Déjà-vu des Teufels

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2. Tag; Dienstag, 3. September 2012

„Hallo, Daddy!“, begrüßte Lisa ihren Vater gut gelaunt und ließ sich in den Beifahrersitz des Mercedes fallen. Sie küsste ihren Vater links und rechts und verzog sofort das Gesicht. „Daddy, du hast wieder getankt.“ Ihr vorwurfsvoller Blick tat ihm mehr weh, als er hätte zugeben wollen.

„Kleines, ein oder zwei Bier werden wohl für deinen alten Herren noch erlaubt sein, oder?“

„Du sollst nicht trinken, wenn du fährst. Wenn Mama das mitbekommt, ist wieder der Teufel los.“

Der Mercedes rollte vom Parkplatz des Cobenzl-Restaurants Richtung Höhenstraße. Für den fantastischen Ausblick über beinahe ganz Wien hatten beide im Moment keinen Sinn.

„Wie war dein Abend, Schatz?“, versuchte Mekinsky abzulenken.

„Danke gut, aber, wenn du mich das nächste Mal abholst, bitte nüchtern“, erwiderte Lisa. „Sonst fahre ich lieber mit dem Taxi.“

Mekinsky antwortete nicht. Sie hatte Recht und er wusste es. Er, der abgebrühte Strafverteidiger, dem so schnell nichts und niemand ein schlechtes Gewissen machen konnte, kam sich plötzlich wie ein totaler Versager vor.

Schweigend fuhren sie die Serpentinenstraße Richtung Neuwaldegg. „Hast du dir das mit meinen Reitstunden überlegt?“, fragte Lisa, „du weißt schon – die Mitgliedschaft im Reiterklub Rieglerhütte.“

„Ich weiß nicht. Mama ist dafür, aber ich denke, dass Reiten nicht ganz ungefährlich ist.“

„Nicht gefährlicher als betrunken Autofahren“, antwortete Lisa schnippisch.

„Mein Fräulein, so haben wir …“

„Daddy, pass auf!“, schrie Lisa.

Mekinsky verriss den Mercedes. Der Motor heulte auf, als er zu fest aufs Gas stieg. Der Wagen geriet ins Schleudern, berührte einen einbetonierten Begrenzungsstein, rotierte mehrfach um die eigene Achse und flog in den Wald. Wie in Zeitlupe bekam Mekinsky alles mit: Lisa, die mit offenem Mund tonlos schrie, das Knirschen von Metall, das Splittern der Scheiben und den langen Ast, der sich durch die Windschutzscheibe direkt in Lisas Mund bohrte und durch ihren Hinterkopf, verklebt mit Gehirnmasse, wieder austrat. Dunkelrotes Blut spritze durch den Wagen, traf Mekinskys Hemd. Lisa zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen, bevor ihre glasigen Augen den Tod wiederspiegelten. Mekinsky schrie, wie noch nie in seinem Leben.

Und mit diesem Schrei erwachte er. Schweißgebadet und stocknüchtern. Sein Herz raste wie wild und es dauerte Sekunden, ehe er begriff: ein Traum, nichts als ein böser, hinterhältiger Traum. Die Nachttischlampe auf der anderen Seite des Bettes ging an und Katrin sah ihn besorgt an.

„Was ist los, Schatz?“

„Ich hatte einen beschissenen Albtraum“, antwortete Mekinsky. „Der war verdammt real.“

„Aber eben doch nur ein Traum, mein Schatz. Komm zu mir, es ist vorbei.“

Katrin nahm ihren Mann in die Arme. Ihr hübsches Gesicht spiegelte die Sorge um ihren Mann wieder. Sie drückte ihn noch enger an sich, an ihren warmen, biegsamen und höchst erotischer Körper, an dem vierzig Lebensjahre scheinbar spurlos vorüber gegangen waren.

Ihre wohltuende Nähe beruhigte Mekinsky.

