Anarchie im Herzen

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Anarchie im Herzen
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Chrissi Winterfeld

Anarchie im Herzen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Anarchie im Herzen

Vorwort zum Inhalt und Namen des Titels:

Leseprobe … und dann frisst er dich auf!

Leseprobe … schwer schwanger!

Leseprobe … und dann ging ich zu den Apfelbäumen!

Leseprobe … wenn Liebe weh tut!

Leseprobe … Manuela kommt nie wieder!

Beginn der ganzen Kurzgeschichten

… und dann frisst er dich auf!

… schwer schwanger!

… und dann ging ich zu den Apfelbäumen!

… wenn Liebe weh tut!

… Manuela kommt nie wieder!

Nachwort

Außerdem von der Autorin Chrissi Winterfeld erschienen:

Keine Mandarinen für Lucy - Neurodermitis, ein leidvoller Weg zur gesunden Haut

1. Leseprobe:

Space Belly Buttons / Abenteuer im Traumland / Eine Fantasiegeschichte für Mädchen und Jungen

2. Leseprobe:

Impressum neobooks

Anarchie im Herzen

Vorwort zum Inhalt und Namen des Titels:

In diesem Buch finden Sie fünf sehr nachdenkliche und zum Teil brutale Geschichten, die das Leben notierte. Die beschriebenen Ereignisse sind wirklich passiert, nur die Namen der Personen wurden zum Schutz der Privatsphäre verändert. Eine herzbewegende und stellenweise unmenschliche Mischung aus verschiedenen Kurzgeschichten, die allerdings durch mindestens eine Person, miteinander verbunden sind.

Anarchie bedeutet eigentlich die Abwesenheit von Herrschaft. Politisch gesehen. Menschliche Anarchie, im Sinne von Philosophie, wird oft als Widerstand und Auflehnung gegen Machtmissbrauch gewisser Personen wahr genommen. Es geht dabei um Chaos und Auflehnung. So gesehen herrscht die Anarchie in meinem Buch bei Tätern und Opfern. Politisch und umgangssprachlich... richtig und falsch... gut und böse... frei und eingesperrt, aber auch eingesperrt und frei! Ich denke, es ist der richtige Titel.

Da E-Book Anbieter meist die ersten zehn Prozent eines Buches automatisch als Leseprobe erstellen und somit nur ein begrenzter Eindruck entsteht, möchte ich dem Leser einen kurzen Einblick in alle fünf Kurzgeschichten des Buches gewähren. Deshalb beginne ich dieses Buch anders, als es gewöhnlicherweise üblich ist: Mit fünf kurzen Leseproben! Danach folgen die Geschichten in ganzer Länge.

Leseprobe … und dann frisst er dich auf!

Wenn du in deinem Leben mehr erlebt hast als dir lieb ist, dann macht es dich entweder hart oder du gehst kaputt. Ich ging erst kaputt, dann ging ich eine Weile wie tot und dass machte mich stark. Ich hatte alles mögliche durch. Vater Alkoholiker, Missbrauch in der Kindheit, Bruder verstorben, einen herzkranken Säugling, Gewalt in der Ehe und so fehlte eigentlich nur noch eines zum meinem vollkommenen Unglück: Krebs!

Im Februar 2004 fing es an. Von jetzt auf gleich fühlte ich mich schlecht. Richtig schlecht! Ich konnte kaum ein paar Schritte laufen, ohne aus der Puste zu geraten. Ich schaffte nichts mehr im Haushalt. Wenn ich morgens meine beiden Mädchen schulfertig gemacht hatte und der Kleine im Kindergarten war, musste ich mich hinlegen und etwas schlafen. Ansonsten war ich körperlich nicht fähig, meinen Sohn wieder vom Kindergarten abzuholen. Mit den Mädchen Hausaufgaben machen, ließ mich völlig erschöpfen, Essen kochen war kaum möglich und so lag ich nachmittags viel auf der Couch und sah den Kindern beim Spielen zu. Wenn mein Mann abends von der Arbeit kam, brachte er die Kinder zu Bett. Zu dem Zeitpunkt konnte ich schon kaum mehr sitzen. Wir waren uns sicher, dass ich irgendetwas ausbrütete, vielleicht eine schwere Grippe oder ähnliches. Nach zwei Wochen ohne irgendwelche aufkommenden Beschwerden wie Husten, Schnupfen oder Erbrechen, ging ich wegen dieser Schwächeanfälle erneut zum Arzt. Bei meinem ersten Besuch knapp zehn Tage zuvor, hatte der Doktor mir Ruhe verordnet und ich sollte bei neuen Symptomen seine Praxis wieder aufsuchen. Es kam aber nichts weiter, ich fühlte nur, wie ich immer schwächer wurde. Da beschloss ich, einen Gynäkologen zu fragen.

