Diejenigen die fliegen

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Diejenigen die fliegen
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Diejenigen die fliegen

Copyright 2021 Carlos Bonilla

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Cover design by: Carlos Bonilla

Impressum

Diejenigen die fliegen

Stand Dezember 2021

Carlos Bonilla

Published by Carlos Bonilla, Deumentenstr. 20, 90489 Nürnberg

carlos_hit10@hotmail.es

Copyright 2021 Carlos Bonilla

Auflage 1

Gewidmet Rosa und Gloria.

Dieses Buch ist meinen beiden Großmüttern Rosa und Gloria gewidmet, Frauen, die auch ihre eigenen Abenteuer erlebt haben und dadurch dass Sie starke Frauen waren, immer in den Erinnerungen ihrer Familie bleiben werden. Wie eine von ihnen einmal sehr gut sagte:

“Die besten Geschichten, sind unsere”.

Prolog

Durch einen glücklichen Zufall haben wir Carlos im Winter 2014 in Barcelona kennengelernt, als wir mit 20 Jahren für ein Austauschsemester nach Barcelona kamen, und auf der Suche nach zwei freien Zimmern in seiner Wohnung fündig wurden. Geblieben ist uns seither ein Freund fürs Leben.

Ermutigt und motiviert hat er uns, als wir damals bei einem Glas Wein über die Welt philosophierten und daran zweifelten, ob wir jemals die Liebe unseres Lebens finden werden oder als uns der Mut fehlte, unsere Geschäftsideen zu verwirklichen. Nach Gesprächen mit Carlos fühlten wir uns immer gestärkt und motiviert. Bis heute halten wir regelmäßigen Kontakt und kommen nach Besuchen bei Carlos jeweils mit einer gesunden Portion an Mut und Willen zurück.

Carlos hat die beeindruckende Fähigkeit, mit seiner Lebensfreude, Optimismus und Stärke zu streuen. «Wenn du etwas möchtest, kämpfe dafür, überzeug sie und glaub an dich!» Diese Worte beschreiben in etwa, welche Botschaft Carlos übermitteln will. Diese zu glauben ist ziemlich einfach, denn seine Erfolgserlebnisse zeugen unbestreitbar davon.

Wir sind immer wieder überrascht und begeistert davon, wie Carlos mit einer scheinbaren Leichtigkeit, voller Energie und Begeisterung beeindruckende Werke mit großer Wirkung schafft. Dieses Buch ist eines davon und erzählt gleichzeitig, worauf es bei der Umsetzung einer Idee ankommt und weshalb man nie den Mut und den Glauben an sich verlieren soll.

Es ist uns eine Ehre, Carlos mit diesem Prolog diese Worte zu widmen.

Danke für alles Carlos, du bist so einzigartig!

Bern, im August 2021 Manuela Flattich & Lisa Nyffeler

Ich war schon immer von diesen Momenten fasziniert, in denen wir in einem Kreis sitzend reden. Wenn es nicht mehr Geräusche als unsere eigenen Stimmen gibt, mit denen wir Geschichten, Anekdoten, Legenden uns erzählen und dabei jemanden zuhören, der Gitarre spielt. Es sind diese Momente, die uns an andere Orte versetzen. Geschichten aus unseren persönlichen Erfahrungen, an denen man sich erinnert und welche unser Herz schneller schlagen lassen. Dies ist eine Geschichte von jemanden, der wie viele andere vor ihm schon, beschlossen hat seinen Träumen zu folgen und einen Teil dieser Welt zu erkunden.

Wo ist mein Platz?

