Elisabeth, Erbin von Toggenburg. Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz

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Walter erreichte seine Absicht bey mir vollkommen, und auch mein Oheim begunnte ihn mit günstigern Augen anzusehen. Beyde interessirten sich gleich stark für die Gräfinn, und schwuren alles zu thun, sie und ihren neugebornen Sohn, in den noch immer von dem Abt zu Sankt Gallen bestrittenen Rechten zu schützen. Einerley Endzwecke machten sie vertraut, und Walter war hinlänglich auf seiner Hut, um bey dieser Vertraulichkeit nicht zu verlieren. Schon glaubte er der Erreichung seines nie wörtlich gestandenen Endzwecks, des Besitzes meiner Hand nahe zu seyn, als mein Oheim einen neuen Beweis gab, daß eine Verlobung mit ihm gegenwärtig gar nicht dasjenige sey, was er suchte oder wünschte.

Die Geschichte meiner nächtlichen Reise – Entweichung war das Wort, dessen man sich bediente – war nicht verschwiegen geblieben. Die Lage der Gräfinn von Rappersweil erforderte es, viel Fremde zu sehen, und man fand mich immer an ihrer Seite, sah, daß ich in Graf Walters Hause die Wirthinn10 spielte und machte daraus seine Schlüsse. Einige nannten mich die Braut des Grafen von Vatz, andere setzten aus bekannten und unbekannten Umständen eine Geschichte zusammen, welche zu anstößig war, um von mir nacherzählt zu, werden, und die, als sie zu meines Obeims Ohren kam, den Entschluß, mich aus meiner wunderbaren Lage zu reissen, schnell zur Ausführung brachte. Die Kindbetterinn war jetzt stark genug, eine Veränderung der Wohnung zu ertragen, und der Aufenthalt in dem Hause des mächtigen Grafen Venosta, den ihr die Freundschaft anbot, konnte ihr die Sicherheit, die sie bey Waltern fand, in weit höherm Grade gewähren.

Mein Oheim und der Graf von Vatz sahen finster, ich trauerte und die schöne Hedwig von Rappersweil gab dem, was keines dem andern gestehen wollte, Worte. O Schicksal! rief sie beym Abschied von ihrem bisherigen Beschützer, indem sie meine und Walters Rechte fest in der ihrigen zusammendruckte, verbinde die beyden edelsten Seelen, die du bildetest, mit einander, dies ist der beste Lohn, den du der Großmuth und uneigennützigen Freundschaft, die ich hier fand, ertheilen kannst! Hedwigs sprechende Augen waren gen Himmel gerichtet, und wir beyde sahen einander erröthend an, ohne ein Wort vorbringen zu können. Mich dünkte, Walter hätte nicht stumm seyn sollen, aber – er schwieg.

Die Gräfinn lebte lang in unserm Hause, es kam mit ihren Beschützern und dem halsstarrigen Abt von Sankt Gallen zur offenen Fehde, in welcher jener immer unterlag, ohne ganz überwunden zu werden. Gott weiß, welches die Quellen unüberwindbarer Macht sind, welche man in unsern Tagen immer bey den geistlichen Fürsten findet. Feige Herzen, schwache Arme, sorglose Unthätigleit, welche Gegner für ritterliche Stärke und Heldenmuth! – Ohne Zweifel schlingt eine unsichtbare Kette alle Söhne der Kirche insgeheim zusammen, und wird das Mittel, sie immer den Weltlichen überlegen zu erhalten, so oft sie auch von ihnen besiegt werden.

Hedwig war schön und eine Wittwe, und mein Oheim ein Mann, der sich dem Alter mit so langsamen zögernden Schritten näherte, daß man bey seinem Anblick seine Jahre zu zählen vergaß. Ich war vielleicht nicht die erste, welche auf den Gedanken fiel, eine Verbindung zwischen ihnen könne gegenseitiges Glück hervorbringen. Ich merkte bald, daß meine Vorschläge von beyden mit Wohlgefallen gehört wurden, und ich triumphirte in dem Gedanken, meine Freundinn und meinen Wohlthäter bald den Weg des häuslichen Glücks von neuem beginnen zu sehen.

