Crimetime - Mord im Finanzamt

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Crimetime - Mord im Finanzamt
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Mord im Finanzamt

Carola Käpernick

Crime 2021

Eine Aktion des Autorenkalenders der

Textgemeinschaft

Januar 2021

Weitere Informationen zum Autorenkalender und zu den Aktionen unter autorenkalender.textgemeinschaft.de

Impressum

Texte: Carola Käpernick

Umschlaggestaltung: Carola Käpernick

Korrektur: C. C. Brüchert

Bildquelle Pixabay Gerd Altmann

Verlag: Selbstverlag über Epubli


Druck: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Autorin wiedergegeben werden.

Sämtliche Orte, Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten oder Namensgleichheit mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

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Nichts in dieser Welt ist sicher, außer dem Tod und den Steuern.

Benjamin Franklin

***

Das panische Kreischen von Geraldine Meierlich verklang ungehört in den langen Fluren der Finanzdirektion der beschaulichen Stadt Emmenburgstedt. Geraldine gehört zu den Beamtinnen, die eine Stechuhr als Segen empfanden und die Gleitzeitregeln der Behörde sehr weit auslegte, vor allem nach vorn. Meist schob sie ihre Personalchipkarte schon vor sechs Uhr ins Lesegerät und öffnete in allen Gemeinschaftsräumen die Fenster weit, an denen sie auf dem Weg in ihr Büro vorbei kam. Sie genoss es, im Dämmerlicht der Notbeleuchtung durch das totenstille Finanzamt zu gehen und den verstaubten Akten und Ansichten einiger Kollegen, mit einer ausgiebigen Frischluftzufuhr den Kampf anzusagen. Und wenn sie ehrlich war, genoss sie es auch, dass sich viele der Kollegen erbosten, dass es zog oder kalt war, wenn sie mehr als eine Stunde nach Geraldine den Dienst antraten.

Auch an diesem Morgen, der in Sekundenschnelle aus der morgendlichen Routine eine Ausnahmesituation machte, ließ sie die grellen Neonlampen noch ausgeschaltet. Aus diesem Grunde sah sie ihren toten Kollegen auch nicht, der zwischen dem Fenster und der Sitzgruppe im Pausenraum am Boden lag. Versehentlich trat sie ihm auf die sonderbar weit vom Körper entfernt liegende rechte Hand und entschuldigte sich aus reiner Gewohnheit, bis ihr die Tragweite des Umstands mit brutaler Klarheit durch die Hirnwindungen kroch und ihr das eingangs erwähnte Kreischen entlockte.

Mirko Mertens, zuständig für Steuerangelegenheiten der Personen mit Gewerbe oder Freiberuflichkeit in Emmenburgstedt, deren Nach- oder Firmennamen mit den Buchstaben D,C, G oder P begannen, lag in einer großen Blutlache, die an den Rändern schon einzutrocknen begann. Zwischen seinem rechten Arm und der rechten Hand klaffte ein blutiges Nichts von ca. 40 Zentimetern, in das Geraldine sich spontan erbrach.

Unmittelbar nachdem sie ihr Bircher Müsli halbverdaut wieder von sich gegeben hatte, lief Geraldine so schnell sie konnte, vor die Tür des Finanzamtes und rief die Polizei. Als die nach wenigen Minuten eintraf, kauerte sie bleich auf den Treppenstufen und kühlte sich die Stirn am stahlgrauen Treppengeländer. Behutsam erfragte sich eine der Beamtinnen den Weg, während drei Uniformierte den Eingang zum Amt weiträumig absperrten. Ein Krankenwagen mit Sirene und Blaulicht fuhr heran und Sanitäter kümmerten sich um Geraldine, deren Bewusstsein sie bis zum Eintreffen des RTW, vor einem medizinischen Notfall bewahrt hatte, jetzt aber umso erbarmungsloser den Weg frei, für den größten Schock ins Geraldines Leben, machte. Als sie Stunden später aus ihrer Ohnmacht erwachte, lag sie in einem Krankenhausbett und wirkte auch nicht sehr lebendig.