„Willst du mir deinen Traum erzählen?“

„Nein, ich möchte ihn nur vergessen, sonst nichts. Schlaf du ruhig weiter, ich werde eine Dusche nehmen und dann etwas früher ins Büro fahren. Vielleicht kann ich dann auch mal früher abhauen und wir gehen zum Italiener?“

„Oh ja, ins „Don Giovanni“ wäre fein.“

„Okay, ich versuche es. Bis dann, Schatz. Ich liebe dich.“ Er küsste seine Frau zum Abschied und verließ das Schlafzimmer.

Vor Lisas Tür blieb er stehen, öffnete sie und sah durch den Spalt zu seiner Tochter. Sie lag fast unverändert so da, wie er sie schon in der Nacht gesehen hatte. Ihr feengleiches Gesicht bildete einen schier unfassbaren Kontrast zu dem Bild in seinem Kopf. Der Ast, der sie durchbohrte, das viele Blut – mit einem Mal wurde ihm klar, dass seine heile Welt an einem seidenen Faden hing. Wenn Lisa etwas zustoßen würde, wäre für ihn die Apokalypse perfekt.

Er schloss die Tür, ging ins Bad und duschte ausgiebig. Das warme Wasser tat Mekinsky gut, körperlich und auch geistig.

Danach ging er in die Küche, öffnete den Kühlschrank und entnahm ihm eine Flasche Captain Morgan. Nach kurzem Suchen fand er eine Cola-Dose und mixte sich den derzeit angesagten Partydrink.

„Darauf, dass meine Kleine oben schläft und die andere Sache nur ein blöder Scheiß war. Cheers!“, prostete sich Ulrich selbst zu.

Nach einer Viertelstunde Autofahrt erreichte er die Kanzlei Griess, Mekinsky & Partner in der Prinz Eugen-Straße.

In diesem Teil des Bezirkes hatten sich vor allem Botschaften, Wirtschaftstreuhänder und Anwälte angesiedelt. Mit dem herrlichen Ausblick auf das Schloss Belvedere und der Zentrumsnähe war hier praktisch jede Immobilie ein Luxusobjekt. Mekinsky, Griess & Partner besaßen eine fast dreihundert Quadratmeter große Kanzlei im fünften Stock. Die Kanzlei war aus Sicht des Einganges T-förmig angelegt, an den beiden Enden befanden sich die Büros von Mekinsky und seinem Kompagnon, Dr. Gernot Griess.

Das „Partner“ im Firmennamen war eher nur Zierde. Mekinsky vermutete insgeheim, dass Griess über Treuhänder auch diese Anteile hielt. Aber ebenso ging das Gerücht um, dass Griess längst verkauft hat und die „Partner“ stille Teilhaber aus Italien oder dem arabischen Raum wären. Wie auch immer, Mekinsky hielt fünfundzwanzig Prozent, die ihm ein finanziell sorgloses Leben sicherten, auch wenn sein Input in die Firma weit über fünfzig Prozent ausmachte.

„Guten Morgen, Herr Doktor Mekinsky“, begrüßte ihn eine offensichtlich gut gelaunte Bettina Hofer.

„Morgen, Bettina, was gibt’s denn Neues?“

„Herr Doktor Griess möchte Sie um vierzehn Uhr im Gasthaus „Sperl“ treffen, ein Journalist des „Stadtboten“ bittet um ein Interview zum Fall Brunner und der Termin mit dem Herrn …“ sie schaute kurz auf ihren Monitor, „.. mit dem Herrn Schönbacher, das ist der wegen des Satanisten-Prozesses, ist um elf Uhr angesetzt.“

„Sagen Sie Kienzl, er soll sich um den Journalisten kümmern. Griess sagen Sie zu und wenn der neue Klient kommt, geben Sie mir Bescheid. Ach ja, und ein Kaffee wäre nett.“

„Kommt sofort, Herr Doktor.“

Mekinsky schloss die schalldichte Tür hinter sich, warf den Aktenkoffer in einen Sessel und gab sich einmal mehr dem unbeschreiblichen Ausblick aus seinem Büro hin. Die große Glasfront hinter seinem Schreibtisch offenbarte den Blick über das Areal des Belvedere, jenes geschichtsträchtigen Schlosses des Prinzen Eugen, auf dessen Balkon stehend der große Staatsmann Leopold Figl mit den berühmten Worten „Österreich ist frei“ den Weg für ein neues, modernes Österreich bereitet hatte.