Schon in jungen Jahren beschlich mich oft dieses Gefühl, dass ich nicht zu dem Ort passte, an dem ich mich befand. Ich fühlte mich anders. Manchmal verstand ich die Welt nicht in der ich lebte. Ich stellte mir tausende Mal die Frage, warum ist alles so und warum nicht anders, aber das war nie ein Grund traurig zu sein im Gegenteil ich fragte mich: “Wo ist mein Platz in dieser Welt”, und begann das Abenteuer, nach dem Ort, der für mich bestimmt war zu suchen. Der Ort, der für mich in meinen tiefsten Gedanken existierte. Ich denke, dass die Fantasie, welche ich in mir trug, immer meine Neugier und Wissensdurst antrieb. Ich kann nicht sagen, ob ich mich als Träumer oder Entdecker bezeichnen würde, aber ich weiß, dass ich immer sehr glücklich war. Vielleicht waren es die Umstände, unter denen ich in meiner Familie in El Salvador lebte oder es waren die Cartoons meiner Kindheit, welche immer glücklich endeten. Cartoons die mich wie in einer Blase aufwachsen ließen. Eine Blase die mich von traurigen Geschichten fern, aber auch dadurch, dass ich nicht mit pessimistisch denkenden Menschen zusammenlebte, naiv hielt. Ich hatte keine Menschen um mich, welche immer davon sprachen, dass Sie ihre Träume nicht erfüllen könnten. Gerade dies, der Abstand in meiner Blase zu anderen war der Grund, warum ich mich anders fühlte. Ich hatte immer die Gedanken, dass alles möglich sei – denn im Gegensatz zu meiner reichen Fantasie stand meine Heimat, in der Sie uns nicht das Träumen beibrachten.

In den ersten Jahren, meines Lebens, habe ich eine strenge Erziehung erhalten schon fast, als militärische Ausbildung bezeichnen will ich diese. Der Begriff militärisch scheint vielleicht ein wenig übertrieben aber meine Eltern wollten immer, dass Ihre Kinder perfekt sind, die Besten sind, es sollten die Kinder sein, welche ein gutes Leben haben. Wegen dieser Erziehung kann ich meine Eltern auch keine Vorwürfe machen. El Salvador mein Heimatland kam aus einem bewaffneten Konflikt. Einem Konflikt, welchen ich nicht erlebte, meine Eltern aber schon. Sie kannten diesen Krieg, der viele Leben kostete, in dem Menschen verschwanden und nie wieder gesehen wurden. Menschen, die nur darauf warteten, dass wieder Bomben nahe ihrem Zuhause explodierten.

In der Zeit meiner Kindheit begann auf dem Land gerade wieder etwas wie Frieden oder eher ein bisschen Ruhe einzukehren. Auf den Straßen waren keine Schüsse mehr zu hören stattdessen die Frauen, die das frische und heiße Brot verkauften. Es waren Straßenverkäuferinnen welche so laut “DAS BROT!” schrien, dass man dies noch sehr weit hören konnte.

Viele Dinge, die ich damals erlebt habe, konnte ich als Kind natürlich nicht verstehen und wusste deshalb auch nicht, woher die ständige Angst meiner Eltern kam. Ich kannte weder diesen Krieg noch ihre erlebte Geschichte in diesem. Ich weiß nur dass sie es mit viel Mühe geschafft haben, in die Hauptstadt El Salvadors nach San Salvador zu ziehen, um für sich und auch für ihre zukünftigen Kinder eine bessere Zukunft zu finden. Die Erfahrungen des Krieges trieb sie dazu zuhause sehr streng mit uns zu sein und nach der Regel zu leben: “Wenn man alles gut macht und auch ein guter Bürger ist, gibt es sehr viele Möglichkeiten, um weit zu kommen.” Ein für mich sehr wichtiger Satz, welchen ich von meinen Eltern lernen konnte. In der unteren sozialen Klasse ist dieser Satz eine aufgestellte Regel, aber leider nie eine hundertprozentige Garantie für Erfolg. Während ihres Lebens trafen meine Eltern eine Vielzahl von Menschen. Menschen, die in Ihrem Leben blieben und es formten, viele von ihnen studierten und bekamen nicht den Job, von dem sie träumten, andere beschlossen schon in jungen Jahren zu arbeiten, weil sie dachten, dass dies ihnen ein besseres Leben ermöglichen würde, aber sie schafften es nie sich ein Haus zu kaufen oder sich ihre Träume zu erfüllen. Wieder andere beschlossen in die USA für ein besseres Leben auszuwandern, konnten aber nicht zusammen die Staatsgrenze überschreiten und wurden schon davor abgewiesen. Kurz gesagt: Meine Eltern kannten viele Geschichten ohne Happy End, von denen sie mich fernhielten, um mich unbefangen aufwachsen zu lassen.