***

Am Tatort hielt sich die Freude über die Verunreinigung des blutigen Nichts doch stark in Grenzen. Geraldine konnte in zweifacher Hinsicht froh sein, weit entfernt zu weilen, von den Mitarbeitern der Spurensicherung, der Rechtsmedizinerin und der beiden Kriminalbeamten. Natürlich meinten all diese Personen die zahlreichen Beleidigungen nicht wirklich persönlich, aber Geraldine neigte ohnehin dazu, sich Fehler zu sehr zu Herzen zu nehmen und konnte schon mit konstruktiver Kritik nur schwer umgehen. Cholerische Flüche in kreativer Wortwahl, würden sie vermutlich völlig verstören. Doch sie war ja zum einen noch ohnmächtig und zum anderen im mehrere Kilometer entfernten Krankenhaus. „Nicht vernehmungsfähig!“, wie ihnen einer der Rettungsassistenten noch zurief, als er die Tür des RTW mit einem lauten Krachen zuwarf. Jedem war klar, wenn die Zeugin, als die Geraldine bei den Beamten gesehen wurde, davon nicht aufwachte, dann konnte man sich mit einem Besuch am Krankenbett noch reichlich Zeit lassen und sich erst einmal um den Tatort und das Opfer kümmern.

Mirko Mertens war Ende dreißig, arbeitete schon seit einigen Jahren in der Finanzdirektion und galt als Eigenbrötler. Er war in einem grauen Anzug gekleidet, der sich schon auf den ersten Blick als Modell von der Stange im mittelpreisigen Bereich entpuppte. Dazu trug er ein weinrotes Hemd eines namhaften Modedesigners, dessen Kreationen aber in den letzten Jahren von den großen Laufstegen in die Grabbelkörbe der Discounter gedrängt worden waren. Seine silberfarbene Krawatte glich einem Bund Lametta und ließ vermuten, dass Mertens damit vor seinem Tod in den Aktenvernichter geraten war. Tod durch Ersticken hatte die Rechtsmedizinerin allerdings direkt ausgeschlossen.

Im Papercenter, wie die Mitarbeiter des Finanzamtes den Raum nannten, in dem die Kopierpapiervorräte lagerten, der zentrale Drucker, mehrere Kopierer und Aktenvernichter standen, fanden sich Fusseln der Krawatte und auch Blutspuren. Die Rekonstruktion des Tatherganges wurde wie folgt dargestellt: Mertens wurde mit der Krawatte in den Aktenvernichter gezogen. Während er dort fest hing, wurden ihm beide Hände abgetrennt. Die rechte lag in der Nähe des Opfers, die linke war aktuell noch unauffindbar. Während die auf Genmaterial orientierten Spurensucher die Theorie aufstellten, dass unter den Fingernägeln des Opfers Täter DNA sein könnte, sinnierte der historisch interessierte Ermittler Bernhard Speck-Faltberg, auch Speck-Eff genannt, darüber nach, dass sogenannte Spiegel- oder Körperstrafen seit der Antike gang und gäbe waren und in arabischen Ländern sogar heute noch angewandt werden. Dieben die Hände abzuhacken ist da gar nicht so selten und wird mit dem Islam begründet. Allerdings wiesen die Trennränder an Haut, Gefäßen und Knochen doch mehr darauf hin, dass hier eher ein elektrisches Messer, als eine Holzfälleraxt oder ein Fleischerbeil im Einsatz war. Trotzdem – Steuergeldverschwendung wird von vielen als Diebstahl an der Gesellschaft gesehen und so ganz außer Acht lassen, sollte man den Gedanken vielleicht nicht, auch wenn natürlich sehr viel für die Theorie mit dem Genmaterial spricht. Warum allerdings dann nicht beide Hände mitgenommen wurden? Darüber wollte der Ermittler später nachdenken. Zeit genug würde es geben. Denn die Spurenlage war mau, nicht zuletzt durch die Tatortverunreinigung. Aktuell konnte man sich einfach nur Vermutungen hingeben und in mühevoller Kleinarbeit nach Puzzlestücken suchen.