Graf Walter, welcher in unserm Hause kein seltner Gast war, hörte meine Plane mit Erstaunen aus meinem Munde. Nie hatte ich zuvor einen so sonderbaren Zug in seinem Gesicht gesehen, als in diesem Augenblicke. Fräulein! schrie er, wache oder träume ich? Eine Verbindung, die euch um alle eure Hoffnungen betrügt? die eine Fremde in alle Rechte, welche euch zukommen, einsetzt? – und diese Verbindung euer Werk? –

Kann Graf Walter den geringsten Gedanken von Eigennutz in meiner Seele ahnden? fragte ich mit einem Erstaunen, welches dem seinigen wenigstens gleich kam. Sollte es möglich seyn, daß ähnliche Gesinnungen in seinem Busen Platz finden? Oder ist vielleicht das Ganze ein Versuch, seine Freundinn auf die Probe zu stellen?

Er biß sich auf die Lippen und schwieg. Meine Augen waren fest auf ihn gerichtet und er erholte sich erst spät, um die Miene zu verändern, und mir zu erweisen, wie er bey einer Sache, welche weiter gar keine Beziehung auf ihn haben könne, blos um mich sorge, und wie das edelste, uneigennützigste Herz, bey Freundesangelegenheiten, wohl Betrachtungen stattgeben könne, die bey eigenen aus dem Sinn geschlagen würden.

Ich glaubte alles, was Walter mir sagte, und also auch dieses, und er war im Gegentheil so gefällig, auch meine Vorstellungen gelten zu lassen, und mir am Ende einzuräumen, daß eine Verbindung zwischen dem Grafen Venosta und Graf Rudolfs Wittwe allerdings eine höchst annehmliche und selbst für mich vortheilhafte Sache seyn müsse, auch versprach er mir, so bald die nächste Unternehmung wider den Abt von Sankt Gallen geglückt seyn würde, auf meine Seite zu treten und das Glück meiner Lieben durch Bitten und Überredungen beschleunigen zu helfen.

Der Heerzug gegen den gemeinschaftlichen Feind betraf die Einnahme einer der Burgen, welche er dem rechtmäßigen Erben vorenthielt, und man machte sich des andern Tages früh vor Aufgang der Sonne auf, durch List und Waffen den Sieg zu erstreiten, den man schon fast in den Händen zu haben glaubte.

Meine Freundinn und ich hatten unsere Helden schon zu oft von ihren Unternehmungen glücklich zurückkehren gesehen, als daß wir ihnen Seufzer oder ängstliche Wünsche hätten nachschicken sollen; wir hatten die Zeit ihrer Rückkunft genau ausgerechnet, und den Anschlag gemacht, sie mit den zurück gebliebenen Kriegsleuten wie im Siegsgepränge einzuholen, dem fröhlichen Zuge voraus sollte eine mit Denksprüchen und Sinnbildern gezierte Fahne wehen, welche noch unter unserer Nadel war, und die wir uns mit der größten Emsigkeit zur bestimmten Zeit zu fertigen mühten. Unserer Gespräche bey dieser lieblichen bald vollendeten Arbeit waren mancherley, ich nannte die reizende Hedwig scherzend meine Tante, und diese lohnte mir damit, daß sie meinen Namen mit dem Namen Graf Walters verschlungen in ein leeres Wappenfeld setzte. Unsere Unterhaltung ward ernsthafter. Sie bezeugte mir über das, was mich vorlängst befremdete und bekümmerte, über Walters schweigende Liebe ihre Verwunderung, und betheuerte eben, daß sie nur darum Gräfinn Venosta zu werden wünschte, um den blöden11 Ritter, so nannte sie Waltern, zum Sprechen zu bringen, und sein und mein Glück mit Nachdruck zu befördern, als ein Geräusch im Schloßhof unser Gespräch und unsere Arbeit unterbrach; wir sprangen auf, der Hufschlag von Pferden würde uns die Wiederkunft unserer Geliebten haben ahnden lassen, wenn eine so schleunige Endigung des Streites möglich gewesen wär. Wir schickten unsere Dirnen hinaus, um Erkundigung einzuholen, und flogen selbst an die Fenster, um uns durch eigne Augen zu belehren.