Der Frauenarzt riet mir, aufgrund meiner Probleme die ich mit der Gebärmutter hatte, diese im Herbst entfernen zu lassen. Ich hatte in meinem ganzen Leben nie einen normalen Zyklus gehabt. Immer nur Probleme. Nach der Geburt meines ersten Kindes hatte ich Schwierigkeiten mit einer Narbe, die durch Einreißen des Gewebes beim Durchtritt des Köpfchens während der Geburt entstand. Ich wurde genäht und musste dann täglich im Krankenhaus ein Sitzbad mit Kamille nehmen. Zu dieser Zeit kannte man sich mit einem ganz bestimmten Virus, dem HPV- Virus noch nicht aus. Da das Sitzbad in einer Plastikwanne eingenommen wurde, in der vorher andere Frauen ihre Bäder nahmen, kamen diese Viren in die offene Wunde und setzten sich bei mir im Gewebe fest. Damals wurden die Plastikwannen nur kurz heiß ausgespült und dann badete die nächste Frau darin. Wie viele Frauen sich in dieser Zeit nach Geburten mit dem Virus angesteckt haben, möchte ich gar nicht wissen!

Ende der Leseprobe

Leseprobe … schwer schwanger!

Zwei kleine Striche auf einem Teststreifen. Für manche Frau ein von Herzen erwünschtes Ergebnis. Ein Baby! Schwanger! Ein Kind von dem über alles geliebten Mann! Juhu...

Ich schaute auf diesen kleinen Teststreifen, drehte ihn um, drehte nochmals und fing an, ihn hin- und herzuschütteln. Die Striche blieben, sie wurden sogar kräftiger! Der zweite Strich ging nicht weg. Das konnte nicht sein! Über fünf Jahre hatte ich versucht, schwanger zu werden. Ich gab mir die Schuld an dem Ende meiner Ehe und nun das. Schwanger! Wie sollte ich das erklären? Was würden bloß die Leute sagen? Meine Familie? Sie würden mich doch für geisteskrank erklären. Alleinerziehende Mutter einer Tochter und nun schwanger! Na toll!

Die Ehe ging mit einem Knall auseinander. Mein Mann soff wie ein Loch, haute zu und erniedrigte mich auf jede erdenklich Art und Weise, auf die ein Mann eine Frau quälen kann. Es hatte lange Jahre gedauert, bis ich erkannte und einsah, dass Liebe und Ehe manchmal weh tun können, aber nicht weh tun sollten! Durch den Alkohol, seinen Jähzorn und die damit verbundenen Ehestreitigkeiten ging unser Leben den Bach hinunter. Und die Liebe auch. Ich wollte nichts mehr als Familie. Familie haben, Familie sein. Durch meinen unerfüllten, weiteren Kinderwunsch hatte ich mir Vorwürfe gemacht. Ich dachte, nur weil ich kein Kind mehr bekomme, bin ich unglücklich und deshalb läuft in der Ehe alles schief. Ich glaubte, wenn ich noch ein Baby hätte, dann wären wir noch mehr Familie, dann wäre ich glücklicher, zufriedener und mein Mann Martin würde nicht immer so ausrasten. Dann wäre er nicht so gereizt und wir könnten doch noch glücklich werden. Das war natürlich absoluter Schwachsinn! Durch die ewigen, stärker währenden Demütigungen war ich einfach zu sehr in die Rolle des Opfers hinein gewachsen. Ich, harmoniesüchtig, war immer auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit. Selber war ich bei einer verlassenen Mutter aufgewachsen, der Vater war Alkoholiker, der uns Kinder damals nur Versprechen wie Brotkrumen hinwarf und nie erfüllte. Ich wollte doch einfach nur eines: Vater, Mutter, Kinder. Und zwar als Familie! Ich wollte es besser machen als meine Eltern. Das, was ich mir aufgebaut hatte, sollte Bestand haben. Ich hielt an etwas fest, das keinen Sinn mehr hatte. Ich dachte, ich fliege und war dabei nur am Fallen!

