Seewölfe Paket 30

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4.

Die Holzscheite im Kaminfeuer prasselten und krachten unter den Flammen.

Don Marcello hob sein Glas, so daß er den Wein vor dem Hintergrund des Feuers betrachten konnte.

„Ein achtundachtziger Frascati“, sagte er schwärmerisch. „Mein Gott, die Römer haben schon immer gewußt, was gut ist. Hast du jemals einen köstlicheren Tropfen genossen, Emiliano?“

Emiliano Cóstola, der Mann mit dem Rabengesicht, zog gequält die Mundwinkel nach unten. „Machen Sie sich nicht über mich lustig, Don Marcello. Sie wissen, ich bevorzuge Rotwein.“

„Aber den Weißwein der Römer trinkst du doch nicht nur mit mir, um mir einen Gefallen zu tun, sondern weil er dir schmeckt! Wenn du den Frascati so verabscheuen würdest, rührtest du ihn nicht an. Habe ich recht?“

Cóstola sah den dunkelblonden Mann mit dem kantigen Gesicht an und bemühte sich, seine innere Verzweiflung nicht zu zeigen. Manchmal war es verteufelt schwer, die richtigen Antworten zu geben. Er wußte, in diesem Moment wollte ihn Don Marcello dazu bringen, sich selbst zu widersprechen, um dann in lärmenden Triumph auszubrechen.

Dabei wurde ihm nicht klar, daß er solchen Triumph nur aufgrund seiner Macht erlangte. Wenn man einmal wagte, seine wirkliche Meinung zu äußern, mußte man sehr behutsam sein und zuvor genau prüfen, in welcher Stimmung sich Don Marcello gerade befand. Seine Reaktionen waren höchst unterschiedlich.

Andererseits hatte er, Emiliano Cóstola, seine Position als Rechtsberater und Stellvertreter des Don nicht durch puren Zufall erlangt.

Er wußte, wie er mit Don Marcello umzugehen hatte.

Und Don Marcello war sich darüber im klaren, daß er in ihm den zuverlässigsten und treuesten Mann innerhalb seiner gesamten Organisation hatte.

„Ich weiß“, sagte Cóstola nach einer Weile des Überlegens, „welche große Vergangenheit der römische Wein hat. Man spürt das mit jedem Schluck, den man von so einem kostbaren Tropfen nimmt. Dessen bin ich mir immer bewußt. Wenn ich aber einen einfachen roten Landwein aus den Bergen Sardiniens trinke, dann habe ich das Gefühl, ein Teil dieses Landes zu sein, das uns hervorgebracht hat – das Gefühl, in der Tradition dieses einzigartigen Landes zu stehen, verwurzelt zu sein mit …“

„Emiliano, du bist ein Schlitzohr“, unterbrach ihn Don Marcello grinsend. „Ich hatte fast angenommen, du würdest mir erzählen, wie sehr du toskanischen Wein verabscheust – um mich abzulenken.“

„Das wäre denn doch etwas zu einfach gewesen“, entgegnete Cóstola mit dem Knopfaugenblinzeln eines listigen alten Raben.

Don Marcello Struzzo, der einen Hausmantel aus tiefblauer Seide trug, leerte sein Glas und schenkte aus einer kristallenen Karaffe nach. Das Stichwort „toskanisch“ war geeignet, seine gute Laune zu trüben.

Dieser verfluchte Eindringling aus der Toskana war wie eine schwere Last, die man immer wieder vergeblich abzuschütteln versuchte.

Don Cesare di Montepulciano lebte nun schon seit zehn Jahren wie eine Made im Speck.

Und so sieht er auch das, dachte Don Marcello in einem Anflug von grimmigem Spott.

Es änderte aber alles nichts daran: Don Cesare di Montepulciano hatte sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Cagliari eingenistet, und keine Macht der Welt schien ihn vertreiben zu können. Im Gegenteil. Der fette Kerl, der Wein, Weib und Gesang liebte wie kein anderer, hatte angefangen, seine Machtfühler immer mehr auch nach Cagliari auszustrecken. Dorthin, wo über Generationen stets nur die Familie Struzzo den Ton angegeben hatte.