Die Gräfinn stürzte mit einem lauten Geschrey zurück, und mich versetzte der Anblick eines einigen blutenden Reuters, mit etlichen leeren Handpferden fast in den nemlichen Zustand. Ists Friede? rief ich mit halb erstorbener Stimme vom Altan herab. Ach Gott, Fräulein, erwiederte der Bote mit stammelnder Zunge, meine Herren! – Der Hinterhalt dort im Gebürge! – Beyde, Beyde gefangen! – O schleunige, schleunige Hülfe! –

Schon waren unsere Leute beschäftigt, dem tödlich Verwundeten, der sich kaum mehr aufrecht erhalten konnte, beyzustehen, und mich machte das Entsetzen, anstatt mich in die Vernichtung wie meine Freundinn zu stürzen, stark genug, hinaus zu eilen, um Anstalt zur Rettung zu treffen. Ueberall war ich selbst gegenwärtig, und ehe eine Stunde verging, stand alles, was dieses Schloß von Mannschaft in sich hatte, in Waffen, und ich selbst in einer leichten Rüstung meines Oheims eilte zu der kranken Gräfinn von Rappersweil, die ich unter den Händen ihrer Frauen verlassen hatte, um mich mit ihr zu letzen12, und sie mit der Hoffnung glücklicher Wiederkunft zu trösten.

Auch du, auch du eilst von mir? schrie Hedwig – Gott, was wird aus mir werden! Nimm mich mit dir, oder töde mich! Unglücksahndnng beklemmt mein Herz! nicht genug an alle dem Schrecklichen, was wir bereits erfahren haben, mich dünkt auch, wir werden uns nicht wiedersehen.

Ich drückte meine schwache Freundinn an mein Herz, empfahl sie ihren Leuten und flog dahin, wo mich weit weniger Muth und Entschlossenheit, als Verzweiflung und dringende Noth riefen. Wir jagten mit verhängtem Zügel die Ebene hindurch und stiessen in den ersten Krümmungen des Gebürgs auf die Stelle, wo Tapferkeit hinterlistiger Bosheit unterlag. Ein schrecklicher Anblick! Eine im Blute schwimmende Wahlstatt13! Tausend Gegenstände, bey welchen das Mitleiden gern verweilt hatte, um noch vielleicht einige zu retten, aber wichtigere Betrachtungen hiessen uns die Ohren vor dem Gewimmer der leidenden Menschheit verschliessen, und den Weg ungesäumt fortsetzen. Doch schickte ich einige von meinen Leuten zurück, um das zu verrichten, was ich lieber selbst gethan hatte, und gebot dem einen von ihnen, wenn irgend aus dem Munde eines noch lebenden Nachrichten von Wichtigkeit zu erforschen wären, mir sie eilig nachzubringen.

Durch dieses Mittel erfuhr ich den Weg, den die dreymal grössere Mannschaft des Abts von Sankt Gallen mit den gefangenen Helden genommen hatte, und langte noch vor Abends bey der Veste an, welche man mir als den Kerker meiner Freunde bezeichnet hatte.

Wir rüsteten uns zum Sturm. Ich hatte erfahrne Krieger unter meinen Leuten, welche meiner Unwissenheit in Dingen dieser Art zu Hülfe kamen, und die dagegen durch meinen Muth, den Muth eines Weibes, doppelte Stärke erhielten. Nicht lange, so sahen wir von der Burg die weisse Fahne wehen, und mit gehöriger Vorsicht für die Sicherheit seiner theuren Person, kam auf der Zinne der Räuber meiner Lieben, der Unterdrücker der Unschuldigen, der abscheuliche Abt von Sankt Gallen zum Vorschein.

 

Ich hatte meinen Helm abgesetzt, um mein glühendes Gesicht zu kühlen, und meine Locken, noch mit jungfräulichem Blumenschmuck geziert, den ich in der Eile abzulegen vergessen hatte, flatterten im Winde. Willkommen schönes Fräulein, rief der hämisch lächelnde Mönch, der mich kannte, zu mir herab. Die Freunde, welche ihr sucht, sind nicht mehr in diesen Mauren, darum höret auf, wider die Unschuldigen zu wüthen. Legt die schwere Rüstung ab, welche eurem Geschlecht so wenig ziemt, und kommt herein, ein friedliches Abendmahl mit mir zu theilen.

Schon rüstete ich mich zu einer Antwort, wie sie der frechen Anrede gebührte, aber die Worte erstarben auf meinen Lippen. In meinen Ohren tönte aus hundert Kehlen das Wort: Verrätherey! ich sah zurück, und sah rund umher Feindes Schwerdter blinken, sah meine Leute zurückweichen und fallen, sah den Weg zu mir eröffnet, und das Kriegsvolk des heimtückischen Abts, das hinter uns in großem Haufen aus einem alten Gemäuer hervor stürzte, von weiten zu mir einstürmen. Mir vergingen die Sinne, und ich weis nicht, was aus mir geworden wäre, wenn nicht meine getreue Dirne, Mechtild, die mir unerschrocken in den Streit gefolgt war, mich aufrecht erhalten hätte. Mein unbehelmtes Haupt und das bleiche jungfräuliche Gesicht machte mich kenntlich, sie deckte es mit der Sturmhaube eines feindlichen Kriegsknechts, der nicht weit von uns gefallen war, hüllte mich in seinen Wappenmantel und zog mich aus dem Gedränge auf eine Seite, von welcher sich jetzt der Streit hinweg wandte.

