Offene Geheimnisse der Redekunst

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Offene Geheimnisse der Redekunst
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Offene Geheimnisse der Redekunst

von Carl Hilty

Herausgegeben und kommentiert

von Martin Wandelt

Copyright © 2013 by Martin Wandelt

Published by epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-6837-9

Dieses Werk ist auch als Taschenbuch erhältlich. Informationen hierzu und weitere Werke von Carl Hilty finden Sie unter

martins-bücher.de

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Innere Überzeugung

Natürlichkeit

Unarten

Befangenheit

Vorbereitung

Dauer und Zeitpunkt

Gliederung

Arten der Rede

Geistliche Rede

Wissenschaftliche Rede

Gerichtsrede

Tischrede

Parlamentarische Rede

Volksrede

Erziehung

Zusammenfassung

Nachwort des Herausgebers

Weitere Bücher von Carl Hilty

Leseprobe: Die Kunst des Arbeitens

Fußnoten

Vorwort

Wer heute ein Porträt von Carl Hilty sieht, denkt erst einmal an vergangene Zeiten. So ein Bart geht heute gar nicht. Wagt man sich dann an das, was er geschrieben hat, findet man an der Oberfläche eine Sprache, die ein wenig dem Bart ähnelt – weil sie eben die Sprache des 19. Jahrhunderts ist. Tja, Äußerlichkeiten haben ihre Wirkung.

Doch ganz ehrlich: Sollen wir uns den Blick durch einen Bart verstellen lassen? Ich schreibe dieses Vorwort als Guckloch: um Ihnen einen Blick darauf zu bieten, was hinter der angestaubt wirkenden Oberfläche steckt. Denn Carl Hilty ging es um nicht weniger als um ein gutes Leben – ein Thema, dem sich in unseren andersbärtigen Zeiten unzählige Ratgeber widmen. Glück, effektives Arbeiten, ethisches Handeln: Hier fragt Hilty genau nach. Vor allem aber macht er Vorschläge, die auch in seiner Sprache sehr praktisch und konkret funktionieren. Ja, vielleicht gerade für uns Menschen des 21. Jahrhunderts.

Hilty war trotz seiner öffentlichen Sichtbarkeit als Politiker und Chef der Schweizer Militärjustiz ein leiser Mensch – ein nachdenklicher Introvertierter, der mit den Stärken seiner Persönlichkeit einforderte, dass vor dem Wort eine gut durchdachte Idee und vor der Wirkung die Substanz zu stehen hat.

Die »Offenen Geheimnisse der Redekunst« sind ein gutes Beispiel für diese »Erst-innen-dann-außen-Haltung«, die in unseren lauten Zeiten gerade wieder neue Aufmerksamkeit bekommt. In dem Buch, das Sie gerade in den Händen halten, zeigt Hilty die Verbindung zwischen Mensch und Wort. Er spricht darüber, wie dämlich unwirksam ein unauthentischer Redner bleibt und wie dumm lautes Wortgeklingel ist – all dies natürlich in diskreterer Formulierung.

Hier sind einige wichtige Inhalte in Kurzform und weniger höflichem Klartext. Hilty sagt im Prinzip Folgendes:

Zum Redner und zur Rednerin: Nimm Dich nicht zu wichtig und sei kein Heißluftgebläse. Sei natürlich und bleibe Dir treu – alles andere nimmt Dir ohnehin niemand ab. Sage nur das, worin Du Dich auskennst und wovon Du selbst überzeugt bist. Habe eine Haltung zu dem, was Du sagst. Arbeite an Dir – jeder Redner kann besser werden!

Zum Inhalt: Achte auf das Kleine, aber verliere Dich nicht darin. Es geht weder um Vollständigkeit noch um Perfektion. Achte aber auf eine klare Struktur und auf verständliche Worte. Sage nur Richtiges. Und ja, interessant sein darf das Richtige auch.