Ende der Leseprobe

Leseprobe … und dann ging ich zu den Apfelbäumen!

Hamburg-Finkenwerder, in der Nacht vom 22.-23. November 1982

Mein Name war Jürgen, ich wurde 22 Jahre alt und bin eben gestorben. In wenigen Stunden erscheinen hier Bauarbeiter und man wird mich finden. Einer der Bauarbeiter wird sich übergeben, um Hilfe schreien. Die Polizei wird kommen und auf den Gerichtsmediziner warten. Die Krankenwagenfahrer werden sich mit den Polizisten um Paragraphen streiten, ob sie einen Leichnam transportieren dürfen oder nicht. Man wird sich einigen auf den Leichenwagen zu warten. Ich werde hier noch eine halbe Ewigkeit hängen. Aber das ist nichts im Gegensatz zu dem, was sich an Gefühlen in meiner Familie aufstauen und entladen wird.

 

Es war meine eigene Entscheidung. Heute ist mein Todestag. Ich habe nur den richtigen Zeitpunkt abgewartet. Keiner war da. Mein Stiefvater hatte die Familie wegen einer anderen Frau verlassen. Meine Mutter lebte in einem anderen Ortsteil und war dabei, das Haus zu verkaufen, in dem ich mittlerweile als einziger wohnte. Meinen jüngsten Bruder W. hatte sie mitgenommen. Mein anderer Bruder M. war in der Woche beim Bund und am Wochenende bei seiner Freundin. Meine Schwester C. lebte bei ihrem Freund und dessen Familie ein paar Straßen weiter. Sie stand kurz vor Vollendung ihres 18. Lebensjahres, ihrem Realschulabschluss und wollte ihre Schule kurzfristig nicht wechseln.

Ich hatte mich geweigert mit meiner Mutter zu ziehen. Nach Beendigung des dritten Ausbildungsjahres wollte ich eigentlich nach Australien auswandern und Deutschland ein für allemal den Rücken kehren. Mein bester Freund Uwe lebte seit Jahren in Australien und erwartete mich im nächsten Sommer. Mich und meine Yamaha! Ich hasste meinen Ausbildungsjob, dennoch gab ich mir Mühe. Ohne einen gelernten Beruf würde man mich in Australien nicht aufnehmen können. Durch ein klitzekleines Malheur, eine kleine Dummheit wurde daraus nun nichts. Nie würde ich ein Visum für Australien bekommen! Deshalb entschloss ich mich, diesen Weg zu gehen!

Ende der Leseprobe

Leseprobe … wenn Liebe weh tut!

Sie hörte ihn! Dabei hatte sie endlich schlafen wollen. Ein Geräusch an der Tür ließ sie die Augen vorsichtig einen klitzekleinen Spalt öffnen. Sie sah ihn! Seine große, sehnige Gestalt lehnte am Türrahmen und sah zu ihr hinüber in die Dunkelheit. Ihr ganzer Körper spannte sich vor Furcht. Jeder Muskel schien aus Stein zu sein. Übelkeit breitete sich in ihr aus. Bitte nicht, dachte sie, bitte nicht schon wieder. Sie versuchte ruhig weiter zu atmen. Tief ein, tief aus, tief ein, tief aus...

Der Abend war wieder so fürchterlich gewesen. Er suchte Streit und sie war das vollkommene Opfer. Mal wieder! Sie hatte sich schon vor langer Zeit aufgegeben. Wehren? Das war nicht mehr möglich. Was hatte ihre Schwiegermutter doch gleich gesagt?

>> Kind, dann reiz ihn doch nicht immer so! Du weißt doch, wie unbeherrscht er ist! Du kannst ihn doch sonst auch um den kleinen Finger wickeln.<<

Nie wieder würde sie versuchen, sich zu beschweren. Es war nur ein Ausrutscher gewesen! Wenn er nicht getrunken hat, ist er eigentlich ganz nett. Ein Traum von einem Mann!

Na ja. Damals vielleicht, als sie ihn kennen lernte. War das romantisch! Sie, diese kleine, dünne, schmächtige Frau konnte ihr Glück kaum fassen. Und dann „Er“! Groß, blond, blauäugig, schlank, sehnig und schön! Einfach schön! So ein großer, schöner Mann verliebte sich Hals über Kopf in „Sie“: Klein, schmächtig und viel zu dünn. Leicht schiefe Zähne, braune Augen und in ihren Bewegungen immer verhalten und eingeschüchtert. Sie war so zart, dass man sie mager nannte. Andere ärgerten sie damit, machten verletzende Sprüche. Sie ging nie schwimmen, traute sich nicht zum Sportunterricht und zog auch im Sommer mehrere Schichten Kleidung an, nur um dicker auszusehen. Nur, um nicht immer verspottet zu werden.

