Organisation gestalten – Stabile und dynamische Unternehmensstrukturen

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2.2.7 Kunden und Markt


In Kapitel 2.2.2.3 weiter oben wurde bereits auf wichtige Ziele eingegangen, die ein Kunde verfolgt. Viele dieser Ziele lassen sich nur durch eine entsprechende Aufbau- und Prozessorganisation erreichen.

Kundenstruktur, Märkte

Die Struktur der Kunden, ihre Bedeutung – etwa gemessen am prozentualen Anteil am Umsatz bei bestimmten Produkten – oder ihre regionale Verteilung usw. sind häufig maßgeblich für die Wahl der „richtigen“ Aufbauorganisation. So spiegelt sich beispielsweise die Belieferung sehr unterschiedlicher Kundengruppen oder regionaler Märkte in aller Regel auch in der Vertriebsorganisation wider, die oft nach Kundengruppen und/oder Regionen gegliedert wird.

Eine Privatbank, die fast nur mit großen und mittleren Unternehmen als Kunden zu tun hat, wird sich anders strukturieren als eine Bank, die eine eng begrenzte Region bearbeitet und vorwiegend Massenkundschaft bedient. Analog gilt beispielsweise, dass sich eine Personalabteilung in ihrer Struktur an ihrer „Kundschaft“, nämlich den verschiedenen Gruppen von Beschäftigten orientiert, wenn diese „Kundschaft“ sehr unterschiedliche Anforderungen stellt und eine individuelle Bearbeitung erfordert.

Die Kunden und der Markt sowie diejenigen, die noch nicht Kunden sind, können also eine wichtige Rolle für die Organisation eines Unternehmens spielen. Schon bei der Formulierung der Unternehmensstrategie steht immer auch die Frage im Vordergrund, welche Leistungen zu welchen Bedingungen von den Kunden gewünscht werden oder welche Leistungen oder Produkte die Kunden benötigen könnten. Das wird auch als der „Market-based View“ in der Strategieformulierung bezeichnet. Im Grundsatz gilt, dass alle Produkte und Leistungen und die damit verbundenen Prozesse sich am Bedarf des Kunden orientieren. So sollten in der Prozessorganisation alle Kernprozesse auch als End-to-end-Prozesse, d. h. als Prozesse gestaltet werden, die vom Kunden zum Kunden laufen. Der Aufbau solcher Prozessstrukturen hat selbstverständlich weitreichende Auswirkungen auch auf die Aufbauorganisation der Unternehmen, wie unten in Kapitel 4 „Hierarchische Modelle“ noch ausführlich erörtert wird. Er stimmt also wirklich, der viel zitierte Satz „Der Kunde steht im Mittelpunkt“ – auch im Mittelpunkt aller organisatorischen Bemühungen.

Im Folgenden sollen einige Beispiele verdeutlichen, dass Kunden direkte oder indirekte Einflüsse auf die Aufbauorganisation ausüben können.

Ein Unternehmen plant den Aufbau eines Customer Relationship Management (CRM), das der Dokumentation und Verwaltung von Kundenbeziehungen dient, um mit seiner Hilfe bestehende Kunden zu binden und neue Kunden zu gewinnen. Ein solches CRM setzt voraus, dass intern die Zuständigkeiten für die Datenermittlung und die Pflege sowie für die zu ergreifenden Maßnahmen geregelt sind. Außerdem werden entsprechende IT-Systeme benötigt.

Eine Bank hat bei der Marktanalyse festgestellt, dass sie es im Kern mit vier verschiedenen Kundengruppen zu tun hat – Privatkunden, vermögende Privatkunden, kleine und mittelständische Unternehmen sowie Großunternehmen. Diese verschiedenen Kundengruppen haben zum Teil sehr unterschiedliche Erwartungen und richten sehr unterschiedliche Anforderungen an die Bank, sind in sich aber relativ homogen. In diesem Fall entscheidet sich die Bank für eine Strukturierung ihres Vertriebs nach diesen vier Kundengruppen.

