbildung und Berufseinführung

 ist der erste wichtige Maßnahmenbereich der Personalentwicklung. Dabei geht es sowohl um die betriebliche oder überbetriebliche Ausbildung (Studium und Studienbegleitung) als auch um die Konzeption und Durchführung der Einarbeitungsphase. Diese Bereiche der Personalentwicklung werden bei akademischen Berufen durch überbetriebliche Ausbildungsakademien, Studienseminare oder betriebliche Ausbildungsinstitute u. ä. abgedeckt.



Die

Personalbedarfsplanung

 ist eine Voraussetzung für professionelle Personalentwicklung. „Der Personalbedarf wird durch die nach Zahl und Qualifikation erforderliche Menge von Mitarbeitern bestimmt, die zur Erfüllung der Aufgaben in einer Organisation oder in einzelnen Unternehmensteilen auf Dauer oder zeitlich befristet notwendig sind. Es geht bei der Personalbedarfsanalyse folglich also darum, den zukünftigen Personal

bedarf

 dem zukünftigen Personal

bestand

 gegenüberzustellen, um somit eine zu erwartende Über- oder Unterdeckung oder auch Qualifikationsbedarf feststellen zu können.“

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Aus den Resultaten der Personalbedarfsanalyse können dann die notwendigen Maßnahmen abgeleitet werden, z.B. die Beschaffung von weiterem Personal oder die Reduzierung bzw. Qualifikation von vorhandenem Personal. Eine strategische Personalplanung geht über die Ebene der operativen Personalplanung (mitarbeiter- und stellenorientiert) hinaus und nimmt den Personalbestand des ganzen Unternehmens in den Blick. „Vielfach ist auch heute noch eine sich an den akuten Engpässen orientierende Vorgehensweise anzutreffen, bei der immer nur die Planungsfelder bearbeitet werden, bei denen sich gerade ein Handlungsdruck bemerkbar macht, z.B. weil Probleme auftreten.“

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Parallel zur Personalbedarfserhebung ist

Personalmarketing

 ein Teilbereich von Personalentwicklung. „Um als Arbeitgeber (Anbieter von Arbeitsplätzen) ausgesucht zu werden, muss es für potenzielle Mitarbeiter (Arbeitsplatzsuchende) attraktiv erscheinen. Dazu muss das Unternehmen selbst aktiv werden. Auf das Produkt ‚Arbeitsplatz‘ bezogen muss es mittels (Arbeits-)Marktforschungen die Bedürfnisse des potenziellen und vorhandenen Mitarbeiters analysieren. Durch gezielte Werbemaßnahmen, die das Unternehmen und damit den Arbeitsplatz attraktiv erscheinen lassen, sollen potenzielle Mitarbeiter für das Unternehmen gewonnen und bestehende Mitarbeiter zum Verbleib im Unternehmen veranlasst werden, um als entwicklungsfähiges Potenzial zur Verfügung zu stehen.“

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In Arbeitsfeldern, in denen ein Bündel hoher personaler, sozialer und fachlicher Kompetenz gefragt ist, muss der Arbeitgeber, auch in Zeiten knapper Ressourcen und Stellenabbaus, das Anliegen haben, psychisch gesunde, gut qualifizierte, hoch motivierte und zu lebenslangem Lernen bereite Mitarbeiter zu gewinnen und dauerhaft zu halten, damit erworbene Kompetenz erhalten bleibt und die betrieblichen Investitionen in die Personalentwicklung dem Unternehmen zugutekommen. In dem Maße, wie ein Unternehmen sich als attraktiver und zuverlässiger Arbeitgeber präsentiert, ist es möglich, die besten jungen Mitarbeiter zu halten und nicht die kompetentesten Auszubildenden und flexibelsten Mitarbeiter an andere Arbeitgeber zu verlieren.

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 Professionelle und transparente

Personalauswahl

 gehört zu einer erfolgreichen Unternehmensführung, um externe Stellenbewerber nach ihrer Kompetenz und Lernbereitschaft auswählen und interne Bewerbungen sachgerecht und menschlich fair abwickeln zu können.

