Harry Harrison - Weltenbummler und Witzbold

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From the series: SF Personality #28
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5.4 – Stahlratte zeigt die Zähne

The Stainless Steel Rat

(1961 bei Pyramid; dt. Agenten im Kosmos bzw. Stahlratte zeigt die Zähne)

Der erste Roman um Jim diGriz, die Stahlratte, ist eine sogenannte »Fix-up novel«, das heißt, ein aus längeren Erzählungen zusammengesetzter Roman. Die beiden einzelnen Texte heißen »The Stainless Steel Rat« (August 1957 in ASTOUNDING) und »The Misplaced Battleship« (April 1960 in ASTOUNDING).


James Bolivar diGriz schlägt sich als Dieb und Verbrecher mithilfe unterschiedlicher Masken und Verkleidungen durch. Dabei hat er leichtes Spiel, denn es gibt in der fernen Zukunft kaum noch Verbrechen und die Polizei besteht fast ausschließlich aus Robotern, die Routineaufgaben erfüllen und sich leicht überlisten lassen.

Die Handlung beginnt auf einem der achtzehn Planeten des Systems Beta Cygnus, wo diGriz einen Raub an einem Geldtransport plant. Doch diesmal ist die Polizei erstaunlicherweise viel cleverer und erwischt diGriz. Auf der Flucht wird er in die Enge getrieben und sieht sich mit einem Mann namens Inskipp konfrontiert, der sich als Chef eines Spezial-Korps für die Jagd auf Superverbrecher vorstellt. Inskipp war selbst einmal Verbrecher und bietet diGriz als Alternative zur Strafe einen Job als Agent des Korps an. Jim diGriz bleibt keine andere Wahl und er nimmt an, denn es geht ihm nicht nur um die Bereicherung durch Diebstähle, sondern auch um die Befriedigung seiner Abenteuerlust.

Doch anstelle gefährlicher Einsätze auf anderen Planeten wird er zunächst in die Verwaltung gesteckt und muss Akten sortieren. Dabei entdeckt er Pläne, die darauf schließen lassen, dass auf einem etwas entlegenen Planeten ein Schlachtschiff gebaut wird, das als normaler Frachter getarnt ist. diGriz erpresst seinen Chef, damit er mit diesem Auftrag betreut wird, und verkleidet sich als Großherzog San Angelo, um dem Präsidenten des entlegenen Planeten die Gründe für den Bau des Schiffes zu entlocken. Es stellt sich jedoch heraus, dass der Präsident nichts darüber weiß und stattdessen ein reicher Mann namens Pepe Ferraro das Schiff bauen lässt. Doch kaum hat diGriz diesen Fakt herausgefunden, wird das Schiff bereits von Ferraro und seiner Assistentin Angelina gestohlen.

Nach einer abenteuerlichen Raumschiffverfolgungsjagd kann diGriz den Dieb dingfest machen, aber nun stellt sich heraus, dass dieser nur ein Handlanger war. Der eigentliche Superverbrecher ist die unschuldig wirkende Angelina, der die Flucht gelingt.

Im zweiten Teil des Romans nimmt diGriz die Verfolgung Angelinas auf. Er findet eine Spur auf dem Planeten Freibur und wird dort beinahe von ihr erschossen. Daraufhin lässt er sein Aussehen chirurgisch verändern, damit er wieder an Angelina herankommt, ohne dass sie ihn erkennt. Freibur ist bereits seit über 200 Jahren Mitglied der Planeten-Liga, aber trotzdem ein rückständiger, monarchistisch regierter Planet, auf dem es noch dampfbetriebene Roboter gibt. diGriz verkleidet sich erneut und benimmt sich am Hof des Königs daneben, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Angelina plant inzwischen einen Sturz der Regierung. Als diGriz endlich ihre Aufmerksamkeit erregt hat, durchschaut sie auch seine neue Verkleidung. Um die Situation noch schwieriger zu machen, verliebt sich diGriz in die Verbrecherin, die am Ende jedoch trotz all ihrer Tricks dingfest gemacht werden kann.