Die Nacht begünstigte unsere Flucht. Mechtild bewieß mir, indem wir unsern Pferden zueilten, daß meine Gegenwart hier, da es meinen Leuten nicht an Anführern fehlte, unnöthig, und meine Gefangenschaft bey dem kleinsten Zögern gewiß sey, auch war ich durch die letzte schreckliche Ueberraschung, und die heftige Anstrengung würklich zu sehr geschwächt, um etwas anders, als das beste Rettungsmittel des Weibes, die Flucht, übrig zu haben.

Mehr tod als lebendig brachte mich meine Retterinn durch die öde nächtliche Gegend nach dem Schlosse zurücke, das ich, unbekannt mit meinen Kräften und der Stärke und Hinterlist meiner Feinde mit so großen Hoffnungen verlassen hatte. Von der Wahlstatt, bey welcher wir vorüber mußten, tönte es uns wie Röcheln der Sterbenden nach, und die Haare streubten sich auf unsern Häuptern empor. Die weibliche Schwäche behauptete von neuem ihre Rechte, und diejenigen, welche sich vor kurzer Zeit mitten unter die Schwerdter der Feinde gewagt hatten, zitterten jetzt vor einem Schatten, vor einem Hauch, den ihnen die erhitzte Phanthasie vorstellte.

Wir fanden die Burgthore verschlossen, und die Zugbrücke aufgezogen, kein Zeichen, das wir geben konnten, vermochte uns Eingang zu verschaffen. Alles schien im Schloß wie ausgestorben zu seyn. Kein Schimmer von Licht ließ sich in den hochgewölbten Fenstern erblicken, und wir waren genöthigt, in einem kleinen verlassenen Gebäude diesseit des Grabens, zu übernachten.

Ueberzeugt, daß nur die Furcht vor feindlichen Ueberfall unsere Zurückgelassenen zu dieser hartnackigen Vorsichtigkeit hatte bewegen können, sahen wir dem Morgen ängstlich harrend entgegen. Wer wußte, ob der Feind hinter uns nicht den Sieg davon getragen hatte? wer wußte, ob er nicht, denselben vollkommen zu machen, die Flüchtigen hieher verfolgen, und sich zum Meister dieses Schlosses machen würde? – Ich hatte die Gräfinn von Rappersweil in schlechtem Schutz gelassen. Die Begierde meinen Oheim und meinen Geliebten zu retten, hatte gemacht, daß außer unsern Frauen niemand im Schloß zurück geblieben war, als der alte Hausverwalter, der Thurmwächter und wenige Bedienten.

Der erste war es, der uns bey Anbruch des Tages den Zugang zum Ort der Sicherheit eröffnete, wir hielten unsern traurigen Einzug, und wurden von dem schwachen Greise mit allen Merkmalen des Entsetzens empfangen. Unsre einsame Zurückkunft, und sein entstelltes Ansehen war der Gegenstand unserer ersten gegenseitigen Fragen, die von beyden Theilen unbeantwortet blieben. Ich eilte über den Burghof, um mich in die Arme meiner Freundinn zu werfen, und mit ihr die Maßregeln zu unserer künftigen Sicherheit zu nehmen, aber das erste, was sich meinen Augen am Eingange darbot, war ein Haufen blutender Leichname. Ich fuhr mit Entsetzen zurück, um zu fragen, was für schreckliche Dinge hier vorgegangen wären, aber das Entsetzen hemmte meine Worte, auch wurde ich durch die um Hülfe rufende Stimme meiner Begleiterinn unterbrochen, unter deren Händen der Schloßvogt, welcher vermuthlich bey Eröffnung der Pforten seine letzten Kräfte zugesetzt hatte, ohnmächtig geworden war.

Doch warum beschreibe ich bey dem Ueberfluß von traurigen Scenen, die meiner Feder bevorstehen, die erste so umständlich? Nichts also von dem, wie wir nach und nach hinter das fürchterliche Geheimniß kamen, sondern lieber sogleich den ganzen Vorgang.