Ende der Leseprobe

Leseprobe … Manuela kommt nie wieder!

Hallo, ich heiße Tinchen und bin vier Jahre alt. Fast fünf. Na ja, im Februar habe ich Geburtstag, da werde ich fünf. Jetzt bin ich erst einmal noch vier und es ist ja auch August. Ich bin also halb-fünf!

Heute ist es schön draußen. So warm und ich bin doch eben erst aufgestanden. Mutti macht gerade Frühstück für uns. Ich habe Hunger. Aber erst müssen meine beiden großen Brüder in die Schule. Dann bin ich dran. So ist das immer morgens. Aber bald gehe ich auch in die Schule, wenn ich größer bin. Heute möchte ich meinen neuen Rock anziehen. Er ist rot-weiß-schwarz kariert. Der Rock hat Träger, die sich hinten an meinem Rücken überkreuzen. Deshalb rutscht er nicht weg. Ich kann prima darin spielen.. Schottenröckchen nennt die Mutti das. Neu ist er doch nicht. Ich habe ihn geschenkt bekommen. Mutti hat eine Freundin und die hat auch Kinder. Die wachsen aber schneller als ich. Immer, wenn die schon gewachsen sind und ich nicht, dann bekomme ich ihre Kleider. Das finde ich schön. Wenn Mutti nichts für mich geschenkt bekommt, dann muss ich immer die Hosen von meinen Brüdern anziehen. Dann sehe ich aus wie ein Junge. Das mag ich gar nicht. Ich bin doch ein Mädchen!

Jetzt habe ich die weiße Bluse gefunden. Die hatte ich gestern schon an. Aber ich mache mich ja nicht schmutzig. Das tun nur Jungs. So wie meine Brüder. Die müssen immer toben und jagen. Ich hab ja meine Puppen. Damit spiele ich am liebsten. Ich nehme immer eine kleine Decke mit und dann sitze ich mit meiner Freundin draußen auf dem Rasen und spiele Mutter und Kind. Wir suchen dann irgendwo draußen Blumen und Zapfen und Gräser und dann kochen wir. Und dann füttern wir unsere Babys. Also ich meine natürlich unsere Puppen. Meine Brüder spielen anders. Sie haben Murmeln und machen Wettbewerbe. Und der Beste freut sich dann über seine gewonnenen Murmeln. Der Verlierer heult dann. Oder fängt Streit an und sofort toben sie wieder. Weil sie raufen. So werden sie schmutzig. Selber Schuld. Ich nicht. Ich mache so was nicht, deshalb ist meine weiße Bluse auch noch sauber. Jetzt sehe ich chic aus! Söckchen ziehe ich nicht an, auch nicht die roten Sandalen. Die sind nur für gut! Schuhe ziehen wir nur an, wenn wir mit Mutti einkaufen gehen oder zum Doktor oder Besuche machen. Oder wenn Winter ist. Aber jetzt ist August. Draußen ist es schon ganz doll heiß. Und trocken, wir können den ganzen Tag spielen. Nun bekomme ich Frühstück, denn meine Brüder sind jetzt in der Schule.

Ende der Leseprobe

Beginn der ganzen Kurzgeschichten

Ab hier beginnen die Kurzgeschichten in voller Länge!

… und dann frisst er dich auf!

Wenn du in deinem Leben mehr erlebt hast als dir lieb ist, dann macht es dich entweder hart oder du gehst kaputt. Ich ging erst kaputt, dann ging ich eine Weile wie tot und dass machte mich stark. Ich hatte alles mögliche durch. Vater Alkoholiker, Missbrauch in der Kindheit, Bruder verstorben, einen herzkranken Säugling, Gewalt in der Ehe und so fehlte eigentlich nur noch eines zum meinem vollkommenen Unglück: Krebs!

