Organisation gestalten – Stabile und dynamische Unternehmensstrukturen

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3.2 Prinzipien der Stellen- und Rollenbildung

3.2.1 Einheit von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung

Bei der Stellen- und Rollenbildung ist das „Gesetz“ der Einheit von

Aufgabe

Kompetenz

Verantwortung

zu beachten. Diese Forderung wird auch als das Kongruenzprinzip der Organisation bezeichnet (AKV-Prinzip).

Jeder Inhaber einer Stelle oder Rolle muss die Kompetenzen (Befugnisse) erhalten, die er benötigt, um seine Aufgaben erfüllen zu können. Der Kreditberater kann keine Zusagen zur Gewährung von Krediten machen, wenn ihm die Befugnis fehlt, innerhalb bestimmter Grenzen selbst zu entscheiden. Seine Verantwortlichkeit darf nicht weiter reichen als seine Kompetenz, d. h. er kann nur für Sachverhalte zur Rechenschaft gezogen werden, die im Rahmen seiner Aufgabe liegen und für die er entsprechende Kompetenzen besitzt – es sei denn, er würde seine Befugnisse überschreiten. Stellen- und Rollenbeschreibungen können in solchen Fällen als Grundlage für die Prüfung von Sanktionen oder Schadensersatzansprüchen herangezogen werden, wenn aus ihnen die Befugnisse eindeutig hervorgehen.

Bei den Aufgaben kann es sich handeln um:

Führungs-/Koordinationsaufgaben

Ausführungs-/Umsetzungsaufgaben

Kontroll-/Überwachungsaufgaben.

Beispiele für Kompetenzen sind:

Auftragsrecht/Entscheidungsrecht

Einspruchs- oder Genehmigungsrecht

Informationsrecht

Kontrollrecht

Vorschlags-, Vortrags-, Beratungsrecht

Weisungsrecht.

Typische Verantwortungen sind:

Handlungsverantwortung

Ergebnisverantwortung

Prozessverantwortung

Führungsverantwortung.

Im Idealfall sollten Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen deckungsgleich sein, die drei Kreise in Abbildung 3.03 sollten sich also zumindest weitgehend überschneiden. Immer dann, wenn das nicht der Fall ist, wird eine Stelle oder Rolle nicht ordnungsgemäß ausgeübt. Hat z. B. eine Person nur Aufgaben aber keine entsprechenden Kompetenzen, dann ist sie ein „Arbeitstier“ ohne Rechte. Unbefugt eine Unterschrift zu leisten und den „kurzen Dienstweg“ zu beschreiten, kann dann u. U. für den Ausführenden gefährlich werden. Verfügt demgegenüber ein Mitarbeiter über Kompetenzen, ohne korrespondierende Aufgaben zu haben, landet dieser Mitarbeiter letztlich in der Bedeutungslosigkeit eines „Frühstücksdirektors“. Wird aber jemand zur Verantwortung gezogen, obwohl weder die entsprechende Aufgabe wahrgenommen wurde, noch die Kompetenzen dazu vorlagen, nimmt dieser Mitarbeiter die „Rolle“ eines „Sündenbocks“ ein. Das sind nur vereinfachte Bilder für vielfältige Inkongruenzen von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung.


Abb. 3.03: Einheit von Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung

Gegen dieses Kongruenzprinzip wird in der Praxis durchaus immer wieder verstoßen. So kommt es vor, dass Mitarbeiter zwar bestimmte Aufgaben haben, ihnen die dazu notwendigen Kompetenzen jedoch nicht zugestanden werden, da sie ansonsten in eine höhere Vergütungsgruppe eingeordnet werden müssten. Es kann aber auch daran liegen, dass Vorgesetzte bestimmte Befugnisse nicht loslassen können oder wollen, weil sie damit ihren eigenen Status bedroht sehen – obwohl dies aus aufbau- und prozessorganisatorischer Perspektive durchaus sinnvoll wäre.