Das einzige Gut, welches ich nach dem, Verlust meines Geliebten und meines Oheims noch besaß, meine Freundinn, meine Hedwig, auch sie war mir während meiner Abwesenheit entrissen worden. Unbekannte Feinde waren bald nach unserm Abzuge hereingedrungen, hatte die wenigen männlichen Bewohner des Schlosses theils getödet, theils tödlich verwundet, unsere Frauen, gebunden, die Gräfinn von Rappersweil mit ihren Kindern davon geführt, die Schloßpforten hinter sich verschlossen, die Zugbrücke aufgezogen, und die grauliche Einsamkeit zurückgelassen, welche ich hier fand. Der Thurmwächter und der Schloßvogt waren die einigen von den Männern, deren Wunden nicht den Tod nach sich gezogen hatten, und indessen der erste nach langsamer Erholung hinaufgegangen war, nach dem Zustand in den Gemächern zu sehen, hatte der andere der Hülfe von aussen den Zugang eröffnet.

Die entfesselten Weiber stürzten mir jetzt voll Verzweiflung entgegen und forderten von mir die Gräfinn, die ich hier, ach so unvorsichtig, so schlecht beschützt, zurückgelassen hatte! Unsere Furcht vor einiger weitern Gefahr wurde durch die Empfindung unsers Verlusts verschlungen, und wir wären eine leicht eroberte Beute unsres Feindes gewesen, wenn er sich des gegenwärtigen Augenblicks zu bedienen gewußt hätte.

Gegen den Mittag kamen einige Leute aus der benachbarten Gegend, und brachten die junge Elisabeth zurück, welche sie verirrt und weinend im Gebürge gefunden hatten. Ach! schrie sie, indem sie sich in meine Arme warf, ach gutes Fräulein! was ist aus meiner Mutter geworden! Ich konnte ihr nur mit meinen Thränen antworten, und auch sie war so außer sich, daß ich erst spät so viel erfuhr, wie man sie anfangs mit ihrer Mutter davon geführt, dann sie wegen ihres unablässigen Schreyens und Weinens lästig gefunden, und in dem Gebürge zurückgelassen hätte. Man stelle sich die Empfindung der Mutter bey der Trennung von der Tochter vor! Nichts als die Drohung, ihr auch ihren kleinen Sohn vom Busen zu reissen, hatte sie endlich Ergebung in den Willen ihrer Entführer lehren können!

Es war erst spät gegen den Abend, als ich Besonnenheit genug hatte, einige Anstalten zu unserer Sicherheit zu machen, und einige Nachfragen zu thun, welche mir nöthig dünkten. Die Burg ward gesperrt, die Toden, weil unsere Arme zu schwach zu ordentlicher Beerdigung waren, in den verfallnen Brunnen eines abgelegenen Hinterhofs geworfen, und alle Muthmassungen gesammelt, wer der Urheber unsres Unglücks seyn möchte. Der Hausverwalter, vor dessen Bette die Berathschlagung gehalten wurde, behauptete mit unumstößlichen Gründen, der Abt von Sankt Gallen, auf dessen Rechnung wir alles Unheil zu schreiben bereit waren, sey hier unschuldig, und er gab nicht undeutlich zu verstehen, daß er andere Muthmassungen habe. Die kleine Elisabeth, welche nie von meiner Seite ging, und die wir diesmal gar nicht bemerkt hatten, erhob ihre zarte Stimme, um zu versichern, sie habe unter den Entführern ihrer Mutter ein Gesicht erblickt, das Graf Waltern nicht ungleich gesehen habe, auch habe sie sich erkühnt, bittend seinen Namen zu nennen, aber ein unfreundlicher Stoß, und bald darauf die Zurücklassung im Gebürge sey der Lohn ihres Vorwitzes gewesen. –

Du irrest, mein Kind, sagte ich, denn alles andere abgerechnet, welches es unmöglich macht, daß unser Freund unser Verfolger seyn könne, so ist auch der Graf von Vatz ja der Theilnehmer der unglücklichen Gefangenschaft meines Oheims: hast du vergessen, was der Unglücksbote gestern bey seiner Ankunft aussagte?

Ja, wollte Gott, rief der kranke Greis, wir hätten diesen Unglücksboten genauer befragt oder scharfer bewacht. Doch wer konnte Mißtrauen in ihn setzen oder ihn bey der Todenschwäche, in welcher er zu seyn schien, der Flucht fähig halten?