Seine Ländereien in Montepulciano in der Toskana hatte der saubere Don Cesare einem Schwager zur Verwaltung übergeben. Denn der riesige Gutshof, den er hier, auf Sardinien geerbt hatte, bot zehnmal höhere Einkünfte. Don Marcello wußte darüber genau Bescheid, weil er Erkundigungen eingezogen hatte.

Aber nicht nur die Einkünfte waren es, die dem Eindringling in seiner neuen sardischen Heimat so sehr gefielen. Die vielen kleinen Pächter, die für seinen Gutsbetrieb arbeiteten, hatten viele ansehnliche Töchter und gelegentlich auch ansehnliche Ehefrauen.

Es war ein offenes Geheimnis, daß der toskanische Hurensohn einen beträchtlichen Anteil der Pachtraten in seinem Lotterbett abgelten ließ. Stolze Sardinnen wurden auf diese Weise entehrt und gedemütigt. Es war eine Schande.

Als noch größere Schande empfanden es manche in Cagliari, daß ihr Schutzpatron, Don Marcello, nicht in der Lage war, den Eindringling mit einem Tritt in den Hintern außer Landes zu jagen.

In den ersten Jahren seiner schmarotzerhaften Anwesenheit hatte sich Montepulciano noch zurückgehalten und war den Einheimischen kaum aufgefallen. Seit mindestens acht Jahren aber ging er Don Marcello und den meisten anderen mächtig auf die Nerven. Don Marcello hatte es zu offenen Auseinandersetzungen kommen lassen, und geglaubt, den Kerl mit Waffengewalt vertreiben zu können.

Er hatte Lehrgeld bezahlt.

Don Cesare di Montepulciano verfügte über eine beachtliche kleine Streitmacht, gegen die kein Kraut gewachsen war. Es handelte sich um blasierte Kerle, die er aus seiner vornehmen Heimat mitgebracht hatte.

Allerdings verstanden diese Kerle ihr Handwerk. Es hatte nicht den geringsten Sinn, daß man sich über sie amüsierte. Dadurch schaffte man das Problem am allerwenigsten aus der Welt.

Don Marcello und Don Cesare hatten sich im Laufe der kriegerischen Auseinandersetzungen mehrmals blutige Rache geschworen. Das war immer dann der Fall gewesen, wenn Don Marcellos Leute Ansiedlungen und Pächterhöfe im Machtbereich Montepulcianos verwüstet hatten. Und umgekehrt, wenn Don Cesares Horden in Cagliari den wilden Mann markiert hatten.

Don Marcello Struzzo stellte sein Glas ab, richtete sich im Sessel auf und sah seinen Berater an. „Was hältst du von der Angelegenheit, Emiliano? Ist es eine neue Offensive, die der Bastard eingeleitet hat?“

Cóstola nahm einen Schluck von dem römischen Wein und erwiderte den Blick seines Herrn über den Rand des Glases hinweg. „Ehrlich gesagt, ich rechne nicht mit einer wirklichen Offensive. Es wird eher ein Geplänkel sein, aber eins, das wir ernst nehmen müssen.“

Don Marcello rieb sich das Kinn. „Ich kann mir noch immer nicht vorstellen, daß dieser Bursche für Montepulciano arbeitet.“

Cóstola antwortete mit einer entschiedenen Handbewegung. „Daran habe ich nun meinerseits nicht den geringsten Zweifel. Der Mann fiel mir bei dem Zwischenfall auf der Piazza sofort auf. Die Toskaner rühmen sich stets ihrer besonderen Raffinesse. Das habe ich in meine Überlegungen einbezogen, und es paßt alles zusammen.“

„Nämlich?“ Don Marcello lehnte sich wieder zurück.

„Der Mann ist eindeutig Norditaliener. Er gibt sich als Engländer aus und radebrecht mit einem Akzent, der zugegebenermaßen sehr gekonnt ist. Sie werden sehen, Don Marcello, unter der Folter wird er auf einmal fließend Italienisch sprechen.“

Struzzo nickte. „Ein Todesbote also, den Montepulciano aus seiner lausigen Heimat hat holen lassen – mit dem alleinigen Auftrag, mich zu töten.“

„Das ist leider zu befürchten“, sagte der Mann mit dem Rabengesicht, und seine Knopfaugen waren voller Ernst und Sorge.

