Seewölfe Paket 27

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6.

Nur fünf Minuten später schlichen sie sich von hinten an den Rückseiten der Schuppen und anderen Blockhäuser vorbei an die Gefangenenhütte. Es wurde noch leichter, als Hasard gedacht hatte. Sie brauchten nicht über den Vorplatz einzudringen, der vom Innenhof her einzusehen war. Die Hütte hatte an der Hinterwand ein verschalktes Fenster, abgesichert mit einem Querbalken wie bei der Tür.

„Bestens!“ flüsterte Hasard und hebelte den Balken herum.

Der Laden war nach außen herausnehmbar, dahinter gähnte ein dunkles Quadrat.

„Du bist dran, Juan“, sagte Hasard leise.

Don Juan trat an das Fenster, dessen Unterkante in Höhe seiner Schultern lag, flüsterte „Psst!“ und sagte seinen Satz.

Drinnen wurde aufgeregt gewispert, ein langhaariger Kopf erschien im Fenster.

Don Juan winkte und hielt der jungen Frau beide Hände entgegen. Die Frau zögerte einen kurzen Moment, dann nickte sie entschlossen, flüsterte etwas zurück in die Hütte, stemmte sich hoch und ließ sich von den drei Männern nach draußen helfen.

Es klappte reibungslos, eine nach der anderen schlüpfte durchs Fenster hinaus in die Freiheit. Sie konnten schon wieder lächeln, obwohl sie zerkratzt und zerschunden waren – Spuren dessen, was sie bereits hatten ertragen müssen, von verrohten weißen Männern, die eine Schande für das ferne Land im Westen waren, das man die Alte Welt nannte.

Von dieser Alten Welt war bisher nichts Gutes in die andere Welt gekommen, auch wenn Männer in langen dunklen Gewändern Kreuze vor sich hertrugen und davon kündeten, man solle seinen Nächsten lieben.

Hasard verschalkte das Fenster wieder. Sie zogen sich auf demselben Weg zurück, über den sie hergeschlichen waren, und Batuti verwischte als letzter die Spuren. Hasard sonderte sich weit hinten ab, eilte zu dem toten Mann, lud ihn sich auf die Schulter und brachte ihn weiter ostwärts an ein Kliff, das steil aus der See ragte. Ihr übergab er den Schänder.

Auch er verwischte seine Spuren, bis er wieder bei den Kameraden und den Frauen war.

„Ich schlage vor, Gary und Juan bringen die Ladys jetzt zu den Schaluppen“, sagte er. „Batuti und ich bleiben noch, um weiter zu beobachten. Einverstanden?“

„Du denkst an die anderen Gefangenen?“ fragte Don Juan.

„Ja. Vielleicht ergibt sich eine Chance.“

„Sie sind im Kastell eingeschlossen, offenbar in einem Kellergewölbe“, sagte Don Juan. „Ich habe versucht, die Ladys zu befragen. Mehr wissen sie nicht. Sie sind zu kurz hier.“

„Schon zu lange“, sagte Hasard grimmig. „Macht euch auf die Socken.“

„Und wenn bei euch etwas schiefgeht?“

„Dann betet für uns ein Vaterunser“, knurrte Hasard. „Mann, ich werde nervös. Das hat alles zu gut geklappt, jetzt laß uns hier nicht lange herumpalavern.“

„Paßt auf euch auf“, sagte Don Juan. Und dann zogen sie ab.

„Wenn der mal redet, dann redet er“, murmelte Hasard und spähte zum Innenhof.

Da konnte es einem schlecht werden. Sie fraßen wie die Schweine, und sie grunzten auch dazu, zwischendurch wurde gerülpst, dann war wieder das Schmatzen zu hören. Das Fett tropfte ihnen in die verwilderten Bärte und von dort in die schmutzigen Hemden. Und sie knurrten sich an, wenn einer dem anderen ein besonders schönes Stück vor der Nase wegsäbelte, was der andere selbst hatte haben wollen. Mit dem Schnaps spülten sie nach, und sie soffen unheimliche Mengen.