Je mehr ich aufwuchs, wurde mir auch immer mehr bewusst, was um mich herum geschah. Ich war ein normales Kind mit brauner Haut, schwarzen schmalen, asiatisch anmutenden Augen und unbezwingbar wilden Haaren. Das heißt, ich war ein hundertprozentiges unverwechselbares Produkt El Salvadors. In meiner Kindheit war eine meiner ersten seltsamsten Erinnerungen für mich ein Weihnachtsfest. Der Esstisch war mit einer Vielzahl von Geschenken in den unterschiedlichsten Größen und in dem farbigsten Geschenkpapier bedeckt. Leider waren aber diese Geschenke nicht für mich oder meine Brüder gedacht. Ich beobachte, wie meine Eltern die Geschenke einpackten, manchmal wickelte ich diese Präsente mit meinen 7 oder 8 Jahren auch mit ein, immer in der Hoffnung dass auch auf mich viele Weihnachtsgeschenke warteten. Sicherlich würde ich etwas Großes bekommen, schließlich bin ich ja ihr Sohn oder auch, wie ich heute immer scherzhaft sage: “Ich war ja der, der sie damals erst zu Eltern gemacht hatte und niemand anders!”

Ich erinnere mich, dass ich in diesem Jahr eine blaue Trompete aus Plastik bekam, ob sie mir damals gefiel, oder nicht, weiß ich nicht mehr. Meine Brüder haben etwas Ähnliches erhalten, ich glaube, es war eine Gitarre und eine Trommel. Für mich war es immer wichtig, ein Geschenk zu erhalten, schließlich ist es, das, was Kinder von Weihnachten am meisten erwarten. In diesem Moment der Bescherung war ich immer glücklich, weil ich ein Geschenk bekommen habe, aber es war nun auch Zeit, die zuvor mit meinen Eltern zusammen gepackten Geschenke, an den Weihnachtstagen zu verteilen. Bei einigen Präsenten wusste ich, was sie enthielten, weil diese von mir selbst eingepackt wurden. Bestimmt waren diese Präsente für andere Familienmitgliedern wie Großmütter, Cousins und Tanten – an Geschenke für meine Onkels kann ich mich nicht erinnern, ich glaube, das lag daran, dass meine Familie hauptsächlich ein Matriarchat war. Viele der Ehemänner meiner Tanten sind gegangen, trennten sich von diesen und beschlossen ihr Leben mit einer neuen Frau fortzusetzen. Meine Tanten konzentrierten sich fortan darauf, ihre Kinder zu erziehen und sich um die Familie und deren Mitglieder zu kümmern, ohne wieder einen Mann oder Lebenspartner zu suchen. Die Patenkinder meiner Eltern will ich natürlich auch nicht vergessen, für sehr viele haben meine Eltern damals die Patenschaft übernommen. Ich erinnere mich noch daran, dass wir auf viele, für mich, langweilige Taufen waren (es ist nicht fair, dass wir da immer als Kinder mitgehen mussten). Meine Eltern hatten wirklich viele Patenkinder und natürlich sahen andere Eltern in ihnen gute Paten und sie waren dadurch auch in unserer Gesellschaft als gute Menschen angesehen. Meine Mutter und Vater sind sehr beliebt und gaben auch Geschenke an Menschen, die ich nicht kannte, einige im sehr fortgeschrittenen Alter und andere in sehr armen Ortschaften dort, wo die Häuser aus Ton oder Blech bestanden. Ich konnte schon damals gut rechnen sowie mit Zahlen umgehen und wusste als Kind: “Jedes Geschenk, welches sie anderen geben – das werden sie nicht mir geben!” So hoffte ich oft, dass sie bei Ihren Besuchen vergessen würden, das Geschenk zu übergeben. Egal, was dort eingewickelt in bunten Papier war, egal wie groß es war oder wie klein, meine einzige Frage war immer nur: “Warum so viele Geschenke für andere?”

 

Wie jedes Jahr habe ich die Erklärungen meiner Eltern in diesen jungen Jahren nicht verstanden. Ich denke, auch wenn meine Mutter oder mein Vater es mir ganz genau und einfach erklärt hätten, dann hätten ich wie auch meine Brüder es damals sowieso nicht akzeptiert. Sie haben mir oft gesagt, dass es immer Menschen gibt, die dies benötigten und dass man darüber nicht diskutieren muss. Ich habe damals so schon früh gelernt, zu sehen, dass es Menschen gibt, die so bedürftig sind, dass meine Familie denen gegenüber ein sehr gutes Leben führt und dass obwohl meine Eltern Lehrer an einer öffentlichen Schule waren und dort in Doppelschichten zu ziemlich unfairen Gehältern arbeiteten. Mit all diesen Voraussetzung haben mir meine Eltern gelehrt das Glas immer halb voll, anstatt halb leer zu sehen.