Der Flucht? rief ich, der Bote ist geflohen, und wenn und warum geschahe dieses? –

Mittlerweile wir Anstalt machten ihm die Wunden zu verbinden, die unser keiner gesehen hat, und ihn auf einige Augenblicke verlassen hatten, entkam er. Die Zurüstung zum Aufbruch machte, daß wir ihn aus der Acht liessen, er hätte in der Zeit, da wir ihn verlassen hatten, sterben können, wär er so schwach gewesen, als er schien; wir suchten ihn, aber er war nirgend zu finden und wir meynten, unzeitige Tapferkeit und Treue könne ihn wohl veranlaßt haben, den Rettern seines Herrn zu folgen, und einen Weg zu unternehmen, dessen Ende für ihn der Tod seyn mußte.

Und wäre dies nicht möglich? rief ich, Werner war immer ein treuer Diener seines Grafen.

Der Hausvogt versicherte, daß ihm bey dem bald darauf folgenden Ueberfall Dinge vorgekommen wären, welche seiner Flucht eine andere Auslegung gäben, und wollte sich eben deutlicher hierüber erklären, als der Schall der Trompeten von aussen, uns alle aufschreckte, und einen jeden an den Posten trieb, welchen Pflicht und Neigung ihn anweisen. Der Thurmwächter stieg auf die Warte, meine Frauen versteckten sich, und ich mit der kleinen Elisabeth eilte auf die untere Zinne, um mich von der Beschaffenheit der Gefahr zu unterrichten.

Gott! schrie ich, beym ersten Anblick der Reisigen14, welche das Feld vor der Burg bedeckten, Graf Walters Leute! – Meines Oheims Fahnen! – Wache oder träume ich? Graf Venosta ritt jetzt hervor, um dem Thurmwächter, der von seiner Höhe herab die gewöhnlichen Fragen that, selbst zu antworten, aber mir fehlte die Geduld dieses abzuwarten. Die Burgpforten öffneten sich, die Zugbrücke flog nieder und ich lag in den Armen meines theuern geretteten Oheims, ehe ich noch den Gedanken von seiner Befreyung mit Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit zusammen räumen konnte.

Ja, ich bin frey, meine Tochter! rief Graf Zirio, als ich aus dem ersten Taumel des Entzückens zu mir selbst kam, und weißt du, wem du und ich Glück und Leben zu danken haben? Hier diesem Helden, den ich insgeheim so lang verkannte und ihm die Belohnung, die er längst verdiente, mißtrauisch vorenthielt.

Graf Walter? schrie ich, er, der selbst gefangen war?

Zum Glück war er es nicht, erwiederte mein Oheim. Als wir vom Hinterhalte des Abts im Gebürge überfallen wurden, entkam er, sammelte alle Reisigen, die er in seiner Burg zurückgelassen hatte, und heute am Morgen war er und die Rettung vor der Thür. O Noria! hilf mir vergelten, was wir diesem edeln Manne, schuldig sind! doch du allein kannst es. Hier Graf Walter, die Hand der Erbinn aller der Gegenden, die eure Vorfahren ehemals Herr nannten, die Hand eurer Geliebten, um die ihr so lange schweigend bittet! – nun, was zögert ihr? schlagt ein in die Hand, die sich euch mit so wenig Zögern darbietet.

Graf, erwiederte Walter, der mit einer seltsamen Geberde dastand, die Linke ans Schwerd, die Rechte auf die Brust gelegt, sprach ich euch um die Hand der Erbinn von Sargans an?

Ha ihr zielt auf meine Vermählung mit der Gräfinn von Rappersweil, aber, ich kann meine Gemahlinn und meine Nichte bedenken, ohne eine von ihnen zurückzusetzen.

Hiervon ist nicht die Rede! Ich frage euch, bat ich euch jetzt, mich zum Gemahl der schönen Noria zu machen?

Nein, und ich weiß die Ursach, warum ihr schweiget, Stolz und Furcht vor Abschlag, doch was ist das unter mir und euch? Ich biete euch aus Dankbarkeit meinen liebsten Schatz an, und ihr liebt zu stark, um ihn auszuschlagen.

Ja, Graf Venosta, ich liebe. Aber mir liegt daran, daß alle Welt es wisse, wie euer freyer Wille, ohne Rücksicht auf meine anderweitige Lage, ohne Drang von meinen Bitten mich zu euren Neffen machte.

Was für Bedenklichkeiten! Nun so wisse es alle Welt, bey meinem Eide, ich biete meine Nichte dir Waltern von Vatz freywillig an, und erwarte deine Antwort.

 

Und ihr Fräulein? fragte Walter.