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Laufbahnplanung

 als zentrales Instrument der Personalentwicklung ist Voraussetzung für die Planung individueller Weiterbildung des einzelnen Mitarbeiters und für das Bildungskonzept einer Gesamtorganisation. Es geht bei Laufbahnplanung nicht um die jährlichen Mitarbeitergespräche mit dem direkten Dienstvorgesetzten, sondern um übergeordnete Personalgespräche, in welchen eine Planung des individuellen beruflichen Werdegangs in Abstimmung mit den Entwicklungen des Gesamtunternehmens erarbeitet wird. Entwicklungspläne orientieren sich am Wunsch nach individueller beruflicher Veränderung des Einzelnen, aber auch am zukünftigen Bedarf des Gesamtunternehmens. Es geht um die gezielte Planung und Vorbereitung der Übernahme spezieller Verantwortlichkeiten oder neuer Fachbereiche in naher oder ferner Zukunft. Daran ausgerichtet können entsprechende Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung strategisch geplant werden. Bereits vorhandene Kompetenzen gilt es festzustellen und den Erwerb zukünftiger Kompetenzen in einem individuell angepassten Modus der Weiterbildung (z.B. am Arbeitsplatz, berufsbegleitend oder in Freistellung) zu vereinbaren. Als Kurzdefinition gilt: Es geht darum, die richtige Person auf die richtige Stelle zu bringen. Dies ist Steuerungsaufgabe von Personalverantwortlichen, in deren Auftrag Personalentwicklung geleistet wird.








3.4 Zielperspektiven einer antizipierenden Personalentwicklung





Personalentwicklung verlängert nicht das, was bislang gewesen ist (Fortschreibungsmuster) oder setzt das um, was „von oben kommt“ (Umsetzungsmuster), sondern hat mit proaktivem Blick und aus eigener professioneller Zuständigkeit zu verfolgen und aufzuzeigen, welche Gegebenheiten den betrieblichen Wandel und das betriebliche Lernen behindern oder welche Faktoren der Förderung der Mitarbeiter dienlich sind.



„Unübersehbar lässt sich eine Erosion der relativen Bedeutung des Fachlichen in der Personalentwicklung feststellen, eine Feststellung, die immer wieder dahingehend missverstanden wird, man wolle oder könne in der Personalentwicklung auf das Fachliche im engeren Sinne stärker verzichten. Dies ist jedoch keineswegs der Fall. Folgt man der aktuellen Qualitätsdebatte in Deutschland, so wird es zwar auch in Zukunft nach wie vor wichtig sein, neben den Kulturtechniken ein ausreichendes Grund-, Orientierungs- und Anwendungswissen zu erwerben, doch kann man gleichzeitig feststellen, dass heute Fachwissen alleine nicht mehr ausreicht.“

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 Entscheidender Erfolgsfaktor eines Unternehmens wird in Zukunft das „Know-how-to-know“ der eigenen Mitarbeiter sein. Moderne Qualifizierung und Kompetenzentwicklung kann sich kaum noch auf Wissensvermittlung zur Schließung von Qualifikationslücken oder Beseitigung von Kompetenzdefiziten beschränken. Vielmehr kommt es darauf an, die „Kompetenz zur Kompetenz“ des Personals zu fördern. Qualitätsprofile lassen sich dabei immer weniger als inhaltsreiche Anforderungskataloge definieren. Vorrangig ist die systematische Stärkung der Selbsttätigkeits- und Selbstorganisationsfähigkeit der Individuen. Personalentwicklung muss hierfür Lerngelegenheiten schaffen, in denen ein Individuum – auch durch Lernen am Arbeitsplatz – die Voraussetzungen dafür erwirbt, sich selbsttätig, selbstorganisiert sowie mit kritischem Urteil und gestaltend zu verhalten. Dadurch wird es darauf vorbereitet, sich dann mit den erforderlichen Handlungs- und Lernanforderungen auseinandersetzen zu können, wenn es sich mit diesen konfrontiert sieht. Personalentwicklung muss diese Gestaltungspotenziale entwickeln bzw. Gelegenheiten schaffen, damit diese entstehen können.



Ziel von Personalentwicklung ist, dass Mitarbeiter über „Werkzeuge“ und „Strategien“ verfügen, in Veränderungen zu reagieren, vorhandenes Wissen neu einzuordnen oder bewusst zu „verlernen“. Die Selbsthilfeperspektive steht dabei im Vordergrund. Antizipierende Potenzialorientierung bedeutet zunächst eine Bewusstseinshaltung. Prospektive Personalentwicklung lenkt den Blick auf die Mitarbeiter als dem wertvollsten Potenzial einer Einrichtung. Hierbei geht es darum, zukünftig besonders relevante Verhaltenspotenziale wie Unternehmergeist, Führungsqualität, die Fähigkeit zu Selbstmanagement und Zeitmanagement aufzubauen, zu fördern und zu nutzen. Ziel ist es, vorhandene Potenziale auszuweiten, zu variieren, der jeweiligen Aufgabe anzupassen und mehr noch: die Kompetenz zu fördern, in veränderten Bedingungen selbstbewusst, der Sache und den Menschen dienend und in Treue zum eigenen Ethos handlungsfähig zu bleiben.