Besonders zu Weihnachten schwebten mir immer dieselben Fragen in meinem Kopf herum: “Warum gibt es so viele arme Menschen?” “Wie überleben sie?” Dann kamen in mir Schicksalsfragen auf: “Es wird schon so sein, haben wir etwas richtig gemacht, was die anderen in Ihrem Leben falsch gemacht haben? Warum wurde ich dort geboren, wo ich geboren wurde? Was ist Fairness?” Es waren immer diese Art von Fragen, welche wir uns alle irgendwann in unserem Leben stellen. Ich konnte sehen, dass meine Eltern anscheinend gute und freundliche Menschen in einem situativen schwierigen Umfeld waren und dass es auch normal war, mit so wenig zu leben. Ich denke, sie hatten einfach gelernt, die Situation, in der sie sich befanden zu akzeptieren. Dies war nun ihre Welt, in der sie sich gefunden haben.

Meine Mutter, eine kleine Frau mit lockigem Haar im Stil der achtziger Jahre, hat die Angewohnheit, gerne Überraschungsbesuche in Ihrem Umfeld zu veranstalten. Oft rufte sie Leute an nur, um zu hören, ob diese gerade zu Hause waren, um dann blitzartig einen Moment später vor deren Tür zu erscheinen. Sehr wichtig war natürlich bei diesen plötzlichen Besuchen immer ein Geschenk mitzubringen, welches normalerweise aus Obst oder süßem Brot bestanden, wie sie es schon damals von Ihrer Mutter gelernt hatte. Wichtig ist ihr: “Wenn Sie jemanden besuchen und in deren Haus kommen, tauchen sie niemals mit leeren Händen auf!” Gleichzeitig war es ihr aber auch unangenehm, wenn Besuch zu uns kam und wir ein Geschenk von unseren Gästen erhielten. Meiner Mutter gefiel immer das Geben mehr als das Nehmen, sie sagte oft einen Satz, den sie bis heute nicht müde ist zu wiederholen: “Es ist immer besser zu geben als zu empfangen!” Lustig daran war aber immer dadurch, dass meine Mutter überall mit einem Geschenk erschienen ist, dass sich nun auch unsere Gäste genötigt sahen, uns bei ihren Besuchen ein Geschenk mitzubringen. KARMA EXISTIERT HALT EINFACH!

Das andere Leben

Ich weiß nicht viel über die Kindheit meiner Eltern und auch aus deren Zeit, bevor ich und meine Geschwister auf die Welt kamen. Keine Erinnerungen habe ich mehr daran, dass sie ihre persönlichsten Erfahrungen wie sie früher lebten, mit uns je geteilt haben. Ich denke, sie hatten ein sehr hartes Leben und dass die Fragen danach bei Ihnen unangenehme Erinnerungen bis heute wecken würden. Mir ist aber bekannt das beide auf dem Land fern der Städte aufwuchsen. In Kindestagen erkannte meine Mutter schon, dass Wissen der einzige Weg ist, um weiterzukommen, und beschloss schon sehr früh, dass sie einmal studieren wolle. Sie tat alles, um zur Schule gehen zu können, obwohl sie von ihrem Elternhaus nie dazu motiviert wurde. Die Eltern meiner Mutter wollten nie, dass sie mal einen Beruf lernen würde, sondern haben Ihr immer das Leben in einer Zukunft als Hausfrau nahegelegt. Meine Mutter schrieb sich damals allein in der Schule ein und füllte auch selbst jedes Dokument aus, dass sie für Ihre Bildung benötigte. Niemand konnte ihr in dem Moment helfen – sie wuchs bei Ihrer Großmutter auf, die nie lesen oder schreiben gelernt hatte, damals sehr normal auf dem Land. Um zur nächsten Schule zu gelangen, ging sie kilometerweit in Sandalen auf unbefestigten Straßen, über Felder auf denen Mais angebaut wurde, durch Bauernhöfe, auf denen sie Kühe, Hühner, Schweine, Truthähne sah und trug immer ihre Schulbücher in einer einfachen Plastiktüte bei sich. Dies tat sie Tag für Tag und verpasste dabei nie eine Unterrichtsstunde.