Ich schwieg und sah erröthend vor mir nieder. O dieser edle Stolz, mit welchem Walter, um jeden Verdacht von Eigennutz zu vermeiden, zögerte sein Glück anzunehmen, hätte jetzt mein Herz für ihn gewonnen, wär es nicht längst das Seinige gewesen. – Mein Oheim war der Erklärer meiner Blicke, ich widersprach nicht, mein Geliebter schloß mich zum erstenmal in seine Arme und nannte mich mit dem Namen, der mir auf der Welt der liebste war.

Himmlisch wären diese Augenblicke gewesen, wenn nicht dicht hinter ihnen die bitterste Kränkung hergeschlichen wär. Mein Oheim wandte sich von der Scene unserer Liebe, und fragte nach der Gräfinn von Rappersweil. O Himmel, welche Entdeckung! wie soll ich den Zustand meines Oheims schildern, als er den Verlust der schönen Hedwig erfuhr.

Ein Held äußert Gram und Entsetzen auf andere Art als wir Frauen. Hedwigs Rettung und nicht müssige Klagen waren die Folgen meiner Erzählung. Die ermüdete Mannschaft mußte von neuem aufsitzen um die Gegenden rund umher, nach der Entführten zu durchziehen, ich stimmte nur gar zu willig in die Unternehmungen meines Onkels ein, aber Graf Walter, der mehr Besonnenheit hatte als wir andern, fragte, ob wir schon wüßten, welchen Weg wir zu Befreyung der Gräfinn zu nehmen hätten? Ohne Zweifel, sagte mein Oheim, zu der nächsten der Vesten unsers Feindes des heimtückischen Abts, dessen Hand bey diesem Bubenstück nicht zu verkennen ist. Ich brachte die Zweifel vor, die ich wider diese Muthmassung aus dem Munde des kranken Hausmeisters gehört hatte, und bat, ihn vor dem Abzuge näher hierüber zu befragen, weil er mehr von diesen Dingen zu wissen geschienen hätte; aber die Nachricht von seinem Tode kam uns entgegen, und der Graf Venosta, der in der Verzweiflung, in welcher er war, lieber aufs ungewisse handeln als müssig seyn wollte, drang auf den Anfang einer Untersuchung, die in verschiedenen Monaten erst geendigt, oder vielmehr aus Verzweiflung als fruchtlos aufgegeben wurde. In dieser unruhigen Zeit, da mein Oheim und Graf Walter fast nicht aus der Rüstung kamen, ward meine Vermählung gefeyert; eine traurige angstvolle Feyer, das Vorzeichen der Tage, welche folgen sollten.

Ich war die Gemahlinn meines Geliebten, und genoß das Glück, das unsere meisten Frauen an der Seite ihrer kriegerischen Gatten geniessen; eine rauhe wilde Liebe, deren Aeußerungen oft den Wirkungen des Hasses ähnlich sehen. Ich hatte mir die Seeligkeit der Ehe freylich anders geträumt, aber welches Mädchen träumt nicht so, und welche wird nicht getäuscht!

Die Gräfinn von Rappersweil war und blieb verloren. Der Abt von Sankt Gallen behauptete hartnäckig seine vermeynten Rechte, und der Graf Venosta bewies durch den dumpfen Trübsinn, der Besitz von seiner Seele nahm, daß er die theure Verlorne stärker geliebt hatte, als er sich vor dem, ihr und sich selbst zu gestehen wagte.

Kinder, sagte er, eines Tages zu mir und meinem Gemahl, Hedwig und die Freuden des Lebens sind für mich verloren. Es war Thorheit zu wähnen, noch am Rande des Grabes würde mir das Glück begegnen, zu hoffen, die Hand der Liebe würde dereinst meine Augen schliessen. Ich habe für diese Thorheit gebüßt. Ich fühle die Abnahme meiner Lebenskräfte, fühle den nahen Tod im Herzen. Laßt mich die letzten Abendstunden vor der Nacht des Grabes der Ruhe und Einsamkeit weihen. Alles was ich besitze, ist euer Eigenthum; ich behalte mir nur das angenehme Münsterthal15, und mein Schloß Oberhelbstein16 am Rhein gelegen, zum Eigenthum vor, jene entlegene Gegenden; sollen mich in meinen ernsten traurigen Stunden beherbergen, und dieses will ich besuchen, wenn heiterere Augenblicke mich eure nähere Gegenwart wünschen lassen.