Harrison schafft das Kunststück, in fast jedem Kapitel eine spektakuläre Abenteuerhandlung und immer wieder neue Wendungen der Geschichte zu präsentieren. Dadurch ist die Handlung kurzweilig und aufgrund manch absurder Idee auch amüsant. So findet beispielsweise die interstellare Kommunikation zwischen den Planeten durch Psi-Begabte statt, die so ähnlich wie eine Telegrafenstation funktionieren. Natürlich haben nur die Behörden Zugang zu diesen Psi-Begabten. Man reicht dem Mann also einen Zettel mit der gewünschten Nachricht, der diese dann per Gedankenkraft an seinen Gegenpart übermittelt. Der Vorteil dabei ist die verzögerungsfreie Kommunikation, für die andere Autoren oft eine umständliche, pseudotechnische Erklärung liefern. Ebenso unkompliziert funktioniert die Raumfahrt: diGriz steigt in ein Raumschiff und fliegt zu einem anderen Planeten, Punkt. Keine umständlichen Erklärungen von Überlichtgeschwindigkeit, Hyperraum, Zeitdilatation oder anderen Hindernissen der Relativitätstheorie.

Theodore Sturgeon kritisierte in der Rezension des Buches in der NATIONAL REVIEW vom 14. Juli 1970, dass Harrison zwar jede Menge Überraschungen, Abenteuer, Gimmicks und Gadgets präsentiert, dass man jedoch zu jeder Zeit wisse, wer gewinnen und wer verlieren wird. Jim diGriz sei omnipotenter als Mike Hammer und offensichtlich unzerstörbar. Daher gebe es keine Spannung.

Das fast atemlose Tempo des Romans war eine gute Voraussetzung zur Umsetzung der Handlung in eine Comicserie. Diese erschien, getextet von Kelvin Gosnell und gezeichnet von Carlos Ezquerra, innerhalb des Comic-Magazins 2000 AD in zwölf aufeinanderfolgenden Ausgaben vom November 1979 bis zum Februar 1980.

5.5 – Erzählungen 1960–1964

»The Misplaced Battleship«

(April 1960 in ASTOUNDING)

Dies ist die zweite Kurzgeschichte, in der die Stahlratte auftaucht. In leicht überarbeiteter Form wurde sie zu einem Teil des Romans The Stainless Steel Rat.


»The K-Factor«

(Dezember 1960 in ANALOG; auch in Rulers of Men, Hrsg. Hans Stefan Santesson bei Pyramid Books, 1965 und in 50 in 50; dt. »Der K-Faktor«)

Die zentrale Idee dieser Erzählung ist eine neue Wissenschaft, die Sozietik genannt wird. Dabei geht es um die praktische Erforschung des Verhaltens Einzelner oder Gruppen von Menschen innerhalb einer Kultur. In fernerer Zukunft gibt es ein Institut, dass die entsprechenden Erkenntnisse und Untersuchungen, die von Computern ausgewertet werden, auf die Kulturen anderer Planeten anwendet. Es geht vor allem darum, das Gleichgewicht zwischen den Extremen Dekadenz und Anarchie aufrechtzuerhalten, damit der errechnete K-Faktor im negativen Bereich bleibt. Denn sobald er in den positiven Bereich gerät, bedeutet das Krieg auf dem jeweiligen Planeten. Doch die Protagonisten haben nicht damit gerechnet, dass einer der Wissenschaftler, die sich mit der Sozietik auskennen, eigene Ziele verfolgt und einen Krieg gar nicht vermeiden will …

Es liegt nahe, die in dieser Erzählung reichlich diffus geschilderte Sozietik mit der von Isaac Asimov für seinen FOUNDATION-Zyklus erfundenen Psychohistorik zu vergleichen. Doch während die Psychohistorik gesellschaftliche Entwicklungen in großen Zeiträumen erforscht, werden mittels der Sozietik unmittelbare Auswirkungen einzelner gesellschaftlicher Strömungen errechnet.

Die Erzählung leidet an allzu langen, theoretischen Ausführungen, wobei die eigentliche Handlung und vor allem die Motivationen der Figuren zu kurz kommen.


»Survival Planet«

(August 1961 in FSF; auch in War with the Robots, Stainless Steel Visions und 50 in 50; dt. »Der Planet der Sklaven« bzw. »Gesetz des Überlebens«)