„Hast du irgendwo einen Posten gesehen?“ fragte Hasard.

Batuti schüttelte den Kopf. „Sie sind ziemlich sorglos – können sie auch sein, wenn man an die paar Soldaten in Davao denkt. Das ist doch der nächste spanische Posten im Umkreis von etwa hundertfünfzig Meilen. Und da sind nur ganze zwei Schaluppen stationiert.“

„Hm, wundert mich, daß sie Davao noch nicht ausgehoben haben“, meinte Hasard.

„Die stören sie doch nicht“, sagte Batuti.

Das war eine simple Erklärung, und sie stimmte wahrscheinlich. Trotzdem war die Sorglosigkeit der Holländer unverständlich, vor allem angesichts der Tatsache, daß sie vier Schaluppen verloren hatten und von ihrem Holzfällerlager südlich von Davao vertrieben worden waren. Aber das reichte wohl nicht, ihr Überlegenheitsgefühl zu erschüttern.

Im Vergleich zur Karibik herrschten in der indonesischen Inselwelt keine eindeutigen Machtverhältnisse. Wer hier eigentlich über wen regierte, das wußte Hasard nicht. Aber weder Spanier noch Portugiesen oder Holländer spielten hier eine dominierende Rolle. Hasard wußte nur, daß sie da und dort Verträge mit mächtigen Häuptlingen oder „Fürsten“ abgeschlossen hatten, die ihnen gewisse Handelsfreiheiten erlaubten, speziell beim Gewürzhandel, aber damit hatte es sich auch.

Dennoch, die blutigen Auseinandersetzungen waren programmiert, sobald diese Weißen ihre anmaßende Art hervorkehrten, wie es diese Bande dort unten bereits praktizierte. Bisher hatten die Kerle nur einfach Glück gehabt, daß ihnen noch niemand entgegengetreten war. Dadurch waren sie übermütig geworden.

Batuti stieß Hasard an. Da unten im Innenhof tat sich wieder etwas. Einer der Kerle hatte sich erhoben und torkelte in Richtung Tor. Was er vorhatte, war eindeutig, denn auch sein Abmarsch wurde von Grölen und zotigen Bemerkungen begleitet.

Aber noch zwei andere Kerle fühlten sich animiert und setzten sich in Marsch. Sie hatten es ziemlich eilig. In ihren trunkenen Hirnen spukte offenbar die Weisheit: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Oder sie gönnten dem anderen nicht den Vortritt.

Noch im Tor hatten sie zu dem anderen aufgeschlossen, und einer stellte ihm ein Bein, indem er mit dem Fuß hakte. Der Kerl fiel platt auf die Nase und brüllte wutentbrannt. Die beiden Verfolger zogen johlend an ihm vorbei.

Die Kerle auf den Kisten im Innenhof brüllten noch lauter und fanden alles furchtbar lustig, obwohl die Situation weder lustig noch spaßig, sondern einfach widerwärtig und entwürdigend war.

Sie feuerten den gestürzten Kerl an, aber den hatte ja eh der Zorn gepackt, daß er „feige von hinten“ zu Fall gebracht worden war. Er schaffte es, sich aufzurappeln und im Spurt die anderen zu erreichen. Den einen legte er ebenfalls mit Fußhaken um, dem anderen sprang er ins Kreuz wie ein Affe und prallte mit ihm zu Boden.

Die Keilerei wollten sich die Kerle im Innenhof nicht entgehen lassen, und so strömten sie johlend hinterher, schwenkten ihre Flaschen und wieherten.

Der Fußgehakte hatte sich inzwischen über die beiden Kumpane geworfen, und es war nicht mehr ersichtlich, wer jetzt gegen wen kämpfte, ihm die Haare ausriß, die Fäuste in die Visage drosch oder die Kehle zudrückte.