Ich widersetzte mich der Entschliessung meines Oheims, aber mein Gemahl fand sie vortheilhaft für uns, und ich hatte seit einiger Zeit häufige Beweise, daß Walter gegen eignen Nutzen nicht unempfindlich war. Er fand nichts übermäßig, das der Graf Venosta für uns that, er eilte nun, seine Verfügungen zu unserm Besten rechtskräftig zu machen, und schien nebenbey zu bedauern, daß er uns nicht alles überlassen hatte. Die wehenden Schatten des Münsterthals und das stolze Schloß am Rhein dünkten ihm noch einmal so reizend, seit sich Zirio den Besitz davon ausschliessend vorbehielt, und zuweilen merken ließ, daß er dasselbe dereinst nicht uns zu hinterlassen, sondern für diejenige aufzuheben gedächte, deren Wiederfindung er noch immer zu hoffen schien.

Graf Venosta, der offne redliche Mann, welcher besonders im Umgange mit uns, seinen Kindern, keine Zurückhaltung kannte, liebkoßte einst die junge Elisabeth, die er besonders liebte, und Walter merkte an, daß sie schon die völlige Miene des Standes habe, den sie einst in der Welt führen würde. Welches Standes? fragte Zirio, und Elisabeth, welche täglich ihr künftiges Schicksal aus dem Munde meines Gemahls hörte, antwortete mit ihrer gewöhnlichen Naivetät: Was hat ein armes Fräulein ohne Eltern für andre Aussicht, als das Kloster? Du arm? schrie Zirio, indem er sie fester an seine Brust drückte, du ohne Eltern, so lange Venosta noch lebt? Nein, mein Kind, ich weiß, was ich dem Andenken deiner edeln Mutter schuldig bin: von mir sollst du nicht verlassen seyn, ob alle dich verliessen.

Graf Walter hatte das Fräulein von Rappersweil nie sonderlich geliebt, und von diesem Tage an begunnte er sie zu hassen.

Auch sie schien einen heimlichen Widerwillen gegen ihn zu hegen, dessen Aeußerungen nur durch eine unbegränzte Furcht vor ihm zurückgehalten wurde.

Ach Gräfinn, sagte sie eines Tages zu mir, als sie mich über neue Ausbrüche seiner schlechten Denkungsart, die sich täglich mehrten, weinen fand, ihr wißt es noch nicht ganz, was für ein böser, böser Mann er ist. Kaum wage ich es, euch eine Sache zu wiederholen, die ehemals so wenig von euch beachtet wurde; aber Graf Walter ist gewiß, ganz gewiß der Räuber meiner Mutter. Wie wär es möglich, daß meine Augen mich dergestalt hätten trügen sollen? aber ich schweige, denn ich denke noch immer an die harte Begegnung, die ich von ihm erfahren mußte, als ich in jener Nacht seinen Namen nannte.

Ich kannte denjenigen, des ich mir vordem als einen Engel träumte, jetzt besser, und Elisabeths Reden fanden in diesem Augenblicke würklich mehrern Eingang bey mir, als zur Zeit verblendeter Liebe; doch war das, was das junge Mädchen vorbrachte, fast zu schrecklich, um ganz geglaubt zu werden und ich hielt es also für gut, ihr wenigstens äußerlich zu widersprechen. Aber in wenig Tagen erhielt ich Beweise, daß mein Gemahl mancher Handlung fähig war, die ich sonst mit einem Eide auf mein Gewissen von ihm abgelehnt haben würde, und daß es also wenigstens nicht unmöglich sey, daß er an jener, deren ihm seine unschuldige Anklägerinn zeihete17, Antheil gehabt haben könne.

Die Männer, welche die erste Veranlassung zu einer Bekanntschaft mit dem Grafen von Vatz gaben, welche ich bereits als mein Unglück anzusehen begunnte, der Abt und der Prior des Klosters Kurwalde, hatten bisher, von meinem Oheim bey ihren Rechten geschützt, mit ihren Mönchen in gutem Frieden gelebt, aber als dieses Kloster durch die Milde des Grafen Venosta unter die Herrschaft Graf Walters kam, da begunnte sich Unruh und Meuterey unter den ausgelassenen Klosterherren, die der Zucht eines tugendhaften Obern nicht gehorchen wollten, wieder im Verborgenen zu regen, und Abt Konrad that mir oft im Beichtstuhl ein Gegenbekenntniß seiner geheimen Leiden und der traurigen Aussichten für die Zukunft, die mein ganzes Herz bewegte; aber ich war zu schwach zu helfen, mein Gemahl taub gegen meine Bitten, und Graf Venosta zu fern, um mich an ihn zu wenden.