***

Vor dem Amt sammelte sich das Kollegium des Finanzamtes, das die Büros im näheren Umfeld des Tatortes beanspruchte. Die anderen Mitarbeiter durften durch die Tiefgarage mit den Aufzügen bereits ihre Büroetagen aufsuchen. Zu Arbeiten begonnen, hatte vermutlich noch niemand. Es hatte sich relativ schnell herumgesprochen, wer der Tote war. Alle tuschelten jetzt miteinander, um Spekulationen darüber abzugeben, warum Mirko Mertens umgebracht wurde, wie und vor allem von wem. Speck-Eff dachte nicht zum ersten Mal, dass die neugierigen Gaffer, oder die in Echtzeit Situationsinteressierten, wie der Polizeipräsident diese Spezies gern nannte, allesamt das Potential hätten, seinen Job zu machen. Nicht, dass er seine Arbeit nicht mochte, aber so brutale und blutige Tatorte schlugen ihm aufs Gemüt und verdarben ihm den sonst immer präsenten Appetit.

Zur Befragung des gesamten Kollegiums wurden Uniformierte angefordert. Sie nahmen die Namen und Adressen auf, stellten ein paar Routinefragen und baten darum, detailliertere Auskünfte als Sprachnotiz aufzeichnen zu dürfen. Das beschleunigte den Prozess massiv und die Transkriptionsabteilung würde auch genug zu tun bekommen.

Wie erwartet, war der augenscheinlich gewaltsam Verblichene weder besonders beliebt, noch wirklich verhasst. Niemand kannte ihn näher und seine Fallakten würden erst zur Einsicht freigegeben werden, wenn ein Verdacht zu einem entsprechenden richterlichen Beschluss führen würde, der natürlich vorzulegen sei und zwar vor der Akteneinsicht. Schließlich sei das hier das Finanzamt und nicht irgendein Hinterzimmer in der zwielichtigen Gastronomie. Das machte der Amtsleiter mit seiner nasalen Stimme sehr deutlich und wirkte dabei so, wie seine Stimme klang: hochnäsig. „Korinthenkacker!“, dachte sich Bernhard, beließ es aber erst einmal dabei.

Überraschend war, dass Mertens nur in Teilzeit arbeitete und zwar normalerweise immer nachmittags. Den Arbeitsplatz teilte er sich mit einer alleinerziehenden Mutter von Zwillingen, die den Platz in der Regel am Vormittag belegte. Daher gab es keinerlei persönliche Dinge, nicht einmal Telefonnotizen lagen dort herum. Die Co-Besetzung für den Schreibtischstuhl war zudem schon seit ein paar Tagen nicht im Dienst, weil die Zwillinge, die sonst immer alles gemeinsam durchlebten, sich ausgerechnet bei den Windpocken entschieden hatten, sie nacheinander zu bekommen.

 

Speck-Faltberg notierte sich ein paar Gedanken, die er später an den Schreibtischermittler Hermann Kerkhoff weitergeben würde. Der würde die Informationen zusammentragen und ein erstes Exposé erstellen, damit er und sein Freundkollege Richard Nitz die ersten Zusammenhänge herauslesen könnten. Kerkhoff arbeitete nur noch im Innendienst, leistete aber oft die wertvollste Arbeit für die Ermittlungen. Ihm machte im Umgang mit dem Computer niemand was vor. Außerdem war er die Art von Mensch, der man selbst das Herausziehen von Finger- und Zehennägeln ohne Betäubung erlauben würde, einfach weil er so nett drum bat, es tun zu dürfen. Mal sehen, ob der Finanzdirektor dann immer noch auf einen richterlichen Beschluss pochen würde, wenn Hermann ihn erst einmal in ein Gespräch verwickelt hatte.

Nitz hatte noch einen Zahnarzttermin und da er sich danach noch nicht gemeldet hatte, vermutete Speck-Eff, dass Richard nach Hause gegangen war und sich seinem Leid und einer Schmerztablette hingegeben hatte. Solange hier noch keine nennenswerten Erkenntnisse vorlagen, konnte Nitz auch zu Hause bleiben. Was Bernhard hingegen gar nicht passte, war der Umstand, dass ausgerechnet Klemens von der Spurensicherung heute ebenfalls verhindert war. Dringende Familienangelegenheit hatte es geheißen. Das war wieder einmal so klar. Passierte nichts, hockten sie alle zusammen im Revier und fraßen die selbst gebackenen Kuchen von Hermanns Frau. Kaum liegt im Finanzamt ein Toter herum, lassen sie ihn die Arbeit alleine machen. Also fast allein jedenfalls. Auf Kerkhoff ist Verlass. Der würde vermutlich sogar dann noch zum Dienst kommen, wenn er im Pflegebett herangerollt werden müsste.

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