Ein Unternehmen hat sich vom Anbieter von Einzelteilen für ein großes Maschinenbauunternehmen zu einem Anbieter von ganzen Komponenten weiterentwickelt. Nach intensiven Gesprächen wird mit dem Kunden vereinbart, eine Partnerschaft bei der Neuentwicklung von Komponenten einzugehen. Jede Seite soll bestimmte Teile geplanter Komponenten entwickeln. Es muss aber sichergestellt werden, dass das dabei gewonnene Knowhow nicht Dritten zugänglich gemacht wird. Das Unternehmen strukturiert seine Entwicklungsabteilung in der Form um, dass für diese Entwicklungsleistungen eine eigene Abteilung eingerichtet wird, die von den übrigen Entwicklungsabteilungen abgeschottet wird.

Ein Unternehmen bietet die Übernahme von Human-Resources-Funktionen an – Lohn und Gehaltsabrechnung, Abführung von Sozialabgaben, Gewinnung und Vorauswahl von Mitarbeitern etc. Diese Leistungen wurden bisher von den Kunden (Unternehmen) selbst erbracht, bedeuten aus deren Sicht also ein Outsourcing. Das hat nicht nur Konsequenzen für die Aufbauorganisation des abgebenden Unternehmens, sondern auch für die Organisationsstruktur des Dienstleisters, da er u. U. gezwungen wird, den größeren Teil des beim Kunden freigesetzten Personals zu übernehmen und bei sich zu integrieren.

Das sind nur einige wenige Beispiele für mögliche aufbauorganisatorische Konsequenzen, die sich aus einer Beziehung zu Kunden ergeben können. Grundsätzlich ist bei jeder aufbauorganisatorischen Planung immer wieder zu prüfen, welche Forderungen vom Markt gestellt werden oder welche aufbauorganisatorischen Lösungen das Unternehmen in die Lage versetzen, noch erfolgreicher am Markt zu operieren.

2.3 Gestaltungsprinzipien der Aufbauorganisation

Organisatorische Lösungen können hinsichtlich bestimmter Gestaltungsprinzipien unterschieden werden.

Gestaltungsprinzipien sind betriebliche, meist ungeschriebene, aber dennoch befolgte Grundsätze, die bei aufbauorganisatorischen Lösungen zu beachten sind.

Beispiele für solche Gestaltungsprinzipien sind

Umfang der Autonomie von Einheiten: Inwieweit werden Einheiten geschaffen, die sich weitgehend selbst steuern? Dieses Gestaltungsprinzip hat in jüngerer Zeit an Bedeutung gewonnen, da Unternehmen oder Bereiche immer stärker gefordert sind, flexibel auf Anforderungen zu reagieren, was die klassische Hierarchie kaum bewältigen kann. Agile Organisationen schaffen häufig Bereiche, die sich im Rahmen eines Purpose (Zweck) oder einer vorgegebenen Strategie selbst steuern.

Umfang der Delegation: In welchem Umfang werden Entscheidungsbefugnisse auf untere hierarchische Ebenen verlagert? Hier bleiben die Hierarchien im Prinzip unverändert, durch Delegation erfolgt lediglich eine Lockerung einer strengen Entscheidungszentralisation.

Art der Willensbildung: Sind Einzelne für Entscheidungsvorbereitung und Entscheidung zuständig oder werden Gruppen eingesetzt? Inwieweit werden die Betroffenen beteiligt (Partizipation) usw.?

Bindung an konkrete Personen: Dominieren bei der organisatorischen Gestaltung die vorhandenen Personen (gebundene Organisation) oder stehen generische Rollen (abstrakte Rollenbilder) und typische Vorstellungen über das Leistungspotenzial von Menschen im Vordergrund?

Umfang der Spezialisierung: Soll weitgehende Arbeitsteilung praktiziert werden oder soll – beispielsweise zur Förderung der Motivation – die Spezialisierung zugunsten komplexerer Aufgaben zurücktreten?