Zum Publikum: Sei Deinem Publikum nützlich. Es geht nicht um Dich. Also denke darüber nach, wie Du die Menschen vor Dir erreichst – und nicht, wie Du am besten wirkst. Mach Dir also Gedanken über die Menschen, die Dir zuhören werden. Und dann passe Deinen Inhalt und Deine Worte entsprechend an. Sonst bist Du ein Zeitverschwender.

Ehrlich gesagt: Das ist so ungefähr das Wichtigste, was Sie über das öffentliche Reden wissen können. Mehr und Besseres finden Sie in keinem Rhetorikratgeber. Und jetzt klettern Sie über den Bart und lesen Sie das Original!

Dr. Sylvia C. Löhken

www.leise-menschen.com

Einleitung

Unter der Redekunst verstehen wir die Fähigkeit, unsere Gesinnungsweise oder unsere Ansicht über einen bestimmten Gegenstand durch geeignete Worte auch in Anderen zu erwecken, gleichsam den Strom unserer Gedanken und Empfindungen in sie hinüberzuleiten. Es ergibt sich daraus, dass sie, neben der Feder, das wirksamste Mittel ist, durch das wir unseren Ideen Ausdruck und Verbreitung geben, mit unserer Persönlichkeit auf die Welt einwirken können. Namentlich ist sie in politisch lebendigen Gemeinwesen allezeit von großer praktischer Bedeutung, aber auch hier in ihren Hilfsmitteln und Hindernissen lange nicht so bekannt, als es sein sollte.

Es ist zwar von Seiten in der politischen Geschäftsführung bewanderter Personen mitunter die Parole ausgegeben worden: »Taten, keine Reden!« Genau besehen ist das aber doch nur ein Schlagwort, indem politische Taten selten, am wenigsten bei der heutigen Regierungsweise, ohne vorherige Reden zu geschehen pflegen. Ja noch mehr, es liegt darin ein Widerspruch, denn dieses Wort musste zuerst ausgesprochen werden, damit diese Tat daraus folgen könne; es ist selbst nichts anderes als eine kleine, auf Wirkung wohlberechnete Rede. Demgemäß ist auch nicht wahr, was Faust behauptet1; im Anfang ist niemals die Tat, sondern der individuellen und Völkerentwicklung entspricht es, dass zuerst das halbbewusste Gefühl, sodann der Gedanke besteht, hieraus das erklärende und befreiende Wort folgen muss und aus diesem erst die kräftige Tat entspringt.

Geheimnisse nennen wir die hier folgenden, vorwiegend auf eigener Erfahrung beruhenden Erörterungen deshalb, weil es doch sehr viele tüchtige Menschen gibt, denen das richtige Verständnis für den mündlichen öffentlichen Vortrag entweder wirklich abgeht oder die wenigstens glauben, sie seien nicht imstande, in einer größeren Versammlung Gedanken zu äußern, die ihnen ganz klar sind, wobei sie dann unter dem Drucke dieses vermeintlichen Mangels empfindlich leiden. Offene Geheimnisse aber sind es, weil es lauter einfache Regeln sind, die der gesunde Menschenverstand, ja bei vielen Menschen schon das unbewusste natürliche Taktgefühl mit sich bringt und von denen auch alsbald jedermann überzeugt wird, sobald sie nur einmal von jemand ausgesprochen werden.2

Wir glauben demnach, dass der gute öffentliche Vortrag eine Kunst ist, die gelernt werden kann, nicht bloß eine angeborene Naturgabe, und dass, wenn auch die Naturanlage wie bei jeder Geschicklichkeit erleichternd oder erschwerend mitwirkt, es doch jedem nicht geradezu unbegabten Menschen möglich ist, wenn nicht ein besonders guter, so doch ein sehr brauchbarer Redner zu werden, wenn er nur die dazu absolut erforderlichen Voraussetzungen sich einmal klar macht und einige leicht zu vermeidende Unarten ablegen will.

