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Der ewige Mensch

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TAMARA
(die wieder wandert und wiegt):

Ich hab ein Tier im Bauch. Schneid mir doch das Tier aus dem Bauch!

CORDATUS:

Es ist nichts, Tamara. Es ist nichts.

STEILZACK:

Und ich sah den Mörder und weiß sein Gesicht. Und dann sah ich die liebliche Schwester ahnungslos in der wundersüßen Wildnis hier! Soll ich anklagen, Cordatus?!

CORDATUS:

Du sollst lieben! Oder geh von mir. Geh von mir, wenn du nicht lieben kannst!

STEILZACK:

Weshalb denn mußte ich das alles sehn?

CORDATUS:

Das ist Schicksal. Jeder Blick, den wir tun, ist Schicksal und hat Bedeutung.

SAAT
(tritt auf und blickt sich fremd um)
STEILZACK (in schmerzvoller Bewegung):

Cordatus!!

SAAT (ängstlich):

Ich heiße Saat, wissen Sie. Und Sie sind ein gerechter Mensch, wird gesagt.

CORDATUS:

Wenn du Gerechtigkeit willst, so gehe zu den Richtern. Denn ich bin ungerecht.

SAAT (flehentlich):

Ich möchte Sie, ich möchte dich gern allein sprechen, Cordatus! Ich möchte dich gern allein sprechen.

CORDATUS:

Wenn du Schicksal hast, von dem du nicht zu allen sprechen kannst, so schweige lieber. Denn man soll ein Ding zu allen Menschen sagen können oder schweigen.

SAAT:

Ich bitte dich um eine Ausnahme.

CORDATUS:

Bist du so schwach, daß du nicht schweigen kannst?

SAAT:

Ich bin schwach.

CORDATUS:

Frage mich!

SAAT:

Gibt – gibt es Schuld?

CORDATUS:

Es muß Schuld geben.

STEILZACK (wendet sich ab)
CORDATUS:

Steilzack!

STEILZACK:

Ich höre, Herr!

CORDATUS:

Ist es dieser?

STEILZACK:

Er ist es!

SAAT (versteht nicht)
CORDATUS (sanft zu Saat):

Bleibe bei uns. Und laßt uns jetzt hinausgehn auf den Berg. Da ist viel Licht. Und da sind alle Dinge ganz anders.

(Er geht voran. Saat und Steilzack sehen einander ungewiß an und folgen ihm langsam)
TAMARA (laut hinterher):

Ich hab ein Tier im Bauch. Schneid mir doch das Tier aus dem Bauch, Herr!

SAAT (blickt sich verstört um)
CORDATUS:

Es ist nichts, Tamara. Es ist nichts.

Die Stadt. Ein freier Platz. Im Hintergrunde eine Reihe Häuser
SAAT
(steht im Vordergrunde, die Hände in den Taschen und blickt zu Boden)
WACHTLER
(kommt. Ein altes Männchen mit listigen Augen voller Neugierde. Er bleibt dicht bei Saat stehn und betrachtet ihn mit großer Aufmerksamkeit):

Ehemmhemm!!

SAAT (sieht sich schnell um)
WACHTLER:

So macht man sich bemerkbar. Ja – sehn Sie, Herr.

SAAT
(wendet sich ihm voll zu und blickt ihn fragend an)
WACHTLER:

Ich heiße Wachtler. Sie sind ganz fremd in der Stadt, wie ich sehe.

SAAT:

Wie können Sie das wissen? Die Stadt ist doch sehr groß.

WACHTLER:

Ja – die Stadt ist groß, aber die Menschen sind klein. Je größer die Stadt, desto kleiner die Menschen. Aber trotzdem: ich weiß alles. Es ist geradezu beängstigend was ich alles weiß. Es gibt in allen Städten Menschen, die immer alles wissen! Alles!

SAAT:

Zum Beispiel … Ich verstehe gar nicht.

WACHTLER:

Ja – es ist heute sehr aufregend in unserer Stadt. Von dem Skandal in der Kirche hörten Sie wohl! Nicht? Der heilige Cordatus hat da den Gottesdienst gestört, den Pfarrer von der Kanzel vertrieben und ein Viertelstündchen selber gepredigt, wovon die Leute alle außerordentlich erbaut waren.

SAAT:

Cordatus?

WACHTLER:

Ja – Sie warten doch hier auf ihn, wie ich sehe. Warten Sie nur, es dauert nicht mehr lange, so wird er dort um die Ecke kommen.

SAAT:

Cordatus?

WACHTLER:

Ja doch, sage ich Ihnen. Jetzt ist er noch in den Herbergen, kleinen Kneipen und Diebesspelunken herum, wo die Verbrecher und Betrüger, die Armseligen und Bedrängten und schlimmen Leute ihre Zeit fristen. Die Bürger dieser Stadt behaupten, er lehre diesen zweifelhaften Wesen das lichtscheue Handwerk – aber ich glaube nicht, was die Bürger sagen.

SAAT:

Und Sie warten hier auch auf Cordatus?