Die drei Kerle wälzten sich fluchend, brüllend, tretend und schlagend über- und untereinander, und die anderen tanzten im Kreis um sie herum, eine lärmende Horde von trunkenen Verrückten, von denen sich allerdings zwei jetzt heimlich davonstahlen und Kurs auf die Blockhütte nahmen.

„Es wird spannend“, sagte Hasard.

Batuti nickte, deutete jedoch zum Innenhof, der nunmehr geräumt war. „Wir könnten eindringen!“

Eine tollkühne Idee, aber Hasard verwarf sie sofort wieder. Sobald die Kerle feststellten, daß die Hütte leer war, würde der Teufel los sein, und das nicht zu knapp. Das Risiko war zu groß, und er schüttelte den Kopf.

„Zu gefährlich“, sagte er.

Die beiden Kerle hebelten den Querbalken in die Waagerechte und stürzten in die Hütte. Niemand hatte etwas bemerkt. Die Kerle johlten und tanzten weiter und amüsierten sich über die Schlägerei, die ständig neue brutale Aspekte bot.

Ihren Lärm überboten jedoch die beiden, die jetzt aus der Hütte schossen und brüllten, als stünde der Weltuntergang bevor.

Es war zu übersetzen.

„Die Weiber sind nicht mehr da!“

„Abgehauen, diese Huren!“

Der Lärm brach jäh ab, die Stille wirkte beängstigend.

Die Kerle hatten sich umgedreht und glotzten zur Hütte. Sie standen da, als seien sie alle gleichzeitig mit ihren dumpfen Schädeln vierkant gegen eine Mauer geprallt. Sie wackelten und wankten auch, aber das war eine Folge ihrer maßlosen Sauferei.

Im ersten Moment begriffen sie überhaupt nichts – die drei Schläger erst recht nicht. Der eine kniete mit gesenktem Kopf und ließ das Blut aus seiner Nase laufen. Der andere lag auf dem Rücken und litt an Bewußtseinsstörungen, und der dritte saß auf dem Hintern und polkte an einem Vorderzahn herum, der, von einer Faust getroffen, wackelte.

Dieser dritte bemerkte die Stille und nuschelte: „Wasch isch losch?“

„Die Dreckshuren sind verschwunden!“ brüllte einer der beiden Kerle vor der Hütte.

Erst diese dritte Wiederholung brachte die Kerle in Bewegung. Wie eine Brandungswelle stürmten sie vor, drängend, boxend und puffend, und sie brachen fast die Hütte auseinander.

Das Ergebnis, was die beiden anderen gemeldet hatten, blieb sich gleich. Sie konnten die Hütte auf den Kopf stellen – die acht gefangenen Badjao-Frauen waren spurlos verschwunden, als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Dabei war alles verschlossen gewesen.

Ja, da war’s vorbei mit der Lustigkeit. Die ersten Flüche wurden laut, Ratlosigkeit herrschte, Vermutungen wurden angestellt, ein paar begannen die anderen Hütten und Schuppen zu durchsuchen. Es konnte nicht wahr sein, so was gab’s einfach nicht. Solche primitiven Eingeborenenweiber waren doch viel zu dumm, um zu fliehen!

Einer lief ins Kastell zurück.

Jawohl – Hasard hatte ihn bisher vermißt und sich darüber gewundert. Der Häuptling dieser wüsten Horde war bei dem Sauf- und Freßgelage nicht dabeigewesen. Aber jetzt tauchte er aus dem Turmgebäude auf – Pieter Hendrik Beeveren. Marten de Groot hatte diesen Namen genannt, als er vom Kutscher befragt worden war.

 

In seinem Gefolge befand sich ein ordinäres Frauenzimmer, eine Weiße, der die Brüste halb aus der Bluse hingen. Das war wohl die Mätresse dieses Ungeheuers. Und es erklärte seine vorherige Abwesenheit. Er pflegte sich wohl privat zu verlustieren. Auch er hatte gesoffen. Seine Visage glühte, er schwankte etwas.