Organisationsgrad: In welchem Umfang sollen überhaupt organisatorische Lösungen erarbeitet werden? Soll den Mitarbeitern die Freiheit zugebilligt werden, innerhalb eines vorgegebenen Rahmens im Einzelfall zu entscheiden? Inwieweit sollen Stabilität und Eindeutigkeit gewährleistet sein? Inwieweit müssen Prozesse und Entscheidungen nachvollziehbar sein?

Formalisierungsgrad: In welchem Umfang sollen organisatorische Lösungen festgeschrieben und in Form von Anweisungen, Stellenbeschreibungen etc. dokumentiert werden? Sowohl hinsichtlich des Organisationsgrades als auch des Formalisierungsgrades sind in den letzten Jahren deutliche Veränderungen der „herrschenden Meinung“ festzustellen, in Richtung auf möglichst wenige Regelungen und möglichst geringe Formalisierung. Ausgenommen sind die Finanzdienstleister (z. B. Banken und Versicherungen), die in immer größerem Umfang durch Dokumentationen nachweisen müssen, dass sie den Anforderungen der Compliance gerecht werden.

Umfang der Information: Inwieweit werden den Mitarbeitern auch Informationen zugänglich gemacht, die ihnen Hintergrundwissen verschaffen und die ihre Motivation fördern?

Dominanz der Strukturierung: Gibt die Aufbauorganisation den Rahmen der Prozessorganisation vor oder dominieren wichtige – bei Kunden beginnende und endende – Prozesse die Aufbauorganisation?

Umfang, Verfahren, Intensität und Träger der Kontrollen: Wer kontrolliert wie, in welcher Frequenz und mit welchem Detaillierungsgrad – Ergebniskontrollen oder Verfahrenskontrollen?

Wenn bestimmte Ausprägungen derartiger Gestaltungsprinzipien – z. B. wir setzen uns vor einer wichtigen Entscheidung zusammen – in der Kultur eines Unternehmens oder einer Verwaltung fest verankert sind, können sie die gewählten organisatorischen Lösungen beeinflussen.

Literatur zu Kapitel 2

Berger, M.; Chalupsky, J.; Hartmann, F.: Change Management – (Über-) Leben in Organisationen. 7. Aufl., Gießen 2013

Bleicher, K.: Organisation. Strategien – Strukturen – Kulturen. 2. Aufl., Wiesbaden 1991

Chandler, A. D.: Strategy and Structure. 13. Aufl., Cambridge (Mass.) 1984

Frese, E.; Graumann, M.; Theuvsen, L.: Grundlagen der Organisation. Entscheidungsorientiertes Konzept der Organisationsgestaltung. 10. Aufl., Wiesbaden 2012

 

Grochla, E.: Grundlagen der organisatorischen Gestaltung. Stuttgart 1982

Hamel, G.; Prahalad, C. K.: Wettlauf um die Zukunft. Wien 1995

Krüger, W.: Organisation der Unternehmung. 4. Aufl., Stuttgart/Berlin/Köln 2002

Krüger, W.; Homp, C.: Kernkompetenz-Management. Steigerung von Flexibilität und Schlagkraft im Wettbewerb. Wiesbaden 1997

Schreyögg, G.: Grundlagen der Organisation. 2. Aufl., Wiesbaden 2016

Schreyögg, G.; Geiger, D.: Organisation. Grundlagen moderner Organisationsgestaltung. 6. Aufl., Wiesbaden 2015

Senge, P. M.: Die fünfte Disziplin. Kunst und Praxis der lernenden Organisation. 11. Aufl., Stuttgart 2011

Vahs, D.: Organisation. Ein Lehr- und Managementbuch. 9. Aufl., Stuttgart 2015

3 Stellen- und Rollenbildung
3.1 Begriffe

Ein Kreditberater soll zukünftig für die gesamte Bearbeitung von Krediten aller Kunden in einer bestimmten Region zuständig sein. Ausgenommen ist die Bewilligung ab bestimmten Wertgrenzen und ausgenommen ist die Auszahlung. Als Aufgabenträger berät er, nimmt Daten entgegen und gibt sie ein, erstellt einen Kreditvertrag usw. Diese von ihm wahrzunehmenden Aufgaben bilden das Fundament seiner Stelle. Um diese Aufgaben erfüllen zu können, benötigt er Informationen und Sachmittel.