Personalentwicklung bedeutet immer auch eine antizipierende Auseinandersetzung mit der Größe „Veränderung“ und verhindert, unter ständigen Reaktionsdruck zu geraten und mit der Überlebensberechtigung einer Organisation konfrontiert zu werden. Antizipierende Personalentwicklung in der Kirche bedeutet die im kirchlichen Dienst Tätigen zu befähigen, ihre menschlichen, beruflichen und geistigen Fähigkeiten so weiterzuentwickeln, dass sie den Auftrag der Kirche in der Begegnung mit der sich wandelnden Situation wahrzunehmen und auch in Zukunft zu gestalten in der Lage sind.








3.5 Personalentwicklung – ein überschätztes Instrument mit geringer Hebelwirkung? Ein Aufruf zur Bescheidenheit





Menschen sind durch Verhaltens- und Wertedispositionen geprägt und lassen sich durch einzelne Fortbildungsmaßnahmen nicht in ihrer biographischen Verfasstheit ändern. Organisationen steuern das Arbeitsverhalten ihres Personals über Strukturen und Kommunikationsabläufe.



Der Soziologe Stefan Kühl warnt davor, die Hebelwirkung von Personalentwicklungsinstrumenten bei der Veränderung von Organisationen überzubewerten. Er hinterfragt gerade die inhaltliche Verknüpfung von Personal- und Organisationsentwicklung als „Heilmittel“ jeder Veränderungsgestaltung und konstatiert, dass es in der Praxis weniger um eine Balance beider Prozesse, als vielmehr um Entscheidungen zwischen dem einen oder anderen Ansatz geht. Als zusätzliche Relativierung konstatiert Kühl, dem Organisationskonzept von Luhmann folgend und allen Behauptungen von „Personal als Software“ widersprechend: „

Die Strukturen der Organisation sind die Software

. Sie sind bei allen Verhärtungen durch einfache Entscheidungen ‚umzuprogrammieren‘.

Die Personen sind dagegen Hardware

, weil sie sich diesen einfachen Programmierungsprozessen entziehen.“

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 Und selbst wenn der Einzelne bereit wäre sich zu ändern, sieht er sich durch die sozialen Erwartungen festgelegt, mit denen er sich tagtäglich konfrontiert findet. Veränderte Anforderungen treffen immer noch auf dieselbe Person, die für viele Kontakte ihre Identität wahren muss.



Bei der Planung und Steuerung von Veränderungen in Organisationen ist es wichtig zu beachten, dass es sich bei den von Veränderungsmaßnahmen betroffenen bzw. daran beteiligten Mitarbeitern um erwachsene Menschen handelt, die bereits mit relativ überdauernden Ausprägungen unterschiedlicher Verhaltens- und Wertdispositionen (also Motiven) ausgestattet sind. Die Beeinflussbarkeit der Ausprägung von Motiven ist deutlich geringer anzusiedeln als die Gestaltung von situativen Bedingungen und deren Wahrnehmung durch die Organisationsmitglieder.



Aus der Perspektive der Organisationssoziologie ertönt der Ruf nach Bescheidenheit: Personalentwicklung ist kein Allheilmittel zur Umgestaltung von Organisationen. Organisationspraktiken stehen in der Gefahr, dass sie Programme, Technologien und Dienstwege als Hardware betrachten, während alles, was „den Menschen betrifft“, unter die Software gerechnet wird. Angemessener aber wäre es, Strukturen und technische Gegebenheiten als relativ rasch zu ändernde Software, die in einer Organisation handelnden Personen als Hardware zu behandeln. Auch bei Niklas Luhmann findet sich eine Relativierung der Personalfragen in Bezug auf ihre Bedeutung für Veränderungsprozesse in Organisationen. „Organisationspläne und Aufgabenbeschreibungen lassen sich leicht, praktisch mit einem Federstrich ändern. Dagegen ist das Agglomerat von individuellen Selbsterwartungen und Fremderwartungen, das als ‚Person‘ identifiziert wird, schwer, wenn überhaupt umzustellen.“

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 Grund ist das zirkuläre Zusammenspiel von Selbst- und Fremderwartungen. Selbst wenn der Einzelne bereit wäre sich zu verändern, sieht er sich durch soziale Erwartungen festgelegt und ist bestrebt, die eigene Identität durch soziale Kontakte zu wahren. „Personales und soziales Gedächtnis verfilzen so stark, dass eine planmäßige Änderung kaum jede Asymmetrie herausfinden kann, die sie bräuchte, um ihren Hebel anzusetzen.“