Mein Vater war dem gegenüber ein großer schlanker Mann (... schlank bis zur Hochzeit) und hatte einen Schnurrbart ähnlich wie Freddie Mercury oder auch im Stil von Pedro Infante. Von meiner Großmutter erfuhr ich, dass sie ihren Sohn immer zur Schule schickte aber er sichtlich mehr Spaß mit der Arbeit auf den Feldern hatte. Die Baumwolle zu schneiden oder den Traktor zu fahren. In der Aussaat- und Ernte-Saison mit der Mühle, welche sie damals im Haus hatten Mais, jegliches Getreide oder Fleisch zu mahlen, immer das was gerade benötigt wurde. Als der Mann im Haus und ältester Sohn fielen meinem Vater damals schon in jungen Jahren eine Vielzahl an Aufgaben zu, aber auch er gab nicht auf und setzte sein Studium stetig fort, bis er Lehrer wie auch meine Mutter wurde.

Meine Eltern waren beide immer sehr beschäftigt: Sie haben drei Kinder, ein Haus, für das der Kredit abbezahlt werden musste und einiges mehr damit anderen zu helfen. Wenn man damals auf dem Land aufwuchs und in der Stadt zur Arbeit ging, gab es die Regel den kleineren Geschwistern zu helfen, mit ihnen zu lernen und dabei natürlich niemals zu vergessen, dass auch die Eltern oder Großeltern noch Hilfe benötigten. Manchmal kamen auch noch Sonderfälle dazu, weil es gerade jemand in der Familie schwer hatte und Beistand benötigte.

Ich hatte nie die Dinge die andere hatten doch fühlte ich mich dabei nie schlecht, auch weil ich mich an keiner Situation erinnere, in der wir mal kein Essen auf den Tisch oder Ängste hatten, wo wir leben sollten. Meine Mutter war sich immer darüber klar und sagte schon damals zu meinem Vater: “Zuerst muss ein Haus da sein, erst wenn das steht, werden wir eine Familie gründen und Kinder kriegen.” Es war Ihr auch immer wichtig, einen eigenen Job zu haben, nie wollte sie sich von einem Mann abhängig machen. Sie wollte alles perfekt vorbereitet haben, bevor sie sich entschloss, dass sie Kinder in die Welt setzen würde. Sie baute sich ihr Leben so lange auf, bis dass der Zug schon fast abgefahren war (wie man gerne sagt), bevor Sie endlich mit mir schwanger wurde.

Ich wurde auf dem Land geboren nach meiner Rechnung muss meine Mutter fast 30 Jahre alt gewesen sein, als ich auf die Welt kam. In El Salvador wurde man in dieser Zeit in ländlichen Regionen normalerweise mit 14 oder 15 Jahren sofort, nachdem man verlobt war schwanger und hatte sein erstes Kind. Ohne dass sie es damals wusste, würde ich meine Mutter schon damals unwissentlich als unabhängige Feministin bezeichnen, welche ihre eigenen Regeln aufstellte. Es könnte sein, dass sie in vielen Angelegenheiten Ihrer Zeit schon weit voraus war. Den Krieg, welchen sie damals überlebte, hat sie mit all den Erfahrungen zu einer starken Frau werden lassen.

Hallo Schule

Mit 11 Jahren versuchte ich “meine Kindheit in der Schule” zu vergessen, durch meine Statur war ich einer der kleinsten und durch mein Alter einer der jüngsten. Wir wurden damals von meinen Eltern in die beste Schule eingeschrieben, die sie mit einer täglichen Doppelschicht bezahlen konnten. Meine Eltern, zu dieser Zeit beide Lehrer an einer öffentlichen Schule mit Klassen von 40 und mehr Schülern, waren durch den Lehrermangel sehr gefragt. Diese Notwendigkeit der Arbeitskraft meiner Eltern sorgte dafür, dass ich ein Jahr früher als vorgesehen eingeschult wurde. Durch die damals häufige Abwesenheit meiner Mutter und meines Vaters hatten wir tagsüber auch immer eine Art Tagesmutter, welche sich um uns kümmerte und im Haushalt mit hilf. Vielleicht hatte ich durch, dass fehlen der gemeinsamen Zeit nie das Vertrauen, meine Eltern alle Dinge zu erzählen welche vorfielen. Ich erinnere mich, dass ich damals in der Schule in der Lage war in einer endlosen Schlange anzustehen, auf Süßigkeiten wartend, mit niemanden in dieser Zeit Kontakt zu haben. Ich war damals klein wie auch dünn und dachte immer ich sei schwach. Als ein großer Fan von Tierdokumentationen betrachtete ich die Schule wie das Tierreich selbst, ein Reich, in dem die Beute immer der schwächste ist und in dem ich mich selbst als eine ziemlich leichte Beute sah. Eine Beute, welche aufgescheucht wurde, immer dann, wenn es die anderen wollten oder wie wir es auch heute sagen: Ich war einer derjenigen, die unter Mobbing litten.