„Für einen bezahlten Mörder“, sagte Don Marcello gedehnt, „war dieser Bursche allerdings reichlich unvorsichtig. Warum mischte er sich in so einen läppischen Streit an Nócciolos Marktstand ein?“

„Er hat sich nicht eingemischt“, widersprach Cóstola. „Es war die kleine Händlerhure Gigliola, die ihm den Kopf verdreht hat. Warum, so dürfte er sich gesagt haben, sollte er sich nicht die Abwechslung eines Abenteuers erlauben, bevor er in Cagliari zur Tat schreitet?“

Don Marcello Struzzo ließ ein nachdenkliches Brummen hören. Nach einer Weile grinste er bösartig. Er leerte sein Glas mit dem perlenden weißen Frascati, als gelte es, einen Erfolg zu feiern.

„Nun“, sagte er, „wir werden dem Drecksack Montepulciano einen Denkzettel verpassen, den er so schnell nicht wieder vergißt.“

Bob Grey war für die letzte Deckswache an Bord der Schebecke eingeteilt, und er erlebte das Schauspiel des Sonnenaufgangs an der östlichen Kimm. Durch die Masten der im Hafen vertäuten Segler konnte er das offene Meer sehen. Vor dem Feuerball, der langsam über die scharfe Linie der Kimm aufstieg, erschienen Masten und Takelage wie ein gigantisches Ölbild, das in ausschließlich schwarzer Farbe vor blutigrotem Hintergrund gemalt worden war.

Der drahtige blonde Engländer wandte sich um, überquerte das Hauptdeck zur gegenüberliegenden Verschanzung und blickte zu den Häusern von Cagliari, die sich mit ihren Schindeldächern fast planlos um die winkligen Gassen gruppierten.

Die Stadt erwachte.

Rauch von Kochfeuern quoll aus den Schornsteinen und wurde vom Wind davongetragen. Die Bäcker hatten ihre Öfen schon vor Stunden angeheizt, noch bei Dunkelheit. Jetzt wehte der Duft frisch gebackenen Brotes bis zum Hafen, und Bob spürte als Reaktion darauf ein Hungergefühl in seinem Magen. Aber der Kutscher und Mac Pellew schlummerten in ihren Kojen. Bis zum Frühstück waren es noch drei Stunden.

Bob seufzte. Er würde den knurrenden Bären in seinem Magen besänftigen müssen.

Er wollte sich abwenden, als er die Schritte hörte – dumpfe Schläge von harten Stiefelabsätzen auf der Pier. Erstaunt blickte er zur Kaiseite der Pier, wo sich die Giebelwände der Lagerhäuser aneinanderreihten. Er rechnete mit einer Streife der Stadtgarde, was das einzig Wahrscheinliche zu dieser frühen Stunde war.

Doch die vier Männer, die da heranstelzten, trugen keine Helme und keine Brustpanzer, keine Uniformen. Alle vier waren schlank und schwarzhaarig, ihre Kleidung elegant, die Waffen hochwertig.

 

Bob Grey mußte unwillkürlich an die geschniegelten Burschen denken, von denen der Profos und die anderen berichtet hatten, die am Abend gemeinsam losgezogen waren.

Die Eleganten steuerten denn auch tatsächlich auf den Dreimaster zu.

Vor dem Schanzkleid blieben sie stehen. Sekundenlang musterten sie den Engländer aus schmalen Augen.

„Wache?“ schnarrte der älteste der drei, dessen silbergraue Haarsträhnen nur aus unmittelbarer Nähe zu erkennen waren.

„So ist es“, entgegnete Bob Grey.

„Rufen Sie Ihren Kapitän. Ich habe mit ihm zu sprechen.“ Es hörte sich an, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, zu dieser nachtschlafenden Zeit eine solche Forderung zu stellen.

Bob tastete unwillkürlich nach seinem Pistolengriff. Er war allein an Deck und konnte im Ernstfall nicht viel ausrichten. Andererseits ließ er sich nicht von irgendwelchen hergelaufenen Figuren einschüchtern. Sollte es tatsächlich kritisch werden, konnte er Alarm geben. Es galt eben nur, daß er auf seine eigene Haut achtete.

Leicht gesagt – angesichts von vier Burschen, die mit Pistolen und Dolchen bewaffnet waren und offensichtlich ausgerechnet diese frühe Tageszeit gewählt hatten, weil sie nicht mit Beobachtern zu rechnen brauchten.