Abstrakt gesprochen geht es bei der Stellenbildung um die Verknüpfung (Herstellung von Beziehungen) der organisatorischen Elemente unter Berücksichtigung der Dimensionen. Die gerasterten Flächen des Würfels sind somit angesprochen. Eine Stelle ist dann vollständig beschrieben, wenn alle zugehörigen Elemente und die Dimensionen geregelt sind. Sie wird folgendermaßen definiert:

Eine Stelle ist ein nach Art und Menge abgegrenzter Aufgabenkomplex für einen Aufgabenträger, dem zur Aufgabenerfüllung Informationen und Sachmittel zur Verfügung gestellt werden.


Abb. 3.01: Bestandteile der Stellen- und Rollenbildung


Element Inhalt Zeit Raum Menge
Art der Aufgaben Zeitverbrauch je Aufgabenerfüllung/ Zeit des Aufgabenanfalls Raumbedarf für die Erledigung, Ort an dem die Aufgabe anfällt Anzahl der zu erfüllenden Aufgaben
Aufgabenträger Qualifikation des Aufgabenträgers Zeitliche Kapazität/ Zeitraum der Verfügbarkeit Raumbedarf des Arbeitsplatzes, Ort der Tätigkeit Anzahl der Aufgabenträger
Sachmittel Funktionalität/ Leistungsmerkmale Zeit der Verfügbarkeit Raumbedarf der Sachmittel, Ort des Sachmittels Anzahl der Sachmittel
Information Art und Qualität (z. B. Genauigkeit, Sicherheit) Zeitraum oder Zeitpunkt der Verfügbarkeit Raumbedarf (z. B. für Registratur, Archiv), Ort der Bereitstellung Umfang der Informationen

Abb. 3.02: Beispiele für Regelungsinhalte der Stellenbildung

Bei der Stellenbildung wird von einer bestimmten qualitativen und quantitativen Kapazität eines Aufgabenträgers ausgegangen. Quantitativ können ihm so viele Aufgaben übertragen werden, wie er mit einem normalen Leistungsgrad bewältigen kann (siehe Kapitel 9.1.2). Der Schwierigkeitsgrad hängt u. a. von der Art der Aufgaben und von der Anzahl unterschiedlicher Aufgaben ab. Dieser Schwierigkeitsgrad sollte das qualitative Leistungsniveau, d. h. die Fähigkeiten des Aufgabenträgers, nicht übersteigen.

Eine Stelle besteht somit aus einem Aufgabenpaket, das von einem – gedachten oder konkreten – Aufgabenträger erfüllt werden kann. Die Betonung liegt dabei auf „einem“.

In dem Konzept des Job Sharing bzw. der Teilzeitarbeit wird vorgesehen, dass sich zwei oder mehr Personen eine oder mehrere Stellen teilen. Die Mitarbeiter leisten in diesem Fall weniger als die in Tarifverträgen festgelegte Normarbeitszeit von beispielsweise 40 Wochenstunden.

Arbeiten zwei Kreditberaterinnen jeweils nur 20 Stunden in der Woche, kann auch in diesem Fall von zwei (Teilzeit-)Stellen gesprochen werden, auch wenn diese Aufgaben ursprünglich von einer Vollzeitkraft wahrgenommen wurden. Die Kapazität dieser Mitarbeiterinnen beträgt 20 Stunden. Auf diese Kapazität ist das Aufgabenvolumen abzustimmen.