Die Privatkundenberater einer Bank dürfen Kreditlinien bis zu einer gewissen Wertgrenze fallabschließend alleine bearbeiten und genehmigen. Trotzdem lässt sich der Leiter der Kreditabteilung von seinem Kreditsachbearbeiter monatlich einen Report zur Genehmigung der bereits bewilligten Kreditlinien vorlegen und hält regelmäßig Rücksprache mit den zuständigen Privatkundenberatern zu Genehmigungsgründen. In Ausnahmefällen legt er sogar Einspruch bei deren Vorgesetztem ein. Dieses Verhalten erzeugt Doppelarbeiten, unnötige Kapazitätsbindung und Frustration bei den Mitarbeitern.

In einem AKV-Diagramm werden Aufgaben (A), Kompetenzen (K) und Verantwortungen (V) konkretisiert und dokumentiert. Für einen Produktmanager im inzwischen weiter gewachsenen Verlag könnte das folgendermaßen aussehen:


Aufgaben Kompetenz Verantwortung Gegenstand/Inhalt
Markt und Wettbewerb beobachten A Handlungsverantwortung, Ergebnisverantwortung Markttrends zu Inhalten, Digitalisierung und E-Books, Anbieterstruktur
Marktentwicklung prognostizieren A W Ergebnisverantwortung, Handlungsverantwortung Zukünftige Entwicklung und Bedeutung für das eigene Programm
Verträge mit Autoren/Verkäufern initiieren von Rechten und überwachen A EG < 50K € V > 50K € Prozessverantwortung, Ergebnisverantwortung Suchen und Kontaktieren von Rechteinhabern, Aktualität von Verträgen regelmäßig überprüfen
Marketing-Budget aufstellen V Handlungsverantwortung Budgetvorschläge an die Geschäftsführung
Marketing-Konzept erstellen V EG Handlungsverantwortung, Ergebnisverantwortung zusammen mit Marketing Inhalte liefern, Korrekturlesen

A = Ausführungsrecht / EG = Einspruchs- und Genehmigungsrecht / I = Informationsrecht / K = Kontrollrecht / V = Vorschlags-, Vortrags-, Beratungsrecht / W = Weisungs- und Entscheidungsrecht

Abb. 3.04: AKV-Diagramm für den Produktmanager Belletristik eines Verlags

Das Thema Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung soll noch aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden.

Dem Verlagsleiter Buch sind insgesamt sieben Mitarbeiter direkt unterstellt. Einer von ihnen ist der Leiter des Einkaufs. Dieser Mitarbeiter hat mit den Lieferanten Absprachen getroffen. Der Verlag hat überhöhte Preise gezahlt und der Einkaufsleiter wurde dafür von Lieferanten persönlich „prämiert“. Für den Verlag ist ein beträchtlicher Schaden entstanden. Klar ist, dass der Einkaufschef für dieses Fehlverhalten – auch juristisch – verantwortlich ist. Er muss mit seiner sofortigen Kündigung rechnen.

Inwieweit ist nun aber Herr Buch für die Manipulationen seines Mitarbeiters verantwortlich? Unterstellt, er hat von der ganzen Angelegenheit nichts gewusst, kann er dennoch verantwortlich sein. Zu seinen Aufgaben als Vorgesetzter des Einkaufsleiters gehört zwar nicht der Einkauf, zu seinen Aufgaben gehört es aber, die Mitarbeiter

vor dem Einsatz auf ihre Eignung zu prüfen (Personalauswahl)

ausreichend laufend anzuleiten (fachliche Hilfen geben)

mit allen notwendigen Informationen zu versorgen

zu überwachen.

Wenn er in allen Punkten korrekt gehandelt hat, ist er nicht für das Fehlverhalten seines Mitarbeiters verantwortlich. Ihm obliegt neben der Führungsverantwortung zu gewissen Teilen auch die Prozess- und Ergebnisverantwortung. Dazu muss er zwar nicht jeden einzelnen Vorgang kontrollieren. Es sind jedoch Stichproben und Kontrollen der Einkaufsrichtlinien in regelmäßigen Abständen erforderlich. Sollte Herr Buch allerdings Hinweise darauf haben, dass der Mitarbeiter nicht zuverlässig ist, oder sind eventuell schon früher Unregelmäßigkeiten vorgekommen und er hat nicht darauf reagiert, dann kann er dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Hat Herr Buch diesen Mitarbeiter nicht eng genug überwacht oder keine organisatorischen Lösungen eingeführt, die eine Manipulation verhindern oder zumindest erschweren, muss er die Ergebnis- und Prozessverantwortung tragen. Fazit: Auch ein Vorgesetzter ist immer nur für sein eigenes Fehlverhalten, nicht aber für das Fehlverhalten seiner Mitarbeiter verantwortlich zu machen. Insofern ist der Begriff der Fremdverantwortung, die hier auch oft benutzt wird, eher irreführend.