Fünfzig Jahre nachdem die »Große Sklavokratie« besiegt worden ist, entdeckt ein Raumschiff einen mosaischen Torpedo, der in der Lage ist, einen ganzen Planeten zu zerstören. Man kann ihn unschädlich machen, doch schließlich will man auch herausfinden, warum der Torpedo gegen den vierten Planeten eines Sternensystems gerichtet war. Auf dem Planeten entdecken die Männer Siedlungen, aber keine Menschen. Ein Mädchen, das sich in einem Baum versteckt hatte, stürzt lieber in den Tod, als mit den Männern zu sprechen. Es dauert seine Zeit und kostet sogar das Leben eines Besatzungsmitglieds, aber schließlich findet man das Geheimnis des Planeten heraus: Die Sklavos hatten auf diesem Planeten Menschen ausgesetzt, denen nur so viele Ressourcen zur Verfügung standen, dass sie sich vermehren, jedoch keine Technologien entwickeln konnten. Von Zeit zu Zeit holte man sich neue Sklaven von diesem Planeten, indem man mit einem Schiff landete und einfach die Kinder einsammelte. Doch die Siedler fanden ihre eigene Strategie zur Verteidigung, denn sie legten große Tunnelsysteme an, in denen sie sich verstecken konnten und in denen Waffen und Maschinen unwirksam waren. Das war der Grund, warum die Sklavos den Planeten vernichten wollten, wenn er ihnen keine neuen Sklaven lieferte.

Die Erzählung ist nicht sonderlich geschickt konstruiert. Die handelnden Figuren ziehen sehr weitreichende Schlussfolgerungen aus nur wenigen Beobachtungen und das letzte Viertel der Geschichte besteht aus theoretischen Erörterungen und Erklärungen. Obwohl die Grundidee der Geschichte recht originell ist, hätte sie Harrison eleganter erzählen können.


»Toy Shop«

(April 1962 in ANALOG; auch in The Eighth Annual of the Year’s Best Science Fiction, Hrsg. Judith Merril bei Simon & Schuster, 1963 und in Prime Number, Stainless Steel Visions und 50 in 50; dt. »Spielzeugladen«)

Ein Mann verkauft Spielzeugraumschiffmodelle, die angeblich mit einem magnetischen Raumwellengenerator ausgestattet sind, tatsächlich aber gar nicht von selbst schweben können, sondern wie bei einem Zaubertrick von einem Bindfaden in die Luft gehoben werden. Colonel Biff Hawton kauft das Modell, um es seinen Pokerfreunden zu zeigen. Aber es stellt sich heraus, dass der Bindfaden immer dann reißt, wenn der kleine Spielzeuggenerator ausgeschaltet ist. Offenbar ist die kleine Maschine tatsächlich in der Lage, das Modell leichter zu machen. Am Ende zeigt sich, dass die Spielzeuge von einem Erfinder in Umlauf gebracht wurden, der sich den Generator als Patent sichern ließ. Niemand hat sich für seine Erfindung interessiert, aber wenn sie bei den richtigen Leuten als Spielzeug zu einem entscheidenden Denkanstoß führt, wird sie irgendwann in der Zukunft die Raumfahrt revolutionieren.

 

Bei der Geschichte handelt es sich um eine nahezu perfekte Pointenstory, deren raffinierte Idee gerade deshalb so gut wirkt, weil die Erzählung nur wenige Seiten lang ist.


»War with the Robots«

(Juli 1962 in SCIENCE FICTION ADVENTURES #27; auch in Machines that Think, Hrsg. Isaac Asimov, Martin H. Greenberg und Patricia S. Warrick bei Holt, Rinehart and Winston, 1984 und in War with the Robots; dt. »Die Roboter rebellieren«)

Obwohl die Roboter dem Gesetz nach den Menschen gleichgestellt sind, werden sie nach wie vor diskriminiert. Jon Venex, der ursprünglich für Einsätze auf der Venus konstruiert wurde, sucht in New York eine Anstellung, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Vielen Robotern gelingt das nicht, insbesondere wenn sie bereits durch frühere Aufträge leicht beschädigt wurden. Dann erhalten sie keine Anstellung, demzufolge auch kein Geld, mit dem sie die Wartung ihrer Systeme vornehmen können. Und so gibt es eine große Menge von Not leidenden Robotern.

Doch Jon Venex hat Glück. Es wird ausgerechnet ein Roboter der Venex-Familie für einen Job gesucht. Er soll zu einem Mr. Coleman in einem abgelegenen Gebäude gehen und dort weitere Anweisungen bekommen. Dort wird Jon überrumpelt und Coleman montiert Jon eine Bombe an sein Bein, die explodieren wird, wenn er nicht alle Anweisungen genau ausführt. Eine zweite Bombe, die zu seiner eigenen parallel geschaltet ist, befindet sich an einem Obdachlosen. Das bedeutet, dass auch der Mann sterben wird, wenn sich Jon den Anweisungen widersetzt. Den Robotergesetzen folgend, die wir aus den Erzählungen von Isaac Asimov kennen, kann Jon sich nicht widersetzen. Er bekommt den Auftrag, eine Kiste aus einem Schiff im Hafen zu bergen. Erst viel später stellt sich heraus, dass Coleman und seine Leute einem Drogenschmugglerring angehören und Heroin in die Stadt bringen. Durch eine wagemutige Aktion vereitelt Jon jedoch den Schmuggel, und obwohl er ein Bein verliert, kann er das Leben des Obdachlosen retten. Das FBI, das ebenfalls auf den Spuren der Schmuggler war, ist von Jons Mut und Einsatzbereitschaft begeistert und bietet ihm einen Job bei den Behörden an.