Bob schüttelte den Kopf und grinste herausfordernd. „Tut mir leid, Signori. Der Kapitän ist nicht zu sprechen. Falls Ihnen die Uhrzeit nicht bekannt sein sollte …“

„Ich wiederhole meine Forderung nicht gern“, unterbrach ihn der Anführer schroff. „Notfalls müssen wir mit Gewalt vorgehen.“

Bobs Muskeln spannten sich an.

„Versuchen Sie es“, stieß er entschlossen hervor. „Ohne meine Einwilligung haben Sie auf diesem Schiff nichts verloren.“

Der Anführer und die drei anderen lachten höhnisch. „Die Lächerlichkeit dieser Bemerkung müßte Ihnen eigentlich bewußt sein.“

Bob ließ die Rechte auf dem Pistolengriff ruhen.

„Lassen Sie das meine Sorge sein“, entgegnete er, ohne seine innere Anspannung erkennen zu lassen.

„Also dann“, sagte der andere und nickte. „Letzte Chance für Sie, Engländer. Rufen Sie Ihren Kapitän, oder …“

Schritte näherten sich auf den Decksplanken.

Bob drehte sich ungläubig um.

„Oder?“ sagte der Seewolf mit einem Lächeln, das so eisig war wie ein Morgen in nördlichen Breiten.

Bob konnte nur darüber staunen, wie schnell der Seewolf selbst auf die leisesten Geräusche reagierte. In seiner Kammer konnte er die Stimmen bestenfalls als gedämpftes Murmeln gehört haben. Trotzdem hatte er sofort gespürt, daß dem Schiff und der Crew eine Gefahr drohte.

Es war diese besondere Art von geschärftem Instinkt, die den Seewolf mehr als alle anderen Männer an Bord auszeichnete.

Er war bereits vollständig angekleidet und mit seinem sechsschüssigen Drehling bewaffnet.

Bob Grey zog die Schultern hoch.

„Die Gentlemen haben sich nicht vorgestellt“, sagte er. „Trotzdem hören sie sich für meine Begriffe verdammt unverschämt an.“

Hasard nickte und trat neben Bob an die Verschanzung.

„Sind Sie der Kapitän?“ fragte der Anführer der Gruppe herablassend, obwohl er zu dem hochgewachsenen Engländer mit den breiten Schultern und den schmalen Hüften aufblicken mußte.

Hasard nickte abermals.

„Killigrew“, sagte er. „Wer sind Sie? Was wollen Sie?“

„Meine Männer und ich vertreten Don Cesare di Montepulciano, einen der Mächtigsten in Cagliari und Umgebung. Eine Gruppe unserer Leute wurde gestern abend von Mitgliedern Ihrer Crew vor einer Trattoria grundlos angegriffen und zusammengeschlagen. In einem Fall gab es sogar eine Verletzung durch ein Wurfmesser, Don Cesare läßt Ihnen ausrichten, daß er diese Ungeheuerlichkeit nicht dulden wird. Sie haben den Hafen von Cagliari sofort zu verlassen. Sollte das bis heute mittag nicht geschehen sein, sehen wir uns gezwungen, ein Exempel zu statuieren.“

Der Seewolf zog die Mundwinkel nach unten. „Richten Sie Ihrem Don etwas von mir aus. Daß ich ihm nämlich eigenhändig die Ohren langziehen werde, falls er sich zu irgendeiner Unverschämtheit versteigt.“

Die Kerle erblaßten vor Fassungslosigkeit.

„Unsere Liegegebühren haben wir für drei Tage im voraus bezahlt“, fuhr Hasard fort. „Ich kann mich aber nicht entsinnen, daß Ihr Don Cesare der Zahlungsempfänger gewesen sein sollte. Was den Vorfall von gestern abend betrifft, so lassen Sie sich gesagt sein, daß die Mitglieder meiner Crew sehr wohl Grund hatten, ihre Fäuste einzusetzen. Jedem, der sich diesem Schiff unerlaubt nähert, wird es ähnlich ergehen.“

Das Gesicht des Gruppenführers verzerrte sich. Er konnte seine Wut nicht verbergen. Seine Rechte fuhr zur Pistole.

Hasard hatte seinen Drehling im selben Moment gezogen.

Bob Grey folgte seinem Beispiel.