Etwas anders sieht es bei der politischen Verantwortung aus. Hier kann es durchaus sein – und es zählte einmal zu den guten Sitten in der Politik – dass z. B. ein Minister gehen musste, weil in seinem Verantwortungsbereich Unregelmäßigkeiten aufgetreten waren – selbst wenn er sie beim besten Wissen und Wollen nicht hätte verhindern können. Ein bekanntes, heute schon „geschichtliches Ereignis“ ist der Rücktritt des damaligen deutschen Bundeskanzlers Brandt, nachdem festgestellt wurde, dass ein Spion in sein unmittelbares Umfeld eindringen konnte. Die Sicherheitsdienste und Sicherheitsprüfungen hatten versagt – Brandt übernahm mit seinem Rücktritt dafür die politische Verantwortung.

 

3.2.2 Freie oder gebundene Stellen- und Rollenbildung

Im Verlag von Herrn Buch gibt es einen Mitarbeiter, der eine Lehre in einer Druckerei gemacht hat und der außerdem sehr geschickt ist beim Einsatz von IT-Anwendungen. Um die Fähigkeiten dieses Mitarbeiters entsprechend zu nutzen, hat Herr Buch dessen Stelle so gebildet, dass er für die folgenden Aufgaben zuständig ist:

Erfassen und Layout-Gestaltung von Manuskripten

Installation von Hard- und Software

IT-Benutzerservice für alle Verlagsmitarbeiter.

Diese Regelung kann durchaus sinnvoll sein. Wenn Qualifikationen und Neigungen vorhandener Mitarbeiter berücksichtigt werden, spricht man von einer gebundenen Organisation. Dabei können sich folgende Vorteile ergeben:

gute Nutzung der Fähigkeiten vorhandener Personen

hohe Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter, wenn sie ihrer Eignung und Neigung entsprechend eingesetzt werden

kostengünstige Lösung (so würde sich im Verlag ein Spezialist für den Benutzerservice als Hauptaufgabe nicht lohnen).

Tendenziell nimmt die Bereitschaft zu, Lösungen auf konkrete Personen zuzuschneiden, wenn

dadurch Kosten in nennenswertem Umfang eingespart werden können

es um knappe und teure Qualifikationen geht – hochkarätige Spezialisten

die betroffenen Mitarbeiter in der Hierarchie weit oben stehen – sie können maßgeschneiderte Lösungen für sich leichter durchsetzen

aus der Sicht der Unternehmenskultur die Arbeitszufriedenheit stark gewichtet wird.

Da relativ häufig eine oder mehrere dieser Bedingungen vorliegen, wird oft bewusst gegen den klassischen organisatorischen Grundsatz verstoßen, sachorientiert (ad rem) statt personenorientiert (ad personam) zu organisieren.

Unbestreitbar gibt es auch Vorteile einer „ungebundenen Organisation“, bei der man sich an vorhandenen Berufsbildern wie des Bankkaufmanns, des Einkäufers, des Buchhalters usw. orientiert:

leichtere Besetzung von Stellen

erleichterte Stellvertretungsregelungen

weniger Reorganisationsaufwand beim Ausscheiden oder bei der Versetzung eines Mitarbeiters als wenn die Stelle speziell auf seine Fähigkeiten hin gebildet wurde (Organisation ad personam).

