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Der ewige Mensch

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Nächster Morgen. Berggipfel
CORDATUS
(barhäuptig, hingestreckt, blickt in die Ferne)
TIOMA BETTY
(kommt leise und bleibt hinter ihm stehn):

Ein schöner Tag.

CORDATUS:

Ehe die Sonne hinunter ist, wirst du vor Tränen ermattet sein.

TIOMA BETTY:

Warum?

CORDATUS (blickt nach ihr):

Du hast ein Buch?

TIOMA BETTY:

Ja – ein Buch. Steilzack hat deine Aussprüche gesammelt und sie niedergeschrieben. Das ist nun „Das Cordatum“.

CORDATUS
(nimmt das Buch, aber sieht es nicht an):

Bücher schreiben ist eine unsittliche Handlung. Ein Buch ist immer ein unanständig Ding. Das Lesen von Büchern aber ist das Schlimmste, denn das ist eine verkehrte Befleckung. (Er wirft es hinaus.) Da fällt’s in die Schlucht. Dort mag’s bleiben. Was ich gesprochen habe, das lebt. Man soll’s nicht sargen.

DER DICHTER
(tritt auf, barhäuptig, achtzigjährig. Tolstoi-Maske):

Es ist gut, daß ich dir begegne auf meinem letzten Wege.

CORDATUS:

Ich habe nichts mit dir zu schaffen, Greis; denn du bist ein Abtrünniger, wenngleich die Armen und Bedrängten dich preisen und das ganze Volk vor deinem Dichtwerk auf den Knien liegt.

DER DICHTER:

Ich weiß, daß ich gefehlt habe, und deshalb gehe ich meinen letzten Weg.

CORDATUS:

Wohin führt es dich?

DER DICHTER:

Fort von den Meinen. Das ist es!

CORDATUS:

Ich will dein Strafer und dein Tröster sein.

DER DICHTER:

Du strafst auch? Ich glaubte, du könntest nur lieben.

CORDATUS:

Die Geistigschwachen und die Hundsköpfigen und die Schweinsohrigen, die Schafsäugigen und die Kotschnäuzigen und die Eselsköpfigen – ja – die liebe ich, Greis. Aber die da geistig stark sind und die Mißbrauch mit dem Geiste treiben, die strafe ich.

DER DICHTER:

Ich weiß vor meinem Gott, daß ich nicht Mißbrauch des Geistes getrieben habe.

CORDATUS:

Aber die Kobolde und nächtlichen Herzdrücker gingen doch nicht von deiner Brust, denn du hast den ewigen Menschen verraten.

DER DICHTER:

Verraten habe ich ihn nicht!

CORDATUS:

So nenne mir das oberste Gesetz.

DER DICHTER:

Geh hin und verkaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen!

CORDATUS:

Das hast du getan?

DER DICHTER:

Ja – soweit ich nur konnte. Und ich hab keine Schätze gesammelt.

CORDATUS:

Eines aber, reicher Jüngling, hast du mißachtet: „Folge mir nach!“ – Das tatest du nicht. Du bliebst bei den Deinen. Und so ist dein halbes Christentum schlimmer als ein ganzes Heidentum. Denn ein halbes Christentum ist keine Religion, aber ein ganzes Heidentum ist Religion. Das Ganze ist immer die Wahrheit.

DER DICHTER (klagend):

Ich sagte dir: ich gehe meinen letzten Weg. Denn nun habe ich auch die Meinen verlassen.

CORDATUS:

Ja – es ist dein letzter Weg. Denn du wirst sterben noch in dieser Nacht. Was du von diesem Morgen des Entschlusses bis zu dieser Nacht tust, das allein ist lebendig von dir zu ihm.

DER DICHTER:

Und das Kreutzerwerk, und das Evangelium, und das ganze Werk meiner achtzig Jahre?

CORDATUS:

Das wird vergessen werden, Greis. Denn du hast dies alles gewußt und bist feige gewesen. Die geübte Liebe wird leben, die geschriebene Liebe aber wird zuschanden werden.

DER DICHTER (weint)
CORDATUS:

Du hast gewußt: es kann der Mensch auf dieser Welt gar nicht einsam genug sein. Du glichst bis nun der Jungfrau, die da glaubt, ein Tier im Bauch zu haben.

DER DICHTER:

So sage mir! Kann man auf Erden Christus werden?

CORDATUS:

Man kann es. Und wenn man es kann, dann soll man es.

DER DICHTER:

Bist du Christus?

CORDATUS:

Du sagst es.

DER DICHTER:

So laß mich mit dir beten!

CORDATUS:

Ich bete nie!

DER DICHTER (laut weinend):

Bist du Christus?

CORDATUS:

Ich bin’s. Und du gehst jetzt hin, um es sterbend zu werden. Ja – das sei dein Trost! Du bist einen Tag in deinem Leben Christus gewesen … Zieh hin …

DER DICHTER (geht)
TIOMA BETTY:

Du bist hart.

CORDATUS:

Er wird gut schlafen.

TIOMA BETTY:

Mausche Michel kommt über den Berg.