Nachdem Bettina den Kaffee serviert hatte, ließ sich Mekinsky in seinen Ledersessel fallen und griff nach dem Papierstoß, den die Assistentin fein geordnet auf den Schreibtisch gelegt hatte. Ein paar Zeitungen, mehrere Honorarnoten zum Unterschreiben und eine Einladung zu einer Vernissage eines Malers, dessen Namen er noch nie in seinem Leben gehört hatte. Er unterschrieb die Rechnungen, steckte die Einladung in sein Sakko, um sie Katrin zu zeigen und widmete sich den Zeitungen. Bis auf den „Stadtboten“ legte er alle nach dem Studium der Schlagzeilen beiseite. Zwar titelte der „Stadtbote“ auch irgendwas rund um ein Skandalspiel der Rapid-Kicker, aber das Foto darunter fiel ihm sofort auf. „Topanwalt erkämpft Freispruch für Neonazi“ stand unter dem Bild, das Brunner und ihn bei der Umarmung nach dem Urteilsspruch zeigte.

Glegentlich in der Zeitung präsent zu sein, störte Mekinsky nicht, ganz im Gegenteil, Gratiswerbung nahm er gerne an. Aber der Mann im Hintergrund des Fotos irritierte ihn schon mehr: der Alte mit dem Stirnband. Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn. Zu viele Zufälle. Zuerst die Begegnung im Gerichtssaal, dann die Stimme im Parkdeck, von der er hätte schwören können, dass es jene des unheimlichen Fremden war und nun tauchte dieser auch noch auf dem Bild in der Zeitung auf. Hastig blätterte er zu der auf der Titelseite angegebenen Seite, aber es gab keine weiteren Fotos zu dieser Story.

Nur einen Text, der ziemlich genau schilderte, was sich gestern im Gerichtssaal zugetragen hatte. Mekinsky beruhigte sich etwas. Er las noch einige Artikel aus dem Chronikteil und unterbrach, als Bettina sich über Intercom meldete.

„Herr Doktor, Herr Schönbacher ist da. Soll ich ihn weiterbitten?“

„Ja, in Ordnung, Bettina.“

Sekunden später öffnete sich die schwere Verbindungstür und der neue Klient trat ein. Mekinsky, der routinemäßig jedem Besucher entgegenging, streckte die Hand aus – und erstarrte.

„Guten Tag, Staranwalt, schön, dass Sie so kurzfristig Zeit für mich haben. Ich bin Michael Schönbacher, aber alle, und bitte auch Sie, nennen mich Demessos.“

Mekinsky löste sich aus seiner Starre. Schönbacher alias Demessos war der alte Mann aus dem Gerichtssaal, der ihm wie Hundekot am Schuh zu kleben schien.

„Guten Tag, Herr Schönbacher …“

„Demessos, bitte.“

„Okay, Demessos. Nehmen Sie Platz. Was führt Sie zu mir?“

Demessos lehnte sich im Besucherstuhl zurück. Mekinsky musterte den Mann genauer. Wie schon im Gerichtssaal, versuchte auch heute ein mit allerlei verschiedenen Symbolen verziertes Stirnband die graue Mähne des Alten zu bändigen. Im Unterschied zu gestern trug Demessos heute einen dunkelblauen Anzug, ein weißes Hemd und eine blutrote Krawatte. Besonders auffällig war aber der goldene Siegelring, dessen Symbolik nicht zu übersehen war: Das große, beinahe klobige Schmuckstück war mit einer Teufelsfratze verziert.