Innere Überzeugung

Bei weitem die Hauptsache bei jeder Art von Rede ist die innere Überzeugung, die volle innere Einheit des Redners mit dem Worte, das er spricht.3 Wo der Vortragende etwas sagt, das er selbst nicht glaubt, oder von etwas redet, das er nicht recht weiß, sondern sich nur etwa zum Zwecke dieses Vortrags augenblicklich und künstlich angeeignet hat, da fehlt ihm die eigene innere Angeregtheit und gleichzeitige geistige Sicherheit und Freiheit, die zusammen wesentlich den Redner ausmachen. Innere Wahrheit, Überzeugung des Redners, eigene Ergriffenheit desselben ist das, was bei jeder Art von Reden den Eindruck hervorbringt und wofür selbst die ungelehrtesten der Zuhörer ein untrügliches Gefühl besitzen.4

Daher ist die erste Regel für Redner die: Man soll nur das sagen, was man glaubt oder weiß, was man mithin ohne alle eigene innere Unsicherheit, die stets bemerkt wird, aussprechen kann.5

Nicht ungewöhnlich wird sich mit einer solchen vollständigen Überzeugung auch das Bedürfnis verbinden, dieselbe auszusprechen. Der Mensch ist ein von Natur geselliges Geschöpf, auf Verkehr mit seinesgleichen und Austausch, nicht Verschluss seiner Gedanken und Gefühle angewiesen. – Was ihn innerlich recht bewegt, das muss er aussprechen, und dieses Müssen ist es, was ihm am allerehesten über die bei allen gutgearteten Menschen vorhandene natürliche Schüchternheit hinweghilft.6

 

Wer also nicht nötig hat, öffentlich zu reden, durch Amt und Beruf, und auch keinen inneren Drang dazu spürt, welcher auf der redlichen Überzeugung beruht, dass er etwas zu sagen habe, das einen gewissen Wert für die Umgebung besitzt, der hüte sich im ganzen vor öffentlichem Reden. Es würde ihn weit eher innerlich verderben als vorwärtsbringen.7

Wer aber diesen inneren Beruf hat, dem sehr häufig der äußere folgen wird, der hat die Hauptsache dessen, was zum Redner gehört, er bedarf bloß noch einiger Überlegung zunächst und sodann der Übung, um sich vollständig auszubilden. Mit solchen »prädestinierten« Rednern sprechen wir weiter.

Natürlichkeit

Der Ausgangspunkt ist der: Bleibe natürlich, aber verbessere deine Natur da, wo sie es bedarf. Wolle also nicht im geringsten durch die Rede irgendetwas scheinen, was du nicht bist. Rede individuell, niemals mit Nachahmung irgendeines Anderen, sondern stets im vollsten Ausdruck der eigenen Persönlichkeit.8

Auch alles sonstige Gesuchte soll vermieden werden, beispielsweise eine übermäßige Bescheidenheit (die überhaupt im Leben gewöhnlich das innere Gegenteil verrät) etwa in Ausdrücken wie: »das Unbedeutende, was ich vorzutragen habe«, oder in der Versicherung »tiefgefühlten Dankes« am Schlusse »für die Geduld und Nachsicht, mit der man angehört worden sei«, und dergleichen öfter vorkommende, unwahre Redensarten, die auch niemand wirklich für Ernst ansieht.9

Eine besondere Marotte einiger Redner ist es, um jeden Preis unvorbereitet scheinen zu wollen, wo sie es nicht sind. Es ist keine Schande, vorbereitet zu sein, wenn auch, wie wir noch sehen werden, nicht immer zweckmäßig. Weshalb also den Zuhörer darüber täuschen wollen?10

Manche Personen haben die üble Gewohnheit, vorzugsweise witzige Reden halten zu wollen, während sie doch von Natur nicht witzig sind. Der Witz ist gänzlich eine freie Gottesgabe. Wer sie nicht hat, soll sie nicht suchen und namentlich nicht etwa in bloßen Wortpointen suchen, in der Weise, wie sie besonders in der Umgegend der deutschen Reichshauptstadt gedeihen. Witze sind, wie das Sprichwort sagt, Blitze, man könnte auch mit Laboulaye sagen »einzelne Sonnenstrahlen«, rasch und leicht im Augenblick aufleuchtende Gedanken. Wer dagegen, wie jener Professor, an den Rand des Kollegienheftes schreiben muss: »Hier pflege ich gewöhnlich einen Witz zu machen«, der sollte es lieber bleiben lassen.