Die Schlampe war eingeschnappt und maulte herum. Vielleicht hatte ihr Beeveren einen Goldring versprochen, wenn sie ihm in der Nacht einen Bauchtanz vorführte oder nackt als Elfe herumhüpfte. Wie dem auch sei, die Nacht war zum Teufel, und das paßte ihr nicht.

Beeveren paßte auch einiges nicht, er brüllte sie an, sie schrie zurück, wobei ihr die Brüste vollends aus der Bluse rutschten, was den Melder zutiefst entzückte und zu Stielaugen veranlaßte – und schon reagierte Beeveren wie gehabt. Die Schlampe empfing wegen ungebührlichen Anschreiens eines Mijnheers eine schallende Ohrfeige, und der Melder wurde wegen ungebührlichen Anstierens nackter Brüste mit einem Tritt in den Hintern bestraft.

Die Schlampe kreischte hysterisch, der Melder schoß, Purzelbäume schlagend, davon. Weil Kreischen auch ungebührlich war, kassierte die Schlampe eine zweite Ohrfeige, dieses Mal auf die andere Wange. Dafür spuckte sie den Mijnheer an, und das hätte sie nicht tun dürfen. Sie flog im gestreckten Flug zurück ins Gebäude.

„Du meine Güte“, murmelte Hasard erschüttert.

Der Hackklotz namens Pieter Hendrik Beeveren marschierte über den Innenhof zum Tor und von dort auf die Blockhütte zu. Die Kerle wichen zurück, das heißt, sie traten aus dem Kinken. Sie kannten die explosive Unberechenbarkeit ihres Häuptlings.

Beeveren besichtigte das Innere der Hütte und konnte auch nur feststellen, daß sie leer war, wie nicht anders zu erwarten, denn schließlich hatten sich ja bestimmt mehr als vierzig Augenpaare von dieser Tatsache überzeugt.

Und es berührte doch merkwürdig, daß einer nach dem anderen und schließlich der Häuptling selbst das überprüfte, als hoffe er, die Entschwundenen könnten wie durch ein Wunder zurückgekehrt sein.

Es war dies ein Beispiel für menschliche Verhaltensweisen in Situationen, die von der Norm abwichen. Hasard war fast versucht, diese Kerle samt ihrem Oberschurken für Idioten zu halten. Es kam noch besser.

Beeveren tauchte wieder auf, bölkte seine Kerle an und wollte von denen wissen, wo die Weiber seien.

Ja, wenn die das nur wüßten! Sie hätten sich gefreut, es ihrem Häuptling sagen zu dürfen, aber leider, leider …

Ihr Häuptling teilte ihnen mit – brüllend versteht sich –, daß sie am Verschwinden der Weiber schuld seien, weil sie nicht aufgepaßt hätten, und dafür müßten sie eigentlich alle an die Rah gebaumelt werden – alle, verstanden?

Mit etwas Courage hätte man nun dem Hackklotz erwidern können, es empfehle sich nicht, gleich alle an die Rah zu knüpfen, denn was wollte der Pieter Hendrik Beeveren dann anstellen, wenn er mutterseelenallein war, bitte sehr!

Aber zu einer solchen Entgegnung raffte sich keiner auf. Auch fragte keiner, warum sie alle schuld seien, und wie sie besser hätten aufpassen sollen, wo doch die Hütte verriegelt und verrammelt gewesen war!

Sie schwiegen – dies allerdings in der weisen Einsicht, ihren Häuptling nicht unnötig zu reizen.

Ja, da war guter Rat teuer, obwohl im Grunde nur eine einzige Alternative blieb: nämlich nach den Verschwundenen zu suchen. Und das hätten sie längst tun sollen, statt abwechselnd in die Hütte zu stieren in der Erwartung, nun sei alles wieder gut und die Weiber hätten nur einen Spaß gemacht, als sie sich in Luft auflösten.

Doch endlich hatte einer die zündende Idee und erinnerte an jenen Kerl, der als erster davongestolpert war, um seinen Lüsten zu frönen.