Im Februar 2004 fing es an. Von jetzt auf gleich fühlte ich mich schlecht. Richtig schlecht! Ich konnte kaum ein paar Schritte laufen, ohne aus der Puste zu geraten. Ich schaffte nichts mehr im Haushalt. Wenn ich morgens meine beiden Mädchen schulfertig gemacht hatte und der Kleine im Kindergarten war, musste ich mich hinlegen und etwas schlafen. Ansonsten war ich körperlich nicht fähig, meinen Sohn wieder vom Kindergarten abzuholen. Mit den Mädchen Hausaufgaben machen, ließ mich völlig erschöpfen, Essen kochen war kaum möglich und so lag ich nachmittags viel auf der Couch und sah den Kindern beim Spielen zu. Wenn mein Mann abends von der Arbeit kam, brachte er die Kinder zu Bett. Zu dem Zeitpunkt konnte ich schon kaum mehr sitzen. Wir waren uns sicher, dass ich irgendetwas ausbrütete, vielleicht eine schwere Grippe oder ähnliches. Nach zwei Wochen ohne irgendwelche aufkommenden Beschwerden wie Husten, Schnupfen oder Erbrechen, ging ich wegen dieser Schwächeanfälle erneut zum Arzt. Bei meinem ersten Besuch knapp zehn Tage zuvor, hatte der Doktor mir Ruhe verordnet und ich sollte bei neuen Symptomen seine Praxis wieder aufsuchen. Es kam aber nichts weiter, ich fühlte nur, wie ich immer schwächer wurde. Da beschloss ich, einen Gynäkologen zu fragen.

Der Frauenarzt riet mir, aufgrund meiner Probleme die ich mit der Gebärmutter hatte, diese im Herbst entfernen zu lassen. Ich hatte in meinem ganzen Leben nie einen normalen Zyklus gehabt. Immer nur Probleme. Nach der Geburt meines ersten Kindes hatte ich Schwierigkeiten mit einer Narbe, die durch Einreißen des Gewebes beim Durchtritt des Köpfchens während der Geburt entstand. Ich wurde genäht und musste dann täglich im Krankenhaus ein Sitzbad mit Kamille nehmen. Zu dieser Zeit kannte man sich mit einem ganz bestimmten Virus, dem HPV- Virus noch nicht aus. Da das Sitzbad in einer Plastikwanne eingenommen wurde, in der vorher andere Frauen ihre Bäder nahmen, kamen diese Viren in die offene Wunde und setzten sich bei mir im Gewebe fest. Damals wurden die Plastikwannen nur kurz heiß ausgespült und dann badete die nächste Frau darin. Wie viele Frauen sich in dieser Zeit nach Geburten mit dem Virus angesteckt haben, möchte ich gar nicht wissen!

Diese Narbe ist dann innerhalb der nächsten 12 Jahre niemals richtig abgeheilt. Konnte sie ja auch nicht. Es wusste nur niemand. Jedes Mal, wenn ich meine Periode bekam, entzündete sich die Narbe erneut, weil während dieser Zeit das Klima in dem Bereich einfach ein Feuchteres war. Danach brauchte die Stelle wieder ein paar Tage um auszuheilen. Und dann hatte ich praktisch schon wieder die nächste viel zu lange andauernde Menstruation und alles ging von vorne los. Durch diesen ewigen entzündlichen Zustand, sah die Narbe irgendwann aus, als würde sie wuchern. So nannte der Arzt es auch: Wuchernarbe. Die Ärzte schickten mich dann Jahr für Jahr immer in eine Tagesklinik, wo die Narbe mittels Laser „geglättet“ wurde um hinterher fröhlich weiter zu wuchern. Nach acht Jahren war durch die ewige Entzündung das Gewebe so kaputt, dass sich ein Spezialist dafür aussprach, das gesamte Gewebe um die Narbe zu entfernen, damit diese Stelle einmal vernünftig abheilen könne. Dafür musste ich allerdings für fast zwei Wochen in ein Krankenhaus. Dort „tranchierte“ man mich wie eine Weihnachtsgans! Es dauerte Ewigkeiten, bis das abgeheilt war.

Ich hatte genau anderthalb Jahre Ruhe, bis ein kleiner, frecher, übrig gebliebener Virus in einer nicht erwischten Zelle erneut sein Unwesen trieb und alles wieder von vorne begann! Abermals musste ich mich unzählige Male zum Abschleifen der Wuchernarbe in die Klinik begeben.