Diese Erzählung bietet alles, was man von einer Abenteuergeschichte der 60er-Jahre erwartet. Harrison erschafft einen interessanten gesellschaftlichen Hintergrund und eine überzeugende, actiongeladene Handlung. Obendrein spielt die gesellschaftliche Stellung der Roboter eine wesentliche Rolle, wobei Harrisons Statements gegen Diskriminierung viel Raum einnehmen. Damit man ihn auch wirklich richtig versteht, bekommt Jon in der Geschichte von einem Mann mit schwarzer Hautfarbe eine Broschüre mit dem Titel »Robotersklaven in der Weltwirtschaft« von Philpott Asimov überreicht.

Lediglich die Wahl des Titels für diese Erzählung ist etwas unglücklich, denn es geht weder um einen Krieg mit den Robotern, wie der englische Originaltitel suggeriert, noch um eine Rebellion der Roboter, wie der deutsche Titel verkündet.


»The Pliable Animal«

(als Henry Dempsey; September 1962 in THE SAINT MYSTERY MAGAZINE; auch in Two Tales and Eight Tomorrows und 50 in 50; dt. »Kannibalen«)

Obwohl die Geschichte in einem Krimimagazin erschien, handelt es sich um eine SF-Geschichte, die auf einem anderen Planeten spielt.

Der Albino-Detektiv Sir Jorge Suvarov Petion und sein Begleiter Kai müssen den Mord an Prinz Mello aufklären und besuchen daher den entlegenen Planeten Andriad. Die dortige Zivilisation war sehr lange Zeit von anderen Kulturen der Galaxis abgeschnitten, weshalb es keinen Austausch zwischen den Kulturen gab. Die Andriadaner sind ein friedvolles Volk, das eine vegetarische Lebensweise pflegt. Wenn ein Sinnd – das einzige Raubtier, das auf ihrem Planeten lebt – sich in zivilisierte Gegenden verirrt, wird es gefangen und rituell vom König hingerichtet.

Der verstorbene Prinz Mello war vor einem Jahr zu Gast auf Andriad. Detektiv Petion folgt seinen Spuren und kombiniert auf erstaunlich kluge Weise aus einigen Indizien, welches Motiv es für den Mord am Prinzen gab. Die Andriader haben aufgrund ihres Vegetarismus einen sehr feinen Geruchssinn und ertragen die Ausdünstungen der Fleisch essenden Menschen kaum. Prinzessin Melina allerdings leidet unter einer Störung des Geruchssinns und hatte daher keine Hemmungen, dem Werben des außerweltlichen Prinzen nachzugeben. Als Prinz Mello ihr als besondere Delikatesse eine importierte Lammkeule vorsetzen ließ, kam es zum Eklat, der in einer Bluttat endete. Detektiv Petion findet nun heraus, dass der König selbst den Prinzen getötet hat, da er in der Kultur der Andriader der Einzige ist, der überhaupt eine Tötung vornehmen kann. Doch am Ende wird aus politischen Gründen die Identität des wahren Täters vertuscht.

Die Erzählung erinnert nicht nur in Aufbau und der Deutung der Indizien an die Sherlock-Holmes-Geschichten, sondern auch sehr stark an die von Jack Vance verfassten Erzählungen um den Meisterdetektiv Magnus Ridolph, die Ende der 40er-Jahre im Magazin STARTLING STORIES erschienen sind und in denen der Detektiv Kriminalfälle lösen muss, die durch die kulturellen Gegebenheiten auf anderen Planeten bedingt sind. Vieles an Harrisons Erzählung wirkt antiquiert, außer vielleicht die Tatsache, dass sich Vegetarier gegen einen Nichtvegetarier zur Wehr setzen.