Ja, wo war der denn?

Sie schauten sich um, und auch sein Name wurde gerufen.

Cornelis!

Cornelis meldete sich nicht. Er war abgängig. Sie hatten nur gesehen, daß er eine „der Huren“ aus der Hütte gezerrt und sie ins Dunkle geschleppt hatte.

„Wohin?“ brüllte Pieter Hendrik Beeveren.

Sie meinten, nach Osten, weg vom Hafen, aber das mochte keiner beschwören. Beeveren wurde schier wahnsinnig, denn das schien ihm der Schlüssel zu sein: Der „Hure“ war es gelungen, Cornelis zu überwältigen. Und dann hatte sie die anderen Weiber befreit!

Er ließ Fackeln holen. Die große Suche begann, er selbst leitete sie. Zu Hasards und Batutis Bedauern blieben zehn Kerle am Kastell zurück – zu viele für einen Handstreich.

Und da waren zwei Hunde aus einem Zwinger im Kastell gebracht worden – Bluthunde. Zwei Kerle hatten sie an der Leine und setzten sich an die Spitze der Horde, die in breiter Formation nach Osten losmarschierte.

Hasard und Batuti überprüften ihre Pistolen, denn das stand ja wohl fest: Irgendwann würden die Biester anhand der Witterung auf den Spuren merken, in welche Richtung sich die Flüchtigen gewandt hatten. Hasard traute diesen Hunden zu, daß sie in der Lage waren, die einmal aufgefaßte Spur bis zu den Schaluppen zu verfolgen.

Und dann war – wie hieß es doch? – Ende der Fahnenstange!

Batuti und er waren also gezwungen, sich den beiden Bluthunden zu stellen, wenn sie verhindern wollten, daß die Schaluppen entdeckt wurden.

Die Frage lautete, ob die Kerle nach Erkennen der Flüchtlingsspur die beiden Hunde von der Leine ließen oder festhielten und mit ihnen zusammen die Verfolgung aufnahmen. Batuti meinte, sie würden die Biester losrasen lassen, schließlich seien sie darauf abgerichtet, Flüchtlinge zu verfolgen, zu stellen und über sie herzufallen – mit abschließendem Biß in die Kehle.

„Gut“, sagte Hasard, „dann sollten wir jetzt einen Platz suchen, der uns die Sicherheit bietet, daß sie uns nicht anspringen, wir sie aber erschießen können.“

„Ein Baum“, meinte Batuti, „und besser wäre, nicht zu schießen – oder nur im äußersten Notfall –, sondern mit dem Entermesser zu kämpfen. Hieb oder Stich, das ist lautloser, Sir.“

„Da hast du recht, mein Alter. Dann mal los. Mir ist erst wohler, wenn ich auf einem Ast sitze.“

„Mir auch“, sagte Batuti und grinste.

Sie verließen ihren Beobachtungsposten und traten einen Eilmarsch an. Östlich des Hafens leuchteten die Punktfeuer der Fackeln. Deutlich war auch das Jaulen der Hunde zu hören. Da war etwas Blut in den Sand gesickert. Vielleicht hatten das ihre Nasen aufgenommen. Die Spur bis zum Kliff würden sie verfolgen. Dann war Schluß. Vielleicht war der Tote abgetrieben. Wenn nicht, würden sie ihn vermutlich bergen. Das konnte einen Zeitaufschub bedeuten.

Sie nahmen exakt denselben Weg wie beim Hinmarsch, denn auch Gary und Don Juan mit den Frauen hatten ihn benutzt. Die lieben Tierchen sollten um Himmels willen auf der Spur bleiben, damit man sich von ihnen befreien konnte.

Es war gut gewesen, daß Batuti und er zurückgeblieben waren. Sie hätten sonst nichts von der Existenz der Bluthunde gewußt, und irgendwann in der Nacht wäre das Theater losgegangen. Sicher, die Schaluppen lagen vor Anker, und die Hunde hätten es nie geschafft, an Bord zu gelangen. Aber sie hätten Krach geschlagen und wären natürlich erschossen worden.