WACHTLER:

Ja – er wird dort an der Ecke stehn bleiben und jedem Menschen, der es will, eine wichtige Lebensfrage beantworten. O – die jungen Mädchen und Frauen bedrängen ihn dann sehr. Und die alten Weiber sitzen herum und weinen.

SAAT:

Und die Männer wollen nichts von ihm wissen …

WACHTLER:

Hm! Wissen Sie, das ist anders. Die Männer suchen ihn lieber insgeheim auf. Öffentlich sind sie ihm nicht wohlgesonnen.

TIOMA BETTY
(eine schöne stattliche Dame geht, mit den Augen in der Ferne suchend, vorüber)
WACHTLER (blinzelt Saat zu):

Das ist Tioma Betty, unserer Stadt Immerbeweger, eine heiße Hübscherin; aber seit vier Wochen keusch und züchtig. Sie muß ein Gelübde abgelegt haben. Wem? das werde ich in einer Stunde erfahren. – Ha! Jetzt wird es lebendig!

SAAT:

Ich sehe nichts.

WACHTLER:

Nein, Herr! Sie sehen nichts. Aber ich sehe dort den Polizeigewaltigen unserer Stadt hin und her spazieren. Der vornehme Herr dort, der sich den blauen Himmel besieht. Er heißt Festus, wissen Sie, Festus, wie der Landpfleger in der Apostelgeschichte, dem sich Paulus zu verantworten hatte. Ja – Festus.

SAAT (vorsichtig):

Was soll denn das da geben?

WACHTLER (mit prüfendem Blick):

Das kann eine ganz besondere Geschichte sein. Aber ich glaube nicht, daß es die besondere Geschichte ist. Dazu ist es noch zu frühe. Dieser Festus ist jedoch dem heiligen Cordatus wohlgewogen. Dessen Vater ist nämlich, müssen Sie wissen, der reichste Mann in der Stadt.

SAAT (erstaunt):

Sein Vater lebt in dieser Stadt?

WACHTLER:

Ehemm! Ja. Lebt. Hat gelebt ist wohl richtiger. Aber das weiß noch kein Mensch, daß dieser Vater schon gelebt hat.

SAAT:

Jetzt verstehe ich Sie gar nicht.

WACHTLER:

Das will ich meinen. Sie wissen nichts. Sie sind ja fremd hier. Aber deshalb will ich’s Ihnen gern sagen. Dieser Vater ist heute früh im wilden Stadtwald mit einem Beile erschlagen worden.

SAAT (schreit wie gelähmt):

Sein Vater! Das ist ja gar nicht möglich!! Herr!! Hören Sie doch! (Er greift ihn an.)

WACHTLER:

Werden Sie nicht so auffällig, junger Mann. Sehen Sie dort: der Festus ist schon aufmerksam. Ja – man muß immer vorsichtig sein. Aber bleiben Sie ganz ruhig. Ich werde nichts sagen. Das tue ich nie. Ich schaue nur immer zu und weiß von nichts. So werde ich nie hineingezogen. Das nenne ich Leben! Man wird die Leiche finden; dann wird man mit allen Errungenschaften der Kriminalistik nach dem Verbrecher forschen. Wissen Sie, so vom Mord bis zur Hinrichtung den ganzen Werdegang einer Sache, die man im voraus mit allen Finessen kennt, zu beobachten, ist außerordentlich wohltuend. Aber um Gotteswillen, beruhigen Sie sich doch, Herr! Ich bin in der Tat wie das Grab.

SAAT
(versucht es, schnell fortzugehn, schwankt aber hin und her und kommt schließlich nur langsam vom Platze)
WACHTLER (sieht ihm eifrig nach):

Sehr – spannend – ja – . Da kommt auch Cordatus.

(Stolpert mit kleinen Schritten hinterdrein.)
DIE VERKETTETEN
(ein Mann und eine Frau, kommen. Der Mann geht rechts und die Frau links. Sie sind, nicht sichtbar, unten am Handgelenk durch eine Kette verbunden)
DER MANN:

Ich will von dem Menschen nichts wissen. Komm fort, wir gehn hinaus auf die Felder.

DIE FRAU (klagend):

Du bereitest mir niemals eine Freude, niemals! Und besonders dann nicht, wenn ich dich um etwas bitte.

DER MANN:

Aber Kind, sieh hin. Er ist ein Hanswurst. Nichts weiter.

DIE FRAU (dem Weinen nahe):

Was ich für heilig ansehe, das trittst du mit Füßen. Und du bringst mich soweit, daß ich verrückt werde an deiner Seite. Das willst du auch, scheint mir, nur erreichen.

DER MANN:

Weshalb denn haben wir uns nur durch die Stahlkette so zusammengeschlossen, und weshalb ließ ich dich nur den Schlüssel ins Wasser werfen?

DIE FRAU:

So schnell bereust du das? Doch ja – ich bereue es auch schon.

DER MANN:

Ich glaube, wir sind beide verrückt gewesen. Denn wir können uns ja nicht einmal entkleiden!