»The Streets of Ashkelon«

(September 1962 in NEW WORLDS #122; 1963 auch unter dem Titel »An Alien Agony« in Brian W. Aldiss [Hrsg.]: More Penguin Science Fiction, Penguin Books; auch in Two Tales and Eight Tomorrows, The Best of Harry Harrison, Stainless Steel Visions, 50 in 50 und zahlreichen Anthologien; dt. »Der Missionar« bzw. »Die Straßen von Ashkelon«)

Harrisons am häufigsten nachgedruckte Geschichte hatte einen schweren Start, weil sie ein Tabu brach. Der Held ist, wie der Autor selbst, Atheist und die Erzählung befasst sich äußerst kritisch mit der Religion.

Die Handlung spielt auf einem fremden Planeten namens Weskerwelt, der von kleinen, intelligenten Amphibienwesen auf einer niedrigen zivilisatorischen Stufe bewohnt wird. Der Händler Gath hat bereits ein Jahr auf dieser Welt verbracht, um Waren wie Drogen und Pflanzenpräparate zu sammeln, die er auf anderen Planeten gewinnbringend verkaufen kann. Als er die Wesker mit Rohmaterialien und Werkzeugen versorgt hat, haben diese in wenigen Monaten nicht nur gelernt, mit den fremden Werkstoffen umzugehen, sie haben ihre eigenen Formen und Muster an das neue Material angepasst, und so sind die fremdartigsten – und schönsten – Kunstgegenstände entstanden.

Als ein zweites Raumschiff landet, fürchtet Gath natürlich, einen Handelskonkurrenten zu bekommen, doch das Schiff bringt lediglich einen Passagier, nämlich einen Geistlichen namens Vater Mark von der Missionsbruderschaft. Gath ist außer sich, denn er fürchtet, dass Vater Mark die unschuldigen Wesker verderben wird. Schließlich setzt er sich aber doch mit dem Missionar zusammen und es kommt zu einem Gespräch über religiöse Themen, bei dem Gath seinen Standpunkt deutlich macht: »Ich bin das, was Sie wahrscheinlich als Atheist bezeichnen würden. Religiöse Verkündigungen interessieren mich nicht.« Weiterhin sagt er: »Die Eingeborenen, einfältige, ungebildete Steinzeitwesen, haben es bis zum heutigen Tage geschafft, ohne irgendeinen Aberglauben – oder, meinetwegen, Gottglauben – auszukommen. Ich hatte gehofft, dass sie so weiterleben könnten. Sie besitzen keine kleinen, hässlichen Götter, Tabus oder Zaubersprüche, die ihnen das Leben versauern und beschränken.« Und schließlich: »Sie sind unter allen primitiven Völkern, denen ich begegnet bin, das einzige, das völlig frei von Aberglauben ist. Und eben deshalb scheinen sie gesünder und glücklicher als alle anderen zu sein. Ich möchte, dass sie so bleiben, wie sie sind.«

Doch schließlich bleibt Gath nichts weiter übrig, als den Missionar sein Werk verrichten zu lassen, und er kümmert sich lieber um seine eigenen Geschäfte. Nachdem Vater Mark die Wesker sogar veranlasst hat, eine Kirche zu errichten, kommt schließlich eine Abordnung der Amphibienwesen zu Gath und fragt: »Gibt es einen Gott?« In den Büchern von Gath wurde an keiner Stelle die Existenz Gottes erwähnt, während die Bibel ganz andere Aussagen trifft. Gath sagt, dass es keinen Gott gibt. Aber nun wollen die Wesker herausfinden, wer von den beiden Männern recht hat. Sie finden in der Bibel zahlreiche Textstellen, in denen von Wundern die Rede ist, und verlangen nun, dass Gott auch für sie ein Wunder wirkt, damit sie an ihn glauben können. Daraufhin kreuzigen sie den Geistlichen, wie es in den Abbildungen der Bibel zu sehen ist. Doch das Wunder geschieht nicht, Vater Mark ersteht nicht wieder auf. Und so hat die Religion unschuldige und reine Wesen zu Mördern gemacht …

Die Geschichte wurde ursprünglich für eine Anthologie mit dem Titel The Thin Edge geschrieben. Die Herausgeberin Judith Merril hatte die Autoren aufgefordert, die üblichen Tabus zu ignorieren. Als sich herausstellte, dass die Anthologie nicht erscheinen würde, versuchte Harrison, die Erzählung andernorts zu verkaufen, doch zunächst erfolglos. Erst über ein Jahr später stimmte Brian W. Aldiss zu, die Geschichte für die britische Anthologie More Penguin Science Fiction zu kaufen, was der Auslöser dafür war, dass das britische Magazin NEW WORLD sie vorab druckte. In den USA wurde die Geschichte erst sechs Jahre nach ihrer Entstehung erstmals gedruckt.