So war es dann kein Wunder, dass aus diesen, immer wieder genervten Zellen irgendeine ausrastete, anfing zu mutieren und bösartig wurde. Und das erfuhr ich im April. Hatte ich es doch gewusst! Irgendetwas war in mir, dass da nicht hin gehörte. Eigentlich sollte ich erst ins Krankenhaus, wenn der Sommer vorbei war. Dem neuen Frauenarzt kam mein Zustand allerdings bedenklich vor und das Aussehen der „Wuchernarbe“ erinnerte ihn an alles mögliche. Nur nicht an Wucherungen. Er schickte mich zu einem Spezialisten nach Lüneburg. Dieser fantastische Arzt brauchte nur einen Blick und dann einen simplen, billigen Test, um seine Befürchtungen zu bestätigen. Dieser Test ist ein ganz einfacher. 5% Salzsäure wird mit einem Q-Tipp auf die befallene Stelle gepinselt. Es brennt kurz und nach fünfminütiger Wartezeit bilden sich bei Erkrankung weiße Hautstellen. Bei Nichtbefall bleibt die Haut so rosig, wie sie ist. Ein Test, der wirklich nicht mehr als ein paar Cent kostet. Er wird von den Kassen aber nicht grundsätzlich übernommen, weil er nicht zu den normalen Leistungen gehört. Ein Test, der fast nichts kostet und zahlreichen Frauen das Leben retten würde, weil der Papillom Virus dann bei sofortiger Behandlung nicht nach längerer Zeit zum Krebs führen würde. So haben die Jahre des Abwartens und Abschleifens dem Krebs so richtig schön Zeit zum Wachsen gegeben, die er brauchte!

Nun war ich also bei diesem Spezialisten, zog mich wieder an und sollte den Befund aus dem Labor abwarten. Schon auf dem Stuhl, als ich den Blick des Arztes wahrnahm und die Sicht auf den Monitor, der die befallene Hautstelle stark vergrößert anzeigte, war mir klar, dass so keine gesunde oder je von allein gesund werdende Haut aussehen konnte. Man sah das „Kranke“.

Im Wartezimmer war ich merkwürdigerweise unglaublich ruhig. Da ich ahnte, was der Arzt mir gleich mitteilen würde, konnte ich mich an den Gedanken „Krebs“ gewöhnen. Nichts auf der Welt ist für mich schlimmer als Unwissen. Wenn man etwas nicht weiß, kann man nichts unternehmen. Erst die Gewissheit lässt Handlungen zu. Und eines war mir klar: Auch das werde ich schaffen. Für meine Kinder war ich bereit, alles zu tun, damit sie mich noch eine Weile hätten. Ich wollte doch so gern dabei sein, wenn sie aufwachsen. Und ich wurde gierig. Gierig nach Leben. Nicht nur sie aufwachsen sehen, nein, ich wollte auch noch Enkelkinder mitbekommen!

 

Im Sprechzimmer bat mich der Arzt, mich zu setzen. Er wurschtelte in seinen Unterlagen herum und die Stille wurde mir unerträglich. Also plapperte ich drauf los:

>> Sieht nicht gut aus, nicht wahr? <<

Der Doktor sah mich an und nickte. Er sagte mir dann tatsächlich, dass es sich um Hautkrebs handelte. Hautkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Und dass es keine Zeit zu verlieren gab. Und dann sagte er etwas, dass mir den Boden für einen Moment unter den Füßen fort riss:

>> Der Krebs ist nicht nur äußerlich. Einzelne Krebszellen sind Richtung Uterus (Gebärmutter) gewandert und haben sich auch dort eingenistet. Die Gebärmutter ist befallen und muss auch entfernt werden. Aber diese Stelle macht mir keine Sorgen. Sobald die Gebärmutter entfernt wurde, kann der Krebs dort nichts mehr anrichten. Die Stelle an der Narbe ist die, die mich besorgt. Wenn der Krebs Zeit genug hatte, tief hinein zu wachsen, könnte er zu streuen beginnen. Sie müssen sofort operiert werden! <<