So oder so, sie hätten mit den Schaluppen verschwinden müssen, denn es war damit zu rechnen, daß die Kerle die Schneise entdeckten, die von ihrem Rodungsplatz zu der Bucht führte. Soweit durfte es eben nicht kommen. Die Kerle durften erst gar nicht dahintersteigen, wo sie zu suchen hatten. Alles mußte für sie rätselhaft bleiben.

Hm, vielleicht war es auch gut, die beiden Hunde verschwinden zu lassen, wenn sie tot waren. Hasard erinnerte sich an eine Steilschlucht, die sie auf dem Hinmarsch passiert hatten. Das war noch zwischen den Plantagen und dem Rodungsplatz gewesen. Wenn sie die Biester dort hinunterwarfen, würde man sie nie mehr finden. Dorthin stieg kein Mensch ab.

Mal sehen.

Sie eilten an den Plantagen entlang und erreichten die Zone, wo der Dschungel begann. Batuti stoppte.

„Wir sollten sie möglichst frühzeitig abfangen“, sagte er und blickte sich um, „ich meine, hier am Dschungelrand, bevor sie tiefer eindringen. Die Kerle sollen keine Anhaltspunkte haben, wo sie möglicherweise mit einer Suche ansetzen könnten. Ich schlage auch vor, wir schleppen die toten Biester dann bis zu einer bestimmten Schlucht, die wir beim Hinweg passierten, und stürzen sie da hinunter …“ Er verstummte, weil ihn Hasard angrinste. „Ist was, Sir?“

„Nein, nein! Ich stellte nur eben fest, daß wir beide den gleichen Gedanken hatten. Mir war die Schlucht auch eingefallen. Was ist mit Blutspuren bis dorthin?“

Jetzt grinste Batuti. „Ganz einfach, Sir. Wir verstopfen ihre Wunden mit Erde und Moos, das ist alles.“

„Das ist alles“, wiederholte Hasard. „Ich wäre nicht darauf gekommen. Gut, daß du dabei bist, du alter Schurke!“

Sie lachten sich beide an, ein weißer und ein schwarzer Mann, und dieser schwarze Mann verehrte seinen Kapitän, hatte der ihn doch einst davor bewahrt, auf einem spanischen Sklavenmarkt verkauft zu werden. Seitdem gehörte der schwarze Mann zur verschworenen Gemeinschaft der Arwenacks. Für seinen Kapitän würde er sich totschlagen lassen.

Nach kaum zwanzig Schritten auf dem Dschungelpfad, der zu den Rodungen führte, fanden sie, was sie suchten – eine alte, breitstämmige Eiche mit schenkelstarken Unterästen. Die Eiche stand unmittelbar an dem Pfad und war bequem zu ersteigen, wenn man sich zu den Unterästen aufgeschwungen hatte.

Das war kein Problem. Hasard wählte die eine Seite, Batuti die andere. Sie behinderten sich nicht. Batuti hatte ein gutes Auge für die mögliche Sprunghöhe dieser Tiere, die von Menschen darauf abgerichtet waren, Menschen zu jagen und zu töten. Hasard dachte in diesem Moment daran, als Batuti einen Querast als Standort wählte, der sich etwas mehr als sechs Fuß über dem Boden befand.

Er dachte: Wie pervers muß das Gehirn dessen sein, der die Hunde die Menschenjagd lehrt? Die Teufelei dieser Lehre konnte dem Hund nicht bekannt sein, er folgte seinem Jagdinstinkt, er war unschuldig, so unschuldig ein Tier nur sein kann. Es kannte nicht den Unterschied von Gut und Böse.

Waren jene schon des Teufels, von denen die Hunde abgerichtet wurden, so galt das in gleichem Maße für sogenannte Menschen, die sich dieser Hunde bedienten und sehr genau wußten, was passierte, wenn sie die Tiere von der Leine oder Kette freigaben zur Jagd auf den Bruder Mensch.