Das Einzige, was ich immer wollte, war unsichtbar zu sein. Ich versuchte mit niemanden zu sprechen, weil ich das Gefühl hatte, das mich niemand verstand und ich sie auch nicht verstehen würde. Ich versuchte nie etwas zu kommentieren, denn dass was ich dachte, war vielleicht falsch für sie, da ich die Welt eventuell anders sah. Oft versuchte ich vergeblichst unbemerkt zu bleiben, weil ich nicht zu meinen Klassenkameraden passen zu schien. Hätte ich mir damals eine Superheldenkraft wünschen können dann wäre es Unsichtbarkeit gewesen. Ich wollte einfach nicht sichtbar sein, was natürlich nie passierte.

Es gab immer wieder dieselbe Gruppe von vier bis fünf Jungen aus den höheren Jahrgangsstufen mit den kleinen dicklichen der immer schlecht gelaunt war und leider auch der Anführer der Gruppe. Diese Gruppe bestand aus den beliebtesten Schülern der Schule und sie waren auch die, die es immer auf mich abgesehen hatten. In den Korridoren bemalten sie mein weißes Schuluniformhemd mit ihren Stiften oder klebten Kaugummi auf es. Sie gaben mir einen Schlag oder sagten mir, dass ich sehr hässlich sei. Ich verstand bei alledem nicht warum gerade meine Eltern dann zuhause immer sagten ich sei wie alle anderen und auch gleichwertig.

Wenn es zur Pause oder zum Ende des Schultages klingelte, musste ich rennen damit die Größeren mich nicht ärgerten oder Witze machten. Vielleicht taten die es nur, weil sie immer sicher waren, dass ich nichts sagen würde und sie dadurch auch nichts befürchten mussten. Ich hatte damals für mich gelernt, die Klappe zu halten und einfach weiterzumachen. Der Mensch ist wie ein Tier, welches sich wie durch die Evolution bewiesen an alle Lebenslagen anpassen kann, und ich passte mich dieser Situation an. In mir drinnen wollte ich es aber nicht akzeptieren ich wollte eine andere Person sein oder an einen anderen Ort. Ich gehörte nicht hierhin, nie hatte ich jemanden verletzt, warum passierte also mir sowas? Fragte ich mich oft. So wuchs ich auf und hoffte jeden Schultag auf ein Neues das die Mitschüler, welche mich ausnutzten, im neuen Schuljahr nicht mehr auftauchen würden und vielleicht die Schule gewechselt hätten. Bei Gruppenarbeiten hoffte ich immer darauf, dass der Lehrer uns einteilte und wir uns nicht selbst Gruppenpartner suchen mussten, dadurch wäre mir die Schmach der laufenden Abweisungen erspart geblieben, weil mit mir niemand in einer Arbeitsgruppe sein wollte. Ich lernte hart, um mich durch gute Noten in den Vordergrund zu stellen, und lies meine Mitschüler abschreiben in der Hoffnung dadurch deren Respekt zu erhalten.

Viele Male versuchte ich mich einer Gruppe anzuschließen und Teil einer Clique zu sein. Die mit denen ich es versucht hatte, waren die unterschiedlichsten Personen, die die viel lernten, die die nicht gern studierten, die mit den Superheldenkarten wie Pokémon oder Dragon Ball Z, die die Sport machten, die die Gitarre spielten und sangen, oder jene welche gerne aßen und die das Klassenzimmer in den Pausen nie verließen. Jedoch hatte ich nie bei alle diesen Gruppen das Gefühl dazu zu gehören oder ein Teil von ihnen zu sein. Ich war nur in diesen obligatorisch freundschaftlichen Verbünden, hatte dort keinen besten Freund und glaubte auch nicht, dass ich diesen brauchte, denn das wichtigste, um diese Ära zu beenden, war diese Phase in der Schule zu überleben und darauf zu warten, dass das Leben eine mir helfende Wendung nehmen würde. Ich fragte mich, ob das auch in anderen Ländern so passiert wie bei mir hier und ob die Antwort auf meine Frage ein klares NEIN wäre! Weil ich in diesem Land geboren bin und nicht in einem anderen, wo es gerecht zu geht. Andererseits hatte ich als Person mit einem starken Vorstellungsvermögen immer die Hoffnung, dass sich etwas ändern könnte. Genauso wie in den Serien, die ich nachmittags sah, würde sich auch mein Leben irgendwann verbessern. Ich träumte davon, doch jeden morgen nach dem Wachwerden musste ich erkennen, dass alles nur ein Traum war. Das Leben änderte sich nicht, die Gerechtigkeit kam nicht und der Wunsch wurde mir nicht erfüllt.