In einer Agilen Organisation, in der Mitarbeiter verschiedene Rollen so übernehmen, wie es die jeweilige Situation erfordert, kommt es nahezu immer zu Lösungen, die sowohl einer ungebundenen als auch einer gebundenen Organisation entsprechen. Um eine flexible Rollenbesetzung gewährleisten zu können, ist es wichtig, sich nicht von einzelnen Personen abhängig zu machen. Rollen werden daher in Agilen Organisationen grundsätzlich personenunabhängig ad rem gebildet. Die Rollen werden dann situativ durch Rolleninhaber besetzt, die dafür am besten geeignet sind. So entwickelt sich ein organisatorischer Lernprozess und es wird immer deutlicher, wer welche Qualitäten hat, unabhängig von klassischen Berufsbildern. Es kommt daher auch vor, dass Aufgaben und Rollen aufgrund der positiven Erfahrungen und speziellen Fähigkeiten bewährter Rolleninhaber auf diese angepasst werden, um ihr volles Potenzial nutzen zu können. Letztlich wird hier „ad personam“ geregelt, allerdings nicht als dauerhafte Lösung, sondern abhängig von den gegenwärtigen Anforderungen und den vorhandenen personellen Ressourcen.

3.2.3 Zentralisation und Dezentralisation

Im Verlag werden derzeit alle Abbildungen, die in Bücher, Zeitschriften, Werbedrucke usw. eingehen, von Spezialisten in der Abteilung Grafik angefertigt. Wenn ein Mitarbeiter oder Autor eine Abbildung benötigt, skizziert er seine Ideen und legt sie der Abteilung vor, die sie dann reproduktionsreif herstellt. Nun wird eine andere Lösung diskutiert. Da fast alle Autoren wie auch die übrigen Mitarbeiter des Verlags selbst über leistungsfähige Grafiksoftware verfügen, könnten diese Mitarbeiter und auch die Autoren nach entsprechender Einweisung die benötigten Grafiken selbst erstellen.

Aus einer Zentralisation würden dann eine Dezentralisation und obendrein eine Verlagerung auf Dritte.

Zentralisation ist die Zusammenfassung artgleicher oder ähnlicher Aufgaben an einem Mittelpunkt (Stelle, Rolle oder Abteilung).

Im Beispiel einer spezialisierten Grafikabteilung liegt eine Zentralisation vor. Zur exakten Beschreibung müssen sowohl der Mittelpunkt (Ziel) – z. B. Stelle, Abteilung, Person, Raum – als auch die Aufgabenart, die zentralisiert werden soll – wie z. B. Erstellen von Grafiken nach Vorlagen – angegeben werden.

Dezentralisation ist die Verteilung artgleicher oder ähnlicher Aufgaben auf verschiedene Stellen oder Abteilungen – ein Streben weg vom Mittelpunkt.


Abb. 3.05: Zentralisation der Grafikbearbeitung

Um ein weiteres Beispiel zu geben: Wenn die Marketing-Aufgaben in einer Abteilung zusammengefasst werden, die für das gesamte Unternehmen zuständig ist, liegt eine Zentralisation nach der Funktion „Marketing“ vor. Wenn demgegenüber alle Fachbereiche über eigene Marketing-Experten verfügen, handelt es sich um eine teilweise dezentrale Lösung. Wenn das Marketing nicht mehr von Spezialisten, sondern „nebenbei“ von den Vorgesetzten und Mitarbeitern der Fachbereiche erledigt wird, liegt eine komplette Dezentralisation vor.


Abb. 3.06: Zentralisation des Marketing


Abb. 3.07: (Teilweise) Dezentralisation des Marketing

Aus einem anderen Blickwinkel werden hier auch die Art- und die Mengenteilung unterschieden. Das soll wiederum am Beispiel von Herrn Buch verdeutlicht werden.

Ein personell starker Bereich des Verlags ist der Vertrieb. Allein im Versand arbeiten vier Mitarbeiter, die Auslieferungen zusammenstellen und versandfertig machen. Jeder Mitarbeiter hat hier die gleichen Aufgaben. Keiner ist auf irgendwelche Teilaufgaben spezialisiert.

Die große Anzahl täglich zu versendender Lieferungen kann von einem einzelnen Mitarbeiter nicht bewältigt werden. Deswegen werden diese Aufgaben auf mehrere Mitarbeiter verteilt. Das wird dann als Mengenteilung bezeichnet.

Mengenteilung ist die Zuordnung gleichartiger Aufgabenkomplexe auf mehrere Stellen.

Anders sieht die organisatorische Lösung bei den benachbarten Stellen aus. Sie wurden so gebildet, dass jeder Mitarbeiter einen spezialisierten Aufgabenbereich zu bearbeiten hat.