„Nun, ich möchte um Ihre anwaltliche Vertretung bitten“, riss Demessos den Juristen aus seinen Gedanken. „Es gibt da ein paar – sagen wir Schwierigkeiten -, die ich mit Ihrer Hilfe gerne aus der Welt geschafft wüsste.“

 

Das Klopfen an der Tür unterbrach ihn, und Bettinas Kopf erschien im Türspalt.

„Entschuldigung, möchte jemand etwas zu trinken?“

Demessos verneinte, ohne sich umzudrehen und Mekinsky bestellte noch einen Kaffee.

„Welche Schwierigkeiten sind das genau?“

„Ich bin der religiöse Führer einer Glaubensgruppe. Sie würden uns vermutlich als Sekte bezeichnen. Wir wurden während der Ausübung unseres Glaubens von der Polizei-Sondereinheit WEGA überfallen, verletzt, gedemütigt und müssen uns nun vor Gericht verantworten.“

„Die WEGA hat Sie hochgenommen? Was genau wird Ihnen vorgeworfen?“, fragte der Anwalt verblüfft. Wenn sich die Eliteeinheit eines Falles annimmt, dann steckt meist mehr dahinter.

„Nun, wo soll ich da anfangen? Wir feierten unsere Messe …“

„Eine schwarze, also eine Satansmesse?“, unterbrach Mekinsky.

„Ja, sowas in der Art. Die Polizisten verhafteten uns, und die Staatsanwältin legte uns eine Liste unserer angeblichen Verbrechen vor: Verhetzung, Diebstahl, Körperverletzung, Herabwürdigung religiöser Lehren, Satanismus, Widerstand gegen die Staatsgewalt und noch ein paar Kleinigkeiten mehr.“

Erneut klopfte es an der Tür und Bettina brachte ihrem Chef den Kaffee zum Schreibtisch. Rasch entfernte sich die Gehilfin, der man ansah, dass ihr der Klient nicht ganz geheuer war.

„Und – entspricht die Anklage der Wahrheit?“, fragte der Jurist, während er seinen Kaffee zuckerte.

„Wahrheit, Staranwalt? Was ist das? Es gibt doch nichts Subjektiveres als den Begriff Wahrheit, finden Sie nicht?

„Einigen wir uns darauf, dass das hiesige Strafgesetzbuch in diesem Fall die Wahrheit vorgibt – und nennen Sie mich nicht Staranwalt.“

„Sehen Sie, Herr Doktor Ulrich Mekinsky, und hier beginnt das Dilemma. Ich kann das österreichische Strafgesetzbuch nicht anerkennen, weil es für unsere Religion einfach nicht zuständig ist.“

„Satanismus ist keine Religion.“

„Vor dem Gesetz ja, aber wie oft irrt der Gesetzgeber? Sie sind Anwalt, Ihnen muss ich das wirklich nicht erklären.“

„Andere Frage: Wer ist die zuständige Staatsanwältin?“

Demessos grinste. Er wusste, dass er mit der Beantwortung dieser an sich harmlosen Frage das Interesse des Anwalts an seinem Fall erheblich steigern konnte. Er tat so, als müsse er nachdenken und antwortete zögerlich.

„Eine gewisse Frau Theresa Mühlbauer oder so ähnlich.“

„Mühlbacher. Das ist die Staatsanwältin, die sie gestern erlebt haben. Sehr kompetent, aber nicht unschlagbar.“

Demessos musste innerlich lachen. Er merkte, dass Mekinskys Killerinstinkt mit der bloßen Nennung seiner Gegenspielerin geweckt war. Anwälte – eine Branche als Mutter der Eitelkeit!

„Nun, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich sehe mir den Akt einmal an und kontaktiere Sie, ob ich Ihre Vertretung übernehmen werde. Ich rufe Sie an, sobald ich darüber Klarheit habe.“

„Ich habe mir schon erlaubt, Ihrer Assistentin eine Kopie der Anklage zu überreichen. Und, ich rufe Sie an.“

Demessos wirkte extrem entschlossen, keinen wie auch immer gearteten Widerspruch duldend. Plötzlich war Mekinsky klar, dass sein neuer Klient ein absolutes Alpha-Tier verkörperte. Der „freundliche Alte“ war bestenfalls Maskerade.