Das Schuldkonto des Pieter Hendrik Beeveren und seiner Trabanten wuchs. Es hatte keine Grenze.

Hasard fand auf seiner Seite einen Ast auf fast gleicher Höhe mit Batuti. Wenn er die Knie beugte, konnte er mit der linken Hand einen etwas höheren Ast packen und sich festhalten. Das war wichtig für einen festen Stand, den er beim Zuschlagen oder Stechen mit dem Entermesser brauchte. Er konnte sich auch jederzeit auf den höheren Ast zurückziehen, falls das erforderlich werden sollte.

Bei Batuti drüben verhielt es sich ähnlich.

Das Warten begann. Mitternacht mußte vorbei sein. Über den Plantagen lag Mondschein. Hierher drang er nicht durch, aber die Dunkelheit war trotzdem nicht total. Für das, was sie tun mußten, war es hell genug.

Hasard hatte das Entermesser gezogen. Es lag gut in der Hand. Die Klinge war haarscharf geschliffen.

„Psst!“ wisperte Batuti.

Es war soweit. Über den Weg durch die Plantagen hetzten sie heran, zwei längliche Schatten. Noch folgte ihnen niemand. Für die Zweibeiner waren diese Vierbeiner zu schnell. Ihr Hecheln war zu hören. Die Schatten wurden größer, das Hecheln lauter.

Batuti beugte sich vor, wartete ein paar Momente und ließ sein Halstuch nach unten segeln. Es schwebte fast genau vor den Hundeschnauzen zu Boden. Sich aufbäumend, stoppten sie ihren Lauf, warfen sich herum und beschnupperten das Ding.

Batuti zischte scharf.

Der eine Bluthund reagierte regelrecht aus dem Stand. Er schnellte hoch, den Fang zum Zuschnappen geöffnet. Es sah aus, als grinse er. Batutis Messer fuhr ihm in die Kehle bis zum Heft. Der Gambia-Mann kippte das Messer, der Hund rutschte röchelnd von der Klinge, schlug unten auf und verendete zuckend.

Der andere Bluthund wurde nahezu rasend. Er wirbelte im Sprung hoch, prallte jedoch gegen den Stamm, und da stieß Hasard zu. Die Klinge drang von oben durch die Schulter bis zum Herzen vor. Mit einem schwachen Jaulton flog der Bluthund auf einen Strauch, wurde abgefedert und landete am Boden. Dort streckte er sich.

 

„Alles klar, Sir.“ Batutis Stimme klang erleichtert. „Wir haben es geschafft.“

Sie sprangen nach unten. Batuti hob sein Halstuch auf und steckte es ein. Hasard stieß beide Tiere mit dem Stiefel an. Sie rührten sich nicht. Er spähte zu den Plantagen. Die Kerle waren noch nicht zu sehen. Gut so.

Batuti rupfte bereits abseits des Pfades Moos aus dem Boden und stopfte es in die Kehlwunde des einen Tieres. Ebenso verfuhr er mit dem anderen Tier. Dann schnürten sie die Hinterläufe der beiden Hunde zusammen, und Hasard zog mit beiden Hunden im Schlepp los, während Batuti aufmerksam den Kampfplatz absuchte, verräterische Spuren beseitigte und über das Blut, das aus der Kehlwunde geflossen war, abgefallenes Blattwerk häufte. Er tat das geschickt und sorgfältig und mit der Routine eines Mannes, der seine Kindheit und Jugend im Urwald von Gambia verbracht hatte.

Dann folgte er Hasard. Als er abzog, sah er immer noch keine Verfolger.

Etwa zehn Minuten später erreichten sie die Steilschlucht, an welcher der Pfad vorbeiführte. Mit Schwung beförderten sie die beiden toten Tiere in die Tiefe. Sie durchbrachen das mannshohe, wildwuchernde Buschwerk dort unten und verschwanden. Über ihnen schlossen sich die Zweige.

Die beiden Männer eilten nordwärts.