War with the Robots

(Erzählungsband; 1962 bei Pyramid; dt. Die Roboter rebellieren)

Inhalt: »A Word from the (Human) Author . . .« (1962; dt. »Vorrede«); »Simulated Trainer« (1958; auch unter dem Titel: »Trainee for Mars«; dt. »Trainingsflug«); »The Velvet Glove« (1956; dt. »Roboter-Strategie«); »Arm of the Law« (1958; dt. »Polizeirevier Mars«); »The Robot Who Wanted to Know« (1958; dt. »Demaskierung«); »I See You« (1959; auch unter dem Titel »Robot Justice«; dt. »Der metallene Richter«); »The Repairman« (1958; dt. »Funkfeuer«); »Survival Planet« (1961; dt. »Der Planet der Sklaven«); »War with the Robots« (1962; dt. »Die Roboter rebellieren«)

Bei diesem Buch handelt es sich um Harrisons erste Kurzgeschichtensammlung. Wie der Titel bereits erahnen lässt, geht es in allen acht Erzählungen um Roboter.


»Captain Honario Harpplayer, R. N.«

(März 1963 in FSF; auch in Two Tales and Eight Tomorrows, The Best of Harry Harrison, 50 in 50 und mehreren Anthologien; dt. »Kapitän Honario Harpplayer«)

Captain Honario Harpplayer befehligt das englische Schiff Redundant im Seekrieg gegen die Flotte Napoleons. Die Situation ist nicht besonders aussichtsreich, als plötzlich am Abend eine Lichterscheinung beobachtet wird und kurz darauf ein kleines Boot auftaucht, das weder von den Engländern noch von den Franzosen gebaut worden sein kann. An Bord befindet sich ein fremdartig aussehender Mann, der mit grünem Fell bedeckt ist und sehr aufgeregt eine unbekannte Sprache spricht. Captain Harpplayer lässt den Mann in Gewahrsam nehmen und inspiziert dessen Boot. Schnell findet er heraus, welche Funktion die Knöpfe und Hebel haben. Und auch wenn er nicht im Ansatz versteht, wie diese Maschine funktioniert, so hat er doch schnell einen Plan. Er lässt sich sechs Pulverfässer und Werkzeug bringen, fährt im Schutz der Nacht zu den französischen Schiffen und sprengt sie in die Luft. So ist die Seeschlacht auf unkonventionelle Weise gewonnen. Durch die Unachtsamkeit des Captains sinkt das fremde Boot, was er als keinen großen Verlust empfindet, da es seinen Zweck für ihn bereits erfüllt hat. Der grüne Fremde springt aufregt über Bord und wird danach nicht mehr gesehen. Der Captain lässt im Logbuch vermerken, dass ein unbekannter Mr. Green über Bord gegangen ist. Zumindest hat man ihm noch einen ordentlichen, englischen Namen verpasst.

 

Harrison selbst erzählte in Best of Harry Harrison, dass er immer ein leidenschaftlicher Bewunderer der Werke von C. S. Forester gewesen ist und mit dieser Geschichte eine Parodie auf Captain Horatio Hornblower geschrieben hat. Er schickte sogar ein Exemplar an Forester, zusammen mit einem Brief, der seine Bewunderung ausdrückte, erhielt jedoch nie eine Antwort. Tatsächlich starb Forester kurz darauf, und Harrison scherzte, dass er sich immer ein wenig schuldig deshalb fühlte.

»The Ethical Engineer«

(2 Teile; Juli und August 1963 in ANALOG)

Dieser in zwei Teilen erschienene und insgesamt 42.000 Wörter umfassende Text ist die Vorabversion des Romans Deathworld 2.


»Down to Earth«

(November 1963 in AMAZING; auch in Prime Number, Galactic Dreams und 50 in 50; dt. »Zurück zur Erde«)

Im September 1971 ist die erste Expedition auf dem Mond gelandet. Einer der drei Astronauten verunglückt tödlich, aber die anderen beiden namens Gino Lombardi und Danton Coye können wohlbehalten zur Erde zurückkehren. Doch diese ist offenbar stark verändert, schon aus der Umlaufbahn sehen sie, dass ganz Nordamerika finster ist. Nach der Landung werden sie von einem SS-Offizier verhaftet und eingesperrt. Während der Verhöre erfahren die beiden, dass offenbar Teile der USA von Nazideutschland erobert wurden.

