Die Gräber der Namenlosen

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Die Gräber der Namenlosen
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Impressum

Bildquelle Cover Pixabay

Verantwortlich für Inhalt und Text

Carola Käpernick

Covergestaltung

Carola Käpernick

Veröffentlichung

Verlag: Selbstverlag über Epubli

Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Die Gräber der Namenlosen

Carola Käpernick

Der alte Mann geht jeden Tag zum Friedhof. Zielstrebig schlurft er auf das gepflegte Grab zu, an dem er seine Blumen nieder legen will. Er zupft ein paar trockene Blätter aus den Efeuranken, ordnet die Blumen, harkt und steuert die kleine Holzbank mit den schmiedeeisernen Armlehnen an. Gedankenverloren sitzt er oft stundenlang hier und denkt über sein Leben nach. Günther Preikschat ist 82 Jahre alt. In seinem Leben lief es nicht immer so erfreulich, wie er es sich gewünscht hätte:

Mit sechzehn zieht Günther in den Krieg. Seine Mutter steht in schwarzen Kleidern am Zaun und sieht ihm weinend nach, als er voller Tatendrang zum Bahnhof stürmt. Der Vater war vor vier Monaten gefallen. Angst und Sorge um den Sohn stehen Elfriede Preikschat ins Gesicht geschrieben. Lange hat sie versucht, ihrem Günni das auszureden, aber er spricht von Rache und dass er es seinem Vater schuldig sei.

Hätte Günther damals schon geahnt, dass die zwei härtesten Jahre des Krieges vor ihm lagen, wäre er bei seiner Mutter geblieben. Er sollte seine Mutter nämlich niemals wieder sehen. Sie starb bei einem Bombenangriff. Niemand konnte ihm sagen, wo oder ob sie überhaupt beerdigt worden war.

Als einer der letzten Kriegsgefangenen kam Günther erst Anfang der fünfziger Jahre aus Russland zurück. Ein Fremder in der Heimat. Fünfundzwanzig Jahre alt und im wahrsten Sinne des Wortes mutterseelenallein.

Schnell fand Günther eine außergewöhnlich schöne Freundin. Johanna Heitmeyer liebte ihn so sehr, dass sie ihn ganz schnell heiraten wollte und sieben Monate später wurde seine rothaarige Tochter Helene geboren. Günther wusste nicht sehr viel über Frauen und Schwangerschaften. Noch weniger konnte er einschätzen, wie groß ein zu früh geborener Säugling sein mochte. Die kleinen aschroten Locken wunderten ihn aber doch. Johanna und er waren beide schwarzhaarig. Noch unheimlicher waren Günther die klaren kieselgrauen Augen des Säuglings. Wenn diese ihn anschauten, hatte Günther immer das Gefühl, als wenn das Kind durch ihn hindurchschauen konnte. Er bekam jedes Mal eine Gänsehaut. Wie in Zeitlupe richteten sich seine Nackenhaare auf und ihm wurde abwechselnd kalt und heiß.

Rückblick

Ein vergnügtes Quietschen des Babys reißt Günni aus seiner Starre und Johanna sagt: „Willst du deine Tochter nicht mal auf den Arm nehmen?“ Ängstlich berührt er die kleine Hand, die sich sofort fest um Günthers Finger schließt. „Wie wollen wir sie nennen?“, fragt er seine Frau. „Schlag du einen Namen vor!“ „Dann nennen wir sie Barbara!“, sagt Günther. „Dann nennen wir sie Barbara.“, stimmt Johanna zu. ‚Barbara bedeutet die Fremde, das passt zu dir‘, sagt Günni in Gedanken zu dem Kind.

Pfarrer Steinmüller soll das Kind taufen. Am Morgen ist Barbara quengelig und leicht fiebrig. Trotzdem soll die Taufe wie geplant stattfinden. Johanna hat zwei Paten vorgeschlagen. Günther, der hier immer noch nicht viele Leute kennt, hat zugestimmt. Margot ist Johannas jüngere Schwester und Alfred ein Schulfreund von Johanna. Alfred hält das Kind unbeholfen übers Taufbecken. Der Pfarrer murmelt seinen Segen, Barbara strampelt und kreischt. Günther hat das Gefühl, als wenn diese Prozedur gar kein Ende nehmen will. Johanna schaut verklärt lächelnd auf Alfred und ihre greinende Tochter.

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