Die Stellenbildung geht davon aus, dass vorhersehbare, wiederkehrende Aufgaben zu erledigen sind, die auch in einer gewissen Regelmäßigkeit anfallen und dann immer von den gleichen – mehr oder weniger spezialisierten – Mitarbeitern bearbeitet werden. Erst wenn sich über einen längeren Zeitraum deutliche Veränderungen ergeben, werden die Stellen entsprechend angepasst. Diese Voraussetzungen sind heute nicht immer gegeben. Außerdem wird zunehmend versucht, starre, dauerhafte Regelungen, die innerhalb einer festen Hierarchie gelten, durch flexible und motivierende Modelle der Selbststeuerung von Gruppen oder Einheiten zu ersetzen. In diesem Zusammenhang gewinnt der Begriff der Rolle eine zunehmende Bedeutung. Das soll aus einem Beispiel abgeleitet werden.

In einem mittelständischen Unternehmen, das vorwiegend spezialisierte Produktionsmittel für weltweit ansässige Kunden herstellt, gibt es eine Konstruktionsabteilung, die in direktem Kontakt mit den Kunden die Anforderungen ermittelt und dafür maßgeschneiderte Lösungen erarbeitet. In dieser Abteilung kam es immer wieder zu Engpässen und Reibereien, weil einzelne Mitarbeiter, die auf bestimmte Funktionen spezialisiert waren, aufgrund der Auftragslage über- und andere unterlastet waren. Das hatte Lieferverzögerungen zur Folge, während der Vertrieb immer weiter auf der Suche nach neuen Aufträgen unterwegs war und diese Auslastungsprobleme u.U. noch weiter verschärfte. Daraus ergaben sich Konflikte mit dem Vertrieb, aber auch mit der Produktion, weil die Produktion mit einer Fülle von Sonderwünschen und Einzelanfertigungen fertig werden musste. Konflikte wurden immer eskaliert und in die Hierarchie hineingetragen. Vorgesetzte mussten als Schlichter oder Entscheider auftreten, obwohl ihnen oft die notwendige Einbindung in die operativen Prozesse und der Bezug zum konkreten Fall fehlten. In dieser Situation entschied der Vorstand, die klassische hierarchische Struktur durch ein neues, weitgehend selbststeuerndes Modell zu ersetzen. Die bisher getrennten Abteilungen Vertrieb und Konstruktion wurden in einer Einheit zusammengelegt. Selbst Aufgaben der Beschaffung und Arbeitsvorbereitung wurden dort integriert. Bis auf die reine Fertigung ist diese neue Einheit nun für alle Aufgaben zuständig, die auftragsbezogen und kundenorientiert koordiniert werden müssen. Die Mitarbeiter übernehmen nicht mehr fest zugeordnete Aufgaben, sie besetzen je nach Bedarf aufgrund der geforderten Fähigkeiten zum Teil mehrere vereinbarte Rollen. So kann ein ehemaliger Konstrukteur in den Vertrieb und in die Beschaffung eingebunden werden, indem er z. B. die Rolle des fachlichen Beraters im direkten Kundenkontakt oder, in der Rolle als Besteller, den Einkauf von Material anstößt. Alle möglichen Kombinationen sind denkbar, Grenzen setzen nur die Kenntnisse und Erfahrungen, die aber nicht als feststehend, sondern als entwickelbar angesehen werden. Außerdem gibt es unverändert eine zentrale Einkaufsabteilung, die für den Abschluss von Rahmenverträgen zuständig ist und eine Marketing-Abteilung, die bei Bedarf eingeschaltet werden kann, wenn in dem Bereich spezialisierte Hilfe benötigt wird. Innerhalb der neuen Organisationseinheit regeln die beteiligten Mitarbeiter selbstständig die jeweiligen Verantwortlichkeiten, ohne dafür eine Hierarchie zu nutzen. Alle Entscheidungen orientieren sich am Kunden, der jeweiligen Auftragslage und den Zielvorgaben, die von der Geschäftsführung vorgegeben wurden (z. B. jährliches Umsatzwachstum von x%, ein Mindestdeckungsbeitrag von y%, maximaler zusätzlicher Kapitalbedarf von z€). So kann diese Organisationseinheit flexibel auf die Anforderungen des Markts reagieren, der Markt wird gezielt dort bearbeitet, wo der größte Nutzen im Sinne der Zielerreichung gesehen wird. In diesem Fall sind die Mitarbeiter nicht auf bestimmte Aufgaben fixiert, sondern nehmen immer die anstehenden Aufgaben wahr, die für die Organisationseinheit gerade besonders nützlich sind. Falls sie dafür noch nicht hinreichend qualifiziert sind, müssen sie entsprechend entwickelt werden. Alle betroffenen Mitarbeiter wirken an der Entscheidung mit, wer welche Rolle(n) übernimmt, entwickeln Rollen ggf. weiter und ergänzen neue, falls es die aktuelle Situation erfordert.