Ganz in die nämliche Kategorie wie der Witz gehört die Anekdote, namentlich die selbsterlebte. Sie hat, wenn sie zutreffend ist, einen Wert als Beweismittel für das Gesagte, das dem Zuhörer die Sache deutlicher macht; besteht aber eine Rede aus lauter solchen Geschichtchen, so hinterlässt sie leicht einen zu wenig ernsten Eindruck.

Ebenso wenig passt in den mündlichen Vortrag ein übermäßiger gelehrter Apparat. Nichts ist langweiliger anzuhören als eine Reihe abgelesener Büchertitel oder das Zitieren einer Menge würdiger Autoren, deren Verdienste den meisten der Zuhörer wahrscheinlich unbekannt sind.

Ein einem besonderen Stande angehörender Fehler gegen die Natürlichkeit ist der sogenannte Kanzelton. Es ist dies jener eigentümliche Tonfall, wie er nur bei geistlichen Rednern vorzukommen pflegt. Der nämliche Pfarrer redet ganz anders schon in der Kinderlehre, vollends gar bei einem Toast oder in einer Bürgerversammlung. Bedarf der geistliche Gegenstand der Rede wirklich eines andern Tons als der geistige? Oder liegt darin nicht vielmehr die Aufforderung an den Zuhörer, den Pfarrer auf der Kanzel von dem Menschen im Leben zu unterscheiden und anzunehmen, er würde vielleicht ganz anders reden, sobald er seinen »natürlichen« Ton annehmen dürfte oder müsste?11

Die Herren Geistlichen stehen übrigens in diesem ihnen öfters begegnenden Verstoß gegen die Natürlichkeit keineswegs allein.12 Er findet sich auch häufig in Grabreden, die von Weltleuten gehalten werden, wobei sie gröblich gegen die Wahrheit und innere Überzeugung reden. Ein solches bloß formales Totenopfer kann nie eine wirksame Rede sein.

Ebenso kommt dergleichen vor bei juristischen Kriminalverteidigungen, besonders vor den Geschworenengerichten, wo Anfänger in der Verteidigungskunst oft eine Rührung über die Schicksalsschläge ihres Klienten und eine tiefe Bekümmernis um das Los seiner Angehörigen an den Tag legen, die ihnen sonst im Leben nicht eigen ist.13

Die rechte Natürlichkeit in der Sprache hält stets die richtige Mitte zwischen dem Trivialen und dem gesucht Pathetischen. Denn einerseits erfordert es der Respekt, den der Redner vor dem Zuhörer haben muss, dass er ihn nicht mit bloßen Gemeinplätzen oder in einer trivialen Ausdrucksweise anrede, die immer ein Urteil über den Zuhörer enthält. Eine Rede wird umso besser sein, je höher der Redner von seinen Zuhörern denkt, und man darf in dieser Hinsicht im Allgemeinen wohl sagen, er sollte sich eigentlich stets in den Gedanken hineinversetzen, zu der ganzen gebildeten Menschheit zu reden, und immer das Beste geben, was er überhaupt hat.14

Dagegen ist andererseits heutzutage der vorzugsweise Geschmack am Pathos der Rede, der zu Anfang des Jahrhunderts und bei uns bis in die Dreißigerjahre hinein vorherrschte, fast gänzlich abhandengekommen. Die Redner der Französischen Revolution, Bergniaud, Gensonné, Mirabeau, würden auf uns den Eindruck nicht mehr machen, den sie auf ihre Zeitgenossen hervorbrachten. Wir sind um ein Jahrhundert älter geworden und jetzt eher geneigt, das Urteil eines späteren Franzosen zu unterschreiben, welcher von ihnen sagt: »leur éloquence ètait théâtrale comme leur liberté.« [Ihre Beredsamkeit war so theatralisch wie ihre Freiheit.]15

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