Die Auftragsannahme kümmert sich lediglich um die eingehenden Bestellungen. Sie sortiert vor, erfasst Neukunden und klassifiziert sie, entscheidet über Lieferkonditionen, prüft die Bonität von Großkunden und leitet die Ergebnisse an die Fakturierung, also an die Stelle weiter, wo die Rechnungen geschrieben werden. In der Fakturierung werden neben der Rechnung die Versandpapiere erstellt. Im Versand werden die Aufträge physisch zusammengestellt und für die Auslieferung bereitgestellt. Die nebeneinander stehenden Stellen haben in dem Beispiel unterschiedliche Aufgaben. Hier spricht man von Artteilung.

Artteilung ist die Zuordnung ungleichartiger – spezialisierter – Aufgabenkomplexe auf verschiedene Stellen oder Rollen.


Abb. 3.08: Mengen- und Artteilung in der Stellenbildung

Die Artteilung ist gleichzeitig ein Beispiel für eine Zentralisation der Verrichtungen Auftragsannahme, Fakturierung und Versand.

3.3 Stellenarten

Stellen können nach verschiedenen Gesichtspunkten klassifiziert werden. Nach ihrer hierarchischen Einordnung (Rangaspekt) lassen sich Leitungs- und Ausführungsstellen unterscheiden. Nach dem Kriterium der zugeordneten Aufgaben unterscheidet man verrichtungs- und objektorientiert gebildete Stellen. Die Abbildung 3.09 zeigt eine Übersicht der Stellenarten, die hier noch näher behandelt werden.


Abb. 3.09: Stellenarten

Diese Stellenarten und deren Vor- und Nachteile werden nun vertieft behandelt.

Hier ist aus Vereinfachungsgründen zwar immer nur von der Stellenbildung die Rede, allerdings kann analog auch von Leitungsrollen, Ausführungsrollen, von verrichtungsorientierter oder objektorientierter Rollenbildung gesprochen werden.

Dann gelten die hier genannten Prinzipien letztlich genauso für die Rollenbildung.

3.3.1 Rangaspekt der Stellen- und Rollenbildung

3.3.1.1 Leitungsstellen und -rollen

Der Chef einer Kreditabteilung hat eine Leitungsstelle inne. Ihm sind direkt sieben Mitarbeiter unterstellt.

Was bedeutet das nun aus organisatorischer Sicht? Leitungsstellen sind Stellen mit Fremdentscheidungsbefugnissen. Der Leiter der Kreditabteilung darf für andere verbindliche Entscheidungen fällen. Er kann ihnen Aufgaben übertragen, er kann ihre Urlaubsgesuche akzeptieren oder ablehnen, er kann ihnen vorschreiben, wie bestimmte Prozesse zu bewältigen sind usw. Aus dem Recht zur Fremdentscheidung leitet sich unmittelbar das Anordnungsrecht ab; eine unabdingbare Voraussetzung, wenn die Sachverhalte, über die er entschieden hat, auch durchgesetzt werden sollen. So kann der Leiter der Kreditabteilung mündliche oder schriftliche Weisungen erteilen, welche für die Mitarbeiter verbindlich sind. Der Inhaber einer Leitungsstelle kann auch zur Verantwortung gezogen werden für Handlungen oder Unterlassungen seiner Mitarbeiter. Diese Verantwortung gilt – wie oben bereits erwähnt – jedoch nur insofern, als er seine Auswahl-, Anleitungs-, Informations- und Kontrollaufgaben vernachlässigt hat. Der Leitungsstelleninhaber besitzt auch ein Fremdverantwortungsrecht, da er seine Mitarbeiter zur Rechenschaft ziehen kann, d. h. er kann von ihnen Antwort verlangen zu Fragen über Handlungen und Unterlassungen und er kann Fehlverhalten sanktionieren. Hier wird auch von disziplinarischen Befugnissen gesprochen. Die Sanktionsmöglichkeiten reichen von informellen Gesprächen, in denen lediglich Kritik geübt wird, über formelle sogenannte Abmahnungen, in denen weitere Konsequenzen angedroht werden, bis hin zu Entlassungen. Dazu müssen allerdings bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, die von der jeweiligen Rechtsordnung abhängig sind.