 

In der Nachbarschaft von meinem Haus lief es auch nicht besser, ich war sicher nicht schlecht im Sport, verglich mich nicht mit anderen und sagte mir auch immer, dass ich nicht der schlechteste bin. Ich wollte von den Kindern in ihr Haus eingeladen werden, um Nintendo zu spielen oder einen Film anzusehen, aber das passierte selten. Ich erinnere mich, dass die Kinder der Nachbarschaft meinen Brüdern und mir einmal sagten, dass wir nicht mit ihren Spielsachen spielen könnten, weil wir diese ruinieren würden und auch nicht wissen, wie man die benutzt, aber ihren anderen Freunden gleichzeitig dies erlaubten. In dem Moment setzten wir uns dann allein hin und schauten ihnen beim Spielen zu. An diesem Tag fragte ich mich, ob es bessere und schlechtere Menschen gab. Irgendwie hatte ich mich schon daran gewöhnt, von Gruppen nicht aufgenommen zu werden, und die ständige Ablehnung akzeptiert. Alleinsein war etwas, was ich lernte und ich war mir sicher, dass sich das Leben irgendwie und irgendwann zu einem Besseren ändern könnte. Zu dieser Zeit wusste ich nicht wie aber das Leben, sollte einen immer zum Lächeln bringen.

Ich hatte Fußball gespielt, weil das Jungen in meinem Alter tun müssen. Ich habe es nicht geliebt kannte aber auch keine anderen Sportarten. Eines gab es aber was ich den größten Teil meiner Freizeit gemacht habe – ich liebte es heimlich, im Wohnzimmer zu tanzen und zeichnen, in dem ich sehr gut war, man sagte mir am liebsten habe ich damals Elefanten gemalt. Gedichte oder Lieder schrieb ich über meine Träume und sang sie heimlich, wenn niemand zu Hause war, doch öffentlich spielte ich die meiste Zeit Fußball, weil es für Jungs normal war. Auch spielte ich Fußball, weil ich mich auf dem Platz gut gefühlt habe, weil es eine andere Realität war, dort konnte ich um einen Platz kämpfen und sah das Spiel durch den persönlichen Einsatz als Fair an. Es war im Spiel nicht notwendig, mit jemanden zu sprechen. Wichtig war allein nur, was konntest du tun, was die anderen nicht können? Wie schnell waren Sie? Wie stark? Wie bewegten sie sich, um den Ball ins Tor zu bringen? Dies sah ich als gerecht an. Obwohl ich viel Zeit auf dem Platz verbracht habe, hatte ich keine festen Freunde, ich habe immer versucht nett zu sein und manchmal auch mein Geld verschenkt. Vielleicht versuchte ich, mir damals Freundschaft und Akzeptanz zu kaufen, aber in Wahrheit war ich mir noch nicht über den Wert des Geldes klar. Ich träumte nicht davon Reich zu sein. Geld war zu Hause nie Gegenstand von Gesprächen und vielleicht war ich mir deshalb den Wert des Geldes nicht bewusst da ich es auch nicht selbst verdient hatte.