Kurz darauf werden die beiden Astronauten von Amerikanern befreit, doch auch diese führen endlose Verhöre durch, denn niemand will glauben, dass die Astronauten auf dem Mond gewesen sind, denn es gibt kein Raumfahrtprogramm in den von Krieg geschüttelten USA.

Schließlich bemüht man den inzwischen über hundertjährigen Albert Einstein, der vielleicht herausfinden kann, was den Astronauten widerfahren ist.

Durch lange Gespräche erfahren die beiden Männer, dass alle Länder Europas von den Deutschen besetzt wurden. Die Nazis haben Stützpunkte in Mittelamerika errichtet, haben Florida eingenommen und starten eine Invasion der Golfküste. Präsident Roosevelt ist während seiner ersten Amtsperiode an Lungenentzündung gestorben, und offenbar ist der Zeitpunkt von Roosevelts Tod am 17. August 1933 genau der Moment, seit dem die Geschichte anders verlaufen ist als in der Welt, aus der die Astronauten stammen.

Einstein findet heraus, wie man die »Verschiebung« künstlich hervorrufen kann. Er bittet die Männer, in ihre Welt zurückzukehren und Hilfe zu holen. Nur mit der Atombombe könnte es gelingen, die Nazis zu besiegen. Damit die Militärs in der Welt der Astronauten die Geschichte auch glauben, gibt Einstein den beiden Männern ein Heilmittel gegen Krebs mit, das kürzlich entwickelt wurde.

Die Kapsel der beiden Astronauten wird mit einem von Einstein konstruierten Gerät ausgestattet und mittels einer militärischen Rakete gelingt es, die Raumkapsel zumindest in die Erdumlaufbahn zu befördern. Als die Astronauten wieder landen, scheinen sie in ihrer ursprünglichen Gegenwart angekommen zu sein, denn sie können Funkkontakt mit ihrer vertrauten Bodenstation aufnehmen. Doch das Schiff, das die Kapsel aus dem Wasser bergen soll, führt eine fremdartige Flagge …

Harrison schert sich in dieser Erzählung wenig um technische oder wissenschaftliche Plausibilität. Der Sprung in die Parallelwelt wirkt allzu unmotiviert und spontan, die Erklärung für die alternative historische Entwicklung ist hanebüchen und die technische Lösung für den Rücktransport der Astronauten unglaubwürdig. Offenbar ging es Harrison hier vor allem um die Pointe am Ende, in der die Astronauten in einer weiteren Alternativwelt landen. Daher sollte man die Geschichte als das betrachten, was sie ist: Pulp-Massenware.

Die Idee, dass die Nazis die USA besetzen, ist obendrein nicht sonderlich originell. Harrisons Geschichte erschien im November 1963, Philip K. Dicks Roman The Man in the High Castle (dt. Das Orakel vom Berge) mit der gleichen Grundidee jedoch bereits ein Jahr zuvor im Oktober 1962.


»Ms. Found in a Bottle Washed Up On the Sands of Time«

(Februar 1964 in FSF; nicht auf Deutsch)

Dies ist das einzige veröffentlichte Gedicht Harrisons und umfasst sechs vierzeilige Strophen.

Es ist eine Satire auf das Großvaterproblem in Zeitreisegeschichten. Der Protagonist reist mit einer Waffe in die Vergangenheit, obwohl sich alle anderen über ihn lustig machen. Doch er kommt nicht dazu, seinen Großvater zu erschießen, weil der Großvater zuerst schießt.


»Incident in the IND«

(März 1964 in FSF; auch in Prime Number und 50 in 50; dt. »Zwischenfall in der U-Bahn«)

Adriann und Chester arbeiten in der gleichen Werbeagentur als Texter, und die ehrgeizige Adriann ist Anwärterin auf den frei gewordenen Posten des Cheftexters, obwohl Chester schon viel länger in der Firma arbeitet. Als sie gemeinsam mit der New Yorker U-Bahn auf dem Heimweg sind, werden sie von einem Bettler angesprochen, der ihnen erzählt, dass gefährliche Wesen versteckt in den U-Bahn-Schächten hausen. Man könne sie aber besänftigen, indem man kleine Münzen auf den Bahnsteig legt, denn damit könnten sich die Wesen Erdnüsse und Cola aus den Bahnsteigautomaten ziehen. Chester befolgt den Rat des Landstreichers, doch die geizige Adriann verlacht ihn als abergläubisch. Was ihr am Ende der Geschichte zum Verhängnis wird.

Die Erzählung ist trotz der geheimnisvollen Wesen nicht sonderlich unheimlich, eher ein kurzer Horrorspaß für zwischendurch.