Rollen sind personenunabhängige Funktionen, die anhand bestimmter Kriterien gebildete Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen enthalten. Sie sind nicht auf die Kapazität einer Person ausgerichtet und grenzen sich in ihrer Ausprägung deutlich von anderen Rollen innerhalb einer Organisation ab.

Ein Mitarbeiter hat die Rolle Kontoeröffnungen übernommen. Mit dieser Rolle sind eindeutige Aufgaben und Kompetenzen, wie auch Zugriffsrechte auf bestimmte Daten verbunden. Jeder Mitarbeiter, der für diese Rolle zuständig ist, hat die gleichen Aufgaben und Kompetenzen. So werden für diese Mitarbeiter u. U. auch keine Stellenbeschreibungen mehr angefertigt, vielmehr gibt es für jede Rolle eine Rollenbeschreibung, die z. B. für eine ganze Bank gilt, unabhängig davon, ob ein Mitarbeiter in einer kleinen Filiale viele unterschiedliche Rollen hat oder ob ein anderer Mitarbeiter in der Zentrale nur eine einzige Rolle oder ganz wenige Rollen übernimmt.

Es gibt eindeutig und klar definierte Rollen, die dem Rolleninhaber kaum Handlungsspielräume offenlassen. In einigen Unternehmen oder Unternehmensbereichen ist jedoch eine so hohe situative Flexibilität gefordert, dass weniger die konkreten Aufgaben einer Rolle als die erwarteten Ergebnisse definiert werden können. Mit einer Rolle ist die Erwartung und das Vertrauen an den Rollenträger verbunden, ein bestimmtes Resultat für die Organisationseinheit zu einem vereinbarten Zeitpunkt und mit einem möglichst geringen Aufwand bereitzustellen.

Von dem Träger einer Rolle wird in diesen Fällen also erwartet, dass er die jeweiligen Anforderungen erkennt, präzisiert und abgestimmt mit Dritten zielführend bewältigt (Selbstorganisation). Da in diesem Modell die Mitarbeiter keine fest definierten, personenbezogenen Stellen mit eindeutig zugeordneten Aufgaben innehaben, können sie immer wieder wechselnde Rollen nacheinander oder auch parallellaufend übernehmen. Die Organisationseinheit orientiert sich bei der Rollenbildung an den jeweiligen unternehmensexternen und -internen Anforderungen. Beteiligte Mitarbeiter wählen, wer die erforderlichen Rollen übernimmt. Auf diese Weise erhält jede Rolle ihre notwendige Legitimation und Akzeptanz. Es entsteht eine sogenannte „atmende Organisation“, die auch als Agile Organisation bezeichnet wird.