Die Familie, ist die Familie

Wenn ich meine Verwandten besuchte, fühlte ich mich immer besonders. Ich fühlte, dass ich bei Ihnen eine völlig andere Person war. Meine Cousins waren mir ebenbürtig. Sie erzählten mir ihre Geheimnisse, wir spielten und sie gaben mir das Gefühl, eine besondere Person zu sein. Sie hielten mich nie für verrückt oder haben es nie in meiner Gegenwart verlauten lassen, wenn ich immer sagte, dass ich einmal reisen möchte, um andere Orte in dieser Welt zu sehen. Wir taten damals immer so, als ob wir Entdecker waren, wir fliegen könnten und haben unsere großen Träume erspielt. Meine Tanten, noch bevor wir das Haus betraten, begannen sie schon zu sagen: “Wieviel bist du denn gewachsen!” “Wie schön du bist!” “Pass auf dich auf, nicht dass du noch, so hübsch wie du bist, gestohlen wirst!” (Ich denke, dass sie dies allen Ihren Neffen gesagt hatten). Unsere Tanten behandelten uns wie das Beste, was sie hatten, sie gaben uns Süßigkeiten und einige immer wenn es unsere Eltern nicht sahen heimlich Geld. Ich wartete schon buchstäblich auf diesen Moment, als gesagt wurde: “Carlos kommst du bitte mal kurz für einen Moment mit ins Zimmer, um mir zu helfen.” Ich wusste dann immer, dass dies der Moment war, in dem ich etwas geschenkt bekommen werde. Sie gaben mir Zuversicht und das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, womit sie mich immer mental auf die Schule vorbereiteten, um die Kommentare meiner Mitschüler ignorieren zu können. Kurz gesagt: Meine Tanten ließen mich glauben, dass die Welt ein wunderbarer Ort ist und dass mir in der Zukunft großartige Dinge passieren könnten.

In dieser Phase meines Schullebens lernte ich, angesichts all dieser negativen Dinge, in einer Art Trance zu geraten, manchmal mit offenen Augen und manchmal mit geschlossenen (Ich denke, dass jeder Meditationsguru vor Neid erblasst wäre, wie schnell ich damals meinen Kopf ausschalten konnte). Ich stellte mir vor, dass ich flog, dass ich in einem Cartoon war oder auch Rockstar, jemand der berühmt dafür ist, dass er in der Öffentlichkeit Reden hielt und einfach alles möglich wäre. Ich denke so, habe ich gelernt, zu überleben, und sah auch immer eine schönere Welt, weil ich “meine eigene Welt” mir geschaffen hatte.

Ich erinnere mich sehr gut daran, meine Mutter gefragt zu haben, ob ich Ingenieur werden kann. Sie sagte: “Wenn du dich darauf vorbereitest, ja.” “Kann ich denn einmal ein Flugzeug fliegen?” “Wenn du studierst, ja.” “Kann ich denn Arzt werden.” “Ja, Carlos dass kannst du.” Meine Mutter ließ mir nie einen meiner vielen Träume platzen, weder versuchte sie die Träume zu ändern noch scherzte sie darüber, sie ließ sie mir immer in der Hoffnung, dass ich alles erreichen konnte. Manchmal aber versuchte sie, mich in meiner Berufswahl zu beeinflussen, was leider nie funktionierte da ich von meinen Plänen immer sehr überzeugt war. Mein Vater ließ mich auch träumen. Ich habe keine Erinnerungen an einen liebenden aber an einen verantwortungsbewussten Vater. Bei meinem Vater stellte ich mir immer die Frage, warum er nicht liebevoller war, bei der meine Mutter antwortete: “Es war der Krieg, mein Sohn, es war der Krieg und die vielen Dinge, die er da durchleben musste.”

Nach dieser Vielzahl an Erfahrungen, welche ich sammeln durfte, kam ich an die High School. Ich begann nun zu verstehen und lernte in den letzten Jahren meiner Schulzeit, was ich sagen und tun muss, um mich zu integrieren. Ich schoss auch in die Höhe. Die Pubertät kam ziemlich spät aber entschädigte mich durch den Wachstumsschub. Ich war gleich und auch größer als meine Mitschüler, das war es, was meine Sichtweise auch auf andere veränderte. Ich war unabhängiger und konnte allein mit dem Bus reisen. Ich bekam gute Noten in allen Fächern weswegen mich mein Mitschüler oft baten, bei mir abschreiben zu dürfen, und hatte auch endlich Freunde gefunden, mit denen ich mich zusammensetzen konnte, um in den Pausen zu essen oder Hausaufgaben zu machen, und auch gegen die die sich über mich lustig machten, setzte sich jetzt eine Lehrerin für mich ein die wir durch ihre Frisur nur “die Lockige” nannten. Diese Lehrerin sagte mir immer wieder, dass ich genauso viel Wert sei wie die anderen und suchte auch das Gespräch mit meinen Mitschülern, welche sich immer über mich lustig machten, sodass diese mich fortan in Ruhe ließen.

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