„Dann bliebe noch die Frage des Honorars“, erwiderte Mekinsky, insgeheim hoffend, dass sein Gegenüber vielleicht in diesem Punkt schwächeln könnte.

„Geld spielt keine Rolle. Den Schriftstücken, die ich Ihrer Mitarbeiterin übergeben habe, ist ein Scheck über zehntausend Euro beigelegt. Geben Sie mir Bescheid, wenn Sie ihn aufgebraucht haben.“

„Warum ich?“, fragte Mekinsky und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen ob dieser unprofessionellen Frage.

„Glauben Sie an Gott, Staranwalt?“

„Nein, ich glaube weder an Gott noch an Ihren Chef“, antwortete Mekinsky zynisch. „Ich glaube nur an das, was ich sehe. Und beide Herren haben sich mir noch nicht persönlich vorgestellt.“

„Gut so. Aber vielleicht ändert sich das ja irgendwann. Sie hören von mir.“

Demessos stand auf und streckte Mekinsky die Hand hin. Diesmal ergriff sie Mekinsky und hätte beinahe einen Schrei losgelassen. Demessos Händedruck glich dem eines Schraubstocks.

„Bis bald, Herr Doktor“, verabschiedete sich Demessos, dessen Gesicht abzulesen war, wie belustigt er über den verblüfften Anwalt war. Mekinsky erwiderte den Gruß, nahm wieder Platz, nachdem sich die Tür hinter dem Teufelsanbeter geschlossen hatte und trank erst jetzt den ersten Schluck seines inzwischen kalten Kaffees.

Er betrachtete seine schmerzenden Finger. Auf einem erkannte er etwas Seltsames – den Abdruck einer Teufelsfratze …

*************

Kurz vor dreiviertel zwei traf Mekinsky im Restaurant „Sperl“ ein und suchte einen schattigen Platz im Gastgarten. Die von Weinranken umwucherte Laube sorgte für eine ganz besondere Atmosphäre, vor allem aber für Ungestörtheit. Der Kellner brachte ein Krügel Gösser und die Speisekarte, die Mekinsky ignorierte. Umso hastiger trank er das Bier. Im Geiste ging er noch einmal das Gespräch mit dem Teufelsanbeter durch und fasste den Entschluss, den Fall vorerst nur zu überprüfen. Der anstehende Termin mit seinem Partner kam ihm sehr gelegen. So konnte er die Meinung des erfahrenen Anwalts in seine Überlegungen einfließen lassen.

Pünktlich und zeitgleich mit dem zweiten Krügel traf Gernot Griess ein. Mekinsky begrüßte seinen Seniorpartner, der sich schwerfällig in den für ihn fast zu engen Gartensessel fallen ließ. Griess war knapp an die sechzig, recht klein und glich mit seinen hundertvierzig Kilo einem Walross. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch seine Glatze und einem Ungetüm von Schnurrbart. Seine listigen, kleinen Augen unter den buschigen Wimpern lagen hinter einer dunklen Ray Ban versteckt. Trotz der Hitze trug Griess wie immer einen dünnen Mantel, der jenem des TV-Kommissars Columbo zum Verwechseln ähnlich sah.

„Du siehst beschissen aus, mein Junge“, eröffnete der Senior das Gespräch, „zu viel Stress oder zu wenig Sex?“

„Keines von beiden“, antwortete Mekinsky, „ich hatte heute Vormittag nur einen etwas befremdlichen Klienten, das ist alles.“

„Jeder Klient ist befremdlich“, lachte sein Gegenüber, „Diebe, Mörder, Totschläger und Perverse aller Art sind unser täglicher Umgang, aber sie finanzieren dein Haus, deinen Wagen, die Ausbildung deiner Tochter und so weiter.“

Der Kellner kam und wollte Griess eine Speisekarte reichen. Der lehnte ab, bestellte ein Achterl Heideboden Barrique vom Weingut Umathum und ein Pfeffersteak mit frischem Gemüse und Kroketten. Mekinsky entschied sich für Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat. Als der Kellner außer Hörweite war, erzählte Mekinsky vom Besuch des Teufelsanbeters. Griess hörte bis zum Ende zu, ohne ein einziges Mal zu unterbrechen.