CORDATUS:

Ich liebe ihn. Es gibt überall auf der Welt ein paar Gestalten, die jeder kennt, weil sie außerhalb aller bürgerlichen Einrichtungen leben, und die deshalb verlacht werden. Diese Gestalten liebe ich, denn irgendwie verkörpern sie die Sehnsucht der Menschen.

MAUSCHE MICHEL
(kommt unglaublich zerrissen. Er trägt einen langen, grauen Bart. In der Hand hält er einen langen Pfahl als Stock. Über der Schulter liegt ein Sack):

A guten Tag.

CORDATUS:

Wohin, Mausche Michel?

MAUSCHE MICHEL:

Nu, lieber Freind, ich komm fragen, ob Ihr eppes bedarft: e Hemed, e Röck oder Schich …

CORDATUS:

Ich brauche nichts, Mausche. Auch hab ich, wie Ihr wißt, kein Geld.

MAUSCHE:

Ich brauch kein Geld nit vun Eich. Ihr seid a guter Menß … (Lächelnd:) Aber der Messias seid Ihr doch nit.

CORDATUS:

Was kommt’s drauf an? Das Rad muß einen Stoß bekommen, wenn’s auszurollen droht!

MAUSCHE MICHEL:

Wos kimmern sich die Menßen …

CORDATUS:

Wenn’s nicht tausend sind, dann sind’s hundert, und wenn’s nicht hundert sind, dann sind’s zehn. Und wenn’s einer lernt: der Schmerz ist das Glück und der Sender weiß und leide mit Liebe, dann ist es genug. Es gibt nur ein Himmelsgebirge, Mausche Michel, nur eins!

MAUSCHE MICHEL:

Ihr seid a großer Gelernter. Recht habt Ihr.

(Er geht.)
CORDATUS (zu Tioma Betty):

Vergiß das nicht: auch die größten Christen waren Juden.

TAMARA (kommt wiegenden Schritts):

Ich hab ein Tier im Bauch. Schneid mir doch das Tier aus dem Bauch.

CORDATUS (schweigt)
TAMARA (zögernd):

Es ist nichts, Tamara. Es ist nichts. (Sie erschrickt).

TIOMA BETTY (erhebt)
TAMARA (geht langsam vorüber):

Es ist nichts, Tamara. Es ist nichts.

CORDATUS (erhebt sich):

Nein – es ist nichts. – Laß uns zu Tale steigen. Die Menschen rühren sich in den Niederungen.

TIOMA BETTY:

Ich fürchte mich vor den Tälern der Menschen.

CORDATUS:

Bleibe auf dem Gipfel. (Er geht schnell ab).

TIOMA BETTY (folgt ihm langsam, erstaunt)
STEILZACK
(kommt mit mehreren Männern, darunter Saat und der verkettete Mann):

Dort geht er hinunter. Und die Stadthure folgt ihm in der Entfernung.

DER VERKETTETE MANN:

Am Steinbruch können wir ihn erreichen.

SAAT:

Ja – am Steinbruch.

STEILZACK:

Kommt.

(Sie gehen.)
SAAT
(bleibt plötzlich zurück, wankt hin und her, fällt in die Knie und zittert heftig. Dann faltet er die Hände empor und ächzt):

Es haben größere Menschen als ich an Gott geglaubt, größere Menschen! Weshalb gabst du mir, Gott, Eigenschaften, die mich schuldig werden lassen mußten!!!

WACHTLER (kommt angetrippelt):

Ja – mein Freund, die Reue ist etwas Verspätetes.

SAAT
(springt in heftiger Aufwallung hoch):

Stören Sie mich nicht, Mann!

WACHTLER:

Und nun wollen sie den heiligen Cordatus steinigen! Schlecht sind die Menschen, Herr. Schlecht! Die Menschen schämen sich, und aus Scham sind sie schlecht, sage ich Ihnen. Auch Christus wurde getötet, weil sich die Menschen vor ihm schämten. Greulich, au-ßer-or-dent-lich greulich!!! Haben Sie verstanden?!! —

SAAT (weicht zurück):

Ich weiß nicht —

WACHTLER (mit steigender Erregung):

Aber dann kommt das Gesetz, Bursche, hörst du, das Gesetz! Und dann werdet ihr gestraft, nicht weil ihr dies oder jenes getan habt, das tun bessere Menschen auch, sondern weil ihr es verludert habt, das Gute und die Liebe in den Dingen zu suchen. Und du stehst vor einem unbegreifbaren Gericht, schweißig, naß wie ein Lamm, das von hinten gesogen hat! Ja – die Frucht wollt ihr nicht, aber die Wollust darf euch nicht genommen werden. Dafür schwebt stündlich das Beil des Henkers über euch. Und einmal fällt es ganz plötzlich! Ihr aber könnt nicht mehr den letzten Gang des Menschen zum Topfe machen. Ihr könnt euch nicht verstecken, wie die Tiere und Vögel es tun, wenn sie sterben. Ihr seid verurteilt, mit Kot in den Hosen vor sittsamer Leute Augen zu verrecken! Dann wird euch das Wort fehlen, das jener, den ihr dort mit Steinen totschlagt, gelehrt hat: Leide mit Liebe!! – Leide mit Liebe!!! – Ich bin ein Faun, ja – aber dann ist im Faun Liebe und natürliche Kraft!