Leitungsstellen sind somit durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

Fremdentscheidung

Anordnung

Fremdkontrolle

Fremdverantwortungsrecht.

Eine Leitungsstelle ist immer nur von einer Person besetzt. Instanzen können sowohl aus einer Stelle (Singularinstanz) als auch aus mehreren Stellen (Pluralinstanz) bestehen.

Wenn der Verlag weiter wächst, ist es denkbar, dass die Einmann-Leitung (Singularinstanz) des Herrn Buch ersetzt wird durch ein Leitungskollegium, in das dann weitere Mitglieder (z. B. heutige Bereichsleiter) mit aufgenommen werden (Pluralinstanz).

Bei Singularinstanzen (Leitung nach dem Direktorialprinzip) ist der Inhaber der Leitungsstelle allein für seinen abgegrenzten Aufgabenbereich zuständig. In einer Pluralinstanz (Abbildung 3.10) gibt es immer bestimmte Aufgaben, die das Gremium gemeinsam erledigen muss, z. B. Entscheidungen über Investitionen, Einstellung leitender Mitarbeiter oder Aufnahme neuer Produkte. Daneben kann jedes einzelne Mitglied auch noch einzelverantwortlich einen Bereich leiten. Hier wird von einer ressortgebundenen Geschäftsleitung gesprochen. In diesem Fall muss in einem sogenannten Geschäftsverteilungsplan geregelt sein, welche Sachverhalte von der Pluralinstanz gemeinsam und welche Entscheidungen von den Mitgliedern einzeln getroffen werden dürfen.

Bei den Entscheidungen, die in einer Pluralinstanz gemeinsam zu treffen sind, ist die Form der Willensbildung zu regeln, ob also beispielsweise Einstimmigkeit notwendig ist, ob Mehrheitsentscheidungen gefällt werden können, ob einzelne Mitglieder Vetorechte haben usw. Zur organisatorischen Regelung dieser Sachverhalte sind verschiedene Formen der Willensbildung entwickelt worden, die später gesondert behandelt werden (siehe dazu Kapitel 4.3.3).

 

3.3.1.2 Ausführungsstellen und -rollen mit Realisationsaufgaben

Ausführungsstellen bilden die unterste Ebene der Hierarchie. Sie haben keine Mitarbeiter und damit keine Weisungsrechte gegenüber Dritten. Beispiele für typische Ausführungsstellen mit Realisationsaufgaben finden sich im folgenden Kapitel 3.3.1.3.


Abb. 3.10: Organigramm Verlag

3.3.1.3 Stabsstellen und -rollen

In der Abbildung 3.10 finden sich Stabsstellen für Organisation/IT und Revision. Stäbe unterstützen die Instanzen, denen sie zugeordnet sind, hier also die Geschäftsleitung, sie dienen aber letztlich u. U. dem gesamten Unternehmen. Darüber hinaus gibt es noch einen Stab Marketing unter der Vertriebsleitung. Stäbe können auf nahezu allen Ebenen einer Hierarchie eingerichtet werden.

Stäbe übernehmen die Entscheidungsvorbereitung bzw. die auf eine Entscheidung der Instanz folgenden Abwicklungs- oder Überwachungsaufgaben.

Die Marketing-Abteilung fertigt ein Vertriebskonzept für einen neuen Titel an (Entscheidungsvorbereitung). Der Kaufmännische Leiter entscheidet sich gemeinsam mit dem Verkaufschef für eine bestimmte Lösung. Das Marketing sorgt dann im Auftrag des Kaufmännischen Leiters dafür, dass dieses Konzept umgesetzt wird – z. B. Herstellung von Dokumenten, Schaltung von Anzeigen, Schulung der Verkäufer usw.

Normalerweise werden Stäbe immer dann eingerichtet, wenn eine Instanz mengenmäßig und/oder qualitativ überlastet ist. Für den Fall einer mengenmäßigen Überlastung werden zumeist

generalisierte Stabsstellen – Stäbe mit allgemeinen Aufgaben, wie z. B. der Direktionsassistent oder die Sekretärin – eingerichtet. Solche Stellen werden auch als adjutantive Stabsstellen bezeichnet.