»Final Encounter«

(April 1964 in GALAXY; auch in Two Tales and Eight Tomorrows und 50 in 50 sowie mehreren Anthologien; dt. »Begegnung in der Unendlichkeit« bzw. »Brüder im All« bzw. »Begegnung am Ende«)

Die Geschichte spielt in sehr ferner Zukunft, als die Menschheit bereits die halbe Milchstraße durchquert hat. Schon sehr frühzeitig in der interstellaren Raumfahrt musste man feststellen, dass das Zentrum der Milchstraße aufgrund seiner physikalischen Beschaffenheit nicht zu durchqueren ist, und so muss man sich bei den Erkundungen auf die Randbereiche beschränken.

Das Raumschiff, in dem die Geschichte beginnt, hat drei Besatzungsmitglieder, die von zwei unterschiedlichen Völkern stammen. Sie stoßen auf eine fremdartige Raumboje, die nach näherer Untersuchung darauf schließen lässt, dass sie von Aliens erschaffen wurde. Es herrscht große Aufregung, denn obwohl die Menschheit die halbe Galaxis erforscht hat, ist man noch nie auf intelligente Fremdwesen gestoßen. Die Boje enthält keine auswertbaren Informationen, ist aber auf einen bestimmten Stern in der Nähe gerichtet.

Bei diesem Stern treffen die Menschen auf Fremdwesen, die zwar eine humanoide Gestalt haben, aber eine andere Atmosphäre atmen, eine andere Hautfarbe haben und auch sonst etwas fremdartig aussehen. Nach anfänglichen Kommunikationsproblemen stellen sie jedoch gemeinsam fest, dass beide Spezies die gleiche DNA haben. Es handelt sich also nicht um Aliens, sondern ebenfalls um Menschen, die ihren Ursprung auf der Erde haben und deren Vorfahren die Milchstraße in der entgegengesetzten Richtung bereist haben.

Am Ende der Geschichte müssen die Protagonisten also enttäuscht feststellen, dass die Menschen allein in der Milchstraße leben, und ihre Hoffnung, doch noch eines Tages »Brüder im All« zu finden, richtet sich auf andere Galaxien.

Ein Detail in der Geschichte ist für die Entstehungszeit der Erzählung ungewöhnlich. Der Schiffsmeister Hautamaki stammt aus einem homosexuellen Volk, das sich einfach nur »Männer« nennt und in dem es keine Frauen gibt. Seine Leute haben bislang ein Dutzend Planeten besiedelt und vermehren sich durch eine genetisch weiterentwickelte Ektogenese. Weitere Hintergründe werden allerdings nicht erläutert und auf Sexualität geht Harrison nicht ein.

Auch bei dieser Erzählung handelt es sich im Wesentlichen um eine Pointengeschichte, wie sie in ähnlicher Form oft im Magazin GALAXY zu finden war.


»According to His Abilities«

(Mai 1964 in AMAZING; auch in Two Tales and Eight Tomorrows und in GREAT SCIENCE FICTION #3, 1966; dt. »Wegen besonderer Fähigkeiten«)

Der berühmte Forscher Zarevski wird auf einem fremden Planeten von den Eingeborenen festgehalten. Er hatte für diesen Planeten keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen, die Reise aber trotzdem unternommen und etwas angestellt, das die Eingeborenen wütend werden ließ, sodass sie ihn eingesperrt haben. Die Raumaufsichtsbehörde ist gegen jede Gewaltanwendung, was fremdere Spezies betrifft. Daher wurden Aram Briggs und Dr. Price DeWitt ausgewählt, um Zarevski zu befreien. Während DeWitt eher vorsichtig vorgeht, ist Briggs sehr aggressiv, nennt die Eingeborenen »Kroppzeug« und fuchtelt pausenlos mit seiner Waffe herum. Auch als die beiden Männer den Eingeborenen gegenüberstehen, demonstriert Briggs Aggression und fehlenden Anstand. Schließlich erschießt er sogar einen der Bediensteten des Dorfältesten. Doch dieses Verhalten führt tatsächlich zum Ziel. Briggs behauptet, Zarevski wäre sein Sklave und er wolle ihn dringend zurückhaben und für sein falsches Verhalten bestrafen. Als die Befreiungsaktion gelungen ist und sich die drei Männer zurück auf ihrem Raumschiff befinden, ist Zarevski sehr begeistert von Briggs Anpassungsfähigkeit an die barbarischen und brutalen Gepflogenheiten der Eingeborenen.

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