„Und nun frage ich mich, soll ich diese Verteidigung übernehmen?“

„Warum nicht? Klingt recht spannend und schwieriger als der Brunner-Fall wird’s wohl auch nicht sein.“

„Ich weiß nicht recht. Fälle mit einer religiösen Komponente sind oft unberechenbar. Erinnere dich an die diversen Scientology-Verhandlungen, die Zeugen Jehovas mit ihren Weigerungen der Fremdblutannahme oder andere obskure Sekten.“

Der Kellner brachte Mekinsky das dritte Bier und legte Servietten und Essbesteck auf. Nach dieser Unterbrechung wechselten die Beiden das Thema. Griess erzählte Mekinsky von einem Superdeal mit einer norwegischen Ölgesellschaft und Mekinsky berichtete über den Brunner-Prozess.

Während des Essens schwenkte das Gesprächsthema ins Private und drei Stunden und ein weiteres Krügel später brachen die Partner auf. Griess setzte sich in seinen Jaguar und Mekinsky schwankte die paar Meter zur Kanzlei zurück. Als er die hauseigene Tiefgarage betrat, fiel ihm das Erlebnis vom Vortag beim Landesgericht ein. Aber diesmal meldete sich keine Stimme und Mekinsky begann allmählich zu glauben, dass es sich gestern um Einbildung gehandelt hatte.

Daheim angekommen, parkte Mekinsky den Mercedes in der Garage und betrat das Haus durch die Verbindungstür.

„Halli-Hallo, ich bin zuhause!“, gab er beim Betreten des Wohnzimmers von sich. Er merkte dabei, dass ihm das Reden schon einigermaßen schwer fiel. Lisa kam um die Ecke geflitzt und fiel ihrem Vater um den Hals.

„Hallo Daddy, schön dass du da bist. Ich muss unbedingt mit dir reden, hast du Zeit?“

„Klar doch, aber ich fürchte, ich habe ein wenig zu viel getrunken. Also sei nachsichtig mit deinem alten Dad.“

„Kein Problem, Daddy. Du hast doch gesagt, wenn ich im Zeugnis keinen Zweier habe, dann darf ich mir etwas wünschen – und wie du weißt, habe ich ausschließlich Einser. Also musst du jetzt zu deinem Wort stehen.“

Ulrich setzte sich neben seine Tochter auf die Couch. Zeugnis? Ah ja, sie hatte glänzend abgeschnitten und er hatte ihr im Übereifer alles Mögliche versprochen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie noch nichts eingefordert hatte.

„Was soll deinem armen alten Vater das letzte Geld aus der Tasche ziehen?“, scherzte der Anwalt, „ein Ferrari, ein Aufenthalt auf einer Schönheitsfarm, eine eigene Boutique?“

Lisa warf ihm ein Zierpolster ins Gesicht. „Du nimmst mich nicht ernst. Nein, ich will Reitstunden nehmen und würde mir gerne ein passendes Gestüt aussuchen“, erklärte Lisa.

Reitstunden? Reitstunden? Ulrich kam das bekannt vor, aber er war zu betrunken, um sich an seinen Traum zu erinnern. Er konnte nur an reale Ereignisse denken.

„Wenn du willst, kannst du dich umhören. Sag mir dann Bescheid, wenn du dich für ein Angebot entschieden hast, okay?“

„Danke, Daddy, danke!“ Sie sprang auf – vermutlich um die Neuigkeit gleich telefonisch ihren Freundinnen zu erzählen und lief in den ersten Stock. „Wo ist denn Mama?“, rief ihr Ulrich nach.