Bei qualitativer Überlastung eignen sich

spezialisierte Stabsstellen – Stäbe mit fundierten Detailkenntnissen in einem abgegrenzten Fachgebiet, z. B. Recht oder Marketing, Organisation, IT, Revision, Unternehmensplanung.

Neben einzelnen Stabsstellen gibt es auch Stabsabteilungen, die sich in ihren Innenbeziehungen nicht von Linienabteilungen unterscheiden. Die Leiter von Stabsabteilungen (Stabsinstanzen) haben auch Fremdentscheidungskompetenzen innerhalb ihrer Abteilungen, d. h. fachliche und disziplinarische Weisungsbefugnisse. Die Ergebnisse der Stabsarbeit können vom Stab jedoch nicht verbindlich für andere Linien- oder Stabsstellen angeordnet werden. Stäbe besitzen kein nach außen wirkendes Fremdentscheidungsrecht. Erst durch die Entscheidung einer Instanz werden die Ergebnisse der Stabsarbeit verbindlich. Wenn also beispielsweise die Revision formelle Mängel entdeckt, kann sie nicht aus eigener Kompetenz verlangen, dass diese Mängel abgestellt werden. Sie muss vielmehr versuchen, eine Entscheidung der Instanz herbeizuführen, der sie zugeordnet ist (in der Regel Vorsitzender der Geschäftsleitung bzw. des Vorstands). Erst mit dieser Entscheidung – die auch nicht immer nach dem Willen der Revision ausfallen muss – kann eine gewünschte Änderung durchgesetzt werden.

Mit Stäben werden die Kapazität und damit auch die Macht der Entscheider erweitert. Die Entscheider müssen ihre Macht nicht mit anderen teilen. Da gleichzeitig durch den Einsatz von Stäben auch die Zahl der Entscheidungsträger begrenzt wird, kann die Koordination erleichtert werden, da es weniger Abstimmungsprozesse gibt. Dadurch wird die Tendenz gefördert, Befugnisse in wenigen Stellen zu konzentrieren, statt Formen der gemeinsamen Willensbildung wie z. B. Ausschüsse, teilautonome Arbeitsgruppen oder Workshops einzuführen. Kritiker behaupten deswegen, dass Stäbe ein zentralistisches Führungsmodell – alle Macht liegt an der Spitze – festigen. Darüber hinaus geraten Stäbe immer wieder in die Kritik als praxisferne, kostenaufwändige Wasserköpfe, die sich mehr mit sich selbst als mit ihren Aufgaben beschäftigen. Gerade auch Entwicklungen zu schlanken Unternehmen und Agilen Organisationsformen haben dazu geführt, dass zentrale Stäbe ausgedünnt oder sogar ganz abgeschafft wurden.

Im Einzelfall kann es schwierig sein, zu beurteilen, ob eine Organisationseinheit als Linienstelle oder als Stabsstelle anzusehen ist. Das gilt immer dann, wenn im Stab auch eigenständige Aufgaben angesiedelt sind, so z. B. die verbindliche Verabschiedung von Prozessen und Richtlinien für die Beschaffung von Hard- und Software durch eine Organisationsabteilung. Hier handelt es sich um Aufgaben, die nichts mehr mit Stabsfunktionen (Unterstützung anderer Instanzen) zu tun haben, auch wenn die Organisationseinheit als Stab bezeichnet wird. In der Literatur werden Stäbe, die neben den klassischen Stabsfunktionen zusätzlich eigene Aufgaben und damit u. U. sogar funktionale Kompetenzen, d. h. begrenzte Weisungsrechte erhalten haben (z. B. Organisation muss neue Software-Produkte freigeben oder Investitionen für Sachmittel bewilligen), als Zentrale oder als zentrale Dienststellen bezeichnet. Zentrale Dienststellen sind Stäbe, die über ihre Stabsaufgaben hinaus eigene Aufgaben haben und gelegentlich sogar Weisungsrechte gegenüber Dritten besitzen.

Die Arbeit mit Stäben kann besondere organisatorische Probleme aufwerfen, von denen hier abschließend einige erwähnt werden sollen:

Stäbe haben oft Schwierigkeiten, für ihre Entscheidungsvorbereitung an die relevanten Informationen zu kommen und diese Informationen richtig zu bewerten. Speziell wenn Erhebungen durchgeführt werden müssen, ist der Stab oft „in der Hand“ der Auskunftspersonen. Die Entfernung zur Front erschwert ihre Urteilsfähigkeit, sie sind relativ leicht manipulierbar.