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 Im Bereich der Personalentwicklung bedeutet dies, dass Weiterbildungsmaßnahmen ohne Wirkung bleiben, weil der einzelne Mitarbeiter in sein Umfeld mit den alten Fremderwartungen zurückkehrt und beruflich wie privat Kontinuität im Verhalten erwünscht wird. Eine gleichzeitige Veränderung von Selbst- und Fremderwartungen ist nach Kühl eine „unrealistische Steuerungsphantasie“ von Trainern und Beratern. „Veränderungen der Selbst- und Fremderwartungen so takten zu wollen, dass am Ende ein anderes Verhalten herauskommt, bedeutet die Komplexität von sozialen Erwartungshaltungen völlig zu unterschätzen.“

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 Hochgespannte Erwartungen der Personalentwicklung „stoßen sich hart an der Unberechenbarkeit der Individuen. Auch wird die Fähigkeit des Individuums zu rationalem Entscheiden trotz aller Einschränkungen immer noch überschätzt.“

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Nach Luhmann hat Personalentwicklung auf diesem Hintergrund wenig Einfluss auf Organisationsveränderungen. Sie kann aus organisationssoziologischer Perspektive nur mit größten Schwierigkeiten die Art und Weise, wie Entscheidungen in Organisationen gefällt werden, verändern. Personalentwicklung dient in der Regel der sinnvollen Ausstattung von Arbeitsplätzen, stellt Hilfen für persönliche und berufliche Probleme bereit, plant Eingewöhnungszeiten für Neuankömmlinge und Abkühlzeiten für Versager und Opfer von Stellenkürzungen. Diese angesichts der meisten Managementkonzepte sehr bescheidenen Ansprüche von Personalentwicklung reduziert Luhmann weiterhin auf „Angebote von Ersatzbefriedigungen für Personen ohne Aussicht auf ein Weiterkommen“ bis hin zu „Scheinhierarchien, die Beförderungsmöglichkeiten bieten, ohne dass dem auf der Ebene der Kompetenzen ein Bedarf entspräche.“

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Kühl verweist auf das Dilemma, in welchem Personalverantwortliche stehen: Latente Funktionen wie das Etablieren von Scheinhierarchien oder das Installieren von Ersatzbefriedigungen für Mitarbeiter ohne Karriereaussichten dürfte weder den Mitarbeitenden noch der Unternehmensleitung gegenüber offen formuliert werden. Latenz bedeutet nicht, dass die Beteiligten gegenüber dieser Funktion zwangsläufig blind sein müssen. „Häufig weiß man, dass eine Outplacement-Beratung dazu dient, die Wut der entlassenen Mitarbeiter ‚auskühlen‘ zu lassen, aber man kann dies eben nicht immer genauso formulieren. Auch ist dem Kollegen häufig bewusst, dass eine Managerin die zweite Sekretärin nicht nur wegen der Arbeitsüberlastung, sondern wegen dem Statusgewinn anstrebt.“

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 Auch Personalentwicklung in der Kirche hat ihre eigenen „Auskühlmechanismen“ und „Scheinhierarchien“. Zu nennen wären im kirchlichen Arbeitsmarkt das „Ruhigstellen“ von leitungswilligen Laienmitarbeitern auf Pfarreiebene, die statt Leitungsaufgaben innerhalb einer Pfarrei zusätzliche Dekanatsaufgaben übernehmen oder Spezialfortbildungen machen. Um nicht unfähige Mitarbeiter entlassen zu müssen oder um schwelende Dauerkonflikte einzugrenzen, werden schwierige Mitarbeitende „geparkt“ auf neu geschaffenen Stellen, die nach Stellenplan unnötig wären. Individuelle Kränkungen können durch die Vergabe von Ämtern und Ehrentiteln gemildert werden.



Die hier aufgeworfenen Anfragen an den Wirkungsgrad von Personalentwicklungsmaßnahmen führen zu einer kritischen Grundhaltung gegenüber jeglichen allzu glatten Managementkonzepten. Wenn der Personalentwicklung nur in begrenztem Umfang Veränderungskraft auf der Ebene einer großen Organisationseinheit zugestanden wird, liegt dies auch an einem zu engen Verständnis von Personalentwicklung. Dies ist der Grund, warum im Rahmen dieser Arbeit das Verständnis von Personalentwicklung bewusst geweitet wird. Es geht um mehr als um Fortbildung und Führungstrainings. Personalentwicklung umfasst die strategische Gestaltung von Prozessabläufen und die Einflussnahme auf Arbeitsstrukturen und Räume. Der Aufruf zur Selbstbescheidung der Personalent