Wie unterscheiden sich nun Stellen von Rollen. Stellen werden – wie erwähnt – auf die Kapazität einer Person zugeschnitten und bleiben grundsätzlich unverändert, bis eine neue „dauerhafte“ Lösung geschaffen wird. Jeder Mitarbeiter hat also eine Stelle, die für ein bestimmtes Paket an Aufgaben zuständig ist. Es wird dabei unterstellt, dass nicht nur die Aufgaben bekannt sind, sondern auch die Häufigkeit der Aufgabe und der Zeitbedarf, der durchschnittlich für die Aufgabenerfüllung notwendig ist. Andernfalls könnte nicht entschieden werden, wie viele Stellen für bestimmte Aufgaben erforderlich sind. Darüber hinaus werden an Stellen und Stellenbeschreibungen oft besondere regulatorische und personalwirtschaftliche Anforderungen gestellt. So dienen sie z. B. als Grundlage für die Erstellung von Geschäftsverteilungsplänen und als dokumentierter Nachweis für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht im Rahmen der Grundsätze ordnungsgemäßer Geschäftsführung. Neben der Zuordnung zu einer Kostenstelle werden tarifliche und außertarifliche Gehaltsbestandteile des Stelleninhabers aufgeführt. Häufig beinhalten sie auch Vertretungsregelungen und vertraglich festgelegte Bedingungen zu Arbeitszeiten und Urlaubsansprüchen.

 

Eine Rolle ist unabhängig von der Kapazität einer Person. Im Rollenmodell kann eine Person flexibel mehrere Rollen übernehmen, wenn es die Situation erfordert und es die vorhandene Auslastung erlaubt. Eine einzelne Rolle ist daher häufig sehr überschaubar und pragmatisch beschrieben. Sie orientiert sich an den aktuell notwendigen unternehmensexternen und -internen Aufgaben und wird nur dann aktiv, wenn sie zu deren Erfüllung beitragen kann. Es gibt aber auch den Fall – insbesondere, wenn große Aufgabenvolumina zu bewältigen sind – dass mehrere Personen gleichzeitig über ein ganzes Unternehmen verteilt ausschließlich dieselbe Rolle übernehmen. Das Rollenmodell erfordert nicht eine Vielzahl unterschiedlichster Stellenbeschreibungen, sondern fokussiert auf die Rollen, die im Unternehmen u. U. ständen vielfach in den unterschiedlichsten Kombinationen auftreten. Damit sinkt auch der Dokumentationsaufwand ganz erheblich, da eine Rolle immer nur einmal beschrieben werden muss. Aufgrund regulatorischer und gesetzlicher Anforderungen kann jedoch der Fall eintreten, dass auf eine Stellendokumentation nicht verzichtet werden darf, sodass es zur Koexistenz von Rollen- und Stellenbeschreibungen in einem Unternehmen kommen kann (Dokumentationsformen zu Stellen und Rollen werden am Ende dieses Kapitels erläutert).

Eine Bank verpflichtet sich als börsennotierte, deutsche Aktiengesellschaft, jährlich eine Erklärung zum Corporate-Governance-Kodex abzugeben. Um die Grundsätze ordnungsgemäßer Geschäftsführung erfüllen und nachweisen zu können, nimmt die Bank u. a. Bezug auf Organigramme, Stellenbeschreibungen sowie weitere Dokumente der Aufbauorganisation, die gleichzeitig als Bestandteile der schriftlich fixierten Ordnung die Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht – BaFin) erfüllen. Die Stellendokumentation steht jedoch nicht im Widerspruch zur gängigen Praxis der Bank, dass Mitarbeiter im Rahmen ihrer Stellenbeschreibung und geltenden tariflichen Arbeitszeit- und Vergütungsregelung verschiedene Rollen in ihrer täglichen Arbeit ausüben. So hat beispielsweise Herr Peters als Inhaber der Stelle Produktmanager in der aktuellen Produktentwicklungsphase die Rollen Product Owner und Content Manager inne. Sobald das Produkt die notwendige Marktreife erlangt hat, übernimmt er zusätzlich die Rolle des Lebenszyklusmanagers. Alle diese Rollen entsprechen der Zielsetzung und den Anforderungen an seine Produktmanager-Stelle. Überschreitet eine Rolle seine stellenbezogenen Kompetenzen, ist dies in seiner Stellenbeschreibung zu dokumentieren.