Das machte mich fix und fertig. Ich musste unverzüglich die OP antreten und irgendwie vorher schnell die Versorgung der Kinder organisieren. In meinem Kopf rauschte es. Ich hatte nichts vorbereitet. Was wäre wenn... um Gottes Willen, ich musste nach Haus. Sachen regeln. Schnell noch ein paar Papiere ordnen, für den Notfall. Der Arzt erledigte noch im Sprechzimmer ein Telefonat mit dem Krankenhaus und besprach kurz mit dem Oberarzt die neuesten Operationsmöglichkeiten. Früher wurde der Krebs befallene Hautfleck mit einem Skalpell heraus geschnitten und vernäht. Diese Methode ließ bei den Frauen aber hinterher keinen Sexualverkehr mehr zu. Durch die gewaltige Narbenbildung direkt an der Scheide wurde Sex unmöglich. Diese Folgen wollte mir der Arzt ersparen. Er besprach deshalb die neue Methode des Lasers. Der Krebs wurde praktisch heraus gehoben. Dabei entstand ein tiefer Krater in der Haut, der aber von innen nach außen allein und narbenfrei verheilte. Das erneuerte Gewebe war elastischer als eine Wundnaht und gestattete, bei erfolgreicher Abheilung, nach wie vor den Verkehr. Da in dem Krankenhaus diese Art von Operation noch nicht angewandt wurde, kam der Spezialist zur OP mit in das Krankenhaus und würde zusammen mit den Ärzten in der Geesthachter Klinik operieren. Das gab mir Mut. War er doch der Arzt, der heraus gefunden hatte, was mir fehlte. Ich hatte uneingeschränktes Vertrauen zu diesem Doktor!

Wie erklärt man seinen Kindern, dass man sofort ins Krankenhaus muss? Und mindestens zehn Tage fort bleibt? Der Kleine war gerade mal vier Jahre alt. Die Mädchen acht und elf. Es zog mir das Herz zusammen. Da saßen sie und ihre kleinen Gesichter schauten mich erwartungsvoll an. Ich hatte ihnen beim Mittagessen gesagt, dass ich nach dem Essen und den Hausaufgaben etwas mit ihnen besprechen müsste.

>> So, ihr Mäuse. Papi und ich haben euch etwas ganz, ganz Wichtiges zu sagen. Ihr wisst doch, dass die Mama sich seit langer Zeit nicht so wohl fühlt. Das liegt daran, dass ich in meinen Körper eine Krankheit habe, die der Doktor heraus operieren will. So schnell wie möglich, damit es mir auch ganz schnell wieder besser geht. <<

Was soll man sonst sagen? Die Kinder weinten natürlich und ich kam mir so verlogen vor. Aber sie waren doch noch so klein! Mir blieb nichts anderes übrig, als sie so zu beruhigen. Die Kinder hingen für den Rest des Tages wie kleine Kletten an mir und ich muss sagen, ich genoss es. Ich wollte sie nur anschauen, fühlen, riechen. Meine kleine, süße Brut!

Als die Kinder im Bett waren, erledigte ich meinen Papierkram. Ich ordnete schnell noch vorhandene Post in Ordner ein. Da ich ein sehr chronologischer Mensch bin, hatte ich immer eine gute Ablage der Papiere. Alles wurde stets in zeitlicher Reihenfolge abgeheftet. Schon immer. Es ist beruhigend, wenn man auf Anhieb jedes wichtige Schreiben findet. Ich stellte aber für meine Familie einen „Nachher“-Ordner fertig, den sie hoffentlich nicht brauchen würden. Meinen Koffer hatte ich mit den Kindern gepackt. Sie waren so niedlich. Kleine Stofftierchen und Bilder von ihnen hatten sie mir eingepackt. Ich sollte mich nicht „einsam und verlassen“ fühlen. Ich hatte die Kinder an diesem Abend noch sorgfältiger zu Bett gebracht als sonst schon. Jeden Zug, in diesen bezaubernden Gesichtchen, wollte ich mit in die Klinik nehmen. Es würde mir Kraft geben und den festen Willen wieder gesund zu werden.

Am nächsten Morgen kam meine Mutter und kümmerte sich um die Kinder. Ich musste weg, noch bevor sie aufwachten. Und das war auch besser so. Ein Abschied hätte mich meine Gelassenheit gekostet.

Der frühe Vogel fängt den Wurm? Oder besser gesagt, der frühe Patient hat die beste Bettenwahl! Ich wollte mich nicht unterkriegen lassen. Nicht von so ein paar durchgedrehten Krebszellen. Ganz mutig und festen Schrittes ging ich zu der Schwester im Schwesternzimmer, lächelte sie an und sagte zu ihr:

>> Guten Morgen, ich hätte gern ein Zimmer mit Alsterblick! <<

Die Schwester stellte sich vor, grinste und fragte nach meinem Namen. Wir erledigten die Aufnahmeformalitäten und dann führte sie mich in mein Zimmer. Und ich war der frühe Vogel und der Wurm war ein freies Bett am Fenster! Es ist schon komisch. Da hat man so etwas Bösartiges im Körper, macht so seine Witzchen und denkt an Ausblick. Aber genau so sollte man es machen. Trübsal blasen wäre hinderlich für die Genesung. Positives Denken in alle Richtungen. Das war genau das, wie ich es handhaben wollte. Immer die Nase in den Wind halten und bloß nicht straucheln. Der Tag verging mit diversen Untersuchungen und vielen Gesprächen. Ich wurde an Körperteilen untersucht, wo ich nicht mal wusste, das ich sie hatte. Praktisch wurde ich einmal komplett auf den Kopf gestellt. Die Ergebnisse waren zufriedenstellend und bestätigten erneut die Diagnose Krebs. Man hofft ja immer...

Abends durfte ich noch ein wenig Tee trinken und dann wurden alle Nahrungsmöglichkeiten eingestellt. Das einzige, was ich noch bekam, war eine starke Beruhigungstablette zur Nacht, weil ich vor lauter Nervosität kein Auge zu bekam. Ich setzte mich stattdessen an das kleine Tischchen in meinem Zimmer und schrieb einen langen Abschiedsbrief an meinen Mann und die Kinder. Allerdings hoffte ich, ihn am nächsten Tag wieder zerreißen zu können. Irgendwann schlief ich doch ein, aber nur um nach gut einer Stunde wieder geweckt zu werden. Der OP war bereit. Ich schluckte eine „Scheiß-Egal“-Tablette, die mich gnädig dämmern ließ. Und dann schoben sie mich in die Vorbereitung. Dort ging alles sehr schnell. Als die Narkose-Ärztin mich bat zu zählen, fing ich an:

>> 10-9-8...! <<

***

>> 7-6-5...! <<

>> Frau Winterfeld, hallo, Frau Winterfeld! Sie brauchen nicht mehr zählen, hallo, Frau Winterfeld! Sie sind fertig! Wie geht es Ihnen? <<

Ich war wach und hatte es hinter mir! Oh Gott, ich musste zu Hause anrufen! Ich wollte die Stimmen meiner Lieben hören. Sobald ich auf meinem Zimmer war, rief ich kurz an und sagte, dass ich durch bin. Und das ich noch lebe! Und das ich müde bin. Dann habe ich noch den Brief zerrissen, auf den Boden geschmissen und den Rest des Tages geschlafen.

Meine Familie wollte mich nicht überanstrengen und an dem Tag der OP eigentlich fern bleiben. Aber das wollte ich auf keinen Fall, ich wollte alle sehen. Ich wollte meine Kinder umarmen und sie kamen auch. Ich war fit wie ein Turnschuh und fühlte mich herrlich. Ich hatte Hunger wie ein Tier! Mich hielt es kaum im Bett, so froh war ich, dass dieses „Böse“ aus meinem Körper war. Die Kinder sollten ganz einfach sehen, dass es ihrer Mama gut ging. Am Abend bekam ich schon wieder Abendbrot und war erschöpft. Endlich kam der erlösende Schlaf. Mit einem Lächeln schlief ich ein!

Die Woche in der Klinik verlief ohne Zwischenfälle. Das die Gebärmutter entfernt worden war, davon bemerkte ich nichts. Es tat überhaupt nicht weh. Sie hatten dafür auch keinen Bauchschnitt gemacht. Sie wurde „von unten“ entfernt. Durch die Scheide. Ich hatte so etwas wie eine winzige Monatsblutung, also nur ein bisschen Blut, vom Schnitt und vom Vernähen, dann ein wenig Wundfluss und das war alles. Deswegen sollte ich die nächsten 2-3 Monate nur nichts Schweres hochheben. Der Verlust der Gebärmutter an sich hat mir nicht soviel ausgemacht. Manche Frauen haben ja ein Problem damit, dass sie sich dann nicht mehr als Frau fühlen, aber das dachte ich nicht. Und mein Wunsch nach Kindern war abgeschlossen. Mehr Kinder wollte ich nicht bekommen. Mein letztes Kind, den Sohn, hatte ich schon wegen der gesundheitlichen Probleme im Schambereich per Kaiserschnitt entbinden müssen. Das Gewebe rund um die Stelle der Glättungen durch Laser war so fest, dass mein Sohn bei der Geburt mit dem Köpfchen stecken geblieben wäre. Das wollte ich eigentlich nicht noch einmal.

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