Die vier Männer Don Cesare di Montepulcianos ließen ihre Waffen stecken. Der Anführer zitterte in seiner Wut, als er Befehl zum Rückzug gab. Er hatte begriffen, daß er und seine Gruppe gegen die Feuergeschwindigkeit des sechsläufigen Drehlings nicht das geringste ausrichten konnten.

Die Turmkammer enthielt keinen einzigen Einrichtungsgegenstand.

Die Menschen, die hierher gebracht worden waren, so vermutete Blacky, hatten keine Gemütlichkeit mehr gebraucht. Es war für sie nur eine Zwischenstation auf der Reise in den Tod gewesen.

Blacky war daher gezwungen gewesen, sich auf dem kahlen Steinfußboden auszustrecken. Nur einen winzigen Vorteil hatte die Kammer: Sie war nicht feucht wie ein Verlies in einem Kellergewölbe. Dafür strömte die Kälte der Nacht fast ungehindert herein. Immerhin waren die Kerle so gnädig gewesen, ihm die Kleidung überzustreifen, bevor sie ihn aus Gigliolas Kammer verschleppt hatten.

Und sie hatten ihn nicht gefesselt.

Wahrscheinlich hatten sie nicht die geringste Sorge, daß er ihnen entwischen könne.

Wenigstens war er in der Lage, sich auf dem Boden zusammenzurollen und in den schützenden Winkel von Wand und Fußboden zu verkriechen. Es half ihm jedoch herzlich wenig. Er horchte auf den Wind, der um den Turm heulte, und versuchte, andere Geräusche wahrzunehmen. Bestenfalls war da noch das Tosen der Brandung, tief unten, am Fuß der Steilküste. Aber es mochte auch seine Einbildung sein, die ihn glauben ließ, daß er dieses Tosen hörte.

Je mehr er versuchte, seine Gedanken auf etwas anderes zu konzentrieren als auf die Kälte, desto wacher wurde er. Bald fror er so jämmerlich, daß er am ganzen Körper zitterte. Er wußte, während des nächsten Tages würde er möglicherweise das Gefühl haben, in der Sonnenglut ersticken zu müssen. Die Temperaturunterschiede, die ihm bevorstanden, konnten ihn allein schon umbringen, wenn es denn nichts anderes war.

Irgendwann in dieser endlos scheinenden Zeitspanne erwachte er und konnte nicht fassen, daß er trotz allem geschlafen hatte. Allein seine Erschöpfung mußte der Grund gewesen sein.

Es war hell geworden.

Unmittelbar nach dieser Erkenntnis begann er zu frieren wie nie zuvor. Sein ganzer Körper wurde von Kälteschauern regelrecht durchgeschüttelt. Er rappelte sich auf und hieb sich die Arme um den Brustkorb. Dabei hüpfte er von einem Bein auf das andere, um den Fluß seines Blutes besser in Gang zu bringen. Bei jeder Bewegung dröhnte der Schmerz, der mit seinem Bewußtsein erwacht war, auf und ab wallend durch seinen Kopf.

Er hielt inne und spähte durch eines der seewärtigen Fenster.

Der Wind hatte nachgelassen. Das vom Sonnenaufgang rötlich gefärbte Meer war spiegelglatt. Denkbar, daß ihm die Windstille die Ruhe eines kurzen Schlafes gewährt hatte.

Er hörte Schritte.

Stirnrunzelnd drehte er sich um und verharrte bewegungslos.

Es waren Schritte von mehreren Männern. Die Sohlen ihrer Schuhe oder Stiefel polterten über Holz.

Blacky blickte zu der Bohlentür der Turmkammer. Die Tür war nach außen zu öffnen. Anzunehmen, daß sich dort eine Holztreppe befand, die in winkligen Abschnitten an der Außenmauer des Turms emporführte.

Blacky überlegte nicht mehr. Er öffnete die runde Luke in der Mitte der Kammer.

Das Wasser in der Tiefe war ruhig, der Sonnenschein tauchte auch die Klippen in rötliches Licht. Wer dort unten landete, wurde zerschmettert, bevor er versank. Möglich, daß einer noch einen Rest Lebens in sich hatte, wenn er von den schroffen Felsen ins Wasser rutschte. In einem solchen Fall war der Betreffende mit gebrochenen Armen und Beinen aber nicht mehr in der Lage, sich schwimmend ans Ufer zu retten.