„Vermutlich im Bad“, hörte er Lisa aus dem Obergeschoß antworten.

Ulrich krabbelte umständlich aus der weichen, bequemen Couch heraus und kämpfte, als er aufrecht stand, mit Schwindel. „Scheiße, ich hätte nicht so viel trinken sollen“, ärgerte er sich im Selbstgespräch. Er wankte zur Treppe ins Obergeschoß und zog sich mühsam am Geländer hoch. Der heutige Alkoholkonsum, praktisch direkt auf den Restalkohol des Vortages aufgegossen, zeigte Wirkung. Vor der Tür des Badezimmers überlegte er, ob er anklopfen oder Katrin überraschen sollte. Er entschied sich für Variante zwei und trat ein.

Was er sah, war ein Bild für Götter. In der um eine Stufe erhöhten, nierenförmigen schwarzen Badewanne lag seine Frau Katrin. Sie hatte die Augen geschlossen und hörte mit ihrem Kopfhörer ziemlich laut Musik von Genesis. Während er auch noch in den Genuss von Phil Collins Stimme kam, betrachtete Ulrich seine Gattin.

Katrin Mekinsky lag nackt in den Resten des Badeschaumes und bot mit ihrer hinreißenden Figur einen tollen Anblick. Ihre sonnengebräunte Haut war makellos, ebenso wie der glatte, flache Bauch, unter dessen Haut sich ein fast rhythmisches Muskelspiel wiederholte. Ihre phantastischen Brüste hoben und senkten sich mit jedem Atemzug. Sein Blick wanderte zu ihrer glatt rasierten Vagina und er merkte, dass ihn dieser Anblick nicht kalt ließ.

Vielleicht diese Blicke oder auch einfach nur Instinkt veranlassten sie, die Augen zu öffnen.

„Hallo, Schatz, ich bin zurück“, begrüßte er seine Frau, „und ich darf sagen, genau im richtigen Augenblick.“

Beide lächelten und Katrin reckte sich wortlos empor, um ihren Mann zu küssen. Ihre Zunge bohrte sich fordernd in seinen Mund und das reichte aus, um Mekinsky endgültig eine Erektion zu verschaffen. Doch ebenso schnell wie Katrin losgelegt hatte, stieß sie Ulrich auch gleich wieder von sich.

„Du hast schon wieder getrunken!“, legte sie wütend los. „kannst du nicht wenigstens ab und zu nüchtern von der Arbeit nach Hause kommen? Ist das zu viel verlangt?“

„Ja, Schatz, es waren nur zwei Bier, ehrlich. Ich musste mit Gernot essen gehen und …“

„Zwei Bier, ja? Verkauf mich nicht für blöd! Gestern habe ich noch gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Aber heute haben wir – wie du hoffentlich noch weißt - einen Tisch bei „Don Giovanni“ bestellt. Dass du jetzt vollgetankt ankommst, ist eine Frechheit!“

Wütend sprang sie aus der Wanne, griff sich ein Badetuch und wich der versuchten Umarmung ihres Mannes geschickt aus.

„Schatz, es tut mir leid“, stammelte Mekinsky, aber seine Frau war bereits aus dem Bad verschwunden, nicht ohne die Tür mit einem satten Knall ins Schloss zu werfen.

Ulrich setzte sich auf den Rand der Badewanne, legte sein Gesicht in beide Hände und schluchzte. Er wusste, dass Katrin vollkommen Recht hatte und er gestand sich auch ein, dass er tagsüber keinen einzigen Gedanken an ihr gemeinsames Abendessen in der Pizzeria verschwendet hatte. Sie würde heute keinen Fuß mit ihm gemeinsam vor das Haus setzen. Soweit kannte er seine Frau. Er, der Topanwalt, der vor Gericht so souverän wirkte, konnte sich vor dem Teufel Alkohol nicht schützen.

 

„Das muss anders werden! Bei Gott, ich schwöre es.“

Das abfließende Wasser der Wanne gluckste wie zur Bestätigung.