Für einen Stab bedeuten Änderungen, die von ihm ausgelöst werden, kein Risiko, da der Stab von seinen Vorschlägen normalerweise nicht selbst betroffen ist und keine Ergebnisverantwortung tragen muss. Er neigt deswegen eher dazu, Lösungen in Frage zu stellen, als es die betroffenen Fachbereiche tun. Das kann dazu führen, dass – u. U. sehr teure – Experimente gemacht werden.

Zwischen Stab und Linie bestehen oft deutliche Unterschiede in der Mentalität. Die „Macher an der Front“ haben gelegentlich ihre – auch emotionalen – Probleme mit „denen vom grünen Tisch, die uns nur von der Arbeit abhalten“. Derartig polarisierte Einstellungen führen oft dazu, dass Stabsarbeit blockiert oder neutralisiert wird.

Stäbe können sehr mächtig werden, wenn sie einen großen Informationsvorsprung vor den Entscheidern haben. Die Entscheider sind zwar formell in der Verantwortung, müssen sich oft aber auf ihre Stäbe nahezu blind verlassen. Das kann dazu führen, dass wichtige Entscheidungen von Mitarbeitern beeinflusst oder dominiert werden, die letztlich dafür keine Verantwortung tragen müssen.

Stabsarbeit ist für die Betroffenen oft frustrierend, weil sie sich als machtlos empfinden und oft andere die Lorbeeren ihrer Arbeit ernten.

Die ausführliche Schilderung der Probleme der Stabsarbeit soll jedoch nicht davon ablenken, dass insbesondere die spezialisierte Stabsarbeit aus Wirtschaft und Verwaltung nicht wegzudenken ist.

Stäbe haben – in begrenztem Umfang – auch heute noch ihre Berechtigung. Insbesondere werden sie oft als Reservekapazitäten geschätzt, die sich mit Problemen außerhalb der Routine beschäftigen können, für die Linienmitarbeiter immer weniger Zeit erübrigen können. Stäbe bieten auch „Parkpositionen“ für qualifizierte Mitarbeiter, die dann in wechselnden Projekten eingesetzt werden. Sie bevorraten also Kapazitäten für die sogenannte Sekundärorganisation (siehe dazu Kapitel 5).

3.3.2 Prozessorientierte Stellen- und Rollenbildung

In Kapitel 1 wurde schon kurz darauf hingewiesen, dass die Aufbauorganisation oft als Ganzes an zentralen betrieblichen Prozessen ausgerichtet wird, die bei einem externen oder internen Kunden beginnen und enden. Dieser Grundsatz kann in bestimmten Bereichen bis in die Stellenbildung durchschlagen.

Wenn in einer Bank die Gewährung von Darlehen ein zentraler Prozess ist, dann sollte dieser Prozess von der ersten Beratung bis zur Auszahlung, ja eventuell sogar bis zur Schließung des Darlehenskontos möglichst wenige Schnittstellen aufweisen, d. h. möglichst von einer Person – oder einer Gruppe – durchgängig bis zur Erledigung wahrgenommen werden. Diese Person könnte von der Beratung und der Antragsannahme, über die Entscheidung in Standardfällen bis hin zur Freigabe der Auszahlung zuständig sein. Auch wenn Teilaufgaben aus Gründen der Spezialisierung oder aus Gründen der Überwachung (Vier-Augen-Prinzip) auf andere Mitarbeiter übertragen werden müssen, koordiniert diese Person den gesamten Prozess und bleibt für den Kunden der einzige Ansprechpartner.

Diese prozessorientierte Stellenbildung hat große Ähnlichkeiten mit der unten noch zu behandelnden Stellenbildung nach Kunden und mit den autonomen Arbeitsgruppen. Auch in diesen Fällen wird praktisch ein Ansprechpartner für den Kunden geschaffen. Allerdings betont die prozessorientierte Stellenbildung noch deutlicher das Prinzip, bei der Bündelung der Aufgaben Prozesse so wenig wie möglich zu zerschneiden (siehe zu diesem Thema auch FISCHERMANNS, 2013).