Die Schritte wurden lauter, deutlicher.

Blacky schlich sich auf die andere Seite der Kammer und stellte sich mit dem Rücken an die Wand, neben den Türrahmen.

Was sie auch vorhatten – er würde so viele wie möglich in den Tod schicken. Oder mitnehmen, was auch immer. Er hatte nur diese eine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen: die offene Luke. Seine Gegner hatten ihm die Möglichkeit an die Hand gegeben, ohne zu ahnen, daß er sie nutzen konnte. Sie mußten angenommen haben, daß er wegen seines miserablen körperlichen Zustands nicht in der Lage sein würde, auch nur einen Finger zu rühren.

Die Schritte verlangsamten sich und mußten jetzt nahe vor der Tür sein.

Blacky spannte die Muskeln an. Er fror nicht mehr, die hämmernden Schmerzen im Schädel hatten nachgelassen.

Die Schritte endeten. Da draußen mußte es eine Plattform vor der Tür geben. Holz von Riegelbalken bewegte sich schabend. Dann wurde ein Schlüssel ins Schloß geschoben und knirschend herumgedreht.

Blacky hatte das Gefühl, daß seine Muskeln kurz vor dem Zerreißen waren.

Knarrend schwang die Tür auf. Helleres Licht fiel in einem sich vergrößernden Dreieck auf den Steinfußboden und bildete ein Rechteck, das bis zu der runden Lukenöffnung in der Mitte der Kammer reichte.

Der Mann beging den Fehler, einen Schritt über die Schwelle zu tun und dann erst stehenzubleiben, weil er den Gefangenen nicht sah. Die schußbereite Pistole des Mannes war einen halben Yard vor seinem Körper, im Hüftanschlag.

Blacky hieb ihm die Waffe weg, indem er seine Faust auf den Schießarm des Kerls schmetterte.

Der Mann schrie.

Blacky ließ ihm keine Zeit, sich von der Überraschung zu erholen. Blitzschnell, ehe der andere zurückweichen konnte, packte er zu. Seine Fäuste waren wie Eisenklammern. Und seinen Bärenkräften hatte der Sarde nur wenig entgegenzusetzen.

Während die Waffe noch über den Boden schlidderte, stolperte der Mann schon vorwärts.

Blacky ließ ihn rechtzeitig los und wich zurück.

Der Mann konnte den Schwung nicht mehr bremsen. Brüllend vor Entsetzen ruderte er mit den Armen, doch er fand nirgendwo Halt. Seine Füße tappten über den Rand der Luke hinweg – ins Leere. Sein Gebrüll steigerte sich zum Schrillen.

Einen Moment schien es, als könnte er sich am Lukenrand festhalten. Aber nur die linke Hand hatte noch Kraft. Mit der Rechten, gelähmt durch Blackys Hieb, glitt er ab.

Der Todesschrei gellte für lange Sekunden aus dem Turm und dem Felsenkamin herauf.

Ein dumpfer Schlag ließ Stille einkehren.

Blacky blickte auf die Spitze eines Säbels, der nahe vor seinem Gesicht war. Der Mann, der den Säbel hielt, hatte das Aussehen eines großen Raben.

Ein zweiter schob sich mit schußbereiter Pistole herein. Er war dunkelblond und hatte ein kantiges Gesicht, das unbändigen Zorn spiegelte. Gekleidet war er in schwarzgefärbtes weiches Leder, das wie Samt aussah.

„Ich bin Don Marcello Struzzo“, sagte er tonlos. „Hierzulande weiß man, was es bedeutet, sich auf so unverfrorene Weise gegen mich aufzulehnen. Dir sage ich es hier und jetzt, Engländer.“ Er hielt inne, um Luft zu holen. Seine Stimme bebte in mühsamer Beherrschung, als er weitersprach. „Du wirst einen hundertmal grausameren Tod sterben als der Mann, den du eben umgebracht hast. Aber vorher wirst du uns mit Freuden alles das verraten, was wir von dir wissen wollen.“

„Das glaube ich nicht“, entgegnete Blacky kalt.

Struzzo drehte die Pistole um und schmetterte ihm den Kolben gegen die Stirn.

Es war wie ein Blitz, der den Engländer fällte.